Benedikt und die Schmetterlingsmenschen - Peter Horn - E-Book

Benedikt und die Schmetterlingsmenschen E-Book

Peter Horn

4,9

Beschreibung

Steffi Zitronenfalter und Onkel Theodor, die Motte mit den Vampirzähnen aus Plastik: Es sind seltsame Wesen halb Mensch, halb Schmetterling, die Benedikt trifft, als er sich im Garten einer alten Villa versteckt. Er ist auf der Flucht vor dem dicken Sascha, der es auf Benedikt, den Kleinsten und Dünnsten seiner Klasse, abgesehen hat... Eine spannende und lustige Geschichte um eine Familie, die ein bisschen anders ist, und einen Jungen, der durch die Freundschaft mit ihren ungewöhnlichen Mitgliedern Mut und Selbstvertrauen gewinnt. Eine Geschichte voll liebenswerter Ironie, die zum Schmunzeln und Lachen anregt, die warm ums Herz und fröhlich macht.

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Peter Horn wurde 1964 in Krems/Donau geboren. Er studierte Englisch und Geschichte an der Universität Wien und arbeitet heute als Lehrer im niederösterreichischen Waldviertel. Außerdem schreibt er Bücher für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.

Von Peter Horn sind mehr als dreißig Bücher schienen, darunter die Reisegeschichten Licht zwischen Schatten (Literaturedition NÖ) und die zwölfbändige Kinderbuchreihe Florian und die Geisterwelt (Bastei Verlag). Seine Bilderbücher Weißt du, was ich werden will? und Wozu st ein Papa da? (Nord Süd Verlag) wurden in zwölf Sprachen übersetzt.

Derzeit sind folgende Bücher von Peter Horn erhältlich:

Das Alien unter der Kappe (Originalausgabe 2009)

Benedikt und die Schetterlingsmenschen (überarbeitete Neuauflage 2015 der Originalausgabe von 2000)

Feuernebel (überarbeitete Neuauflage 2015 der Originalausgabe von 2006)

Peter Horn ist verheiratet und hat zwei Söhne. In seinem Garten hat er viele Schmetterlingsflieder gepflanzt. Keiner von ihnen ist aber so riesig geworden wie der in seinem Buch. Und Menschen mit Schmetterlingsflügeln hat Peter Horn darauf auch nur in seiner Fantasie entdeckt.

Homepage: www.peterhorn.info

Inhalt

Benedikt, der Kleinste

Die Schuluntersuchung

Eine böse Überraschung

Eine Verfolgungsjagd

Stimmen

„Sind Sie echt?“

Die Schmetterlingsmenschen

Steffi und Amalie

Allerlei Geschichten

Tränen und ein Hoffnungsschimmer

Die Familie Ehrentreu

Irmentraut

Der Vampir

Gelächter

Onkel Theodor, der Plastikzahnvampir

Der Plan

Flug durch die Nacht

Die Scheune

Steffi Schreckgespenst

Onkel Theodors großer Auftritt

Flugball

Skeos Skarabäus

Kuchen und Kino

Sascha, eingeschüchtert

Steffi Supergirl

Gestank und Gartengestaltung

Die Wahrheit kommt ans Tageslicht

Sascha, misstrauisch

Die Gruselshow

Geheime Beratung

Eine Falle für Skeos

Aufatmen

Um ein Haar

Das Wolfskostüm

Der Brief

Ein Friedensangebot

Ferien

Kleine Falter- und Käferkunde

Für Sebastian,

der mir bei der Arbeit an diesem Buch

mit seinen Ideen, seiner Begeisterung

und seinem Einfallsreichtum

sehr geholfen hat.

Benedikt, der Kleinste

Diese Geschichte handelt von Benedikt, als er fast zehn Jahre alt war. So lange Benedikt zurückdenken konnte, war er immer der Kleinste und Dünnste. Schon im Kindergarten. Die anderen Kinder waren größer und kräftiger. Wenn sie ein Spielzeug wollten, mit dem Benedikt gerade spielte, war es klar, wer es kriegte. Als er in die Schule kam, wuchs Benedikt ein ganzes Stück. Aber die anderen Kinder wuchsen noch mehr. So war Benedikt wieder der Kleinste und Dünnste in der Klasse. In der zweiten Klasse war es so, dass die meisten Erstklassler größer waren als Benedikt. Es kam schon vor, dass so ein Schulanfänger Benedikt auf dem Pausenhof auslachte und ihn „Zwerg“ oder „Winzling“ nannte. Das traf Benedikt dann besonders. Und er wurde immer trauriger. Denn Freunde hatte er keine. Mit einem, den schon die Erstklassler verspotteten, wollte niemand befreundet sein.

