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Das Fest der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus zeigt uns nicht nur, wer Gott ist, sondern auch, was das Geheimnis des Menschen ist.Seit seinem gefeierten Welterfolg "Jesus der Christus" kreisen Walter Kaspers Gedanken um dieses Geheimnis: als Theologe, als Kirchenmann, als Seelsorger. Seine Betrachtungen zur Advents- und Weihnachtszeit führen zu diesem Geheimnis, um es zu betrachten und "im Herzen zu bewegen".
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Seitenzahl: 72
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Walter Kardinal Kasper
Bedenke dein Geheimnis
Walter Kardinal Kasper
Meditationen zu Adventund Weihnachten
Vorwort
IDem Herrn entgegen
Gericht und Gnade
Worauf Verlass ist
IIDie Botschaft von Nazaret
Das Licht aus Nazaret
Die Macht der Gnade
Der Friedensfürst
IIIWeihnachten feiern
Christ, der Retter, ist da
Die Kraft der Weihnachtslieder
Wer wir sind und sein können
IVDem Weihnachtsstern folgen
Der Weg zur Anbetung
Wem die Zukunft gehört
Der heilige Tausch
Bibelstellenverzeichnis
Zum Autor
»Erkenne, o Christ, deine Würde und bedenke, dass du der göttlichen Natur teilhaftig geworden bist«, so fasst Papst Leo der Große (400–461) für uns die Botschaft von Weihnachten zusammen (sermo XXI,3). Gegen alle Bestrebungen und Versuchungen, den Horizont des Menschseins auf das Machbare, Verfügbare, Konsumierbare zu beschränken, bringt das christliche Weihnachtsfest die Botschaft des Glaubens zur Sprache: Mensch, bedenke dein Geheimnis!
Deshalb betrachtet die Kirche in der Adventszeit die biblischen Texte von Umkehr und Gericht ebenso wie das Geheimnis der Gnade. Weil es die siegreiche Gnade Gottes gibt, können wir einstimmen in den weihnachtlichen Jubel der Engel in der Nacht von Betlehem und dem Stern folgen, der uns zur Anbetung des Gottessohnes führt.
Der vorliegende Band geht auf Predigten zurück, die ich in den vergangenen Jahren in der Advents- und Weihnachtszeit gehalten habe. In überarbeiteter Form gehen sie in diesem Band auf den Weg zu Leserinnen und Lesern mit dem Wunsch und der Hoffnung, den Glauben und das Vertrauen zu stärken, dass dem Kind in der Krippe die Zukunft gehört.
Für die sorgfältige Bearbeitung und für die Übersetzung einiger Texte habe ich Herrn Dr. Ulrich Sander herzlich zu danken.
Wangen im Allgäu,am Fest der Verklärung des Herrn 2015Kardinal Walter Kasper
IN JENER ZEIT fragten die Leute Johannes den Täufer: Was sollen wir also tun? Er antwortete ihnen: Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso.
Es kamen auch Zöllner zu ihm, um sich taufen zu lassen, und fragten: Meister, was sollen wir tun? Er sagte zu ihnen: Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist.
Auch Soldaten fragten ihn: Was sollen denn wir tun? Und er sagte zu ihnen: Misshandelt niemand, erpresst niemand, begnügt euch mit eurem Sold!
Das Volk war voll Erwartung, und alle überlegten im Stillen, ob Johannes nicht vielleicht selbst der Messias sei. Doch Johannes gab ihnen allen zur Antwort: Ich taufe euch nur mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Schon hält er die Schaufel in der Hand, um die Spreu vom Weizen zu trennen und den Weizen in seine Scheune zu bringen; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen.
Mit diesen und vielen anderen Worten ermahnte er das Volk in seiner Predigt.
Lukas 3,10–18
Johannes der Täufer ist eine große Gestalt des Advents, der auf das Kommen des Messias weist. Er vergleicht den kommenden Christus mit einem Bauern, der die Schaufel in der Hand hält, um die Spreu vom Weizen zu trennen und im Feuer zu verbrennen.
Es gibt nicht wenige, die denken: Das passt nicht nur nicht in unsere Zeit; das passt auch nicht ins Evangelium. Ist das Evangelium nicht eine frohe Botschaft, die Trost und Freude vermitteln soll, die frei macht von Angst und Schrecken? Sagt das Evangelium nicht, dass Hoffnung ist für jeden Menschen und dass Gott jeden Menschen annimmt und bejaht? Wie passen dazu solche Drohungen?
Viele lassen heute die Gerichtsbotschaft weg; sie verdrängen und vergessen sie. Doch dann muss man aus der Bibel sehr viele Kapitel wegstreichen, sowohl aus den Propheten des Alten Bundes wie aus der Predigt Jesu selbst. Die Propheten kritisieren sogar hart die falschen Propheten, die den Leuten nach dem Mund reden und Zuversicht ausstrahlen, ohne vom Gericht zu sprechen.
