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Praxisleitfaden BEM Seit 2004 müssen Arbeitgeber erkrankten Beschäftigten ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anbieten. Das BEM dient dem Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit. Zugleich sichert es für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Chancen, den Arbeitsplatz zu erhalten. Eine wichtige Rolle spielt die Beteiligung des Betriebsrats, bei schwerbehinderten Beschäftigten die Schwerbehindertenvertretung. Der Praxisleitfaden erläutert prägnant und verständlich die Bedeutung des BEM und die Pflichten von Arbeitgeber und Betriebsrat. Betriebsräte erfahren, welche Handlungsmöglichkeiten sie innerhalb des BEM in kleinen und mittleren Betrieben haben. Anschauliche Beispielsfälle – allesamt aus der betrieblichen Praxis – ergänzen die Ausführungen. Eine Muster-Betriebsvereinbarung zeigt, wie sich das Thema im Betrieb anwenden lässt. Die Autorin: Edeltrud Habib, langjährige freigestellte Betriebsrätin und Beraterin bei Arbeit und Leben Hamburg zum BEM in Klein- und Mittelbetrieben
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Seitenzahl: 187
Edeltrud Habib
BEM – Wiedereingliederung in kleinen und mittleren Betrieben
Praxisleitfaden und Beispielsfälle
zum betrieblichen Eingliederungsmanagement
aktiv im Betriebsrat
Edeltrud Habib
BEM – Wiedereingliederung in kleinen und mittleren Betrieben
Praxisleitfaden und Beispielsfälle zum betrieblichen Eingliederungsmanagement
Buch:© 2014 by Bund-Verlag GmbH, Frankfurt am MainHerstellung: Julia Walch, Bad SodenUmschlag: eigensein, Frankfurt am MainUmschlagabbildung: panthermedia.net/Edwin VerinSatz: Satzbetrieb Schäper GmbH, Bonn
E-Book:© 2014 by Bund-Verlag GmbH, Frankfurt am MainProduktion: Satzweiss.com, SaarbrückenISBN 978-3-7663-8347-1
Alle Rechte vorbehalten,insbesondere die des öffentlichen Vortrags,der Rundfunksendungund der Fernsehausstrahlung,der fotomechanischen Wiedergabe,auch einzelner Teile.
www.bund-verlag.de
Ich danke allen Betriebsräten, Personalräten, Mitarbeitervertretungen, den Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen und allen Fallgebern für die Aufforderung und die Motivation diesen Leitfaden zum BEM zu schreiben. Mein Wunsch ist, dass die Praxisfälle dieses Buches all denen Hilfestellungen geben, die nicht die Möglichkeit haben eine betriebliche Beratung anzufordern. Ich danke besonders meiner Freundin Margit Höfle für Ihre Unterstützung und Mitarbeit an diesem Leitfaden.
Edeltrud Habib, Disability Managerin CDMP
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (kurz BEM) macht nicht gesund, hilft aber die betrieblichen Rahmenbedingungen zu verbessern.
Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil BEM als die Etablierung eines unverstellten, verlaufs- und ergebnisoffenen Suchprozesses definiert (BAG 10. 12. 2009, NZA 2010, 639).[1]
BEM – das neue Allheilmittel für erkrankte Beschäftigte?
Nein, sicherlich nicht! Der Gedanke der Fürsorge, des Kümmerns um erkrankte Beschäftigte, ist nicht neu. Lange bevor das Wort Eingliederungsmanagement den Einzug ins Gesetz und die betriebliche Praxis fand, haben sich Interessenvertretungen und auch Arbeitgeber um erkrankte Beschäftigte gekümmert. Mit viel Verständnis, Kreativität und angemessenen Hilfen hat man versucht für die Betroffenen einen geeigneten Arbeitsplatz im Betrieb zu finden oder herzurichten. Das aber nur, wenn die Betroffenen sich hilfesuchend an die Interessenvertretung oder an den Arbeitgeber wandten und um Unterstützung baten.
