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Bei einer Kreuzfahrt im Mittelmeer geschehen merkwürdige Dinge: Erst wird die Restauranttesterin von Krämpfen durch eine Tollkirsche gequält und entgeht dann haarscharf einer Erdrosselung mit einem Rouladenwickler. Ein humorvoller Krimi, bei dem Philomena und Theo sich nicht nur ineinander verlieben, sondern auch ihren ersten Fall lösen können.
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Seitenzahl: 209
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Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wären rein zufällig.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
„Ist das ein Pudel?“, fragte Mario, ölte seine sehnigen, grobschlächtigen Hände ein und massierte den Unterschenkel von Peggy-Chantal, die völlig entspannt bäuchlings auf einer Liege im SPA-Bereich lag.
„Ja, das ist mein Abba, mein Süßer“, kam es da seufzend aus der kleinen, mit einem Frotteetuch ausgelegten Öffnung. Ihre wasserstoffblonde Mähne bewegte sich dabei nicht. „Ich habe mir das Tattoo an seinem dritten Geburtstag stechen lassen“, hauchte es wehmütig aus dem Loch der Massageliege.
„Bestimmt so süß wie das Frauchen.“ Marios Charme war so schmierig wie seine Hände.
„Ja, ein Toy-Pudelchen. Ein richtiger Prinz. Das Tattoo hat mir Enrico geschenkt, mein Mann. Er weiß, wie ich mein Baby liebe. Abba hatte am Geburtstag ein goldenes Krönchen auf seinem Köpfchen und ich hab‘ ihm extra eine Leckerli-Torte gebacken. War schön, der Geburtstag. Mit meinem großen Prinzen und unserem kleinen Prinzchen Abba.“
„Also ein Prinzenpudel und kein Königspudel.“
Über seine eigenen Witze lachte Mario selbst am liebsten und meist recht laut. Er freute sich diebisch über seine Konversationskunst und machte sich nun an den Oberschenkeln zu schaffen und hatte einiges zu tun, denn die Oberfläche derselben hatte enorme Ausmaße.
Lüstern blickte er zwischen die welligen Schenkel. Das mochte er besonders an seinem Beruf: Weibliche Körper, die willenlos vor ihm lagen. Da konnte er wie ein geschickter Handwerker dem anderen Geschlecht seine unterdrückte Lust aufzwingen. Egal, ob dünn oder füllig, verspannt oder narbig, Hauptsache weiblich und bereit, seine Hände über die Haut gleiten zu lassen. Da platzte Peggy in die meditative, pfefferminzöl-geschwängerte Stille:
„Sag‘ mal, Mario….“
„Ja?“
Offensichtlich traute sich Peggy nicht, eine heikle Frage zu stellen und drehte nun den Kopf auf die andere Seite.
„Was mache ich denn gegen die Cellulite am Po?“ Peggy, die gern Peggy-Chantal genannt werden wollte, musste wohl jetzt die Schamesröte ins Gesicht gestiegen sein und war sicherlich heilfroh, ihr pausbackiges Gesicht auf das weiche Frottee-Tuch betten zu können.
„Orangen helfen bei Orangenhaut, ganz sicher.
Und du musst viel trinken. Vielleicht noch ein bisschen Muskeltraining.“ Mario bearbeitete mit Hingabe die Oberschenkel seiner Kundin und sah sich vergnüglich den Po an, der prall in einem Höschen steckte und die Dellen mit Bravour verdeckte.
„Orangen? Ich dachte, ich müsste mir mal einen Termin beim Podologen geben lassen.“
„Ohh… ob dir ein Podologe helfen kann, weiß ich nicht.“ Auch wenn Mario nicht viel von den speziellen Problemen der Damen verstand und noch nie was von Podologen gehört hatte, hatte er sich über die Jahre hinweg ein Repertoire von kosmetischen Alltagsweisheiten angeeignet, die er sich aus Frauenzeitschriften zusammengesammelt und auswendig gelernt hatte.
