Beschriebene Blätter - Iris Hedler - E-Book

Beschriebene Blätter E-Book

Iris Hedler

4,9

Beschreibung

Die Erzählung beginnt mit den ersten Erinnerungen der 1932 in Oberschlesien geborenen Zwillinge. Einer unbeschwerten Kindheit im Schoße der Eltern und Geschwister folgt eine durch Krieg, Flucht und Vertreibung geprägte Jugend. Nach einem Weg durch die Hölle ergreifen sie die Chance, in Thüringen ein neues Leben zu beginnen. Die klugen, tapferen Mädchen stellen sich selbstbewusst und fleißig den Bedingungen der schweren Nachkriegszeit. Sie erleben die Kraft der jungen Liebe und heiraten beide im Herbst 1950. Auf verschiedenen Wegen gehen die Schwestern der Zukunft entgegen, aber sie bleiben sich treu. Die Tradition einer festlichen Weihnacht war für die Familie zu jeder Zeit sehr wichtig Welche weihnachtlichen Momente sie in all den Jahren von 1936 bis 1950 erlebten, erzählen fünfzehn Weihnachtsgeschichten, eingebunden in die „Beschriebenen Blätter“.

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Autorin

Für die „Beschriebenen Blätter“ hat Iris Hedler die Erlebnisse ihrer Kindheit und Jugend zunächst für ihre Tochter und die Familie festgehalten. Freunde haben sie bestärkt, die sehr persönlichen Erinnerungen auch zu veröffentlichen.

Iris Hedler und ihre Zwillingsschwester wurden 1932 in Krappitz an der Oder (Krapkowice) in Oberschlesien geboren. Nach der Flucht mit ihrer Familie wurde Arnstadt ab 1946 zu ihrer neuen Heimat. Sie lernte Schneidermeisterin und studierte nach Feierabend Industriekauffrau.

Wendepunkt war ein städtischer Wettbewerb: Sie überzeugt mit dem Entwurf des bis heute beliebten „Arnschter Ausrufers“ und macht sich 1963 als Puppendesignerin selbständig.

Ihr Familienbetrieb „Iris Puppen“ ernährte zeitweise mehr als 70 Mitarbeiter. Mittlerweile hat Tochter Bärbel die Firmenleitung übernommen.

Für meine Tochter

Anne-Bärbel

Das besondere Glück, Kindheit und Jugend mit einer geliebten Zwillingsschwester zu erleben, ist es wert, darüber zu schreiben. Mit einer Mutter wie Anna ist dieses Glück vollkommen, ganz gleich, was geschieht.

Die Erzählung beginnt mit den ersten Erinnerungen der 1932 in Oberschlesien geborenen Zwillinge. Einer unbeschwerten Kindheit im Schoße der Eltern und Geschwister folgt eine durch Krieg, Flucht und Vertreibung geprägte Jugend.

Nach einem Weg durch die Hölle ergreifen sie die Chance, in Thüringen ein neues Leben zu beginnen. Die klugen, tapferen Mädchen stellen sich selbstbewusst und fleißig den Bedingungen der schweren Nachkriegszeit. Sie erleben die Kraft der jungen Liebe und heiraten beide im Herbst 1950. Auf verschiedenen Wegen gehen die Schwestern der Zukunft entgegen, aber sie bleiben sich treu.

Die Tradition einer festlichen Weihnacht war für die Familie zu jeder Zeit sehr wichtig.

Welche weihnachtlichen Momente sie in all den Jahren von 1936 bis 1950 erlebten, erzählen fünfzehn Weihnachtsgeschichten, eingebunden in die „Beschriebenen Blätter“.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1936

Weihnachten 1936

1937

Heiliger Abend 1937

1938

Nikolaustag 1938

1939

Weihnachten 1939

1940

Weihnachten 1940

1941

Weihnachten 1941

1942

Weihnachten 1942

1943

Drei Tage Heimaturlaub

1944

Weihnachten 1944

1945

Weihnachten 1945

Jahresende 1945

1946

Weihnachten 1946

1947

Weihnachten 1947

1948

Weihnachten 1948

1949

Weihnachten 1949

1950

Weihnachten 1950

Vorwort

Die „Beschriebenen Blätter“ erzählen von Anna. Sie stammt aus einer deutsch-polnischen Ehe und lebt mit gemischtem Blut in ihren Adern. Doch schon als sechzehnjähriges Mädchen entscheidet sie sich für ein Leben in Deutschland. Sie geht von Polen nach Schlesien und findet eine Stellung als Kindermädchen mit Familienanschluss in einem ehrenwerten Haushalt. Dieser Aufenthalt prägt sie positiv für ihr weiteres Leben.

Nach vier Jahren, noch mitten im Weltkrieg, heiratet sie den gelernten Müller Max Simonides. Er mischt noch griechisches Blut in die Adern ihrer drei gemeinsamen Kinder.

Max verliert im Krieg seine rechte Hand. Mit Hilfe des Verbandes der Kriegsbeschädigten schafft er es, seinen Beruf mit nur einem Arm zu bewältigen. Stets sucht er nach einer Möglichkeit, selbstständig eine kleine Mühle zu betreiben. Das gelingt ihm 1930 in seinem vierzehnten Ehejahr, nach acht Umzügen von einer Mühle zur anderen.

Er zieht mit seiner Familie nach Krappitz in Oberschlesien, einer kleinen Stadt direkt an der Oder. Nach geraumer Zeit steht es fest: Hier will Anna bis an ihr Lebensende bleiben. Sie fühlt sich wohl wie noch nirgendwo in ihrem Leben. Max muss es versprechen. Das tut er, denn auch er ist glücklich in seiner Mühle in Oderwiese, einem an Krappitz angeschlossenen kleinen Bauerndorf.

Eine gemütliche Wohnung im letzten Haus vom Finkenweg der Krappitzer Promenadensiedlung ist eingerichtet. Ehrliche Freundschaften bahnen sich an. Ein Ehrenamt im Krappitzer Verband der Kriegsbeschädigten verhilft Anna, schon mal einen kleinen Schritt in das Stadtkomitee zu setzen, das ihr Ziel ist. Anna will in dieser schönen Stadt kein unbeschriebenes Blatt bleiben. Sie arbeitet fleißig und unentwegt. Irgendwann will sie für ihre Familie ein eigenes kleines Heim schaffen.

Was sie jedoch durchaus nicht wollte, war eine vierte Schwangerschaft. Doch sie ist da! Anna benötigt ihre ganze Energie, um diese Tatsache zu akzeptieren. Ihre Ingeborg ist schon 14 Jahre, Greta 13 und Hannes 11. Sie selbst wird im Februar, wenn das Kind auf die Welt kommt, 36 Jahre alt.

Sie überlegt und gibt kurzentschlossen allen zu verstehen, dass ein viertes Kind ihr Wunsch war. So ist sie, die Anna, voller Energie, voller Phantasie und einem gesunden Stolz. Sie traut es sich zu, ein viertes Kind zu erziehen. Schließlich betreute sie vier Jahre vor ihrer Heirat ein Kind, dessen Vater ihr stets in einem sachlichen Ton erklärte, was richtig ist und was falsch. Er bezog sich dabei voll auf Fröbel. Daraus hat Anna viel gelernt und will sich nun ein viertes Mal bewähren.

Als am 23. Februar 1932 fünf Minuten vor Mitternacht ein kleines Mädchen auf die Welt kommt und fünf Minuten nach Mitternacht ein zweites auf die Welt drängt, fällt die Zwillingsmutter erst einmal für ein paar Minuten in Ohnmacht. Doch Arzt und Hebamme sorgen dafür, dass beide Mädchen ganz lieb und herzlich von ihrer Mutter begrüßt werden können. Sie gibt ihnen die ungewöhnlich schönen Namen Iris und Esther. Sie verspricht den Mädchen, sie bis an ihr eigenes Ende zu lieben und zu beschützen.

1936

Es war ein harter Winter, doch bald ist er überstanden. Die Zwillinge künden heute wie in jedem Jahr mit ihrem Geburtstag den Frühling an. Die Taufpaten Tante Hedel und Tante Walli sind die ersten Gratulanten. Sie besiegelten durch die Patenschaft ihre innige Freundschaft zu Anna.

Die beiden Mädchen werden von der ganzen Familie geliebt und verwöhnt. Die großen Geschwister helfen der Mutter bei der Erziehung der kleinen. Der Vater ist stolz auf seine niedlichen Sprösslinge, Freunde und Nachbarn haben ihre helle Freude an den gut erzogenen Kindern.

Nachdem Anna ihre Schneiderei in Krappitz offiziell als Dienstleistung angeboten hat, ist sie recht schnell bekannt geworden. In den langweiligen grauen Wintertagen kommen Ingeborgs Freundinnen zu Anna, um bei ihr in gemütlicher Runde nützliche Handarbeiten zu lernen. Wenn die jungen Mädchen danach von ihren Freunden abgeholt werden, wird oft noch Musik gemacht, und das nicht nur mit dem Grammophon. Die meisten der jungen Männer spielen ein Instrument, das gehört einfach zum guten Ton. Seit Kurzem gehört ein bis jetzt unbekannter junger Mann zu der Runde. Anna ist es nicht entgangen, dass sein Interesse nur ihrer hübschen Tochter Ingeborg gilt.

Zu besonderen Anlässen treffen sich die Freunde in der Försterei, im letzten Haus am Rande der Stadt. Von Annas Wohnung liegt es nur ein paar Schritte durch ein großes Gemüsefeld entfernt. Das kinderlose, noch recht junge Försterehepaar sucht den freundschaftlichen Kontakt zu Anna und ihrer Familie, besonders zu den niedlichen kleinen Mädchen.