Um die erkrankten Arbeitnehmer, die in ihrer Erkrankung gefangen waren, sich nicht trauten oder um ihren Arbeitsplatz fürchteten, kümmerte sich keiner. Sie fielen hinten runter oder dämmerten als Karteileichen vor sich hin. Man stößt immer wieder auf Betriebe, in denen niemand etwas über erkrankte Beschäftigte weiß. Sind sie noch krank, sind sie bereits von der Krankenkasse ausgesteuert? Haben sie inzwischen gekündigt? Bekommen sie Grundsicherung, Arbeitslosengeld? Ist ihr Arbeitsplatz bereits mit einem Leiharbeiter nachbesetzt worden, der sehr gut ins Team passt und gute Arbeit leistet? Für den Arbeitgeber entstanden keine zusätzlichen Kosten. Für den Beschäftigten ist es ein Leidensweg, für den sich niemand interessiert.
Seit 2004 sind Arbeitgeber verpflichtet, erkrankten Beschäftigten (länger als sechs Wochen) ein BEM anzubieten. Mit dem BEM-Verfahren wird das Ziel verfolgt, die Beschäftigungsfähigkeit erkrankter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wiederherzustellen, dauerhaft zu sichern und dadurch den Verlust des Arbeitsplatzes zu vermeiden.
Das wichtigste Ziel im BEM ist, dass der Arbeitgeber sich ausnahmslos um alle erkrankten Beschäftigten kümmern muss. Kein Beschäftigter wird bei längerer Krankheit mehr im Regen stehen gelassen.
BEM ist ein neuer Begriff, den der Gesetzgeber erst mit der Novellierung des Sozialgesetzbuches IX (SGB IX) im Mai 2004 eingeführt hat. Bis zur Aufnahme des BEM in das Sozialgesetzbuch in 2001, war im Schwerbehindertenrecht verpflichtend nur für schwerbehinderte Menschen geregelt, dass sich der Arbeitgeber kümmern muss, wenn Schwierigkeiten im Arbeitsleben aufgetreten sind, nicht aber, wenn sie länger krank waren.
Zunächst war das Schwerbehindertengesetz von 1974, das »Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft« ein Meilenstein in der Entwicklung des Schwerbehindertenrechts. Es gründete jedoch immer noch auf den gesetzlichen Grundlagen von 1919. Es entsprach zwar bereits dem modernen Gedanken einer umfassenden Rehabilitation aller behinderten Menschen, unabhängig von der Ursache ihrer Behinderung und nicht mehr nur der der Kriegsversehrten, aber erst im Juli 2001, mit der Novellierung des Schwerbehindertengesetzes und der Integrierung in das neu geschaffene Sozialgesetzbuch, gelang ein Paradigmenwechsel. Ziel des SGB IX ist die Förderung der Selbstbestimmung und der gleichberechtigten Teilhabe behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen. Das Gesetz stärkt die Rechte der Behinderten, fördert ihre Selbstbestimmung und stellt die Teilhabe in den Mittelpunkt. Mit der Novellierung des Schwerbehindertengesetzes wurde das Betriebliche Eingliederungsmanagement im § 84 Abs. 2 SGB IX gesetzlich geregelt.
Im Gegensatz zum Absatz 1 des Präventionsparagrafen (§ 84 SGB IX), der nur für schwerbehinderte und gleichgestellte Menschen gilt, erfasst der Absatz 2 alle Beschäftigte. Das ist das qualitativ Neue. Mit der Einführung des BEM reagierte der Gesetzgeber auf den weiter steigenden Altersdurchschnitt der berufstätigen Bevölkerung. Die gesundheitlichen Probleme nehmen zu und der Einsatz von gesundheitlich eingeschränkten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auf einen für sie geeigneten Arbeitsplatz wird immer wichtiger, um die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten, die Teilhabe am Arbeitsleben, aber auch die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen zu sichern. Das Sozialgesetzbuch IX war zwar den Schwerbehindertenvertretungen bekannt, nicht aber den Interessenvertretungen. Welcher Betriebs- oder Personalrat schaut schon im Sozialgesetzbuch nach, ob es Regelungen für alle Beschäftigten enthält? Lange hielt sich auch die Aussage, das BEM sei nur für Schwerbehinderte anzuwenden, eben, weil es im Schwerbehindertenrecht verortet ist. Die Interessenvertretungen arbeiten mehrheitlich mit dem Betriebsverfassungsgesetz bzw. dem Personalvertretungsgesetz oder bei kirchlichen Einrichtungen mit dem Mitarbeitervertretungsgesetz. So wundert es nicht, dass lange Zeit der Präventionsparagraf einen Dornröschenschlaf hielt.