„Ich dachte, die Frauen mit diesen Problemen müssten zum Podologen. Es gibt doch für alles einen Facharzt.“
Peggy schien erstaunt und hätte wohl gern ihr Problem einem Facharzt übertragen oder wollte sich nicht bloß auf Orangensaft verlassen, als es aus dem kleinen Lautsprecher dröhnte: „Mario, bitte in Kabine elf.“
„Schon rum?“
Peggy hob ihren Oberkörper und Mario entschwand mit einem „Ja, die Zeit vergeht immer so schnell……schade, amüsier‘ dich gut, bis die Tage!“, wischte sich mit dieser Floskel die Hände ab und erhaschte dabei noch einen kurzen Blick auf das sonnengerötete Dekolleté von Peggy.
In Kabine elf sollte der Vollblutmasseur nun Victoria mit einer Hot-Stone-Massage verwöhnen. Sie lag bereits in einer türkisfarbenen Bikinihose auf der Massageliege und schien zu entspannen. Nur die leise Musik war zu hören und das sündteure paillettenbestickte Oberteil baumelte neben dem weißen Bademantel an der Garderobe.
„Hallo, ich bin Mario. Wir machen also eine Hot-Stone-Massage.“ Die rhetorische Frage blieb unbeantwortet. Routiniert platzierte Mario Stein für Stein auf dem Rücken und genoss sein Kunstwerk. Die heißen Steine riefen keine Reaktion hervor, was ihn wunderte, denn normalerweise entwich den meisten Kundinnen ein wohliges Stöhnen. Hingebungsvoll und gedankenverloren setzte Mario seine Arbeit fort.
„Entspannend, was?“ Keine Reaktion. Stumm fuhr er fort, begleitet von einer sanften fernöstlichen Melodie. Langsam zweifelte er an der erotischen Ausstrahlung seiner Stimme, auf die er sich sonst eigentlich verlassen konnte.
„Soll ich sie einfach wecken, wenn ich fertig bin?“, fragte er vorsichtig. Wieder nichts. Da tippte Mario mit seinen Fingern auf den Rücken, dann auf den Arm und schließlich fasste er die Schulter an, um seine Kundin aus dem Schlaf zu wecken. „Jetzt sollten sie aber aufwachen, sie machen mir ja Angst“, scherzte er laut. Was für ein Murmeltier, dachte er und packte sie nun etwas derb an den Schultern und drehte sie um.
Das Geräusch der auf dem Marmorboden aufschlagenden Basaltsteine ging in seinem entsetzten Aufschrei unter.
Als der Bordarzt den SPA-Bereich betrat, war dieser schon von schaulustigen Passagieren bevölkert. In Flip-Flops und Bademänteln tuschelten sie miteinander, erschrocken und bisweilen sensationslustig. Eine Dame mit buntem Turban, die wohl gerade von der Maniküre zu kommen schien, gestikulierte wild und zeigte mit ihren falschen Nägeln in Richtung der Kabine elf.
„Was ist passiert?“ Jonas, der Bordarzt des Kreuzfahrtschiffes, das gerade Kurs auf Civitavecchia nahm, bot sich ein jämmerliches Bild: Mario kniete vor der Liege und winselte wie ein Hund. „Ich bin unschuldig, sie hat nicht geantwortet, da habe ich sie umgedreht. Ist sie tot?“
Kreidebleich starrte ihn der Masseur an.
Victoria van der Bleu lag apathisch auf der Liege, sie atmete schnell und ihre Haut war so rot wie ein gekochter Krebs. Krämpfe schüttelten sie und Mario verkroch sich in die hintere Ecke der Kabine. Gekonnt und in Windeseile ging Jonas Schritt für Schritt vor, murmelte etwas, dass Mario nicht verstehen konnte und legte eine Infusion an. Plötzlich riss Victoria die Augen auf, setzte sich auf und wurde von weiteren Krampfanfällen geschüttelt. Ihre Pupillen waren so groß wie Knöpfe und ihre Augenfarbe konnte man kaum noch ausmachen.
„Du bist der Teufel!“, fauchte sie Jonas an. „Ich weiß es, du bist es. Du hast mich ausgezogen und betatscht. Du bist der Satan.“ Mario griff sich verzweifelt an die schweißgebadete Stirn und ihm fielen mit einem Mal alle Versuchungen ein, denen er während seiner Massagen erlegen war.
