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Jede Familie ist außergewöhnlich! Patience ist Anfang 30, steht immer noch auf Take That und hat auch sonst einen sehr ausgeprägten Sinn für Humor. Sie liebt ihre ältere Schwester Eliza, obwohl sie findet, dass die gerade kompletten Blödsinn anstellt und ihr Verlobter Ed eine ziemliche Niete ist. Auch bei ihren Eltern Louise und Pete läuft es alles andere als rund. Manchmal würde Patience gern eingreifen, nur geht das leider nicht: Sie hat das Rett-Syndrom, eine durch einen Gendefekt ausgelöste schwere Entwicklungsstörung, deshalb kann sie nur sehr rudimentär mit ihrer Umgebung kommunizieren. Nun soll sie einer experimentellen Gen-Therapie unterzogen werden, die ihr helfen könnte, tatsächlich so etwas wie ein normales Leben zu führen. Doch will Patience, will ihre Familie für die bloße Chance auf Normalität tatsächlich alle möglichen Nebenwirkungen in Kauf nehmen? Victoria Scott liefert eine außergewöhnliche Familiengeschichte, die aus vier Perspektiven erzählt wird. Begleiten Sie die Schwestern Patience und Eliza und ihre Eltern Louise und Pete durch ihr Leben im Großraum London – Sie werden mit Ihnen lachen und weinen, versprochen! Dieser Roman vereint Tiefgründigkeit und Leichtfüßigkeit. Er berührt, unterhält und verdeutlicht authentisch, dass jede Familie eine ganz eigene, besondere Geschichte hat.
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Seitenzahl: 617
Victoria Scott
Roman
Aus dem Englischen von Alexandra Kranefeld
Knaur eBooks
Patience ist Anfang 30 und größtenteils zufrieden mit ihrem Leben, auch wenn es beim Rest der Familie alles andere als rund läuft. Manchmal würde Patience gern eingreifen und ihrer Schwester Eliza und ihren Eltern Louise und Pete die Meinung geigen, nur geht das leider nicht: Denn Patience hat das Rett-Syndrom, eine schwere Entwicklungsstörung, darum kann sie nur sehr rudimentär mit ihrer Umgebung kommunizieren. Als ihr eine experimentelle Therapie angeboten wird, stellt sich die Frage: Will die Familie für die bloße Chance auf Normalität tatsächlich mögliche Nebenwirkungen in Kauf nehmen? Und was ist überhaupt »normal«?
Widmung
Erster Teil
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
Zweiter Teil
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
Dritter Teil
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
Vierter Teil
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
Für Clare, die mich den wahren Sinn des Lebens lehrte, und für Teil, Raphie und Ella, die mich jede Minute bestmöglich nutzen lassen.
Patience
Ladies and Gentlemen, wir sind Gary, Mark und Howard, das letzte Aufgebot von … Take That!«
Die Menge bricht in Jubel aus. Direkt vor mir sind ein paar Frauen Ende dreißig – offenbar für den heutigen Abend beurlaubte Mamis –, die sich auf die königsblauen Plastiksitze gequetscht haben und dazu überteuerten Weißwein aus weißen Pappbechern trinken. Völlig überdreht springt die Gruppe geschlossen auf und lässt lauwarmen Chardonnay auf meine Füße rieseln. Aber ich sage nichts.
Alles, was ich jetzt noch sehen kann, ist ein Meer winkender Hände, untermalt von einer Kakofonie aus Pfiffen, Rufen und Gejohle, bei der man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen kann, und in die Nase steigt mir ein Gemisch aus Alkohol, Käsenachos und Schweiß. Durch dieses Tohuwabohu kann ich gerade noch so die ersten Takte von »Pray« ausmachen – das ist einer meiner Lieblingssongs. Als das Stück dann Fahrt aufnimmt, fange ich an, mich hin und her zu wiegen. Musik bringt mich immer in Bewegung, es ist, als ob mein Körper erst weiß, was zu tun ist, wenn man ihm einen Rhythmus vorgibt.
Ich schließe die Augen, damit ich die angeschickerten Muttis ebenso ausblenden kann wie die beiden gelangweilten Ehemänner, die ich zwei Meter links von mir entdeckt habe, beide die Arme vor der Brust verschränkt und finster vor sich hin starrend. Pure Geldverschwendung, die mit hierherzuschleppen! Warum tut frau sich das an? Diese zwei Charmebolzen mal einen Abend los zu sein, müsste sich doch wie ein Befreiungsschlag anfühlen, oder?
Dann mache ich die Augen wieder auf, um nach Gill zu schauen. Wie fast alle außer mir ist sie aufgestanden und schwenkt die Arme in der Luft, dass das schwabbelige Fleisch flattert wie Vorhänge im Wind, immer leicht zeitversetzt zur Bewegung der Hände. Sie hat längst vergessen, dass ich da bin. Die Musik und die Atmosphäre haben sie völlig eingesogen.
Da sind wir uns ausnahmsweise einig.
Gary Barlows Stimme ist mir derart vertraut, ganz tief in meiner Kindheit verankert. »Pray« kam 1993 heraus, da war ich vier. Es ist eigentlich ein ganz durchschnittlicher Popsong, mit eingängigem Chorus und melodischen Vocals, aber für mich ist er so viel mehr als ein auf Kommerz getrimmter Titel.
Bitte sagen Sie Gary nichts davon, denn ich glaube, es würde seine Gefühle verletzen, doch ich bin nicht wegen der Musik hier. Auch nicht wegen der Fleischbeschau, obwohl die Jungs ja wirklich nett anzusehen sind. Aber ganz ehrlich, weshalb ich eigentlich hier bin, sind die Erinnerungen, die ich mit ihrer Musik, mit jedem Song verbinde. Take That ist der Soundtrack meines Lebens. Wenn ich schon nicht die Hauptdarstellerin in meinem eigenen Film sein kann, laufen wenigstens meine Erinnerungen zu Höchstform auf. Das ist wie ein Storyboard in meinem Kopf, und ich bin die Regisseurin.
Musikhören ist ein Trigger, ein Zaubertrick, mit dem ich mich in Szenen der Vergangenheit katapultieren kann, so wie die Kinder in Mary Poppins, wenn sie in die Kreidezeichnungen auf dem Gehsteig springen. Erstes Bild: Eliza und ich in dem kleinen Planschbecken in unserem Garten, ein idyllischer Sommertag, der Rasen von der Sonne verbrannt. Zweites Bild: die Feier zu ihrem neunten Geburtstag, sie heult, weil sie das Wettrennen verloren hat. Drittes Bild: wir auf unserem Zimmer, Eliza übt an meinen Haaren, Zöpfe zu flechten. (Die Windpocken hatten uns in derselben Woche erwischt, und da ihr langweilig war, hat sie sehr viel mit meinen Haaren experimentiert. Bis heute juckt es mich in den Fingern, die Hand wegzuschlagen, wenn jemand versucht, meine störrischen blonden Locken zu bändigen.)
Der nächste Titel – eine der neuen Singles der Band – reißt mich aus meinen Erinnerungen. Er fällt etwas härter aus, und der Bass wummert so heftig, dass der Boden unter mir im Takt der Musik vibriert. Dieser stupide Rhythmus kombiniert mit den zigfachen Körperausdünstungen der stampfenden Menge ist doch etwas überwältigend.
Gill scheint auch erst mal genug vom Tanzen zu haben und schaut zu mir herüber. Ich glaube, ihr gefällt nicht, was sie sieht. Kann sein, dass ich ein bisschen grün bin im Gesicht. Oder rot? Auf jeden Fall ist mir furchtbar heiß – und ein bisschen schwindelig ist mir auch, wenn ich jetzt so drüber nachdenke. Aber ich will hier keinen Stress machen. Ich mag keinen Stress.
»Alles in Ordnung, Patience? Tut dir der Kopf weh?«
Gill setzt sich zu mir. Ich sehe, wie ein wahrer Schweißtsunami sich seinen Weg von ihren Achselhöhlen nach unten bahnt – sie hat es nicht so mit körperlicher Anstrengung, unsere Gill –, und der süßliche stechende Geruch verursacht mir Übelkeit.
Hau ab, Gill! Ich will das hier für mich genießen. Das ist kostbare Lebenszeit, die mir keiner zurückbringt.
Durch die wedelnden Arme der Mamifront kann ich gerade noch erkennen, wie die drei auf der Bühne mit ein paar sexy Tänzerinnen die Hüften kreisen lassen. Stroboskopblitze schießen ins Publikum und flackern unentwegt vor meinen Augen. Hunderttausend schillernde Papierschnipsel werden in die Luft geblasen und schweben anmutig auf uns herunter.
Langsam wird es stickig hier drin, die Luft ist zum Schneiden. Die von Tausenden Handys abstrahlenden Lichter beginnen zu verschwimmen. Und plötzlich ist da eine Wolke über meinem Kopf, eine wirbelnde Wolke aus Staub, Glitzer, Trockennebel, Rauch und verbrauchter Atemluft. Auf einmal schwebe ich, und Gary Barlow winkt mir zu.
Ich komme, Gary …
Dann dringt die Musik nur noch dumpf zu mir, und alles wird dunkel. Ich spüre einen stumpfen Schlag, als ich gegen irgendetwas stoße. Von weit weg höre ich schwere, schnelle Schritte und danach eine aufgeregte Stimme.
»Hallo, kann mal jemand einen Krankenwagen rufen? Die Frau im Rollstuhl hat einen Anfall!«
Louise
Als Louise auf den Krankenhausparkplatz einbog, nahm sie aus dem Augenwinkel eine flüchtige Bewegung wahr, ein kurzes Aufblitzen in Rosa und Rot. Sie trat voll auf die Bremse und kam mit laut quietschenden Reifen nur wenige Zentimeter vor zwei kleinen Mädchen zum Stehen, die wie vom Donner gerührt mit großen Augen auf die Motorhaube starrten, die plötzlich vor ihnen aufragte. Sie waren im Schlafanzug und trugen Flipflops, beide hielten ein Plastikeinhorn in den Händen, das Mädchen in Rosa trug zudem den linken Arm in einer Schlinge.
Nach der ersten Schrecksekunde, in der Louise das Herz bis zum Hals schlug, kam wieder Leben in die Mädchen, und sie rannten weiter über den Parkplatz, holten mit ihren kräftigen kurzen Beinen weit aus und grinsten schon wieder, als könne ihnen niemand was. Dann sprang wie aus dem Nichts ihre Mutter vor Louise’ Auto, mit ausgestreckten Armen, als halte sie ein Paar unsichtbarer Kinderhände, den Mund aufgerissen in einem stummen Schrei.
Ganz ruhig, Louise. Tief durchatmen.
Louise zog die Handbremse an. Danach versuchte sie einige Male, tief ein- und auszuatmen, um das überschüssige Adrenalin abzubauen.
Huuuup. Hup-hup-hup.
Anscheinend wollte hinter ihr jemand vorbei. Sie legte den Gang wieder ein und fuhr in die nächste freie Parklücke. Dort stellte sie den Motor ab, schloss die Augen und ließ die Stirn aufs Lenkrad sinken.
Rums.
Bumm-bumm-bumm.
Widerstrebend hob Louise den Kopf. Die Frau, die gerade vor ihr Auto gelaufen war, hämmerte jetzt wild ans Fenster.
»Ob Sie mich gehört haben, Sie blöde Kuh!«, schrie sie. Durch das Glas klang ihre Stimme, als wäre sie unter Wasser. »Sie hätten fast meine Kinder überfahren! Können Sie mir das mal erklären?«
Louise atmete noch einmal tief durch und öffnete dann die Tür, wodurch die Frau samt ihren noch immer mit großen Augen glotzenden, aber doch seltsam geläuterten Kindern ein Stück Richtung Motorhaube zurückweichen musste. Louise hatte nicht vor, hier irgendetwas zu erklären, und schwieg.
»Hören Sie nicht?«, kreischte die Frau und machte ein paar Schritte auf sie zu. »Ich habe gesagt, Sie hätten fast meine Kinder überfahren! Haben Sie keine Augen im Kopf, oder was?«
Louise hob den Blick und schaute die Frau direkt an. Die beiden Mädchen versuchten, sich nun hinter den breiten, in unvorteilhaften Leggings steckenden Schenkeln ihrer Mutter zu verstecken.
»Sie hätten Ihre Kinder an die Hand nehmen sollen«, sagte sie ruhig, während sie ausstieg.
»Wie bitte?«
»Sie hätten sie an die Hand nehmen sollen, dann wären sie Ihnen nicht weggelaufen«, wiederholte sie etwas lauter und deutlicher.
»Ich glaube, ich höre nicht richtig. Bin jetzt etwa ich schuld?«
»Wenn Sie die beiden festgehalten hätten, wären sie mir nicht vors Auto gelaufen. Mir blieb nur der Bruchteil einer Sekunde, um überhaupt zu reagieren. Und beinahe wäre es zu spät gewesen.« Louise gab es auf, ihren Atem zu kontrollieren.
»Sie sind zu schnell gefahren«, ereiferte sich die Frau. »Es war verdammt noch mal Ihre Schuld! Das ist ein Parkplatz und keine Rennstrecke, hier sind kranke Menschen unterwegs. Meine Tochter hat sich den Arm gebrochen!«
»Sie haben gar keine Ahnung, wie glücklich Sie sich dafür schätzen können«, sagte Louise, die Hände nun vor Wut zu Fäusten geballt.
»Was?«
»Sie haben keine Ahnung, wie glücklich Sie sich schätzen können.«
»Das habe ich schon verstanden – ich konnte es bloß nicht glauben. Wollen Sie allen Ernstes sagen, ich soll froh sein, dass Sie meine Kinder nicht überfahren haben? Dabei können Sie froh sein, dass ich nicht die Polizei rufe!«
»Das meinte ich nicht«, sagte Louise. »Sie haben Glück, dass Ihre Töchter laufen können. Sie können Ihnen weglaufen. Weil sie kräftige, gesunde Beine haben. Und Arme, die wieder heilen werden. Dafür sollten Sie sich glücklich schätzen.«
»Sie sind doch komplett bescheuert.« Die Frau schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht zu einer angewiderten Grimasse.
»Ich muss jetzt los«, sagte Louise und versuchte, ihre Tränen, die Wut und die Trauer hinunterzuschlucken. Sie nahm ihre Handtasche aus dem Auto und wandte sich zum Gehen. »Es tut mir leid«, sagte sie noch, wie ein Nachgedanke, und ohne sich umzudrehen.
Auf dem Weg zum Eingang beschleunigte Louise ihre Schritte, bis sie fast rannte, als sie schließlich durch die tristen, grauen Korridore des in die Jahre gekommenen Gebäudes lief, wo sie die vertrauten Gerüche nach Desinfektionsmittel und Krankenhausessen begrüßten. Ihr Tempo lenkte etwas von der Tatsache ab, dass sie am ganzen Körper zitterte. Es war nicht das erste Mal, dass sie mit Wildfremden aneinandergeraten war, und jedes Mal, wenn es geschah, erschrak sie über sich selbst. Dass sie völlig übermüdet war, machte es nicht besser.
Louise war schon seit Stunden wach. Durch die dünnen Schlafzimmervorhänge hatte sie den Tag heraufziehen sehen und dabei reichlich Zeit gehabt, die schiefe Gardinenstange zu betrachten, die an einer Seite nur noch am seidenen Faden hing und wohl bald der Schwerkraft nachgeben würde. Sie hatte den Tag anbrechen gehört, denn wegen der Sommerhitze standen alle Fenster weit offen, und die Singvögel, von denen es am Stadtrand doch mehr gab als gemeinhin angenommen, hatten die ersten Sonnenstrahlen ausgesprochen freudig begrüßt. Und wie sie selbst mit dumpf heraufziehenden Kopfschmerzen auf den nass geschwitzten Laken gelegen hatte, hätte der Unterschied zu ihrer eigenen Gefühlslage nicht größer sein können.
Pete hatte sie vor ein paar Jahren – und nach endlosen Diskussionen – dann doch so weit bekommen, beim heiklen Thema Kurzzeitpflege einzulenken, aber wirklich glücklich war sie mit Patience’ zweitägigen Aufenthalten in Morton Lodge nicht, die eigentlich dazu gedacht waren, Louise alle vierzehn Tage eine Verschnaufpause zu verschaffen. Tatsächlich hinterließen sie bloß eine Leere, die zu füllen ihr Schlaf sich regelmäßig weigerte. Für eine Tochter zu sorgen, die immer auf dem Entwicklungsstand eines Kindes bleiben würde, hatte ihren Biorhythmus daran gewöhnt, mehrmals die Nacht geweckt zu werden und morgens wieder früh aus den Federn zu müssen. Sie lebte dauerhaft in jener Grauzone, die alle jungen Eltern kennen. Selbst jetzt noch, mit einundsechzig, wo man sich um niemanden außer sich selbst sollte kümmern müssen.
Während sie durch das Labyrinth nüchterner Korridore eilte, versuchte sie, ihren Ärger zu bezwingen, auch wenn sie jetzt schon wusste, dass es ein vergebliches Unterfangen wäre. Es gab einfach zu viel, über das sie sich aufregen konnte, und diese keifende Frau auf dem Parkplatz war dabei noch die geringste ihrer Sorgen.
Warum hatte niemand aus Morton Lodge sie gleich gestern Abend angerufen? Patience hätte niemals so lange allein sein sollen. Sie musste solche Angst ausgestanden haben. Außerdem hätte Louise – und das fuchste sie besonders – das für heute Vormittag angesetzte Bewerbungsgespräch zwölf Stunden vorher absagen, ihr Gesicht wahren und vielleicht sogar einen neuen Termin bekommen können. Aber nun? Wer würde sie denn nun noch ernst nehmen? Sie würden die Stelle jemandem geben, der nicht lebenslange Fürsorgepflichten zu erfüllen hatte.
Und wie hatte Patience denn überhaupt aus ihrem Rollstuhl fallen können? War sie nicht festgeschnallt gewesen? Das war wieder mal typisch für Gill, die Frau war einfach zu lax! Hätte Louise ihnen doch bloß nicht erlaubt, mit Patience auf das Konzert zu gehen! Sie war einfach zu nachgiebig gewesen, aber noch mal würde ihr das nicht passieren. Sie würde die Sache später noch mal mit deutlichen Worten ansprechen. Im Augenblick zählte dagegen nur, dass Patience noch am Leben war. Das war sowieso alles, worauf es ankam.
