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Die sexy Dessous-Designerin Eve weckt hungriges Verlangen in Milliardär Kenan Rhodes. Aber Eve ist nicht nur seine beste Freundin, sie ist auch heimlich in seinen Bruder verliebt. Würde Kenan ihr seine Gefühle gestehen, wäre ihre Freundschaft womöglich ruiniert. Eve ist ihm zu wichtig, als dass er es riskieren will, sie zu verlieren! Doch dann bittet sie ihn um einen heißen Kuss in der Öffentlichkeit – natürlich nur, um seinen Bruder eifersüchtig zu machen! Bloß warum küsst sie ihn immer weiter, als längst niemand mehr zusieht?
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Seitenzahl: 210
IMPRESSUM
BACCARA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2021 by Naima Simone Originaltitel: „The Perfect Fake Date“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA, Band 2232 4/2022 Übersetzung: Victoria Werner
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 4/2022 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751508971
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Ich bin heute Abend nur als dein Fake-Date hier. Falls du glaubst, ich wüsste das nicht, unterschätzt du meine Intelligenz … oder meine Rolle als deine beste Freundin.“
Kenan Rhodes betrachtete die Frau an seiner Seite. Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie hatte wirklich Klasse.
Er lachte leise und suchte Blickkontakt zu einem der Ober, um zwei Gläser Champagner zu bekommen. Eines reichte er seiner besten Freundin, bevor er selbst am anderen nippte.
„Du bist immer so misstrauisch. Das gewöhnt man sich wahrscheinlich an, wenn man Lehrerin ist und sich ständig irgendwelche faulen Ausreden von Schülern anhören muss.“
Er bemerkte, dass eine ältere, schwer mit Juwelen behangene Frau ihn mit verkniffener Miene musterte. Sie nickte ihm kurz grüßend zu, bevor sie sich zu dem Mann an ihrer Seite wandte und ihm hinter vorgehaltener Hand etwas zuraunte. Kenan war gereizt, versuchte aber, es hinter einem Lächeln zu verbergen.
„Was ist los?“ Eve sah ihn mit ihren dunkelbraunen Augen durchdringend an.
„Nichts.“
Sie zog die Augenbrauen hoch. „Du fährst gerade mit dem Daumen über die Narbe an deinem Kinn. Das tust du nur, wenn dir danach ist, die Weltherrschaft an dich zu reißen oder wenn irgendetwas – oder irgendjemand – dich irritiert.“
Er ließ die Hand sinken. Es war ihm gar nicht aufgefallen, dass er sich über die Narbe gestrichen hatte. Verdrossen betrachtete er seine beste Freundin. Manchmal nervte es wirklich, dass sie ihn so gut kannte!
„Stimmt.“ Er machte Eve gegenüber keinen Hehl aus seinem Frust. „Es ist jetzt sechs Monate her. Sechs Monate! Aber immer noch starren sie mich an, als wäre ich die Überraschungsnummer im Zirkus. So als wären wir nur zu ihrer Unterhaltung da.“
Das Interesse war allerdings irgendwie nachvollziehbar, denn seine ganze Welt war auf den Kopf gestellt worden, als er einen Brief erhalten hatte, in dem er aufgefordert worden war, zur Eröffnung des Testaments von Barron Farrell zu erscheinen. Barron Farrell! Der langjährige CEO des internationalen, milliardenschweren Konzerns Farrell International stand in dem Ruf, ein brillanter Geschäftsmann und zugleich ein brutaler Mistkerl gewesen zu sein. Was er mit Barrons Testament zu tun hatte, war Kenan ein Rätsel. Er arbeitete als Marketingleiter im erfolgreichen Immobilienunternehmen seiner Familie. Das Rätsel hatte sich jedoch schnell gelöst: Kenan erfuhr, dass er einer von Barrons unehelichen Söhnen war. Der letzte Wille des Patriarchen war es gewesen, dass Kenan und seine beiden Halbbrüder, von deren Existenz er bis dahin nichts gewusst hatte, Farrell International ein Jahr lang zusammen leiten sollten. Andernfalls würde das Unternehmen zerschlagen und verkauft werden.
Seine Halbbrüder – da war zum einen Cain Farrell, der einzige Sohn, den Barron anerkannt und bei sich behalten hatte. Dann Achilles Farrell, ein Programmierer und Technikgenie aus Tacoma, Washington. Ihn hatte Barron genauso verheimlicht wie Kenan. Achilles war von seiner alleinstehenden Mutter großgezogen worden, während Kenan in Boston bei einer Adoptivfamilie aufgewachsen war.
Während der vergangenen Monate, seit die Geschichte an die Öffentlichkeit gedrungen war, waren die „Farrell-Bastarde“, wie Kenan und Achilles genannt wurden, das Hauptgesprächsthema der Stadt.
Eve drückte Kenans Hand und riss ihn damit aus seinen Gedanken.
„Diese Leute brauchen Skandale, um etwas Farbe in ihrem Alltag zu haben, und das ist doch nun wirklich etwas, worüber man sich das Maul zerreißen kann: Der Barron Farrell von Farrell International ist Vater von zwei unehelichen Söhnen. Von Söhnen, die er nach seinem Tod zu Teilhabern des Unternehmens gemacht hat. Das ist doch genau die Art von Skandal, nach der diese Menschen hier lechzen. Aber nur weil sie dich anstarren wie eine Zirkusnummer, heißt das noch lange nicht, dass du nach ihrer Pfeife tanzen musst. Du bist Kenan Rhodes. Dir kann keiner was!“
Er räusperte sich und hob das Glas. „Trink deinen Champagner“, murmelte er.
Sie tat es, bevor sie ihm zuraunte: „Keine Ursache.“
Er wandte sich rasch vom Anblick ihres leichten Lächelns ab und tat so, als sähe er sich suchend im Saal um. Ansonsten hätte Eve vielleicht das Geheimnis entdeckt, das er bereits seit fünfzehn Jahren vor ihr verbarg.
Es wäre nämlich nicht gut, wenn auf der jährlichen Gala der Brahmin Arts Foundation vor aller Welt herauskäme, dass er in seine beste Freundin verliebt war.
Zumal es eine unerwiderte Liebe war.
Er umklammerte sein Glas fester, während sich sein Herz zusammenzog. Was konnte der Hölle näher sein als eine unerwiderte Liebe? Es kam ihm so vor, als würde ihm jeden Tag aufs Neue das Herz gebrochen, wenn die Frau, die ihm wichtiger war als die Luft zum Atmen, ihn einfach nur mit freundschaftlicher Zuneigung ansah.
Jedes Mal, wenn sie ihre weichen, vollen Lippen für einen freundschaftlichen Kuss auf seine Wange drückte oder wenn er ihre üppigen, sexy Kurven bei einer Umarmung an seinem Körper spürte, starb ein Teil von ihm.
„Sag doch mal …“, Eve stieß ihn leicht mit ihrem Ellenbogen an, „… vor wem soll ich dich denn heute Abend überhaupt beschützen?“
Er atmete tief durch und genoss den leichten Duft nach Zedernholz und Rosen von der Sheabutter, die sie benutzte, solange er sie kannte. Diesen Duft hätte er überall erkannt. Er verfolgte ihn sogar bis in seine Träume. Er konnte sich nicht von ihm lösen – ebenso wenig wie von Eve.
Wie oft hatte er schon den Himmel angefleht, ihn von dieser Liebe zu erlösen.
Er ließ den Blick durch den gut gefüllten Ballsaal des ehemaligen Hotels gleiten, das jetzt als Kunstmuseum diente. Rasch fand er eine Frau, die Eves Neugier befriedigen würde. Die Frau schien seinen Blick zu spüren, denn sie lächelte jetzt in seine Richtung. Es war ein unverkennbar interessiertes, einladendes Lächeln.
„Ach, Gott!“ Eve schüttelte den Kopf. „Ich kenne die Antwort schon. Ich hätte es wissen sollen. Sie ist genau dein Typ.“
„Mein Typ?“ Kenan wusste, dass er die Frage bereuen würde, aber er stellte sie dennoch. Zu seiner unerwiderten Liebe gehörte nämlich auch eine gehörige Portion Masochismus. „Was soll das heißen?“
Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie gar nicht glauben, dass es sein Ernst war. „Sie ist fast so groß wie du. Körbchengröße B oder großzügig bemessen C. Ich tippe auf braune oder grüne Augen. Sie könnte fast noch als weiß durchgehen, und ihr Haar ist ganz glatt. Sie muss eine gute Friseurin haben.“ Sie hob die Augenbrauen. „Kommt dir das bekannt vor?“
Ja. Mit anderen Worten: Die Frauen, mit denen er normalerweise Dates hatte, waren das genaue Gegenteil von Eve.
Sie waren groß, wohingegen Eve eher klein war. Sie waren schlank verglichen mit ihren weiblichen Rundungen und ihre Augen waren heller als ihre, in deren dunklen Tiefen er zu versinken meinte. Auch ihre Haut war heller, und sie hatten glattes Haar anstatt der dunkelbraunen Locken, die Eves Gesicht umrahmten. Ihr zartes Gesicht mit den großen Augen und den vollen Lippen.
Es gab nur einen Bereich, in dem sie sich im Vorteil wähnte: Mit ihrer glatten Haut konnte keine der anderen Frauen konkurrieren.
Eve Burke war unvergleichlich.
Er tat so, als berührte ihn dieses Spiel an der Grenze von Flirt und Freundschaft nicht weiter. Darin hatte er inzwischen Erfahrung.
„Ich wusste ja gar nicht, dass du so darauf achtest, mit wem ich ausgehe“, neckte er sie. „Wieso ist dir das so wichtig?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ist es nicht. Aber macht es dir nichts aus, so klischeehaft zu sein?“
Das saß. Schließlich kam die Kritik von ihr – und sie hatte keine Ahnung, wie es um ihn bestellt war.
Aus unerfindlichen Gründen reizte es ihn heute zurückzusticheln.
„Wieso sollte es mir etwas ausmachen?“ Er beugte den Kopf zu ihr herab, bis seine Stirn ihre fast berührte und er den Champagner in ihrem Atem riechen konnte. „Ich muss sie ja nicht heiraten, Eve. Diese Frauen genießen es ebenso sehr, mich zu benutzen, wie ich es genieße, von ihnen benutzt zu werden.“
Das Schweigen zwischen ihnen dehnte sich aus. Keiner von ihnen bewegte sich. In dem Meer aus Menschen, das um sie herum wogte, wirkten sie wie zwei Statuen.
Seine Worte gingen ihm immer wieder durch den Kopf, und ein hässlicher Teil von ihm – der Teil, der sie dafür hasste, dass sie ihn nicht wahrnahm und dass sie ihn nicht begehrte – ergötzte sich an dem Schock, der ihren Blick jetzt verdunkelt hatte.
Himmel … seine Erektion wuchs immer mehr und drückte gegen den Reißverschluss seiner Smokinghose. In ihm rangen Lust und Staunen, Triumphgeheul und ehrfurchtsvolles Flüstern miteinander. Er musste an sich halten, um die zarte Haut unter ihren Augen nicht zu berühren.
Augen, in denen das Verlangen ebenfalls leuchtete.
Das Verlangen nach … ihm.
Verdammt!
„Eve …“, murmelte er.