Ingeborg lernt seit einem Jahr in einem Kloster die Fähigkeit für Hauswirtschaft und Kinderpflege. Anna muss für diese Lehre bezahlen. Doch mit einem Zeugnis in den Händen und entsprechendem Wissen im Kopf ist es leichter, einen einigermaßen guten Ehepartner zu finden. Ingeborg wird, wenn das Zeugnis gut ausfällt, bei der sehr vornehmen alleinstehenden Besitzerin einer Villa, Frau Miranda Sommer, den Haushalt führen. Frau Sommer ist regelrecht vernarrt in Ingeborg und hofft, mit ihr auch eine gute Gesellschafterin zu engagieren. Anna fühlt sich geehrt.

Ganz anders ist es mit Greta. Sie will bei Onkel Eugen lernen. Er besitzt in der Hauptstraße ein Geschäft und verkauft Uhren und Schmuck als Goldschmied. Zudem prüft er die Augen der Kunden als Optiker und verkauft ihnen danach die richtige Brille. Er knipst auch kleine Ringe in die Ohren und graphiert Datum und Monogramm in die Trauringe der Verliebten. Außerdem ist er Vaters bester Freund und hat niemals schlechte Laune. So sieht es Greta.

Es stimmt, Eugen ist wirklich ein guter Freund der ganzen Familie. Er ist Annas stiller Verehrer und bereit, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Doch mit Greta, dem Wildfang, will er sich auf keinen Fall anlegen. Er beschafft ihr deshalb eine Lehre in einem Delikatessengeschäft am Krappitzer Ring. Greta wird dort als Verkäuferin ausgebildet, ohne Lehrgeld bezahlen zu müssen. Das ist ein Glücksfall für Anna in der Sorge um die richtige Ausbildung ihrer Kinder. Nun bleibt die Hoffnung, dass Greta sich in ihr Schicksal fügt und die notwendige Zeit durchhält.

Eugen ist in Krappitz beliebt und wird hoch geschätzt. Als ehrenamtlicher Geschäftsführer im Verband der Kriegsbeschädigten hilft er den Betroffenen, ihre Rechte durchzusetzen. Auch für Max hat Eugen eine höhere Rentenzahlung erreicht.

Für Anna bleibt im Moment nur noch die Sorge um Hannes. Schon ein Jahr lernt er in einer Schmiede. Wenn der Meister ihn für befähigt erklärt, erhält Hannes ein Zeugnis. Bis dahin muss er jede Woche sein Lehrgeld mitbringen. Danach will Hannes nach Odertal, nicht weit entfernt von Krappitz. Er möchte in einem großen Werk arbeiten und möglichst viel Geld verdienen. Zurzeit ist Hannes genauso wie all seine Freunde geblendet von dem seit 1933 in Deutschland gewählten Führer. Dieser besitzt die teuflische Gabe, die Menschen für seine Ideen zu begeistern. Es gelang ihm sogar, die Olympischen Sommerspiele nach Deutschland zu holen. Der fanatische Führer erwartet, dass in jeder deutschen Stadt und in jedem deutschen Dorf dieses Ereignis würdig gefeiert wird.

Auch die kleine Stadt Krappitz ist vom olympischen Fieber gepackt. Der sehr engagierte Bürgermeister bittet all seine ehrenamtlichen Mitarbeiter um Hilfe. Es muss ein grandioses Volksfest werden für alle Bürger seiner Stadt. Ideen werden gesammelt, erprobt und durchgesetzt. Überall wird daran gearbeitet, auch in den Schulen wird fleißig trainiert. Jeder will den schönsten Beitrag leisten für das gemeinsame große Fest.

Und jetzt ist es so weit! Die Zwillinge eilen mit ihrer Mutter und ihren Freunden zum festlichen Umzug, der über die Oderbrücke zur Stadt zieht. Die Mädchen erkennen zwischen Pferden, Autos und großen geschmückten Wagen ihre Schwester Greta. Sie bildet mit vier anderen Turnerinnen das Zeichen der Olympiade mit großen bunten Reifen. Iris und Esther sind begeistert. Stolz auf ihre Schwester rufen sie laut ihren Namen, welcher selbstverständlich durch Blasmusik und lauten Beifall übertönt wird.

Der Umzug geht durch die Stadt und über die Promenade hin zum Jahnplatz auf die große Festwiese. Alles, was mit Eifer und Hingabe erarbeitet wurde, kommt jetzt zur Geltung. Es duftet verführerisch nach Senf und heißen Würstchen, nach frisch gebackenen Pfannkuchen und nach gebrannten Mandeln. Es gibt lustige Spiele, Tänze und ernsthafte Wettkämpfe zu sehen. Auch ein Schützenkönig wird ermittelt.

Selbstverständlich ist Hannes mit seinen Freunden bereit, die Allerkleinsten aus der Spielschule mit den Fahrrädern rund um die Wiese zu kutschieren, natürlich um die Wette. Das macht Spaß, genauso wie die Fahrt auf dem Karussell, welche vom Leierkastenmann musikalisch begleitet wird. Eine Überraschung löst die andere ab, doch auch das schönste Fest hat ein Ende.

Langsam wird es dunkel. Die Kerzen in den Laternen der Kinder werden angezündet. Gemeinsam geht es zurück in die Stadt. Alle Schüler, sogar die kleinsten in der Spielschule, haben das gleiche Lied für den Heimweg gelernt und singen jetzt gemeinsam:

„Ich geh mit meiner Laterne

und meine Laterne mit mir.

Am Himmel funkeln die Sterne,

hier unten leuchten wir.

Das Licht geht aus,

wir gehen nach Haus.

Rabimmel, rabammel, rabumm.

Wir gehen nach Haus,

das Fest ist aus.

Rabimmel, rabammel, rabumm.“

Ja, so ist es, das Fest ist vorbei. Doch für die Kinder von der Spielschule wird es am 6. Dezember eine Weihnachtsfeier geben. Das wird die letzte Aktion in der kleinen Stadt zu Ehren der Olympiade 1936 in Deutschland sein.

Weihnachten 1936

In Oberschlesien beginnt die Weihnachtszeit, wenn der erste Schnee gefallen ist. Das geschieht meist schon im November. Niemand kennt hier den Weihnachtsmann, hier legt das Christkind die Geschenke heimlich unter den Weihnachtsbaum. Aber der Nikolaus ist ein ganz wichtiger Geselle. Jeder mag den geheimnisvollen Mann mit dem weißen Bart. Am 6. Dezember ist sein großer Tag. Da ist er überall, wo er erwartet wird.

So auch bei der großen Weihnachtsfeier für die Kinder der Spielschule. Das Stadtkomitee hat die Kinder dazu eingeladen. Dieses Fest soll die Aktivitäten der kleinen Stadt Krappitz zu Ehren der Olympischen Spiele in Deutschland 1936 beenden.

Der Bürgermeister selbst nahm dieses letzte Fest in die Hand. Es soll besonders schön werden, verspricht er den Kindern bei der Begrüßung. Er bedankt sich für die gute Mitarbeit der Vereine. Die Handwerker der Stadt haben ein himmlisches Bühnenbild mit Wolken und Sternen geschaffen. Selbst das Klavier an der Seite der Bühne ist in Wolken gehüllt. Die zwei großen Tannenbäume hat selbstverständlich der Oberförster spendiert. Die Tafeln sind festlich eingedeckt. Ein Duft von frischer Tanne, von Kaffee, Kakao und süßen Plätzchen liegt in der Luft. Nüsse, Plätzchen und Pfefferkuchen sind von den Frauen des Stadtkomitees so dekorativ angeordnet worden, dass jedes Kind sofort erkennt, was ihm gehört. Spannung und Erwartung sind zu spüren.

Doch wo bleibt der Nikolaus? Da singt eine Stimme das Lied von der stillen Nacht. Der Vorhang wird aufgezogen, und da ist er, er singt und spielt auf dem Klavier.

Der Nikolaus ist gekommen! Am Bühnenrand sitzen acht Engelchen, graziös und zauberhaft. Das war Mutters Werk. Als Mitglied im Verein der Kriegsbeschädigten arbeitet sie seit einem Jahr am Aufbau einer kleinen Laienspielgruppe mit Kindern. Sie hat die ehrenamtliche Aufgabe für ihre Gruppe erhalten. Ihre Schützlinge sollen am Ende der Feier die Geschenke verteilen. Mutter ist stolz. Endlich kann sie zeigen, was in ihr steckt. Die Engelskleidchen waren kein Problem, doch die Flügel und der Heiligenschein bereiteten ihr manchen Kummer.

Auf der Bühne läuft ein kleines, buntes Programm. Es wird getanzt, gespielt, gelacht und vor allem geturnt. Nach einem gemeinsam gesungenen Lied schleppt der Nikolaus einen ziemlich großen Sack auf die Bühne und erzählt den Kindern: „Das Christkind war da!“ In dem Sack sind viele kleine Turngeräte für die Spielschule, deren Leiterin sich ganz herzlich dafür bedankt. Sie erklärt stolz, dass die ihr anvertrauten Kinder sehr genau wissen, was Olympische Spiele bedeuten.

Da passiert ein Zwischenfall. Alle Kinder wollen erzählen, was sie wissen. Auch die Zwillinge behaupten sich lautstark. Dem Bürgermeister gefällt die Stimmung. Er bittet die Zwillinge auf die Bühne um zu hören, was sie wissen. Aufgeregt berichten sie, dass Greta auf einem großen Wagen über die Brücke kam und Hannes auf dem Fahrrad ein Kunststück gezeigt hat und dass Sportler in Berlin sich gestritten haben um eine goldene Kette und eine silberne. Der Bürgermeister bremst den Redeschwall und will wissen, ob sie auch turnen können.