So nahm er sich eines Tages ein Herz und erzählte seinem Papa vom Spott der Kinder. Aber der war auch keine echte Hilfe.

„Du bist nicht zu dünn“, sagte Papa. „Du bist grade richtig. Und wachsen wirst du schon noch. Pass auf: Eines Tages machst du einen Schub, dass die anderen Kindern aus den Socken kippen.“

Doch da war sich Benedikt nicht so sicher. Sein Papa war nämlich auch nicht gerade ein Riese. Aber zu dünn war er nicht. Er hatte eine Glatze, in der sich die Sonne spiegelte, und einen Krausebart, in dem sich beim Essen manchmal die Brotkrümel verfingen. Und er aß so gern, dass er ein kleines rundes Bäuchlein vor sich her trug.

Das hatte auch mit seinem Beruf zu tun. Benedikts Papa verfasste Kochbücher. Das waren ganz spezielle Kochbücher. Sie waren für Leute, die gern abnehmen wollten. Benedikts Papa züchtete im Garten hinterm Haus massenhaft Obst, Gemüse und feine Gewürze. Mit diesen Zutaten dachte er sich dann neue Rezepte aus. Diese Rezepte probierte er aus und kostete ständig beim Kochen. Deshalb nahm er selbst nicht ab sondern zu. Obwohl er doch nur Diätgerichte aß.

Jeden Tag fragte Papa Benedikt, was er sich denn zum Mittagessen wünschte. Und das kochte er dann für ihn. Er kochte ziemlich lecker und Benedikt fand auch, dass er gar nicht so wenig aß. Deshalb keimte in ihm immer wieder doch die Hoffnung auf, bald nicht mehr der Kleinste und Dünnste in der Klasse zu sein. Das war wieder einmal der Fall, als Benedikt in die dritte Klasse ging und die Schuluntersuchung vor der Tür stand.

Die Schuluntersuchung

Das war an einem brütend heißen Junitag und eigentlich nahm die Geschichte damals ihren Anfang. Den ganzen Monat schon herrschten Temperaturen wie üblicherweise nur im Hochsommer. Du hast dieses Wetter sicher schon einmal erlebt: Nicht das mickrigste Wölkchen war zu sehen. Von früh bis spät brannte die Sonne vom strahlend blauen Himmel. Der Asphalt war so heiß, daß man auf den Gehsteigen nicht barfuß gehen konnte. Die Luft flimmerte wie über den Sanddünen der Wüste.

An diesem Tag kam der Arzt in die Schule. Er wollte die Schüler der dritten und vierten Klassen untersuchen. Der Doktor sah aus, als würde ihn gleich der Hitzeschlag treffen. Über sein dreifaches Kinn und die dicken Wangen lief ihm der Schweiß hinunter. Sein Gesicht war rot wie Ketchup. Er saß in seinem Drehsessel wie eine riesige Tomate, die jeden Moment zu zerplatzen drohte.

„Macht schon, macht schon, Buben!“ Der Schularzt brachte nicht mehr als ein schlaffes Winken zustande. „Das Wiegen und das Abmessen. Ihr wisst doch, wie das geht.“

Es gab ein großes Gejohle. Einige Jungen zogen den Mitschülern die Shirts über den Kopf. Andere kniffen sich gegenseitig. Sie hatten eine Menge Spaß.

Nur Benedikt stand ein Stück abseits und sah den anderen zu. Für ihn als Kleinsten und Dünnsten waren die Schuluntersuchungen immer ein ziemlicher Alptraum. Wenn er wieder einmal kaum gewachsen war und nichts zugenommen hatte, lachten die anderen Jungen noch mehr über ihn als sonst. Vor einiger Zeit hatten sie sich sogar neue Spitznamen für ihn ausgedacht. „Knochengerippe“ nannten sie ihn jetzt mit Vorliebe. Oder „Rippe“. Oder „Knochi“. Du kannst dir vorstellen, dass es für Benedikt nicht sonderlich angenehm war, so gerufen zu werden.

Aber diesmal war es anders gewesen. Benedikt hatte dieser Untersuchung geradezu entgegengefiebert. Denn er hatte in den letzten Wochen so viel gegessen, wie er nur konnte. Außerdem bildete er sich ein, daß ihm die Beine seiner Hosen schon fast zu kurz waren. Er hätte schwören können, daß er ein ganzes Stück gewachsen war. Er war sich ganz sicher, daß er diesmal nicht mehr der Kleinste und der Dünnste sein würde.

