Berufsgeschichten - Nick Messerli - E-Book

Berufsgeschichten E-Book

Nick Messerli

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Beschreibung

Was macht ein Mönch den ganzen Tag? Was denkt ein Detektiv über seine Kollegen im Fernsehen und was ein Rechtsanwalt, wenn er Schwerverbrecher vertritt? Was muss man für ein Typ sein, um Metzgerin zu werden? Jeder Beruf ist anders. Mit jedem Beruf lebt man anders. Der Leser der lebendigen Kurztexte glaubt den interviewten Personen persönlich gegenüberzustehen und ihnen zuzuhören. Die ebenso informativen wie unterhaltsamen Geschichten dienen dem einen zur Berufsorientierung, allen anderen geben sie spannende Einblicke in die unterschiedlichsten Arbeitswelten in Deutschland. Auf mehr als 560 Seiten werden 60 Berufsgeschichten erzählt. Doch es werden nicht nur Einblicke in Tätigkeitsbereiche gegeben oder reine Aufgabenbeschreibungen formuliert, wie das meist der Fall ist. Es werden subjektive Eindrücke gesammelt: Was kann es bedeuten, einen bestimmten Job auszuüben? Wie denken Stelleninhaber über ihre Arbeit? Mit welchen Menschen arbeitet man zusammen? Welche Auswirkungen kann das haben bzw. wie sieht der Umgang miteinander aus? Wie werden die Arbeitsbedingungen erlebt? Was bedeutet es überhaupt zu arbeiten? Wie lebe ich mit meinem Job? Die Berufsgeschichten bieten eine abwechslungsreiche Lektüre. Hinzu kommt ein gesellschaftskritischer Aspekt: die interviewten Menschen, die aus unterschiedlichsten Bildungsschichten, Einkommensklassen und Herkunftsländern stammen, schildern nicht nur ihre Arbeitsbedingungen, sondern direkt und indirekt auch die Gesellschaft, die sie umgibt.

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Mein ganz besonderer Dank gilt all den interviewten Personen, die mir für die Berufsgeschichten aus ihrem Leben erzählten.

An dieser Stelle möchte ich außerdem anerkennend Sebastian Alefs anmerken, der mir bei der Transkription der hunderttausenden von gesprochenen Wörtern eine zuverlässige Hilfe gewesen ist.

Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei Sylvia Benz, die mich durch unermüdliches Korrekturlesen unterstützt hat.

Nicht zuletzt meiner Frau Claudia Messerli und meinem Sohn Finn danke ich für ihre Liebe und alltägliche Inspiration.

Nick Messerli

Berufsgeschichten

Menschen erzählen aus ihrer Arbeitswelt

und wie sie diese erleben

2. überarbeitete Auflage

© 2024 Nick Messerli (geb. Melekian)

Umschlag, Illustration: Jens Vogelsang, AachenBildnachweis: istockphoto.com, © ALotOfPeople

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland

Dieses Buch ist bereits 2010 bei Shaker Media erschienen unterISBN 978-3-86858-510-0

ISBN

Paperback978-3-384-26952-2

e-Book978-3-384-26953-9

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Träume anno 1948

Artikel 2: „Jeder hat Anspruch auf alle ... Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand ...“

Artikel 4: „Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel in allen ihren Formen sind verboten ...“

Artikel 23: „Jeder hat das Recht ... auf freie Berufswahl, auf gerechte und befriedigende Arbeitsbedingungen ... Jeder, ohne Unterschied, hat das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit ... Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert ...“

(Auszug aus der allgemeinen Erklärung der Menschrechte der UNO)

Inhalt

Träume anno 1948

Einleitung

Begleitende Weggefährten

Hebamme

Fahrlehrer

Grundschullehrerin

Gymnasiallehrerin

Kneipenwirt

Physiotherapeutin

Taxifahrer

Zahnarzt

Bestattungsfachkraft (Auszubildender)

Menschen mit Menschen

Arbeitserzieher

Flugbegleiterin

Krankenschwester in der Altenpflege

Individuelle Schwerbehindertenbetreuung

Logopädin

Benediktinermönch

Pfarrer „im Ruhestand“

Psychotherapeutin

Streetworker

Vertreter eines modernen Zeitalters

Area Sales Manager (Industrieprodukte)

Entwicklungsingenieur (Elektrotechnik)

Fast-Food Restaurantmanager

IT-Berater

Key Account und Area Manager (Textilindustrie)

Still im Hintergrund

Bibliothekarin

Bilanzbuchhalterin

Einkaufswagenschieber

Schaffender Germanist in Rente

Hausfrau und Unternehmerin

Sekretärin im Hotel

Straßenbahnfahrer

Schulleiter

Praktikantin (bei einem Fernsehsender)

Kaufen und verkaufen

Apothekerin

Autohändler

Buchhändlerin

Dönerladen-Besitzer

Reiseverkehrskauffrau

Im Dienste der Sicherheit

Bademeisterin

Detektiv

Feuerwehrmann

Politesse

Polizist

„Was kann ich für Sie tun?“

Fotografin

Friedhofsangestellter

Immobilienmakler

Klinikfriseurin mit Perückenfachgeschäft

Mediatorin

Opernsänger

Rechtsanwalt

Schönheitssalonbesitzerin

Anpacken

Lagerarbeiter (arbeitssuchend)

Floristin

Landwirt (Schweinzüchter)

Metzgerin

Frei sein

Künstler

Musiker

Nebenberuflich im Empfehlungsmarketing

Leiter einer eigenen Nachhilfeschule

Fotomodell

Triathletin

Über den Autor

Einleitung

Arbeit. Schweiß, Arbeitszeiten, Schichten, Überleben, Selbstwert und Anerkennung, gesellschaftlicher Stand, Ansehen, Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten, Reichtum, Burnout und Boreout, Selbstentfaltung, Fremdbestimmung, Arbeitslosigkeit, Aus- und Weiterbildung, Wochenendbeziehung, Trennung, Familientradition, Praktika, Entlohnung, Urlaub und Arbeitszeiten, Produktivität, Humankapital ...

🙥🙧

Was taten die Leute, die die Pyramiden bauten?

🙤🙦

Arbeit. Ein Wort und unzählige Assoziationen. Wie würden Sie einem jungen Menschen näherbringen, was es bedeutet, zu arbeiten? Ganz unabhängig davon, um welchem Beruf es sich handelt? Was denken Menschen den ganzen Tag, wenn sie arbeiten? Wie erleben Menschen der unterschiedlichsten Berufe ihre Arbeit? Welche Auswirkungen hat der Beruf auf das Privatleben jedes Einzelnen?

Arbeit kann gesund und Arbeit kann krank machen. Für manche Menschen ist es bereits ein Erfolg, jeden einzelnen Tag überstanden zu haben. Andere können von ihrem Job gar nicht genug bekommen. Berufsentscheidungen und auch die Möglichkeiten der freien Berufswahl scheinen also eng mit der späteren Lebensqualität und empfundenem Schicksal zusammenzuhängen.

Arbeit ist zeitlos, denn es gab schon immer Arbeit und es wird sie immer geben. Doch was ist Arbeit? Die Spanne aller beeinflussenden Faktoren für eine genaue Definition der Arbeit ist riesig: Ist Arbeit nur mit Gelderwerb verbunden? Was wäre dann aber mit all den Menschen, die immer noch vielerorts auf dieser Welt zu Arbeit gezwungen werden? Ist es noch Arbeit, wenn Menschen ihren Beruf als Hobby bezeichnen? Und wie steht es mit der Haushaltsführung, Kindererziehung oder Pflege eines geliebten Verwandten? Noch immer kaum in der Gesellschaft wahrgenommen, sind auch diese unentgeltlichen Tätigkeiten gewiss als Arbeit zu bezeichnen.

Wir neigen dazu, jeder Arbeit einen Namen zu geben. Dieser Name, auch Beruf genannt, vereinfacht einerseits die Kommunikation miteinander, wenn Sie gefragt werden, welcher Arbeit Sie nachgehen. Er gibt andererseits die Möglichkeit, sich selbst mit etwas zu identifizieren. Ihre Antwort auf die Frage nach Ihrem Beruf könnte lauten: „Ich bin Bäcker“. Erfahrungsgemäß antworten weitaus weniger Menschen mit „Ich arbeite als Bäcker“. Das bin suggeriert dabei eine tiefe Identifikation über den Beruf hinaus. Wenn aber eine Prostituierte sagt, sie sei Prostituierte, ist sie dann auch wirklich aus ihrem Herzen heraus Prostituierte? Wenn das so wäre, müsste sie entweder mit einem Aufkleber „Prostituierte“ auf der Stirn zur Welt gekommen sein oder aber sie erkannte den Beruf als ihre Berufung. Berufung ist ein mächtiges Wort! Wohl denen, die ihre Berufung erkannten und damit nun ihren Lebensunterhalt verdienen. Wahrscheinlicher mag jedoch im Falle des ältesten Gewerbes der Welt sein, dass die Frauen nur aus Gründen des Geldverdienens den Job tun und nun das Beste daraus machen. Eine Berufung zeigte sich in den geführten Interviews eher bei Berufen, in denen Ideale ausgelebt werden, so etwa beim Beruf des Mönches und auch des Pfarrers. Doch was sind andere Motive, einen Beruf zu wählen oder sich gar damit zu identifizieren? Neben der Freude an der Arbeit spielen auch gesellschaftliches Ansehen, Anerkennung durch eigene Leistungen oder schlicht Gewöhnung durch jahrelanges Ausüben einer Tätigkeit eine Rolle.