„Kenan, Eve, ich dachte mir doch, dass ich euch gesehen habe.“
Kenan erstarrte, als er die vertraute Stimme hinter sich hörte, die ihn wie eine kalte Dusche zurück in die Wirklichkeit holte. Langsam trat er von Eve zurück und drehte sich zu seinem älteren Bruder herum. Er begrüßte Gavin Rhodes mit einer flüchtigen Umarmung und einem brüderlichen Schlag auf die Schulter. Er sah nicht zu, wie Gavin Eve begrüßte. Das brachte er einfach nicht über sich.
Er durfte nicht das Risiko eingehen, dass einer der beiden den Schmerz bemerkte, der ihn bei ihrem gemeinsamen Anblick durchlief.
Denn jetzt, wo Gavin da war, begriff er es … das Verlangen, das er in Eves Blick gesehen hatte, hatte gar nicht ihm gegolten.
Wie hatte er nur so dumm sein können, es zu vergessen?
Es gab nur eines, was noch schlimmer war, als in die beste Freundin verliebt zu sein: wenn diese beste Freundin einen anderen liebte … und noch dazu ausgerechnet den eigenen Bruder.
„Eve, du siehst einfach bezaubernd aus“, sagte Gavin.
„Danke, Gavin.“
Kenan musste sie nicht ansehen, um zu wissen, dass sie vor Freude leicht errötet war und den Blick senkte, um ihre Bewunderung zu verbergen. Er hatte ihre Reaktion auf seinen Bruder inzwischen so oft erleben müssen, dass sie sich schmerzhaft in ihm eingebrannt zu haben schien.
Er musste seinen Bruder nicht ansehen, um zu wissen, dass Gavin nur die Tochter der Assistentin seines Vaters vor sich sah und nicht die sinnliche, sexy Frau, die ihr Verlangen nach ihm so schwer kaschieren konnte.
Gavin mochte vielleicht der Erbe des Familienunternehmens der Rhodes sein – das war er bereits vor Kenans Adoption gewesen –, aber er war dennoch ein blinder Klotz.
Kenan spürte Bitterkeit in sich aufsteigen, und er hasste sich dafür. Er sollte das Ganze doch inzwischen gewohnt sein!
Immer nur der Zweite zu sein, wenn es um die Liebe seines Vaters ging, war eine traurige Geschichte, nur der potenzielle Ersatz für den Erben zu sein war überhaupt nicht witzig.
Doch genau das war der Grund dafür, dass er sich nicht dazu überwinden konnte, Eve seine Gefühle zu gestehen. Er war vielleicht bei seinem Vater und in seinem Beruf immer nur die Nummer zwei, aber er würde es nicht ertragen, bei ihr ebenfalls an zweiter Stelle zu stehen.
Nicht bei Eve.
„Wo sind denn Mom und Dad?“, erkundigte sich Kenan.
„Dad wurde von Darren und Shawn Young aufgehalten. Sie wollten über das neue Projekt in Suffolk Downs mit ihm sprechen.“ Gavin warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu. „Nur als eine kleine Vorwarnung: Darren hat deinen Namen genannt und was es bedeuten würde, dich mit an Bord zu haben. Ich glaube, Dad hat vor …“ Er verstummte mitten im Satz und lächelte jemandem über Kenans Schulter hinweg zu. „Ich bin gleich wieder zurück, die Pflicht ruft“, raunte er, wobei er beständig weiterlächelte. Dann war er verschwunden.
Kenan blieb mit einem leeren Gefühl zurück.
„Ich habe gehört, was er gesagt hat.“ Eve sah Gavin hinterher. War ihr eigentlich bewusst, dass ihr Verlangen so offensichtlich war?
Kenan schob die Hände in die Hosentaschen, um zu verbergen, dass er sie zu Fäusten geballt hatte. Als sie sich ihm wieder zuwandte, waren ihre Gefühle immer noch deutlich zu sehen. Er hätte sich gern eingebildet, dass ihr Verlangen ihm galt.
Nur sein Stolz verhinderte, dass er sich auf diesen gefährlichen Pfad begab.
Sie hakte sich jetzt bei ihm unter. „Lass dir davon nicht den Abend verderben, Kenan. Wenn du heute nicht mit deinem Vater über Geschäftliches reden möchtest, dann ist das dein gutes Recht. Das muss er respektieren.“
„Er müsste es, aber tut er das auch?“ Er schüttelte den Kopf. „Du hast Nathan Rhodes doch schon persönlich getroffen, oder?“
„Ja, ein- oder zweimal.“ Sie hob ihr Glas. „Normalerweise hebe ich mir das für Notfälle auf, aber wenn es sein muss, ziehe ich diese Nummer ab: Ich verschlucke mich und bekomme dann noch einen Asthmaanfall. Ich habe es das letzte Mal vor fünf Jahren auf der Hochzeit von Christina Nail gemacht, aber ich bin zu allem bereit …“
Er riss die Augen auf und heuchelte fassungsloses Staunen. „Für mich?“
„Seite drei, Absatz sechs, Unterpunkt zwei unseres Freundschaftsvertrages verlangt, dass ich Stolz und Lungen für den guten Zweck opfere.“
Sie sahen sich in die Augen und lachten leise.
„Ich wage gar nicht zu fragen, was ihr beiden da gerade plant“, sagte sein ältester Halbbruder Cain Farrell, der gerade mit seiner Verlobten Devon Cole am Arm zu ihnen getreten war.
„Ich schätze aber mal, es ist nichts Gutes.“ Devon lachte. Mit ihren blitzenden grünen Augen erinnerte sie Kenan immer an eine bezaubernde Fee. „Das ist die einzig mögliche Erklärung dafür, dass ihr beide hier von allen am meisten Spaß zu haben scheint.“
„Benehmt euch gefälligst!“, ermahnte sie Cain, aber seine Mundwinkel umspielte ein Lächeln. Es war ein Wunder, das die Bostoner Gesellschaft immer noch erstaunte: Cain Farrell konnte lächeln! Devon Cole ging zwar nicht über Wasser, aber sie wirkte dennoch Wunder.
Kenan zuckte mit den Schultern. „Sie hat recht.“
„Wer hat recht?“ Diese Frage kam von Achilles Farrell, dem mittleren Halbbruder, den Kenan Jan nannte, um ihn zu ärgern – eine Anspielung auf die mittlere Schwester der Bradys, einer beliebten Fernsehfamilie. „Falls du Devon meinst, stimme ich dir zu. Sie hat recht. Falls du Cain meinst, hat Devon trotzdem recht.“
Cain warf Achilles aus zusammengekniffenen Augen einen Blick zu, während dieser Mycah Hill anlächelte, die seit ihrer Heirat Mycah Farrell hieß. „Wie ich sehe, hast du ihn gut erzogen.“
Mycah nickte nur und nippte an dem Glas Wasser, das Achilles ihr gereicht hatte. Da sie mittlerweile fast im fünften Monat schwanger war, war Alkohol für sie tabu. „Es ist nur eine Frage der positiven Verstärkung.“
„Sex“, raunte Kenan dramatisch. „Sie spricht von Sex.“
Alle lachten. Kenan spürte, wie die innere Anspannung, die ihn bei der Erwähnung seines Vaters befallen hatte, allmählich nachließ. Trotz des holprigen Anfangs waren er, Cain und Achilles sich inzwischen nähergekommen. Er vertraute diesen Männern mittlerweile und betrachtete sie als richtige Brüder, nicht nur als Halbbrüder und schon gar nicht als Fremde, die er erst vor wenigen Monaten kennengelernt hatte.
Seine Anspannung wuchs erneut, als sein Blick auf Gavin fiel. Der Preis der Nähe zu seiner neu gefundenen Familie war allerdings, dass sich die Beziehung zu seiner Adoptivfamilie verschlechtert hatte.
„Kenan.“ Achilles suchte seinen Blick. „Hast du eine Minute Zeit?“
„Aber natürlich.“ Er drückte kurz Eves Hand, die immer noch in seinem Ellenbogen lag, und wandte sich seinem Bruder zu.