„Ja, wir haben Ringkampf geübt. Hannes war unser Lehrer.“

Alle Gäste klatschen vor Staunen und wollen den Ringkampf der Zwillinge sehen. Zum Glück ist Hannes hier. Der Bürgermeister ist begeistert von dem zusätzlichen stimmungsvollen Programm und hat schnell mit Hannes alles geregelt. Im Saal wird eine Stelle für den Kampf ausgesucht und von Helfern ein bisschen poliert.

Hannes erklärt die Regeln: „Der Kampf dauert 30 Sekunden. Wer zuerst heult, hat verloren. Wer beide Schultern der anderen auf dem Fußboden festhält, ist der Sieger. Nach 30 Sekunden ist der Kampf beendet, so oder so.“ Die Zwillinge ziehen flink ihre Schuhe aus und ohne Rücksicht auf ihre schönsten Kleidchen, die sie zu diesem Fest anziehen durften, geht es los. Die Zwillinge verneigen sich voreinander und schon liegen beide auf dem Boden. Jeder im Wechsel einmal unten und einmal oben. Hannes zählt ruhig.

Die Zuschauer klatschen und rufen und zählen mit. Nach 30 Sekunden endet der Kampf unentschieden, keiner heult. Es ist alles gut gegangen.

Der Bürgermeister, die Leiterin der Spielschule und der Nikolaus gratulieren und heben die Kinder hoch, so dass jeder die Kämpferinnen sehen kann.

Der Nikolaus hat zu tun, die weihnachtliche Stimmung wieder herzustellen. Doch als die Engelchen die Geschenke von Tisch zu Tisch bringen, geht die Stimmung über in Freude und Überraschung.

Jedes Kind strahlt über einen blauen Turnanzug mit aufgestickten gelben Ringen in Form der Olympiaringe, ein großes Malbuch, in dem alle Bilder lustige bunte Sportler zeigen, und ein Kästchen mit 5 Farbstiften zum Ausmalen der vorgezogenen Bilder.

Nachdem die Geschenke genügend bewundert und bestaunt sind, werden sie wieder in das weiße Leinensäckchen gesteckt, auf dem geschrieben steht: „Weihnachten 1936 - im Jahr der Olympischen Spiele in Deutschland“.

Das Fest geht zu Ende. Der Nikolaus verabschiedet sich und verspricht, im nächsten Jahr ganz gewiss wieder für alle Kinder da zu sein.

Der Vater zu Hause erlebt durch die Berichte der aufgeregten Zwillinge das Fest in Gedanken mit. Es fällt ihm schwer, das Durcheinander zu verstehen, doch er sieht die Glückseligkeit in den Augen der Kinder.

1937

Anna begleitet die Zwillinge in die Spielschule. Das letzte Stück wollen sie allein gehen. Anna ist es recht, denn sie hat noch etwas Wichtiges zu erledigen. Ein Küsschen auf die Stirnen der Mädchen und eine Weile schaut sie ihnen hinterher. Dann geht sie zielgerichtet zur Kleinen Gartenstraße. Es ist eine neue Siedlung am Stadtrand mit nur fünf Doppelhäusern. Zwei stehen rechts, zwei links, mitten in großen Gartengrundstücken. Das fünfte Haus bildet, quer zu den anderen gestellt, die kleine Sackstraße. Anna sucht die Nummer 4. Diese Hälfte wurde ihr von dem momentanen Besitzer angeboten. Er schafft es nicht, die anfallenden Kosten aufzubringen. Er sucht eine Familie, die in seinen Kauf einsteigt, so halbfertig, wie es jetzt dasteht. Anna schaut eine ganze Weile über den einfachen Jägerzaun, der die Straße bereits ordentlich von dem Grundstück trennt. Sie ist aufgeregt und ihre blühende Phantasie geht mit ihr durch. Sie sieht grüne Fensterläden, Bäume und Blumen. Sie hört Gänse schnattern und sie sieht ihre Hecke aus Haselnusssträuchern, von der sie schon so oft geträumt hat. Sie weiß, was sie will.

Neun Häuserhälften sind schon bewohnt und sie erwidert manchen freundlichen Gruß. Ja - das ist es! Anna ist bereit, um dieses Häuschen zu kämpfen.

Doch sie weiß, dass ihr Mut, ihre Bereitschaft und ihr Durchsetzungsvermögen abhängig sind von der Tatsache, dass Max endlich, nach so vielen Jahren guter Arbeit, die versprochene Lohnerhöhung erhält!

Was Anna zu dieser Zeit noch nicht weiß, ist, dass Max das Gespräch mit dem Besitzer der Mühle schon ein paar Tage hinter sich hat, doch ihm bis jetzt der Mut fehlte, die Wahrheit über dessen Ausgang zu gestehen. Der Mühlenbesitzer verhandelt schon seit Wochen mit Pächtern oder Käufern über die Zukunft seiner Mühle.

Und das setzt die Kündigung für Max voraus. Das kann nun jeden Tag geschehen...

Als Anna alles weiß, ist sie zutiefst enttäuscht. Doch gleich sucht sie nach einer Lösung. Was wäre, wenn Max einer der Pächter wäre? Die Summe für den Pachtvertrag ist hoch und für Anna eine Katastrophe. Es muss aber einen Weg geben! In ihrem klugen Köpfchen reift ein Gedanke.

Während Max mit gesenktem Kopf dasitzt und traurig darüber ist, weil er seiner lieben Frau so eine Enttäuschung bereitet hat, steht Anna vor dem Spiegel und versucht, sich so hübsch wie möglich zu machen. Ihren Mädchen stülpt sie die schönsten Kleidchen über. Ihre weißen Schuhe und Strümpfe ziehen sie schon allein an. Noch einmal mit dem Kamm über die blonden Bubiköpfe und los gehts.

Wohin? Natürlich zu dem sympathischen, aber strengen Herrn Falke, dem Arbeitgeber, bei dem Max das Geld verdienen muss, welches gebraucht wird für das kleine Häuschen, in das sich Anna verliebt hat.

Dass Anna den Mühlenbesitzer dringend sprechen muss, interessiert die dort angestellte Haushälterin nur wenig. Auf die freundliche Aufforderung, es in den nächsten Tagen noch einmal zu versuchen, hört sie von Anna nur ein energisches Nein. Das gefiel scheinbar dem Herrn Falke, der gerade die Tür von seinem Zimmer öffnete. Er begrüßte Anna, reichte ihr und auch den Zwillingen seine Hand. Er war entzückt von den artigen Knicksen, die die Begrüßung bezaubernd unterstützten. Die Kinder schafften es, die notwendige freundliche Atmosphäre für das folgende Gespräch zu schaffen.

Herr Falke bedauerte die Situation mit seinem Müller Max und suchte nach entschuldigenden Worten. Das war der richtige Moment, jetzt musste Anna eingreifen. Charmant schlug sie eine mögliche Lösung für beide Seiten vor. Sie sagte:

„Die Mühle wird verpachtet - dann verliert mein Mann seine Arbeit. Gesetzlich steht ihm eine Abfindung zu. Mit dieser Summe pachten wir die Mühle. Was halten Sie davon?“

Herr Falke ist sprachlos. Er versucht zu denken. Dieser Vorschlag ist die Höhe, er ist unverschämt! Er ist frech und überheblich.

Der Mühlenbesitzer überlegt und überlegt. Anna lässt ihn dabei nicht aus den Augen. Er überlegt weiter, der Vorschlag ist ganz einfach ideal - und das denkt er nicht nur, das flüstert er auch. Anna lächelt. Sollte sie es geschafft haben?

Herr Falke stellt vier Gläser auf den Tisch. Zwei davon füllt er mit roter Limonade, reicht diese den Mädchen und sagt:

„Eure Mutter ist nicht nur schön, sie ist auch klug. Sie hat etwas sehr Wichtiges erreicht.“

Mit einem Schlückchen Sekt besiegeln er und Anna die blendende Idee. Das Eis ist gebrochen, alles wird gut.

Der Abschied ist freundlich, so wie die Begrüßung. Anna hat wieder einen guten Freund für die Familie gewonnen.

Ihre Wangen glühen. An jeder Hand eins der Mädchen geht es so schnell wie möglich nach Hause. Was für ein Glück! Was wird Max dazu sagen?

In den nächsten Tagen wird alles Notwendige geregelt. Die Familie besichtigt ihre Baustelle. Jeder bestaunt auf seine Weise das eigene Heim.

Ein bisschen voreilig verspricht die Mutter den Zwillingen, dass in diesem Jahr der Weihnachtsbaum im eigenen neuen Haus stehen wird und das Christkind ganz gewiss den Weg hierher findet, um die Geschenke darunter zu legen.

Dieses Versprechen zu halten wird für Anna zum Problem. Als der erste Schnee fällt, akzeptiert sie die Tatsache, frühestens im März das neue Haus beziehen zu können. Traurig, aber vernünftig, sieht sie ein, was der Bauleiter sagt. Sie will jedoch ihre Zwillinge nicht enttäuschen, also muss sie sich wieder etwas einfallen lassen.

Ein Umzug bringt sehr viel Unruhe in eine Familie. Da sind gute Freunde sehr wichtig. Deshalb beginnt der Heilige Abend in diesem Jahr einmal anders.

Heiliger Abend 1937

Zum traditionellen Weihnachtsessen am Heiligen Abend ist die ganze Familie bei ihren Freunden in die Försterei eingeladen. Auch Eugen und seine Frau Ilse sind bereits eingetroffen. Am herzlichsten werden die Zwillinge von dem kinderlosen Försterpaar begrüßt.

Nach einem Toast auf das Weihnachtsfest wird das Essen serviert. Zu Beginn gibt es ein kleines Tomatensüppchen mit gerösteten Butterbröckchen, das den Appetit anregen soll. Es duftet schon nach Karpfen, in Butter gebraten. Dazu werden Sauerkraut und in Butter geschwenkte Kartoffeln serviert. Wer Fisch nicht so gerne mag, weil er Angst vor den Gräten hat, der wird mit Weißwürstchen und Fischsoße verwöhnt.

