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Die Autorin beschreibt ihre vielschichtigen Beziehungen in der Familie, im Geschäftsalltag, inklusive einem erlebten Mobbing und Übergriffen. Sie schreibt über Liebe und Sexualität und wie sie ihre eigenen Grenzen gesprengt hat auf der Suche nach Glück. Offen, selbstkritisch und schonungslos berichtet sie von ihrer Ehe und anderen Liebesbeziehungen und zeigt auf, wie es möglich ist, leidvolle Erlebnisse in wertvolle und spirituelle Erkenntnisse umzuwandeln und dadurch das Leben bewusster zu leben. Sie nimmt den Leser/die Leserin mit auf Reisen durch ihr Leben und in ferne Länder, auf eine sehr persönliche bis intime Art und Weise. Das Buch dürfte einige erhellende Antworten bieten, zum Nachdenken und zu mehr Selbstliebe anregen. Ihr Bestreben ist es, andere Menschen zu ermutigen, der inneren Stimme zu folgen.
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Seitenzahl: 416
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COVER
Ein Kristall trägt die Vielfalt der Seelenfrequenzen, die auch Frequenzen des Lichtes und der Liebe sind, in sich. Er wird belebt durch Licht und Schatten, kann oben wie unten, innen wie aussen, aufnehmen und widerspiegeln.
Ein SEELENKRISTALL ist immer perfekt, bietet jedoch tausend Möglichkeiten und Erfahrungen, das Menschsein und seine Verbindung zum Ganzen/Göttlichen zu erfahren.
Ich widme dieses Buch dem Höchsten in uns,
dem Höheren Selbst, das uns das
ALL-EINS-SEIN
bewusst macht.
IST DAS LEBEN EIN WORKSHOP?
TEIL 1 – RELATIONSHIPS
FRÜHE PRÄGUNG
DIE ELTERN
UNPERFEKT
KEIN EINZELKIND
ALBTRÄUME
PUBERTÄT
DIE ABLÖSUNG
EINE GROSSE LIEBE
RICHTIG VERLIEBT
KÖRPERWELTEN
STUDIEN IM AUSLAND
DIE WILDE EHE
LIEBE LEBEN
IN MIR ANKOMMEN
VERÄNDERUNGEN
EHE UND ANDERE FREIHEITEN
MÄNNER
AUF EMPFANG
FREMDGEHEN JA ODER NEIN?
GEGEN MEINEN WILLEN
ENT-SCHEIDUNGEN
ALTERNATIV
NEUAUSRICHTUNG
TEIL ZWEI / RELATIONSHIPS
AUFBRUCH
ERÖFFNUNGEN
EIGENLEBEN
MEDIALES WISSEN
EIN NEUES ZUHAUSE
FRAGEN ÜBER FRAGEN
ÜBER DEN GROSSEN TEICH
WEIBLICHE LUST ADE?
DAS ABENTEUER INTERNET
EINE NEUE ÄRA
MEIN ERSTES BLIND DATE
FENG SHUI
DUALSEELE
PARTNERSCHAFT JA ODER NEIN?
STARKE ENERGIEN
UNVERBINDLICHKEITEN
FRÜHERE LEBEN
LICHTKÖRPER
WISSEN UND ERFAHREN
ÜBERGANG INS JAHR 2000
SPIRITUELLE GRUPPEN
MULTIDIMENSIONALITÄT
TELEPORTATION
GÖTTLICHE SEXUALITÄT
NEUE SICHTWEISEN
VEREINIGUNG
HOCHSCHWINGEND
VERSCHMELZUNG
DIE HEIMAT IN UNS
GLOSSAR
Liebe Leserin, lieber Leser,
Warum dieses Buch in Deine Hände gekommen ist, mag unterschiedliche Gründe haben. Einiges im Buch könnte auch als Zufall interpretiert werden. – Ich glaube nicht an Zufälle.
Es kann durchaus sein, dass Du Dich in der einen oder anderen Facette wiedererkennst, verstanden fühlst oder eine neue Sichtweise annehmen kannst. Wenn Dich meine Offenheit im Laufe des Lesens erstaunt, dann möchte ich Dir sagen, dass es auch Mut brauchte, solches zu veröffentlichen.
Du wirst feststellen, dass ich bei gewissen Erlebnissen von der Vergangenheit in die Gegenwart hüpfe. Das ist so von mir gewollt, denn ich möchte Dich ganz im Moment erleben lassen, wie es mir ergangen ist.
Dass ich Dich mit dem DU anspreche, bedeutet, dass ich Dir sehr Persönliches anvertrauen werde und ich danke Dir dafür, dass Du Dich auf mein Buch einlässt.
Ich durfte erfahren, dass Menschen um mich herum, weil ich mich so offen mitgeteilt und gezeigt habe, verschiedene Impulse bekamen. Einige wagten freier, mutiger oder selbstbewusster aufzutreten, wenn es um gelebte Spiritualität oder Sexualität ging. Für mich fühlt es sich an, als hätte ich mehrere Leben in einem gelebt, als würde ich mich auch immer wieder in unterschiedlichen Dimensionen und Realitäten bewegen, die ich Dir gerne näherbringen möchte. Wir können uns dort wieder begegnen. Ich habe sehr viele Konzepte über Bord geworfen und es nicht bereut. Immer wieder brauchte es auch Mut, zu mir, meinem Denken und Handeln zu stehen. Es schien Wiederholungen zu geben, weil Veränderungen manchmal Zeit benötigen oder weil etwas sich vertiefen konnte und ich erkannte, dass etwas in dieser Wiederholung zu meinem Lebensplan gehörte.
Ich kann eines sagen: »Ich habe meiner inneren Stimme immer schneller Gehör geschenkt und ein Leben gelebt, das heute ohne Bedauern ist. Es erfüllt mich mit Stolz, dass ich beim letzten Atemzug nicht denken werde: Hätte ich doch nur ...«
Von Auf- und Ausbrechen, vom
ICH zum DU
in ein WIR.
Davon handelt mein Buch.
Alle Namen der Personen sind geändert und einige Orte umbenannt oder verfremdet. Dies dient vor allem dem Schutz meiner Lieben und Liebsten. Ich bin erreichbar für Lesungen oder Lebensberatung per Mail unter der Adresse: [email protected].
Sofia Velin auf Facebook.
Ich wünsche mir, dass meine Offenheit, die mich mit meinen Zweifeln, meinem Glück und meinen Erfahrungen zeigt, Dir etwas geben kann. Im zweiten Buch nehme ich Dich mit auf spirituelle Reisen. Themen und Begegnungen aus diesem Buch finden eine interessante Fortsetzung. Es kam teilweise zu einer überraschenden Vollendung. Für Fotos und mehr Informationen lade ich Dich ein, meine Homepage
http://www.facettenderliebe.ch
zu besuchen.
Mögest Du dem Ruf Deiner Seele folgen! Das wünscht Dir von Herzen.
Sofia Velin
»I am here to make a difference«, und er ergänzte, »to make a difference in the world.«
Das war Harrys Credo: »Ich bin hier um einen Unterschied zu machen – in dieser Welt.«
Mit den Jahren nahm dieses Credo in mir immer mehr Gestalt an, beginnend in meinem Leben und dadurch auch mit Auswirkung auf andere Menschen. Ja, dieser Workshop hat mein Leben grundlegend verändert und Harry hat einiges aus mir herausgeholt. Nein, er war kein Guru, wollte nie einer sein und verhielt sich oft so, dass er die Menschen – in Liebe – bis zum Äussersten forderte oder vor den Kopf stiess.
Er ist Amerikaner. Natürlich ist nicht alles, was von dort kommt zu unserem Besten. Trotzdem schwappt fast alles, Jahre später, nach Europa. Harry war ganz offensichtlich einer, der es wagte, unkonventionell zu sein – in seinem Denken, seinem Tun, seinen Absichten. Und das hat er nach Europa gebracht.