Er fühlte sich schuldig, obwohl das fauchende Weib ihn gar nicht gemeint hatte. Wie ein Film liefen diverse Szenen vor seinem inneren Auge ab. Es wurde ihm übel und er konnte sich bei bestem Willen nicht daran erinnern, dass er je bei einer seiner Kundinnen seinen geheimen Wünschen nachgegeben hatte.
„Belladonna.“ Mehr sagte Jonas nicht.
„Glaub‘ mir Jonas“, Mario presste die Hände wie zum Gebet zusammen, „ich habe ihr nichts getan. Sie lag schon auf dem Bauch, als ich reinkam.“ Er jammerte mitleiderregend und konnte sich nicht beruhigen.
Da drehte sich Victoria abrupt zu ihm um, starrte ihn an, holte tief Luft und schrie: „Du bist es, Lucifer, ich kenne dich. Wo hast du deine Hörner versteckt? Und wo deinen widerlichen roten Schwanz? Ich werde dich vernichten!“
Das war zu viel für den armen Mario, der in sich zusammenfiel und anfing zu wimmern wie ein Kleinkind. Er fühlte sich wie ein Versager, ein Waschlappen, alle Männlichkeit war aus ihm gewichen, er konnte sich das selbst nicht erklären.
Zugleich empfand er eine tiefe Schuld, die ihn zu Boden drückte.
„Beruhige dich doch!“ Jonas verabreichte Mario kurzerhand eine Beruhigungsspritze und half ihm auf die Beine. „Das ist normal bei einer Vergiftung mit der Tollkirsche“, erklärte der Bordarzt, „sie hat Halluzinationen. Aber schau‘!
Sie atmet schon wieder normal und wird nun schlafen. Ich lasse sie nachher von Schwester Julie abholen. Sie soll sich ausruhen und du auch.
Ich gebe an der Rezeption Bescheid, dass du für heute nicht mehr einsatzfähig bist. Ruh‘ dich aus und nimm‘ es nicht so schwer. Du kannst nichts dafür. Natürlich glaube ich dir. Keine Angst! Ich werde herausfinden, wie sie an die Tollkirsche gekommen ist. Du hast sie ja nicht damit gefüttert“, scherzte Jonas und blickte den Masseur aufmunternd an. Doch der Scherz verfehlte seine Absicht. Mario war völlig abwesend und reagierte noch nicht einmal mit einem gequälten Lächeln. Der Bordarzt öffnete ohne ein weiteres Wort die Tür und hinterließ einen Mann, der spürte, dass diese Frau die Macht hatte, ihn zu vernichten.
„Belladonna“, flüsterte er. Vier Silben, die sein Leben verändern sollten.
Am nächsten Morgen war dichtes Gedränge auf Deck drei. Der Bauch des Schiffes öffnete sich und spuckte seine Passagiere an Land, so wie der Wal es mit Jona getan hatte. Die Hafenstadt Civitavecchia wurde von kaum einem der Touristen gewürdigt, denn alle wurden wie magisch von einer Stadt in 70 Kilometer Entfernung angezogen: Rom. Ganz nach dem Motto „Rom sehen und sterben“ drängten sich nun hunderte von Menschen vor den Tour-Bussen, um sich ihrem Ziel zu nähern.
Dabei war es einerlei, ob man von Museen, dem Petersdom oder der Spanischen Treppe angezogen wurde, man musste einfach da gewesen sein und mitreden können. Selbst wenn man nur eine mittelmäßige Pizza auf einer römischen Piazza genossen hatte, es gehörte zum Pflichtprogramm der Kreuzfahrt. So dachten jedenfalls Peggy und ihr Göttergatte Enrico, die sich brav in eine Schlange vor dem Bus mit der Nummer „4 – Rom für Verliebte“ anstellten. Das Programm versprach eine Reise in vergangene Zeiten mit viel Romantik und römischem Charme.