Zum Abschluss wird von der Försterin, wie nicht anders zu erwarten, Heidelbeerkompott mit dicker Sahne serviert. Immer mal ein Schlückchen Wein dazwischen bringt die gemütliche Weihnachtsstimmung, so wie es sich das Försterpaar vorgestellt hat.

Danach gibt es zu Hause bei Max und Anna, so wie abgestimmt, einen gemütlichen Weihnachtsabend. Mit duftendem Kaffee und dem traditionellen Mohnkuchen mit dicken Butterstreuseln besetzt sollen alle bewirtet werden.

Damit hier alles so wird, wie Anna es sich denkt, sind Greta und Ingeborg verantwortlich. Auch auf Hannes wartet eine ganz bestimmte Aufgabe.

Höhepunkt soll natürlich die Einbescherung der Zwillinge sein. Wie schon alle ahnen, hat Anna etwas Besonderes in ihrem Programm. Sie verspricht eine Überraschung und lädt alle zu einem kleinen Umweg in die Gartenstraße ein.

Die ganze festliche Gesellschaft spaziert nun durch den knirschenden Schnee. Gewundert hat sich keiner, denn jeder kennt Annas Überraschungsmomente.

Kalt ist es in der guten Stube der Baustelle und jeder hofft, dass es schnell geht, was Anna dort vorhat. Da erklingt aus Annas wunderschöner Spieluhr das Lied der fröhlichen und seligen Weihnachtszeit. In der Dämmerung entdeckt jeder sofort den großen goldgelben Stern an der Decke. Und da steht zwischen Baumaterialien, Brettern, Eimern und Leitern, auf glitzerndem Schnee eine kleine Weihnachtstanne mit breiten Ästen. Kleine, winzige Engelchen mit großen Augen und weißen Locken liegen auf einer Wolke. Erstaunt sieht jetzt jeder, wie sich das Bäumchen von der Wolke erhebt. Langsam erreicht seine Spitze den goldgelben Stern. Mit den weit ausladenden Ästen hebt das Bäumchen die Wolke in die Höhe und die darauf liegenden kleinen Engelchen beginnen zu fliegen. Und da sind sie auch, die Geschenke vom Christkind.

Die Zwillinge sind begeistert und Anna ist sicher, dass alle anderen ihre Überraschung wenigstens annähernd so sehen, wie sie es sich gewünscht hat. Sie verspricht, zu Hause bei einem heißen Glühwein genau zu erzählen, wie sie mit Hannes alles erdacht und geschafft hat.

Etwas erklärt sie gleich, während die Mädchen aufgeregt die Geschenke bewundern: Die Idee vom schwebenden Bäumchen kam vom Vater. Es sollte etwas ganz Besonderes für seine Mädchen sein, sie sollen sie in guter Erinnerung behalten, die erste Einbescherung im eigenen Haus.

Selbstverständlich hat das Christkind dafür gesorgt, dass die Geschenke alle wohlbehütet in zwei schönen Säckchen nach Hause transportiert werden können. Der Rodelschlitten steht ebenfalls bereit, Hannes hat an alles gedacht.

Bald sitzen alle, noch mit rot gefrorenen Nasen, vor dem erleuchteten Baum, der bei Anna stets so groß wie möglich sein musste. Der Kaffee duftet, der Kuchen schmeckt vorzüglich. Dann wird der Glühwein eingeschenkt und Anna muss erzählen, wie sie auf die Idee kam und wie sie diese verwirklicht hat, nur mit Hannes allein. Alle anderen sollten überrascht werden.

Fakt war, es durfte nicht viel kosten, der Bau des Hauses und Ingeborgs Heiratspläne ließen keine unnötigen Ausgaben zu. Da mussten Geschenke für die Zwillinge gezaubert werden. Was so aussah, als ob das Christkind all seine Geschenke bei den Zwillingen unter den Baum gelegt hätte, waren alles Kleidungsstücke, welche die Kinder das ganze kommende Jahr hindurch selbstverständlich gebraucht hätten. Alle Püppchen wurden neu angezogen. Neue Bettchen für den Puppenwagen, bunte Bilder von Hänsel und Gretel auf die Pfefferkuchen geklebt, dazwischen Äpfel und Nüsse gestreut und die Kinder sind glücklich und zufrieden. Die vorgetäuschten Wolken und den Schnee zauberten sie aus den bereits gekauften Gardinen für das neue Haus. Die Engelchen wurden aus weißem Krepppapier gebastelt. Ein bisschen Engelhaar und etwas Goldflitter wurde trotz aller Sparsamkeit für ein paar Pfennige gekauft.

Hannes malte ausdrucksvolle Äuglein und band mit einem Faden jeden Engel an einen Tannenzweig. An gleicher Stelle befestigte er die Wolke, jeweils am Ende der ausladenden Äste.

An der Decke war die bereits funktionierende Lampe vom Handwerker angeschlossen worden. Der Stern wurde doppelt ausgeschnitten und an den Rändern zusammengeklebt und dann wie ein Lampion über die Glühbirne gestülpt. Das ergab ein wunderschönes bengalisches Licht. Ein Haken, daneben angebracht, ergab die Führung des Fadens von der Baumspitze bis zu der Mechanik, welche Hannes baute, um das Bäumchen schweben zu lassen.

Das Wichtigste war die Hoffnung, dass alles klappt, und dass alle sich ein bisschen freuen mögen. Darauf wird mit einem Glas Rotwein angestoßen.

Noch lange gibt es Fragen hin und her. Es wird gelacht, gesungen, genascht und getrunken.

Ein ganz besonderes Geschenk von Eugen und seiner Frau bringt die nächste Überraschung, aber diesmal für Anna und Max: Ein Schild aus Metall für die Eingangstür des neuen Hauses mit der Gravierung „Familie Simonides, Gartenstraße 4“.

Es ist deutlich die Arbeit eines Goldschmiedes zu erkennen. Eugen beteuert, dass seine Freunde ihm diese Mühe wert sind, und ist beglückt über einen besonders liebevollen Blick aus Annas Augen.

Der Förster unterbricht die Freude über dieses besondere Geschenk durch eine ebenso schöne Idee für das neue Heim. Er verspricht, die von Anna so oft schwärmerisch erwähnte Hecke aus Haselnusssträuchern zu setzen, sobald der Frost aus dem Boden gewichen ist.

Die Hecke soll den Eingang vom angrenzenden Garten trennen. Wenn diese Hecke dann jedes Jahr wieder verschneit vom Fenster aus zu sehen ist, dann beginnt die Weihnachtszeit. So sah Anna es stets in ihren Träumen. Sie umarmt den Förster vor Freude, denn sie weiß, dass er sein Versprechen halten wird. Genauso, wie sie den Zwillingen gegenüber ihr Versprechen gehalten hat.

Anna ist glücklich. Sie sucht nach einer Möglichkeit, sich zu bedanken, und schon wieder verspricht sie etwas:

„Im nächsten Jahr wird es in unserem neuen Haus eine Nikolausfeier geben, für die Familie und alle unsere Freunde. Und das soll alle Jahre wieder so sein.“

1938

Als Max das von seinem Freund Eugen geschenkte Schild an seine Eingangstür schraubt und immer wieder seinen Familiennamen betrachtet, denkt er an seinen Vater. 1883 brachte er diesen schönen Namen aus Griechenland nach Deutschland. In Schlesien wurde er sesshaft und Vater von vier Söhnen. Drei blieben im Ersten Weltkrieg 1914-1918. Nur Max überlebte verwundet. Er hatte Glück, er hatte eine tüchtige Frau und später einen Sohn, vier Töchter, eine gut funktionierende kleine Mühle und jetzt sogar ein kleines Häuschen. Sein Name schmückt die Eingangstür in der Gartenstraße 4.

Es ist bewundernswert, was diese Familie seit ihrem Einzug im März in diesem Häuschen erreicht hat. Gut durchdacht wurde der jeweils richtige Platz für Obstbäume, Beerensträucher, Stauden, Blumen und Gemüse gefunden. Max will Bienen anschaffen und setzte schon kleine Akazienbäume.

Vom ersten Moment an wusste Anna, wo ihre ersehnte Haselnusshecke wachsen und gedeihen wird. Sie bildet den Übergang vom Haus zum Garten. Im kommenden Frühjahr will Anna einen Platz vor der Hecke gestalten, auf dem die Kinder spielen können. In gemütlicher Runde soll man sich da stets wohlfühlen. Selbst für den stolzen Hahn und seine gefiederten Mitbewohner wurde von dem Grundstück ein kleiner Hof abgegrenzt. Ein Hasenpärchen hofft in einem geräumigen Stall auf möglichst baldigen Nachwuchs.

Wenn morgens der Hahn kräht, beginnt auch für Anna die Arbeit, die bis zum späten Abend nicht abreißt. Max und die Kinder helfen, wo sie gebraucht werden.

Auch die fünf großen Jungen aus der Siedlung wollen helfen. Anna überlegt und findet schnell einen wichtigen Auftrag für sie. Vom Flur geht es, von einer kleinen Veranda über eine gepflasterte Fläche, hinunter in den Garten.

Den langen, breiten Weg bis zur Grenze des Nachbargrundstücks der Familie Matuschek wollen sie befestigen. Aber das Geld reicht nicht. Die Steinchen, die sich massenhaft im Boden befinden, könnten helfen, sie müssen nur gesammelt werden. Zur Freude übernehmen die Jungen den Auftrag, zumal die sechs Mädchen aus der Laienspielgruppe, mit denen die Zwillinge befreundet sind, auch mithelfen wollen.