Amerika, dieses für Neuerungen bekannte Land, hat es auch möglich gemacht, dass ich heute an meinem Mac sitze und innerhalb von Sekunden mit dem Rest der Welt verbunden bin. Mit Dir liebe Leserin/lieber Leser, mit Euch über Facebook nur einen Klick entfernt, dank Google sofort überall. Auch real habe ich Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, mehrfach bereist; später das Land meiner Seele (Indien), das Land meiner Mutter (Ägypten), das Land der Göttinnenkraft (Afrika) besucht und andere mehr. Meine jetzige Heimat, die Schweiz, ist mir lieb und befindet sich im Zentrum von Europa. Scheinbar unbedeutend klein, haben wir doch einen Pulsschlag, der stetig in alle Richtungen und Länder wirkt. Umgekehrt werden dann auch wir wieder genährt von deren Energiefluss und Impulsen.
Manches Mal musst Du fremdgehen, um zu Dir zu finden.
Manches Mal muss etwas in Dir sterben, damit Du neu geboren wirst.
Manchmal musst Du genau das tun, was Du Dir vorher nie zugetraut hättest, um über Dich selbst hinauszuwachsen.
Erst wenn wir die eigene Grösse erkannt haben, merken wir, welche Fähigkeiten in uns verborgen sind. Das wird uns wahre Demut und Bescheidenheit lehren, die uns zu innewohnender Weisheit führt. Einer Weisheit, zu deren Entdeckung ich mich früh aufgemacht hatte. Es ist kein angelerntes Wissen, es ist ein in den Tiefen schlummerndes Potenzial. Tatsächlich hatte ich mich bis zum Alter von fünfunddreissig Jahren stark am Aussen orientiert. Ich lebte erzwungenermassen, um endlose Diskussionen zu vermeiden, möglichst angepasst. Doch im Inneren loderte das Feuer einer Rebellin – ein Zwiespalt, in dem ich mich immer wieder befand. Mutig und doch scheu, selbstsicher und dann doch wieder zweifelnd. Erst jetzt begann ich zu erkennen, dass in Beziehung sein heisst, eine gute Beziehung zu sich selbst zu haben. Erst wenn ich mit mir selbst eine reife Beziehung aufgebaut habe, werde ich fähig, auch mit anderen Menschen wirklich in Beziehung zu sein. Um entdecken zu können, wer ich selbst bin, musste ich mich von Erziehungsmustern, die mir bis dahin auch gedient hatten, genauso lösen, wie von den Lebensvorstellungen meiner Eltern, die sie mir zu vermitteln versuchten und denen der Gesellschaft. Bewusst wurde mir dies in meinem ersten Workshop der sinnigerweise Relationship Workshop hiess und jeweils am Donnerstagabend begann und bis Sonntagabend andauerte.
Ich lade Dich ein, mit auf diese Reise zu kommen, zu mir ins Jetzt, ins Wir.
Donnerstag/Erster Abend:
Wir sind neunundzwanzig Teilnehmer, der Workshopleiter mit seiner Partnerin und ungefähr sechs bis zehn Teammitglieder, die das Ganze begleiten, davon zwei Übersetzer.
Ich fühle intuitiv, dass ich am richtigen Ort bin. Zum Glück wusste ich nicht genau, was mich erwartete, bestimmt hätte ich gezögert, mich anzumelden. Bereits am ersten Abend beginnen die Herausforderungen. Es geht um erwünschte und unerwünschte Verhaltensweisen während dieser Tage. Von einem Teammitglied werden uns strenge Regeln vorgelesen, die wir während des ganzen Workshops zu befolgen haben. Was herrscht hier vor? Ein Schulsystem? Militär? Kontrolle? Ziemlich doofe Verhaltensregeln für Erwachsene, so erscheint es vielen von uns. Es erinnert an ein recht autoritäres System, und mich an meine Zeit in der Handelsschule – damals war ich sechzehn, zur Zeit des Workshops nun vierunddreissig jährig. Die Gruppe besteht aus wenigen jungen Männern und Frauen um die zwanzig, aus einem grösseren Mittelfeld in den Dreissigern, die älteste Teilnehmerin hat die Siebzig überschritten.
Die Regeln die uns vorgetragen werden lauten:
»Bevor ihr etwas sagt, Hand hochstrecken und warten, bis ihr aufgerufen werdet! Zum Sprechen immer aufstehen! Redet niemandem dazwischen! Der Raum wird nur in den Pausen verlassen, ansonsten um Erlaubnis bitten! Wir verlangen absolute Pünktlichkeit! Untersagt ist Essen oder Trinken im Schulungsraum, ebenso das Kauen von Kaugummi während der Schulung.«
Das ist noch nicht alles. Wir müssen uns dazu verpflichten, die vollen dreieinhalb Tage dabei zu bleiben, egal was passiert. Letzteres ruft bei einigen Teilnehmern Widerstände hervor. Ich habe weder mit diesen Regeln noch mit der Verpflichtung ein Problem. Für die Zeit des Workshops würde ich das schon einhalten können. Nach einer ersten Pause, während welcher Unsicherheiten missmutiger Teilnehmer noch geklärt werden, können wir also starten. Nun sind wir Teilnehmer gefordert uns zu äussern. Jeder muss nach vorne gehen, sich vor die Gruppe stellen. Erstens: Den Namen nennen. Zweitens: Mitteilen, wer uns auf den Kurs aufmerksam gemacht hat. Drittens: In Worte fassen, was für Erwartungen wir an die kommenden Tage haben. Es ist im Grunde ganz einfach und doch ist das für viele schon eine weitere Hemmschwelle, die es zu überwinden gilt. Harry, der Amerikaner, zeigt uns, dass er unsere Ängste kennt. Also schreibt er die drei Fragen auf einen Flipchart, damit wir uns daran orientieren können, falls wir vergessen, wozu wir vorne stehen. Er erklärt: »Nachweislich und statistisch bewiesen, ist die grösste Angst der Menschen diejenige vor Hunden und die zweitgrösste, sich vor eine Gruppe hinzustellen und zu reden.«
Erst viele Jahre später sollte ich herausfinden, dass die allergrösste Angst diejenige vor der eigenen Grösse ist.
Natürlich habe ich Herzklopfen und Angst. Es bleibt mir nicht erspart, denn es geht der Reihe nach. Meine Stimme ist wohl ziemlich zittrig, als ich da vorne stehe und spreche. Da ich mein Los mit allen Anwesenden teile, fällt es mir etwas leichter.
Fünf Leute sind inzwischen vor die Gruppe getreten, als Harry die Sitzenden mit lauter Stimme aufschreckt: »Merkt ihr, wie geteilt eure Aufmerksamkeit ist? Wie stark richtet ihr die Aufmerksamkeit auf diejenige Person, die vorne steht? Wie sehr seid ihr damit beschäftigt darüber nachzudenken, was ihr dann sagt, wenn es so weit ist?«
So trifft er während des gesamten Workshops immer wieder ins Schwarze. Natürlich hat er Erfahrung. Und er nutzt seine intuitive Fähigkeit, aus dem Moment heraus zu entscheiden, was zu sagen oder zu tun ist. Das verlangt von seinen Mitarbeitern eine enorme Wachheit und ist gleichzeitig auch eine gute Lebensschulung.
Ich wünschte mir eine bessere Beziehung. Das ist mein Ziel. Dabei denke ich natürlich an meine Partnerschaft. An diesem Wochenende wird ganz klar thematisiert, dass wir selbst den Ausgangspunkt für jede gute Beziehung bilden. Es gelingt Harry, es uns zu vermitteln, ohne uns für unser bisheriges Verhalten Schuldgefühle zu machen. Der erste Abend wird lang, insbesondere weil die Teilnehmer, die nicht in Zürich wohnen, bei jemandem aus der Gruppe unterkommen sollen und das ist ungefähr die Hälfte der Leute. Gerne nehme ich jemanden mit nach Hause, andere tun sich da sehr schwer und es heisst klar: »Niemand geht hier raus, bevor nicht alle ein Bett für die Nacht haben. Keiner muss ins Hotel.« So überwinden sich einige, eine fremde Person nach Hause einzuladen, sonst hätte das Ganze noch ewig gedauert.