„Haste auch die Sonnencreme mit?“ Peggy hatte in ihrem Reiseführer gelesen, dass es in der italienischen Metropole stickig und sehr heiß sein konnte. Heiß hatte sie sich auch die letzte Nacht an Bord gewünscht, doch Enrico hatte sich lieber mit Black Jack im Rauchersalon beschäftigt, als mit seiner Angetrauten einen wilden Tango auf’s Parkett zu legen, obwohl sie ihr fesches blaues Kleid mit den Spitzen am Dekolleté und die passenden Nägel mit Strass-Steinen in hellblau angeklebt hatte. So blau wie das Kleid war Enrico, als er spät nachts in die Kabine wankte, Peggy träumte schon von Abba.
„Warte!“ Enrico nestelte in seinem Rucksack, erfolglos. Auch in seiner Bauchtasche, die ziemlich eng an jenem Körperteil prangte, das durch allzu fröhlichen Bierkonsum auf die Größe eines Fußballs angewachsen war, konnte er leider kein Sonnenschutzmittel finden.
„Nö, nichts“, war Enricos einsilbige Antwort.
„Was? Dann kriegen wir bestimmt einen Sonnenstich.“
„Ach, was. Da gibt’s schon Schatten.“ Enrico war so leicht nicht aus der Ruhe zu bringen.
Endlich bewegte sich die Schlange vor ihnen und sie konnten einsteigen. Der Bus war bis auf den letzten Platz besetzt und Peggy wachte erst wieder auf, als es hieß: „Willkommen in Rom!“
Während der Fahrt war sie eingedöst und hatte die landeskundlichen Erklärungen verpasst –
Enrico dagegen hatte sehr aufmerksam den Ausführungen der jungen Reiseleiterin gelauscht.
„Was für ein Traum!“
„Ja, schön hier.“
„Nee, was ich geträumt hab‘.“ Peggy seufzte und war noch etwas benommen.
„Ach so. Was denn?“
„Ich war so ‘ne römische Göttin mit ‘nem Gewand aus Gold. Du hast mich den ganzen Tag bedient und mir jeden Wunsch von den Lippen abgelesen. Abba hat neben meinem Thron auf einem Seidenkissen geschlafen. Ich vermiss‘ ihn so“, seufzte sie.
„Aahh!“ Enricos Kommentar konnte Peggy nicht deuten, doch dazu blieb auch keine Zeit, denn sie mussten schleunigst den Bus verlassen, wollten sie nicht der Gruppe hinterherhecheln.
Zuerst fuhr man zum Kolosseum, in dem sich früher Löwen und andere wilde Tiere getummelt, Gladiatoren gekämpft und die Bürger Roms sich damit vergnügt hatten. Peggy und Enrico konnten nicht verstehen, was die Reiseleiterin erklärte, aber das störte sie wenig. Sie machten sowieso lieber Selfies und posierten vor den beeindruckenden Ein- und Ausblicken, die das Kolosseum zu bieten hatte.
„Stell‘ dich da mal hin!“ Peggy dirigierte ihren Enrico euphorisch vor einem der Torbögen hin und her. Dieser hob seinen Arm und spannte seine Muskeln so an, als ob er gleich den nächstbesten Löwen, der sich hinter der Säule versteckt hatte, zum Kampf herausfordern wolle. Er suchte die passende Position, um sich für die Daheimgebliebenen und seinen Skatclub in Szene zu setzen, als er dabei eine Frau aus seiner Reisegruppe versehentlich anrempelte.
„Oh, sorry!“, murmelte der Gladiator-Verschnitt.
„Schon gut, nichts passiert“, winkte die Dame mit ausladendem Sonnenhut ab. „Sie scheinen auch nicht an dem Vortrag interessiert zu sein“, fügte sie hinzu. „Romantisch finde ich das hier nicht. Da habe ich mir aber was völlig anderes vorgestellt.“ Lächelnd musterte sie Peggy von oben bis unten, rückte ihre Sonnenbrille im 60er Jahre-Stil zurecht und zupfte an ihrem roten Jumpsuit.
„Ja, romantisch ist es nicht so,“ entgegnete Peggy unbeeindruckt und wollte in Ruhe weiter ihren persönlichen Löwenbändiger ablichten.
Die Dame im Jumpsuit streckte Peggy unvermittelt die Hand hin: „Ich bin Frauke-Gesa.“
„Peggy-Chantal, angenehm.“ Als Nageldesignerin wusste Peggy, dass der erste Eindruck zählte, und Anstand hatte ihr ihre Mutter beigebracht. Der war etwa so wichtig wie das Zähneputzen oder Händewaschen.
