The Bachelor´s Promise - Naima Simone - E-Book

The Bachelor´s Promise E-Book

Naima Simone

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Beschreibung

Aiden hatte nie erwartet, Noelle wiederzusehen und er ist fest entschlossen, sich weiterhin von ihr fernzuhalten. Zu tief sitzen der Schmerz und die Wut, die er mit ihrer Familie verbindet. Aiden kann nicht vergeben und vergessen, was damals passiert ist. Er hat jedoch seiner Mutter versprochen für Noelle zu sorgen und Aiden wird ihr diesen Wunsch erfüllen.

Doch das, was er mit einem Scheck begleichen wollte, wird immer mehr zu einem Kampf der Gefühle …

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Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Aiden hatte nie erwartet, Noelle wiederzusehen und er ist fest entschlossen, sich weiterhin von ihr fernzuhalten. Zu tief sitzen der Schmerz und die Wut, die er mit ihrer Familie verbindet. Aiden kann nicht vergeben und vergessen, was damals passiert ist. Er hat jedoch seiner Mutter versprochen für Noelle zu sorgen und Aiden wird ihr diesen Wunsch erfüllen.

Doch das, was er mit einem Scheck begleichen wollte, wird immer mehr zu einem Kampf der Gefühle …

Über Naima Simone

Die USA Today-Bestsellerautorin Naima Simone schreibt seit 2009 Romances und Liebesromane. Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern im Süden der USA.

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Naima Simone

The Bachelor´s Promise

Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Madita Elbe

Für Gary. 143

»Wenn du mich liebhaben willst, und ich soll dein Geselle und Spielkamerad sein, an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken, in deinem Bettlein schlafen: Wenn du mir das versprichst, so will ich hinuntersteigen und dir die goldene Kugel wieder heraufholen.« – Der Froschkönig1

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Epilog

Danksagung

Anmerkungen

Impressum

Kapitel 1

Sie würde es nur unter Todesandrohung zugeben – oder wenn man sie zwang, die neuesten Pöbeleien von Kanye West auf YouTube anzusehen, was für Noelle Rana so ziemlich gleichbedeutend war –, aber …

Als kleines Mädchen hatte sie Märchen über alles geliebt.

Japp. Verwunschene Wälder, Hexenhäuschen aus Zuckerguss und glitzernde Schlösser, von deren strahlenden Türmchen die königlichen Farben wehten. Schuhe aus Glas, atemberaubende Ballkleider und unbezahlbar wertvolle Juwelen. Zauberhafte gute Feen, Zwerge, die einen beschützten, und wunderschöne Prinzessinnen mit Goldkugeln.

Denn welches Mädchen würde sich nicht lieber in jener Welt verlieren als in der, in der die Wohnungen heruntergekommen, die Wände voller Wasserflecken und die Heizungen launisch waren? Eine Welt mit abgetragenen Kleidern und Schuhen, die zwickten, weil sie eine Nummer zu klein waren? Eine, in der Puppen ein Auge oder ein Arm fehlte? Wenn Spielzeug aus dem Secondhand-Laden kam, konnte man nicht wählerisch sein.

Doch bald schon hatten die goldenen Träume aus den Märchen der brutalen Realität weichen müssen. Wenn der Vater um zwei Uhr nachts mit heftiger Alkoholfahne nach Hause getorkelt kam und heulend nach der Frau rief, die ihn neun Jahre zuvor, direkt nach der Geburt der Tochter, verlassen hatte … nun, dann verblassten die Geschichten über Könige, Königinnen und Prinzen, noch ehe man sich versah.

Und trotzdem, als sie nun als Fünfundzwanzigjährige in der Eingangstür zu dem riesigen Ballsaal stand und die funkelnden Kristallkronleuchter, den blank gewienerten Marmorboden und die deckenhohen Bogenfenster betrachtete, da musste sie sich an die Schlösser aus diesen alten Geschichten erinnern. Und sie konnte nicht verhindern, dass ihr Herz vor Freude und Ehrfurcht ganz warm wurde, ehe sie es mit einem mentalen Komm auf den Teppich in die Schranken weisen konnte.

Schließlich war sie nicht auf diese stinkvornehme und piekfeine Veranstaltung gekommen, um bis Schlag Mitternacht zu tanzen oder einen Prinzen zu bezirzen.

Nein, nein. Sie war hier, um etwas einzufordern … oder bei dem Versuch unterzugehen.

Aiden Kent war eindeutig schön genug, um einem Königssohn Konkurrenz zu machen, und er wurde außerdem wie eine königliche Hoheit umgarnt, denn immerhin war er Millionär und so, doch für sie war er eher ein Oger – womit sie keinesfalls Shrek beleidigen wollte. Um bei der Wahrheit zu bleiben, würde wohl auch Aiden Noelle eine Hexe nennen. Ach, wem wollte sie hier etwas vormachen? Er würde sie ganz bestimmt eine Hexe nennen, und zwar eine von der schlechten Sorte.

Langsam atmete sie aus und kniff die Augen zusammen. Leider brachte diese Atemübung rein gar nix, um das wilde Toben und Purzelbaumschlagen in ihrem Bauch zu beenden. Aber egal, wie nervös sie war, sie konnte nicht die Flucht ergreifen, nur weil die Wahrscheinlichkeit, dass er ihr feindlich gesinnt war – na gut, Hass traf es wohl eher -, bei 99,9 Prozent lag. Sie hatte alles aufgegeben, um nach Boston zu kommen und ihn zu konfrontieren. Sie konnte jetzt nicht aufgeben. Nicht, da sie so weit gekommen war und so viel auf dem Spiel stand. Ihre Zukunft hing davon ab, ihn zu finden und zu zwingen, ihr zuzuhören.

Doch zuerst musste sie das kaltherzige Arschloch ausfindig machen.

»Verzeihung«, sagte da eine Stimme hinter ihr.

Noelle drehte sich um und begegnete dem feindseligen Blick eines Mannes, der sie unverhohlen von Kopf bis Fuß musterte. Er trug einen schwarzen Anzug, aber keinen Smoking, also war er vermutlich kein Gast, sondern ein Angestellter. Dem Strich nach zu urteilen, zu dem sein Mund wurde, als er ihre eng anliegende Lederjacke, die dunkelblaue Skinny-Jeans und die kniehohen Kampfstiefel begutachtete, kam er zu dem Schluss, dass sie nicht in den Ballsaal gehörte. Höchstwahrscheinlich, weil hier sogar das Personal deutlich formeller gekleidet war. Alle trugen gestärkte weiße Hemden und schwarze Krawatten.