Freitag:
Heute sind wir einander schon weniger fremd. Wir teilen ja dasselbe Los und haben ähnliche Wünsche. Einige von uns haben sich inzwischen auch privat näher kennengelernt, das verbindet. Wir sind umgeben von einem Team, das den Workshop begleitet, das uns jedoch nicht näher vorgestellt wird. Mindestens vier von ihnen sind ständig im Raum anwesend und sitzen an der Wand hinter uns. In den Pausen sind sie dafür zuständig, den Kursraum wieder vorzubereiten und allgemein die Energie zu gehalten. Als Teilnehmer fühlen wir uns beobachtet und wir halten diese Leute natürlich für etwas Besonderes, sonst wären sie wohl kaum Mitarbeiter geworden.
Später, als ich selbst ein Teil des Teams geworden bin, lerne ich, dass wir durch unsere Präsenz hinten im Saal für und mit den Workshopleitern diesen Raum energetisch im Gleichgewicht halten. Von den Mitarbeitern wird volle Aufmerksamkeit gefordert und es gilt im Schulungsraum, Disziplin zu üben – selbst wenn bei den Teilnehmern Prozesse ausgelöst werden, auch wenn das Geschehen uns Mitarbeiter berührt. Auch das Team erhält Unterstützung – von den Kollegen oder erfahreneren Teammitgliedern. Sofern es notwendig ist, auch von Harry und Sue in deren Pausen. Unsere Hauptaufgabe besteht darin, zum Gelingen des Workshops beizutragen. Gleichzeitig profitieren auch die Teammitglieder sehr von dem, was sie in den Workshops hören, erleben und mitfühlen, sie waren ja selbst auch Teilnehmer gewesen, bevor sie dem Team beitraten.
Es gibt auch für das Team klar festgelegte Strukturen und zugeteilte Arbeiten. Während jeder Pause müssen mittels einer Schnur alle Stühle wieder genau ausgerichtet werden. Die Blumen müssen immer frisch sein, der obligate Mate Tee in speziellen Tassen für die Workshopleiter muss bereitstehen, ebenfalls die Formation der fünf Lutschpastillen auf dem Tellerchen ist vorgeschrieben, immer harmonisch angeordnet, zwei oben, zwei unten, eines in der Mitte. Auch im Pausenraum soll vorbildliche Ordnung herrschen. Das Team dient nicht nur als praktische, sondern auch als energetische Stütze des Workshops. Solche klaren Strukturen inklusive der Regeln werden benötigt, damit die Teilnehmer sich relativ ungehemmt im Workshop austoben können. Das Team hat gemäss einem Plan, festgelegte Anwesenheitszeiten, eine klare Aufgabenteilung und am Ende jedes Abends gibt es ein gemeinsames Brainstorming.
Doch erst einmal bin ich Teilnehmerin und sehr neugierig auf das, was alles auf uns zukommen wird. Es beginnt mit einer unterhaltsamen Einführung, bei welcher wir viel lachen, obwohl wir uns dem ernsthaften Thema in Beziehung sein widmen. Wir erfahren, dass Menschen die Tendenz haben, die Nasenspitze so nahe an ein Problem zu halten, dass sie das Gesamte aus den Augen verlieren. Harry zeichnet das Problem als grossen Punkt an den Flipchart und klebt mit den Armen rudernd seine Nasenspitze auf den Punkt. Oder er schlurft mit hängenden Schultern weg, um aufzuzeigen, wie viel Energie uns das Problem kostet, wenn es auf unseren Schultern lastet. Ein wahrlich genialer Anschauungsunterricht wird uns geboten. So ist er manchmal Clown, perfekter Schauspieler und Lehrer zugleich. Es geht um die Frage: Habe ich das Problem oder hat das Problem mich? – Hast Du ein Problem mit mir – oder hast Du es nicht eher mit Dir selbst?
Als Sue, die Workshopleiterin, ihren Part übernimmt, bekommt das Ganze eine ganz andere, feinere Note. Zum ersten Mal in meinem Leben erlebe ich eine geführte Meditation.
Zu Beginn der Meditation führt sie uns durch den Körper, wo wir einzelne Körperteile anspannen und entspannen sollen. Eine Übung, die ich im Anschluss tausendfach wiederholt habe und die später, als erstes auf meiner selbstproduzierten CD zu hören ist. Danach sollen wir uns an einem Ort sehen, an welchem wir uns sehr, sehr wohl fühlen. Ich sehe mich sofort auf einer Wiese sitzend, umgeben von saftigem Grün, hinter mir eine schöne Waldlichtung und schaue in die Weite. Der Himmel ist von einem strahlenden Blau und am Horizont leuchtet golden die Sonne, die mich wärmt. Ich fühle Freiheit pur, in mir und um mich herum. Ich geniesse diese angenehme und warme Welt, die in ein sanftes Licht getaucht ist. – Nun sollen wir uns an Begegnungen im Alltag erinnern, zuerst als Kind in der Schule, dann mit Freunden, dann in der Berufswelt. Es wird für mich immer qualvoller. Unliebsame Episoden tauchen auf, von Gruppenkämpfen, der Unfähigkeit zu genügen, Lehrern, die kein Verständnis haben, Freunden, die sich abwenden. Plötzlich fühle ich mich, als wäre ich eingekerkert. Ich bekomme fast keine Luft mehr. Mein Hals fühlt sich eingeschnürt an und ich glaube, zu ersticken. Unerwartet und fremd scheint es mir und sehr beängstigend. Ich beginne verzweifelt, nach Luft zu japsen. Sofort kommt ein Teammitglied, um mich zu unterstützen.
»Atme langsam und tief ein und aus. Alles ist gut. Tief durchatmen, entspannen.« Die Hände des Teammitglieds auf meinen Schultern beruhigen mich. Am Schluss der Meditation sollen wir uns von den Bildern lösen und wieder ins Hier und Jetzt kommen, uns auf dem Stuhl sitzend und wieder im Raum wahrnehmen. Sue kommt ebenfalls zu mir, nachdem ich die Augen geöffnet habe.
»Du hast gut gearbeitet«, sagt sie.
»Was bedeutet das, was ist mit mir passiert?«
»Lass es einfach mal wirken.«
Es wird möglichst wenig psychologisiert oder erklärt, stattdessen werden Erfahrungen geteilt. Ich kann nicht viel beitragen; höre den anderen zu, erstaunt darüber, dass sie durchwegs so viel Positives erlebt haben. Mein Erlebnis ist bis auf den Einstieg nur Stress gewesen.
Später verstand ich, dass ich zum ersten Mal die Freiheit und Weite wahrgenommen hatte, in welcher unsere Seele zu Hause ist. Diese wurde mir aber sofort durch meine Gedanken und Bilder wieder genommen. Ich hatte eine ungewohnte Ausdehnung erlebt für die mein physischer Körper und meine momentane mentale Struktur einfach zu eng gewesen waren. Die Rückkehr in diesen Körper, ich kann wohl auch sagen, in dieses Leben, war schrecklich.
Wir lernen: Das Wichtigste sind die Fragen.
Dann folgt die Aufforderung: »Geh mit jeder Frage tiefer und bleib nicht bei einer Antwort hängen.«
Ich bin erschöpft, doch nach dem Nachtessen dauert der Workshop noch lange, bis tief in die Nacht.
Sehr bewegt und nach einer kurzen und fast schlaflosen Nacht habe ich ein wenig Bammel, was denn noch alles auf mich zukommen wird.