Heute sind viele Institutionen bemüht das BEM bekannt zu machen. So heißt es z. B. auf der Webseite des BAD, einem der größten Dienstleistungsanbieter zum Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin:
»Von Arbeitsunfähigkeit betroffen sein kann jeder, egal ob jung oder alt, behindert oder nicht: ein Unfall, eine Erkrankung oder eine Krise kann zu längerem Ausfall führen. Mit dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) hat der Gesetzgeber den Unternehmen ein Instrument an die Hand gegeben, um wirtschaftlich und gleichzeitig fürsorglich im Interesse der Arbeitnehmer zu handeln. Doch dieses Instrument wird bei Weitem noch nicht ausgeschöpft, nicht zuletzt auch aus Unkenntnis, wie denn ein erfolgreiches Betriebliches Eingliederungsmanagement nachhaltig eingeführt werden kann.«[2]
Die Ziele des BEM sind:
• die Arbeitsfähigkeit erhalten,
• Arbeitsunfähigkeit überwinden,
• erneute Arbeitsunfähigkeit vorbeugen,
• den Arbeitsplatz erhalten.
Die gesetzliche Regelung zum BEM wurde zuerst in Großbetrieben angewandt, weil sie frühzeitig von Juristen des Arbeitgeberverbandes mit dem Ziel, Krankenstände zu reduzieren, über das BEM informiert wurden. Gleichzeit erhielten sie die Information, dass eine krankheitsbedingte Kündigung nicht mehr so leicht durchzusetzen ist, wenn dem Berechtigten[3] vor der Kündigung kein Betriebliches Eingliederungsmanagement angeboten wurde.
Vorher war es nicht schwierig eine krankheitsbedingte Kündigung auszusprechen, oft schon nach mehreren Wochen Krankenzeit. Dazu brauchte es nur eine schlechte Gesundheitsprognose. Besonders von krankheitsbedingten Kündigungen betroffen waren Beschäftigte, die noch nicht so lange im Betrieb waren. Krankheitsbedingte Kündigungen werden durch das BEM erschwert, denn der Arbeitgeber hat sich um lang erkrankte Beschäftigte zu kümmern. Bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung muss der Arbeitgeber darlegen, was er alles getan hat, um die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und den Arbeitsplatz zu erhalten.
Im § 84 Abs. 2 SGB IX haben die Interessenvertretungen ein Mitsprache- und Überwachungsrecht und sind somit in der Verpflichtung darüber zu wachen, dass das Gesetz zu Gunsten der Beschäftigten Anwendung findet. Sie haben das Recht die Zustimmung zur Kündigung zu verweigern, wenn der Arbeitgeber keine ausreichenden Maßnahmen zum Erhalt des Arbeitsplatzes getroffen hat. Sie stimmen einer Kündigung nicht zu, wenn nicht zuvor ein BEM durchgeführt worden ist.
(1) Der Arbeitgeber schaltet bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.
(2) Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 93, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Soweit erforderlich wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die örtlichen gemeinsamen Servicestellen oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Leistungen oder Hilfen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Abs. 2 Satz 2 erbracht werden. Die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 93, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können die Klärung verlangen. Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt.
(3) Die Rehabilitationsträger und Integrationsämter können Arbeitgeber, die ein betriebliches Eingliederungsmanagement einführen, durch Prämien oder einen Bonus fördern.