🙥🙧

„Ich bin Metzger – was bist du?“

🙤🙦

🙥🙧

„Wo arbeitet dein Vater?“

🙤🙦

Menschen vergleichen sich gerne miteinander. Damit entsteht die Frage der Wertigkeit eines Berufs. Welcher ist höher angesehen? Welcher besser? Selbst wenn wir uns an dieser Stelle philosophische Ergüsse über die Wörter höher und besser ersparen, so ist deutlich, dass die Frage von Wertigkeiten ein subjektives Empfinden und damit kaum pauschal zu beantworten ist. Denken wir an Damen (immer öfter auch Herren), die Toiletten sauber halten – Toilettenfrauen. Das gesellschaftliche Ansehen dieses Berufs ist wohl niedriger als das eines Arztes anzusetzen. Ist nun aber auch der Job generell schlechter? In einem kurzen Gespräch mit einer Toilettenfrau eines Einkaufszentrums fragte ich nach ihrer Zufriedenheit. Die Antwort war überzeugend, weil bestimmt, spontan und auch inhaltlich klar: „Ich kann mir keine bessere Arbeit vorstellen. Ich kann selbstständig arbeiten, werde nicht laufend von meinem Chef kontrolliert, habe geregelte Arbeitszeiten und einen regelmäßigen Lohn. Das war in meinen früheren Arbeiten nicht so.“ Ein anderes Beispiel: Wie viele Menschen wollen auf dem Friedhof arbeiten und als Totengräber die Sarglöcher buddeln und später wieder auffüllen? Der hier interviewte Friedhofsangestellte schwärmt jedoch von seiner Arbeit: „Es ist solch eine Wohltat, jeden Tag die schöne Natur des Friedhofs genießen zu dürfen. Ich bin voll zufrieden.“

Bei der Wahl des Berufs beziehungsweise der Berufszufriedenheit scheinen also für viele Menschen vor allem die Rahmenbedingungen eine große Rolle zu spielen, gar nicht so sehr die Tätigkeit selbst. Doch kennen wir nicht alle Aussprüche wie „Such dir einen gescheiten Job“ oder „Such dir einen Job, der sicher ist“? Was ist nun aber gescheit in einer Welt, in der sich Rahmenbedingungen laufend verändern und damit auch Sicherheiten? Globaler Wettbewerbsdruck, technischer Fortschritt, politische Entscheidungen oder auch wilde Spekulationen auf den Weltmärkten tragen zu ständiger Dynamik bei. Auch der Einfluss der Rechtsformen von Unternehmen ist bei der Frage nach Beständigkeit nicht zu unterschätzen: Aktiengesellschaften sind im Gegensatz zu Personengesellschaften in aller Regel in der Hand unzähliger Investoren und dienen dem einzigen Zweck, die (meist kurzfristigen) Gewinne zu maximieren und Kosten zu minimieren. Weil Humankapital aber in der Regel nicht nur das Wichtigste, sondern meist auch das teuerste Kapital eines Unternehmens ist, ist Stellenabbau für Investoren die weitaus wahrscheinlichere Option als Sicherheiten für Arbeitnehmer zu garantieren.

🙥🙧

Welche Grund-bedürfnisse befriedigstdu?

🙤🙦

Wie auch immer die Realität aussieht, das vom bekannten Psychologen Abraham Maslow beschriebene Grundbedürfnis des Menschen, das Bedürfnis nach Sicherheit, scheint eine wichtige Rolle bei der Berufswahl zu spielen. Zwar eine weniger wichtige als physiologische Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken, Schlafen und Gesundheit, jedoch eine weit größere Rolle als soziale Anerkennung oder gar Selbstverwirklichung. Aus diesem Grunde scheinen Berufsentscheidungen meist nur dann von einer ganz bestimmten Tätigkeit abhängig gemacht zu werden, wenn die das Physiologische betreffenden Rahmenbedingungen wie Einkommen, Arbeitszeiten, Regelung im Krankheitsfall oder Urlaub ausreichend befriedigt sind. Ist demnach die Wahlfreiheit eines Berufs also nur Luxus? Aus einer Notsituation heraus betrachtet sicherlich. Auch aus dem Blickwinkel einer Welt ohne Gefühl. Wir sind aber eine lebendige Gesellschaft, die Kreativität honoriert. Einerseits, weil wir im globalen Wettbewerb technischen Fortschritt benötigen, und andererseits, weil Menschen von neuen Produkten oder qualitativ hochwertigen sowie ansprechenden Dienstleistungen angetan sind. Der Ursprung für solche Angebote liegt im Erfindergeist sowie der Freude und Begeisterung an der Arbeit, was unseren Blick auf die zentrale Bedeutung der Berufswahl im Hinblick auf individuelle Fähigkeiten und innere Motivation lenkt. Mit anderen Worten: Berufswahl ist kein Luxus, sondern ein gewinnbringender Grundpfeiler unserer Gesellschaft, in der jeder im günstigsten Falle genau das tun kann, was sie oder er am besten kann oder machen will.

Die Berufswahl oder berufliche Umorientierung wird jedoch bei der Vielzahl der heutigen Berufe zu einer riesigen Herausforderung: Mit Fleiß ist es sicherlich zu erreichen, über die Berufsinformationszentren eine Übersicht über die unterschiedlichen Tätigkeiten zu bekommen, nicht jedoch reale Einblicke, denn persönliche Erfahrungen schlagen sich in reinen Berufsbeschreibungen nur selten nieder. Hier kommen Praktika ins Spiel und sind eine tolle Möglichkeit, lebensnah in eine kleine Auswahl von Berufen hineinzuschnuppern. Leider sind aber mehr als zwei oder drei Praktika für die meisten Berufssuchenden kaum realistisch.

Hier liegt für mich eine Motivation für dieses Buch: ich möchte greifbare Erfahrungsberichte aus der Berufs- und Arbeitswelt anbieten, die so niedergeschrieben sind, als ob die interviewten Personen sie selbst verfasst hätten. Vollständigkeit kann eine Sammlung solcher Berufsgeschichten zwar nicht bieten, dafür aber einhundert Prozent persönliche Erfahrungswerte. Und dies führt mich zur weiteren Motivation für dieses Buch. Das subjektive Erleben der interviewten Personen zeigt einen kleinen Querschnitt durch die heutige Gesellschaft: Wie wird Arbeit erlebt? Wie können Berufswege verlaufen? Welche Möglichkeiten der Gestaltung eigener Arbeit gibt es? Wie wird die Zusammenarbeit zwischen Kollegen oder Vorgesetzten, Kunden, Lieferanten etc. wahrgenommen? Was ist die richtige Ausbildung? Wie sehen Selbstständige die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen? Wie sehen Arbeitnehmer ihre Chancen? Welche Veränderungen in Bezug auf Arbeit oder Kaufkraft gibt es im Vergleich zu früher? Wie steht es mit der Gleichberechtigung? Wenn Menschen von ihrem Beruf erzählen, ist es unvermeidbar, dass ihre Meinung, ihre Zufriedenheit oder ihr Gefühlsleben mittransportiert werden. Was liegt demzufolge näher, als einer Auswahl von Leuten ein Forum zu bieten und ihre Aussagen in Form von gut lesbaren Interviews festzuhalten?

Das Projekt war also klar. Nur ist jedes Buch durch eine bestimmte Seitenzahl begrenzt und demnach auch die Anzahl der Interviews. Daher entwarf ich eine Liste von Berufen, die meiner Einschätzung nach eine gute Mischung aus verschiedensten Bereichen mit den unterschiedlichsten Arbeitsbedingungen sein würden. Bei der Recherche nach Interviewpartnern kristallisierte sich eine schöne Mixtur aus drei Variationen heraus: Einerseits suchte ich klassisch im Telefonbuch, Branchenbuch oder Internet nach passenden Unternehmen. Ich rief dort an oder suchte direkt vor Ort nach geeigneten Ansprechpersonen für einen Interviewtermin. Ein weiterer Weg war, Bekannte oder Menschen, mit denen ich flüchtig in Kontakt gekommen war, nach möglichen Stelleninhabern von bestimmten Berufen zu fragen. Die dritte Quelle, dies war mein mächtiger Joker, waren zufällige Begegnungen mit Erwerbstätigen, die ich aufgrund ihrer Persönlichkeit oder ihrer Lebensgeschichte für das Buchvorhaben als Bereicherung empfand.

Manchmal war es leicht, Termine zu bekommen, manchmal war dies mit einigen Herausforderungen verbunden: In einigen Fällen musste ich mir die Genehmigung des Vorgesetzten einholen, was an sich nur eine Formalie war. Im Falle eines Interviews mit einem Briefträger verschärfte sich die Lage hingegen sehr, weil ich von höchster Pressestelle des Unternehmens die Auflage bekam, die aus dem Interview entstandene Berufsgeschichte dort zensieren zu lassen. Weil ein offenes und ehrliches Interview unter dieser Voraussetzung nicht möglich gewesen wäre, entschloss ich mich selbstredend ganz dagegen.

🙥🙧

Projektdurchführung

🙤🙦

Diese Erfahrung und die Tatsache, dass mir die Persönlichkeit des Einzelnen wichtig ist, war auch der Grund, warum alle Interviews anonym veröffentlicht werden. Die Interviews wurden bis auf wenige Ausnahmen persönlich am Arbeitsplatz oder Zuhause geführt, damit ich nicht nur einen Eindruck von der Person, sondern auch von der Umgebung bekam. Ich bin davon überzeugt, dass die Atmosphäre der Gesprächsorte den Verlauf der Interviews in Bezug auf die Dynamik beeinflusste. Die Gesprächsführung war so wenig direktiv wie möglich, wodurch kein typisches Frage-Antwort-Interview entstand. Das Ziel war, eine vertrauenerweckende Atmosphäre zu schaffen, in der sich jedes Gespräch, fern von Standardisierung, in eine eigene Richtung entwickeln konnte. Fragen meinerseits waren nur zum geringen Teil im Voraus bestimmt, sondern sollten sich intuitiv im Zuge des Gesprächs entwickeln. Meine Neugier, wertschätzende Haltung und das Angebot eines Raums zum Aussprechen von Gedanken, die eventuell sonst nur wenig Beachtung finden, waren die Grundvariablen, die ich zum Gespräch beisteuerte.