„Das ist Enrico, mein Mann.“ Peggy zeigte stolz auf den verschwitzten Mann neben ihr. Er streckte der neuen weiblichen Bekanntschaft und ihrem Mann, der wortlos neben ihr stand, die Hand entgegen und senkte dabei unterwürfig den Kopf.
„Ich bin Ralf-Gerrit,“ mit einem freundlichen Nicken unterstrich der Mann an Frauke-Gesas Seite sein Händeschütteln.
„Oh, ich glaube, es geht weiter, dann schauen wir mal, ob es nun zum romantischen Teil geht.“
Frauke-Gesa schob ihren Mann in Richtung Reisegruppe, vorbei an den imposanten Resten des antiken Amphitheaters.
Enrico schleppte sich hinter Peggy her. Sein Shirt sah aus, als hätte er es gerade von der Wäscheleine genommen, fast stoisch folgte er ihr.
„Ist das ihre erste Kreuzfahrt?“, erkundigte sich Frauke bei Peggy.
„Ja, haben wir gewonnen. In unserer Hundezeitschrift war ein Kreuzworträtsel und da haben wir die Kreuzfahrt gewonnen. Toll, oder?“
Peggy strahlte über das ganze Gesicht und war sichtlich zufrieden mit ihrem Erfolg.
„Oh, das ist ja wirklich toll. Sie haben einen Hund? Was für einen?“
„Einen Pudel. Ich vermiss‘ ihn, meinen Abba.“
„Haha, Abba, wie die Band?“ Frauke schien sichtlich amüsiert.
„Ja, ich liebe die Musik von ABBA, genau wie ihn. Mein Herzblatt.“
„Das ist unsere dritte Kreuzfahrt, wir sind da schon Profis.“ Frauke-Gesa schob mit einem hochmütigen Gesichtsausdruck ihre Sonnenbrille Richtung Nasenwurzel und blickte erwartungsvoll in Peggys Richtung, aus der sie offensichtlich Bewunderung erwartete.
„Wo waren sie denn überall schon?“
Nach einer längeren Kunstpause zupfte Frauke ihren Jumpsuit zurecht und erörterte in epischer Breite wichtige und unwichtige Details ihrer Kreuzfahrten. Enrico, der hinter den beiden Damen hertrottete, hörte nur die Wortfetzen „Karibik“, „Luxus“ und „großartig“. Ralf-Gerrit folgte seiner Gattin still, er hätte auch keinerlei Chance gehabt, irgendeinen Kommentar hinzuzufügen.
Mit offenem Mund hatte Peggy den blumigen und weitschweifigen Ausführungen gelauscht und war verstummt. Sie fühlte sich zunehmend unsicher und hatte einen Heiden-Respekt vor der Dame in Rot.
„Da haben sie bestimmt viel Geld“, mutmaßte Peggy ehrfurchtsvoll.
Genau so eine Reaktion hatte Frauke-Gesa beabsichtigt. Gern stand sie im Rampenlicht und ließ sich bewundern und mit Peggy hatte sie ein neues Opfer gefunden. Der Fisch hing an der Angel der selbstbewussten Frau mit Hut. Die Frage ließ sie bewusst unbeantwortet und nickte nur sanft mit einem Lächeln auf den Lippen.
Peggy hingegen war nun der Meinung, sie sei auf eine Millionärin getroffen, die unter dem Hut gewiss ein goldenes Krönchen versteckte.
Die Schlange vor den Vatikanischen Museen war elend lang. Zum Glück konnte Theo sie mühelos passieren. Als Kurator in den Uffizien hatte er eine Sondergenehmigung und er nutzte den Landausflug, um sich für seine nächste Ausstellung inspirieren zu lassen. Außerdem waren die Vatikanischen Museen so etwas wie ein Stück seiner „alten“ Heimat. Er betrat die Museen mit einem Gefühl der Erinnerung. Theophrastus Ramses von Tiefenwald hatte in Rom, Florenz und München Kunstgeschichte und Philosophie studiert und so waren die Vatikanischen Museen quasi sein Studierzimmer gewesen. Nichts hatte er in seiner Zeit in Rom lieber gemacht, als ganz früh am Morgen, noch bevor die Besucher kamen, die Sixtinische Kapelle ganz allein zu genießen. Sich der Größe und Faszination der Fresken hinzugeben und die Schöpfungsgeschichte in ihrer künstlerischen Interpretation zu erspüren, das konnte man am besten in Stille.