Kraft durch Freude, denkt Anna, irgendwo hat sie so etwas schon gehört. Auf keinen Fall darf es in Arbeit ausarten. Anna ist da sehr gewissenhaft. Sie verteilt dicke Fettbrote, saure Gurken und Milch.

Noch größere Freude bereitet Anna den Kindern mit der Einladung zur Nikolausfeier.

Es ist Herbst. Die niedlichen gelben Gänschen, welche den Zwillingen neben den kleinen Enten und Kücken im Laufe des Jahres die größte Freude bereiteten, sind nun schlachtreif. Zum Weihnachtsfest wird es schon eigenen Gänsebraten geben. Die herangewachsenen Hühner legen bereits Eier, die Kaninchen vermehren sich tüchtig. Das erste Gemüse wird geerntet, die Tomaten leuchten feuerrot vom Strauch.

Die Zwillinge pflücken hier und da ein paar Blümchen für die Mutter und springen ausgelassen um das Kartoffelfeuer herum. Die Freundschaft mit den Nachbarskindern ist gefestigt, es sind sieben Mädchen und sechs Jungen.

Die ehrenamtlichen Gruppennachmittage in der Laienspielgruppe dürfen von Anna nicht vernachlässigt werden. Eugen Schüler sorgt im Verein der Kriegsversehrten für einen richtigen Arbeitsplan.

Die letzten zwei Schuljahre sollen jeweils sechs Mädchen von Anna unterrichtet werden. Herr Schüler unterstützt und kontrolliert die Arbeit. Auf diese Weise erfüllt sich für Anna auch der Wunsch, im Stadtkomitee eine kleine Rolle zu spielen.

Anna ist stolz darauf - doch die Zeit für diese Aufgabe muss sie sich von ihrer Freizeit stehlen, die sie eigentlich gar nicht hat.

Die sechs Mädchen lieben Anna und verbringen viel Zeit bei ihr. Sehr oft sind alle Kinder zusammen auf der Straße, wo der Regen mit der Zeit die Schlacke zu einer festen Decke werden ließ.

Der Jägerzaun bildet an den oberen Grundstücken einen offenen Ring, aus dem sich schnell ein wilder Spielplatz entwickelte. Geplant war dieser Ring für das bequeme Wenden von Fuhrwerken und Fahrzeugen. Er wird zum Treffpunkt für alle, wenn es etwas zu besprechen gibt, und mancher Tag wird im Ring feuchtfröhlich beendet. Der Förster erfreut die Kinder mit praktischen Sitzgelegenheiten, indem er starke Birkenstämme in Stücke zersägt. Hannes versiegelt die Oberfläche mit Lack, damit der Regen die schönen Geschenke des Försters nicht zerstören kann.

Regelmäßig kommen Pferdewagen und bieten Milch und Bier in der Straße an. Hausierer handeln mit vielen schönen Dingen. Die Siedler sollen aussuchen und möglichst viel kaufen. Jeder Händler kündigt sich mit einer lauten Glocke an, auch der Lumpensammler mit seinem Laubenwagen. Diesen lieben die Kinder ganz besonders, können sie doch für ein paar Lumpen hübsche kleine Spielsachen aussuchen: Püppchen, quakende Frösche, Kreisel und Peitschen, bunte kleine Tonkugeln und sogar vielversprechende Wundertüten.

Wenn Hannes nach Feierabend im Ring sitzt und Mundharmonika spielte, sind alle Jungen schnell dabei und lauschen.

Da hat Anna gleich wieder eine Idee: Sie wird jedem Jungen als Dank für die Hilfe eine Mundharmonika schenken. Sie ist sicher, dass Hannes in den Jungen den Wunsch zum Spielen geweckt hat. Ganz uneigennützig ist sie dabei nicht: Etwas Musik kann bei vielen Gelegenheiten nützlich sein.

Es ist ein fröhliches Treiben - und alles ist so, wie Anna es sich vorgestellt hat. Doch niemand weiß, wie lange Anna grübeln musste, bis sie für alles den richtigen Platz fand!

Gezielt geht sie an die Einrichtung des kleinen Hauses heran. Jeder ihrer siebenköpfigen Familie benötigt einen Platz zum Schlafen, zum Essen, zum Werken und einen für sich ganz allein. Dafür stehen ihr lediglich der geräumige Flur, die große Wohnküche, die gute Stube und die schöne Holztreppe, die hoch zu den beiden Schlafräumen führt, zur Verfügung. In Stube, Küche und Flur stellt sie je einen entsprechenden Tisch und sieben Sitzgelegenheiten.

Ihre Familie muss zu jeder Gelegenheit zusammensitzen können, dabei sind die Treppen nicht ausgeschlossen. Das ist für Anna sehr wichtig. Erst danach werden die übrigen notwendigen Möbel eingeordnet, jedes Ding muss seinen Zweck erfüllen.

Freilich wird es nicht so schön wie bei den Freunden in der Försterei. Dafür fehlen ihr die großen Räume, die großen Tische und das herrliche Geschirr. Doch gemütlich wird es werden, das weiß Anna genau.

Etwas ganz Besonderes hat sie sich für die stabile Mauer neben der Treppe ausgedacht und löst damit ein großes Problem für alle: Jeder der Familie sollte seine eigene, kleine Garderobe haben. Nur so verspricht sich Anna eine gewisse Ordnung für die Kleidung.

Der Schmiedemeister, bei dem Hannes gerade seine Lehrzeit beendete, schüttelte bedenklich den Kopf, als er Annas Auftrag entgegennahm. Doch Anna zerstreute jeden Zweifel. Es entstanden, nach einigen Überstunden von Hannes, tatsächlich sieben kleine Gitter mit vielen angeschweißten Haken. Das Problem für die Garderobe war gelöst. Doch Annas Idee für die Gestaltung der Treppengarderobe ging noch weiter.

Nun macht Anna aus der Not eine Tugend. Sie bittet den Nachbarn aus der Nummer 6, Herrn Gernot, um eine Stunde Unterricht für ihre sechs Schützlinge aus der Laienspielgruppe, mit denen sie trotz der vielen Arbeit jede Woche regelmäßig arbeitet. Neben schauspielerischen Fähigkeiten und leichter Kostümgestaltung sollen die sechs Mädchen in der Lage sein, einfache Kulissen und Dekorationen für ihre kleinen Theaterstücke zu schaffen. Sie müssen auch lernen, mit Farben umzugehen. Herr Gernot, der freundliche Maler, erklärt den Mädchen alles sehr genau. Er lässt sie Farben mischen und Muster auf Papier malen. Als er sich zuletzt strahlend von Anna verabschiedet, ist er überzeugt, dass die Mädchen etwas fürs Leben gelernt haben.

Jetzt malen Hannes und Anna mit Kreide Blumen und Sträucher an die Wand, damit das Gitter wie ein kleiner Zaun davor wirkt. Die Mädchen dürfen jetzt zeigen, was sie bei Herrn Gernod gelernt haben. Hannes schraubt noch ein paar Stunden und fertig ist das Werk. Oben auf dem kleinen Flur bringt er noch einen Spiegel zwischen zwei Gittern an, so dass die Zwillinge ihn auch nutzen können.

Auf ähnliche Weise löst Anna jedes Problem, erfüllt alle einzelnen Wünsche der Familie und glaubt, alles im Griff zu haben.

Doch da kracht es das erste Mal im neuen Heim!

Nachdem Max die Wand bewundert und auch gebührend gewürdigt hat, schleppt er eine lange Leiter heran und stellt diese auf die Treppe. Er stützt sie, wie an einem Baum, hoch über der Treppe ab. Diese Wand hat Anna im Eifer des Gefechts noch gar nicht richtig wahrgenommen. Dieses Stück Wand schien ihr von vornherein nicht erreichbar. Max klettert auf der Leiter hoch und beginnt, mit einem großen Stift in aller Ruhe Punkte auf die Wand zu malen, nach seinen gut überlegten Vorstellungen. Dabei wirkt er auf der Leiter wie ein Artist. Dann kommt Hannes mit einem Hammer und der Nagelkiste. Er sortiert große Nägel heraus.

Anna ist verblüfft. Da erlaubt sich doch tatsächlich jemand, etwas zu tun, das sie nicht abgesegnet hat!

Hannes steigt auf die Leiter. Max sorgt dafür, dass Hannes sicher steht. Bald sitzen die großen Nägel auf den Punkten, die Max angezeichnet hat. Anna setzt ein energisches Fragezeichen in den Raum und bittet Max zu erklären, was dieses Nagelwerk bedeuten soll. Max sagt ruhig und gelassen, dass die geräucherten Knackwürste und der Schinken für Ingeborgs Hochzeit an diesem Nagelwerk trocknen werden. Das wäre der richtige Platz mit dem nötigen Luftdurchzug. Das ist ein Argument! Anna findet keine Worte, den Sinn dieser Aktion zu widerlegen. Max erklärt ruhig und sachlich, dass die Familie hier in diesem Haus nicht nur feiern, sondern auch leben soll, einfach leben.

Anna sagt nichts. Sie denkt an den Geruch der geräucherten Würste und schaut auf die kunstvoll gestaltete Treppenwand. Sie weiß, ein falsches Wort und es kracht.

Das muss sie verhindern. Wie soll sie sonst überleben, wenn Max erst mit dem Klavier fertig werden muss?

Noch ahnt er nichts. Sie sucht für sich selbst nach Argumenten. Sie ist überzeugt davon, dass Musik zumindest genauso wichtig ist wie geräucherter Schinken. Sie schiebt den Gedanken an das Klavier weit von sich und redet auch nicht darüber.

Ärger kann sie jetzt nicht gebrauchen. Sie braucht einen möglichst gut gelaunten Ehemann, denn jetzt geht es erst einmal um die bevorstehende, versprochene Nikolausfeier.

