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Für Miri ist klar: Joey ist die blödeste Kuh aller Zeiten. Und alles nur wegen Cobi, mit dem Miri zusammen ist und auf den sie sogar ihrer Freundschaft zuliebe verzichtet hätte - wenn Joey sich nicht so superfies verhalten würde. Aber haben die beiden ehemals besten Freundinnen überhaupt noch eine Chance?
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Seitenzahl: 199
Patricia Schröder
Beste Freundin, blöde Kuh!
Und raus bist du
Patricia Schröder, 1960 geboren, lebt mit Mann, zwei Kindern und einer Hand voll Tieren an der Nordsee. Sie studierte Produktdesign und arbeitet seit einigen Jahren als freie Autorin. Zuerst schrieb sie satirische Beiträge für den Funk, später Texte für Anthologien, bevor sie ihre Liebe fürs Kinder- und Jugendbuch entdeckte. Inzwischen sind bereits viele Kinder- und Jugendromane bei Arena veröffentlicht. Mehr über die Autorin unter www.patricia-schroeder.de
Veröffentlicht als E-Book 2010 © Arena Verlag GmbH, Würzburg Alle Rechte vorbehalten Einbandillustration: Kirsten Straßmann Vignetten: Betina Gotzen-Beek ISBN 978-3-401-80103-2
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 1
Puh! So eine Hitze!«, stöhnt Joey und schaut mich mit hypnotisierten Saugnapfaugen an. »Das hält ja kein Mensch aus.« Ich liege neben ihr in der prallen Sonne am Ufer irgendeines Sees und rühre mit den Händen im Wasser herum. »Die Brühe hier ist auch schon pisswarm.« Joey grinst. Ihre Augen werden immer größer und ihr Blick immer irrer und dann fängt sie plötzlich an zu heulen. »Du bist schuld!«, schreit sie mich an. Ihr Mund ist riesig und ihr Rachen dunkel und unendlich tief. Ich starre ihn an und habe das Gefühl, in den finsteren Schlund hinuntergezogen zu werden. »Joey, nein!«, kreische ich. »Ich kann doch nichts dafüüür . . .!« Dann sitze ich plötzlich in meinem Bett. Mein Gesicht ist heiß und mein Atem geht stockend. Es dauert eine Weile, aber dann kapiere ich: Es war bloß wieder dieser Traum, der mich in den letzten drei Wochen fast jede Nacht in einer ähnlichen Variante heimsucht.
Ich lasse mich in mein Kissen zurücksinken und schaue bedrückt zum Fenster hinüber, durch dessen zugezogene Vorhänge die Morgensonne blitzt. Nachdem ich mein Zimmer am letzten Wochenende mehrmals umgeräumt habe, steht mein Bett inzwischen wieder an seiner alten Stelle. Genau wie früher schaue ich jetzt in die gleiche Richtung wie Joey, wenn sie aufwacht. Joey, die eigentlich Joana heißt und einmal meine allerbeste Freundin war. Nämlich früher, als wir beim Aufwachen nicht nur in dieselbe Richtung schauten, sondern haargenau die gleichen Klamotten, Bücher, Schreibtischlampen und Bambusrollos besaßen. Noch immer wohnen wir Garten an Garten in der Knippgartenstraße, noch immer besitzen wir die gleichen braunen Rosettenmeerschweinchen namens Angelo und noch immer haben wir am selben Tag Geburtstag, nämlich am 6. September. Der ist nun ebenfalls drei Wochen her. Seitdem sind Joey und ich dreizehn – und seitdem ist alles nicht mehr so wie früher. Keine Ahnung, welche CD Joey sich als Letztes gekauft hat, ich höre jedenfalls nicht mehr die alten Songs von Take That. Ich höre ja nicht einmal die neuen von Robbie Williams. Nein, ich habe mich diesbezüglich völlig umorientiert. Meine Lieblingsbands sind neuerdings Green Day und Good Charlotte. Irgendwie hängt das wohl mit Cobi zusammen, der jetzt mein Freund ist und diese Art Lala den ganzen Tag rauf- und runterdudelt.
Ja, Cobi ist mein Freund und nicht Joeys. Eigentlich ist es kein Wunder, dass wir uns ausgerechnet in denselben Typen verknallt haben. Eigentlich war das vorprogrammiert. Aber anstatt zusammen für ihn zu schwärmen und ihn in unseren Träumen miteinander zu teilen, ist ein schrecklicher Konkurrenzkampf zwischen uns ausgebrochen. Um unsere Freundschaft zu retten, hätte ich fast auf Cobi verzichtet, aber dann hat sich Joey schrecklich gemein und unfair verhalten und mich sogar vor der ganzen Klasse bloßgestellt. Das kann ich ihr einfach nicht verzeihen. Außerdem wollte Cobi ja mit mir zusammen sein und nicht mit ihr. Und trotzdem: Glücklich bin ich irgendwie nicht. Mit Cobi treffe ich mich nur selten, und wenn, dann denke ich dauernd an Joey und wünsche mir nichts sehnlicher, als dass unsere Freundschaft doch noch zu retten wäre. Es klopft an meiner Tür und eine Sekunde später steht Mama im Zimmer. »Kannst du nicht endlich mal warten, bis ich »Herein« gerufen habe?«, brumme ich sie an. »Nein«, sagt sie lächelnd. »Du bist doch nicht mein Chef.« »Aber deine Tochter«, entgegne ich. »Und mindestens ebenso achtbar.« »Ich achte dich doch, meine Süße«, sagt sie. »Ich dachte nur, du willst vielleicht so schnell wie möglich mit Doreen sprechen. Sie ist nämlich am Telefon.«
Das ist mal wieder typisch Mama! Obwohl ich sie mittlerweile schon x-tausendmal aufgefordert habe nicht immer ohne große Vorankündigung wie eine Rakete in mein Zimmer zu stürmen, hat sie es bisher noch jedes Mal geschafft, sich mit irgendwelchen fadenscheinigen Argumenten herauszureden. Und da ich Doreen nicht warten lassen will, habe ich diesmal nicht einmal die Möglichkeit, mit meiner Mutter über ihr beständiges Fehlverhalten zu diskutieren. Ich verdrehe nur die Augen, schlüpfe in meine Latschen und schlurfe gähnend zum Telefon. »Hi«, begrüßt Doreen mich fröhlich. »Sag bloß, du hast noch gepennt?« »Nein«, sage ich, »war gerade aufgewacht. Was ist denn los?« »Cobi war eben bei mir.« »Waaas? So früh?«, rufe ich. »Es ist halb elf«, klärt Doreen mich auf. »Ja, ja«, sage ich ungeduldig. »Was wollte er denn bei dir?«
»Über dich reden natürlich.« Natürlich. Natürlich? »Wieso das denn?«, knurre ich. Plötzlich kocht die Wut in mir hoch. Das geht samstags morgens nach einem dieser dusseligen Joey-Träume und einer von Mamas berühmt-berüchtigten Überrumpelungstaktiken besonders schnell.
»Genau verstanden habe ich es auch nicht«, erwidert Doreen seelenruhig. Im Gegensatz zu mir ist sie nämlich nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. »Er hat ein ziemliches Durcheinander ausgespuckt. Grob zusammengefasst, würde ich das ungefähr so ausdrücken: Er weiß nicht, woran er bei dir ist.« »Hä?«, sage ich. »Wie meinst du das?« »Na ja, er macht sich halt Gedanken und so . . .«, erklärt mir Doreen. »Über mich?« »Ja, und über sich«, vervollständigt Doreen. »Sozusagen über euch beide.« Das kapier ich nicht. »Wieso?«, keife ich in den Hörer. Von Doreen kommt erst mal nichts, dann ertönt plötzlich ein genüssliches Schmatzen. »Doreen?« »Hmhm?« »Was futterst du denn da schon wieder?« »Schokis«, mümmelt sie. »Hat Paul mir geschenkt.« »Doreen, du wolltest abnehmen«, werfe ich ihr vor. »Und du wolltest über Cobi reden«, entgegnet sie. »Nein, du«, erwidere ich. »Ach so«, sagt Doreen. »Dann ist er dir also wirklich egal.« »Jetzt quatsch keinen Kakao.« »Das geht nicht«, erwidert Doreen kichernd. »Jedenfalls nicht mit einem Mund voller Schokolade.«
Himmel noch mal! Wenn dieses Gespräch noch drei Sekunden so weitergeht, dann explodiere ich. »Weißt du, was?«, sage ich. »Ich bin in einer halben Stunde bei dir.« »Wie willst du das denn schaffen?«, fragt Mama, als ich aufgelegt habe. »Hast du etwa gelauscht?«, fahre ich sie an. »Ging nicht anders«, meint sie schulterzuckend. »Du hattest den Volumenregler schließlich auf höchster Stufe. Würde mich nicht wundern, wenn sogar unsere Nachbarn jetzt wissen, was los ist.«
Nachdem ich mir eine Katzenwäsche gegönnt, Angelo kurz geknuddelt und eine Schüssel Schokopops in mich hineingestopft habe, schwinge ich mich auf mein Rad und mache mich auf den Weg zu Doreen. Natürlich muss ich an Joeys Haus vorbei und natürlich kann ich es mir nicht verkneifen, einen verstohlen suchenden Blick über die Rasenfläche und die Fenster gleiten zu lassen. Von Joey ist allerdings nicht der Fitzel einer dunklen Haarsträhne zu sehen. Also gebe ich wieder Gas und sehe zu, dass ich so schnell wie möglich weiterkomme. »Hi«, begrüßt mich Doreen. Wie immer klemmt sie hinter dem Computer und daddelt eines ihrer geliebten Geschicklichkeitsspiele. »Bin gleich fertig.«
Neben ihr auf dem Tisch liegt eine halb leer gefutterte Pralinenschachtel. Ich schiebe den Deckel drüber und stelle sie auf meinem Schoß sicher. »Mann, jetzt hab dich nicht so«, schmatzt Doreen. »Ich liebe Schokis und mir macht es überhaupt nichts aus, wenn ich wieder ein paar Kilos zulege.« »Das behauptest du bloß, weil du mit Paul zusammen bist und der auch nicht gerade schlank ist«, erwidere ich. »Aber das muss ja nicht für immer und ewig so bleiben.« »Paul will nicht abnehmen«, sagt Doreen zu ihrem Monitor. »Das mein ich doch gar nicht.« »Was dann?« Mannomann! Es ist also schon wieder so weit, dass die Sweeties ihr die Gehirnzellen zugepappt haben und sie nicht mal mehr eins und eins zusammenzählen kann. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als die böse Tante zu spielen. »Vielleicht seid ihr ja nicht bis ans Ende eurer Tage ein Paar«, formuliere ich es vorsichtig. »Natürlich nicht«, sagt Doreen überraschenderweise. Sie hämmert noch ein paarmal auf den Knöpfen ihrer Spielkonsole herum, dann dreht sie sich endlich zu mir um. »Sind wir schon jetzt nicht mehr.« »Was?«, rufe ich erschrocken. »Aber ihr liebt euch doch.« »Schon«, gibt Doreen zu. »Trotzdem wollen wir es nicht riskieren, später mal behinderte Kinder zu kriegen.« »Hä?«
Doreen lacht. »Jetzt guck doch nicht so verkreuzt«, sagt sie. »Paul ist mein Cousin. Hast du das schon vergessen?« Ich schüttle den Kopf. »Na und?« »Von wegen«, klärt Doreen mich auf. »Das ist Familie und damit Inzucht.« Himmel noch mal! So weit hätte ich ja nie gedacht. Aber wahrscheinlich hat ihre hypermoralische Mutter ihr so lange ins Gewissen geredet, bis Doreen aufgegeben hat. »Wenn man keinen Sex hat, ist es doch egal«, versuche ich sie umzustimmen. Doreen nickt. »Jaaa, wenn . . .« Was soll denn das schon wieder heißen? Doreen macht mich noch völlig verrückt mit ihren Äußerungen. Die Sache mit Cobi, wegen der ich eigentlich gekommen bin, erscheint mir dagegen eine mickrig kleine Peanut zu sein. »Aber ihr hattet doch keinen...«Ich trau mich kaum das Wort auszusprechen. ». . . Sex?«, hauche ich. Doreen tippt sich an die Stirn. »Mann, bist du schwer von Kappee. Ich hab dir doch gerade erklärt, dass es unter Familienmitgliedern zu Behinderungen führen kann.« Das tut es bei mir ebenfalls. Und das, obwohl ich nicht im Entferntesten zu Doreens Familie gehören. Doreen hat absolut Recht: Ich kapiere gar nichts. »Ihr hattet also keinen . . . Sex?«, vergewissere ich mich. »Sag ich doch«, stöhnt Doreen. »Aber ihr hättet gerne?«
Sie zuckt die Schultern. »Ja, später vielleicht mal«, nuschelt sie, dann springt sie plötzlich auf mich zu und angelt die Pralinenschachtel von meinem Schoß. »Du machst mich wahnsinnig«, stöhne ich. »Dann sollten wir jetzt vielleicht endlich über dich reden«, erwidert Doreen. Sie lässt ihren Finger über die Pralinen gleiten, fischt sich eine schwarz-weiß gekästelte heraus und schiebt sie sich mit einem genüsslichen Augenverdreher in den Mund. »Du meinst Cobi«, korrigiere ich sie. »Von mir aus«, entgegnet sie schmatzend. »Auf jeden Fall habe ich kein gutes Gefühl. Wenn du dich nicht änderst, macht er bestimmt bald Schluss.« Jetzt hört sich doch wohl alles auf! Erstens macht Cobi nicht Schluss, weil er nämlich verliebt in mich ist. Und zweitens: »Man darf sich doch nicht wegen eines Typen ändern. Er soll mich gefälligst so mögen, wie ich bin«, brülle ich. »Tut er ja auch«, sagt Doreen gelassen. »Wo ist dann das Problem?«, fahre ich sie an. »Dass du dauernd über Joey nachdenkst.« »Das stimmt doch gar nicht!« Ich springe auf und fange an im Zimmer hin und her zu rennen. »Mhm, das merkt man«, meint Doreen und nimmt sich eine Praline mit einer Walnusshälfte obendrauf. »Du bist wohl Madame Oberschlau!« Wutschnaubend dampfe ich auf sie zu und reiße ihr die Pralinenschachtel mit so viel Schmackes aus den Händen, dass die feinen Schokis kreuz und quer durchs Zimmer fliegen. »Toll«, sagt Doreen. Ihre Gesichtsfarbe wechselt von Sonnenbraun zu Zartgerötet. Jetzt fehlt nicht mehr viel und sie wird vergessen, dass sie normalerweise die Ruhe in Person ist. Ich sollte also entweder einlenken oder die Flucht ergreifen. Leider bevorzuge ich keine der beiden Möglichkeiten. Doch zum Glück fällt mir in letzter Sekunde noch eine dritte Variante ein. »Joey ist eine gottverdammte, beschissene Arschgeige!«, brülle ich. »Sag ich doch«, brummt Doreen, die mittlerweile vom Stuhl auf den Teppich gerutscht ist und die Pralinen einsammelt. Der Einfachheit halber landen sie gar nicht erst wieder in der Schachtel, sondern direkt in ihrem Mund. »Sie ist eine blöde Kuh.« Ich starre auf Doreens Hinterkopf und auf einmal bin ich überhaupt nicht mehr sauer. Ich lasse mich auf die Bett-kante zurücksinken und atme einmal tief ein. »Was soll ich denn tun?« »Wegen Cobi oder wegen Joey?« »Keine Ahnung.« Doreen lässt sich auf den Po fallen, schiebt die Beine untereinander und schaut mich mit ihren Schokoladenmundwinkeln treuherzig an. »Vergessen wir Joey und einigen wir uns auf Cobi? Ich finde, du solltest endlich aufhören dir Vorwürfe zu machen. Du hast so viel Verständnis für Joey gehabt. Das wäre ihr im Traum nicht eingefallen.« Nee, dafür spukt sie jetzt halt durch meine Träume. – Jaa, Doreen hat Recht. Joey ist all das Tamtam echt nicht wert. »Okay«, sage ich. »Und wie soll ich mich Cobi gegenüber verhalten?« »Ist doch ganz einfach«, stöhnt Doreen. »Du redest mit ihm. Unternimmst was mit ihm. Ganz egal, Hauptsache, ihr seht euch öfter als bisher. Nur so fasst er wieder Vertrauen in deine . . . in deine . . . äh . . . in deine . . .« »Was denn jetzt?«, versuche ich ihr auf die Sprünge zu helfen. »Freundschaft«, sagt Doreen entschlossen und guckt mich selig an. Natürlich meint sie Zuneigung beziehungsweise Liebe, aber auch ich bin froh, dass sie das nicht über die Lippen gebracht hat. Natürlich hab ich Cobi gern. Genau das ist ja das Problem. »Vielleicht ist es ja viel eher so, dass er sich nicht mehr sicher ist, dass er mich noch mag«, spekuliere ich. »Ja klar.« Doreen tippt sich fast ’ne wunde Stelle an die Stirn. »Deshalb kommt er auch extra zu mir und schüttet mir sein Herz aus.« »Ich kann ihn aber nicht treffen«, sage ich. »Und wieso nicht?« »Weil . . . weil . . . weil . . .« ». . . du dauernd an Joey denkst.«
»Nein«, sage ich. »Erzähl mir nix«, erwidert Doreen. »Okay«, gebe ich zu. »Aber das ist nicht alles.« Doreen macht Riesenaugen. »Was denn noch?«, fragt sie mit atemlos geblähten Nasenlöchern. »Ich kann ihn nicht küssen«, krächze ich. Das Blut schießt mir ins Gesicht und ich starre verlegen zur Tür. Jetzt ist es endlich heraus, aber dafür werden Doreens Fragen mich restlos um den Verstand bringen. »Warum das denn nicht?«, platzt die erste, die ich genau so erwartet habe, aus ihr heraus. »Ihr habt euch doch schon geküsst.« »Ja, aber das ist ewig lange her«, wende ich ein, »und außerdem kam es total überraschend.« »Und was ist mit dem Kuss für die Werbeaufnahme, die Joeys Vater von euch gemacht hat?«, entgegnet Doreen. »Ach«, sage ich. »Der zählt doch nicht. Der war vor Publikum und ohne Zunge und all das.« Doreen seufzt und dann schweigt sie. Es ist ein quälendes Schweigen und ich spüre geradezu, wie sich ihr Röntgenblick in mich hineinbohrt. Wahrscheinlich ist sie es inzwischen leid, mir jeden Popel extra aus der Nase zu ziehen, und erhofft sich die gewünschten Informationen nun durch Gedankenübertragung verschaffen zu können. Doch dann sagt sie ganz plötzlich: »Das kenn ich.« Überrascht sehe ich sie an: »Wie?« »Ist mir mit Paul genau so gegangen«, meint Doreen achselzuckend. »Aber was nützt es? Da muss man eben durch. Und nach dem zehnten Mal läuft’s dann auch endlich wie geschmiert.« Na toll! »Du musst ja nicht damit anfangen«, empfiehlt sie mir. »Lass dich von ihm küssen! Entspann dich und lass es einfach passieren!« Noch besser! Ich habe nämlich keine Ahnung, wie ich das hinkriegen soll. Sobald Cobi näher als zwei Meter an mich herankommt, stehe ich dermaßen unter Strom, dass man getrost ein komplettes Kaufhaus damit beleuchten könnte. Von Entspannung kann da leider überhaupt keine Rede sein. »Glaub mir«, sagt Doreen. »Irgendwann ist es nur noch toll und du kannst gar nicht mehr genug davon bekommen.« »Aber du hast Schluss gemacht«, wende ich. Doreen nickt. »Eben. Es war wie eine Sucht. Und das konnten wir als Cousins einfach nicht zulassen. Da muss man dann eben radikal durchgreifen und dem Ganzen ein Ende setzen«, sagt sie und drückt mir die Schachtel mit einer letzten armseligen Praline in die Hand.
Als ich eine Viertelstunde später mein Fahrrad besteige, stelle ich fest, dass Doreen mich vollständig verwirrt hat.
Ich verstehe nicht, wie sie die Sache mit Paul so gelassen und vernünftig abhandeln kann. Immerhin ist sie vor kurzem noch bis über sämtliche Ohrmuscheln in ihn verknallt gewesen. Und die Küsserei mit Cobi sieht sie auch viel zu lässig. Einerseits. Andererseits muss ich zugeben, dass sie Recht hat. Trotzdem kann ich es nicht tun. Ich bin einfach nicht locker genug. Bestimmt kriege ich sofort einen Krampf in den Lippen und klemme als Folge davon Cobis Zunge zwischen meinen Zähnen ein. Das kann ich ihm nicht antun. Aus Angst vor den Schmerzen wird er mich danach garantiert nie wieder küssen wollen. Und das wiederum kann ich mir nicht antun. Das Beste ist es also, wenn ich ihn überhaupt nicht küsse. Dann allerdings wird er weiter misstrauisch sein. Jedenfalls, wenn ich Doreen glaube. Verdammter Mist, was soll ich bloß tun?
»Schon wieder zurück?«, fragt Mama verwundert, als ich die Haustür hinter mir ins Schloss drücke. »Ja«, sage ich. »Wir haben alles geklärt.« »Aha«, erwidert sie. »Du besuchst deine Freundinnen also nur noch, um etwas zu klären?« Ich zucke die Achseln. »Wieso nicht?«
»Och«, sagt Mama. »Vor gar nicht allzu langer Zeit habt ihr euch noch getroffen, um Spaß miteinander zu haben.« »Das haben wir immer noch«, brumme ich. Meine Mutter mustert mich kritisch. »Man sieht’s«, meint sie und seufzt. »Miriam, du kannst immer noch über alles mit mir reden.« »Es ist alles in Ordnung.« »Das ist es nicht«, widerspricht sie energisch. »Seitdem du dich mit Joana zerstritten hast . . .« »Sie mit mir«, korrigiere ich. Meine Mutter seufzt noch einmal. »Das Ergebnis ist doch das gleiche, oder?« Und wennschon! »Kann ich jetzt bitte in mein Zimmer?«, presse ich hervor. »Ich hab noch jede Menge Hausaufgaben.« Natürlich lässt Mama mich nicht davonkommen. »Die kannst du später immer noch erledigen«, sagt sie entschieden. »Außerdem ist morgen auch noch ein Tag.« Dann packt sie mich an den Schultern und schiebt mich ins Wohnzimmer. Dort drückt sie mich ins Sofa und pflanzt sich neben mich. »Ich sehe doch, dass du unglücklich bist.« Bin ich auch. Aber wie soll ich ihr das erklären? Schließlich hat sie keinen Schimmer, was zwischen mir und Joey überhaupt abgelaufen ist. Und dass ich neuerdings einen Freund habe, ahnt sie höchstens. Direkt erzählt habe ich ihr das jedenfalls nicht. Überhaupt bin ich mit dem, was ich ihr anvertraue, sehr sparsam geworden. Seitdem Papa ausgezogen ist, hat sie selbst genug Probleme und außerdem habe ich keine Lust darauf, dass sie mir überall hineinredet. Und so erfährt sie inzwischen nur noch das, was sie unbedingt wissen muss. »Morgen hab ich ein Spiel«, sage ich. Das entspricht ausnahmsweise der Wahrheit und jagt mir prompt den Selbstschreck durch die Adern. Morgen werde ich Cobi sehen. Bis zum nächsten Sommer spielen wir noch in einer Fußballmannschaft. Erst dann werden Jungen und Mädchen getrennt. »Und das macht dir Bauchschmerzen?« Meine Mutter schüttelt den Kopf. »Ihr habt doch erst das Turnier gewonnen. Es dürfte überhaupt kein Problem für euch sein, auch diesmal gut abzuschneiden.« »Trotzdem«, sage ich und mache vor lauter Freude darüber, dass Mama so unerwarteterweise den Grund für meine Trübseligkeit gefunden hat, ein extra wehleidiges Gesicht. »Herr Diebutz meint auch immer: Die Spiele werden im Kopf gewonnen.