Oft hatte Theo auch nach dem Besucheransturm die einzelnen Szenen studiert, die sich zu einem einmaligen Gesamtbild zusammenfügten. Doch heute wollte er sich nur die Werke von Raffael anschauen. Als er einen der Räume der Gemächer im Apostolischen Palast mit den Stanzen von Raffael betrat, hatte er Mühe, sich einen Weg zu dem Bildnis zu bahnen. Zahllose Touristen hielten ihre Smartphones vor das Werk und verewigten es digital, meist mit Köpfen davor.
Der Andrang war groß und Theo hasste das.
Wenn er etwas hasste, waren es Touristen, die keinen Sinn für Kunst hatten und nur aus anderen Beweggründen ihre Fotos von dem Werk aus dem 16. Jahrhundert machten. Am schlimmsten fand er jene, die es fertigbrachten, ein Selfie davor zu machen, in Posen, die er unwürdig für solche Art von Kunst fand. Er war keineswegs ein pedantischer Eremit und stellte sich meist auch nur mit „Theo“ vor. Sein blaues Blut war ihm unangenehm, bisweilen sogar peinlich. Nichts hasste er mehr als arrogantes, snobistisches Verhalten.
Einerseits lehnte er also jedwede Angabe oder überzogene Selbstdarstellung ab, andererseits würde niemand vermuten, dass dieser attraktive Mann mittleren Alters mit lockigem dunklem Haar und grau-grünen Augen sich am liebsten mit den Fragen der alten Philosophen und Malern beschäftigte. Weltgewandt, aufgeschlossen, dem Schönen und den Künsten zugewandt, strahlte er eine souveräne Lässigkeit aus. Doch beim Umgang mit Kunst war er eigen, so wie jetzt, als ein Besucher fast auf das Bild gefasst hätte, um zu ertasten, wie es sich wohl anfühle. Gerade hatte ihn noch ein anderer Besucher davor zurückhalten können. Da verstand er keinen Spaß, denn er wusste genau, wie aufwändig und teuer die Instandhaltung von alten Kunstwerken war. Die kleinste Berührung konnte unendlich viel Schaden anrichten. Weltkulturerbe ist empfindlich und Fette und Öle der Haut können die Pigmente verwandeln: In ein dreckiges Braun oder Grau. Theo schüttelte seinen Kopf und es gelang ihm gar nicht, sich auf die Schönheit der Szenen aus dem Leben des Kaiser Konstantin zu konzentrieren. Es schmerzte ihn fast körperlich, die Menschenmassen vor seinen geliebten Werken ertragen zu müssen.
Philomena reckte ihren Kopf, doch konnte sie Raffaels Werk nur in Teilen sehen. Immer wieder schoben sich Menschen davor, drängten sie zur Seite und nahmen ihr die Sicht. Sie war einfach nicht groß genug und den Abstand, den man einnehmen musste, um sich einen Gesamteindruck zu verschaffen, war gar nicht möglich.
Die Lektorin des Kreuzfahrtschiffes liebte Kunst und nutzte jede Möglichkeit, die Kunstmuseen dieser Welt zu besuchen. Wenn sie nicht auf Kreuzfahrtschiffen als Lektorin arbeitete, übersetzte sie Romane vom Italienischen und Französischen ins Deutsche. Es schien nicht ihr Glückstag zu sein, denn vor dem berühmten Werk „Die Schule von Athen“ von Raffael stand eine chinesische Reisegruppe, so dass ein Drittel des Bildes verdeckt war und zudem noch unzählige Arme und Smartphones die Sicht versperrten. Sie dachte wehmütig an die Zeit ohne Smartphones zurück, das Leben hatte eine andere Geschwindigkeit gehabt. Sicherlich, diese smarten Geräte hatten viele Vorteile, doch bisweilen wollte sie einfach ihre Ruhe, vor allem im Museum.