Die Rechnung geht also nicht auf. Man kommt nicht umhin, sich der Gerichtspredigt der Propheten, des Täufers Johannes und Jesu selbst zu stellen. Sie ist ein wichtiger Teil der Heiligen Schrift. Wir müssen sie ernst nehmen und uns fragen, was Gott uns damit sagen will.
Ich will die entscheidende Antwort gleich vorweg geben und eine These aufstellen, die auf den ersten Blick paradox erscheint: Auch die Botschaft vom Gericht ist eine Botschaft von der Gnade.
Wer das Gericht nicht ernst nimmt und meint, es einfach wegstreichen zu können, der nimmt auch die Gnade nicht ernst. Der macht aus der Gnade eine billige Gnade und aus dem Christentum eine billige Angelegenheit.
Wer nur den »lieben Gott« kennt, der so lieb ist, dass er zu allem Ja und Amen sagt, der hat im Grunde gar nicht verstanden, wer Gott ist, der hat im Grunde gar keinen Gott, sondern ein selbst gebasteltes Wunschbild seiner eigenen Glückseligkeitsträume. Denn zu Gott, der gut ist, gehört, dass er dem Bösen widersteht, dass er das Unrecht, die Gewalt, die Lüge hasst und auslöschen will.
Gott will all das schreckliche Unrecht, die himmelschreiende Ungerechtigkeit, das Morden, das Zerstören, das Schänden nicht. Dagegen entbrennt, wie die Bibel sagt, sein Zorn und sein Grimm. Gott steht dafür, dass am Ende der Mörder nicht über seine Opfer siegt, dass man mit Lügen und Verschlagenheit nicht durchkommt, dass Unrecht nichts bringt, dass nicht das Recht des Stärkeren gilt, dass das Böse keine Zukunft hat. Er sorgt dafür, dass am Ende alle wirklich gleich sind, dass alle Masken fallen und die Wahrheit ans Licht kommt. Er steht dafür, dass am Ende nicht die Lüge, sondern die Wahrheit, nicht die Gewalt, sondern das Recht, nicht der Hass, sondern die Liebe siegen wird.
Kann man sich eine sinnvolle Welt denken, ohne diesen Sieg des Guten und des Wahren? Müsste man nicht an allem Sinn verzweifeln, wenn es dieses Gericht am Ende nicht gäbe? Und ist dieses Gericht nicht gerade eine Hoffnung für die Armen und die Kleinen, für diejenigen, welche in der Welt keine Stimme haben und sich nicht wehren können?
Wenn das nicht so wäre, dann wäre wirklich die Weltgeschichte das Weltgericht, dann wäre die Geschichte nur eine Siegergeschichte, in welcher die Opfer, die Unterdrückten, die Ermordeten und Geschändeten endgültig leer ausgingen und die Guten als die Dummen dastünden.
Muss man also nicht doch sagen: Es ist eine wahre Gnade, dass Gott am Ende das letzte Wort hat und sich als Richter erweist? Ja auch die Gerichtsbotschaft ist eine Gnadenbotschaft; die Gerichtsbotschaft ist eine Botschaft der Hoffnung.
Johannes der Täufer geht noch einen Schritt weiter. Er sagt nicht nur, wie Gott ist und was Gott tut, er sagt auch, was wir, die wir seine Botschaft hören, tun sollen. Er ruft auf zu Umkehr und Buße. Die Versuchung ist ja groß, zu denken: »Ja, die anderen sollen und müssen sich ändern, aber ich bin im Grunde okay. Kleinere Fehler kann ich ja zugeben; aber zu den großen Sündern gehöre ich nicht.«
Das mag ja stimmen. Aber genügt das? Für Johannes den Täufer offensichtlich nicht und für Jesus auch nicht. Ihre Botschaft ruft uns auf, genauso entschieden auf die Seite des Guten, der Gerechtigkeit und der Wahrheit zu treten, wie Gott es tut. Es genügt nicht, nichts Böses zu tun; es gilt entschieden das Gute zu tun und dafür einzutreten.
Das geht gleich aus der ersten Antwort hervor, die Johannes auf die Frage gibt: Was sollen wir tun? Er antwortet: »Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, handle ebenso.« Buße tun heißt, sich für diese Alternative zu entscheiden und sie zu leben. So wie Gott ein Gott der Hoffnung ist, so sollen auch wir Hoffnungszeichen in der Welt sein. Zeugen der neuen Welt, Zeugen der Alternative der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Liebe. Wir sollen zeigen, dass es auch anders geht und dass es anders besser ist. Damit können wir Hoffnung stiften für viele.
Hoffnung stiften wir dagegen nicht dadurch, dass wir unbarmherzig kritisch über die anderen urteilen. Nicht wir sind Richter, Gott allein kann über das Innere der Menschen richten. Wir sind nicht Richter, sondern gleichsam Ärzte, wir sollen die Wunden heilen, welche durch das Böse geschlagen werden, und wir sollen das Gute positiv tun. Eine einzige gute Tat nützt da mehr als hundert Moralpredigten. Nach einem Wort des heiligen Augustinus soll man das Böse hassen, aber den Bösen lieben. Auch Gott will ja nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe.