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Luca Fortebracci trägt nicht zu Unrecht den Spitznamen „Piratenprinz“: er nimmt sich vom Leben, was ihm gefällt. Auch die süße Samia soll nicht mehr als ein sinnliches Abenteuer sein – bevor er den Thron seiner Heimat besteigt. Eine gemeinsame Zukunft kann es für sie nicht geben …
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Seitenzahl: 176
IMPRESSUM
Begehrt vom Piratenprinz erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2020 by Susan Stephens Originaltitel: „A Bride Fit for a Prince?“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRABand 501 - 2021 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Julia Przybyla
Umschlagsmotive: Pavel Vozmischev / Shutterstock
Veröffentlicht im ePub Format in 5/2024
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751529570
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Er betrat das Restaurant von vorne, während die junge Backpackerin aus der Hintergasse hineingestürzt kam. In der Mitte trafen sie an der Bar aufeinander.
Oder besser gesagt: sie stieß mit ihm zusammen.
„Sorry! Tut mir leid!“, rief sie aus, als sie zurückprallte.
„Ist nichts passiert.“
Er nutzte die Gelegenheit, um den Neuankömmling zu mustern. Strahlende Augen, ein ausgeprägtes Kinn und ein Gesicht, das schmutzig von der Reise war. Ein interessantes, ausdrucksvolles Gesicht, und nicht unattraktiv. Unwillkürlich stellte er sich vor, wie ihre weichen Rundungen seinem muskulösen Körper nachgaben. Ihre smaragdgrünen Augen erinnerten ihn an die Farbe eines Ozeans an einem entspannten Sommertag – genau was der heutige Tag für viele zu sein schien. Aber wann war es schon so einfach, wie es schien?
„Ich brauche unbedingt etwas zu trinken“, sagte sie keuchend. Nachdem sie sich zu ihm gedreht hatte, um sein Gesicht mit einnehmender Offenheit zu begutachten, fügte sie hinzu: „Kennen wir uns?“
„Nicht, dass ich wüsste.“
„Bist du dir sicher?“
Er fuhr mit der Hand über seine unrasierte Wange. „Ja, relativ.“
Sie starrte ihn weiter unverwandt an und suchte ihr Gehirn offenbar nach der nötigen Information ab, warum er ihr so bekannt vorkam.
Die dadurch entstandene Pause ermöglichte es ihm, ihren Wildblumenduft in sich aufzunehmen und mehr als nur ihren süßen, nachdenklich gespitzten Mund zu bewundern. Wobei ich sie nicht gerade als süß bezeichnen würde, entschied er. Sie hatte einen entschlossenen Zug um den Mund und in ihren zusammengekniffenen Augen konnte er sehen, wie seine Gesichtszüge immer noch durch ihre innere Suchmaschine liefen.
„Ich bin mir sicher, dass ich dich irgendwoher kenne“, wiederholte sie stirnrunzelnd. „Ich weiß nur noch nicht, woher. Noch nicht“, warnte sie ihn mit einem entwaffnenden Lächeln. „Du bist hier genauso fehl am Platz wie ich und trotzdem bist du total entspannt …“
„Soso, Sherlock Holmes. Und weiter?“
„Offensichtlich gehst du öfter in schicke Lokale als ich …“
Unbeeindruckt von seinem Schweigen schaute sie sich um und sagte verblüfft: „Unglaublich – bin ich hier irgendwie im Schlaraffenland gelandet? Gibt es wirklich Leute, die mittags Champagner trinken?“
„Sieht ganz so aus.“
Als sie amüsiert die Nase kräuselte, fiel sein Blick auf ihre Sommersprossen. Sie musste sich in der Gasse hinter dem Restaurant verlaufen haben und schließlich im „Babylon“ gelandet sein, wo man mit gedämpfter Stimme Qualitätsweine beurteilte, als wäre das die Lösung aller Probleme. Die Kellner verteilten Delikatessen an ihre Gäste, denen es größtenteils egal war, was sie aßen, solange es teuer genug war, um damit anzugeben. Sie standen gerade in einem der angesagtesten Luxusrestaurants in dem wohl hipsten Jachthafen der Welt. Die Belegschaft, mutmaßte er, hatte anscheinend den Hintereingang für die Warenlieferungen offen gelassen, die ununterbrochen ankamen. Schließlich konnte kein Laden der Welt genug Essen und Trinken auf Vorrat haben, um dem Appetit der Superreichen zu genügen.
„Ich brauche Wasser und einen Job, in der Reihenfolge“, erklärte die junge Frau und sah ihn hilfesuchend an. „Hast du was für mich?“ Sie legte ihren Kopf zur Seite und betrachtete forschend sein Gesicht. Ihre smaragdfarbenen Augen strahlten Scharfsinn aus. Und ihr Mund, der sich erneut zu einem Lächeln verzog, war definitiv zum Küssen. „Vielleicht finden wir einen Job an Bord von einem dieser Riesenboote im Hafen …“ Sie hielt inne, und als er nichts erwiderte, gestand sie: „Ich habe kein Geld mehr. Diese Reise dauert länger als gedacht. Es gibt einfach zu viel zu sehen und zu wenig Zeit.“
„Wirst du irgendwo erwartet?“
„Nicht wirklich. Aber irgendwann muss ich zurück zur Arbeit – wie wir alle, oder? Ich kann doch nicht mein ganzes Leben herumreisen. Auch wenn ich das gerne würde.“ In ihre Augen mischte sich Wehmut. „Irgendwann muss ich die Reise beenden und wieder was aus meinem Leben machen.“ Ihr Blick verlor sich in der Ferne.
„Wieder?“, fragte er nach.
„Ach, du weißt schon, was ich meine“, sagte sie und machte eine sorglose Handbewegung.
„Da bin ich mir nicht so sicher. Woher kommst du eigentlich?“
„Ursprünglich aus London.“
„Wo du immer noch lebst und arbeitest?“
Sie entschied sich, nicht auf diese Frage einzugehen und ließ ihren Blick stattdessen über die Marina gleiten. „Ich liebe den Süden Frankreichs, du nicht auch?“
Ein etwas ungeschickter Versuch, das Thema zu wechseln. „Die Riviera ist einer von vielen Orten, die ich mag.“
Sein scheinbares Desinteresse ärgerte sie. „Mag? Wie kann man von ‚mögen‘ reden, wenn der Süden Frankreichs doch so offensichtlich traumhaft schön ist? Fühlst du dich hier nicht gleich tausendmal lebendiger?“ Ihr Gesicht erstrahlte und die ganze Anspannung, die er bemerkt hatte, als sie in die Bar geplatzt war, war wie weggeblasen. „Die Musik, das Essen, das warme Wetter, blauer Himmel und Sonnenschein – wie jeder klar und deutlich spricht, anstatt vor sich hinzunuscheln. Voller Zuversicht und Optimismus gehen die Leute aufrecht, anstatt sich bei grauem, kaltem Nieselwetter unter Regenmänteln zu verstecken …“
„Gutes Plädoyer“, gab er zu und ließ sich von ihrer guten Laune anstecken. „Bist du Anwältin?“
„Nein, aber ich war schon immer der Ansicht, dass ein bisschen juristisches Geschick nicht schaden kann.“
„Wie meinst du das?“
„Du weißt schon …“, murmelte sie.
„Wenn du keine Anwältin bist, bist du dann Autorin? Dein rhetorisches Geschick ließe jedenfalls darauf schließen.“
Sie lachte und wandte den Blick ab.
„Warum erkundigst du dich nicht hier nach einem Job?“, schlug er vor.
Sie strich mit der Hand über ihre zerknitterte Kleidung. „Als ob die mich nehmen würden, so wie ich aussehe. Und außerdem will ich weg, so weit wie möglich. Am liebsten aufs Meer.“
„Willst du etwa abhauen?“
„Wie kommst du denn darauf?“, fragte sie schnell.
„Ich folge nur der Spur, die du ausgelegt hast.“
„Ich bin wohl nicht der einzige Detektiv hier. Ich sollte vielleicht besser aufpassen, was ich sonst noch so erzähle.“
„Vielleicht“, räumte er ein, während sie sich gegenseitig taxierten.
Jung, attraktiv, intelligent und nicht auf den Mund gefallen – sie war eindeutig eine willkommene Ablenkung an diesem schweren Tag.
„Ich würde vermuten, dass du nicht hier arbeitest“, urteilte sie, nachdem sie ihn von oben bis unten gemustert hatte. „Zerrissene Shorts und ein ärmelloses Shirt sprechen nicht dafür, dass du hier für einen Job als Kellner vorsprechen willst.“
„Ich?“, fragte er lachend. „Nein, ich glaube, die in der Küche würden mir nicht trauen.“
„Kofferträger vielleicht?“, spekulierte sie. „Die Muskeln dafür hast du ja.“
„Heißt das, ich habe den Job?“, scherzte er und zog eine Augenbraue hoch.
„Hättest du wohl gerne.“
Als sie lachte, traten ihre Grübchen hervor.
„Wie bist du eigentlich hier reingekommen?“, fragte sie mit einem abschätzenden Blick.
„Genauso wie du, ich bin einfach reingelaufen. Wenn du dabei selbstbewusst genug bist, wird dich erfahrungsgemäß keiner aufhalten.“
„Aber einen Job kannst du mir nicht besorgen?“
„Ich fürchte nein, sorry.“
„Du fürchtest?“, wiederholte sie skeptisch. „Ich kenne dich noch nicht mal fünf Minuten, aber das reicht mir, um zu wissen, dass du nichts fürchtest.“
Vor einiger Zeit hätte er ihr da womöglich recht gegeben. Aber jetzt, wo das Fundament, auf dem er sein Leben errichtet hatte, ins Wanken geraten war und langsam zerbrach, war er sich keiner Sache mehr sicher.
„Ich hätte wissen müssen, dass ich so einen Typen wie dich besser nicht ansprechen sollte.“
„Und trotzdem stehen wir jetzt hier.“ Mit einer demonstrativen Handgeste lehnte er sich lässig an die Wand neben der Bar.
„Nicht mehr lange“, entgegnete sie. „Ich brauche nur ein Glas Wasser, dann bin ich wieder weg. Du bist so groß, dass der Barmann dich bestimmt sehen kann.“ Sie deutete auf die Menschenmasse an dem Tresen. „Bitte“, bettelte sie. „Neben dir wirken die anderen wie Zwerge. Wenn du losgehst, wird die Menge sich teilen wie das Rote Meer. Mich würden sie noch nicht mal bemerken, wenn ich hochspringe.“
„Du schmeichelst mir.“
„Tue ich das?“, fragte sie mit weit aufgerissenen Augen. „Das war sicherlich nicht meine Absicht.“
„Okay. Warte hier.“
„Ohne etwas zu trinken gehe ich nirgendwohin“, versicherte sie.
Diese Frau lenkte ihn ab und hatte es geschafft, ihn mit nichts als einem losen Mundwerk und einem bezaubernden Lächeln aus der Reserve zu locken. Hinzukamen die spitzen Brüste. Und der stramme Hintern, der in ihren extrem kurzen Shorts bestens zur Geltung kam. Sofort stellte er sich vor, wie sie übermütig ihre Beine um seine Hüften schlang, obwohl sie die hässlichsten Stiefel trug, die er je gesehen hatte und die dazu noch alt und abgenutzt waren. Während er an der Bar wartete, drehte er sich zu ihr um. Ihr Gesicht wirkte konzentriert und verwirrt zugleich. Wahrscheinlich rattert ihr innerer Computer immer noch, in der Hoffnung, mich einordnen zu können, dachte er.
Sogar zerzaust war sie wunderschön. Auch ohne Make-up und mit Dreck im Gesicht vom Fußmarsch. Besonders ihre volle, wilde Haarpracht beeindruckte ihn. Der außergewöhnliche Kupferton erinnerte ihn an einen Sonnenuntergang am Meer. Achtlos mit ein paar Haarklammern fixiert bettelte es förmlich danach, befreit zu werden. Er stellte sich vor, mit seinen Fingern durch ihre schimmernden Locken zu fahren und ihren Kopf leicht nach hinten zu drücken, um mit seinem Mund ihren langen, schlanken Hals hinunterzuwandern. Allerdings hatte nicht nur ihr gutes Aussehen seine Aufmerksamkeit geweckt. Sie war auch charakterstark, lebhaft und um keine Antwort verlegen. Eine willkommene Abwechslung zu der Welt der Byzantiner, der er künftig angehören würde.
Im Gegensatz zu ihr wurde er tatsächlich erwartet. Bald würde er zum Fürstentum Madlena zurückkehren müssen, um nach dem Tod seines Bruders den Thron zu besteigen. Mit jedem Tag belastete ihn die Verantwortung, die damit einherging, ein bisschen mehr. Dies könnte sein letzter Ausflug mit seiner Jacht „Black Diamond“ sein, bevor die Pflicht rief und ihn endgültig seiner Freiheit beraubte. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war ein weiteres Erschwernis in Form einer frechen jungen Frau mit einer Unmenge an Fragen. Zweifellos würde Sex ihn entspannen, aber normalerweise suchte er sich dafür ältere, erfahrene Frauen, die wussten, was Sache war, keine Naivchen auf einer Rucksacktour durch Europa.