Das BEM ist eine Aufgabe des Arbeitgebers, erfordert jedoch Teamarbeit, denn es soll im Dialog mit allen Beteiligten entwickelt und umgesetzt werden. Das heißt, dass beide Seiten den Ablauf gestalten und gleichberechtigte Vorschläge und Maßnahmen einbringen.
Da es sich teilweise um ein komplexes Verfahren mit einer Reihe von Beteiligten handelt, ist es hilfreich, eine systematische Vorgehensweise zu entwickeln, die an die Gegebenheiten des Betriebes angepasst ist, und die in jedem Einzelfall Anwendung findet. Der Abschluss einer Betriebsvereinbarung zum BEM sollte das Ziel sein. Eine Betriebsvereinbarung bietet den Vorteil, dass die Arbeitnehmer und -nehmerinnen hieraus unmittelbare Rechte ableiten können.
Fragen, die im Rahmen der Organisation und Maßnahmenentwicklung geklärt werden sollten:
• Wie ist die Situation im Betrieb?
• Welche Ziele verfolgt das Management mit dem BEM?
• Welche Interessen und Positionen vertreten Arbeitgeber und Interessenvertretungen?
Das vorrangige Ziel wird in jedem Betrieb die Senkung der Krankenstände sein. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass, wenn einem erkrankten Beschäftigten Hilfe und Fürsorge zukommt, die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit aller Beschäftigten gefördert wird. Fehlzeiten gehen zurück und die Arbeitszufriedenheit steigt. Eine Einbindung des BEM in betriebliche Gesundheitsförderungsmaßnahmen bzw. ein Betriebliches Gesundheitsmanagement, sollte selbstverständlich sein, damit verbunden, das Einbeziehen der Interessenvertretung und der Arbeitsschutzakteure.
Struktur, Verlauf und Verfahren sollten passend zum Betrieb organisiert werden. Das beginnt mit der Verfügbarkeit der betrieblichen BEM-Akteure. Es sollte vermieden werden, dass z. B. benannte Gesprächsteilnehmer zum angegebenen BEM-Termin Waren an Kunden ausliefern oder der für den Betriebsrat Benannte als OP-Pfleger für eine OP eingeplant ist oder in der Nachtschicht.
Alle Abteilungen des Betriebes sollten mit dem BEM vertraut gemacht werden. Alle Führungskräfte sollten ihre mit dem BEM einhergehende Verantwortung kennen.
Wenn z. B. im BEM-Gespräch mit allen Beteiligten einvernehmlich eine Maßnahme beschlossen wurde, dass ein Berechtigter in eine andere Abteilung versetzt werden soll, und auch die Möglichkeit besteht, so kann die Führungskraft das nicht mit der Begründung ablehnen, der Betroffene »passe nun mal gar nicht in das Team«.
Der Arbeitgeber muss nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz handeln. Das bedeutet: mit Hilfe des BEM können mildere Mittel als die Kündigung eingesetzt werden, zum Beispiel eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen durch Umsetzung eines anderen Mitarbeiters freigemachten Arbeitsplatzes. Auch kann der Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechtes eine Umorganisation des Betriebsablaufes vornehmen, so dass eine Weiterbeschäftigung möglich wird (siehe hierzu das BAG Urteil vom 12. 07. 2007 – 2 AZR 716/06).[4]
»Eine Kündigung ist als letztes Mittel nur zulässig, wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Möglichkeiten zu ihrer Vermeidung ausgeschöpft hat. Dabei kommt bei einer krankheitsbedingten Kündigung nicht nur eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen, freien Arbeitsplatz, in Betracht. Der Arbeitgeber hat vielmehr alle gleichwertigen, leidensgerechten Arbeitsplätze, auf denen der betroffene Arbeitnehmer unter Wahrnehmung des Direktionsrechts einsetzbar wäre, in Betracht zu ziehen und ggf. »freizumachen« (BAG 29. 01. 1997 – 2 AZR 9/96).«[5]
Die Belegschaft sollte frühzeitig über alle BEM-Prozesse informiert sein. Dies kann in einer Betriebsversammlung, Betriebszeitung, Rundschreiben oder Intranet geschehen. Nur so kann der Nutzen des BEM von allen Beschäftigten erkannt werden, Ängste abgebaut und eine Teilnahme am BEM erreicht werden.