Cain nickte und erklärte damit wortlos, dass er sich um Eve kümmern würde. Es erschien Kenan wie ein Wunder, dass er und seine Brüder einander inzwischen ohne Worte verstanden. Er folgte Achilles, der etwas beiseitegetreten war – weit genug entfernt von den anderen, um ein vertrauliches Gespräch führen zu können.
Kenan konnte es kaum glauben. Noch vor wenigen Monaten war Achilles einer der verschlossensten Menschen gewesen, die er jemals kennengelernt hatte. Es wäre leichter gewesen, eine mittelalterliche Festung einzunehmen, als zu ihm durchzudringen. Doch Mycah war es gelungen, und sie hatte außerdem dafür gesorgt, dass Cain und Kenan nun einen weiteren Bruder hatten.
„Ich habe Neuigkeiten für dich.“ Achilles trank etwas von seinem Bier direkt aus der Flasche.
Kenan deutete auf die Flasche. „Woher hast du die denn?“
Achilles hob die Augenbrauen. „Neidisch?“
„Und wie.“
„Das hier …“, Achilles deutete auf die Flasche, „… ist einer der Vorzüge, wenn man nicht zu den oberen Zehntausend gehört. Man verbündet sich einfach mit dem gemeinen Volk an der Bar, und schon wird man bestens versorgt.“ Er grinste breit. „Es hat also auch seine Vorzüge, der wilde Farrell zu sein.“
Kenan unterdrückte den Fluch, der ihm jedes Mal auf der Zunge lag, wenn er den Spottnamen hörte, den die sogenannten besseren Kreise Achilles verpasst hatten.
„Ist doch nicht ernst gemeint, Kenan.“ Achilles stieß ihn mit dem Ellenbogen an, während ihn die blaugrauen Augen, die alle Farrell-Söhne hatten, verständnisvoll ansahen. „Du weißt doch, dass dieser Unsinn mich nicht mehr ärgert. Vergiss es einfach, so wie ich es auch vergessen habe.“
Kenan rieb sich das glattrasierte Kinn. Er wollte es ja versuchen. Seinen Bruder so glücklich zu sehen würde ihm bestimmt dabei helfen, trotzdem ärgerte er sich immer noch über die Arroganz der Kreise, in denen er aufgewachsen war. „Was ist denn los? Worüber wolltest du mit mir sprechen?“
„Es geht um deine leibliche Mutter. Bist du dir immer noch sicher, dass ich nach ihr suchen soll?“
Kenan hielt für einen Moment den Atem an, doch dann nickte er. „Ja.“ Er musste einfach wissen, woher er kam und wer er war. Seine Brüder waren alle bei ihren leiblichen Müttern aufgewachsen, aber ihm fehlte dieser Teil seiner Familiengeschichte. Seine Adoptionsakte war geschlossen, und seine Eltern hatten sich trotz seines ständigen Drängens immer geweigert, daran etwas zu ändern.
Seit Barrons Testament verlesen worden war, wusste er zumindest, wer sein leiblicher Vater war. Doch Nathan und Dana Rhodes waren unerbittlich geblieben, was die Nachforschungen zu seiner Mutter anging.
Deshalb hatte sich Kenan an seinen Bruder gewandt … an den Bruder, der so etwas wie ein Genie war, wenn es um Computer ging und darum, im Internet etwas zu finden.
Er verspürte nach wie vor Schuldgefühle, weil er sich über die Wünsche seiner Adoptiveltern hinwegsetzte, indem er nach seiner leiblichen Mutter suchte. Doch seit er alt genug gewesen war, das Verfahren einer Adoption zu verstehen, wohnten zwei Seelen in seiner Brust. Einerseits war da die Liebe, die er für Dana empfand, andererseits sein Wunsch, die Frau kennenzulernen, die ihn geboren hatte – oder zumindest mehr über sie zu erfahren.
Er hatte versucht, dieses Verlangen zu verdrängen, schließlich war es eine Frage der Loyalität seinen Adoptiveltern gegenüber. Aber nachdem seine Brüder in sein Leben getreten waren, musste er es einfach wissen.
„Sobald du diese Büchse der Pandora geöffnet hast, lässt sie sich nicht mehr schließen …“ Achilles musterte ihn nachdenklich. Offensichtlich erkannte er, der so viel mehr zu spüren schien als andere, Kenans feste Entschlossenheit, denn er nickte nun. „In Ordnung. Aber hast du wenigstens versucht, noch einmal mit deinen Eltern über das Thema zu sprechen?“
Kenan schüttelte den Kopf. „Es hat keinen Zweck. Sie sagen, meine leibliche Mutter habe anonym bleiben wollen und diesen Wunsch würden sie respektieren. Außerdem sind sie der Meinung, dass sie meine Eltern sind und nicht diese Frau, die mich damals aufgegeben hat. Was ja auch stimmt.“
„Sie hat dich nicht aufgegeben, sie hat dich zur Adoption freigegeben. Sie hat ein unvorstellbares Opfer gebracht, um dir ein besseres Leben zu ermöglichen“, wandte Achilles ein.
„Mag sein.“ In Kenan rang wieder einmal Loyalität mit dem Wunsch nach Gewissheit. „Aber es hat keinen Zweck, jetzt noch mal mit ihnen zu reden. Zumal wenn es nichts Neues zu berichten gibt. Es gibt doch nichts Neues, oder?“
„Ich habe durchaus etwas herausbekommen. Ich wollte nur sichergehen, dass du das alles auch wirklich noch willst, bevor ich mit dir darüber spreche.“ Achilles seufzte. „Ich bin mir ziemlich sicher, den Anwalt gefunden zu haben, der damals die Adoption zwischen deinen Eltern und deiner leiblichen Mutter geregelt hat. Ich forsche noch etwas weiter und halte dich auf dem Laufenden.“
Ein Chaos widersprüchlicher Gefühle brach über Kenan herein. Erleichterung, Aufregung und … ja, auch Angst. Für einen Moment schloss er die Augen, bis er eine starke Hand auf seiner Schulter spürte.
„Ist schon in Ordnung“, murmelte Achilles. „Wir stehen hinter dir, ganz egal, was kommen mag.“
Kenan nickte stumm.
„Lass uns zurückgehen. Eve sieht schon zu uns herüber. Ich glaube, sie wird eine Rettungsaktion planen, wenn ich dich hier noch länger aufhalte.“ Achilles verstärkte den Druck auf seine Schulter und musterte ihn durchdringend. „Nur so aus Neugier … hast du jemals vor, ihr zu sagen, dass du sie liebst?“
„Was zum Teufel …?“ Kenan sah ihn entsetzt an.
Achilles zuckte ungerührt mit den Schultern. „War nur eine Frage.“
„Du …“ Kenan schüttelte den Kopf und schob die Hände in die Hosentaschen. „Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“
Achilles fuhr sich mit der Hand über den Bart. „Tut mir leid. Ich neige nun mal dazu, die Menschen genau zu beobachten.“
„Verdammt!“ Kenan schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete und das Mitgefühl im Blick seines Bruders sah, musste er sich dazu zwingen, nicht das Gesicht zu verziehen. „Bitte, sieh mich nicht so an, als hätte ich eine unheilbare Krankheit.“
„Ich kann es leider nicht ändern, schließlich habe ich selbst lange Zeit eine Frau geliebt und konnte einfach nicht glauben, dass sie meine Gefühle erwidert. Das ist noch gar nicht so lange her.“
Trotz allem musste Kenan unwillkürlich lachen. „Das stimmt.“ Er zögerte kurz. „Ist es denn so offensichtlich?“
„Nein.“ Achilles hob die Hände, als Kenan ihn ungläubig ansah. „Ich lüge nicht. Wie schon gesagt, beobachte ich die Menschen gern, und in deinem Fall habe ich recht gehabt. Wieso befreist du dich denn nicht aus dieser Hölle? Ihr seid doch beste Freunde, und nach allem, was ich so sehe, passt ihr perfekt zusammen. Wieso sagst du es ihr nicht einfach?“
Kenan lachte trocken auf. Achilles hatte sein Glück gefunden und wollte dasselbe deshalb auch für alle anderen. Für ihn schien es so einfach zu sein, dabei war es alles andere als das.