Annas Schönheitssinn und ihr herrschaftliches Streben prallen manchmal mit der bäuerlichen Art von Max zusammen. Doch sie windet sich stets geschickt heraus. Schließlich lieben sie sich, woher hätten sie sonst fünf Kinder.

Das erste Jahr im neuen Haus neigt sich dem Ende zu. Anna hat bereits ihren Lieblingsplatz gefunden. Ganz in einer Ecke der Wohnküche steht ihre Nähmaschine, mit kleiner Ablage und winzigem Schränkchen und ihrem Lieblingsstuhl. Gleich daneben steht der große Küchenherd. Die gute oberschlesische Steinkohle glimmt lange im Feuer, bis ihre Asche langsam wie kleine, leuchtende Sternchen durch den Rost fällt und verglüht. Anna genießt die gemütliche Wärme oft mit ihren Zwillingen bei einem Dunkelstündchen. Da fühlt sie sich wohl und das ist das Wichtigste im Leben. Hier an ihrem Platz kann sie nachdenken, schwärmen und träumen.

Die Zwillinge haben die Treppe als Lieblingsplatz erobert. Ganz neu ist es, auf ihr herunterzurutschen.

Anna hofft, dass jeder ihrer Familie seinen Lieblingsplatz finden wird.

Die kleine, zierliche Haselnusshecke versteckt ihre noch sehr zarten Zweige im ersten Schnee. Die Weihnachtszeit beginnt. Die Zwillinge schauen aus dem Fenster. Der Himmel leuchtet rot.

„Die Engel backen Pfefferkuchen.“, weiß Iris. „Für wen?“ fragt Esther. „Natürlich für den Nikolaus.“, weiß die Mutter und umarmt ihre Mädchen.

Bald ist Nikolaus.

Nikolaustag 1938

Anna bindet ihre blütenweiße Schürze um. Kritisch prüft sie noch einmal die weiß eingedeckten Tische. Sie erwartet eine gemischte, gemütliche Runde. Neun kleine Mädchen, im Alter der Zwillinge, mit Elli, dem Kindermädchen. Dazu sechs Jungen aus der Siedlung und sechs Mädchen aus Annas Gruppe, zwischen 12 und 14 Jahren. Auch die Erwachsenen aus der Familie und ihre Freunde Eugen und Ilse, das Försterehepaar, die Paten der Zwillinge, Tante Hedel und Tante Walli, und die liebste Nachbarin Frau Matuschek mit ihrem Kalle.

Eugen singt mit den Mädchen und begleitet sie auf der Geige. Die großen Jungen haben Garderobendienst und spielen außerdem auf ihren Mundharmonikas. Viele haben eine bestimmte Aufgabe, doch was Kalle und Frau Matuschek vorhaben, das wird nicht verraten.

Anna glaubt, alles richtig angeordnet zu haben. Es wird eng werden, doch jeder findet einen Platz. Reichlich Gebäck und Kuchen, passende Getränke, eine ganze Menge frischer Brötchen, mit würziger Leberwurst vom Lande, warten im Hintergrund auf einen gesegneten Appetit der Gäste. Die Kleinen sollen heute richtig genießen, die Größeren wollen helfen. Die Erwachsenen sollen einmal richtige, helle Freude an den Kindern haben und selbst ausgelassen und fröhlich sein.

Das ist Annas Wunsch heute zum Nikolaustag. Drei Stunden Freude sollen es werden. Nur Anna weiß, welche Mühe dahinter steckt. Vor vier Wochen begannen die Vorbereitungen; nachdenken, notieren und der Reihe nach abarbeiten.

Sie denkt zurück. Zu dieser Zeit kamen bei Frau Matuschek die Federn der Gänse vom vorigen Jahr auf den Tisch. Es war die Zeit, die Federn zu schleißen. Sie mussten von den Kielen befreit werden. Bei dieser mühseligen Arbeit helfen sich die Frauen der Siedlung gegenseitig, sie machen stets eine lustige Angelegenheit daraus.

Anna nutzte die Gelegenheit, die Einladungen für die Kinder auszusprechen. Die allgemeine Neugier auf das Fest bei der neuen Familie Simonides wuchs. Es wurde lustig und alle kamen sich näher. Anna gewann den großen, kräftigen Fischer Kalle Matuschek für die Rolle der Hauptperson am Nikolaustag. Seitdem studiert Kalle ein wunderschönes Weihnachtsgedicht von Theodor Storm für seinen Auftritt ein. Stets wird geübt, wenn die Zeit es erlaubt. Frau Matuschek wird am 6. Dezember ihren Kalle einkleiden und er wird zur vorgegebenen Zeit an das Fenster klopfen, das war versprochen. Anna konnte wieder eine ihrer Notizen als erledigt ansehen.

Und jetzt ist es soweit. Sechs Mädchen und sechs Jungen sind die Ersten. Wie abgesprochen besetzen sie den Tisch im Flur und die Treppe. Die Mädchen verwöhnen die Jungen mit der für sie vorbereiteten Bowle und alle zeigen einen gesegneten Appetit gegenüber den köstlichen Krajanken, einem oberschlesischen Gebäck, und den duftenden Pfefferkuchen.

Die ersten Weihnachtslieder werden gesungen und von den Mundharmonikas der Jungen begleitet. Die Kleinsten kommen jetzt mit Elli. Aufgeregt bewundern sie die für sie bestimmte Tafel mit den rotweiß melierten Bechern aus Emaille. Diese passen so gut zu den roten Schleifen auf dem duftenden Tannengrün. Die Kleinsten trinken warme Milch zu Kuchen und Plätzchen. Es wird erzählt und gelacht. Jetzt ist es lebendig im Haus. Die Erwachsenen trudeln ein und endlich kommt Eugen mit seiner Frau und bringt seine Geige mit. Jetzt beginnt das Weihnachtspotpourri, das Eugen mit den sechs Mädchen einstudiert hat. Greta und Ingeborg sind von ihrer Arbeit gekommen. Sie versuchen sofort, ihre Mutter zu entlasten. Hier in der guten Stube wird duftender Kaffee gereicht und alles gekostet, was Anna so liebevoll vorbereitet hat. Anna überprüft, wer von den Gästen noch fehlt. Keiner soll den Auftritt vom Nikolaus verpassen. Der Vater und Hannes werden gleich kommen. Sie stellt fest, dass die Förstersfrau allein gekommen ist und wundert sich. Warum Kalle und seine Frau fehlen, weiß sie genau und lächelt bei dem Gedanken. Hoffentlich hat sich sein Lampenfieber gelegt. Ob er endlich sein Auftrittsgedicht in seinem Kopf hat? Sie muss sich überraschen lassen. Sie überschaut noch einmal die ausgelassene Gesellschaft, die in drei durch ausgehobene Türen verbundenen Räumen zu überschauen ist. Der heiße Grog, der auf Wunsch serviert wird, hat bei einigen schöne rote Wangen hinterlassen. Sie stellt fest, außer dem Förster sind alle eingetroffen.

Mitten in die gemütliche Stimmung hinein klopft es laut an das breite Fenster, direkt vor den Nasen der Kleinsten. Plötzlich sind alle still. Spannung und Erwartung auf allen Gesichtern. Anna zieht den weißen Vorhang zurück. Diesen Effekt wollte sie sich und allen Anderen nicht entgehen lassen. Da steht er nun, mit roter Nase und roten Wangen, im phantastischen Gewand, der Nikolaus! „Doch wer ist das noch?“ Anna staunt und ist selbst überrascht. Die Kinder rufen auf diese Frage im Chor: „Der Knecht Ruprecht ist es!“ Alle drängen ans Fenster. Sie können genau sehen, was draußen im Ring passiert, denn da leuchtet eine Fackel, hell wie der Mond. Knecht Ruprecht steigt aus dem Pferdeschlitten und schleppt einen großen Sack ins Haus. Anna öffnet die Tür. Sie beteuert, dass nur artige und gute Kinder hier beisammen sind und bittet den Nikolaus und Knecht Ruprecht ins Haus. Nun weiß sie auch, wo der Förster geblieben ist. Sie erkennt sofort sein freundliches Gesicht, trotz der zottigen Pudelmütze. Der dicke, alte Pelzmantel verhüllt seine schlanke Figur.

Jetzt muss beim Nikolaus das Gedicht kommen. Aber er hat vor Aufregung alles vergessen.

Er weiß nur noch, dass er draußen vom Walde herkommt und dann erzählt er mit zittriger Stimme, dass es weihnachtet, die goldenen Lichtlein auf den Tannenspitzen blitzen, dass die Kerzen anfangen zu brennen und dass das Himmelstor sich öffnet und dass er jetzt hier ist und Knecht Ruprecht Äpfel und Nüsse für alle mitgebracht hat.

Anna bietet ihm nun ihren Lieblingsplatz zum Ausruhen an. Es ist eine Stelle, wo jeder den Nikolaus sehen kann, denn alle drängen sich nun in die Wohnküche.

Knecht Ruprecht hat kaum noch Platz, seine Gaben aus dem großen Sack zu holen. Er verteilt jedem das gleiche Tütchen mit Apfel, Nuss und Pfefferkuchen. Die Kinder staunen, was er alles von ihnen weiß. Doch er weiß auch von ihren guten Taten. Er freut sich über manch schönes Liedchen und über kleine Gedichte.

Den größten Beifall erhalten die zwölf Jungen und Mädchen für das vorgetragene, lustige Weihnachtslied von der Muh und der Mäh und der Tschingtarätetä, das mit der Pfefferkuchenfrau endet. Sie müssen ein da capo spielen und alle singen mit, sogar der Nikolaus und Knecht Ruprecht.

Danach muss Anna über die Rute springen und schwören, ihren Max niemals zu ärgern. Der Nikolaus weiß auch, dass Ingeborg am 1. August heiraten wird und wünscht ihr eine schöne Hochzeit. Er weiß, dass die Zwillinge Ostern in die Schule eingeführt werden. Er wünscht Anna viel Kraft, denn er weiß, welche großen Aufgaben sie wieder einmal zu bewältigen hat.

Knecht Ruprecht drängt den guten Nikolaus zum Aufbruch, denn viele Kinder, auch im Krankenhaus dieser kleinen Stadt, warten noch auf ihn. Er hat es versprochen. Es ist ein bewegter, herzlicher Abschied, begleitet von dem lustigen Lied der Pfefferkuchenfrau und der Muh und der Mäh. Die Kinder hängen am Fenster und winken.

Als sie wieder zur Ruhe gekommen sind und auf ihren Plätzen sitzen, da staunen sie über eine weitere Überraschung. Neben jedem roten Milchbecher liegt ein großer Pfefferkuchen. Darauf sind bunte, glänzende Bilder von Hänsel und Gretel, vom Nikolaus und der Pfefferkuchenhexe und ein kleines lustiges Schweinchen aus Marzipan.

Nun wird erzählt, gestaunt, gelacht und genascht. Keinem fällt auf, dass Kalle Matuschek mit seiner Frau und der Oberförster plötzlich mit in der Runde sitzen.

Dann wird es Zeit, die Kinder auf das Ende einzustimmen. Das geschieht ganz feierlich mit einem Kanon, in dem es heißt:

„Lasst euch nicht verdrießen,

einmal muss man schließen,

einer muss den Anfang machen,

gute Nacht zu sagen.“

Eugen ist stolz auf seinen kleinen Chor. Es ist spät geworden. Die Erwachsenen sitzen noch lange zusammen und erzählen, ein schöner Tag geht zu Ende. Die Kinder liegen schon in ihren Bettchen und träumen.

1939

Das 39. Jahr des 20. Jahrhunderts verspricht für Anna und ihre Familie sehr turbulent zu werden. Außer den feststehenden Ereignissen, zu denen auch die sechs Geburtstage im Februar gehören, gesellen sich in diesem Jahr die Einschulung der Zwillinge im April und Ingeborgs Hochzeit am 1. August.

Max hat seine fünf Kinder im Mai gezeugt, sicher bei bester Geburtstagslaune, oder Anna hat ihre Zärtlichkeit als Geschenk betrachtet. Bei Anna war alles möglich. Sie selbst ist auch im Februar zur Welt gekommen.

In der Familie gibt es eine Regelung, alle Geburtstage am 24. Februar, dem Tag, an dem Esther als Letzte der Familie geboren wurde, zu feiern. Der Vater muss sich für alle sechs Geburtstagskinder etwas Besonderes als Überraschung einfallen lassen.

Hoffentlich bleibt Esther die Letzte, denkt Anna. Jetzt, wo sie ihren Max bei bester Laune halten muss, könnte es schon noch einmal gefährlich werden.

Dem Vater gefällt die Regelung für die Geburtstagsfeier. Er setzt jedoch voraus, dass nur die Familie anwesend ist, ohne Besuch, da es sonst mit der Überraschung nichts wird. Obwohl das für Anna nicht einfach ist, gelingt es ihr.

Nach gutem Essen und bester Laune kommt der große Moment. Vater klopft mit dem Kaffeelöffel an sein Glas. Er erklärt, dass die Handwerker für die Gestaltung der Fläche zwischen Haus und Hecke bereits von ihm als Geschenk für alle bestellt und bezahlt sind. Jeder kann dazu seine Wünsche äußern und Mutter kann schalten und walten, wie sie will.

Vater erhält volle Zustimmung für diese sehr tolle und großzügige Idee. Max überlegt, ob es nicht angebracht ist, eine Grenze nach oben zu setzen, um seine Frau später nicht enttäuschen zu müssen. Er möchte die schöne Stimmung jedoch auf keinen Fall zerstören. Er wird es schon schaffen, Anna macht ja doch, was sie will. Anna kann diesen Punkt in ihrem Notizbuch abhaken. Für diese Aktion hatte sie schon heimlich ein schönes Sümmchen gespart. Dieses Geld in ihrem Sparstrumpf will sie nun für ein ganz besonderes Hochzeitsgeschenk verwenden. Die Möglichkeit, dass es doch ein Klavier wird, rückt näher, obwohl Max klar zum Ausdruck brachte, dass eine gute, moderne Nähmaschine nützlicher ist und vor allem eher bezahlbar. Außerdem ist jetzt der Schwiegersohn für ihre stets etwas hochtrabenden Wünsche zuständig.

Trotzdem, denkt Anna, das Klavier wäre die Krönung.

Zu Ostern werden die Zwillinge Schulkinder. Sie sollen natürlich die Schönsten sein. Es soll auch tüchtig gefeiert werden, doch alles muss bei größter Sparsamkeit geschehen. Wie stets helfen auch jetzt die Freunde. Die süßen Schultüten kommen von den Paten. Die Schultaschen mit Schiefertafel, Schwamm und Lappen, Schieferstifte und die Lesebücher will die Försterin einkaufen und selbst ihre Freude daran haben. Sportliche Kleidchen und weiße Jäckchen schenkt Eugens Frau Ilse. Anna setzt den Punkt auf alles, indem sie aus einem großen Hut zwei niedliche Mützchen zaubert.

Anna war erfinderisch und es gelang ihr alles, was sie ansteuerte. So wurde es für sie viel leichter. Sie wünschte sich nur noch schönes Osterwetter.

Die Kinder wurden in der Spielschule vorbereitet und Anna tat in den gemeinsam mit den Mädchen geführten Gesprächen alles, um sie neugierig zu machen, so dass sie den ersten Schultag kaum erwarten konnten.

Bei schönstem Wetter wurde dieser Tag gefeiert, so dass der Osterhase beleidigt davon hoppelte, denn alles drehte sich nur um die Schule.

Anna ist in die Villa „Daheim“ zum Kaffee eingeladen, bei Frau von Sommer, einer sehr vornehmen, alten Dame, für die Ingeborg seit Jahren den Haushalt führt und ihr vor allem Gesellschaft leistet, sehr oft über ihre Arbeitszeit hinaus. Sie hat Ingeborg sehr lieb gewonnen und möchte der schönen, gemeinsamen Zeit ein würdiges Ende setzen.

Frau von Sommer erzählt von ihrem unerfüllten Wunsch nach eigenen Kindern. Sie erzählt, wie gerne sie mit Ingeborg musiziert und wie deren schöne, klare Stimme sie begeistert. Sie bewundert, wie Ingeborg intensiv versucht, sich selbst am Klavier zu begleiten, wenn sie selbst einmal nur zuhören und genießen wollte.

Nun bieten sie Anna das Ergebnis ihrer gemeinsamen Mühe. Ingeborg setzt sich ans Klavier, begleitet sich selbst und singt dazu ein einfaches, liebliches Lied.

Anna ist begeistert von ihrer Tochter. Ob sie doch das Talent von ihrem griechischen Großvater geerbt hat? Wie wäre es gelaufen, wenn er nicht so früh gestorben wäre? Er hat nur kurze Zeit seine einzigen Enkelkinder genießen und verwöhnen können. Er leitete in einer kleinen Kirche einen gemischten Chor. Seine Enkelin saß neben ihm, wenn er am Sonntag auf der Orgel spielte. Er übte, so oft es ging, mit ihr am Klavier. Vielleicht hätte er ihre Stimme erkannt und sie ausgebildet?

Und wieder drehen sich Annas Gedanken nach diesem herrlichen Erlebnis um das Klavier. Sie ist gestärkt im Glauben, das richtige Hochzeitsgeschenk für ihre Tochter im Kopf zu haben.

Frau von Sommer unterbricht Annas Gedanken, indem sie zum Schluss noch etwas ganz Besonderes zum Ausdruck bringt. Sie möchte Anna und Ingeborg zu gegebener Zeit zu einer Dampferfahrt auf der Oder in die Kreisstadt einladen und in der Stadt den schönsten Brautstaat einkaufen, um bei ihrer Ingeborg stets in Erinnerung zu bleiben.

Die Freude ist auf beiden Seiten zu erkennen. Anna kann wieder einen Punkt in ihrem Ausgabenregister streichen, der mit sehr viel Geld verbunden ist. Außerdem fühlt sie sich geehrt, denn dieses Geschenk zeugt von vollster Zufriedenheit zwischen ihrer Tochter und Frau von Sommer.

Es ist Muttertag, der zweite Sonntag im Mai. Die fünf Kinder erledigen Annas Arbeit, die Mutter muss sich ausruhen. Anna nutzt die Zeit, um einmal die Schultaschen der Zwillinge genau unter die Lupe zu nehmen. Die Buchstaben sollen auf der Tafel in vorgezeichneten Zeilen richtig und sauber stehen. Dazu fehlt noch viel. Sie hat die feste Absicht, noch heute ein energisches Gespräch mit den beiden zu führen und feste Regeln aufzustellen. Erst die Arbeit - dann das Spiel.

In diesem Moment sieht Anna zwei leuchtend gelbe Sträuße aus Löwenzahn, die die Zwillinge ganz früh vom Rasen gepflückt haben. Sie erblickt zwei freudestrahlende Gesichter. Sie kann die Tränen nicht unterdrücken, als die Mädchen ihr erstes in der Schule gelerntes Gedicht vortragen:

„Kein Vöglein sitzt in Flaum und Moos so warm,

wie ich in meiner Mutter Schoß, in meiner Mutter Arm.

Und tut mir weh mein Kopf und Fuß,

vergeht mir aller Schmerz,

gibt mir die Mutter einen Kuss

und drückt mich an ihr Herz.“

Die Kinder umarmen die Mutter und viele gute Wünsche kommen aus ihren süßen Mündchen. Anna schiebt ihr energisches Gespräch erst einmal weit von sich und bringt ihre Freude über die Mädchen ganz deutlich zum Ausdruck und über den Tag, an dem sie von allen so richtig verwöhnt wird.