Anforderungen an das BEM:
BEM soll konstruktiv, klar, konsequent, verlässlich und vertrauensvoll sein!
Das BEM beginnt mit dem BEM-Gespräch. Im Gespräch werden die Krankenzeiten des Berechtigten (Beschäftigter, länger erkrankt als sechs Wochen) betrachtet. Für das BEM-Gespräch muss der Berechtigte auf jeden Fall seine Einwilligung gegeben haben. Der Berechtigte wird im BEM-Gespräch auf die Ziele im BEM und auf Art und Umfang der erhobenen Daten hingewiesen. Die Durchführung des BEM ist eine Aufgabe, die nach dem § 84 (2) SGB IX dem Arbeitgeber als zusätzliche Nebenpflicht im Arbeitsverhältnis aufgegeben wurde. Das bedeutet: BEM ist in erster Linie am Erhalt und Bestand des Arbeitsverhältnisses orientiert. Die für die Zwecke des BEM erhobenen und gespeicherten Daten dürfen nicht ohne Weiteres für sonstige arbeitsvertragsrechtliche Zwecke verwendet werden. Daraus folgt, dass Aussagen zur gesundheitlichen Situation des Berechtigten nicht ohne Weiteres in ein Kündigungsverfahren zur Begründung einer krankheitsbedingten Kündigung einfließen dürfen.[6]
Dr. Eberhard Kiesche, Berater von Betriebsräten in Bremen, schreibt als Fazit in seinem Artikel in gute arbeit 6/2010: »Datenschutz ist der wichtigste Erfolgsfaktor bei der Errichtung eines rechtskonformen BEM im Betrieb unter umfassender Beteiligung der betroffenen Beschäftigten. Datenschutz ist Persönlichkeitsschutz. Das Recht auf Beteiligung schließt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Der Betroffene muss Herr des Verfahrens … sein, ansonsten wird gegen das Gesetz verstoßen, werden Datenschutzanforderungen vernachlässigt und das so wichtige Vertrauen in die betrieblichen BEM-Strukturen und -Prozesse geht von Beginn an verloren.«[7]
Auch beim BEM sollte sich an die Grunddevise gehalten werden: Daten sammeln, so wenig wie möglich und nur so viel, wie nötig! Daten dürfen nur mit Einwilligung des Betroffenen weitergegeben werden! Ein automatisiertes Erheben, Verarbeiten und Nutzen von personenbezogenen Daten ist grundsätzlich verboten und bedarf nach dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) einer besonderen Erlaubnis des Betroffenen.
Der § 84 (2) SGB IX (Prävention) fordert:
»… Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen.…«[8]
Der Paragraf zeigt, dass es im BEM nicht ohne Einwilligung des Berechtigten geht. In § 4 a BDSG sind die Anforderungen an eine freie und informierte Einwilligung konkretisiert. Sie verlangt grundsätzlich die Schriftform.
Der § 4 a BDSG besagt:
»(1) Die Einwilligung ist nur wirksam, wenn sie auf der freien Entscheidung des Betroffenen beruht. Er ist auf den vorgesehenen Zweck der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung sowie, soweit nach den Umständen des Einzelfalles erforderlich oder auf Verlangen, auf die Folgen der Verweigerung der Einwilligung hinzuweisen. Die Einwilligung bedarf der Schriftform, soweit nicht wegen besonderer Umstände eine andere Form angemessen ist. Soll die Einwilligung zusammen mit anderen Erklärungen schriftlich erteilt werden, ist sie besonders hervorzuheben.«[9]
Dies bedeutet, dass die Einwilligung freiwillig, ohne jeden Zwang, zu erfolgen hat. Der Betroffene ist umfassend aufzuklären. Die Einwilligung muss schriftlich erfolgen. Eine vorformulierte Einwilligungserklärung mit Zweckerweiterung ist als Pauschaleinwilligung nicht zulässig.