Louise wurde jäh ausgebremst und musste sich dicht an die Wand drängen, um einen Pfleger vorbeizulassen, der ein Krankenhausbett mit einer jungen Patientin darauf schob, ein Kind, das kaum älter als sechs Jahre sein konnte und in den weißen Laken fast verschwand. Das Mädchen hatte keine Haare auf dem Kopf, seine Haut war blass und durchscheinend. Ihnen folgten zwei Erwachsene, vermutlich die Eltern, nahm Louise an, die aussahen, als hätten sie seit Wochen kein Auge mehr zugetan. Ihre Gesichter waren bleich, die Lider bleiern, die Kleider zerknittert. Als das Bett den Korridor hinabrollte und die Eltern wie Schlafwandler hinterherstolperten, machte Louise sich klar, dass sie nicht die Einzige war, die sich wünschte, ein Krankenhaus niemals von innen gesehen zu haben.
Auf der Intensivstation angekommen, erkannte sie gleich eine der Schwestern wieder.
»Guten Morgen, Jayne«, grüßte Louise und bemühte sich, freundlich zu sein und ihre Ungeduld zu bremsen, auch wenn alles in ihr zu Patience drängte.
»Hi, Mrs Willow«, erwiderte Jayne. »Wie geht es Ihnen?«
Louise verzog nur das Gesicht.
Jayne deutete mit einem knappen Nicken den Gang hinunter. »Sie liegt gleich hier vorne. Soll ich Sie hinbringen?«
Trotz ihrer unglaublichen Anspannung versuchte Louise zu lächeln und lief Jayne dankbar hinterher. »Und wie geht es Ihnen?«, erkundigte sie sich der Form halber.
»Oh, ganz gut. Henry wird gerade abgestillt, er kann einen ganz schön auf Trab halten.«
Louise erinnerte sich wieder, dass Jayne gerade erst nach der Geburt ihres ersten Kindes an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt war. Im Laufe der Jahre hatte sie einiges über die Mitarbeiter auf dieser Station erfahren. Es hatte Verlobungen, Trennungsschmerz, Krankheit, Hochzeiten, Schwangerschaften und Scheidungen gegeben. Im Gegenzug waren sie Zeugen ihrer dunkelsten Stunden geworden, hatten sie emotional überfordert, einsilbig, als einen Schatten ihrer selbst erlebt. Sie hatten in Abgründe ihrer Seele geblickt, vor denen Louise lieber die Augen verschloss.
»Oh, schon! Sie werden so schnell groß, nicht wahr?«, erwiderte Louise mechanisch. Auf dieser Station spielten sich wie auf einer Bühne die großen Dramen des Lebens ab, und sie bekam jedes Mal wieder schreckliches Lampenfieber.
Die Schwester führte sie an eines der Betten. Patience lag reglos auf dem Rücken und schaute zur Decke hoch. Mit den großen blauen Augen und der glatten Alabasterhaut sah sie aus wie eine Puppe. Ihre langen blonden Locken waren oben auf dem Kopf zu einer Art Knoten zusammengefasst. Ihr Haaransatz war fettig, an manchen Stellen richtig dunkel. Louise verzog das Gesicht. Wenn Patience zu Hause war, wusch sie ihr jeden Tag die Haare.
Patience’ Hände lagen fest auf ihrer Brust verschränkt, aber so still, als wären sie in Marmor gehauen. Ihre Knie waren angewinkelt und ragten wie Toblerone-Ecken unter der dünnen braunen Decke auf. Mittlerweile befanden sich ihre Beine fast ausschließlich in dieser Position. Es waren warme Bäder und stundenlange Massagen nötig, bis die Muskeln sich so weit entspannt hatten, dass sie die Beine strecken konnte. Louise fielen sofort die Blutergüsse an den Armen und auf dem Oberkörper auf. Sie muss wirklich böse gestürzt sein, dachte sie. An der linken Hand hatte man Patience eine Infusion gelegt, und neben ihrem Bett piepte in regelmäßigen Abständen ein Sauerstoffmonitor.
Louise trat ans Bett und stellte sich so, dass Patience sie sehen konnte, dann lächelte sie und wartete auf eine der üblichen Reaktionen ihrer Tochter – ein Funkeln in den Augen, die Andeutung eines Lächelns oder manchmal sogar ein Lachen. Weil sie über keine andere Möglichkeit verfügten, miteinander zu kommunizieren, waren diese kurzen, flüchtigen Mienenspiele ihre gemeinsame Sprache geworden. Aber von Patience kam nichts, nicht einmal der Anflug eines Erkennens. Louise’ Herz begann zu rasen. Ohne sich lange aufzuhalten, verließ sie das Zimmer und marschierte nach vorn zur Aufnahme.
»Ich möchte mit einem Arzt sprechen«, sagte sie. »Jetzt gleich, wenn es geht.«
»Mrs Willow«, erwiderte Jayne, und diesmal lächelte sie nicht, »es war gerade vor einer Stunde die diensthabende Ärztin bei ihr. Patience geht es so weit gut, meinte sie, und in ein paar Stunden schaut sie wieder nach ihr.«
»Gut, das sehe ich anders«, sagte Louise, die Hände nun energisch in die Hüften gestemmt. »So einen Anfall hatte sie bislang noch nie, irgendetwas stimmt nicht mit ihr. Ich dringe überhaupt nicht zu ihr durch, sie hat sich völlig in sich zurückgezogen. Ich glaube, sie hat Schmerzen. Könnten Sie die Ärztin bitte noch mal rufen? Oder besser gleich einen Neurologen. Hat gerade einer Dienst?«
Die Schwester seufzte. »Mrs Willow, ich kann Ihnen versichern …«
»Bitte.«
Louise’ flehender Ton und ihre verzweifelte Miene erwiesen sich als überzeugend. Jayne piepte einen der Oberärzte auf Bereitschaft an, und Louise kehrte in Patience’ Zimmer zurück. Sie setzte sich ans Bett und griff nach der Hand ihrer Tochter.
»Patience, Liebes«, sagte sie so leise, dass es beinahe ein Flüstern war. »Patience … Hier ist Mummy. Ich weiß, dass du irgendwo da drinnen bist. Du hast Schmerzen, habe ich recht?«
Louise wartete darauf, dass ihre Hand gedrückt würde, und sei es noch so leicht, obwohl sie wusste, dass keine Reaktion käme, nicht kommen konnte. Patience hatte keine Kontrolle über ihre Hände. Und doch wartete, hoffte Louise jedes Mal aufs Neue. Man konnte schließlich nie wissen. So wie jetzt, dachte sie, hatte sie ihr halbes Leben lang auf ein Wunder gewartet.
»Es tut mir leid, dass ich nicht gleich gestern Abend gekommen bin. Ich wollte nicht, dass du hier ganz allein bist. Krankenhäuser können einem ganz schön Angst machen. Aber sie haben mir nicht Bescheid gesagt, Patience. Kannst du dir das vorstellen? Sie haben mir einfach nicht Bescheid gegeben. Aber jetzt bin ich hier, und ich verspreche dir, dich nicht mehr allein zu lassen.«
Sie stand auf und beugte sich wieder über ihre Tochter. Patience schaute noch immer mit leerem Blick an die Decke, ihre Augen so unfokussiert wie die eines kleinen Kindes kurz vor dem Einschlafen. Louise gab ihr einen Kuss auf die Stirn und lächelte erneut, auch wenn sie wusste, dass sie heute kein Lächeln zurückbekäme.
Als sie sich aufrichtete, fiel ihr Blick auf die Uhr. Eigentlich wäre sie jetzt gerade auf dem Weg zu ihrem Vorstellungsgespräch. Sie seufzte still. Um sich vom Leid ihrer Tochter als auch von ihren eigenen mehr als bescheidenen Berufsaussichten abzulenken, trat sie ans Fenster, von dem aus man einen kleinen Platz überblickte. Die meiste Zeit des Tages lag er im Schatten der umliegenden Klinikgebäude, aber dennoch saßen einige Patienten – leicht zu erkennen an den Krankenhaushemden, die unter Jacken und Mänteln hervorsahen – auf den beiden Bänken und rauchten. Einer hatte einen Infusionsständer neben sich stehen. Was es wohl für ein Gefühl war, seine Krankheit selbst verschuldet zu haben? Wie lebte man mit dieser Schuld? Es war schon schlimm genug, mit etwas zu leben, von dem einem immer wieder versichert wurde, man hätte es ohnehin nicht verhindern können.
Louise wandte sich ab und kehrte auf ihren Stuhl zurück. Da Patience eingeschlafen zu sein schien, schaltete sie den Fernsehapparat neben dem Bett ein und klickte sich durch die Vormittagsprogramme.
Natürlich fand sie nichts, das sie von ihrem Schmerz hätte ablenken können oder auch nur halbwegs interessant gewesen wäre, was hatte sie auch erwartet. Sie machte den Fernseher wieder aus, stand unvermittelt auf und begann im Zimmer umherzugehen. Immer im Halbkreis um das Bett herum, vor und zurück und wieder von vorn, bis sie sich einbilden konnte, eine sichelförmige Spur ins Linoleum gelaufen zu haben. Sie war gerade wieder oben am Scheitelpunkt ihrer Mondsichel angelangt, als sie aus ihrer fast meditativen Versenkung gerissen wurde.
»Mrs Willow? Sie wollten mich sprechen.«
Louise hob den Blick und sah einen kleinen Mann Ende vierzig mit schütterem Haar an der Tür. Auf seinem weißen Kittel waren Flecken, die nach verschüttetem Tee aussahen, aber ebenso gut Blut hätten sein können.
»Ja, genau«, sagte sie. »Sind Sie der Neurologe?«
»Leider nein. Ich bin Oberarzt in der Notaufnahme und habe Ihre Tochter gestern Abend erstversorgt.«
»Ah, gut. Meine Tochter hat nämlich noch immer starke Schmerzen, Dr. …«
»Ian. Sie können mich einfach Ian nennen.«
»Ian. Meine Tochter hat noch immer starke Schmerzen, Ian, und es scheint sich niemand wirklich darum zu kümmern.«
»Mrs Willow, ich kann Ihre Sorge sehr gut verstehen«, sagte er und räusperte sich. »So etwas ist nicht leicht zu ertragen, aber wir haben Patience gründlich untersucht, und ich versichere Ihnen, ihr fehlt sonst nichts weiter. Sie erholt sich gut von dem Anfall. Wir tappen noch etwas im Dunkeln, wie es überhaupt dazu kommen konnte, allerdings wäre es möglich …«
»Von wegen ihr fehlt nichts weiter!«, fuhr Louise ihm dazwischen. »Es geht ihr nicht gut, sie hat Schmerzen. Ich habe zwar nicht Medizin studiert, aber ich bin seit dreißig Jahren ihre Mutter, und wenn ich Ihnen sage, dass etwas mit ihr nicht stimmt, dann können Sie mir das glauben. Bitte tun Sie etwas und helfen Sie ihr. Können Sie ihr nichts gegen die Schmerzen geben?«
»Sie vermuten, dass Patience Schmerzen hat?« Sein Ton war reserviert, er hielt sie wahrscheinlich für verrückt.
Louise kannte das schon. Die meisten Leute, auch Mediziner, gingen ganz selbstverständlich davon aus, dass Patience ein Buch mit sieben Siegeln sei, nur weil sie sich nicht verbal verständigen konnte. Im Laufe der Jahre hatte Louise ein sehr gutes Gespür dafür entwickelt, wie es ihrer Tochter ging. Natürlich konnte sie auch mal danebenliegen, und was hätte sie nicht darum gegeben, sich einfach mit ihr unterhalten zu können, aber meistens wusste sie sehr genau, wann etwas nicht stimmte. Dass sie oft nicht sagen konnte, was genau nicht stimmte, verstärkte andererseits jedes Mal ihr Gefühl von Schuld und Ohnmacht.
»Nein, ich weiß es«, erwiderte sie also. »Ich brauche sie mir nur anzusehen und weiß, dass es ihr nicht gut geht. Das Atmen scheint ihr auch schwerzufallen. Tut mir leid, wenn ich Ihnen nicht genau sagen kann, wo das Problem liegt, Ian, aber ich bin weder Hellseherin noch Ärztin. Ich bin bloß ihre Mutter, und ich sage Ihnen, dass sie Schmerzen hat, Ian, und ich möchte, dass Sie ihr helfen.«
»Gut, Mrs Willow, alles klar. Ich werde mir Patience’ Befund noch einmal vornehmen und dann gegebenenfalls weitere Untersuchungen veranlassen. Außerdem bitte ich die Kollegen hier auf der Station, ihr etwas gegen die Schmerzen zu geben. Es kann sicher nicht schaden.«
Louise atmete tief aus. Sie brachte gerade noch ein gemurmeltes Dankeschön zustande, bevor sie sich wieder neben Patience’ Bett auf den Stuhl sinken ließ.
»Alles wird gut, Patience«, sagte sie. »Mummy ist hier. Mummy sorgt dafür, dass es dir bald besser geht. Du brauchst keine Angst zu haben.« Louise griff nach der Hand ihrer Tochter und schloss die Augen. Die Kopfschmerzen ließen zwar nach, aber die Erschöpfung, seit Jahren ihre ständige Begleiterin, machte sich jetzt, da ihre Anspannung nachließ, erst richtig bemerkbar.
Als Jayne ein paar Stunden später nach der Patientin schauen kam, fand sie Louise schlafend auf dem Stuhl vor, den Kopf auf die Brust gesunken. Erst wollte Jayne sie wecken, um sie darüber zu informieren, dass man auf den Röntgenaufnahmen einen Bruch des Schlüsselbeins gefunden habe, doch sie schien den Schlaf so dringend zu brauchen, dass sie es der Nachmittagsvisite überließ, ihr den Befund mitzuteilen.
Eliza
Eliza brach in Tränen aus, als sie sich mit ihren Schlüsseln abmühte und das Schloss nicht aufbekam, weil ihre Finger ihr einfach nicht gehorchen wollten. Genau genommen heulte sie schon seit Stunden, aber das Schluchzen steigerte sich zu einem Crescendo, als sie die Tür schließlich aufstieß und dabei die Wohnungsschlüssel, die gleich dahinter auf dem Boden lagen, über die Fliesen des Flurs schlittern hörte.
In der Wohnung war es stickig und roch nach Staub. Sie lief durchs Wohnzimmer, schob das Fenster auf und lehnte sich hinaus in der Hoffnung, dass die frische Luft sie beruhigen würde. Doch es war ein warmer, schwüler Abend, einer dieser Londoner Abende, an denen alle entweder zum Grillen oder auf ein paar Drinks bei Freunden eingeladen waren, und von fern die Geräuschkulisse draußen spielender Kinder und lachender Erwachsener zu hören war mehr, als sie im Augenblick ertragen konnte. Weshalb sie sich, noch immer Rotz und Wasser heulend, wieder ins Zimmer zurückzog, die Augen aber noch geschlossen hielt, weil sie wusste, was sie erwartete, und auch das nicht ertrug.
Irgendwann riskierte sie dann doch einen Blick und sah ihre Bücher schief und etwas verloren im Regal stehen, als würden sie sich ihrer deutlich gelichteten Reihen schämen. Seine CDs waren auch weg, übrig war nur noch ihre eigene, sehr überschaubare Sammlung aus Uni-Tagen – Coldplay, Keane, Oasis. Er war ein echter Musikfan gewesen und hatte eine riesige CD-Sammlung besessen. »Bei CDs hast du einfach noch eine bessere Soundqualität als bei Downloads«, hatte er jedem erklärt, der es hören wollte.
Sie ging durch die Wohnung und begann eine erste Bestandsaufnahme zu machen. Einige der gerahmten Fotos waren vom Kamin verschwunden, im Schlafzimmer ließ der staubfreie Kreis auf dem Nachttisch erkennen, wo heute Morgen noch der Wecker gestanden hatte. Die Schranktüren standen halb offen, und sie sah, dass sie jetzt reichlich Platz für ihre »völlig überzogene Klamottenkollektion« hatte. Das mit den Klamotten war auch etwas, was er bei jeder Gelegenheit zum Besten hatte geben müssen.
Sie ging weiter in die kleine Küche, machte die Schränke auf und stellte fest, dass ihr vier Teller geblieben waren, außerdem ein Kaffeebecher, ein paar angeschlagene Wassergläser und der komplette Satz der blauen Weingläser, die sie zu Weihnachten geschenkt bekommen hatten und von denen sie glaubte, dass sie ihm nie gefallen hatten. Der Wasserkocher fehlte, der Toaster auch. Morgen würde es also Müsli zum Frühstück geben, dachte sie.
Dann erst fiel ihr der Zettel auf der Arbeitsfläche auf, der, von einem ebenfalls leicht beschädigten Eierbecher gehalten, am Fliesenspiegel lehnte. Ein liniertes DIN-A4-Blatt, von dem Block abgerissen, den sie für Einkaufslisten und Mitteilungen an die Putzfrau verwendet hatten. Die Handschrift war sauber und präzise, genau wie er. Er schrieb: Es tut mir leid. Pass auf dich auf. x
Dieser Kuss am Ende setzte dem Ganzen wirklich die Krone auf. Nachdem sie ihrem ersten Impuls widerstanden hatte, den Zettel einfach zu zerreißen, nahm sie ihn sich und warf sich damit auf die Couch, wo sie die Nachricht so lange durchlas, bis die Worte und ihre möglichen Bedeutungen zu verschwimmen begannen. Wozu sich beispielsweise entschuldigen? Und gab es überhaupt Worte, die der Situation angemessen waren?
Sie betrachtete den Diamantcluster an ihrer linken Hand. Er hatte den Ring allein ausgesucht, weil man es seiner Ansicht nach so machte und er Wert auf Traditionen legte. Sie hatte nichts gesagt, auch wenn ihr ein Solitär lieber gewesen wäre. Trotzdem wäre es seltsam, ihn auf einmal nicht mehr zu tragen. Sie hatte ihn immer nur abgelegt, um ihn zu reinigen, ihn vom Londoner Feinstaub zu befreien, der sich unbarmherzig in der Konstellation winzig kleiner Sterne festsetzte.
Sie fragte sich, wo er jetzt gerade war. Wahrscheinlich hatte er es sich in der Wohnung in Oxford, die sie zusammen ausgesucht hatten, gemütlich gemacht. Eigentlich war das nur als Übergangslösung gedacht gewesen, damit er nicht pendeln musste. Wie blöd sie gewesen war! Oder er war mit Freunden unterwegs, feierte sich ein bisschen dafür, endlich seinen Kram – oder vielmehr das, was ihm von seinem Kram noch gefiel – aus der Wohnung geholt zu haben, in der er seit Monaten allenfalls noch zu Besuch gewesen war.
Dann überlegte Eliza, wem sie jetzt alles Bescheid geben musste. An knapp hundert Freunde, Bekannte und Verwandte auf beiden Seiten waren kürzlich erst sündhaft teure Einladungen verschickt worden – cremeweißer Karton, schwere Qualität mit eingeprägtem Lilienmuster, der Text in einer dieser filigran verschlungenen Schriften irgendwo zwischen Handlettering und Kalligrafie.
Sie wusste, dass etliche Gäste noch überlegten, ob sie sich die Feier nächsten Sommer zeitlich und auch finanziell leisten konnten, denn bislang hatte sie erst ein paar Zusagen gekommen. Allerdings dürften wohl alle davon ausgehen, dass die Hochzeit stattfinden würde. Schließlich waren sie schon eine halbe Ewigkeit zusammen, und wurde es mit Mitte dreißig nicht höchste Zeit, endlich Nägel mit Köpfen und sich an die Familienplanung zu machen? Eigentlich kannten sie alle nur als Paar, und jeder ging davon aus, dass sie heiraten, zwei Kinder bekommen und gemeinsam alt werden, ihre Rollatoren noch im Tandem über die Southend Pier in den Sonnenuntergang schieben würden.
O verdammt, wie sollte sie es ihrer Mutter beibringen?
»Bin ich froh! Ich hatte die Hoffnung bei euch beiden schon fast aufgegeben.«
Diese Bemerkung hatte richtig wehgetan. Sie würde sie nie vergessen. Eliza hatte den Eindruck gehabt, als würde Louise für ihren künftigen Schwiegersohn mehr Begeisterung aufbringen, als sie sich für alle vorherigen Entscheidungen ihrer älteren Tochter je hatte abringen können. Wobei sie auch siebzehn Jahre auf seinen Antrag hatten warten müssen. In die ganz offensichtliche Freude mischte sich also auch Erleichterung, nahm Eliza an, und zu sehen, wie ihre Mutter dann förmlich aufgeblüht war, mit welcher Begeisterung sie sich in den letzten Monaten in die Hochzeitsvorbereitungen gestürzt hatte – wie konnte sie ihr das jetzt antun? Sie würde ihrer Mutter die einzige Freude nehmen, die ihr noch geblieben war.
Dass Ed in jeder Hinsicht der ideale Schwiegersohn war, machte alles noch schlimmer. Er kletterte vielversprechend die Karriereleiter hinauf und machte mit seinem beruflichen Ehrgeiz wett, was ihr an ähnlichen Ambitionen völlig abging. Eliza wusste, dass sie im Job keine großen Sprünge mehr machen würde, sie für den Erfolg nicht gemacht war. Aber sie hatte die starke Frau an seiner Seite werden wollen, die bessere Hälfte, die ihm den Rücken freihielt und seine Erfolge ermöglichte.
Was sich allerdings jetzt ja erübrigte.
Sie nahm ihr Telefon aus der Handtasche und schaltete es ein. Zehn verpasste Anrufe und einige neue Sprachnachrichten. Gestern Abend, nachdem er aus der Wohnung gestürmt war, hatte sie es ausgeschaltet. Er würde anrufen, hatte er gemeint, dann könnten sie darüber reden, wenn sie sich beruhigt hätte. Tja, so weit war sie aber noch lange nicht.
Diese plötzliche Funkstille war vielleicht die größte Umstellung, denn seit fast zwei Jahrzehnten war er ihr erster Anlaufpunkt gewesen, eigentlich der einzige, mit dem sie noch telefonierte. Als sie den neuen Job bekam, rief sie ihn an. Wenn sie irgendwo jemanden in unmöglichen Klamotten sah, rief sie ihn an. Wenn ihre Chefin irgendetwas krass Verletzendes sagte, was ziemlich oft vorkam, rief sie ihn an. Und danach ging es ihr immer besser. Es hatte ihr geholfen, mit ihm zu reden, zu wissen, dass er zuhörte. Und ausgerechnet jetzt, wo der emotionale Super-GAU eingetreten war, hatte sie niemanden, den sie hätte anrufen können.
Apropos ihre Chefin – heute war es bei der Arbeit wieder ein kompletter Fehlschlag gewesen. Sie wusste selbst nicht so genau, warum sie hingegangen war, aber wenn sie sich krankgemeldet hätte, wäre sie da gewesen, als er seinen Kram holen kam, und hätte mit ansehen müssen, wie die gemeinsame Wohnung sich leerte. Sie war sich nicht sicher gewesen, ob sie die Fassung hätte bewahren können, während er vor ihren Augen ihr gemeinsames Leben abwickelte.
Es war ihr gelungen, sich so weit zusammenzureißen, dass sie morgens ein Kundenmeeting durchgestanden und auch noch eine neue Praktikantin eingearbeitet hatte, doch gegen Mittag war sie immer fahriger geworden, planlos und verpeilt, was Jenny natürlich nicht entgangen war, denn ihr entging nie etwas, weshalb sie auch die Chefin war und alles im Griff hatte, ganz anders als Eliza. Als sie beide für einen Kaffee anstanden, hatte Jenny sie also gefragt, was los wäre, woraufhin Eliza sich aufs Klo geflüchtet hatte, weil sie es nicht länger durchhielt, sich nichts anmerken zu lassen. Ihre jährliche Beurteilung stand demnächst an, und ihr war bewusst, dass sie nicht rühmlich ausfallen würde, schließlich war bei der Arbeit zu weinen ein Zeichen von Schwäche und ein absolutes No-Go. Dass ihre Chefin das so sah, wusste sie wegen einer Bemerkung, die Jenny über Aggie gemacht hatte, eine Kollegin, die nach einer erfolglosen Fruchtbarkeitsbehandlung erst kürzlich in die Agentur zurückgekehrt war.
Eliza stand auf und ging wieder in die Küche, holte sich eins der angeschlagenen Wassergläser aus dem Schrank, schaute in den Kühlschrank und nahm die halb leere Flasche Gin heraus – praktisch das Einzige, was noch da war. Dann tat sie eine einsame Flasche Tonic Water, warm und ziemlich abgestanden, in den Tiefen des Küchenschranks auf und mixte sich einen großzügig bemessenen Drink, mit dem sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, sich ans Fenster setzte und in kleinen Schlucken trank. Sie hoffte, ihr vom Weinen verursachter Schluckauf würde sich beruhigen, bevor sie das Unvermeidliche in Angriff nahm und jenen Anruf tätigte, der die Buschtrommeln in Gang setzen würde.
In der Ferne konnte sie die von Victoria in südlicher Richtung nach Clapham Junction fahrenden Züge sehen, den gelegentlichen Funkenschlag an den Weichen. Wie das Leben weiter seinen ganz gewohnten Gang ging, gleich vor ihrem Fenster. Nur ihr eigenes Leben war auf einmal ganz und gar aus der Spur geraten.
Ihr Telefon klingelte – die erste Kontaktaufnahme der Außenwelt, seit sie vor einer Stunde die Agentur verlassen hatte. Sie stürzte sich darauf.
»Ed?«
»Eliza? Hier ist nicht Ed, hier ist deine Mum.«
Tiefes Aufatmen. Sie schluckte und versuchte, ruhig und entspannt zu klingen. Glücklich. Verlobt.
»Oh, hallo. Wie geht es bei euch?«, fragte sie und ließ sich in Erwartung des üblichen Monologs über ihre Schwester, ihren Vater und – ein neues Lieblingsthema – die »angespannten Finanzen« wieder auf die Couch sinken. Das mit den Finanzen war vermutlich ein Wink mit dem Zaunpfahl, was ihre Hochzeit sie kosten würde. Aber darüber, dachte sie trocken, würde ihre Mutter sich jetzt zumindest keine Sorgen machen müssen.
»Eliza, ich habe schon den ganzen Tag versucht, dich zu erreichen«, hörte sie ihre Mutter sagen. »Weshalb gehst du nicht ans Telefon? Du musst herkommen – es geht um Patience.«
Patience
Meine Güte, gute Frau, könntest du vielleicht mal aufhören, mich mit dieser Nadel zu traktieren?
Eine der Schwestern – KatyJayneSamEmma (ich habe längst aufgegeben, mir zu merken, wer jetzt wer ist, sie gehen alle ineinander über) – bricht sich bei dem Versuch, mir an der rechten Hand einen Venenzugang zu legen, mächtig einen ab. Fairerweise muss man dazusagen, dass meine Venen etwas schwach und unscheinbar sind – eins der Kreuze, die Menschen wie ich zu tragen haben –, aber sie scheint erst gar keine zu finden. Statt sich ihre Niederlage einzugestehen, versucht sie es beharrlich weiter, sticht in wilder Verzweiflung in meine Haut, als würde sie Käsekästchen spielen.
»Tut mir leid, Patience … gleich geschafft.«
Autsch, verdammt, autsch! Machen wir uns doch nichts vor – du kannst es nicht und solltest endlich jemanden holen, der weiß, was er tut.
»Weißt du was? Ich glaube, deine arme Hand hat genug von mir. Ich rufe mal den Doktor, und dann soll er es probieren, okay?«
Keine Ahnung, von wem sie eine Antwort erwartet, aber es ist nett von ihr, es wenigstens zu versuchen. Die meisten tun das nämlich nicht. Weil ich nicht antworten kann, bin ich für sie nicht richtig da. Sie müssen nämlich wissen, dass ich für die meisten Menschen so eine Art Gespenst bin. Ich kann mich im selben Zimmer befinden, direkt vor ihnen sitzen, doch sie nehmen mich gar nicht wahr. Auf diese Weise werde ich zur Mitwisserin vertraulicher Gespräche, intimer Geständnisse, erschütternder Wahrheiten. Oft ist aber das genaue Gegenteil der Fall, denn wenn ich nicht gerade unsichtbar bin, bekomme ich mehr Aufmerksamkeit, als mir lieb ist. Das gilt dann auch für meine Begleitpersonen – wir werden angestarrt.
Auf der anderen Seite kann es sehr praktisch sein, mich dabeizuhaben. Ich verschaffe den Leuten bessere Plätze im Theater, bequeme Parkmöglichkeiten und überhaupt besseren Service, wie zum Beispiel die Vorzugsbehandlung bei Disney. Das hat mir übrigens noch nie jemand gesagt, da bin ich von allein draufgekommen. Ich hatte reichlich Zeit, um in Ruhe darüber nachzudenken. Dreißig Jahre bis jetzt, drei Dekaden progredienten Muskelabbaus, wenig erfolgreicher Operationen und unzähliger mehr oder weniger duldsamer Menschen, die mir löffelweise Breinahrung verabreicht und meinen geschundenen Körper in medizinischen Wannen gewaschen haben.
Trotz allem bin ich aber keineswegs unglücklich. Fast sein ganzes Leben tatenlos herumsitzend zu verbringen, hat nämlich auch erfreuliche Begleiterscheinungen. Denn ich habe ja gar keine andere Wahl, als mich mit meiner jeweiligen Umgebung anzufreunden und das Positive daran zu sehen. Und weil ich an allem das Schöne und Beglückende zu sehen versuche, lache ich auch viel. Ich fürchte, dass man mich deshalb für etwas einfältig hält, dabei ist es das genaue Gegenteil. Ich bin ziemlich komplex. Wie ich bereits sagte, bekomme ich alles mit und verstehe, worum es geht. Manche Zusammenhänge dürften sich mir besser erschließen als den Betreffenden selbst. Ich weiß, was Eliza getan hat. Und ich kenne Dads Geheimnis. Aber ich werde es niemals verraten. Nicht, weil ich so vertrauenswürdig wäre, denn ich glaube, dass in mir eine richtige Klatschbase steckt, sondern weil ich nicht reden kann, ganz einfach. Deshalb kann ich nichts ausplaudern, kann niemandem etwas weitererzählen, auch wenn ich es noch so gern täte.
Nach dieser kurzen Schilderung des Sachverhalts – dem unfreiwilligen Schweigen, den körperlichen Einschränkungen mit allen Konsequenzen – fragen Sie sich vielleicht, was ich eigentlich noch hier mache, denn das könne doch kein Leben sein, so als besseres Gespenst.
Es gibt zwei Gründe. Erstens: Der Hingabe, mit der Mum und Dad sich für mich aufopfern, dürfte es zu verdanken sein, dass ich überhaupt noch am Leben bin. Und ich möchte ihnen ihre Liebe gern vergelten, indem ich so lange und gut wie möglich durchhalte. Das ist ein ganz einfaches Geben und Nehmen, das gehört sich so, finde ich.
Und zweitens: meine Fähigkeit, zwischen den Welten hin und her zu wechseln. Ich würde nicht so weit gehen, mich als Zeitreisende zu bezeichnen – das überlasse ich lieber Profis wie dem großen Dr. Who –, aber ich kann mich jederzeit aus einem Bewusstseinszustand aus- und in einen anderen wieder einklinken. Auf diese Weise ist mir nie langweilig, und ich fühle mich nie einsam. Ich ziehe mich einfach in mich zurück, tauche ab in eine Welt, in der ich meine Arme und Beine ganz selbstverständlich bewegen kann und – das größte Geschenk von allen – eine Stimme habe.
Es ist eine schöne Stimme. Warm und wohlklingend, keine quengelnde Piepsstimme. Ich könnte mir ungelogen den ganzen Tag zuhören. Deshalb spreche ich auch so viel mit mir selbst, müssen Sie wissen. Weil ich so umwerfend klinge und weil ich in diesem Leben vermutlich auch kein anderes Gespräch mehr führen werde, weshalb ich aus dem, was mir möglich ist, das Beste mache. Ich erzähle mir mein Leben, schreibe sozusagen meine Autobiografie. Und das Gute daran ist, ich kann sagen, was ich will und über wen ich will, ohne damit jemanden zu verletzen. Es ist meine geheime Superkraft.
In meiner Welt, in meiner eigenen, ganz besonderen Welt, lasse ich meine Stimmbänder schwingen und freue mich meiner gesunden Gliedmaßen, mit denen ich mich an jeden Ort meiner Wahl versetzen und nach Herzenslust herumspazieren kann, wahlweise bei prächtigstem Sonnenschein oder leise rieselndem Schnee, dass man die Zunge herausstrecken und die Flocken mit der Zunge auffangen möchte. Denn das könnte ich natürlich auch, meine Zunge wäre flink und wendig und würde nicht wie ein Stück Frühstücksfleisch in meinem Mund herumliegen. Ich könnte sie herausstrecken, zusammenrollen, leise schnalzend ans Gaumensegel schlagen, um den Soundtrack meines Lebens zu begleiten, der natürlich überwiegend aus Take That besteht. Wenn ich also manchmal den Eindruck mache, als wäre ich nicht so ganz da, wissen Sie jetzt, dass ich gerade über eine Blumenwiese laufe oder einen Hang hinabrodele oder durch einen Wintergarten mit Hunderten schönen Schmetterlingen spaziere.
Oh, verflixt. Nun kommt der Arzt, und er trägt ein Tablett mit einer neuen Spritze darauf. Die Nadel ragt über den Rand und zeigt direkt auf mich, als wolle sie sich über mich lustig machen.
»Hallo, Patience, ich bin Paul Roberts.«
Er könnte richtig gut aussehen, wenn er nicht so einen albernen Bart im Gesicht hätte.
»Ich habe gehört, deine Venen sind heute ein bisschen schüchtern. Na, dann wollen wir doch mal sehen, ob sie dem Charme von Dr. Roberts widerstehen können …«
Du meine Güte, da ist aber jemand selbstverliebt. Und schon geht der Spaß von vorne los. Die Nadel sticht in meine Haut, und meine Nervenbahnen schicken den Schmerz per Express punktgenau ins Gehirn.
Aaaaargh …
Versuch, dich abzulenken, Patience!
Wo waren wir gerade? Ah ja, Schmetterlinge.
Ich liebe Schmetterlinge. Zu Hause habe ich vor meinem Fenster einen Fliederstrauch stehen, eine Buddleja, um genau zu sein, die Schmetterlinge geradezu magisch anzieht, und jedes Frühjahr erwarte ich ungeduldig ihre Ankunft und sehe sie im Herbst mit Wehmut ziehen. Mit ihren lebhaften Farben, den gespiegelten Zeichnungen der Flügel und ihrem flatternden Tanz durch die Lüfte könnte ich sie mir stundenlang ansehen. Ich beneide sie um die Freiheit, mit der sie ganz nach Herzenslaune von einer Blüte zur nächsten fliegen, und um ihre Fähigkeit, ihre hässlichen, röhrenförmigen Körper mit ihren wundersam bunten Schwingen vergessen zu machen. Vor ein paar Jahren hat Eliza mir ein Mobile mit Schmetterlingen aus Glas geschenkt. Es hängt zu Hause über meinem Bett, und wenn die Sonne darauf fällt, wirft es bunte Farbflecken an die weiße Wand – wie ein Buntglasfenster oder ein abstraktes Gemälde.
Schmetterlinge sind eine meiner »kleinen Freuden«. Immer wenn ich eine dieser Freuden entdecke, locken sie mich aus meiner Innenwelt hervor und holen mich in die Gegenwart zurück. Ich habe Hunderte solcher kleinen Freuden. Wenn eine Spinne in der Ecke meines Fensters ihr kunstvolles Netz webt und ein immer undurchdringlicheres Labyrinth an der Wand spinnt. Wenn im Radio ein Lied kommt, das ich tatsächlich mal mag. Wenn Tess, unsere schwarze Labradorhündin, mir mit träger Zunge die Zehen abschleckt. Wenn man selbst nie die handelnde Person ist, immer nur Objekt und nie Subjekt, ist man gezwungen, alles intensiver wahrzunehmen und zu verarbeiten, darüber nachzudenken, wie alles …
… oh verdammt, er ist immer noch zugange.
»Gleich hast du es geschafft …«
Lügner.
»Wir sind fast fertig …«
Ich glaube ihm kein Wort.
»So, das war’s! Da hatte ich mit dem Dr.-Roberts-Charme doch nicht zu viel versprochen, oder?«
Er ist ein Narzisst, aber ich mag ihn.
Endlich läuft es, und ich spüre die kühle Flüssigkeit in meinen Körper strömen. Aber von dem ganzen Rumgestochere werde ich ganz sicher einen blauen Fleck bekommen, einen richtig fiesen, und das bedeutet noch mehr Schmerzen, denn meine Hände sind wie zwei Magnete, die sich ganz ohne mein Zutun anziehen, sich ineinanderkrallen, auch wenn sie eigentlich stillhalten sollten. Jetzt gerade zuckt meine linke Hand schon wieder zu ihrem Gegenpart, obwohl ich mit der rechten Hand an der Infusion hänge. Mum interveniert, versucht, meine Hand davon abzuhalten, denn ich könnte mir leicht aus Versehen den so mühsam gelegten Zugang wieder herausreißen. Und wer wollte sich diese schwere Geburt noch mal antun? Ich ganz bestimmt nicht. Trotzdem fühlt sich diese erzwungene Trennung seltsam an, als wäre ein Schaltkreis unterbrochen worden.