Ja, verflucht, sie war mit all ihrem Hab und Gut auf dem Rücksitz und im Kofferraum sechzehn Stunden lang von Chicago nach Boston gefahren und hatte noch kaum Zeit gehabt, überhaupt auszupacken. Also hatte sie verdammt noch mal auch keine Zeit gehabt, das Christian-Dior-Kleid in die Reinigung zu geben oder ihre Manolo Blahniks zu finden. Egal.

Na schön, kein Problem. Es war ein erwartbares Hindernis gewesen, an der Security vorbeizukommen. Ich schaffe das. Im Geiste streckte sie sich, dann setzte sie ihr schönstes Kleine-Mädchen-Lächeln auf und fügte noch eine Prise Einfältigkeit und Ich-habe-mich-wohl-verlaufen hinzu. Ihr Vater, ein äußerst begabter Trickbetrüger und Schwindler, hätte ihr dafür stolz seine Anerkennung gezollt.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte der Anzugträger in leicht skeptischem Ton.

»O ja, könnten Sie das?« Sie sah sich theatralisch um. »Ich sollte eine Freundin hier treffen und sie von der Arbeit abholen. Sarah. Sie arbeitet im Catering. Kennen Sie sie?« Sie zog ihr Handy hervor und tat so, als suche sie im Telefonbuch nach »Sarahs« Nummer. »Ich bin mir ganz sicher, dass sie gesagt hat, ich soll um acht hier sein …«

»Das Essen ist gerade erst zu Ende, gnädige Frau«, sagte er. Nachdem er sie ein weiteres Mal von oben bis unten gemustert hatte, sah er über die Schulter in den gut gefüllten Saal und dann wieder zu ihr. Zumindest war das Misstrauen aus seinem Blick verschwunden, stattdessen glaubte sie jetzt, Ungeduld und eine ordentliche Portion Verärgerung auszumachen.

»Sie können hier nicht stehen bleiben. Die Auktion geht jeden Moment los.« Er machte eine Geste zu einem Ausgang hinter sich. »Da entlang und den Flur hinunter geht’s zur Küche. Sie können dort auf sie warten.«

»Oh, prima«, flötete Noelle in gespielter Erleichterung. »Vielen Dank.«

Er nickte und beobachtete sie, wie sie durch die Tür und den Korridor hinunter verschwand. Erst als sie die doppelte Schwingtür erreicht hatte, hinter der Töpfeklappern und gerufene Befehle zu hören waren, kehrte der Wachhund auf seinen Posten zurück. Und sobald er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, lief sie auch schon zurück auf ihre Ausgangsposition. Diesmal blieb sie jedoch nicht wie die letzte Idiotin im Eingang stehen. Stattdessen glitt sie zur Seite und lehnte sich gegen eine Wand neben ein paar hochgewachsenen Pflanzen, die auch als Bäume hätten durchgehen können. Deren Schatten gaben ihr ausreichend Deckung, um alles zu sehen und hoffentlich nicht gesehen zu werden.

Im nächsten Augenblick schallte unglaublich geschmacklose Musik durch den Saal, die auch zu einer Daily Soap wie Schatten der Leidenschaft gepasst hätte. Sie schnaufte, schob sich etwas nach vorn und schielte durch die Blätter der Bäume. Bei all dem Reichtum, der sich in diesem Raum versammelt hatte, hätte man zumindest für Musik aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert zahlen können.

»Willkommen zur elften alljährlichen Maskierten Bachelor-Auktion der Rhodonite Society«, begrüßte eine schlanke Blonde im goldenen eng wie Wurstpelle anliegenden Kleid das Publikum, während sie in die Mitte der Bühne schritt. Eine Bachelor-Auktion. Was zum gottverdammten Teufel?

Sie schüttelte den Kopf. So was machte Aiden jetzt? So ein Mensch war er geworden? Vielleicht war er schon so lange raus aus dem armen Chicagoer Süden, in dem sie beide aufgewachsen waren, dass stupide, selbstherrliche Veranstaltungen wie Junggesellenversteigerungen ganz normal geworden waren.

»Und herzlich willkommen zu einem wunderbaren Abend voller Spaß und luxuriöser, einmaliger Dates, die wir zehn der bestaussehenden, gefragtesten Junggesellen zu verdanken haben, die Boston zu bieten hat. Jeder Cent der Einnahmen geht an die Blake Literacy Foundation, die einerseits für die Problematik von Analphabetismus sensibilisieren möchte und zudem gleichzeitig Programme, Nachhilfe und technische Gerätschaften für Bostons unterprivilegierte Jugendliche bereitstellt.«

Oh, là, là. Jeder Cent, abzüglich Saalmiete, Ausgaben und was auch immer sonst noch die »Wohltätigkeitsorganisation« sich aus den Fingern saugen konnte.

Applaus, Stimmengewirr und hier und da ein Pfeifen erfüllten die Luft. Weil diese Leute hier natürlich komplett aus dem Häuschen gerieten, wenn es darum ging, Analphabetismus zu bekämpfen.

»Jetzt will ich Sie nicht länger auf die Folter spannen. Hier kommt Ihr erster Bachelor!«

Blondie verschwand aus dem Rampenlicht, und ein Mann im schwarzen Smoking und mit einer weißen Maske trat von der Seite auf und ging in die Mitte der Bühne. Seine Haltung strahlte Arroganz aus, er hatte eine Hand in der Hosentasche und knickte an der Hüfte leicht ein wie ein Möchtegernmodel bei Abercrombie and Fitch. Noelle brauchte das Gesicht hinter der Maske gar nicht zu sehen. Gut aussehend oder nicht – dieser Typ fand ganz eindeutig, dass er unwiderstehlich war.

»Unser erster Bachelor geht gern Risiken ein«, gab Blondie bekannt. »Ob am Konferenztisch, auf der Piste, der Rennbahn oder in der Liebe, auf Nummer sicher geht er nie. Als sehr erfolgreicher Finanzberater bereitet es ihm großen Spaß, immer neue Wege des Geldverdienens für seine Kunden zu entdecken, und er sehnt sich im Liebesleben nach der gleichen Spannung. Die Frau, die am Ende sein Herz erobert, stellt er sich ebenso abenteuerlustig vor wie sich selbst, außerdem spontan und mit einer gehörigen Portion Humor ausgestattet.«

Und einem Doppel-D-Vorbau und der Intelligenz einer Schuhschachtel. Noelle schnaubte.

»Da er im Leben ein Glücksspieler ist, wird die Dame, die diesen Junggesellen gewinnt, ein Wochenende in … Las Vegas verbringen! Drei Tage und zwei Nächte in einem Luxusressort. Genießen Sie die besten Restaurants, die besten Shows und versuchen Sie selbstverständlich auch Ihr Glück in den berühmten Casinos auf dem Strip. Also dann, wer möchte dieses aufregende Wahnsinnswochenende in der Stadt der Sünde gewinnen? Startgebot bei 5000 Dollar. Ausgezeichnet.« Blondie grinste. »Ich habe 5000. Bietet jemand 6000? Sechs. Sieben?«

Das Bieten ging weiter, rasend schnell und unerbittlich, bis das Gebot bei 13.000 lag. Himmel Herrgott. Wer zum Henker gab mit einem Schlag so viel Geld aus? Für ein Date? Und die Aufregung um Las Vegas hatte Noelle ohnehin nie verstanden. Auf gut Glück Geld verschwenden und auf ein Wunder hoffen. Das hatte nichts mit Risiko oder Spannung zu tun – sondern war einfach kreuzdämlich. Das Aufwachsen mit einem alkoholkranken Vater, der nur sporadisch arbeiten ging, und einem zwielichtigen Bruder, der das Ausnutzen diverser Frauen als seinen Vollzeitjob in den Lebenslauf hätte schreiben können, hatte Noelle schon früh den Wert des Gelds beigebracht. Aber wenn jemand das nagende Gefühl im Bauch nicht kannte, das einen überfiel, wenn man hungrig ins Bett musste, oder nie Dutzende von Kerzen hatte anzünden müssen, weil die Stromrechnung nicht bezahlt worden war, dann begannen die Was-zum-Henker-Glocken vermutlich auch nicht zu schrillen, wenn man mit einem einzigen Schwenker der Bietertafel mehr als zehn Riesen ausgab.

Vier weitere Männer erschienen auf der Bühne und sorgten mit exorbitanten Beträgen für Aufregung. Zehntausend. Fünfzehntausend. Wenn sie so viel Geld hätte, wie diese Leute einfach um sich schmissen, dann wäre sie nicht in einer fremden Stadt und würde sich nicht hinter Bäumen in einem waschechten Ballsaal verstecken. Und, Gott sei ihr Zeuge, sie würde nicht einen Mann um Hilfe anflehen, der ihre Familie und sie mit einer Leidenschaft verachtete, die sonst der Liebe und der Religion vorbehalten war.

»Und hier kommt Junggeselle Nummer sechs.«

Ein hochgewachsener Mann trat auf und erreichte mit wenigen langen, nicht eiligen Schritten die Mitte der Bühne. Die schwarze Jacke sah aus, als sei sie ihm direkt auf die breiten Schultern und die schmale Taille genäht worden, und auch das weiße Hemd lag ihm an der Brust wie eine Frau, die sich an ihn klammerte und nicht mehr losließ. Die ebenfalls schwarze Hose schmeichelte der durchtrainierten Form seiner Beine. Kraftvoll – das beschrieb diesen Mann am besten. Er stellte seine Kraft zur Schau, kontrollierte sie und strahlte sie mit jeder Faser seines Seins aus.

Noelle streckte sich, da ihr Körper wie von einem Elektroschock durchzuckt wurde. Alles an ihr – jeder Nerv, jeder Gedanke, jede Zelle ihres verdammten Körpers – zog sich in vollkommener Konzentration zusammen. In diesem Augenblick existierte nichts anderes als der Junggeselle dort vorne auf der Bühne, die Hände in den Taschen, dessen Eleganz und Selbstbewusstsein schon daran deutlich wurden, dass er auf das lächerliche Posieren seiner Vorgänger verzichten konnte.

Zwar wurde sein Gesicht von der Maske verdeckt, und er trug den gleichen formalen Aufzug wie die anderen Bachelor, aber diesen Mann hätte sie überall wiedererkannt. Seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, waren sechs Jahre vergangen, doch trotzdem zweifelte sie keine Sekunde daran, wer sich dort die Ehre gab.

Aiden Kent.

Schon als Elfjährige war sie von der maskulinen Schönheit vom Sohn der Freundin ihres Vaters fasziniert gewesen. Sein Haar leuchtete in einer Mischung aus Kanariengelb, Goldocker und Kastanienbraun, drei der Farben aus ihrem wertvollsten Besitztum – der Schachtel mit den 120 Buntstiften, die ihr Vater ihr zum zehnten Geburtstag geschenkt hatte. Aus ihrem Versteck konnte sie die funkelnden grünen Augen nicht sehen, doch sie wusste, dass es noch die gleichen waren. Selbst wenn er sie mit eisiger Verachtung oder, für eine kurze, kostbare Zeit, mit funkenschlagender Hitze angesehen hatte, die Schönheit seiner Augen war unverändert geblieben.

Dieser Blick hatte immer die Macht besessen, sie wie kein anderer zu verletzen. Den Schmerz durch sie hindurchkriechen zu lassen wie ein lebendes Wesen. Liebe und Freude in ihr auflodern zu lassen wie die olympische Fackel … wie es kein anderer Mensch jemals fertiggebracht hatte.

Scham und Schuldgefühle durch sie hindurchwabern zu lassen, selbst wenn es nicht ihre Sünden waren, derer sein Blick sie beschuldigte.

»Dieser Bachelor ist vielleicht kein gebürtiger Bostoner, doch unsere schöne Stadt ist ihm längst ein Zuhause geworden. Obwohl die Geschäfte und seine persönlichen Interessen – wie das Reisen, Geschichte und Filmklassiker – ihn an die verschiedensten Orte des Landes und der Welt bringen, freut er sich immer, in die weit geöffneten Arme von … Kupel’s Bakery zurückzukehren.«

Im Saal wurde gelacht. Noelle zuckte die Achseln. Das musste ein Insider-Witz für die Bostoner sein.

»Nun ist er auf der schier unglaublichen Suche nach einer Frau, die ihn ebenso in Versuchung führen kann wie seine Lieblingsbagels. Und er glaubt weiter daran, dass es sie irgendwo da draußen gibt. Sie ist intelligent, unabhängig und gewitzt. Braucht ihn nicht, aber will ihn. Uh, là, là.« Blondie fächelte sich mit großer Geste und ihren Stichwortkarten Luft zu.

Blödsinn, schnaubte Noelle innerlich. Sie hatte noch keinen Mann getroffen, dem es nicht gefiel, wenn die Frau aus irgendeinem Grund von ihm abhängig war. Geld. Sex. Aufmerksamkeit … Liebe.

»Die Glückliche, die diesen Bachelor für sich gewinnt, wird für zwei Tage und eine Nacht mit seinem Privatjet nach Los Angeles fliegen. Dort erwarten sie Sightseeing, noble Restaurants, eine Shoppingtour auf dem berühmten Rodeo Drive und als krönender Abschluss eine Red-Carpet-Filmpremiere. Aufregend, oder? Wir beginnen für diesen Abend mit Starbesetzung bei einem Gebot von 7000 Dollar. Sieben. 8000? Wunderbar. Acht … und hier drüben werden neun geboten.«

Noelle sah dabei zu, wie die Bietertafeln in rasendem Tempo in die Höhe gereckt wurden. Elftausend wurden geboten, dann näherte man sich schnell den fünfzehntausend. Ganz besonders eine Frau schien fest entschlossen, zu gewinnen. Immer wenn eine neue Summe ausgerufen wurde, erhöhte die eindrucksvolle Rothaarige sofort und ohne das geringste Zögern um weitere tausend. Sie musste wirklich heiß darauf sein, den Stars und Sternchen möglichst nah zu kommen. Oder vielleicht war es auch der Mann selbst, dem sie nah – sehr nah – kommen wollte. Noelle hätte ihr heißgeliebtes Graphitbleistift-Set darauf verwettet, dass zwar für die Reise geboten wurde, der eigentliche Preis aber der Bachelor war.

»Siebzehn? Achtzehn? Achtzehntausend Dollar! Bekommen wir neunzehn?« Blondie ließ den Blick freudestrahlend durch die Menge schweifen. »Achtzehn zum Ersten. Zum Zweiten. Und verkauft an die Nummer 51 für 18.000. Herzlichen Glückwunsch!«

Heilige Scheiße. Achtzehntausend Dollar. Noelle blinzelte. Dann stieß sie die Luft aus und sah Aiden der Rothaarigen zunicken und von der Bühne gehen. Dem Rest der Versteigerung schenkte Noelle keine besondere Aufmerksamkeit mehr. Sie spürte ihr Herz im Brustkorb hämmern. Jede Sekunde, die verging, brachte sie unausweichlich dem Moment näher, wenn … wenn … O Gott.

Sie schloss die Augen, massierte sich den Punkt zwischen den Augen und wünschte, sie könnte auf diese Weise einfach die Übelkeit zum Verschwinden bringen, die von ihr Besitz ergriffen hatte.

»Und jetzt der Augenblick, auf den Sie alle gewartet haben …«, trillerte Blondie, während alle zehn Männer wieder auf die Bühne traten. »Liebe Bachelor, nehmt bitte eure Masken ab.«

Unbewusst lehnte Noelle sich weiter vor, ganz konzentriert auf einen. Den Einzigen, auf den es ankam. Der eine, der ihren zukünftigen Weg bestimmen würde – ob es ein steiniger oder ein extrem steiniger sein würde.

Langsam nahm Junggeselle Nummer sechs die Maske ab, und Noelle erkannte die Züge des Mannes, den sie sechs Jahre lang nicht gesehen hatte.

Ihr Mund war trocken. Diese markanten Züge, bei denen es sie jedes Mal in den Fingern juckte, zum Graphitstift zu greifen und drauflos zu zeichnen. Zu versuchen, die lebendige männliche Schönheit mit Bleistift und Tinte aufs Papier zu bannen. Er hatte immer noch diesen Mund, der scheinbar nie die Fülle und sinnlichen Kurven verlor, ob er ihn nun zu einem grimmigen Strich verzog oder verschmitzt grinste. Und diesen kantigen Kiefer, der danach schrie, zärtlich von einer Frau geküsst zu werden.

Was vermutlich viele getan hatten. Sie ballte die Hände neben den Schenkeln zu Fäusten. Nicht dass es sie etwas anging, wer ihn wo küsste. Es kümmerte sie rein gar nicht. Nicht mehr. Mit wem er fickte – und das waren so einige, wenn man den Bostoner Klatschspalten Glauben schenkte –, war nicht der Grund, weshalb sie hier war. Nur ein Versprechen.

Vorsichtig trat sie aus ihrem sicheren Versteck hinter den Bäumen hervor. Noch hatte niemand sie bemerkt, und sie genoss es, solange es anhielt. Denn es würde nicht so bleiben.

Ihr schlug das Herz bis zum Hals, und jeder Schlag schien ihr die Luft zu nehmen. Auf Füßen, die mit jedem Schritt schwerer zu werden schienen, näherte sie sich den gut gekleideten und juwelenbehangenen Damen und Smoking-gewandeten Herren. Die Menge teilte sich wie das rote Meer, und sie starrten und flüsterten beim Anblick dieser Kuriosität mitten unter ihnen. Ihr schoss die Röte ins Gesicht, doch sie reckte nur das Kinn und setzte die Ich-scher-mich-einen-Dreck-Miene auf, die sie sich schon früh im Leben angeeignet hatte.

Weiter vorn begrüßte Aiden gerade die Rothaarige, die die Verabredung mit ihm gewonnen hatte. Er setzte das schiefe, kokette Lächeln auf, das sie immer noch verfolgte. Das verführerische Funkeln seiner grünen Augen ließ Noelle nach Luft schnappen, dabei galt es nicht einmal ihr. Er hatte die Hand der Frau ergriffen, doch als würde er die Spannung spüren, die plötzlich im Raum lag, sah er auf.

Das warme Leuchten in den strahlenden Augen erlosch und wurde von einer Kälte abgelöst, die Noelle einen Schauer über den Rücken jagte. Sie wurde langsamer, blieb stehen. Los, drängte sie eine Stimme in ihrem Kopf. Geh weiter. Doch die Muskeln in ihrem Körper versagten ihr den Dienst, waren wie eingefroren vom Schock und der aufkeimenden Wut, die sich auf seinem Gesicht abzeichneten.

Nun, Aiden hatte sie endlich bemerkt.

Und jetzt würde die Hölle losbrechen.

Kapitel 2

Es gab Momente im Leben, in denen man tief einatmen, einen Schritt zurücktreten und einen kühlen Kopf bewahren sollte, um ruhig und rational eine verfahrene Situation zu überdenken.

Dies war kein solcher Moment.

Als Aiden Kent die zierliche, in Jeans und Leder gekleidete Frau betrachtete, die wenige Meter von ihm entfernt stand, konnte das schraubstockartige Gefühl, das ihm die Luft aus der Lunge presste, nicht als Ausdruck eines kühlen Kopfs oder rationalen Geists gewertet werden.

Es war sechs Jahre her, dass er Noelle Rana zuletzt gesehen hatte. Und selbst niemals wieder wäre noch zu früh gewesen.

Erinnerungen bombardierten ihn wie Hagelkörner. Seine Mutter, die blass und abgemagert von einer Extraschicht im Pflegeheim nach Hause kam. Seine Mutter, die sich am Küchentisch über das Scheckbuch beugte, um ein Schuldenloch mit einem anderen zu stopfen, weil ihr langjähriger Freund wieder einmal das Geld, das für die Rechnungen gedacht gewesen war, für Schnaps oder eine seiner Schnapsideen ausgegeben hatte, mit denen er jedes Mal versprach, schnell viel Geld zu machen.

Seine Mutter, die in einem Krankenhausbett lag, während ihr Körper vom Krebs zerfressen wurde, und deren müder Blick zur Tür wanderte, weil sie darauf wartete, dass der Mann, den sie liebte, dort hereinkommen und an ihrer Seite sein würde, wenn sie starb.

Aiden, der zwei Tage nach der Beerdigung im Haus der Mutter stand und das Chaos betrachtete, das ihr Lover und dessen Sohn hinterlassen hatten, nachdem sie sich alles von Wert unter den Nagel gerissen hatten.

Aiden, der im Auto vor einem Motel seine Verlobte beobachtete, wie sie an einer Tür im ersten Stock – Zimmer 132 – klopfte und dann den Typen küsste, der öffnete. Den Typen, der sich als Tony Rana herausstellte, Noelles Bruder.

Und zwischen all diesen Bildern tauchten jene von Noelle auf. Ihr Gesicht, das erleichtert und dankbar aufleuchtete, als er in ein Haus platzte, das voller dröhnend lauter Musik und lauter besoffener Studenten war. Noelle, wie sie an einem ihrer Videoabende laut lachte. Noelle … die blauen Augen blitzten vor Verlangen, und die goldene Haut war gerötet von der Hitze, die Aiden in ihr entfacht hatte … Nur ein einziges Mal hatte er die Kontrolle verloren und sie berührt, und dieses eine Mal besaß immer noch die Macht, ihn in seinen Träumen heimzusuchen. Scheiße. Wut, Trauer, ungewollte Erregung und ein überwältigendes Gefühl von Hilflosigkeit pochten in seinen Schläfen und ließen seine Brust eng werden. Nur ein Blick – ein gottverdammter Blick – auf die Tochter des Mannes, der seiner Mutter die Jugend geraubt und das Herz gebrochen hatte, auf die Schwester des Mannes, der Aiden mit seiner Verlobten betrogen hatte, und er wurde im Handumdrehen dorthin zurückkatapultiert. In die Vergangenheit, von der er geglaubt hatte, sie hinter sich gelassen zu haben. Wurde hinabgezogen in den Schmerz und die Machtlosigkeit, die ihn schon einmal zu ersticken gedroht hatten. Eingewickelt in die luftabschnürende Umarmung der Schuldgefühle, die ihm auch noch das letzte bisschen Luft aus der Lunge pressten.

»Ernsthaft?« Die Rothaarige, die das Date mit ihm ersteigert hatte, sah brüskiert aus, das liebenswerte Gesicht zeigte einen angeekelten Schmollmund.

Aiden bemühte sich nicht um eine Antwort. Schon wahr, Noelle passte ungefähr so gut in diesen Saal voller elegant gekleideter, Juwelen tragender Menschen wie ein Frosch in einen Teich mit goldenen Kois. Aber es waren nicht die hüftlange Lederjacke, die sich an ihren schlanken Körper schmiegte, oder die enge Jeans und die schwarzen Stiefel, die so aussahen, als wären sie ihr auf die langen Beine gemalt worden. Es juckte ihn rein gar nicht, dass sie in diesen Klamotten und dem langen, zerzausten schwarzen Haar hier aufgetaucht war wie eine Pin-up- oder Rockerbrautversion von Schneewittchen.

Es juckte ihn nur, dass. Sie. Aufgetaucht. War.

»Entschuldige mich bitte.« Ohne auf eine Antwort zu warten, lief er los und konzentrierte sich völlig auf diesen unwillkommenen Meteoriteneinschlag aus seiner Vergangenheit.

Als er näher kam, hob Noelle trotzig das Kinn. Er schnaubte. Einige Dinge änderten sich nicht. Seit er sie vor fünfzehn Jahren zum ersten Mal gesehen hatte, als sie eine winzige, schmächtige Elfjährige gewesen war, begegnete sie ihm bereits mit dieser herausfordernden Geste. Es hatte ihn schon als Sechzehnjährigen zur Weißglut getrieben und auch jetzt, mit einunddreißig, noch die gleiche Wirkung auf ihn. Noch eine Rana, die sich uneingeladen in sein Leben drängte. Wie der Vater, so die Tochter.

»Was zur Hölle machst du hier?«, zischte er und blieb wenige Zentimeter vor ihr stehen. Er überragte sie um einiges, sie reichte ihm knapp bis zur Schulter. Ein Teil von ihm – der zivilisierte Teil – ermahnte ihn, sich zu beruhigen und einen Rückzieher zu machen. Der gleiche Teil befürchtete, dass er seine Größe und Statur dazu benutzen würde, sie einzuschüchtern. Trotz ihrer gemeinsamen bewegten Vergangenheit war sie immerhin eine Frau. Doch der instinktgesteuerte Teil seines Gehirns, der Teil des Jägers, der den Feind Meilen gegen den Wind erspürte, ließ ihn in der Haltung verharren, und er musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. Bereit, zum Angriff überzugehen.

Wenn sie klug gewesen wäre, hätte sie klein beigegeben. Hätte kehrtgemacht und wäre verschwunden. Doch das tat sie nicht.

Sie war nicht dumm; während ihrer gemeinsamen Zeit hatte ihm ihr brillanter Kopf imponiert. Damit blieb noch mutig.

Oder verzweifelt.

Und ein verzweifelter Rana bedeutete Ärger.

Für Aiden.

Noelle legte den Kopf schief und ließ ihn keinen Moment aus den blassblauen Augen. Aus dieser Nähe konnte er den Schönheitsfleck sehen, der am Ende der elegant geschwungenen linken Augenbraue saß. Und den dichten kohlschwarzen Wimpernkranz, den er für falsch gehalten hätte, wenn er sie nicht seit der Kindheit kennen würde. So dicht vor ihrem Gesicht kam er nicht umhin, die zarten Linien und die Knochenstruktur zu sehen, die sie beinahe zerbrechlich und unschuldig aussehen ließen … und den breiten Mund mit den vollen, tiefrot bemalten Lippen, die seinen letzten Gedanken ad absurdum führten. Mit der üppigen, dunklen Lockenmähne, die ihr Gesicht einrahmte, schien sie zu viel zu sein – zu wild, zu bunt … zu sinnlich.