Philomena hatte einen besonderen Zugang zur Kunst. Nun fand sie doch eine kleine Ecke, von der aus sie das Fresko besser sehen konnte. Platon und Aristoteles wandeln im Zentrum des Bildes, umringt von zentralen Figuren der Philosophie, Künstler, Mathematiker und der Wissenschaft.
Jedenfalls war das eine der Interpretationen. Was für eine natürliche und harmonische Darstellung, dachte sie. Sie mochte die Farben, sie fand es lustig, dass Raffael sich selbst mit in das Bild gemalt hatte. Zwar war er recht versteckt, etwas versteckt hinter einer Säule. Doch seine schwarze Kappe war gut zu erkennen. Wie sie es liebte, sich in ein Bild zu versenken, sich die Details genau anzuschauen. Und was für ein bedeutsamer, höchst umstrittener Inhalt. Bis heute war nicht eindeutig geklärt, wer welche Person sein sollte. Die antike Philosophie in den vatikanischen Gewölben, Paulus in Athen, das waren ihre Gedanken, als sie noch einen langen, intensiven Blick auf das Bild warf und dann den Saal verließ.
Theo reckte seinen Hals und konnte einigermaßen über die schwarzhaarige Masse der Chinesen blicken und erkannte Pythagoras, der in der „Schule von Athen“ mit einem Zirkel auf einer Tafel einen geometrischen Sachverhalt zeigte.
Die Zahlen als Ursache aller Dinge, fiel ihm da ein. Was für ein großartiger Gedanke.
Zahlenrätsel liebte er und die Hängung der Gemälde in den Uffizien, seinem Arbeitsort, folgten einem ausgeklügelten Schema, das durchaus einen geometrischen Hintergrund hatte.
Der Laufweg der Besucher, die Perspektive auf die Bilder und die Anzahl der Werke in einem Saal waren eine Kunst für sich und nicht beliebig.
Es war von entscheidender Bedeutung, wo welches Kunstwerk im Raum positioniert wurde.
Er konnte zwischen zwei Asiaten hindurch Sokrates erkennen, der, der nie etwas geschrieben hatte, wurde von Raffael lesend dargestellt, neben ihm der Schierlingsbecher. Theophrast, sein Namensvetter, von Aristoteles als Nachfolger seiner Denkschule eingesetzt, hatte der Maler mit vollem Haar und kurzem Bart dargestellt. Das volle Haar hatte er selbst auch, einen Vollbart mochte er nicht. Wie seine Eltern wohl auf diesen Namen gekommen waren? Sicherlich hatte sich sein Vater gerade intensiv mit den antiken Philosophen beschäftigt, als er plötzlich mit der Entscheidung konfrontiert wurde, einen Namen für seinen ersten und einzigen Sprössling zu finden. Da fiel ihm „Theophrastus“ ein. Besser „Theophrastus“ als „Pythagoras“ oder „Platon“.
Man konnte seinen Namen immerhin abkürzen, dachte er und versuchte, dem Bild noch näher zu kommen und betrachtete seinen Namensvetter eingehend und sogar ein wenig mit Zuneigung.
Vielleicht hatten seine Eltern irgendwann gemeinsam vor diesem Fresko gestanden. Sie hatte es schweigend bewundert und seine Mutter hatte die Stirn gerunzelt und den Kopf zur Seite gelegt, so wie sie es immer getan hatte, wenn sie sich in ein Bild versenkte. Seine Mutter war freie Künstlerin und hatte die Familie in sämtliche Museen dieser Welt geschleppt, so hatte es Theo empfunden, als er noch klein war. Eigentlich hätte er lieber ein Versteck im Wald gebaut oder einen Zoo besucht, anfangs jedenfalls. Im Laufe der Jahre war sein Interesse an Kunst stetig gewachsen und er konnte seiner Mutter dadurch sehr nah sein. Er genoss es regelrecht, ihre Erzählungen zur Kunst und den Künstlern zu lauschen. Wenn sein Vater dann noch philosophische Fragen aufwarf, hatte er mehr Denkarbeit zu leisten als in mancher Unterrichtsstunde. Seine Eltern ergänzten sich perfekt und wer weiß, sie hatten wohl schon vor seiner Geburt geahnt, welche Gabe ihm geschenkt werden sollte: Die, der detailgenauen Beobachtung, der unstillbaren Wissbegierde und der Ironie.