Ich spürte jetzt, dass ich mir selbst im Leben sehr wenig eigenen Raum gegeben hatte. Und wenn ich ihn mir zugestanden hatte, dann hatte ich mich selbst gleich wieder beschnitten. Mein Raum, den ich mir in der Meditation erschaffen hatte, war menschenleer gewesen. Diesen Raum konnte ich in mir fühlen, wenn ich daran dachte und mir war nicht bewusst gewesen, wie wenig ich mir davon zugestand. Bislang war ich wohl nie wirklich frei gewesen. Ich hatte versucht mich in gewissen Bereichen freizustrampeln, doch es war mit Anstrengung und vielen Zweifeln verbunden gewesen und mit einem autoritären Vater und ähnlich gelagertem Partner sehr schwierig für mich.
Meine Neugeburt erfolgte mit 40 Jahren, doch jetzt war ich noch in einer Art Geburtskanal, der ziemlich eng war.
Samstag:
Nach einer kurzen Begrüssung und Einführung folgt eine weitere Meditation, die länger und noch viel eindrücklicher werden wird. Durch die intensive und lange Präsenzzeit des Vortages sind wir schon ziemlich »weichgekocht« und empfindsamer. Wieder beginnen wir mit der Einstimmungsübung und dann geht es darum, dass wir uns in unserer Vorstellung ein Zimmer einrichten, das wir als ideal empfinden. Oh wie herrlich! Das mag ich und erschaffe mir einen Raum, der fast rund ist, mit grossen Fenstern, und wenn ich hinausschaue, entdecke ich erstaunlicherweise die Weite des Universums und viele Sterne. Ich bade den Raum in zartes Lindgrün, sitze auf einem bequemen, weichen Sofa umgeben von vielen schönen Kissen. Nun werden wir aufgefordert, einen Elternteil einzuladen, danach den anderen. Ich zögere. In diesem geschützten Raum, in dem alles erlaubt ist, wo wir alles sagen können, ohne bestraft zu werden und wo wir auf Verständnis hoffen dürfen, sollen wir mit beiden ein Gespräch führen. Ich nehme allen Mut zusammen und lade zuerst meinen Vater ein, dem ich ziemlich viel zu sagen habe. Es geht auch darum, aktiv und laut während dieser Meditation zu sprechen.
»Vater, Du hast nie Geduld mit mir gehabt, Du hast mir einiges zugetraut und mich doch immer wieder kritisiert. Vor allem habe ich das Gefühl, dass Du mir nie, nie richtig zugehört hast.«
Ich beginne zu weinen und spreche weiter und weiter. Es ist eine Art Trance und doch bin ich bei vollem Bewusstsein. Worte zu äussern und auch die Gefühle sprechen zu lassen, das ist für niemanden einfach. Alles, was hochkommt auszudrücken, braucht Mut. Mit der Zeit wird es immer lauter, immer intensiver im Saal. Es wird viel geweint und geschrien. Das Team unterstützt einzelne Teilnehmer mit Berührung, Ermunterung und Beruhigung. Sue ruft uns auf, dranzubleiben, ermuntert uns immer wieder. Ich rede mir alles von der Seele und habe das erste Mal das Gefühl, dass mein Vater mir auch richtig zugehört hat. Je länger es dauert, desto mehr Energie kommt in Fluss, das spüre ich. Meiner Mutter habe ich nicht so viel zu sagen. Sie muss sich jedoch anhören, dass ich mich von ihr nie verstanden fühle und sie mich sehr oft nervt. Als auch sie wieder aus dem Raum gegangen ist, fühle ich mich befreit. Es ist mir, als hätte ich viel losgelassen. Langsam beruhigt sich das Ganze und ausser ein paar Schluchzern wird es still, bis Sue wieder das Wort ergreift.
Drei Sätze vom Ende der Meditation klingen noch lange in mir nach:
»Keiner hat ihnen beigebracht, Eltern zu sein. Verzeih ihnen für das, was sie getan haben und verzeihe Dir selbst, über sie gerichtet zu haben. – Das, was geschehen ist, geschah, weil gerade Du in diesem Moment dort warst. Es hätte auch ein anderes Kind sein können.«
Den letzten Satz verstehe ich nicht wirklich, er wirkt trotzdem sehr berührend und beruhigend. Ich versöhne mich auch mit mir selbst und versöhne mich mit meinen eigenen mütterlichen Anteil.
Tiefe Liebe und auch Dankbarkeit beginnen mich zu durchströmen. Es wird sehr friedlich in mir und gleichzeitig bin ich nun vollends erschöpft. Trotzdem – bis zum Ende fühlt sich alles rund und gut an. Welch ein Geschenk!
Es ist sehr berührend zu sehen, wie alle Gesichter sich verändert haben. Viele von uns sind erschüttert oder erschöpft, andere glücklich. Es wird uns bewusst gemacht, dass egal ob die Eltern noch leben oder nicht, auf vielen Ebenen Heilung stattgefunden hat und dass es nun an uns liegt, dies in den Alltag hineinzutragen. Nach einer Pause folgen weitere Übungen, die an die Nieren gehen. Es geht immer tiefer, immer mehr wird auch der kindlich bedürftige Anteil in uns angesprochen und auch genährt.
Während einer Partnerübung müssen wir einander eine Viertelstunde lang ständig dieselbe Frage stellen: »Wer bist du?« – »Wer bist du?«
Kaum erfolgt eine Antwort, sofort wieder die Frage: »Wer bist du?«
Anfänglich scheint diese Frage sehr leicht zu beantworten, doch sie bohrt sich immer tiefer in dich hinein. Harry und das Team gehen durch die Reihen und insistieren ebenfalls, wenn jemand nicht mehr weiter macht.
»Wer bist du?«
Es wird zur Qual. Doch Schicht um Schicht wird abgetragen bis ich gar keine andere Antwort mehr weiss als zu erkennen: »ICH BIN. – Ich bin mehr als mein Name und mehr als eine Sekretärin, mehr als eine Tochter, Schwester, ich bin mehr als das, was andere in mir sehen, auch mehr als ich in mir sehen kann. Ja, ich bin viel mehr, was jedoch noch nicht fassbar ist. ICH BIN!«
Danach erklärt uns Harry den Unterschied zwischen Sein und Schein, zwischen den Rollen, die wir übernehmen, die wir spielen, die wir glauben, spielen zu müssen und dem, was echt ist. Wir sind jetzt auf der Suche nach der ungeschminkten Seite von uns.
Wie bin ich also in meine Rollen hineingerutscht?
Dass meine Mutter eine wirklich grosse Liebe meines Vaters war, daran zweifelte ich nie. Was sonst als Liebe hätte einen Mann dazu bewegen können, eine Frau zu heiraten, die in den Augen der Gesellschaft und seiner Familie so unpassend zu sein schien. Sie war Ausländerin und Jüdin, litt an Lungentuberkulose, konnte vielleicht nie Kinder bekommen und lebte zudem in Ägypten. Er heiratete sie, trotz aller Warnungen und Widerstände seines Umfeldes. Das spricht für eine wahrhaft grosse Liebe und es war für beide ein Wagnis. Als die Ärzte aus gesundheitlichen Gründen empfahlen, auf Kinder zu verzichten, akzeptierte mein Vater dies problemlos. Alles spricht für einen starken Willen und viel Zuversicht, mit welchen beide den Schritt in die Ehe wagten. Dass ich als nochmaliger Unfall dann doch zur Welt kommen durfte, war der Entschlossenheit meiner Mutter zu verdanken. Mein Vater konnte sich nicht vorstellen, das Leben seiner geliebten Frau wegen eines Kindes zu riskieren und tat sich sehr schwer mit ihrer Entscheidung. Nach der Erfahrung des ersten Schwangerschaftsabbruchs wollte sie auf keinen Fall einen zweiten durchmachen.