Verflucht, in diesem Augenblick stellte sich vermutlich so gut wie jeder Mann im Saal vor, wie sich dieser geschmeidige kleine Körper mühelos auf ihm auf und ab bewegte, das dichte schwarze Haar gegen die cremefarbene schweißfeuchte Haut schaukelte und die hellblauen Augen gleißend auf ihn hinabsahen …

Er spannte den Kiefer an, während sich gleichzeitig sein Magen verknotete. Er hatte ihre Leidenschaft zu spüren bekommen, war davon verschlungen worden. Auch sechs Jahre später erinnerte er sich noch an … alles.

Aber er hatte auch aus erster Hand erfahren, wie Ranas alles benutzten, was sie hatten – Gerissenheit, Redegewandtheit, flinke Hände und ein hübsches Lächeln -, um zu bekommen, was sie wollten. Ein Dach über dem Kopf. Geld in der Tasche.

Die Frau eines anderen.

Wieder kochte die Wut in ihm hoch, als er sich erinnerte, wessen Blut in Noelles Adern floss. »Noch mal«, wiederholte er grimmig, »was zur Hölle tust du hier?«

Sie beugte sich vor und flüsterte so laut, dass alle sie hören konnten: »Dir die Mutter aller Szenen machen.«

Wie eine Leuchtrakete erwachte in ihm die Lust zum Leben. Verschwunden war die schüchterne und stille junge Frau, die erst eine Freundin und dann fast Geliebte geworden war. Statt ihrer stand hier eine kühne, lebhafte, sexy Betrügerin, die nicht nur die Traute hatte, eine Wohltätigkeitsveranstaltung zu sprengen, sondern ihm außerdem gegenüberzutreten und ihn herauszufordern. Das hätte seinen Schwanz nicht hart wie ein Stahlrohr werden lassen dürfen. Hätte nicht das Verlangen auslösen dürfen, in ihre wilde Haarpracht zu greifen und ihr den Kopf nach hinten zu ziehen. Aber so war es. Und der Widerwillen gegen die Reaktion seines verräterischen Körpers ließ seine Haut prickeln.

Einige lange Sekunden verharrten sie in ihren Positionen und starrten sich gegenseitig in Grund und Boden wie zwei Revolverhelden in einem alten Western. Es fehlten nur noch ein blecherner Soundtrack und ein verdorrtes Steppenkraut, das im Hintergrund über den Marmorboden des Ballsaals fegte.

Doch fast sofort wurden ihm das leise Gemurmel und die Blicke bewusst. Immer mehr Köpfe drehten sich zu ihnen um, als immer mehr Mitglieder von Bostons Gesellschaftselite das Duell mitbekamen, das sich zwischen dem Chief Operating Officer von Bay Bridge Industries und einem mysteriösen, unangemessen gekleideten Gothic Girl abspielte. Verdammt noch mal. In den beinahe zwei Jahren, die er jetzt schon in Boston war, hatte er es geschafft, jedem noch so kleinen Skandal aus dem Weg zu gehen. Abgesehen von Kommentaren zu den Frauen, mit denen er ausging, war Aidens Name in den Klatschspalten der Onlinemagazine nicht aufgetaucht. Bitte nicht jetzt. Die Bachelor-Auktion der Rhodonite Society war eine riesige jährliche Wohltätigkeitsveranstaltung, auf der Geschäftsleute wie Promis gleichermaßen erschienen. Einschließlich der Presse. Keine Chance, dass dieser … Vorfall keine Wellen schlagen würde. Scheiße.

»Aiden.« Er spürte eine Hand auf seiner Schulter, die leicht zupackte. Vielleicht zur Unterstützung. Vielleicht zur Warnung. Lucas Oliver, der CEO von Bay Bridge Industries und Aidens bester Freund, streckte Noelle die Hand entgegen. »Noelle. Wie schön, dich wiederzusehen. Darf ich dir meine Frau vorstellen, Sydney Blake Oliver?«

Als würde sie ihren Fokus auf keinen Fall verlieren wollen, starrte Noelle Aiden einen langen Augenblick weiter an, bevor sie sich Lucas zuwandte. Ihre schmale, zierliche Hand verschwand in Lucas‘ deutlich größerer. Etwas brodelte in Aiden auf, schnell und heftig, doch er brachte es fast augenblicklich wieder zum Schweigen. Fast.

»Lucas.« Sie nickte und schielte zu Sydney hinüber, sah den runden Bauch der anderen Frau. Und fragte sich vermutlich, wie so viele, was diese klassisch schöne, in sich ruhende Frau in einem furchterregenden Kerl wie seinem Freund sah. Auch ein Jahr nach ihrer Hochzeit zerbrachen sich die Leute noch den Kopf darüber, wie Sydney Blake das »Biest von Bay Bridge« gezähmt hatte. »Schön, dich kennenzulernen, Sydney.«

»Dich auch, Noelle.« Sydney lächelte, und nichts in ihrem leisen, freundlichen Ton gab etwas von der Neugier preis, die mit Sicherheit gerade von ihr Besitz ergriff. »Wir wollten gerade zu einem zweiten Abendessen aufbrechen.« Mit scheinbar betrübtem Lächeln strich sie sich über den Bauch. »Das Essen, das bei diesen Veranstaltungen serviert wird, sieht wunderhübsch aus, aber es macht eindeutig nicht satt, wenn man für zwei isst. Wollt ihr mitkommen?«

Erleichterung durchströmte Aiden. Gott, er liebte diese Frau. Aiden war drauf und dran, ihr einen Kuss zu geben, weil sie einen eleganten Abgang aus dieser unangenehmen Situation anbot, doch dann hätte Lucas ihm höchstwahrscheinlich mit der blanken Faust ins Gesicht geschlagen.

Mit einem Blick zu Aiden nickte Noelle. »Danke dir.«

»Nein, danke dir«, erwiderte Sydney, schob sich neben Noelle und führte sie, einen Arm bei ihr untergehakt, durch die Menschenmenge. Zum ersten Mal bekam Noelles draufgängerische Maske einen Riss, und Aiden sah Unsicherheit – Verletzlichkeit – in ihrem Gesicht aufflackern. Sie hatte einen Ballsaal voller formell gekleideter Leute mit ihrem Aufzug in Jeans und Lederjacke herausgefordert, ohne mit der Wimper zu zucken – ja, war sogar ihm gegenübergetreten -, doch Sydneys freundliche Geste war ihr unangenehm? »Wenn du sowohl Aiden als auch Lucas kennst, dann habe ich endlich eine Informationsquelle. Zum Beispiel für peinliche Geheimnisse aus der Vergangenheit, die sie mir bisher beide verschwiegen haben.«

Von wegen. Wenn es nach ihm ging – und das würde es -, dann würde Noelle nicht lange genug in Boston sein, um irgendetwas über ihre Vergangenheit auszuplaudern.

»Aiden.« Elegante, schlanke Finger schlossen sich um seinen Oberarm, und er musste stehen bleiben und sich von seinen Überlegungen losreißen. Frustriert sah er, wie Noelle, Sydney und Lucas sich entfernten. Mit gezwungenem Lächeln drehte er sich um, zu … Joanna? Jolene? Mist, wie hieß sie noch gleich? »Wir müssen unser Date planen. Ich wohne im Four Seasons«, schnurrte sie und strich mit ihrer anderen Hand über seine Brust. »Du kannst mit rauf in meine Suite kommen, und wir besprechen die Details bei einem Drink.«

Details besprechen. Das Funkeln in ihren haselnussbraunen Augen gab ihm eindeutig zu verstehen, was sie von ihm wollte, und Zeitpunkte und Orte gehörten nicht dazu. Und vor fünfzehn Minuten – bevor Noelle im Saal erschienen war – hätte er keine Sekunde gezögert, auf ihr Angebot einzugehen. Eine hinreißende, selbstbewusste Frau, körperliche Anziehung und einvernehmlich versprochene Leidenschaft – plus keine feste Bindung? Ja, das war sein Ding.

Doch statt nun Jocelyn – richtig, verdammt! Sie hieß Jocelyn – in ihr Hotelzimmer zu folgen, vibrierte sein Körper praktisch in dem Drang, Noelle zu folgen und … was zu tun? Sie wild fluchend aus der Stadt zu jagen wie ein stereotypischer Sheriff im Wilden Westen? Sie auszuquetschen, warum sie ihm hierher gefolgt war?

Nein. Er konnte es nicht vermeiden und sah zum Ausgang, wo sie zusammen mit seinen Freunden verschwunden war. Er wollte nicht hören, was sie wollte. Er wollte nichts hören außer »Auf Nimmerwiedersehen«.

»Tut mir leid«, sagte er, nahm Jocelyns Hand und trat einen Schritt zurück. »Wirklich. Aber es gibt da ein kleines familiäres« – er knirschte mit den Zähnen, verschluckte sich aber nicht an diesem Wort – »Problem. Können wir das verschieben?«

Jocelyns Lächeln fiel in sich zusammen, und sie kniff kaum merklich die Augen zusammen. Vermutlich war sie es nicht gewöhnt, ein Nein zu hören. Schon gar nicht von einem Mann. »Was ist mit unserem Date?«

Er drückte ihre Hand und ließ sie dann los, spürte kribbelnde Ungeduld im ganzen Körper. »Ich lasse mir deine Nummer vom Auktionskomitee geben und rufe im Laufe der Woche an. Versprochen. Entschuldige. Ich muss jetzt wirklich los.«

»Warte -«

Aber er war schon auf dem Weg und in Gedanken ganz und gar bei der Frau, die die schreiende und um sich schlagende Vergangenheit in seine Gegenwart gezerrt hatte.

Nicht genug damit, dass ihr Vater seine Mutter benutzt hatte, um einen Schlafplatz und die Finanzierung seines nie versiegenden Alkoholkonsums zu garantieren. Oder dass dieser Mann zu beschäftigt damit gewesen war, sich abzuschießen und eingelocht zu werden, während Aidens Mutter im Sterben lag. Oder dass er deren Erinnerung und Liebe selbst noch nach ihrem Tod in den Dreck gezogen hatte.

Nicht genug damit, dass Noelles Bruder Aidens Verlobte hinter seinem Rücken gevögelt hatte.

Nicht genug damit, dass Noelle all seine Zeit und Gedanken beansprucht hatte, als er eigentlich die letzten Monate ihres Lebens für seine Mutter hätte da sein sollen. Nicht genug damit, dass er Noelle vertraut und sie ihrem Vater nur einen weiteren Weg geebnet hatte, ihn fertigzumachen. Noch einen weiteren ätzenden Weg, seine Mutter auszunutzen und die Erinnerung an sie zu vergiften.

Jetzt wollte sie auch noch das Leben zerstören, das er sich hier, weit weg von Chicago, aufgebaut hatte.

Ganz sicher nicht. Noelle würde wieder verschwinden … und die Vergangenheit dorthin mitnehmen, wo der Pfeffer wuchs.

Kapitel 3

Nicht ohnmächtig werden. Keine Schwäche zeigen. Du bist schon so weit gekommen.

Noelle wiederholte das Mantra im Geiste, während Lucas Olivers Ehefrau sie aus dem Ballsaal und in das hell erleuchtete, riesige Foyer führte.

Lucas Oliver. Gott. Sie hätte damit rechnen müssen, ihn heute Abend zu treffen. Seit sie Aiden vor all diesen Jahren getroffen hatte, war ihm der ewig brütende, dunkelhaarige Junge mit der Narbe und den elektrisierend türkisblauen Augen niemals von der Seite gewichen. Damals hatte Aiden sie distanziert-herablassend behandelt, und Lucas war höflich, aber ebenfalls distanziert gewesen. Und verdammt furchterregend. Es hatte sie nicht überrascht, als er und Aiden dann ihre eigene Firma gegründet hatten, Bay Bridge Industries, und sie zu einem nationalen Multikonzern hatten anwachsen lassen. Ebenso wenig hatte es sie verwundert, dass beide Millionäre geworden waren, richtige Tellerwäscher-Erfolgsgeschichten also.

Was sie überraschte, war, dass die liebenswerte, strahlende und fröhliche Frau, die Noelle Komplimente für ihre Stiefel gemacht hatte, mit dem berüchtigten Biest von Bay Bridge verheiratet war. Aidens Mutter hatte gern im Wirtschaftsteil der Chicago Tribune über ihren Sohn und dessen besten Freund gelesen, bevor die beiden nach Boston umgesiedelt waren. Über den Spitznamen, mit dem Lucas bedacht worden war, hatte sie nur verächtlich geschnaubt … und gekichert über den, den man Aiden gegeben hatte – der Prinz. Während die Presse Lucas zum Ungeheuer gekürt hatte, waren alle in Aiden vernarrt gewesen, was seine unzähligen Auftritte sowohl in den Wirtschafts- als auch in den Gesellschaftsteilen der Zeitungen bezeugten.

Allerdings war es nie Lucas gewesen, der ihr mit einer Mischung aus Nervosität, Angst und, Gott steh ihr bei, Verknalltheit einen Schauer über den Rücken gejagt hatte. Obwohl Aiden sie erst als Ärgernis und später als Last betrachtet hatte, war er eine Zeit lang ihr Beschützer gewesen, ihr Freund, der Mann, den sie heimlich – und dann gar nicht mehr so heimlich – geliebt hatte.

Selbst nachdem er nach dem Tod von Caroline, seiner Mutter, den Kontakt abgebrochen hatte.