So konnte er es kaum mehr erwarten, bis er an der Reihe war. Ungeduldig stieg er von einem Fuß auf den anderen.

„Was ist denn?“, rief einer der Mitschüler. „Musst du aufs Klo?“

Doch Benedikt beachtete ihn nicht. Endlich stand er auf der Waage. Und schlagartig wurde ihm übel, als hätte er etwas Verdorbenes gegessen. Weil Benedikt nichts sagte, kriegten die anderen Jungen natürlich mit, dass da etwas nicht stimmte. Es wurde totenstill im Ärztezimmer. Alle Blicke waren auf Benedikt gerichtet.

Wie er mit seiner Hühnerbrust auf der Waage stand und ihm die Boxer-Shorts um die Storchenbeine flatterten. Wie er herumtänzelte, als müsste er jetzt wirklich dringend aufs Klo.

Wie er mit seinen knochigen Armen wild in der Luft umherwedelte, als wollte er einen unsichtbaren Bienenschwarm vertreiben.

Wie er sich die kurzen blonden Haare raufte, wie ihm die Verzweiflung ins sommersprossige Gesicht geschrieben stand.

Benedikt starrte die Anzeige der Waage an. Das konnte doch nicht wahr sein! Das durfte nicht wahr sein! Er hatte nicht zugenommen. Ganz im Gegenteil: Seit der letzten Schuluntersuchung hatte er ein Kilo abgenommen!

„Also?“ fragte der Arzt müde. „Du musst ganz ruhig stehen! Sonst geht das nicht!“

Benedikt versuchte, etwas zu sagen. Aber im ersten Moment brachte er nur ein klägliches Krächzen heraus.

„Na, Knochi? Was ist los? Hat’s dir die Sprache verschlagen?“

Benedikt hatte den Kopf gesenkt. Diese höhnische Stimme: Das konnte nur der Sascha sein. Ich bin sicher, du kennst diesen Typ. Sascha war ein Junge, so groß wie ein Vierzehnjähriger. Dazu war er echt dick. Doch niemand traute sich, ihn deswegen auszuspotten.

Der Sascha war stark wie sonst keiner in der Klasse. Er war keiner, der ausgespottet wurde.

Er war einer, der andere ausspottete. Und eines seiner liebsten Opfer war Benedikt.

Auch jetzt stand Sascha breitbeinig da und musterte Benedikt mit herablassendem Blick. Er überragte die anderen Jungen um mindestens einen Kopf. Er hatte die dicken Arme vor der Brust verschränkt.

Sascha gab ein wieherndes Lachen von sich. „Glaubst du, dass dir über Nacht tolle Muckis gewachsen sind?“

Statt Sascha zu antworten, wandte sich Benedikt an den Schularzt. „Könnte ...“

Benedikt räusperte sich mehrmals. Sein Herz klopfte so schnell, dass er gar nicht ordentlich sprechen konnte. Aber er versuchte es erneut.

„Könnte es sein“, sagte er, „dass mit der Waage etwas nicht stimmt?“

An Stelle einer Antwort zog der Arzt eine Augenbraue in die Höhe.

Benedikt probierte es nochmals. „Dass sie ... nicht richtig eingestellt ist?“

„Junger Mann ...“

Benedikt merkte, dass der Arzt allmählich die Geduld zu verlieren begann.

„Junger Mann“, wiederholte der Arzt. „Es hat eine Affenhitze, falls dir das noch nicht aufgefallen ist. Ich hab keine Nerven, jetzt mit dir über diese Waage zu diskutieren. Würdest du also die Güte haben und mir jetzt sagen, wie schwer du bist!“

Benedikts Ohren glühten, als hätten sie Feuer gefangen. Er war so enttäuscht, so wütend! Du wirst wohl verstehen, dass er in diesem Moment am liebsten im Erdboden versunken wäre.

Benedikt spürte, wie seine Augen feucht wurden. Er wusste, dass er die Tränen jetzt gleich nicht mehr zurückhalten konnte. Aber um nichts in der Welt wollte er vor den anderen als Heulsuse dastehen.

So sagte er nichts mehr. Er sprang von der Waage. Raffte seine Hose, das Shirt und die Schuhe zusammen.

Drängte sich durch die Mauer der anderen Jungen.

Und rannte aus dem Zimmer.

Eine böse Überraschung

Benedikt zog sich in einer Kabine des Schulklos seine Sachen an. Noch immer kämpfte er dabei mit den Tränen. Er beschloß, nicht mehr ins Klassenzimmer zurückzugehen. Er würde an diesem Nachmittag eben keine Hausaufgaben machen. Dann brauchte er auch seine Schultasche mit den Heften und Büchern nicht zu holen. Er wollte nicht riskieren, mit einem seiner Klassenkameraden zusammenzutreffen. Er genierte sich einfach zu sehr.