Alle am BEM-Gespräch Beteiligten unterschreiben eine Schweigepflichterklärung nach § 5 BDSG (Datengeheimnis):
»Den bei der Datenverarbeitung beschäftigten Personen ist untersagt, personenbezogene Daten unbefugt zu erheben, zu verarbeiten oder zu nutzen (Datengeheimnis). Diese Personen sind, soweit sie bei nicht-öffentlichen Stellen beschäftigt werden, bei der Aufnahme ihrer Tätigkeit auf das Datengeheimnis zu verpflichten. Das Datengeheimnis besteht auch nach Beendigung ihrer Tätigkeit fort.«[10]
Bei Arbeitsunfähigkeit der Beschäftigten soll durch das BEM frühzeitig und professionell gehandelt werden.
Der Gesetzgeber fordert alle Arbeitgeber auf, für alle Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres wiederholt oder ununterbrochen länger als sechs Wochen krank sind, ein BEM durchzuführen.
Erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen beinhaltet auch, dass ein Beschäftigter von sich aus ein BEM-Gespräch beantragen kann, wenn durch die Arbeitssituation gesundheitliche Probleme zu erwarten sind.
Das BEM umfasst alle Maßnahmen und Leistungen, die im Einzelfall zur Wiedereingliederung nach längerer Arbeitsunfähigkeit erforderlich sind und dazu dienen, Beschäftigte mit gesundheitlichen Problemen oder Behinderung, dauerhaft an einen geeigneten Arbeitsplatz einzusetzen.
Der Arbeitgeber ist verpflichtet die Initiative für das BEM zu ergreifen.
Das BEM-Verfahren soll zwischen den BEM-Beteiligten abgestimmt werden:
• Wer meldet die Krankenzeiten an wen?
• Wer schreibt die BEM-Berechtigten an?
• Wer informiert die Interessenvertretung?
• Wie soll das Anschreiben aussehen?
• Wie soll die BEM Information sein?
Der BEM-Berechtigte muss wissen, um was es im BEM geht. Schon im Anschreiben zur Einladung für das BEM-Gespräch sollte eine Information zum BEM mit verschickt werden. Wenn man die Ziele nicht kennt, kann man schlecht entscheiden, ob man am BEM teilnehmen will. Die Teilnahme am BEM und dem BEM-Gespräch sind freiwillig. Deshalb ist eine schriftliche Zustimmung des Berechtigten zum BEM-Gespräch notwendig. Die Zustimmung oder auch Ablehnung zum BEM-Gespräch ist Bestandteil der Personalakte.
In Anlehnung an die Empfehlung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) zur Umsetzung eines BEM können folgende Schritte zum Installieren des BEM in der Organisation vorgeschlagen werden:
0. BEM-Team bilden
1. Arbeitsunfähigkeit feststellen
2. Erstkontakt mit Beschäftigten aufnehmen
3. Wenn Beschäftigter zustimmt, Erstgespräch führen
4. Den Fall besprechen
5. Maßnahmen durchführen
6. Eingliederung bewerten
7. BEM-Prozess evaluieren
Zunächst müssen das BEM-Team und ihre jeweiligen Vertreter benannt werden und im Betrieb bekannt gegeben werden. Vorab sind daraufhin im Team folgende Fragen zu klären:
• Wer ermittelt die Krankenstände und informiert den Betriebsrat?
• Wer ermittelt, ob eine Schwerbehinderung vorliegt?
• Wer ermittelt, ob eine Stellungnahme des Betriebsarztes vorliegt?
• Was soll der Gesprächsleitfaden für das BEM-Gespräch beinhalten?
• Was soll das Datenblatt beinhalten?