Selbst nachdem er ihr Herz mit seinen furchtbaren, eiskalten Anschuldigungen gebrochen hatte.

Aiden glaubte, dass Noelle es ihrem Vater ermöglicht hatte, das Haus seiner Mutter nach deren Tod auszuräumen und sie damit ein allerletztes Mal zu bestehlen. Er hatte Noelle nie vergeben. Und wenn sie ehrlich war, hatte sie sich selbst nie vergeben. Rational betrachtet war sie zwar nicht verantwortlich für die Handlungen ihrer Familienmitglieder. Nein, sie hatte ihrem Vater keinen Schlüssel zu dem Haus gegeben, und nein, sie hatte keine Ahnung gehabt, dass Frank Rana zu Carolines Haus gehen wollte, nachdem Aiden ihn längst vor die Tür gesetzt und den Schlüssel konfisziert hatte. Aber als Frank lautstark verkündete, er würde »kriegen, was ihm zustand«, hätte sie es wissen müssen. Frank Rana war nicht nur ein Trinker, sondern konnte auch hinterhältig und nachtragend sein, wenn er sauer war.

Damals hatte sie kein Wort gesagt, um sich oder ihre Familie zu verteidigen. Hatte nicht protestiert und gesagt, dass sie Caroline wie eine Mutter geliebt habe – vielleicht sogar umso mehr, weil sie der Frau, die sie zur Welt gebracht und dann verlassen hatte, nie begegnet war. Und sie hatte sich nicht für den Egoismus und das kriminelle Verhalten ihres Vaters entschuldigt. Ihr Vater war in sämtlichen Fällen schuldig, die ihm je angekreidet wurden. Aber sie war es nicht. Und nach all der Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, hätte Aiden das wissen sollen.

Aber das war sechs Jahre her. Und nun, kurz davor, eine Zukunft zu haben, auf die sie nie zu hoffen gewagt hatte, in ihren kühnsten Träumen nicht, nun war es nötig, dass Aiden ihr half.

Es war nötig, dass er sein Versprechen einlöste. Oder besser gesagt, das Versprechen, das seine Mutter ihn hatte geben lassen.

»Wir haben beschlossen, zu uns nach Hause statt in ein Restaurant zu gehen«, sagte Sydney. »Lucas hat bereits dafür gesorgt, dass eine leichte Mahlzeit für uns vorbereitet wird. Trotzdem hoffe ich, dass ihr mitkommt.« Sie drehte den Kopf nach hinten und lächelte Lucas zu, der ihr den Mantel hinhielt.

Die Liebe und Intimität in ihren Blicken gab Noelle das Gefühl, in ihre Privatsphäre eingedrungen zu sein, und sie sah weg. Trotzdem wollte sie sie weiter beobachten, wollte sie analysieren wie ein Juwelier mit der Lupe, um herauszufinden, ob diese Zuneigung wirklich echt war. Denn ihrer Erfahrung nach war eine solche Verbindung so selten wie das Wollhaarmammut. Sie hatte einfach zu oft gesehen, wie sich Frauen – einschließlich Aidens Mutter – von sogenannter Liebe einlullen ließen und sich selbst und ihre Unabhängigkeit verloren. Ihren Körper und ihre Zukunft an Männer verschwendeten, die Einsatz und Verbindlichkeit nicht mal dann erkannt hätten, wenn sie ihnen ans Bein gepisst hätten.

Dieses Wissen verhinderte jedoch nicht, dass eine Welle des Neids über sie hinwegrollte. Nicht wegen der Liebe, an die sie ohnehin nicht glaubte, sondern wegen der offensichtlichen Freude und dem Frieden, der in Sydneys Ausdruck lag. Wegen der Zufriedenheit, die die strengen Züge von Lucas‘ Gesicht weicher werden ließ, als er eine Hand auf den gewölbten Bauch seiner Frau legte …

Wieder riss sie sich von dem Anblick los, schluckte und schüttelte den Kopf. »Ich -«

»Tut mir leid, Sydney.« Aiden tauchte neben Noelle auf und packte ihren Arm. Ihr Herz begann schneller zu schlagen und sie vergaß einen Moment lang das Atmen. Das war seine erste Berührung nach sechs Jahren. Obwohl ihre Jacke echten Hautkontakt verhinderte, hätte sie schwören können, dass seine Wärme durch das Leder sickerte und sie verbrannte. Instinktiv versuchte sie einen Schritt zurück zu machen, Distanz zwischen sich und ihn zu bringen. Aber sein Griff wurde fester, strafte den ruhigen, weichen Ton seiner Stimme Lügen. »Noelle und ich haben uns ewig nicht gesehen. Es gibt ein paar Sachen, die wir besprechen müssen. Vor allem, weil sie so weit gereist ist.«

Seine Worte hatten etwas Scharfes, und sie verfluchte den ängstlichen Knoten in ihrer Brust. Aber andererseits machten sich die meisten Leute nicht die Mühe, hinter die hübsche Fassade seiner männlichen Schönheit zu schauen. Sie aber hatte gesehen, wie er sich aufgeregt mit den Händen durch das perfekt gestylte goldene Haar fuhr. Sie hatte seine atemberaubenden smaragdgrünen Augen gesehen, strahlend hell und diamanthart vor Berechnung. Hatte beobachtet, wie sein sinnlicher Mund vor Wut ganz schmal geworden war.

Nein, die meisten Leute sahen nur den gut aussehenden Playboy und übersahen dabei das Raubtier, das dahinter auf der Lauer lag.

»Aiden«, sagte Lucas leise und legte einen Arm um Sydney. »Vielleicht solltet ihr noch mit zu uns kommen.«

»Nein, das sollten wir nicht.« Die Kälte in Aidens Stimme warnte Lucas praktisch davor, sich weiter einzumischen. Herrje, sie hatte durch ihre Anwesenheit keinesfalls Unfrieden zwischen ihnen stiften wollen.

»Schon in Ordnung, Lucas. Trotzdem danke für die Einladung.« Dann nickte sie Sydney zu. »Schön, dich kennenzulernen.«

»Gleichfalls, Noelle.« Die andere Frau lächelte, aber als ihr Blick zu Aiden wanderte, kniff sie die Augen zusammen. »Gute Nacht, Aiden.«

»Schön, dich mal zu sehen, Noelle«, sagte Lucas, legte seiner Frau eine Hand ans Kreuz und führte sie aus dem Gebäude und in die klirrend kalte Novembernacht.

»Hast du versucht, dich bei meinen Freunden einzuschmeicheln, Noelle?«, murmelte Aiden fast schon amüsiert. »Tut mir leid, der Plan ist nicht aufgegangen.«