Benedikt huschte zur Klotür. Er öffnete sie einen Spalt und spähte hinaus. Der Gang, der zur Eingangshalle führte, lag düster und leer vor ihm. Benedikt warf einen Blick auf die Uhr. In fünf Minuten würde es zur Pause läuten. Die Zeit drängte, er musste sich beeilen! Er musste sehen, dass er so rasch wie möglich aus der Schule hinauskam.

Er flitzte los. Fast lautlos lief er über den glatten Steinboden. Und einen Moment später war er bereits aus dem Tor. Er blinzelte, als er ins helle Licht der Sonne trat. Er beschattete die Augen mit der flachen Hand und blickte sich um. Und dann erlebte er eine bitterböse Überraschung.

Er wurde nämlich schon erwartet. Und zwar von jemandem, den er lieber nicht getroffen hätte.

Von Sascha mit seinem gemeinen Grinsen und seinen dicken Oberarmen und den Stiefeln, mit denen er immer so gern nach Kleineren trat.

Benedikt war es ein Rätsel, wie Sascha so schnell hierhergekommen war. Er war wohl auch nicht in die Klasse zurückgegangen. Na klar, dachte Benedikt. Mit sowas wie Schultasche und Hausaufgaben gab sich der ja meist nicht ab.

Aber jetzt war eindeutig nicht die Zeit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

Tatsache war, daß Sascha schon auf Benedikt wartete. Und zwar nicht, um mit ihm die Friedenspfeife zu rauchen.

Er trat aus dem Schatten des riesigen Kastanienbaums gegenüber dem Schulgebäude. Er sagte kein Wort. Aber er hatte seine Fäuste geballt. Und sein Blick signalisierte Benedikt: Mit mir ist nicht gut Kirschen essen!

Jetzt überquerte Sascha gerade die Straße. Er ging ganz langsam. Wie ein Westernbösewicht beim Duell mit dem Sherrif.

Er kam auf Benedikt zu.

Er grinste ihn an und ließ dabei seine Muskel spielen.

Er versuchte ihn so richtig einzuschüchtern. Und hatte vollen Erfolg damit.

Nun stand Sascha direkt vor Benedikt. „Jetzt geht’s dir schlecht!“, verkündete er. „Du Hosenscheißer, du kleiner.“

Kein Wunder, dass Benedikt trotz der Schwitzhitze eine Gänsehaut hatte. Angst schnürte ihm die Kehle zu. Nicht einmal für eine Sekunde kam ihm der Gedanke, sich mit Sascha anzulegen. Es gab keinen in seiner Klasse, der sich das getraut hätte.

Wie eine Maus saß Benedikt in der Falle.

Er blickte nach links, er blickte nach rechts. Aber es war Mittag und niemand war unterwegs. Die Straße war wie leergefegt. Niemand war zu sehen, der ihm zu Hilfe kommen konnte.

Was sollte er nur machen?

Eine Verfolgungsjagd

Benedikt tat das einzig Mögliche: Er sprang die Treppe zum Schultor hinunter. Wandte sich einfach nach rechts. Und wetzte los, so schnell er nur konnte.

Wenn es ums Laufen ging, war Benedikt dem Sascha gegenüber im Vorteil. Mit seinem gringen Gewicht konnte er so schnell laufen wie sonst niemand, den er kannte. Beim Fußballspielen, Bockspringen oder ähnlichen Sportarten war Benedikt alles andere als eine Leuchte. Anders ausgedrückt: Er war darin eine absolute Niete.

Nur bei Wettrennen war das anders: Die gewann er alle, ohne sich dabei groß anstrengen zu müssen.

Und auch jetzt fegte er wie ein frischer Windstoß durch die schwüle Luft. Er lief an der Fassade des Schulgebäudes entlang und bog in die erste Seitenstraße ein.

Aber Sascha war ihm dicht auf den Fersen. Und es war wie verhext.

Welche Haken Benedikt auch schlug ...

Wie viele Sprints er auch hinlegte ...

Es wollte ihm einfach nicht gelingen, seinen Verfolger abzuhängen.

Benedikt japste schon nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Er hatte fürchterliches Seitenstechen. Ihm war klar, daß er diese Geschwindigkeit nicht mehr länger durchhalten würde. Wenn ich doch bloß meine Roller-Skates mithätte, dachte er. Mit denen wäre ich unschlagbar!