„Wasser! Endlich!“, rief sie theatralisch, als er ihr die beschlagene Flasche und ein Glas reichte.
Sie griff danach, und dabei streiften sich ihre Körper, was einen Aufruhr in ihm auslöste, den sie nicht zu bemerken schien, während seine Hose fast schmerzhaft spannte.
„Danke“, stieß sie aus, nachdem sie das Glas in einem Zug geleert hatte.
„Noch eins?“
„Du kannst Gedanken lesen. Aber keine Sorge, diesmal bestelle ich selbst.“
„Na dann los“, forderte er sie auf und machte Platz.
Sie zwängte sich an ihm vorbei, was ihm einen überaus guten Eindruck davon vermittelte, wie sie unter den schäbigen Klamotten aussehen musste. Seine geliebte Nonna, Prinzessin Aurelia, hätte sie als „gut gebaut“ beschrieben. Wie seine Großmutter war die junge Frau zierlich und mindestens einen Kopf kleiner als alle anderen in der Bar. Es war daher nicht verwunderlich, dass ihre wiederholten Versuche, die Aufmerksamkeit des Kellners zu erhaschen, kläglich scheiterten.
„Okay“, räumte sie schließlich ein. „Sieht so aus, als hätte ich keine andere Wahl, als erneut um deine Gunst zu buhlen. Los! Ich feuere dich auch von der Seite an – so gut das eben mit einer Kehle geht, die sich wie Schleifpapier anfühlt.“
Ihr Akzent war unverkennbar britisch und ihr Mund, mit dem fast perfekt geformten Amorbogen, extrem sexy. Sie zog ihren linken Mundwinkel hoch, sodass ein liebenswertes Grübchen zum Vorschein kam. „Beeil dich“, flehte sie ihn an und umfasste seinen Hals, als spielte sie die Hauptrolle in einem Laientheater. „Siehst du nicht, wie verzweifelt ich bin?“
„Du gehörst auf die Bühne“, kommentierte er trocken.
„Ja, um die Bretter zu schrubben.“
Dass sie ihn an einem Tag wie diesem zum Lachen bringen konnte, zeigte, dass sie eben kein wichtigtuerischer Möchtegern war. Sie wusste sich sehr wohl zu helfen. Sogar hier unter den Reichen und Schönen, wo Luxusmarken nicht nur wichtig, sondern Pflicht waren, und wo man es nie wagen würde, ein Designeroutfit zweimal zu tragen, trat sie so souverän auf, als wäre sie selbst eine Prinzessin – allerdings mit mehr Humor als die grimmigen Anwärterinnen, die auf ein Amt am königlichen Hof hofften. Außerdem könnte diese Frau mir auch viel mehr Ärger machen, überlegte er auf dem Weg zurück zu ihr. Missbilligend hatte sie ihre Lippen aufeinandergepresst, als er vor allen anderen bedient worden war.
„Ich habe nicht gesagt, dass du dich vordrängeln sollst“, wies sie ihn grinsend zurecht.
„Das habe ich auch nicht. Der Barmann ist nur supereffizient.“
„Okay. Du hast mir einen großen Gefallen getan, also danke.“
„Für die zwei Gläser Wasser musste ich wirklich tief in die Tasche greifen“, meinte er abwinkend. „Wohl kaum ein Grund, mir so zu Füßen zu liegen.“
„Träum weiter“, seufzte sie. „Na ja, manchmal braucht es eben nur ein Glas Wasser. Kennst du eigentlich alle hier?“, fügte sie hinzu, bevor sie hastig ihr Glas leerte.
„Nein. Warum?“
„Weil dich alle anstarren.“
„Vielleicht starren sie auch dich an.“ Er wandte sich dem überschicken Klientel zu, woraufhin alle ihre Köpfe wegdrehten, als hätten sie ihn nicht gesehen.
„Hm“, grübelte sie. „Das glaube ich nicht.“ In Rekordzeit trank sie das zweite Glas. „Ich stehe eindeutig in deinem Schatten.“
Das ist Ansichtssache.