Zu Beginn des Projektzeitraums von sechs Jahren, in dem ich mich nebenberuflich den Interviews widmete, startete ich die Aufnahmen mit einem Diktiergerät der neunziger Jahre, das mit herkömmlichen Musikkassetten funktioniert. Dadurch hatte das Gerät nicht nur die Größe der Walkmans der achtziger Jahre, es gab mir durch die Kassettenlänge auch automatisch eine Richtschnur für die Interviews: Ein Gespräch sollte eine Kassettenseite lang, also maximal fünfundvierzig Minuten, dauern, was allerdings des Gesprächsflusses wegen nicht immer möglich war und daher die Zeit öfters überzogen wurde. Am Computer wurden später alle Aufnahmen digitalisiert, um sie zum Zwecke der Transkription und Speicherung komfortabler nutzen zu können. Weil der nachträgliche Digitalisierungsprozess jedoch auf die Dauer zu umständlich war, passte ich mich dem technischen Wandel an und führte meine letzten Gespräche mit Hilfe eines digitalen (und damit weitaus kleineren) Diktiergeräts durch.

Geplant war, die Gespräche fast im gleichen Wortlaut wie in der mündlichen Rede abzudrucken, um den Redestil der interviewten Personen sowie ihre Ausdrucksformen einschließlich Umgangssprache und Dialekt authentisch wiederzugeben, und so zur Veranschaulichung ihrer Persönlichkeitsstruktur beizutragen. Es bewahrheitete sich jedoch schnell die Binsenweisheit, dass die gesprochene Sprache nichts mit der geschriebenen gemein hat. Um Ihnen als Leser gut lesbare Berufsgeschichten vorzulegen, bedurfte es intensiver Nacharbeit an den Texten. Alles in allem versuchte ich jedoch, das Gesprochene ohne Informationsverlust und bewertungslos in eine leicht lesbare Sprache zu bringen.

Die Berufsgeschichten bestätigten eine Vermutung: Der strebsame, gerade Weg zur Berufsfindung ist die absolute Ausnahme. Es scheint vielmehr für die Mehrheit gängig zu sein, früher oder später durch einen persönlichen, manchmal zeitaufwendigen, wenngleich im Nachhinein meist heilsamen, Findungsprozess gehen zu müssen. Oft scheint er für Außenstehende nicht nachvollziehbar oder wird von manch konservativem Unternehmen nicht toleriert, weil bei Bewerbungen in aller Regel nur „saubere“ und gerade Lebensläufe Beachtung finden. Auch von den betroffenen Menschen wird der persönliche Findungsprozess häufig als nicht hinnehmbar akzeptiert. Die dahinter liegende Sinnhaftigkeit für den Lebenslauf erkennt man jedoch meist erst im Nachhinein. Hierbei kommt dann die Frage auf, ob nicht doch der Weg das Ziel sei?

Auch wenn die Berufsgeschichten in diesem Buch auf viele andere westliche Industrieländer übertragbar sind, so sind sie es nicht auf geringfügig industrialisierte Staaten mit anderen Gesellschaftsformen. Arbeitsbedingungen, die in Deutschland als besonders hart gelten, würden mitunter von vielen Menschen in weitaus ärmeren Ländern als traumhaft bezeichnet werden. Ein Beispiel? Der Arbeiter von den Fidschi-Inseln, der seine Familie nur alle zwei Jahre für einen kurzen Urlaub sehen kann, ansonsten täglich von früh bis spät barfuß in fernen Stahlfabriken Asiens arbeitet, deren Arbeitsbedingungen oft als katastrophal bezeichnet werden müssen. Dieser muss als Folge unzureichender Arbeitssicherheit eventuell eine beträchtliche Lebenszeitverkürzung1 hinnehmen, die mit keinem Geld der Welt aufgewogen werden kann. Schon gar nicht mit Löhnen, die geradezu so eine ärmliche Existenz in Abhängigkeit sichern: Unzählige Arbeitgeber zahlen dermaßen wenig Lohn, dass Arbeitnehmer, unabhängig von der Schwere ihrer Arbeit, es nicht schaffen, Geld zu sparen. Dies macht es unmöglich, die Arbeit aufzugeben, um in einer neuen ein selbstbestimmteres Leben führen zu können. Moderne Sklavenhaltung?

Jedoch: Kann man Länder so einfach vergleichen? Auch in unserem Land gibt es neben Überfluss, Lebensfreude und dem Luxus der Selbstentfaltung natürlich Armut, Schmerz, Abhängigkeiten und persönliche Schicksale, die immer wieder ihren Ursprung entweder in der Arbeit oder Arbeitslosigkeit haben. Härte und Entmenschlichung sind in hoch technologisierten Industrieländern durch auslösende Faktoren wie Funktionalisierung, Mechanisierung, Automatisierung, Abstraktion und Zeitdruck oft nur nicht so deutlich sichtbar wie beispielsweise körperliche Schwerarbeit. So, wie die Faktoren andere sind, so sind es auch die daraus resultierenden Symptome: In den gängigen Statistiken zur Berufsunfähigkeit werden hierzulande gleich nach den Erkrankungen an Wirbelsäule, Knochen, Gelenken und Muskeln die Erkrankungen der Psyche sowie Herz- und Gefäßerkrankungen aufgeführt.

Deutschland nimmt sogar eine Sonderrolle ein: Nach Angaben der OECD ist in Deutschland die Zahl der Erwerbsunfähigen mit psychischen Erkrankungen in den vergangenen zwanzig Jahren so schnell gestiegen wie in keinem anderen OECD-Land2. Laut der Studie Arbeiten 2023 fürchtet 61 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland wegen Überlastung zu erkranken3.

Dieses Buch versucht, auf anregende wie auch unterhaltsame Art und Weise eine Momentaufnahme über das Arbeiten in Deutschland mit all seinen Rahmenbedingungen – gesellschaftlich, ökonomisch und politisch – zu geben. Viele Aussagen der Menschen, die hier berichten, berühren Themen, denen ich immer wieder in alltäglichen Gesprächen begegne. Keine Aussage ist erfunden. Jede Äußerung wahrheitsgetreu.

Die Berufsgeschichten sollen Sie zum Schmökern einladen, indem Sie anderen Menschen bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen können, und erfahren, was diese den ganzen Tag so tun und wie sie ihren Berufsalltag erleben.

Eventuell kann ich mit diesem Buch sogar einen Beitrag zu der Beantwortung der eingangs aufgeworfenen Frage leisten, was „Arbeit“ bedeuten kann.

Ihnen wünsche ich von Herzen ein erfülltes Berufsleben!

Nick Messerli

Begleitende Weggefährten

Hebamme

Hebamme ist ein echter Frauenberuf – von Frauen für Frauen. Dieser Berufsstand hat für werdende Mütter eine wichtige Rolle, was sich auch dadurch zeigt, dass in manchen Kulturen hohe Ausgangsvoraussetzungen an Ausübende dieses Berufs gestellt werden. Die hier erzählende Hebamme zeigt auf, wie sie sich erst über Umwege für den Beruf entschieden hat, welche Sichtweisen viele Hebammen im Vergleich zu Ärzten/-innen vertreten und wie gesellschaftliche Trends die Schwangerschaft und Geburt beeinflussen. Des Weiteren gibt sie hier Einblicke in persönliche Erklärungsversuche bezüglich der steigenden Rate an Kaiserschnitt-Geburten.

Sie ist Mitte vierzig, verheiratet, hat zwei fast erwachsene Kinder und ist seit achtzehn Jahren als Hebamme tätig. Das Gespräch findet morgens um neun Uhr vor ihrem ersten Hausbesuch in ihrer Wohnung statt, die mit warmen Rottönen eingerichtet und in ruhiger Lage gelegen ist. Es springt eine junge Katze umher, die während des Gesprächs verspielt die Welt entdeckt.

Mein Weg zum Beruf der Hebamme war kein geradliniger. Bevor ich mich dazu entschied, war ich eine Zeit lang an der Uni und studierte Pädagogik, wo ich auch meinen Mann kennenlernte. Im fünften Semester brach ich aber mein Studium ab, da ich damals meinte, ich müsse etwas Bodenständigeres lernen. So begann ich eine Lehre im Bereich der Landwirtschaft und ging neben der praktischen Arbeit begleitend auf die Berufsschule. Ich arbeitete etwa ein dreiviertel Jahr auf einem biologischen Bauernhof in einem Nachbarort. Ein sehr prägnantes familiäres Ereignis führte mir später vor Augen, dass ich finanziell auf eigenen Beinen stehen sollte und in der Landwirtschaft dazu nicht genug Geld verdienen könne. Man ist nämlich als Landwirt nur dann ohne finanzielle Probleme, wenn man einen eigenen Hof hat. Da aber mein Mann schließlich Pädagogik studierte und keinen Hof besitzt, erkannte ich, dass auch dieser Tätigkeitsbereich nichts für mich sei.

Schon als Studentin arbeitete ich in der Nachtwache eines Krankenhauses und meine Mutter ist Krankenschwester, weshalb ich mir recht sicher war, dass ich diesen Beruf gut ausüben könne. Zudem hatte ich gemerkt, dass ich einen Drang zur Selbständigkeit hatte und mir diese Möglichkeit durch den Beruf der Hebamme auch offenstehen würde. Es war nicht einfach, den entsprechenden Ausbildungsplatz zu organisieren, da es für zweitausend Bewerberinnen nur fünfzehn Ausbildungsplätze gab. Dennoch hatte ich das Glück, durch meine Erfahrung und Bekanntschaften in dem von mir präferierten Krankenhaus eine Ausbildungsstelle zu bekommen Letztendlich bin ich also eher über Umwege in diesen Beruf hineingerutscht, wobei ich Viele kenne, die schon von Kindesbeinen an Hebamme werden wollten.

Mein Schwerpunkt liegt derzeit nicht in der Geburtshilfe, sondern bei den Hausbesuchen und den geburtsvorbereitenden und schwangerschaftsbegleitenden Gesprächen. Daher fühle ich mich momentan eher als Therapeutin. Es findet viel mehr das Gespräch mit Frauen statt, die kaum noch eine Ahnung haben von dem, was auf sie zukommt und die von der Kindererziehung oft nur noch aus irgendwelchen Büchern Halbwissen mitbringen. Das liegt auch daran, dass es bei uns in Deutschland keine Großfamilien mehr gibt, in denen alle Familienmitglieder für die Neugeborenen und Kinder mit sorgen. Heute bringen Eltern ein oder zwei Kinder in kurzem Abstand zur Welt, auf die dann einige ganze Zeit lang keine Kinder folgen, bis dann lange Zeit später durch die Kinder ihrer Kinder die nächsten in die Welt gesetzt werden. Es entsteht eine große zeitliche Lücke und niemand weiß mehr, wie man mit Kindern richtig umgeht. Es gibt zum Glück auch manche Frauen, die genau Bescheid wissen und es nur noch meine Aufgabe ist, sie bewundernd zu begleiten und ihnen zu sagen, dass sie ihre Arbeit gut machen. Wenn ich nur negative Erlebnisse in meinem Beruf hätte, würde ich ihn wohl auch nicht mehr ausüben. Ich wäre frustriert und hätte keine Lust mehr. Zum Glück gibt es aber noch die Frauen, die einen guten Willen zeigen und ihr Wissen und Können auch weitergeben wollen.

Arbeit mit werdenden Müttern

An meinem Beruf finde ich gut, dass er eine große soziale Komponente hat, ich viel menschliche Nähe erfahre und, dass es ein sehr anstrengender Beruf ist. Letzteres hat nämlich zwei Seiten: Die Anstrengung macht den Beruf zwar einerseits sehr schwer, andererseits macht sie aber auch einen Reiz aus. Insgesamt ist es dennoch sehr herausfordernd, denn an Tagen, an denen ich schlecht gelaunt bin, würde ich am liebsten nur Büroarbeit verrichten und mit niemandem reden. Die Hilfestellung für andere Menschen ist aber ein Hauptbestandteil meines Berufes, sodass das Ansprechende meines Berufes, mit Menschen, um für Menschen zu arbeiten auch immer mit Einschränkungen verbunden ist. Ich kriege aber oft ein gutes Feedback und das hält mich gewissermaßen bei der Stange. Es ist schön, seinen Erfolg oder Misserfolg bei der Arbeit direkt beobachten zu können.

Die meisten Menschen fliehen vor dem Älterwerden und somit auch vor der Phase, in der Kinder in das Leben eines Menschen treten können. Paare lernen sich kennen und planen dann meist die Kindererziehung auf lange Sicht in ihr Leben ein. Die meisten Frauen, die in meinen Geburtsvorbereitungskurs kommen, befinden sich in der Regel gerade in einer Hochphase der Beziehung mit Ihrem Partner. Für sie ist dann die Schwangerschaft eine sehr schöne Zeit und es stellt für sie und ihre Partner eine Art Wende- beziehungsweise Hochpunkt im Leben dar. Sogar für die, die schon das zweite Mal eine Geburt durchmachen, ist es jedes Mal ein einmaliges Erlebnis. Es gibt aber auch diejenigen, die mit ihrer Situation unglücklich sind, und diese bekomme ich in meinen Vorbereitungskursen gar nicht zu Gesicht, sondern erst später bei der Geburt. Es ist dann spannend daran zu arbeiten, dass auch sie wieder die Kurve kriegen und glücklicher werden.

Wenn ich Praktikantinnen habe, geben sie mir als Grund für den Hebammenberuf häufig an, dass sie Babys so süß finden. Ich warne diese jungen Mädchen davor, den Beruf unter diesem Gesichtspunkt zu wählen, weil man am meisten eine Zuneigung zu den Frauen haben sollte. Eine bekannte Hebamme hat mal auf einem Seminar gesagt, dass, wenn Hebammen die Kinder lieben wollen, sie die Frauen lieben müssen. Dieser Satz trifft genau ins Schwarze. Wenn ich nämlich als Hebamme nur die Babys liebe und nicht auf die Frauen schaue, sollte ich lieber Kinderkrankenschwester werden. Als Hebamme habe ich bis zu dem Moment, an dem das Baby kommt, also in der Geburtsvorbereitung, nur mit Frau und Mann zu tun. Ich beziehe die Männer immer mit in den Prozess ein, weil sie genauso bedürftig sind wie die Frauen und sich häufig nicht zu helfen wüssten, wenn man sie außen vorließe. Die Männer haben eine enorme Rolle, weil sie die neue Familie versorgen müssen und nicht wissen, ob der Sex und der Alltag mit der Frau noch so bleibt wie vorher. Sie haben genauso Angst wie die Frau, aber nicht dieselbe hormonelle Unterstützung wie sie. Sie schweben ein wenig in der Luft und wissen nicht, wie sie handeln sollen. In erster Linie muss ich aber mit den Frauen arbeiten und sie lieben, was mir persönlich aber nicht schwerfällt.

Zu manchen Frauen, die ich betreue, würde ich, wenn ich sie auf der Straße träfe oder sie gar als Nachbarin hätte, keine enge Beziehung aufbauen wollen. In dem Moment aber, in dem sie schwanger sind, sind sie für mich alle gleich. Sie stellen viele Fragen und erscheinen mir daher bedürftig. Ich denke, dass jede Frau, die entweder schwanger ist oder einmal eine Schwangerschaft erlebt hat, mit einer schwangeren Frau einen starken gemeinsamen Nenner findet, egal, was diese Frauen sonst tun oder denken. Viele der Frauen, deren Geburt ich begleite, erkenne ich später auf der Straße gar nicht mehr und ihnen selbst ergeht es ähnlich. Schließlich verändert sich bei Frauen in der Schwangerschaft ihr Aussehen und viele Menschen merken daher Frauen ihre Schwangerschaft an, bevor diese es selber merken. Ich lerne die Frauen bereits als schwangere Frauen kennen und wenn sie später wieder in ihrem Beruf stehen und nicht mehr stillen, haben sie sich so stark verändert, dass ich sie auf den ersten Blick oft nicht mehr wiedererkenne.

Spagat zwischen Beruf und Fürsorge

Ich denke, dass sich die Wahrnehmung des Hebammenberufes in der Gesellschaft gerade verändert. Bis vor nicht allzu langer Zeit war es so, dass die Hebamme, nicht zuletzt durch die Fernsehmedien, immer nur als „Hebamme vom Land“ wahrgenommen wird, die ihr ganzes Leben für ihren Beruf hergibt und Tag und Nacht für Frauen bereitsteht. Häufig sind dies in den Medien ältere Hebammen, die voller Erfahrung sind und auch bereits einige Hausgeburten begleitet haben. Schaut man sich aber die Gesamtheit aller Hebammen in Deutschland und deren Arbeitsweise an, stellt man fest, dass die „Hebamme vom Land“ nur einen verschwindend geringen Teil ausmacht. Daher finde ich, dass dieses Bild der Hebamme, das durch das Fernsehen vermittelt und von den Menschen auch gerne gesehen wird, nicht repräsentativ und eine Wunschvorstellung in der Art einer alles umsorgenden Mutter ist. Wäre ich genauso ständig und allumsorgend für die werdenden und jungen Mütter da, müsste ich ein Übermensch sein. Das aber bin ich nicht, weil ich auch schon mal schlecht gelaunt bin und selbst eine eigene Familie habe. Gerade diese ständige Fürsorge ist aber eine der Wünsche, die ich von vielen Müttern wahrnehme. Das kommt wohl auch daher, dass Schwangere psychisch des Öfteren etwas wackelig sind und die Hormone verrücktspielen. Man befindet sich in einer Phase, die das gesamte Leben umstellt – was Männer oft nicht verstehen können.

Selten kennen Frau bereits in der Schwangerschaft viele andere Frauen, die das gleiche mitmachen oder gerade erst Kinder bekommen haben. Das Kinderkriegen ist nämlich nicht mehr wie früher eine Selbstverständlichkeit, wodurch es eben auch weniger schwangere Frauen gibt, mit denen man Austausch pflegen könne. Viele Frauen sind überdies aus beruflichen Gründen weit von ihren Eltern weggezogen und mitunter nicht mehr so gut in Gesellschaftskreise eingebunden oder gar etwas isoliert. Ein anderer Grund der Isolation ist, dass es in unserer Spaßgesellschaft verpönt ist, wenn man als Frau immer wieder über die eigene Schwangerschaft, das Kind, Symptome und Beschwerden spricht. Es ist also ein großes Kunststück, einerseits schwanger, andererseits aber als Frau interessant, schick und attraktiv zu sein. Womöglich sollen sie auch in dieser Zeit noch beruflich konkurrenzfähig bleiben – alles zusammen ist aber in einer Schwangerschaft nicht zu vereinbaren. Diese Tatsache erfordert von mir als Hebamme, den Frauen generell als Ansprechpartnerin beizustehen.

Gesellschaftliche Trends und die Rolle der Ärzte

Als grüne Stammwählerin stört es mich, dass die Familienpolitik in Deutschland einen „alten“ Touch hat. Das Mutter-Sein und Daheim-Bleiben ist dermaßen schlecht angesehen, dass schwangere Frauen einen Spagat leisten müssen – zwischen Kinderkriegen und möglichst schnell wieder in die Arbeit zurückzuwechseln. Es gibt zwar nicht so viele Frauen, die nach acht Wochen wieder arbeiten, aber es gibt dennoch einige, die es müssen. Viele Frauen stillen daher nur eine kurze Zeit und folglich wird auch die Bindung zu den Kindern geringer. Ich habe das Gefühl, dass diese Entwicklung wie ein Schlitten ist, den man kaum noch den Berg hinaufgezogen bekommt. Wenn die Eltern Abstände zu ihren Kindern aufbauen und sie nicht mehr richtig an sich binden, hat das für die Kinder meiner Meinung nach Folgeschäden in Form von späteren Bindungsstörungen. In Foren und Zeitschriften für Hebammen ist dies immer wieder ein weit diskutiertes Thema.

Ein wichtiges Thema ist dabei auch der Kaiserschnitt, welcher extrem zugenommen hat, weil Patientinnen ein immer größeres Bedürfnis haben, den Geburtsprozess kontrollieren zu wollen. Auch geht damit der Wunsch nach Einfachheit einher. Kind raus und weiter geht’s. Aber gerade der Prozess, sich auf die Geburt einzustellen und auch einzulassen unterstützt die Hormonausschüttung und gleichzeitig den Aufbau der Bindung zwischen Mutter und Kind. Eigentlich ist es doch wunderbar, dass die Geburt diese starke Bindung aufbaut, welche wir für unser späteres Leben brauchen. Letztendlich haben wir mit der Erziehung der Kinder eine lange Zeit vor uns, etwa fünfzehn bis zwanzig Jahre, und dafür ist es wichtig, dass man zunächst eng miteinander verbunden wird, damit man im Anschluss gemeinsam ein Leben führen kann. Dieses Binden ist aber für meine Begriffe viel schlechter möglich, wenn die Frauen schon zu Beginn ihren Kindern mit Distanz begegnen. Ich hatte neulich ein Gespräch mit einer Ärztin, die sagte, man könne es sich nach Belieben aussuchen, ob man einen Kaiserschnitt oder eine Entbindung durchführen will. Das darf eigentlich gar keine Frage sein! Wenn das Kind in normaler Schädellage liegt und es eigentlich keinen Grund gibt, einen Kaiserschnitt durchzuführen, dann darf man doch keine Wahlmöglichkeit haben – das ist ein riesiger Quatsch!

Der Trend, vor allen bei den jüngeren Frauen, ist, dass sie eine genaue Vorstellung davon haben, wie sie auf dem besten Weg ein „gesundes Kind“ erhalten. Viele Frauen planen in ihrem Leben sehr viel und sind damit mehr beschäftigt als mit allem anderen. Ärzte unterstützen diese Einstellung, weil sie durch Medikamente und Operationen bestimmte Dinge planbar machen, die eigentlich nicht planbar sind.

Mein Verhältnis zu Ärzten ist daher gemischt. Ich habe eine Freundin, eine Gynäkologin, mit der ich sehr gut befreundet bin. Von ihrer Meinung halte ich sehr viel und ich weiß, dass sie eine wunderbare Frauenärztin ist, die auch nicht vorschnell operiert. Von dieser Sorte gibt es aber nicht viele und es sind in der Regel mehr männliche Ärzte, die operationswütig sind. Das Operieren, so glaube ich, hat finanzielle Hintergründe, weil sie auf diese Weise einfach viel besser verdienen. Es wäre wohl etwas anderes, wenn die Krankenkassen pauschalisieren oder einen Stundensatz einführen würden, sodass Ärzte für Operationen das Gleiche bekämen wie wir für eine Entbindung. Denn dann würden sie sich genau überlegen, ob sie einen solch riesigen Aufwand so oft betreiben wollen. Im OP stehen etwa fünf Menschen, die alle bezahlt werden müssen, das heißt die Folgekosten einer OP sind enorm. Ich weiß von Ärzten, die bewusst falsche Indikationsmerkmale aufstellen, damit die Frauen einen Kaiserschnitt nicht bezahlen müssen, obwohl das laut Krankenkasse eigentlich nötig wäre. Sie erfinden einfach eine medizinische Indikation – das finde ich furchtbar. Im Übrigen rechnen Krankenkassen mit uns Hebammen pauschal ab, sodass wir pro Geburt immer gleichviel bekommen, egal, ob wir zwei oder fünfzehn Stunden neben der Frau sitzen.

Es sind heutzutage nicht mehr die Ärzte, die für Frauen eine beachtende Autorität darstellen und Orientierung geben. Akzente werden immer mehr von den Frauen aus der Musik- oder Filmindustrie gesetzt, die groß in der Presse verkünden, dass sie bei der Geburt ihres Kindes einen Wunschkaiserschnitt machen lassen. Das ist verrückt, aber es ist so. Man unterhält sich nicht mehr mit der Nachbarin über die Fragen der Schwangerschaft und der Kindererziehung, sondern man schaut in der Zeitung nach, wie es diese oder jene Schauspielerin macht. Es ist traurig zu sehen, wie sich diese orientierenden Frauen in eine Situation manövrieren, die sich langfristig auch auf die Kinder auswirkt. Auch müssen Frauen verstehen, dass sie sich weit von ihren Wurzeln entfernen, wenn sie mehr Abstand zu ihren Kindern möchten oder womöglich gar keine Kinder mehr haben wollen.

Ärzte und Hebammen können schnell in Kritik geraten. Unsere beiden Berufsgruppen müssen sich immer wieder gegen Anfechtungen und Anzeigen wehren, wobei Ärzte aufgrund ihrer Lobby und besserer Organisation dabei mehr Möglichkeiten haben. Ich war zum Glück von so etwas noch nicht betroffen, aber ich weiß von einer Kollegin, die eine Hausgeburt durchführte und die Eltern sie erst sehr spät riefen. Es kam zu Komplikationen und sie konnte erst spät helfen. Letztendlich starb später das Kind. Natürlicherweise hängt nun diese Sache auch an Ihrem Ruf.

Ich weiß auch von Krankenhäusern, in denen Hebammen aufgrund der Überlastung nicht gut arbeiten können, sodass es bei Zwischenfällen nicht nur an der Person, sondern auch an den Arbeitsbedingungen liegt. Eine Geburt im Kreißsaal gilt allgemein als sicher, obwohl sich dort auch viele Zwischenfälle ereignen. Ich weiß aus Hebammenforen, dass die Geburtshilfe zu Hause sogar sicherer ist als im Krankenhaus, dies aber nicht wahrgenommen wird, da die Presse dies nicht bekannt macht, obwohl es riesige Untersuchungen zu diesem Thema gibt, zum Beispiel aus Amerika.

Das faszinierende Geburtserlebnis

In unserer Kultur wird man immer als Hebamme eingestellt, egal, ob man einer Religion angehört oder nicht. Aber es gibt auch Kulturen, in denen man nur dann Hebamme werden darf, wenn die Leute glauben, dass die Hebamme eine Beziehung zu einer höheren Macht hat. Ich bin gläubig, auch wenn ich nicht aktiv religiös bin, und ich denke daher ebenfalls, dass man als Hebamme einen Bezug zu „den höheren Mächten“ haben muss, weil nicht alles bei der Geburt steuerbar ist. Auch bei einem Kaiserschnitt kann nicht alles kontrolliert werden und es kann immer etwas Unerwartetes auftreten, weil eine Geburt von extrem vielen Faktoren beeinflusst wird. So weiß man beispielsweise bis heute nicht, warum eine Geburt an einem bestimmten Tag beginnt und nicht am vorherigen, an dem genau die gleichen Bedingungen herrschten. Weil die Geburt viel Unerklärliches mit sich bringt, gibt es daher schon religiöse Aspekte in meinem Beruf und ich denke, dass man den Glauben bei den meisten Hebammen findet.

Der schönste Augenblick der Schwangerschaft ist sicherlich die Geburt selber. Ich glaube sogar, dass dies der schönste Augenblick im ganzen Leben ist. In den Jahren, in denen ich selbst im Krankenhaus noch Geburtshilfe leistete, erlebte ich die Schönheit des Augenblicks jedes Mal auf Neue. Es gibt wohl Kolleginnen, die dagegen aus persönlichen Gründen abgestumpft sind, was mich immer ein wenig stört. Solange sie aber routiniert arbeiten und den Frauen Hilfe leisten, ist das für mich in Ordnung. Ich jedenfalls bin in den Momenten einer Geburt heftig gefühlsmäßig involviert, weil sich in so einem Moment alle anwesenden Personen in den Armen liegen, auch wenn das nicht immer und bei jeder Geburt der Fall ist. Es ist, als ob die Frau einen Olympiasieg erringen würde, bei dem sich alle Personen im Stadion mitfreuen.

Schreiende und glückliche Kinder

Nicht alle Kinder sind gleich, denn es gibt solche, die durch genetische Veranlagung bereits ruhiger und schneller zufrieden sind. Dann gibt es auch Kinder, die unruhiger und motorisch wilder sind und wenn sie dann obendrein noch ein schweres Geburtserlebnis hinter sich haben, dass sie nicht leicht verarbeiten können, dann äußern sie ihr Problem durch Schreien. Das eigentliche Problem ist die Umgangsweise damit. Eine Frau kann dabei verrückt werden. Sie möchte, dass das Kind glücklich ist, schafft es aber nicht, was sie in den Wahnsinn treibt. Wenn die Kinder keinen Hunger mehr haben, schreien sie sogar an der Brust, weshalb man sie dann eher eine Zeit lang tragen sollte, damit sie nicht mehr schreien. Vielleicht hilft es auch, sie eine Weile hinzulegen und ihnen einfach nur gut zuzureden. Es gibt Eltern, die das Problem ihres Kindes herausfinden können, indem sie versuchen, die Babysprache zu erlernen. Viele Eltern sind jedoch ganz hilflos und wundern sich zum Beispiel, warum ihr Kind immer noch schreit, obwohl es zuvor doch erst zu trinken bekam. Sie können sich nicht vorstellen, dass ihr Kind einfach nur deswegen schreien kann, weil es etwa Blähungen hat, träumt oder eine Geburtssequenz noch einmal durchlebt. In solchen Fällen schlafen Kinder nicht richtig, sondern schrecken bei der kleinsten Bewegung hoch. Obwohl man sie gewickelt und ernährt hat, kommen sie einfach nicht zur Ruhe. Das heißt, es ist niemals möglich, ein Kind mit völliger Sicherheit zur Ruhe zu bringen.

Ich fände es zu hoch gegriffen, zu behaupten, dass man schon bei der Geburt des Kindes gewisse Charaktereigenschaften erkennen könne. Ich würde aus dem Verhalten der Kinder eher Rückschlüsse auf die Art der Geburt ziehen. Obwohl – vielleicht kann man etwas erkennen, dass bestimmte Kinder schon von Geburt an ruhiger oder energischer sind. Auf keinen Fall aber sollte man diese Gedanken dem Kind mitteilen und es somit schon auf eine bestimmte Richtung festschreiben. Insgesamt stelle ich fest, dass Mutter und Kind häufig in ihrem Verhalten sehr gut zueinander passen. Es kommt selten vor, dass eine sehr laute Mutter ein ganz stilles Kind bei sich hat oder umgekehrt.

Hebamme als Frauenberuf

Der Beruf der Hebamme ist eine Domäne der Frauen und ein Mann, der die Arbeit des sogenannten Entbindungspflegers ausführen wollte, würde sich auf eine unvernünftige Emanzipation einlassen. Ich finde es absolut an den Haaren herbeigezogen, so etwas zu versuchen. Man stelle sich vor, eine türkische Frau betritt einen Kreißsaal, bei der sowieso niemand anders bei der Geburt dabei sein darf, und die einzige Fachperson dort ist ein Entbindungspfleger. Wenn dann noch der Gynäkologe und ihr Ehemann hinzukommen, wäre diese Frau bei ihrer Entbindung nur noch von drei Männern umgeben– das fände ich schrecklich. Kein Mann kann sich vorstellen, was so etwas für eine Frau bedeutet. Sogar Hebammen, die selbst nie Kinder bekommen haben und diese hormonelle Situation nicht nachempfinden können, haben aber zumindest einen Zyklus, kennen Frauenbeschwerden und können die Probleme bei einer Geburt eher verstehen als Männer. Es ist eben so, dass kein Mann nachempfinden kann, wie sich eine Scheide anfühlt oder sich vorstellen kann, wie stark sie gedehnt wird, wenn das Kind zur Welt kommt. Wie soll also ein Entbindungspfleger bei einer Geburt in allerbester Weise helfen? Ich möchte nicht abstreiten, dass er einfühlsam und hilfreich sein kann, aber die Geburt ist etwas so Intimes, dass sich die Frau bei einem Mann in Form eines Entbindungspflegers nicht so wohl fühlen würde. Es ist ganz einfach eine reine Frauensache.

Interessant ist die Tatsache, dass es so viele Männer unter den Gynäkologen gibt. Ich denke schon, dass unter ihnen eine ganze Menge Voyeure sind. Ich meine das nicht bösartig und es sind auch nicht alle unter ihnen, aber es gibt sie auf jeden Fall. Ich finde, dass der Beruf des Gynäkologen sehr stark mit Macht verbunden ist – als Frau öffnet man sich im wahrsten Sinne des Wortes und kann sich dabei ausgeliefert fühlen. Mittlerweile gibt es auch viele Frauenärztinnen, weswegen ich mich wundere, wie viele Frauen dennoch zu Frauenärzten gehen und mit welcher Selbstverständlichkeit sie dies tun. Ich glaube, dass dabei generelle Mann-Frau-Beziehungsmuster mitspielten und sicherlich auch hin und wieder ein Stück weit Erotik im Spiel ist. So tritt der Frauenarzt dann meist wohl unbewusst als Partnerfigur auf. Häufig ist es auch so, dass der Frauenarzt für die Frauen eine Art Vaterfigur ist. Wenn Frauen aber schwanger sind und absolute Frauenprobleme durchmachen, fühlen sie sich beim männlichen Arzt eventuell verloren. Spätestens dann suchen sie in der Regel nach einer weiblichen Ansprechpartnerin.

Fahrlehrer

Jeder deutsche Führerscheininhaber hatte automatisch einmal Kontakt mit einer Fahrschule. Auch später bleiben Fahrschulen in unserem Blickfeld. So sehen wir regelmäßig Fahrschulwagen, die mitunter langsam vor uns herfahren oder den Verkehr etwas behindern. Aber wie nehmen Fahrlehrer den Verkehr und das Fahrverhalten anderer Verkehrsteilnehmer wahr? Wie ist es, als Fahrlehrer meist junge Menschen auf den Führerschein vorzubereiten und wie macht man sich dabei einen guten Ruf? Wo liegen die Vorteile und Belastungen dieses Berufs?

Dieser Fahrlehrer besitzt eine eigene Fahrschule, ist Mitte sechzig, verheiratet und hat zwei Kinder. Er arbeitet in diesem Beruf bereits seit vierzig Jahren und bildet alle Führerscheinklassen aus. Das Gespräch findet in den Räumlichkeiten der Fahrschule statt, wo sonst abends Fahrschüler sitzen und vom Fahrlehrer im Theorieunterricht auf gesetzliche Vorschriften des Straßenverkehrs vorbereitet werden.

Ich habe 1962 die Prüfung zum Fahrlehrer gemacht. Mein Vater hatte früher auch eine Fahrschule, die auch schon seit 1932 besteht. Mein Vater hat mich irgendwann gefragt, ob ich nicht die Fahrlehrerprüfung machen möchte, damit ich ihm in der Freizeit aushelfen könnte. Daraufhin habe ich die Prüfung gemacht und habe ihm geholfen. Es wurde dann immer mehr, weshalb ich meinen Beruf, ich war Speditionskaufmann und Wirtschaftstreuhandgehilfe, an den Nagel gehängt habe und ganz in die Fahrschule eingestiegen bin. Mit den Jahren habe ich einige Fahrlehrerscheine gemacht. Es gibt mehrere Fahrlehrerscheine für die verschiedenen Führerscheinklassen. Das fängt mit den Mofa- und Motorradführerscheinen an, geht dann über den Pkw- und LKW-Führerschein bis hin zum Omnibus-Führerschein. Es gibt zum Beispiel die Klasse A1 die ist auf 125 Kubik begrenzt, dann gibt es die Klasse A2 die auf 34 kW begrenzt ist und dann gibt es noch die große Klasse A, das ist schon enorm. Seit einiger Zeit kommt noch die Klasse BE (für PKW und Anhänger) dazu, da braucht man auch noch einen Anhänger im Fuhrpark.

Wir bieten auch noch den ASP-Kurs an, das ist ein Aufbauseminar für auffällig gewordene Kraftfahrer. Je nachdem wie der Punktestand ist kriegen sie Rabatt, sodass sie die Punkte abbauen können. Außerdem bieten wir noch ein Aufbauseminar für Fahranfänger an. Heute bekommen Fahranfänger den Führerschein erst für zwei Jahre auf Probe, wird der Fahranfänger in dieser Zeit auffällig, muss er zur Nachschulung, und seine Probezeit verlängert sich nochmals um zwei Jahre. Das ist ein unheimlich großer Aufwand. Wir bemühen uns alles anzubieten, was es rundum den Führerschein noch alles gibt.

Unser Fuhrpark ist recht groß, denn ich habe noch einen festangestellten Mitarbeiter und eine Aushilfe fürs Wochenende. Wir haben somit zwei kleinere Fahrzeuge mit Schaltung und einen BMW mit Automatik, aber auch noch einen Polo mit Automatik und circa vier bis fünf Motorräder beziehungsweise Mofas. Wenn Kunden kommen und einen Führerschein machen wollen, dann können wir schlecht sagen, das geht nicht, weil wir das Fahrzeug nicht haben! Für die Lastwagen Ausbildung leihen wir uns aber den LKW. Das ist kein Problem. Da leiht man sich den für die Stunde bei einer speziellen Firma, die einige Fahrschul-LKWs mit Anhänger zur Verfügung stellt. Für die anderen LKW-Klassen, in denen wir ausbilden, zum Beispiel für das Technische Hilfswerk oder die Feuerwehr, fahren wir auch mit den eigenen Fahrzeugen dieser Organisationen.

Arbeitsaufwand & Belastungen

Meistens fängt man morgens mit den LKW-Fahrern an - im Sommer um sieben, sonst um acht. Wir sind dann den ganzen Tag unterwegs. Bei den Fahrlehrern ist die tägliche Arbeitszeit aber vorgeschrieben, wir dürfen nicht mehr als 495 Minuten pro Tag praktischen Unterricht geben, das sind umgerechnet ungefähr elf Fahrstunden. Eine Fahrstunde beträgt in etwa 45 Minuten. Dabei ist es wichtig, ganz präzise Nachweise zu führen. Alle Fahrlehrer sind stark überwacht, da gibt es nichts, was nicht kontrolliert wird.

Es kommen dann noch die Nachtfahrten dazu. Im Sommer ist das Wahnsinn, man kann sich ausrechnen, wann es im Sommer dunkel wird: Da kann man eventuell erst ab halb elf Uhr nachts anfangen zu schulen! Ich kann ja nicht am Tag mit Beleuchtung fahren, obwohl man das ja neuerdings tut, und sagen, dass das nun die Nachtfahrt war. Da ist man manchmal bis null Uhr unterwegs und muss morgens wieder früh raus. Wir geben darüber hinaus noch viermal in der Woche Theorieunterricht. Hier montags und donnerstags und in unserer zweiten Filiale dienstags und mittwochs.

Ich bin somit von morgens bis spät abends in der Fahrschule engagiert, weil ich in der Regel den theoretischen Unterricht mache und es nur dann mein Mitarbeiter tut, wenn ich anderweitig beschäftig bin. Die Büroarbeiten macht glücklicherweise meine Frau.

Wenn man den Job richtig macht, ist dieser wirklich anstrengend. Da braucht man gelegentlich Urlaub, um zu regenerieren und keine Kunden um sich herum zu haben. Weil der Beruf sehr fordernd ist, hat der Gesetzgeber auch vor Jahren vorgeschrieben, dass der praktische Unterricht pro Tag eben nur so und so viel Stunden betragen darf. Wenn sie abends die Nachtfahrten machen, hat es ja keinen Sinn, wenn der Fahrlehrer schläft oder vor sich hinträumt, während der Schüler fährt. Sie müssen jederzeit die gleiche Leistung bringen, die Sie mittags um zwölf bringen, denn der Kunde bezahlt dafür und will dafür auch etwas haben.

Aber das Gute ist, dass es einem normalerweise über den ganzen Tag hinweg nie langweilig wird. So kann es sein, dass man eine Stunde PKW, danach Motorrad, dann drei Stunden LKW und im Anschluss wieder PKW-Unterricht gibt.

Fahrschüler und Fingerspitzengefühl

Wir haben auch einige die den Führerschein schon vor langer Zeit gemacht haben, sich aber nicht mehr trauen zu fahren. Die kommen dann, um ein paar Nachhilfestunden zu nehmen. Es kommt auch vor, dass zum Beispiel der Ehemann gestorben ist und die Frau die ganzen Jahre über nicht fahren durfte, dann helfen wir ihr. Anfangs mit Hilfe unserer Autos, die alle Doppelbedienung haben, also ein Gas-, Brems- und Kupplungspedal auf jeder Seite des Autos, solange wir die Person einschätzen können. Später fahren wir dann mit deren Privatauto. Ich spüre schnell, wie der Fahrschüler sich fühlt, ob er sich traut und was man mit ihm oder ihr für Fahrübungen machen kann.

Man muss die Schüler Schritt für Schritt zu dem führen, was sie wollen. Man darf mit Fahranfängern nicht direkt über den meistbefahrenen Platz der Stadt oder auf die Autobahn fahren. Mit blutigen Anfängern fahren wir meist erst in ruhige Stadtteile. Es kommt auf den Schüler drauf an, wie lange man dortbleiben muss, bis man in die Stadtmitte fahren kann. Selbst dann, wenn sich der Fahrschüler gut anstellt, kann es sein, dass bei dem ersten Fahrzeug, das uns entgegenkommt, im Stress alles wieder vergessen wird. Das Lernen braucht alles seine Zeit, da darf man nicht drängen. Man muss auf die Reaktionen, Äußerungen, Verhalten und den Gesichtsausdruck achten, daran kann man schon einiges erkennen. Als Fahrlehrer frage ich oft, wieso die Fahrschüler den Führerschein machen wollen und ob sie Spaß am Fahren haben? Die Schüler antworten dann häufig mit toternster Miene: „Ja ja, macht mir Spaß“, aber in dem Moment denken die dann an etwas ganz anderes. Zwischen Schüler und Fahrlehrer muss eine Verbindung bestehen, nur dann nimmt der Schüler das, was man ihm sagt auch schnell auf. Auch darf man nicht allzu viel reden, also jede Situation ständig aufs Genaueste erläutern, sonst gewöhnt sich der Fahrschüler daran, ist es so gewohnt und lernt nicht, kommende Gegebenheiten selbst zu analysieren.

Psychologie, Sensibilität beziehungsweise Einfühlungsvermögen spielt in diesem Beruf eine große Rolle. Die Arbeit eines Fahrlehrers, der die Kunst der Pädagogik nicht beachtet, wird nicht fruchten. Im Laufe der Jahre hatten wir viele Fahrlehrer angestellt, bei denen wir nach einiger Zeit sagen mussten, dass es keinen Sinn macht diese für uns weiter arbeiten zu lassen. Wir als Fahrschule werden schließlich am Ende über den Erfolg gemessen. Ein Schüler kommt zu uns, weil er den Führerschein haben möchte, wie, ist ihm egal. Er will den Führerschein und das heißt, er muss am Ende die Prüfung bestehen. Das heißt für mich, ich muss mein Wissen an den Mann bringen. Wenn ein Schüler die Prüfung zum Schluss nicht besteht, wirft das kein gutes Licht auf die Fahrschule. Am Schluss zählt nur der Erfolg, der wird ganz großgeschrieben. Auch diejenigen, die zwei linke Hände haben, kommen zu uns, weil sie den Führerschein wollen und wie wir das schaukeln, dass es der Fahrschüler schafft, ist letztendlich unsere Kunst.

Meine Frau ist diejenige, die die ersten Kontakte zu den Schülern knüpft, und auch das muss schon stimmen. Wenn der Schüler generell etwas unsicher ist und dann auch noch der Service am Empfang unfreundlich ist, ist das Weitermachen von vornherein schwieriger.

Prüfung

Wir hatten aber noch nie einen Fall, in dem es einfach nicht klappen sollte, den Führerschein zu schaffen. Es gibt zwar Fälle, in denen die praktische Prüfung nicht bestanden wird und es gibt auch Fälle, in denen diese erst beim vierten Mal geschafft wird. Insgesamt kann man die praktische Prüfung ja sechsmal wiederholen. Aber diese Fälle sind selten. In solchen Fällen redet man lieber vor der Prüfung mit dem Schüler und sagt ihm, dass es gut wäre, mit der Prüfung einfach noch etwas zu warten. Die meisten nehmen diese Einschätzung auch an, einige sind aber unbelehrbar, die muss man die Prüfung einfach machen lassen. Wissen braucht nun einmal Zeit, damit es sich setzen kann. Manchmal braucht man mitunter auch mal ein, zwei Tage Abstand und dann geht es wieder besser.

Beim theoretischen Unterricht, der abends stattfindet, kommt es häufig vor, dass die Leute direkt von der Arbeit kommen und müde sind. Sie wollen sich dann einfach nur reinsetzen und sich den Unterricht beiläufig anhören. Deshalb muss man als Lehrer sehen, dass man die Schüler etwas aufmuntert, am Unterricht beteiligt und die Theorie nicht zu langweilig macht. Der eine tut sich mit der Theorie sehr schwer, weil er vielleicht immer schon Probleme mit dem Lernen hatte und muss es sich ganz hart erarbeiten, dem anderen fliegt es zu. Zur privaten Vorbereitung Zuhause gibt es Prüfungsbögen, um sich zu testen. Die meisten müssen diese wirklich durcharbeiten, um die Theorieprüfung zu schaffen, die wenigsten schaffen sie locker. Jeder hat eine andere Lernmethode, viele lernen auch erst drei Tage vor der Prüfung. Es besteht in solchen Fällen allerdings die Gefahr, dass zwei Wochen nach der Prüfung wieder alles vergessen wurde, man aber fürs Fahren die Theorie benötigt.

Die Theorieprüfung kann man auch sechsmal wiederholen, nur muss man zwischen den Prüfungen immer vierzehn Tage warten, bis man wieder an ihr teilnehmen kann. Hat man sie auch nach dem dritten Mal nicht bestanden, muss man sogar drei Monate warten, dann kann man diese noch dreimal wiederholen. Wenn dieser Fall eintritt und jemand schon dreimal durchgefallen ist, dann muss man denjenigen etwas zurückhalten, damit er sich für die nächsten Male genug Zeit zum Lernen nimmt. Bei einigen wenigen spielen auch die Nerven eine Rolle, die haben ihren Bogen und wissen auf einmal nichts mehr. Das muss man dem Prüfer auch sagen, und ihn bitten sich erst ein wenig mit dem Schüler zu unterhalten und ihn zu beruhigen, bevor er den Bogen austeilt. Beim praktischen Fahren ist das ähnlich. Insgesamt kann ich sagen, dass ich fast zu neunzig Prozent im Voraus bereits weiß, wer bestehen müsste.

Ich finde, dass die Schüler, die heute geprüft werden, besser fahren als diejenigen die vor zwanzig, dreißig Jahren geprüft wurden. Die heutigen Fahrschüler haben alle mehr Fahrstunden bis zur Prüfung, als das vor zwanzig Jahren üblich war. Es sind ja heute allein schon zwölf Sonderfahrten vorgeschrieben, das heißt sie müssen vier Stunden Autobahn fahren, drei Stunden bei Dunkelheit und fünf Stunden über Land. Durch mehr Fahrpraxis wird das Fahren an sich automatisch besser.

Das Verhältnis der Fahrschulen zu den Prüfern ist gut. Im Moment kann man sagen, dass die meisten Prüfer, im Großen und Ganzen, eine gleiche Linie verfolgen. Vor einigen Jahren war das noch etwas anders: Vielleicht können Sie sich auch noch daran erinnern, da hat man den Schüler manchmal sogar in eine verbotene Straße geschickt. So etwas gibt es heute nicht mehr, denn letztendlich macht der Schüler ja alles, was der Prüfer ihm sagt. Wir bereiten die Schüler dahingehend vor, dass sie wissen, dass der Prüfer sie nicht absichtlich in eine verbotene Straße schicken wird. Früher konnte es auch mal passieren, dass die Prüfer einem Fahrschüler gesagt haben, dass alle fünf Fahrschüler vor ihm durchgefallen sind. Das gibt es heutzutage nicht mehr. Heute sind alle etwas freier und offener. Aber viele Prüflinge haben trotzdem Angst vor der Prüfung und sehen diese als unüberwindbaren Berg.