Mama erzählte mir später, wie sie diese Abtreibung erlebt hatte: »Die Krankenschwester muss mich verachtet haben, so lieblos wie sie mich gewaschen und behandelt hat. Der Arzt war ein Schlachter. Er hat mir die Ausschabung ohne Narkose gemacht! Du kannst Dir nicht vorstellen, wie schmerzhaft das war, weil es sehr grob und wenig einfühlsam gemacht wurde. Ich fühlte mich wie eine Verbrecherin und schwor mir, dass ich nie wieder so etwas erleben möchte.«
Heute weiss ich, dass zu jener Zeit die meisten Abtreibungen ohne Betäubung durchgeführt wurden. Mama beschloss also, bei einer allfällig nächsten Schwangerschaft, eher daran zu sterben als nochmals einen solchen Höllenritt durch einen Abtreibungsprozess zu erleben. So wurde ich, je länger die Schwangerschaft andauerte und ohne Probleme verlief, zu einem Wunschkind. Meine Ankunft auf dieser Welt wurde also einerseits von grossen Ängsten und Ungewissheit, andererseits von der Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang begleitet. Energien, die mich geprägt haben. In einer spontanen Rückführung, während einer Energiebehandlung mit einem einfühlsamen Therapeuten, erlebte ich überraschenderweise und in allen Einzelheiten, wie ich als Mutters erstes Kind abgetrieben wurde und wie ich als Embryo in einem Abfalleimer landete. Das fühlte sich nur in den ersten Sekunden dramatisch an und dann erkannte ich augenblicklich: »In diesem Eimer ist nur der kleinste Teil von mir. Und ich bin ja wieder da! Also ist meine Seele um so vieles grösser als das Würmchen, das da weggemacht und entsorgt wurde.«
Ich möchte betonen, dass ich nicht für Abtreibungen bin, ich bin jedoch auch nicht konsequent dagegen, weil es verschiedenste Aspekte des Menschseins gibt.
Es gibt Seelen, die sehr früh den Weg in den Embryo finden, also bereits beim Zeugungsakt präsent sind. Es gibt Energieformationen, die warten darauf, bis die passende Frequenz da ist, um sich einzuklinken. Tatsache ist, dass sie durch das energetische Resonanzgesetz angezogen werden, was aber immer noch unterschiedlichste Prägungen mit sich bringen wird. Eine Seele ist in der Regel neutralen Geschlechtes. So kann sich zum Beispiel das Geschlecht noch während der Schwangerschaft verändern. Einflüsse während der Schwangerschaft prägen, wie wir wissen, einen Teil des werdenden Lebens mit. Es gibt Seelenanteile, die erst kurz vor der Geburt einsteigen. In meiner Generation war der Weg lang um die Grösse des Seelenpotenzials anzuerkennen und damit zu verschmelzen. Für die neuen Kinder ist es viel näher, nur sind sie sich dessen nicht bewusst, weil es für sie normal ist. Für jeden gilt es also immer noch, nach und nach noch mehr Seelenaspekte zu erkennen und zu integrieren, die auf unsere Göttlichkeit hinweisen. Seelenaspekte sind immer auch gebunden an Seelenformationen, unter anderem auch an die Informationen ihrer Vorfahren und Eltern. Dies lässt sich inzwischen genetisch feststellen.
Ich gehe davon aus, dass es meiner Kinderseele lange nicht möglich war, in dieser Realität Fuss zu fassen, denn ich kann mich an fast nichts erinnern, was ich in den ersten sieben Jahren erlebt habe. Bis zum vierzehnten Lebensjahr tauchen bruchstückhaft Erinnerungen an die eine oder andere Szene auf. Einzelne Begebenheiten haben sich in Form von Bildern in meinem Gedächtnis und andere im Zellgedächtnis eingeprägt. Offensichtlich habe ich viele Erinnerungen verdrängt, doch davon später.
Während dieser Rückführungsübung in den Mutterleib konnte ich die Schwingungen und Gefühle meiner Mutter sehr gut wahrnehmen. Es ist möglich, sich jederzeit in ein Ereignis einzuklinken, da die Zeit nicht linear verläuft, wie wir glauben. Mir wurde dadurch bewusst, dass ich es beim zweiten Versuch eilig hatte, in diese Familie hineingeboren zu werden, denn ich kam ganze Wochen zu früh und war winzig klein. So eilig, als gäbe es für mich viel zu tun. Das Gefühl nicht genug Zeit zu haben, begleitet mich mein ganzes Leben, bis heute. Inzwischen weiss ich, dass alles dann geschieht, wenn die Zeit und wir dafür reif sind. Diese Angst hat sich dadurch abgeschwächt. Dieses beruhigende Wissen ist nicht immer gleich stark für mich zu spüren aber es ist inzwischen präsent!
Bei gewissen Aufgaben, die zu lösen waren, dachte ich immer, ich müsste mich beeilen. Bei Tests überlas ich wichtige Dinge, weil ich mich unter Druck setzte und ärgerte mich und fühlte ich mich deswegen dumm. Manchmal war da ein Drängen in mir, das mich dazu bewegen wollte, möglichst und sofort aktiv zu werden, schnell zu handeln; ein immer wiederkehrendes Gefühl nicht genug Zeit zu haben.
Ich erinnere mich an einen sehr bezeichnenden Moment in meinem Leben, als John F. Kennedy die Kubakrise im Oktober 1962 lösen musste. Wir hatten in der Schule davon gehört und als überall im Radio von einem möglichen dritten Weltkrieg die Rede war, bekam ich Angst. Ich war damals erst neun Jahre alt, sass an meinem Pult, machte Hausaufgaben und dachte über mein bisheriges Leben nach.
Gedanken wie diese schossen mir durch den Kopf: »Das kann doch nicht alles gewesen sein. Bitte, bitte lieber Gott, lass es keinen Krieg geben. Ich will wissen, wie es ist erwachsen zu sein, einen Mann, ein eigenes Heim, eigene Kinder zu haben. Wenn ich das alles erlebt habe, dann will ich gerne sterben.«
Ich war davon überzeugt, kein sehr langes Leben vor mir zu haben. Es war das erste Mal, dass ich bewusst über den Tod nachdachte. Lange nach dieser Therapiesitzung, als ich selbst schon Mutter war, versuchte ich meiner Mutter näherzubringen, dass ich vermutlich das abgetriebene, also auch ihr erstes Kind gewesen sei. Sie sträubte sich jedoch vehement gegen solche aussersinnlichen Wahrnehmungen und Informationen. Ganz im Gegensatz zu meinem Vater, der den Kontakt mit der geistigen oder Geisterwelt regelrecht suchte und auch in Kurse und Vorträge von bekannten Medien ging. Meine Mutter lebte ihre eigene Spiritualität. Sie legte ab und zu Karten, konnte andere Menschen durch Berührung heilen und sie erkannte vieles intuitiv. Mir wollte sie diesbezüglich kein Wort glauben. Sie vermied es konsequent, über das Leben nach dem Tod nachzudenken.
Mutter blickte mich, während ich das erläuterte, kaum an. Zu schmerzhaft war wohl die Erinnerung daran. Ihre abschliessende und kurze Erklärung, warum das nicht sein könne, war:
»Man hat schon gesehen, dass es ein Junge geworden wäre. Es tat unendlich weh zu sehen, wie sie ihn einfach in einen Eimer am Boden entsorgten.«
Damit war das Thema für sie beendet. Sie lehnte jedes weitere Gespräch darüber ab. Ihre Aussage war für mich Bestätigung, dass ich richtig gesehen hatte und dass ich als diese Seele oder mit Aspekten dieses Wesens wiedergekommen bin. Für mich war es in diesem Zusammenhang interessant festzustellen, dass ich in jungen Jahren eher einen eigenwilligen, ja männlichen Teil auslebte. Meine verletzlichen, weiblichen Anteile versteckte ich oder sie zeigten sich als Launenhaftigkeit.
Mein Vater meinte dazu: »Bei Dir weiss man nie, woran man ist. Du wirkst im einen Moment zufrieden, schaut man nur einen Moment weg, hat sich Dein Gemütszustand völlig verändert.«
Für mich war diese spontane Rückführung sehr aufschlussreich und ich tat die nächsten Schritte in mehr Gelassenheit. Meine hauptsächliche Lebensaufgabe ist, die gegensätzlichen Seiten in mir, in Einklang zu bringen und vermutlich ist dies für jeden inkarnierten Menschen angesagt.