• Soll ein Protokoll des BEM-Gespräches erstellt werden oder genügt es auf einem BEM-Datenblatt die Ergebnisse der Maßnahmenentwicklung zu dokumentieren?
• Wo sollen die BEM-Unterlagen verwahrt werden?
• Wie soll das Einladungsschreiben zum BEM-Gespräch aussehen?
• Wie sollen BEM-Maßnahmen überprüft werden?
• Wie werden Erfahrungen, Ergebnisse und Rückmeldungen des BEM-Prozesses dokumentiert und evaluiert?
Die Arbeiten sollten innerhalb des Teams organisiert werden. Das Anschreiben an den Berechtigten zur Einladung zum BEM-Gespräch sollte innerhalb des Teams abgestimmt sein. Die dokumentierten Einzelfälle sollten hinsichtlich ihrer Wirksamkeit evaluiert werden, damit der BEM-Prozess verbessert werden kann. Fragen hierzu können sein:
• Wurden die Ziele des BEM erreicht?
• Wie wurde das BEM von den Berechtigten angenommen?
• Wurde das BEM abgelehnt? Wenn ja, warum?
• Haben sich die Krankenzeiten verringert?
• Welche Möglichkeiten zur Arbeitsplatzsicherung wurden veranlasst?
• Welche Maßnahmen wurden durch den Rehabilitationsträger veranlasst und finanziert.
Zur Vorbereitung des BEM-Gespräches ist es für den Gesprächsleiter hilfreich einen Gesprächsleitfaden vorliegen zu haben (ein Vorschlag findet sich im Kapitel Mustervorlagen). Die Einladung zum Gespräch sollte schriftlich erfolgen. Hierfür finden sich im Kapitel Mustervorlagen, ein Einladungsschreiben, ein Informationsschreiben zum BEM und ein Rückantwortschreiben. Ein Protokoll sollte aus Datenschutzgründen nicht geschrieben werden, stattdessen sollten die Gesprächsergebnisse als Maßnahmen im BEM-Datenblatt (siehe Kapitel Mustervorlagen) festgehalten werden. Notwendig sind weiter schriftliche Datenschutzerklärungen der Beteiligten und ggf. schriftliche Schweigepflichtsentbindungen des Berechtigten gegenüber anderen Personen (siehe Kapitel Mustervorlagen). Zum Überprüfen der Wirksamkeit der BEM-Maßnahmen und zur Auswertung der BEM-Fälle dient das Auswertungsblatt der BEM-Fälle und der Fragebogen zum Abschluss des BEM im Kapitel Mustervorlagen.
Verantwortlichkeiten und Kompetenzen des BEM-Teams sollten geklärt und verbindlich abgesprochen werden. Das ist wichtig, denn es wird im BEM-Gespräch verbindliche Absprachen geben, was umgesetzt oder veranlasst werden soll. Eine Schulung zum BEM ist für alle BEM-Beteiligten unerlässlich. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Betroffenen die Maßnahmen und Hilfen bekommen, die sie im Einzelfall benötigen. Ohne entsprechende Kompetenzen des BEM-Teams laufen Absprachen und angedachte Maßnahmen ins Leere.
BEM beinhaltet, sich um alle erkrankten Arbeitnehmer zu kümmern und individuelle Maßnahmen zu entwickeln. Maßnahmen könnten sein:
• Behindertengerechte Arbeitsgestaltung,
• berufliche Qualifizierung,
• alternsgerechte Arbeitsplatzgestaltung,
• Vermeidung arbeitsbedingter Belastungen,
• Vermeidung arbeitsbedingter Erkrankungen,
• Arbeitszeit und Arbeitsorganisation,
• Wiedereingliederung,
• berufliche Rehabilitation,
• befristete Teilerwerbsminderungsrente,
• betriebliche Anpassungsmaßnahme,
• Vermeidung von Über- oder Unterforderung,
• veränderte Arbeitsinhalte.