Bestimmungen und Neuerungen

Das, was die Schüler innerhalb der Ausbildung absolvieren müssen, ist in der Ausbildungsverordnung festgelegt. Es gibt auch extra ein Fahrlehrergesetz, in dem diverse Dinge genau vorgeschrieben sind und jede Fahrschule wird diesbezüglich alle zwei bis vier Jahre kontrolliert. Das übernimmt eine Treuhandgesellschaft, die vom Gesetzgeber beauftragt ist, die Fahrschulen dahingehend zu überwachen, ob sie die Vorschriften einhalten. Dazu gehören Lenkzeiten, Pflichtfahrten, und vor allem die Preise. Sie können in einer Fahrschule nicht vier verschiedene Preise für den gleichen Führerschein anbieten, nur weil Sie einige Schüler vielleicht sympathischer finden, das geht natürlich nicht. Preisklarheit nennt man das. Die Theorieeinheiten werden überprüft, auch ob für jede Führerscheinklasse Extrastunden angeboten werden. Das wird alles überwacht. Keine Verordnung ohne Kontrolle. Trotz der regelmäßigen Überprüfung gibt aber dennoch Bereiche, in denen man tricksen kann, hab ich mir sagen lassen.

Gravierende Veränderungen kommen, was den Lehrstoff betrifft, momentan nicht dazu. Zuletzt war es die Umstellung auf den EU-Führerschein mit den Klassen A, B, C und D im Jahr 1999. Das sind Veränderungen, in die die Fahrschule automatisch mit hineinwächst und ich halte mich auch sonst immer auf dem Laufenden, weil wir alle vier Jahre eine Weiterbildung und alle zwei Jahre Aufbauseminare machen, damit wir Fahrlehrer immer auf dem neusten Stand sind.

Verkehr und Fahrverhalten

Der Verkehr nimmt insgesamt zu, die Straßen werden immer voller. Bei manchen Fahrstunden muss man sich entsprechend der Uhrzeit überlegen, wo man hinfahren kann. Wenn der Berufsverkehr angefangen hat, können sie ab halb vier manche Routen kaum noch fahren, weil die Fahrstunde dann zur Stehstunde würde. Manchmal muss ich mit einem Schüler aber auch mal gezielt in einen Stau, das muss der Schüler auch erleben. Aber eigentlich fährt man nur selten absichtlich in einen Stau, der Schüler soll ja auch etwas von seiner Fahrstunde haben.

Wenn Leute eine Fahrschule vor sich sehen, wollen sie meist so schnell wie möglich überholen, aus Angst aufgehalten zu werden. Es gibt Situationen, in denen man mit einem Schüler an der Ampel steht und er den Wagen ein-, zweimal abwürgt, dann fängt hinter uns schon das Gehupe an. Es ist auch schon vorgekommen, dass hinter uns jemand aus dem Wagen gestiegen ist, an unser Fenster geklopft hat und gesagt hat: „Wollt ihr nicht mehr weg?“, oder so etwas. Dann habe ich ihn gefragt, ob er das Fahren denn gleich von Anfang an gekonnt hat? In solchen Fällen sollte man beachten, dass man die anderen Verkehrsteilnehmer nicht unnötig belastet oder reizt, denn davon hat der im Auto sitzende Fahrschüler nichts. Am Ende der Fahrstunde braucht jeder Fahrschüler die Bestätigung, dass er gut war, trotz der Tatsache, dass sich viele andere Verkehrsteilnehmer über einen aufregen. Manchmal gibt es Situationen, in denen man wirklich mit dem Kopf schütteln muss. Wenn Leute am Fahrschulwagen vorbeifahren, abwertende Zeichen machen und hundert Meter weiter einen riesigen Verkehrsfehler machen, also selbst keine Ahnung haben.

Vor ein paar Jahren ist das Grünpfeilschild an den Ampeln eingeführt worden, was bedeutet, dass Sie bei einer roten Ampel, nachdem Sie abgestoppt haben, rechts rumfahren dürfen. Am Anfang war es so, dass, wenn wir rechts abgebogen sind, uns die Leute von hinten angehupt haben, weil sie dachten, dass wir über rot fahren! Manche haben auch angehalten und sind zu uns hingekommen, haben sich vor uns aufgebaut und gesagt: „Sie als Fahrschule müssten doch eigentlich wissen, dass man bei rot nicht über die Ampel fährt!“. Da musste ich natürlich sagen: „Auch Sie als alter Verkehrsteilnehmer sollten die neue Regelung eigentlich kennen.“ Da guckte er ganz dumm und wurde vom Schüler aufgeklärt (schmunzelt). Das war natürlich für den Schüler eine Genugtuung, da er in dem Moment mehr wusste, als derjenige der schon seit Jahren den Führerschein hatte. So etwas kann passieren. Generell ist jeder Verkehrsteilnehmer verpflichtet, sich stets auf dem neuesten Stand der Verkehrsregeln zu halten, viele vergessen das.

Wenn andere Verkehrsteilnehmer gegen Regeln verstoßen, mache ich nichts. Wenn ich mich jedes Mal darüber aufregen würde, bringt das nichts. Aber dem Schüler kann man das als Negativbeispiel zeigen. Beim Halten und Parken wollen viele Schüler auf den Gehweg fahren, weil der Vordermann auch draufsteht, dann muss man gut argumentieren und klar machen, dass der Vordermann das eigentlich auch nicht darf. Man muss darauf aufmerksam machen, dass der Vorausfahrende es dem Schüler falsch vormacht, dass er es nicht nachmachen soll. Wenn ein anderer Verkehrsteilnehmer in den See fährt, dann soll der Schüler ja auch nicht hinterherfahren ... Die Schüler sagen auch selbst teilweise: „Der fährt ja unter aller Kanone!“ Nach und nach kriegen die Schüler mit, worum es geht, deshalb fällt ihnen auch immer mehr auf, was die anderen sich leisten.

Das Abbiegen ohne Blinken kommt oft vor. Manche Schüler fangen dann auch schon damit an und argumentieren damit, dass hinter ihnen ja niemand fährt. Aber, wenn man selbst hinter jemandem fährt, der nicht blinkt und dennoch abbiegt, kann es vorkommen, dass man diesem hintendrauf fährt. Daher ist das Blinken wichtig. Der Fahrstil wird immer aggressiver, vor allem das Fahren mit erhöhter Geschwindigkeit nimmt zu. Aggressiv wird es meist, weil die Leute keine Zeit mehr haben, obwohl das an sich kein Grund ist, aber viele haben Termindruck und müssen von einem Termin zum anderen und dann wird gepowert. Das sind dann diejenigen, die am Ende des Jahres zu viele Punkte in Flensburg haben und wieder in die Fahrschule müssen, um an einem Aufbauseminar teilzunehmen. Sie glauben gar nicht, wie viele Leute so einen hohen Punktestand haben, da redet natürlich auch keiner drüber. Manche haben vierzehn bis sechzehn Punkte. Die Führerscheinstelle toleriert das natürlich nicht, deshalb muss dann so ein Kurs gemacht werden und wenn dann noch weitere Punkte dazukommen, muss man damit rechnen, dass der Führerschein entzogen wird. In der heutigen Zeit ist das eine harte Strafe, vor allem wenn sie mit dem Auto ihre Brötchen verdienen. Das ist dann der Punkt, an dem die Leute erst wieder so richtig einsichtig werden.

Manchmal liegt das Verstoßen von Verkehrsvorschriften vor allem bei ausländischen Mitbürgern auch am Temperament. In manchen Ländern geht ohne Hupen gar nichts. Probieren sie das mal bei uns. Fahren sie montags morgens in den Berufsverkehr und hupen sie den Vordermann an, der wird gleich böse, während es in anderen Ländern völlig normal ist. Dort unterstreicht man sein Hupen eventuelle sogar noch mit Handzeichen und macht sich da nichts draus. Bei uns muss man da sehr vorsichtig sein. Bei Verkehrssündern ist es häufig die innere Einstellung – die ist wichtig. Wenn das stimmt, dann fahren alle super.

Damit die Straßen nicht mehr so voll sind, gäbe es nur eine Lösung: Weniger fahren. Aber wer lässt gerne sein Fahrzeug stehen und geht zu Fuß, fährt Fahrrad und nutzt die öffentlichen Verkehrsmittel? Der öffentliche Verkehr ist im Großen und Ganzen sehr gut ausgebaut und bei uns ist die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel auch ganz gut, aber die Anbindung ist für viele Menschen dennoch schlecht. Wenn sie beispielsweise in einem Außenbezirk wohnen, dann kommt der letzte Bus um zwölf und danach kommen sie nicht mehr Heim, wer nimmt das schon gerne in Kauf und lässt sein Auto stehen? Zur Beruhigung und besseren Verkehrsführung ist der Kreisverkehr in Mode gekommen. Vor Jahren gab es schon einmal die gleiche Entwicklung, dann hat man den Kreisverkehr aber wieder abgeschafft. Jetzt hat man ihn wieder herausgekramt. Sie dienen hauptsächlich der Verkehrsberuhigung und stehen meistens am Eingang oder Ende einer Ortschaft, was ich eine gute Sache finde.

Im Auto mit den Schülern und Erfolgserlebnisse

Der Ruf einer Fahrschule ist die wichtigste Reklame, um Fahrschüler zu gewinnen. Wenn die mal vermiest ist, kann einen das ruinieren. Auch manchen Mitarbeiter mussten wir deshalb schon entlassen, weil dessen Verhalten rufschädigend war. Dann muss man sich mitunter vor dem Arbeitsgericht streiten. Aber wichtig ist, dass man als Fahrlehrer weiß, wo der Spaß aufhört. Das betrifft insbesondere solche Dinge wie Mädchen antatschen. Das geht natürlich gar nicht.

Was aber hingegen nutzt, ist eine gewisse Lockerheit im Auto zu schaffen, damit die Schüler Hemmungen verlieren. Man muss den Schüler immer wieder auch mal aufmuntern. Bei manchen geht das einfacher, bei anderen schwieriger. Aber es ist auch unsere Aufgabe, die Schüler beim Reden zu bremsen: Wenn sie einmal drei Stunden an einem Stück unterwegs sind, muss natürlich ab und zu was gesagt werden, aber wenn der Schüler einmal anfängt zu reden und dann nicht mehr aufhört, können sich schnell Fehler beim Fahren einschleichen. Ein Fahrschüler muss sich noch sehr auf das Fahren konzentrieren.