„Wie dem auch sei“, mit einem erleichterten Seufzer stellte sie das leere Glas ab, „achte nicht auf diese neugierigen Angeber. Ich passe ja jetzt auf dich auf.“
„Das ist ein Witz, oder?“, fragte er.
„Das kannst du sehen, wie du willst, aber ich würde dir raten, sie einfach zu ignorieren.“
Wildes Haar ist wohl ein guter Indikator für Temperament, vermutete er. Wenn es darauf ankommt, verwandelt sie sich bestimmt in einen kleinen Terrier. Bei dieser Frau braucht man keine Angst vor einem Zuckerschock zu haben.
„So“, fuhr sie fort, ohne nach Luft zu schnappen, „sagst du mir jetzt, wer du bist? Ich meine, abgesehen davon, dass du hier die einzige Person bist, die genauso schlecht gekleidet ist wie ich?“
Dass sie beide schamlos den Dresscode missachteten, war nicht zu leugnen. Die Gäste wurden gebeten, sich zumindest den Sand vom Körper abzuwaschen, bevor sie sich zum Essen setzten – aber wer kontrollierte schon einen Adligen? Und sie war mit ihm hier.
„Ich heiße Luca“, verriet er. „Und du bist?“
„Zuerst“, sagte sie mit einem schnippischen Lächeln, „will ich wissen, wie du es geschafft hast, nicht rausgeschmissen zu werden, wenn du aussiehst, als kämst du direkt aus dem Meer.“
„Genau da kam ich auch her.“
„Okay …“ Sie zog das Wort in die Länge. „Dann vermute ich stark, dass die Sicherheitsleute und die Belegschaft es nicht wagen würden, sich mit dir anzulegen, selbst wenn sie sich zusammentun würden.“
„Wie nett.“
Sie presste ihre Lippen zusammen und grinste. „Sorry. Aber du hast mir immer noch nicht erklärt, warum du dir das erlauben kannst.“
„Vielleicht mögen die mich hier und machen eine Ausnahme?“
„Und ich bin die Kaiserin von China“, konterte sie trocken. „Der Oberkellner sieht aus wie ein Feldwebel bei der Armee. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er jemanden einfach so etwas durchgehen lässt. Entweder die haben Respekt vor dir oder Angst“, mutmaßte sie. „Was von beidem ist es?“
Wahrscheinlich von beidem ein bisschen, dachte er. „Ich bin öfter hier.“
„Gehörst du etwa zur Crew von einem dieser schwimmenden Bürokomplexe?“
Luca folgte ihrem Blick zu den glänzenden Superjachten, die in einer Reihe am Kai verankert waren, und schüttelte den Kopf.
„Kein Crewmitglied“, überlegte sie, „und trotzdem scheinen dich alle zu kennen. Bist du sowas wie das kriminelle Superhirn vor Ort oder irgend so ein sagenhaft reicher Milliardär, der sich mal unters gemeine Volk mischt?“
Er hob eine Augenbraue. „Ich glaube, ich könnte beide Rollen übernehmen.“
„Das glaube ich dir. Aber nicht mit mir.“
„Hast du mal daran gedacht, dass alle dich anstarren?“
„Mich?“, fragte sie spöttisch. „Ich passe wohl kaum zum Ambiente hier. Außer ein paar abschätzigen Blicken, als ich reingekommen bin, hat mich keiner beachtet.“
„Deine Haarpracht könnte für Gesprächsstoff sorgen.“
„Oh, vielen Dank, mein Herr“, sagte sie und machte einen Knicks.
„Ist mir da gerade ein Kompliment rausgerutscht?“
Sie verzog das Gesicht, bevor sie ihn wieder ins Verhör nahm. „Die schauen definitiv nicht mich an. Und jetzt, nachdem ich was getrunken habe, ist denen klar, dass ich mich in keiner mysteriösen, verzweifelten Situation befinde, die mein Kommen rechtfertigen würde, weil ich Zuflucht in diesem Luxustempel aus Stahl und Glas gesucht habe.“
Zuflucht? „Läufst du vor irgendwas davon?“
Statt seine Frage zu beantworten, wechselte sie das Thema. „Das Problem mit Saint-Tropez ist, dass es so widersprüchlich ist. Ich war vorher noch nie hier und als ich ankam, konnte ich kaum glauben, dass die Stadt ihr bezauberndes ursprüngliches Fischerdorf-Flair beibehalten hat. Trotz der Unmenge an Megajachten und Männerspielzeugen wie den ganzen Traumautos“, erklärte sie. „Aber beides ergänzt sich wunderbar. Die französische Bourgeoisie Seite an Seite mit prunkvollem Reichtum.“
„Stört dich das?“
„Natürlich nicht. Gerade der Kontrast macht Saint-Tropez so besonders und sehenswert. Aber lenk nicht ab. Wir sprachen über dich.“
„Ich lenke ab?“, fragte Luca herausfordernd.