BEM ist ein Bestandteil Betrieblicher Gesundheitsförderung. Gesundheitsfördernde Maßnahmen und ein wertschätzender Umgang miteinander im Unternehmen sind wichtige Faktoren einer gesundheitsfördernden Unternehmenskultur und sollten deshalb im Leitbild eines jeden Unternehmens verankert sein.
BEM beinhaltet sowohl Verhältnis- als auch Verhaltensprävention, Stärkung der Selbstbestimmung der Mitarbeiter durch Förderung des sozialen und individuellen Hilfebedarfs und eine entsprechende Personalplanung.
Während der Erkrankung – und zwar zeitnah, wenn die sechs Wochen erreicht sind – wird der Berechtigte zu einem Gespräch eingeladen. Nur so können frühzeitig Maßnahmen entwickelt und eingeleitet werden. Wenn der Berechtigte wieder arbeitet und dann erst zum Gespräch eingeladen wird, kann dem Betroffenen z. B. keine Wiedereingliederungsmaßnahme mehr angeboten werden. Ziel des Erstkontaktes ist es, dem Berechtigten die positive Aufmerksamkeit des Betriebes zu signalisieren und sein Vertrauen zu gewinnen. Deshalb ist es besonders wichtig, dass die Kontaktaufnahme behutsam und mit der erforderlichen Wertschätzung erfolgt. Ein Anschreiben soll wohlwollend formuliert sein, die Fürsorge des Betriebes zum Ausdruck bringen und den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin nicht unter Druck setzen.
Der Betriebsrat hat nach Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ein Informationsrecht. Er muss darüber informiert werden, wer zu einem BEM-Gespräch angeschrieben wird, wer ablehnt, wer zustimmt.
Nach Erhalt des Einladungsschreibens zum BEM-Gespräch hat der Berechtigte die Möglichkeit, sich intensiv mit dem Angebot des BEM-Gespräches auseinanderzusetzen. Da er sich meist noch in der Krankschreibung befindet, kann dies persönlich oder telefonisch stattfinden. Auf dem Einladungsschreiben sollten die Telefonnummern der BEM-Mitglieder aufgeführt und auf die Möglichkeit hingewiesen werden, sich bei ihnen über das BEM-Gespräch informieren zu können. Schwerbehinderte Menschen haben oft bereits ein Vertrauensverhältnis zur Schwerbehindertenvertretung und werden wahrscheinlich diese um Information und Unterstützung bitten. Sinnvoll für den Betroffenen ist es, sich vor dem BEM-Gespräch kurz mit dem BEM-Beteiligten der Interessenvertretung zu besprechen.
Das Ziel des BEM-Gespräches ist, Vertrauen herzustellen und dem Beschäftigten wertschätzend zu begegnen, zu vermitteln, dass es in dem Gespräch um Hilfe und Unterstützung geht. Das BEM-Verfahren soll erörtert werden, über den Datenschutz und die Schweigepflicht informiert werden. Es wird darauf hingewiesen, dass der Berechtigte Herr des Verfahrens ist und das BEM jederzeit beenden kann. In der Fallbesprechung sollen Krankenzeiten betrachtet werden sowie mögliche Zusammenhänge zwischen der gesundheitlichen Situation und der Arbeit (Arbeitssituation, Arbeitszeit, Arbeitsmenge). Mögliche Auswirkungen und Einschränkungen der Erkrankung auf die Arbeit sollen erfasst werden. Um das jeweilige Hilfsangebot ermitteln zu können, soll ein Bild der Grundproblematik entwickelt werden sowie Ressourcen, Vorstellungen und Wünsche der Berechtigten erfragt und bei der Maßnahmenentwicklung beachtet werden. Kompetenzen und Leistungspotenziale sollen verdeutlicht und zielorientierte Maßnahmen erarbeitet werden. Nach Bedarf wird ein Eingliederungsplan erstellt oder die angedachten Maßnahmen bei der Umsetzung verfolgt. Zur Maßnahmenumsetzung müssen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten geklärt werden.