Epilepsie stellt anscheinend auch sehr seltsame Dinge mit meinem Körper an. Auf jeden Fall muss ich noch durchgeknallter gewesen sein als sonst und alle in helle Aufregung versetzt haben. Dabei ist es eher ungewöhnlich, in meinem Alter noch Epilepsie zu bekommen. Ich will hoffen, es ist kein böses Vorzeichen, dass es mit mir steil bergab geht. Was sie mir wohl dagegen geben werden? Rosie, die mit mir in der Kurzzeitpflege ist, hat Epilepsie und muss deshalb jeden Tag eine Tablette nehmen. Vielleicht bekomme ich ja dasselbe. Aber weil ich keine Tabletten schlucken kann und mich auch mit Flüssigkeiten schwertue, dürfte es wieder auf Zäpfchen hinauslaufen. Ich hasse diese Arschbomben. Mein Hintern ist eine spaßbefreite Zone, nur Funktionalität, null Vergnügen. Niemand hat mir je auf den Hintern geschaut und gedacht, hey, toller Hintern, schon gar nicht die fünf Familien (ich habe sie durchgezählt), die beim Konzert ihre Plätze räumen mussten, weil ich auf dem Boden krampfte und aller Welt mein sexy Windelhöschen präsentierte.
Und wo wir schon gerade dabei sind, möchte ich anmerken, dass die Sicht von den »Behindertenplätzen« wirklich scheiße war. »Behindertenplätze« ist auch so ein blödes Wort, weil ich mir dann immer Stühle vorstelle, denen ein Bein und ein paar Schrauben fehlen, aber ich schweife ab. Wir saßen ganz weit von der Bühne weg. Von unseren Plätzen sahen Gary, Howard und Mark total winzig aus, wie Playmobilfiguren. Und an der Seite war ein Abstand von mehreren Metern zur nächsten Sitzreihe, als ob wir ansteckend wären. Dafür waren wir in der Nähe der Bar (für die Betreuer) und der Behindertentoiletten (für die Inkontinenten), und was will man mehr.
Ich hatte bei Konzerten schon bessere Plätze. Bei meinem allerersten Konzert, im Kongresszentrum von Birmingham in den Neunzigern, saßen wir ganz vorne. Zwar auch etwas an der Seite, aber so nah an der Bühne, dass ich, als Robbie direkt vor uns gesungen hat, die Schweißperlen auf seiner Brust sehen konnte. Ich habe ihn ganz debil angegrinst und gehofft, er würde den Blick auf mich richten, mir ganz tief in die Augen sehen, weil ich in diesem Moment nämlich komplett vergessen hatte, dass ich kein süßer Teenie in bauchfreiem Oberteil mit einem unwiderstehlichen Lächeln war und er mich, wenn überhaupt, bloß mitleidig anschauen würde. So wie das alle anderen auch machen.
Um mich von diesem unerfreulichen Gedanken abzulenken, kehre ich ins Krankenzimmer zurück und entdecke selbst hier prompt eine kleine Freude. Vor dem Fenster sitzt ein Vögelchen im Baum – ich glaube, es ist eine Blaumeise –, und es schaut direkt zu uns herein, beobachtet das seltsame blonde Mädchen in dem großen weißen Bett und die erschöpfte ältere Frau, die daneben Wache hält.
Ich kann meinen Kopf nicht weit zur Seite drehen, aber ich weiß, dass Mum noch da ist. Sie ist eigentlich immer da. Zwischendurch war sie schnell zu Hause, um zu duschen und sich frische Sachen anzuziehen, doch jetzt ist sie wieder da. Als sie vorhin zurückkam, habe ich kurz ein Auge aufgeklappt, und sie sah furchtbar aus. Die Falten um die Augen schienen tiefer zu sein als sonst, und die Haare hatte sie hastig zusammengebunden, sodass überall noch wie elektrostatisch aufgeladene Strähnchen herausstanden. Das sieht ihr ähnlich, extra nach Hause fahren, um sich frisch zu machen, aber sich keine Zeit zum Haarekämmen zu nehmen, weil sie sofort wieder zu mir zurückhetzen musste. Sie sollte besser auf sich achten, finde ich. Manchmal kommt es mir vor, als würde sie das mit Absicht machen, so eine Art selbstverletzendes Verhalten, das in letzter Zeit immer schlimmer wird.
Ich überlege, ob ich mich kurz bemerkbar machen sollte, damit sie weiß, dass es mir gut geht. Es wäre nur fair, sie von ihren Qualen zu erlösen, oder?
Aber da kommt jemand.
Eliza – und sie sieht auch nicht gut aus. Wobei einem Außenstehenden das vermutlich gar nicht auffallen würde, doch ich kenne sie schon mein ganzes Leben und bemerke sofort, dass etwas nicht stimmt. Ihr Make-up sieht etwas zu aufgefrischt auf, ihre Augen sind verdächtig gerötet, und der helle Puder kann die ebenfalls gerötete, glänzende Nase nicht verbergen.
»Mum! Weißt du, wie lange ich euch gesucht habe? An der Auskunft haben sie mich erst mal in die völlig falsche Richtung geschickt, und vom Pflegepersonal scheint sich auch keiner auszukennen. Ich habe versucht, dich anzurufen, aber du bist nicht drangegangen.«
Eliza beugt sich kurz zu Mum hinab und küsst sie auf die Wange, dann wendet sie sich zu mir und greift nach meiner linken Hand. Nun schaut Mum auch Eliza an, jedoch eher flüchtig. Ich glaube, sie hat Eliza sicher bereits seit Jahren nicht mehr richtig angeschaut. »Es tut mir leid, Liebes, ich hatte es auf lautlos gestellt, um mal kurz die Augen zuzumachen.«
»Mum, du solltest lieber nach Hause fahren und dich mal richtig ausschlafen. Es ist ja auch schon spät. Hast du etwa den ganzen Tag hier gesessen?«
»Nein, nein. Zwischendurch habe ich immer wieder Pausen gemacht.«
Gelogen, gelogen.
»Wo ist Dad?«
»Er ist auf dem Weg hierher, wird aber nur kurz bleiben können. Sein Chef will in den Urlaub, du weißt ja, wie es ist.«
Ich weiß, wie es ist. Seit Dad im Ausland arbeitet, ist Mum praktisch alleinerziehend. Im Grunde führen beide ihr eigenes Leben und finden bloß noch zu besonderen Anlässen zusammen. Doch für die beiden scheint es zu funktionieren. Zumindest sind sie noch verheiratet.
»Wie geht es ihr?«, fragt Eliza und streichelt meine Wange.
Mum seufzt, stets Vorbote großen Dramas, woran es in unserer Familie noch nie gemangelt hat. Was übrigens ganz allein auf mein Konto geht, nur damit keine Missverständnisse entstehen.
»Sie wird sich wieder erholen, allerdings sagen die Ärzte, sie hätte jetzt auch noch Epilepsie! Ich hatte gehofft, dass uns wenigstens das erspart bliebe, aber man kann es sich nicht aussuchen. Morgen wollen sie noch ein MRT machen, um Veränderungen im Gehirn auszuschließen, ich denke allerdings, es ist einfach eine weitere Tücke ihrer Krankheit. Wir sollen sie auf Medikamente setzen, doch dagegen verwehre ich mich ausdrücklich. Ich will nicht, dass sie sediert wird.«
»Aber wird sie nicht immer wieder neue Anfälle bekommen, wenn es nicht behandelt wird?«
»Wer kann das schon sagen? Was, wenn es ein einmaliger Anfall war und wir sie dann prophylaktisch mit Medikamenten vollpumpen, die sie gar nicht braucht? Ich würde sagen, wir warten einfach mal ab«, sagt Mum und fährt das Drama in ihrer Stimme etwas herunter. »Dann sehen wir ja, was passiert. Und das Schlüsselbein hat sie sich auch gebrochen.«
»Gebrochen? Oje.«
»Das wurde auch erst bemerkt, nachdem ich ordentlich Druck gemacht habe. Mir kommt es so vor, als sei jemand wie Patience ihnen den Aufwand nicht wert. Wenn ich nicht dabei gewesen wäre …«
Elizas Blick ist zum Fenster gewandert.
Irgendwann merkt Mum es auch. »Na ja, langer Rede, kurzer Sinn«, reißt sie sich zusammen, »sie wird eine Schulterschlinge bekommen und bei Bedarf Schmerzmittel und kühle Wickel. Arme Patience. Das muss richtig wehgetan haben.«
Tut es noch immer. Es pocht richtig.
Eliza zieht sich den zweiten Stuhl auf der anderen Seite des Bettes heran und betrachtet mich mit trauriger Miene. Eine Weile herrscht Stille, dann holt sie ihr Handy aus der Tasche und schaut darauf. Doch was immer sie zu finden hoffte, scheint nicht da zu sein.
»Warum bist du nicht rangegangen, als ich dich heute Morgen angerufen habe?«, will Mum wissen.