„Weil sie meinen Bruder liebt!“
„Großer Gott!“ Achilles riss entsetzt die Augen auf. Er musste lachen. „Das ist ja wirklich verdammt verfahren!“
„Ganz genau.“ Kenan seufzte. „Danke, Achilles, für …“
„Keine Ursache.“
Kenan nickte, und die beiden Männer kehrten zu ihrer kleinen Gruppe zurück. Eve trat sofort zu ihm und sah ihn forschend an. Es war ihm gelungen, wieder die gewohnte Maske aufzusetzen, die er bereits trug, seit er als Teenager begriffen hatte, dass das Mädchen, das er seit Ewigkeiten als seine beste Freundin betrachtete, so viel mehr für ihn geworden war. Er wollte nur sie.
Sie ließ ihre Finger sanft über seinen Handrücken streichen. „Alles in Ordnung?“
„Natürlich. Es ging nur um ein paar geschäftliche Dinge.“ Diese Lüge ging ihm ganz einfach über die Lippen. Es war ihm über die Jahre hinweg zu einer zweiten Natur geworden bei ihr. Wenn er die Wahrheit weiterhin vor ihr verbergen wollte, blieb ihm leider nichts anderes übrig.
„Kenan!“ Cains Tonfall enthielt eine Warnung. „Sie sind im Anmarsch.“
Er hätte diese Warnung nicht gebraucht. Nicht mit Eves Hand um seiner und dem kaum merklichen Druck, der davon ausging. Nicht bei der Mischung von Liebe, Unbehagen und Frust, die in ihm rangen, bis er kaum noch atmen konnte.
Unwillkürlich tat er das, was er immer tat: Er setzte eine neue Maske auf. Das schien sein Leben zu sein. Eine Maske für den charismatischen Playboy, der die Bostoner Gesellschaft für sich einnahm. Eine für den seriösen Geschäftsmann. Eine für den ewig witzigen, sorglosen jüngeren Bruder von Cain und Achilles und eine für den Adoptivsohn, der seinen Eltern unentwegt zu beweisen versuchte, dass er es wert gewesen war, von ihnen angenommen zu werden.
Doch diese letzte Maske hatte inzwischen so viele Risse von seinen vielen Fehlversuchen, dass sie nur noch durch seinen schieren Willen und Hoffnung aufrechterhalten wurde.
„Mom, Dad.“ Kenan trat vor, um Nathan und Dana Rhodes zu begrüßen, als sie zu ihnen kamen. Gefühle von Stolz und Liebe stiegen in ihm auf und verdrängten für einen Moment sein Unbehagen.
Nathan Rhodes war ein distinguierter, attraktiver Mann, der sofort Eindruck auf einen machte. In einem Saal voller Multimilliardäre mochte er als schlichter Multimillionär vielleicht nicht der Reichste sein, aber er gehörte eindeutig zu den Geachtetsten unter ihnen. Er stand einem der ältesten, äußerst erfolgreichen Immobilienunternehmen vor. Rhodes Realty Inc. hatte landesweit einen ausgezeichneten Ruf. Kenans Mutter, wunderschön und elegant, gehörte zwar zu den Damen der feinen Bostoner Gesellschaft, saß aber auch im Aufsichtsrat der Firma und brachte sich dort aktiv ein.
Die beiden waren das, was man ein Power-Paar nannte.