Kennst Du, liebe Leserin/lieber Leser, Deine weiblichen und männlichen Anteile? Wie lebst Du sie? Oder anders gefragt. Welche Anteile Deiner Mutter, Deines Vaters lehnst Du noch ab?
Doch zurück zu meinem Familienleben.
Ich bin sehr behütet, aber dennoch in einem spannungsgeladenen Umfeld aufgewachsen, ebenso mein Bruder, der drei Jahre später geboren wurde. Leider hatte ich nach seiner Geburt immer das Gefühl, die zweite Geige zu spielen oder zu kurz zu kommen. Dieses Gefühl umkrallte mich wie eine riesige Krake, was mich bis in meine späteren Beziehungen hinein verfolgte.
Das Gottesbild, das uns vermittelt wurde, war das einer Instanz, die uns beschützt, uns versteht und zu der wir täglich beten und Danke sagen sollen. Wir dürfen auch um Hilfe bitten, weil Gott uns immer versteht. Sehr oft, wenn ich mich unverstanden fühlte, flehte ich diese Instanz an, mir zu helfen. Das Gebet war jahrzehntelang eine grosse Kraftquelle für mich und ich schlief danach auch immer getröstet ein. Obwohl ich annehmen konnte, dass meine Eltern mich liebten, war es mir als Kind nicht möglich, das auch so wahrzunehmen.
Sehnsüchte hatte ich viele. Ich sehnte mich danach, verstanden und geliebt zu werden auf eine Art, die wohl nie erfüllt wird. Ich stellte später fest, dass ich solchen Gefühlen oft ausgeliefert war. Sie katapultierten mich in tiefste Einsamkeit. Mein heutiges Erwachsenen-Ich weiss, dass alle Eltern ihre Kinder genau auf die Art lieben, wie sie selbst Liebe erfahren haben. Dass es Vorlieben gibt, erlebte ich selbst, denn ich mochte meinen Vater lieber als meine Mutter, hätte jedoch nicht erklären können warum. So werden auch die Kinder geprägt, später Liebe zu leben. Ein tiefes inneres Wissen versteht, dass es im Grunde immer Liebe ist, auch wenn es im Aussen ganz anders scheint. Ja, es ist immer Liebe – doch um dieses herauszufinden, musste ich mir erst eine ganz neue Denkweise aneignen, und dafür war die Zeit noch nicht reif.
Immer wieder hatte ich als Kind das Gefühl, nicht gut genug zu sein und ich liess niemanden an mich heran. Verstärkt wurde das Gefühl der Unzulänglichkeit, weil ich aus gesundheitlichen Gründen viel Zeit in Krankenhäusern zubrachte. Nächtelange Hustenanfälle plagten mich, die nicht diagnostiziert werden konnten, und doch irgendwie auskuriert werden mussten. Von Geburt an schielte ich so stark, dass eine Korrektur dringend notwendig war. Ich verbrachte mit acht Jahren lange Wochen in einer Augenklinik. Strenge Ordnung und Struktur sowie Heimweh weckten Erinnerungen an frühere Aufenthalte in Kinderheimen. Damit ich vom Schulstoff nicht zu viel verpasste, wurden mir die Hausaufgaben in die Klinik gebracht. Schreiben und Lesen waren sehr anstrengend, denn ein milchiges Pflaster auf dem einen Brillenglas beeinträchtigte mein Sehen. Es gab auch schöne Zeiten, wenn ich in der Poliklinik Übungen mit beiden Augen machen durfte. An einem Apparat sitzend galt es so konzentriert hinzuschauen, bis aus zwei Osterhasen – der eine mit einem Besen, der andere mit einem Wasserkübel – einer wurde, der beides hielt. Es ist diesen Bemühungen zu verdanken, dass mein schwaches, operiertes Auge wieder vierzig, später sogar sechzig Prozent seiner Sehfähigkeit wiedererlangte. Was ich jedoch als Kind innerlich durchmachte, mit dieser mich verunstaltenden Brille herumzulaufen, kann sich ein Erwachsener kaum vorstellen. Ich fühlte mich noch hässlicher als sonst.
Jahrelang wurde die Stellung meiner Zähne mit sichtbaren Zahnspangen korrigiert. Dann wurden die Mandeln herausgenommen, da ich andauernd Angina hatte. Ich war ständig krank und machte auch die damals üblichen, nicht durch Impfungen verhinderten Kinderkrankheiten durch.
Da war auch noch mein kleiner Bruder, der noch viel mehr Aufmerksamkeit benötigte und bekam als ich. Er hatte bei der Geburt einen Sauerstoffmangel erlitten und war dadurch in seiner Entwicklung beeinträchtigt. Als Geschwisterchen war er für mich relativ uninteressant, wenn nicht sogar lästig.
Immer wieder hiess es: »Du bist die Ältere und du solltest die Vernünftigere von euch beiden sein.«
Erfreulicherweise war er physisch ein Mann, das machte ihn für mich interessanter. Wie damals üblich habe ich meinen Vater nie, meine Mutter fast kaum je nackt gesehen. Wir spielten manchmal Prinz und Dienerin. Natürlich bediente ich ihn und nicht umgekehrt. Samstagabend war bei uns immer Baden angesagt. Wenn er zum Beispiel aus der Badewanne stieg, habe ich ihn jeweils liebevoll abgetrocknet und eingecremt. Ich konnte ihn dann nach Herzenslust anschauen und auch ankleiden. In seinem schönen flauschigen Morgenmantel sah er wirklich wie ein kleiner Prinz aus. Ansonsten stritten wir uns, wie es sich für Geschwister gehört, sehr oft. Bei ihm kam das orientalische Wesen unserer Mutter durch. Ich stelle gerade fest, wie selbstverständlich er sich von mir bedienen liess und wie das schon in uns Mädchen, danach in uns Müttern, drin steckt einen Mann zu bedienen.
Es gab sie, diese erwähnten, liebevollen brüderlichen und schwesterlichen Momente, die wir teilten und manchmal verbündeten wir uns kurzfristig auch gegen die Eltern. Ansonsten blieben wir uns fremd und ich war oft eifersüchtig auf meinen Bruder. Er nervte mich mit seiner Langsamkeit, die nur allzu oft die Ungeduld nicht nur in mir, sondern auch in unserem Vater entfachte. Im Grunde bot er, innerhalb der Familie, den Ausgleich zum cholerischen Temperament unseres Vaters. Leider weckte er dadurch latente Aggressionen, die wiederum an uns ausgelassen wurden. Vater praktizierte öfters Yoga, übte sich in bewusstem Atmen und ich wage nicht daran zu denken, wie es gewesen wäre, hätte er nicht diesen Puffer genutzt.
In unserem Haus hatten wir stets eine Bedienstete, da Mutter nicht kochen konnte, als sie heiratete und später brauchte sie krankheitsbedingt Unterstützung im Haushalt. Mit den Jahren lernte sie kochen, doch es schien ihr keinen Spass zu machen, im Gegensatz zu ihrer Mutter, die eine hervorragende Köchin war. In Ägypten hatte ihre Familie immer mehrere Bedienstete gehabt, inklusive Koch, ebenso mein Vater in seinem Elternhaus. Für die grobe Haushaltsarbeit war Mama zu zart und zu vergeistigt. Sie las sehr viel, sogar Schweizer Literatur, war mehrsprachig und auch sonst sehr gebildet. Sie legte viel Wert auf gute Umgangsformen. Unsere Haushaltshilfen, wurden wie Familienmitglieder behandelt, assen mit uns am Tisch und kamen auch mit in die Ferien. Als ich älter wurde, betrachtete ich sie als ältere Schwestern. Die letzte die im Haus mit uns lebte, hiess Else. Sie wurde zu meiner Freundin und blieb es viele Jahre lang, auch als sie nicht mehr bei uns arbeitete.