»Weil ich es auf lautlos gestellt hatte, Mum – genau wie du. Tut mir leid. Es war echt stressig heute bei der Arbeit, und ich wollte meiner Chefin nicht noch mehr Gründe geben, sich über mich aufzuregen. Also habe ich mein Handy schön brav in der Tasche gelassen.«
Das kam etwas zu flott, wie ich finde, ein bisschen zu geschmeidig.
»Macht sie dir das Leben schwer? Sie scheint nicht ganz einfach zu sein«, sagt Mum und klingt wirklich besorgt, auch wenn sie noch immer mich anschaut und nicht Eliza.
»Nein, es geht schon. Heute war einfach ein blöder Tag.«
»Und wie geht es Ed?«
»Oh, super, danke, er hat nur wahnsinnig viel um die Ohren. Es tut ihm echt leid, dass er heute nicht kommen konnte. Er wollte eigentlich, ist aber total eingespannt.«
Viel zu munter und aufgesetzt. Irgendetwas scheint da nicht zu stimmen.
»Lou? Entschuldige, ich habe den ersten Flug genommen, den ich kriegen konnte!«
Ich mache wieder ein Auge auf und sehe Dad an der Tür stehen, halb im Schatten wegen des hellen Neonlichts hinter ihm im Flur.
Wie spät es wohl mittlerweile ist? Irgendwann muss ich kurz eingenickt sein. Das Licht über meinem Bett ist nicht an, und draußen ist es dunkel, also muss es schon spät sein. Oder sehr früh.
»Pete, wie spät ist es?«, fragt Mum mit einem Gähnen.
»Zwei Uhr morgens.«
»Oh, dann muss ich wohl eingeschlafen sein.«
Arme Mum. Weil ich erwachsen bin, ist für sie kein Elternbett in meinem Zimmer vorgesehen, weshalb sie die Nacht auf dem Besucherstuhl zugebracht hat. Wahrscheinlich kann sie noch von Glück sagen, dass man es mit den Besuchszeiten nicht so genau zu nehmen scheint.
»Du hast geschlafen, ja. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.«
Dad geht zu ihr, und sie steht noch etwas benommen auf. Sie umarmen sich.
»Tut mir leid, dass ich nicht hier war«, sagt Dad, den Kopf an ihre Schulter gelehnt, und reibt mit dem Arm über ihren Rücken. »Du hast wieder alles allein stemmen müssen, das tut mir leid.«
»Sei nicht albern«, sagt Mum lapidar. »So etwas kann jederzeit passieren, das wussten wir doch. Viel wichtiger ist mir, dass du versucht hast, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen und für uns da zu sein, wenn wir dich brauchen.«
Dad schaut mich an. Ich mache jetzt auch das andere Auge auf und kann seine Miene im Zwielicht so gerade erkennen. Er sieht müde aus. Müde, traurig, besorgt und alt. Dabei ist er eigentlich ein äußerst attraktiver Mann, unser Dad, aber in letzter Zeit sieht man ihm die Jahre an. Davor graut mir ein bisschen. Ich hätte es am liebsten, wenn er unsterblich wäre.
»Du bist ja wach, Patience«, sagt er. »Tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe. Aber jetzt bin ich hier. Wir sind beide da.«
»Hast du meine Nachricht bekommen?«, fragt Mom. »Wegen ihres Schlüsselbeins?«
»Ja, ich habe sie bei der Landung gelesen«, erwidert Dad und geht sich einen der an der Tür gestapelten Stühle holen. »Schlimm. Wie hat sie das überhaupt angestellt?«
»Ich vermute, dass sie uns in Morton Lodge nicht sagen wollten, wie schlimm es wirklich war, denn offensichtlich hat keiner daran gedacht, ihren Gurt anzulegen. Das grenzt doch schon an Fahrlässigkeit, oder? Ich habe dir ja gleich gesagt, dass es ein Fehler ist, sie Fremden anzuvertrauen. Wenn sie die ganze Zeit bei uns zu Hause wäre, könnte so etwas nicht passieren.«
Dad stellt den Stuhl neben Mums und setzt sich. »Jetzt komm schon, Lou. Die machen einen guten Job, und du brauchst auch mal eine Pause. Niemand kann das ganz alleine schaffen. Sie ist in guten Händen, wir haben doch selbst gesehen, wie liebevoll sie sich um Patience kümmern. Fehler können jedem mal passieren.«
»Bei Patience können solche Fehler lebensbedrohlich sein. So etwas darf einfach nicht passieren.«
»Aber sie konnten doch nicht ahnen, dass sie plötzlich einen Anfall bekommen würde. Damit hat nun wirklich niemand gerechnet.«
»Nein«, sagt Mum resigniert. Das schafft auch nur Dad, sie so schnell zum Einlenken zu bringen.
Sie sehen mich schweigend an.
»Glaubst du, dieser Anfall … glaubst du, es könnte ein Vorgeschmack auf das sein, was uns noch bevorsteht?«, fragt Dad schließlich.
»Das will ich nicht hoffen«, erwidert Mum. »Sie hat ja schon fast den gesamten Katalog an Rett-Symptomen, da dachte ich, bleibt ihr wenigstens das erspart.«
»Und was, wenn …«
»Ich weiß, Pete. Aber lass uns jetzt nicht daran denken, ja? Nicht jetzt. Sie hat es bislang immer geschafft. Sie ist eine Kämpfernatur.«
Im Dunkeln kann ich noch schwach erkennen, wie Dad nach Mums Hand greift, und danach herrscht einvernehmliche Stille.
Ich schließe die Augen und bin auf einmal ganz woanders, vergesse für einen Moment sogar meinen Schmerz.
Louise
Ja, wer ist ein gutes Mädchen? Genau, du!«
Und wie Tess mit ihrem treu ergebenen Hundeblick zu ihr aufschaute, die großen, dunkel glänzenden Augen von den schwarzsamtenen Ohren gerahmt, regte sich jedes Mal ein flüchtiges Glücksgefühl in Louise. Weil sie sich nicht noch mehr Arbeit und Verantwortung aufbürden wollte, hatte sie sich lange gegen die Anschaffung eines Hundes gesträubt und so erst spät die Erfahrung gemacht, dass die Gesellschaft eines Vierbeiners jede Mühe wert war. Während der Tage, die Patience nicht da war, und vor allem wenn Pete sich wochenlang im Ausland aufhielt, fand sie es sehr tröstlich, nicht ganz allein zu sein und noch ein anderes Lebewesen im Haus zu wissen. Ohne Tess wäre sie all den Erinnerungen, Ängsten und Ärgernissen schutzlos ausgeliefert, die sich unter ihrem Dach eingenistet hatten, die in jedem Winkel des Hauses darauf lauerten, in die Stille zu fluten.
Louise öffnete die hintere Tür, um Tess hinauszulassen. Die Hündin sah sie voller Dankbarkeit an, ehe sie auf den von hohem Unkraut überwucherten Rasen hinausstürmte, der vom Tau feucht und schwer war. Und dringend geschnitten gehörte er auch mal wieder, aber das sollte Pete machen, wenn er das nächste Mal da war. Er war natürlich längst wieder fort, war nach ein paar Tagen schon zurück nach Katar geflogen. Sie konnten es sich nicht leisten, dass er seinen Job verlor, sie brauchten das Geld, jetzt mehr denn je, und so hatte sie ihn ziehen lassen und gar nicht erst versucht, ihn zum längeren Bleiben zu überreden. Mittlerweile war sie es gewohnt, das meiste allein zu regeln.
Louise blieb ein paar Minuten an der Tür stehen, noch zu benommen, als dass ihr schlaftrunkenes Gehirn weitere Befehle an ihren Körper hätte senden können. Sie hatte gerade mal ein paar Stunden geschlafen, als Patience’ erste wache Atemzüge sie über das Babyfon auf ihrem Nachttisch auch schon wieder geweckt hatten.
Im Grunde war sie immer noch im Krankenhaus-Modus, nickte jedes Mal nur kurz ein, da sie sich sorgte, dass Patience’ Zustand sich verschlechtern könnte, sobald sie nicht mehr über sie wachte. Auch das mobile Pflegeteam, das Patience die ersten zwei Tage nach der Entlassung zu Hause betreute, hatte Louise nicht dazu überreden können, einfach mal abzuschalten und ins Bett zu gehen.
Bis jetzt war kein weiterer Anfall aufgetreten, und daran wollte sie sich klammern, es für ein gutes Zeichen halten. Man hatte ihr gesagt, es bestünde die Chance, dass es bei diesem einen Anfall bliebe. Louise hoffte, dass es sich bewahrheiten würde. Allerdings wartete sie nach wie vor auf die Überweisung in die Neurologie, das war noch eine weitere Schlacht, die es auszufechten galt – eine von viele, denn Louise hatte eine ganze Liste solcher Schlachten, die zu bewältigen sie sich immer schlechter gerüstet fühlte. In all den Jahren, die sie sich für das Wohl ihrer jüngeren Tochter eingesetzt und im ständigen Ausnahmezustand befunden hatte, war sie dünnhäutig geworden und jetzt ganz schön angeschlagen.
Es grenzte an eine grausame Ironie des Schicksals, dass es ihnen so schwergefallen war, Patience überhaupt zu bekommen. Sie hatten sich immer ein zweites Kind gewünscht, aber nach Eliza sollte es fünf Jahre dauern, bis Louise mit Patience schwanger wurde. In der Zwischenzeit hatte sie mehrere Fehlgeburten erlitten, von denen jede mit viel Schmerz und Leid verbunden war.