« »Ah ja«, erwidert meine Mutter. »Was auch immer das heißen mag.« »Na, das ist doch ganz einfach«, kläre ich sie auf. »Wenn man denkt, der Gegner sei schwach und dass es keine große Sache ist, das Spiel zu gewinnen, dann ist die Gefahr, zu verlieren, sehr groß.« Mama schürzt ihre Lippen und schaut mich zweifelnd an. »Das mag ja sein, Miriam«, meint sie schließlich. »Andererseits kann ich nicht erkennen, was es schaden sollte, wenn du mit einem positiven Gefühl an die Sache rangehst. Ihr seid ein starkes Team und habt die besten Chancen. Sollten die anderen gewinnen, obwohl ihr alles gegeben habt, dann ist es doch auch kein Beinbruch, oder?« Ich zucke die Achseln und behalte mein wehleidiges Gesicht. »Ach, Schätzchen«, sagt meine Mutter. Sie wuselt mir durch die roten Locken und drückt mich dann ganz plötzlich an sich. »Ich hätte nie gedacht, dass du dir ausgerechnet das Fußballspielen so zu Herzen nimmst.« »Na, hör mal«, brumme ich und befreie mich sanft aus ihrem Überrumpelungsgriff. »Natürlich tue ich das.« Mama seufzt. »Ist ja schon gut«, erwidert sie. »Im Grunde bin ich ja nur froh, dass dein Trübsal nicht mit deinem Vater zusammenhängt.« »Kein Problem«, sage ich schnell. – Zu schnell offenbar. Denn nun legt Mama ihre Stirn in tiefe Falten. »Überhaupt keins?« »Na ja . . .«, sage ich gedehnt. Nun sollte ich höllisch aufpassen, dass mir kein falsches Wort mehr über die Lippen flutscht, sonst bin ich doch noch geliefert. Natürlich macht es mir was aus, dass meine Eltern sich getrennt haben. Aber es ist nicht unbedingt mein Hauptproblem. »Ich finde es nicht gerade lustig«, fahre ich also fort. »Zum Glück wohnt Papa ganz in der Nähe und ich kann ihn jederzeit sehen. Solange du damit klarkommst . . .«
Mamas Augen verdunkeln sich gefährlich und ihr Mund verzieht sich zu einem geraden, dünnen Strich. Oje, oje! Ich bin aber auch ein Hornochse! Das waren jetzt garantiert wieder nicht die richtigen Worte. »Muss ich ja wohl«, sagt meine Mutter. »Und ich werde es auch.« Sie hört sich wild entschlossen an. Und plötzlich lacht sie sogar. »Mach dir mal keinen Kopf deswegen, Miriam. Es geht mir gut. Ich hatte noch nie so viel Freiheit. Ich genieße es geradezu, dass ich nun tun und lassen kann, was ich will. Und auf eins kannst du dich verlassen: Ich werde einiges ändern.«
Kapitel 2
Mamas Ankündigung klang wie eine Drohung. Das wird mir allerdings erst bewusst, als ich endlich allein in meinem Zimmer bin und verschnaufen kann. Ich lasse mich an meinen Schreibtisch sinken und frage mich, ob meine Mutter vorhat sich an meinem Vater zu rächen. Immerhin ist sie ziemlich fertig gewesen, als sie vor ein paar Wochen herausfand, dass er eine Jüngere hat. Als sie ihn zu Rede stellte, hat er sofort alles zugegeben. Gleich am selben Abend ist er zu seiner Freundin gezogen und Mama hat eine ganze Wagenladung Papiertaschentücher voll geheult. Ich an ihrer Stelle würde das auch nicht einfach auf mir sitzen lassen. Andererseits klemmt sich allein bei dem Gedanken daran, dass meine Mutter plötzlich einen neuen Mann anschleppt, ein unsichtbarer Schraubstock um mein Herz. Auch Papas Freundin mag ich nicht sehen. Bisher haben wir uns immer ohne sie getroffen, und das soll auch in Zukunft so bleiben. Ich lasse meinen Blick durchs Fenster in den Garten hinausschweifen und denke prompt an Joey. Was sie im