Manchmal dachte er, sein Name hatte ihn ohne Umwege zum Philosophiestudium geführt, fast wie eine schicksalhafte Vorsehung. Theophrast war sozusagen die Verkörperung seiner innigsten Leidenschaften: der Philosophie - immer haarscharf an der Religion vorbei - und der Kunst – im Kontext ihrer Geschichte. Damit beschäftigte er sich am liebsten und vergaß bisweilen, dass es auch ein anderes Leben gab.
Leidenschaft war nicht vom Beruf zu trennen und er war dankbar dafür, denn wie viele Menschen konnten das schon von sich behaupten? Er war völlig in Gedanken versunken, obwohl er mitten in der Menge eingequetscht war, die auf Raffaels Werk schaute. Schade, dass es so voll war und er keine Muße hatte, um das Werk in Ruhe auf sich wirken zu lassen. Kontemplative Stille sah anders aus. Er brauchte Frischluft und entschied sich für den Giardino Quadrato, den rechteckigen Park.
Ja, dachte Theo, Pythagoras hatte recht, die Realität bestand tatsächlich aus Zahlen und deren harmonischen Verhältnissen zueinander. Auch der Garten war rechteckig, war auf rechten Winkeln aufgebaut und auf Harmonie. Dort schlenderte er am Brunnen vorbei und genoss die Sonne. Was, wenn zwischen all den kostbaren Originalen vergangener Jahrhunderte eine Fälschung hing?
Unmöglich, sich so auf seine neue Ausstellung in Florenz vorzubereiten, wenn ihm solche Gedanken kamen. Mit Fälschungen kannte er sich gut aus, denn als Kurator und Gutachter war er geschult darin, sich über die Echtheit der Werke Sicherheit zu verschaffen. Bereits im Studium hatte er sich mit dem Thema beschäftigt und seine Expertise war von renommierten internationalen Museen mehrfach angefragt worden. In diesem Zusammenhang war er auf das interessante Gebiet des Kunstraubs gestoßen und verschlang jede Nachricht und jedes Buch dazu.
Der Museumsleiter hatte ihm kürzlich seine Anerkennung in diesem Bereich ausgesprochen, was dazu führte, dass das Sicherheitskonzept der Uffizien überarbeitet werden sollte. Vielleicht sollte ich doch diese wenigen Tage mal einfach was ganz anderes denken und tun, dachte er. Kurz entschlossen verließ er das Museumsgelände und machte sich auf den Weg zu seiner Lieblingseisdiele in der Nähe des Petersdoms. Dort wollte er seinen langjährigen Freund Alessandro begrüßen, der nicht nur ein bekannter Frauenheld war, sondern auch das beste Eis Roms machte.
Jedenfalls behauptete er das und mit seinem Eis hatte er schon so manches Frauenherz erobert.
Victoria van der Bleu lag noch etwas benommen im Bordhospital, sie hatte den gestrigen Nachmittag und den Abend dort verbracht. Alle anderen waren an diesem sonnigen Vormittag in Rom und sie lag auf einer unbequemen Liege, über ihr die grelle Neonlampe.
„Wie fühlen sie sich?“, fragte Julie, die langbeinige blonde Krankenschwester. Doch ihre liebevolle Aufmerksamkeit konnte Victoria nicht aufmuntern. Normalerweise kümmerte sich Julie um Passagiere mit Kreislaufproblemen, mehr oder minder schlimm ausgeprägter Reisekrankheit, Schnittwunden oder musste erst gestern eine Stirn einer Frau kühlen, die gegen die geschlossene Balkontür der Kabine gelaufen war. Doch Vergiftungsfälle gehörten tatsächlich seltener zu ihren Aufgaben.
„Wie soll es mir schon gehen?“, antwortete Victoria unwirsch. „Tollkirschen auf dem Schiff!