In der dritten Schulklasse durften wir die Bibliothek benützen und von nun an verkroch ich mich in meine Bücherwelt. Dort lebte ich auf, lebte das Leben anderer. Zurück in meiner Welt verstand ich weder mich, noch fühlte ich mich verstanden.
Um mir Gehör zu verschaffen, wurde ich oft ebenso laut wie mein Vater und wurde natürlich dafür bestraft oder es hiess: »So redet man nicht mit seinen Eltern – mässige den Ton.«
Mein Widerstand gegen viele Erziehungsansätze führte oft zu Eskalationen. Ich verstand nicht, warum man als Kind am Tisch nicht reden darf. Als mein Bruder und ich am Tisch einmal kicherten ohne erklären zu können warum, wurde ich dazu verdonnert, in der Küche zu essen. Eine ganze Woche lang dauerte diese Bestrafung. Trotz regte sich in mir und ich genoss es, keinen Benimmregeln folgen zu müssen. Aus anderen Gründen musste ich auch dann und wann ohne Essen zu Bett gehen oder ich wurde in den Keller gesperrt, bis sich meine Mutter erbarmte und es wagte mich raus zu holen. Alle Sanktionen, auch die Schläge, die ich einstecken musste, brachen meinen Willen nicht – ich fühlte mich nur noch mehr darin bestärkt, dass ich nicht geliebt wurde, fühlte mich noch fremder in dieser Familie.
Als Kind hatte ich einen immer wiederkehrenden Traum. Ich ging auf einem hohen Drahtseil über eine Landschaft. Manchmal fühlte sich die Ebene, auf der ich ging, weich wie Watte an, doch gleichzeitig war da dieses Seil, das sehr schmerzhaft eine Spur in meine Fusssohlen brannte. Es tat höllisch weh, aber ich ging trotzdem weiter. Die Watte neben dem Seil verzog sich bei jedem Schritt mit einem unangenehmen Geräusch aus zähem Quietschen. Ein fürchterliches Geräusch, das bei mir heute noch Gänsehaut verursacht. Die Klärung dieses Traums sollte ich erst finden, als ich ihn nicht mehr hatte. Noch heute kann ich mich ganz deutlich an dieses Gefühl erinnern, doch das Leiden, der Schmerz in den Füssen ist abgeschwächt und wenn ich es per Zufall fühle, bin ich eher erstaunt darüber.
Ein anderer Albtraum liess mich an der Zimmerdecke riesige, Fussstümpfe von Elefanten wahrnehmen, die mich zu erdrücken drohten. Wenn ich jeweils schreiend erwachte, war mein Vater da. Er nahm mich in den Arm und beruhigte mich. Ich erlebte mit ihm sämtliche Facetten der Erziehung und Beziehung, von sehr liebe- und verständnisvoll bis laut und dominant, und manchmal brutal.
Es war wunderbar, dass wir ein so schönes Zuhause hatten, doch für mich als Kind war das, was wir hatten, ganz normal. Ich hatte ein eigenes Zimmer und zusätzlich eine eigene Ecke als Arbeitsraum in der Diele. Im Keller hatten unsere Eltern für uns Turngeräte aufgestellt und im eigenen Schwimmbad lernte ich schwimmen. Dass wir als Familie jeden Sommer einen Monat am Meer verbringen durften und den Winter in den Bergen verbrachten, waren Annehmlichkeiten, die zu meinem Leben gehörten.
Als Erwachsene entdeckte ich nach und nach, wie viele andere Geschenke ich mitbekommen habe: Wissen über das Leben, über gesunde Ernährung, später über die Qualität von gutem Wein. Ich durfte Rhythmikstunden besuchen, und jeden Sonntagmorgen kamen wir in den Genuss klassischer Musik, weil unser Vater uns so zum Frühstück rief. Vater lehrte uns die Natur zu lieben und zu schätzen, frisches Quellwasser am Waldesbrunnen zu trinken, an Blumen zu riechen und vieles mehr. Es wurde gut für uns gesorgt und es gab durchaus liebevolle Momente. Feste wie Weihnachten und Geburtstage wurden würdig gefeiert.
Ich erlebte jedoch, wie vorher schon beschrieben, auch viel Bestrafung, weil ich kaum zu bändigen war. Gefühlt aus der kindlichen Sicht war es ein unglückliches Leben, in welchem Zucht und Ordnung herrschten, auch Gewalt in Worten und mit Schlägen. Eine Mutter, die einen grossen Teil ihrer Zeit hinter Büchern verbrachte, die selten ansprechbar war und mir nicht bei den Hausaufgaben helfen konnte und ein Vater, der keine Geduld dazu hatte. Mutter war sehr darauf bedacht, sich in der gehobenen Gesellschaft zu bewegen, was das Einkommen und die Stellung von Vater auch möglich machte. Sie war eine sehr venusisch orientierte Frau und so war auch alles von bester Qualität und wertvoll, was sie trug und kaufte. Als Jüdin war sie geschäftstüchtig und wusste, wo Qualität preiswert zu haben war. In der Rückschau verdanke ich meinen Eltern viel mehr Positives, als ich damals wahrzunehmen vermochte. Ich schicke ihnen heute gerne innerlich, des Öfteren ein grosses Dankeschön zu, für alles, was ich von ihnen lernen und annehmen durfte.
Bei tieferem Betrachten eines Familiengeschehens kann man feststellen, dass alles immer nach Ausgleich ruft, jedes Verhalten, jede Emotion, egal ob in der Familie, in der Partnerschaft, in einem Land oder im Universum. Nicht immer ist es sofort oder eins zu eins erkennbar, doch je vielschichtiger man es betrachtet, desto mehr vertieft sich die Einsicht. Meine Eltern wurden nicht per Zufall meine Eltern. Wir haben immer die perfekten Eltern.
Zur Entdeckung meiner Weiblichkeit hatte ich als Kind auf dem Dachboden unseres Hauses eine imaginäre, gynäkologische Praxis für meine Freundin und mich eingerichtet. Wir stellten uns vor, schwanger zu sein und zu gebären, um so dem weiblichen Körper und den Gefühlen, die damit einhergingen, näherzukommen. Die Geburt fühlte sich dann meistens eher wie ein orgastisches Geschehen an und daher sehr lustvoll. Ich erinnere mich noch an die verschiedenen Gerüche abgestandener und staubiger Luft auf diesem fensterlosen Dachboden, den Geruch von Nivea Creme und Haut. Durch das sternförmig angelegte Lüftungsloch drangen die Strahlen der Sonne herein, die den Staub mystisch sichtbar machten.
Der Geruch weiblicher Genitalsäfte nahm mich ganz gefangen, ja, ich mochte diesen Geruch sehr, die Berührung zarter Haut liess mich erzittern. Wenn die imaginären Wehen kamen, pressen wir die Lippen zusammen. Seufzer entwichen, kleine Orgasmen wurden jedes Mal spürbar und manchmal fühlt es sich wirklich an, als seien meine Freundin oder ich Gebärende. Einen ganzen Sommer lang verkrochen wir uns in unser Heiligtum und teilten dort unsere Geheimnisse. Wenn ich dann jeweils vor dem Essen meine Hände waschen musste, machte ich es eher aus Angst vor Entdeckung und nicht, weil mich der Geruch störte. Später war das Menstruationsblut, wenn ich es roch, etwas Geheimnisvolles, fast Heiliges. Ja, ich mochte sogar den Geruch, der in einer Binde entstand, wenn das Blut nicht mehr so frisch war. Ich war ganz Frau in solchen Momenten. Trotz extremer Menstruationskrämpfe hatte ich in dieser Zeit immer das Gefühl von totaler Öffnung, einem Durchfluss von Kraft, obwohl es sich manchmal eher wie ein inneres Zerreissen anfühlte. Ich war meinem Körper freundlich gesinnt und neugierig auf all die Reaktionen und Wirkungsweisen, die sich um die geschlechtliche Entwicklung drehten.