Sie tat seine Frage mit einem Achselzucken und einem Lachen ab. „Na komm schon – sag’s mir. Bist du prominent oder fliehst du vor dem Gesetz?“
„Weder noch.“
„Ich bin sehr gut im Herauskitzeln von Informationen. Also können Sie es mir auch gleich sagen“, warnte sie mit einem komischen Akzent.
„Hercule Poirot?“
„Ich wollte schon immer Detektiv werden“, gab sie zu und steigerte das Ganze mit einer kuriosen Grimasse. „Einem reizvollen Rätsel konnte ich noch nie widerstehen.“
„Vielleicht verstecke ich mich so wie du.“
„Ich verstecke mich nicht!“
Die Tatsache, dass sie sich so energisch verteidigte, bestärkte Luca nur in seinem Verdacht, dass sie genau das tat.
„So wie du aussiehst, passt du nicht hierher“, kommentierte sie und ließ es wie die schlimmstmögliche Beleidigung klingen. „Ich sag nur, wie’s ist“, fügte sie hinzu, als er eine Braue hob.
Manche Frauen putzten sich heraus und lächelten affektiert, wenn sie ihn trafen. Sie tat weder das eine noch das andere, sondern beobachtete ihn weiter mit zusammengekniffenen Augen, als wäre er ein faszinierendes Exemplar in einem Labor.
„Der Name Luca hilft mir nicht weiter …“
„Kannst du dich an jeden Namen erinnern?“
„Natürlich nicht, aber ich habe wirklich das Gefühl, dich zu kennen“, sagte sie stirnrunzelnd. „Na ja, egal. Jedenfalls bin ich alleine auf einer Rucksacktour durch Europa, also passe ich besser auf, mit wem ich rede. Ich denke, ich sollte jetzt mal wieder los.“
„Das musst du wissen, aber wenn du so besorgt über deine Sicherheit bist, warum hast du überhaupt ein Gespräch mit einem Fremden angefangen?“
„Du siehst vertrauenswürdig aus und machst mir keine Angst.“
„Offensichtlich“, stimmte er zu, wobei er nur schwer ein Lächeln unterdrücken konnte.
Wo war sie die letzten Monate gewesen, als sein Bild auf jeder Titelseite zu sehen gewesen war? Der tragische Tod seines Bruders war in aller Munde gewesen. Nachdem seine Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren, hatte ihn zuerst seine Großmutter, später Pietro großgezogen. Und jetzt war dieser selbst unter dramatischen Umständen gestorben. Die Geschichte der zwei grausam auseinandergerissener Brüder, die dazu noch sehr wohlhabend und von königlicher Abstammung waren, war so sensationell gewesen, dass alle sie mitbekommen hatten.
Ihn in einem anderen Kontext zu sehen, hatte anscheinend gereicht, damit sie ihn nicht richtig zuordnen konnte. So wie er hier stand, wies er auch keinerlei Ähnlichkeit auf mit dem ernsten Mann in Uniform, der überall in der Presse zu sehen gewesen war. Die Fotos zeigten eine finster dreinblickende Person in tiefer Trauer, die auf dem Paradeplatz den Treueeid der Truppen entgegennahm. Truppen, die von nun an ihm dienen würden. Der Mann sah weder entspannt aus noch stand er lässig da. Stattdessen hatte er mit ernster Miene eine stramme Haltung angenommen, während er das Unerträgliche ertrug: dass sein geliebter Bruder nie mehr für ihn da sein würde. Die Lokale, in denen Luca hier bekannt war, wussten nur, dass er ein adliger Milliardär war. Sein riesiger Dreimaster, die Black Diamond, hatte vor der Küste geankert. Die moderne Umsetzung des traditionellen Designs sorgte immer für Kommentare, auch wenn kein wirkliches Aufheben darum gemacht wurde, da es in Saint-Tropez Milliardäre und Adlige wie Sand am Meer gab.