Ende Mai bietet sich die Gelegenheit, nach einem außergewöhnlichen Hochzeitsgeschenk zu suchen. Eugen ist glücklich darüber, dass Anna eine Einladung zu einer Versteigerung in der Kreisstadt nach mehreren Versuchen endlich annimmt. Bisher bekam er nur Absagen mit der Begründung, aus Zeitmangel ginge es nicht. Wirklich aber war es Eugens zärtliche Zuneigung und Anna war nicht sicher, ob sie dieser noch lange widerstehen kann. Probleme dieser Art kann sie nicht gebrauchen und deshalb sind die Zwillinge zu ihrem eigenen Schutz mit dabei. Außerdem braucht sie Eugens stärkste Waffe, seine Geige, nicht zu fürchten, mit der er in zärtlichsten Tönen seine heimliche Liebe zu Anna, welche in seinen Augen stärker brennt als Feuer und Kohle, andeutet, so dass niemand etwas merkt.

Also kann dieser gemeinsame Ausflug nicht gefährlich werden. Sie hofft auf ein gutes Geschäft und ist neugierig und aufgeregt. Eugen hat schon manche kostbare Uhr und auch schon kostbare Schmuckstücke ersteigert und durch seine begnadeten Hände und über sein kleines Geschäft für anspruchsvolle Kunden mit gutem Gewinn verkauft. Anna imponiert die ruhige und sachliche Art, mit der in der Versteigerung manch kostbares Stück durch drei Hammerschläge den Besitzer wechselt. Sie beobachtet den Handel zwischen Eugen und einer attraktiven Frau um einen Schmuck aus roten Rubinen in einem silbernen Handtäschchen. Sie bewundert Eugen, der hartnäckig blieb, bis die schöne Frau schließlich merkte, dass es keinen Sinn hat, weiter zu bieten. Danach wusste Anna genau, wie eine solche Sache läuft. Für sie war alles klar.

Das nächste Stück wird angekündigt. Anna hält den Atem an: Ein Klavier aus dunklem, glänzenden Holz wird hereingerollt. Ein Fachmann beweist die angekündigte Qualität durch zauberhafte Klänge, welche Annas Herz schneller schlagen lassen. Das ist es! Das ist das außergewöhnliche Hochzeitsgeschenk für ihre Tochter. Nach dem ersten Angebot meldet sie sich, so wie sie es abgeschaut hat, doch vollkommen unüberlegt, einfach durch ihr Gefühl beflügelt. Nichts regt sich, alles ist still im Saal, nur der Hammer schlägt zum ersten, zum zweiten und zum dritten Mal energisch zu. Das Klavier geht für eine bescheidene Summe an die neue Besitzerin. Der Auktionator gratuliert Anna zu diesem schönen Stück, als sie kurz danach das Geschäft abwickeln. Ende Juli muss jedes Stück die Versteigerungsräumlichkeiten verlassen. Anna blickt Eugen fragend an. Gut gemacht, Anna. Eugen faltet die Besitzurkunde zusammen, nachdem er Anna noch einmal die einzelnen Daten vorgelesen hat. Fast feierlich steckt er die Urkunde in das Geheimfach der kleinen, silbernen Tasche, die er kurz davor ersteigert hatte. Es ist ein Geschenk für Anna. Eugen äußert in sorgfältig gewählten Worten den Wunsch, dass Anna nur Besonderes aus ihrem Leben darin aufbewahren möge.

Anna greift langsam den zarten Gliederhenkel der kleinen silbernen Tasche, wie ein leichtes Spitzentuch, und lässt das Geschenk in ihre Einkaufstasche gleiten. Sie bedankt sich ohne Worte mit einem koketten, fast verliebten Blick bei Eugen. Übermütig und freudig erregt treten sie den Heimweg an, doch nicht bevor jeder der Zwillinge etwas Besonderes in einem feinen Schokoladengeschäft aussuchen durfte. Sie waren so brav und Anna ist sicher, dass beide Mädchen das Geschehen gut beobachtet haben.

Nach diesem wunderbaren Erlebnis muss Anna eine Erfahrung machen, die fast alles Schöne des Tages zerstört. Aus Vorsicht schildert sie zu Hause ihre Geschenkidee nur als Möglichkeit und wartet neugierig auf die Zustimmung von Max.

Anschließend würde sie alles ausführlich erzählen.

Da erlebt sie ihre größte Enttäuschung. Das harte, krasse Gegenteil von dem, was sie erwartete, tritt ein. Max versucht es gar nicht im Guten, er erklärt in einem harten Befehlston, dass ihre Idee auf gar keinen Fall in Frage kommt. Ihrem Hochmut muss ein Ende gesetzt werden und dieses sei der Punkt. Bis dahin und nicht weiter, Ende!

Ein letzter Überzeugungsversuch von Anna macht alles noch viel schlimmer. Max trinkt einen Schnaps aus der Flasche und tobt, wie Anna ihn noch nie erlebt hat. Völlig erschöpft wird er langsam ruhig.

Iris und Esther hören diesen Auftritt nur gedämpft. Sie erledigen ihre Schulaufgaben und wundern sich sehr über die erregten Eltern. Alle spüren, dass etwas nicht in Ordnung ist. Es wird für jeden eine traurige Nacht. So kennt keiner den Vater.

Am nächsten Morgen geht alles wie immer seinen Gang, jedoch ohne die fröhlichen Begegnungen in der Familie. Die Stimmung ist wie nach einem Wolkenbruch mit starkem Gewitter, vor dem sich alle fürchten. Das Vertrauen muss wieder hergestellt werden, das ist allen klar, besonders Anna und ganz sicher auch dem Vater.

Anna geht zu ihrem Arzt. Der kennt die Familie ganz genau, er muss ihr helfen. Sie erklärt kurz, was geschehen ist. Sie befürchtet eine böse Krankheit.

Der Arzt beruhigt sie. Danach ist sie erleichtert und erklärt es auch den Kindern: “Der Vater ist von seinem natürlichen Temperament her ein Choleriker. Es muss alles nach seinem Willen gehen. In einer geordneten Familie kommt ein solcher Anfall höchst selten vor. Wichtig ist, er darf nicht gereizt werden. Wenn einmal etwas über seine Nervenkraft geht, muss er beruhigt werden. Auf gar keinen Fall darf er einen Grund zum Betrinken finden.“

Anna ist sicher, sie wird es packen und hofft, dass auch die Kinder wissen, wie sie sich verhalten sollen. Alle sind überzeugt, dass es gut wird.

Anna geht in sich. Er hat recht, sie darf ihre Ansprüche nicht übertreiben. Nach einer vernünftigen Aussprache wird nun die Hochzeit als Höhepunkt des Jahres vorbereitet. Jedoch ohne den Höhenflug, den Anna beinahe für ihre geliebte Tochter gestartet hätte. Die große Freude über das gute Geschäft durch das ersteigerte Klavier wurde durch das Donnerwetter von Max gedämpft. Doch Anna glaubt an eine Lösung durch eine ihrer stets guten Ideen.

In einer kleinen Stadt, wo jeder jeden kennt, wird eine Hochzeit zu einem großen Ereignis. Von allen Seiten wird Hilfe angeboten und herzlich gern angenommen. Doch auch Hilfsbereitschaft muss richtig gelenkt werden. Das ist von nun an Annas Aufgabe, denn der große Tag rückt näher. Nach ihrem bewährten System, das alles Notwendige erfasst, geht es jetzt darum, eins nach dem anderen auf den Weg zu bringen und nacheinander zu erledigen. Bei all der abwechslungsreichen Arbeit schwirren im Unterbewusstsein stets die Gedanken um das Klavier in Annas Kopf. Der Effekt, das Klavier als Höhepunkt zum Polterabend zu machen, droht zu scheitern.

Und da kommt das berühmte Lichtlein, welches stets dann leuchtet, wenn man glaubt, es geht nicht mehr. Ein stattlicher junger Herr aus Ingeborgs Freundeskreis hat die Verantwortung für das gemeinsame Hochzeitsgeschenk übernommen und bittet Anna um Hilfe. Anna schaltet sofort. Das Geschäft ist zu bester Zufriedenheit beider Seiten ganz schnell abgewickelt.

Richard, selbst ein vorzüglicher Klavierspieler, verspricht Anna, zum Polterabend für eine tolle Überraschung zu sorgen. Für das Geld wird nun eine moderne Nähmaschine ausgesucht und gekauft. Anna ist glücklich und erleichtert über diese großartige Lösung der Aktion Klavier.

Jedoch ihre Meinung ändert sie nicht. Sie bleibt dabei: Wer etwas von sich und seiner Familie hält, der macht Hausmusik und dazu gehört ein Klavier.

Der große Tag rückt heran. Das Wetter verspricht seinen Teil dazu zu leisten. Jeder kennt seine Aufgabe für das Gelingen einer traditionellen oberschlesischen Hochzeit. Der Tag des Abschieds aus der Junggesellenzeit ist da. Jeder darf mitfeiern, vorausgesetzt er findet noch ein Plätzchen in dem zu einem Biergarten umgestalteten Eigenheim der Familie Simonides. Die von Hannes gestaltete bengalische Beleuchtung durch viele bunte Lampions verspricht einen zusätzlichen, tollen Effekt, wenn der Abend hereinbricht, der Polterabend.

Ohne Rücksicht auf Verluste der schönen Blumen wird schon lange vorher gesammeltes Geschirr in den Vorgarten geschmettert. Es muss klirren und laut krachen, denn die Scherben sollen Glück bringen. Glück für das neue Ehepaar.