»Du musst mit dem Sex warten, bis Du verheiratet bist.« Das sollte ich im Laufe meiner Pubertät noch mehrmals von Mutter hören. Und weiter: »Ein Mann, der weiss, dass Du noch Jungfrau bist, hat mehr Respekt vor dir.« Und so ging das weiter mit gut gemeinten Ratschlägen. Das war ja die gängige Überzeugung der meisten, insbesondere in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts und bei meiner Mutter speziell, da sie in Ägypten in einem noch strengeren Kulturkreis und sehr behütet aufgewachsen war. Obwohl ich sehr rebellisch sein konnte, besonders gegenüber meiner Mutter, brannte sich dieser Satz doch in mein Gedächtnis ein. Ich wollte respektiert sein und ich war dann in einem echten Dilemma, als ich meiner ersten grossen Liebe begegnete.
Meine Mutter war peinlich auf körperliche Reinlichkeit bedacht und erwartete das auch von mir. Sie legte viel Wert auf die äussere Erscheinung, auf Kleidung, Frisur und später auch auf das perfekte Make-up. Mir selbst hingegen waren Äusserlichkeiten oft egal, was zu heftigen Diskussionen führte. Ich würde mich nicht als ungepflegt bezeichnen, doch ich war auch nicht in dem Sinne gestylt, wie man das heute bei den jungen Frauen sieht.
Als ich zwanzig Jahre alt war, gebot ich ihnen mit dem Satz Einhalt: »Man soll mich lieb haben wegen mir selbst und nicht wegen meiner Erscheinung.«
Ich fühlte mich, vielleicht auch aufgrund dieser ständigen Mäkeleien an mir, alles andere als attraktiv. Ein anderer Teil in mir ahnte bereits, dass es auch eine Ablenkung vom Inneren ist, wenn man so starkes Gewicht auf Äusserlichkeiten legt.
Es gab Guten-Morgen- und Gutenacht-Küsse und Umarmungen in unserer Familie. Ich war kein Kuschelkind, konnte Zärtlichkeiten nicht zulassen. Wenn es mir nicht gut ging, akzeptierte ich das eher, auch bei Vater, als ich schon zur Schule ging. Ich erinnere mich, wie ich mich neben ihn aufs Sofa legte, um mit ihm Mittagsschläfchen zu halten oder, wenn ich Albträume hatte, zu ihm ins Bett kriechen durfte. Es ist ein Bild und eine Erinnerung da, an seinen Geruch und an seine Wärme.
Mich an meine Mutter zu kuscheln mochte ich selten. Sie schien mir so weit entfernt und immer vertieft in Bücher zu sein. Ich war fest davon überzeugt, dass sie meinen Bruder mehr liebte als mich. Sie war oft sehr besorgt um uns Kinder und das nervte. Viel lieber schmuste ich mit den Hunden von Freunden, die zu Besuch kamen. Wir hatten oft Besucher und sie vertrauten uns ihre Tiere auch während der Ferien an. Ich liebte alle Hunde, wurde ihre Betreuerin und sie gehorchten mir. Wie gern hätte ich selbst einen Hund gehabt. Besonders wenn ich traurig war, hatte ich so einen Freund gebraucht. Also verkroch ich mich in mein Zimmer mit dem Gefühl, dass keiner mich versteht oder liebt. Diese melancholische, traurige Stimmung überwog oft. Sie schien ein Teil von mir zu sein.
Zu Beginn der Pubertät weckte mich jede Nacht in den frühen Morgenstunden eine starke Übelkeit, die mich stundenlang wach hielt und mich herumtigern liess, als wäre ich auf der verzweifelten Suche nach etwas. Wenn ich es nicht mehr aushielt, weckte ich meine Grossmutter, die inzwischen auch bei uns lebte. Sie kochte mir dann immer einen Wermut Tee, der sehr bitter schmeckte, aber half. Und sie hatte immer Vichy-Lutschtabletten auf Lager. Da diese Tabletten leicht mit Pfefferminze angereichert waren, wirkten auch sie als natürliche Helfer. Warum mir jede Nacht übel wurde, lag wohl tief verborgen in meiner Seele. Später hatte ich starke Menstruationsbeschwerden, begleitet von Krämpfen, doch die nächtliche Übelkeit war nach Eintreten der Blutungen verschwunden. Wie das gang und gäbe ist, beeinflussten mich die hormonellen Schwankungen emotional und ich war jeweils noch launischer während des Eisprungs. Ansonsten erlebte ich die erste Zeit meiner erblühenden Weiblichkeit relativ gelassen und ich würde sagen, dass ich auch sehr naiv war.
Ich ging sehr gerne in den Tanzkurs für Gesellschaftstanz, der mich den Jungs näherbrachte. Ich war glücklich, wirklich tolle Tänzer um mich herum zu haben. An den Dorffesten tanzte ich mit ihnen ganze Nächte hindurch. Ab und zu schmusten wir auch ein wenig. Ich war mehrmals verliebt, mal erfolgreich, mal weniger erfolgreich. Während der Skiferien konnte ich die Freiheit geniessen, bis in die Morgenstunden zu tanzen und mich eng an einen Jungen zu schmiegen. Erstaunt genoss ich den hart werdenden Penis, der sich an mich drückte. Ich genoss auch das harmlose Kuscheln in den Zimmern nach dem Skifahren.
In den Sommerferien, ich war gerade vierzehn Jahre alt, drängte mir ein achtzehnjähriger Ferienflirt seine Zunge so heftig in den Mund, dass es mich ekelte. Ich war aber trotzdem von ihm fasziniert und auch ein wenig verliebt. Nach den Ferien erlebte ich meinen ersten richtigen Liebeskummer. Für ihn war ich nichts als eine Episode gewesen.
Die öffentliche Schule langweilte mich und ich schlängelte mich so durch. Abgesehen von den Sprachen, die mir leicht fielen und dem damals obligatorischen Kochkurs, der mir Spass machte, fühlte sich die Schule wie ein Absitzen von etwas total Überflüssigem an.
Mir fehlte offensichtlich, jeglicher schulische Ehrgeiz und zu meinem Glück kümmerte sich keiner um meine Hausaufgaben. Weil meine Schulnoten immer schlechter wurden, bekam ich Nachhilfestunden, die mir über die Runden halfen.
Mein Vater ärgerte sich: »Deine Noten machen mich traurig, denn du bist ein intelligentes Mädchen. Sie könnten besser sein.«
Meine Notendurchschnitte waren immer am Limit, aber so schlüpfte ich jeweils doch in die höheren Schulstufen durch.
In unserer Familie gab es viele Probleme, über die nicht offen gesprochen wurde. Sie waren unterschwellig immer wieder spürbar. Mein Vater litt nach wie vor unter seinem dominanten Vater, der 51% der Firmenaktien innehatte und leider ein Psychopath war. Meine an die Grossstadt gewohnte Mutter litt darunter, eine Ausländerin in einem kleinen Schweizer Dorf zu sein. Auch die Kälte in der Schweiz machte ihr zu schaffen. Sie telefonierte stundenlang mit befreundeten Ausländerinnen und hatte lange ausser meiner Patentante, die meine Grossmutter hätte sein können, keine Freunde im Ort wo wir wohnten. Wir lebten in einem gepflegten, eher luxuriösen Wohnquartier, wo meine Mutter keinen Umgang mit den direkten Nachbarn pflegte. Wir Kinder spielten in der ruhigen Strasse Völkerball, Verstecken und anderes mehr zusammen.
Mein Ausstieg aus dem behüteten Familienleben ins Welschland erfolgte mit sechzehn Jahren. Ich war sehr froh, dem familiären Alltag zu entfliehen, der mich einengte.
Ich wurde von meinem Vater oft als die Grüne