Doch Benedikt zog immer nur nachmittags mit den Skates loß. In die Schule nahm er sie nicht mit. Er fürchtete nämlich, dass sie ihm Jungen wie Sacha wegnehmen könnten. So war Benedikt aufs Laufen angewiesen.

Und trotz des Seitenstechens rannte er wie noch nie in seinem Leben.

Auf einmal stolperte er. Er ruderte mit den Armen in der Luft herum, um sein Gleichgewicht wiederzuerlangen. Aber vergebens! Schon schrammte sein rechtes Knie über den Asphalt.

Au, das tat weh! Benedikt sah, dass Blut sein Bein hinunterlief.

Der Junge rappelte sich wieder auf. Er warf einen Blick über die Schulter. Mit hochrotem Schweißgesicht kam sein Verfolger näher und immer näher. Benedikt musste sich nach einem geeigneten Versteck umsehen. Und zwar schnell. Sonst hatte ihn Sascha. Und dann war’s um ihn geschehen ...

Benedikt bog um eine Ecke. Er befand sich nun in einer Allee aus mächtigen alten Kastanienbäumen. Da fiel ihm zu seiner Linken ein hohes schmiedeeisernes Tor auf. Das war wohl der Eingang zu einer der alten Villen, die es in diesem Viertel gab. Sie waren alle von großen, beinahe parkartigen Gärten umgeben. Benedikt sah einen Hoffnungsschimmer: Vielleicht konnte er sich hier irgendwo verstecken!

Er wusste von früheren Streifzügen durch die Gegend, daß die Tore zu diesen Anwesen meist abgeschlossen waren. Aber Benedikt hatte keine andere Wahl. Und so versuchte er sein Glück.

Er drückte die Klinke nach unten und stemmte sich mit der Schulter gegen den schweren, eisernen Torflügel. Zu seinem Erstaunen schwang dieser mit einem leisen Knarren auf.

Dann ging alles unglaublich schnell. Benedikt schlüpft durch das Tor. Rasch zog er es wieder hinter sich zu. Er sprang hinter ein paar hohe Fliederbüsche, die ganz in der Nähe standen. Dort kauerte er sich auf den Boden. Und schon im nächsten Augenblick konnte er hören, wie sein Verfolger am Gartentor vorüberpolterte.

Benedikt wischte sich den Schweiß von der Stirn und atmete ein paarmal tief durch. Das Herz klopfte ihm immer noch bis zum Hals. Aber anscheinend hatte er’s geschafft: Es war ihm gelungen, Sascha zu täuschen.

Er erhob sich und schaute sich zum ersten Mal richtig um. Da fielen ihm fast die Augen aus dem Kopf. Und ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken.

Denn mit einemmal erkannte er, wo er sich befand. Und das war wahrlich nicht zum Lachen.

Hinter den Büschen und Bäumen sah er Teile eines riesigen, dunklen Gebäudes. Eines Gebäudes, in das Benedikt freiwillig keinen Fuß gesetzt hätte.

Denn unter den Kindern der kleinen Stadt hieß es, dass es hier spukte.

Und Benedikt griff sich an die Stirn: Von allen Orten in diesem Villenviertel war er gerade in den Garten des Gruselhauses geraten!

Stimmen

Hast du dich auch schon einmal so gefühlt: Dass du geglaubt hast, das Herz müsste dir vor Angst zerspringen? Vielleicht wenn du mitten in der Nacht aufgewacht bist und es in deinem Zimmer stockdunkel war? Wenn du für ein paar Momente gedacht hast, finstere Nachthexen reiten unter der Zimmerdecke auf ihren Besen? Und ekelige Gruselmonster mit gelben Leuchtaugen und spitzen Fangzähnen lauern unter deinem Bett auf dich?

So ähnlich erging es Benedikt, als er feststellte, dass er im Garten des Spukhauses gelandet war. Die Geschichten, die sich die Kinder der kleinen Stadt über die Villa erzählten, waren auch wirklich zum Fürchten. Von schaurigen Stimmen war darin die Rede, die nächtens durch das Haus und den Garten hallten. Von flackerndem Feuerschein, der in den Fenstern loderte. Und von buckeligen Vampirgestalten, die auf der Suche nach Blut durch die Dunkelheit streiften.

Benedikt hatte Papa darüber befragt.

„Solche Geschichten sind doch nur erfunden“, hatte dieser ihm versichert. „Die Villa ist ein ganz normales Haus. Und ihre Bewohner sind ganz normale Leute. Ich kenne sie zwar nicht. Aber da bin ich mir ganz sicher.“