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Mit diesem eBundle präsentieren wir Ihnen die schönsten und erfolgreichsten Baccara-Romane aus 2021 - leidenschaftlich, aufregend und extravagant. Die kleine Auszeit vom Alltag für die selbstbewusste Frau … Happy End garantiert! Happy End mit dem Milliardär? (Baccara 2177) Die junge, engagierte Devon kann nicht fassen, was ihr skrupelloser Vater verlangt: Sie soll den Milliardär Cain Farrell heiraten - einen Mann, den sie kaum kennt und der als Erstes klarstellt, dass sie von ihm keine Liebe erwarten kann! Doch wenn sie ablehnt, verliert sie alles, wofür sie so hart gearbeitet hat. Was jetzt? Widerstrebend stimmt Devon zu, natürlich nur zu einer Zweckehe! Aber warum prickelt es dann plötzlich so erregend, als Cain sie fürs Verlobungsfoto in seine Arme zieht und stürmisch küsst? Sinnlich entführt vom Milliardär (Baccara 2186) "Stoppt die Hochzeit!" Milliardär Ethan Connors setzt alles daran, seine Ex-Freundin im letzten Moment zurückzuerobern. Auch wenn das heißt, dass er die verschleierte Braut vom Altar weg entführen muss. Doch er hat die falsche Hochzeit gestürmt - und die falsche Braut erwischt! Denn als sie ihren Schleier hebt, schaut er in die samtbraunen Augen einer wunderschönen Fremden. Sie scheint wild entschlossen, vor dieser traditionellen Ehe zu fliehen und sich von Ethan nicht nur ent-, sondern auch verführen zu lassen … Champagnernacht mit Cinderella (Baccara 2181) Es schlägt Mitternacht auf dem Ball. Langsam nimmt der Mann, mit dem Nelle getanzt und der sie so sinnlich geküsst hat, seine Maske ab. Entsetzt erkennt sie den milliardenschweren Investor Grayson Monk - den größten Feind ihrer Familie! Wie Cinderella flieht Nelle vor diesem verbotenen Traumprinzen in die dunkle Nacht. Doch schon am nächsten Tag wird sie von ihrer Chefin wegen einer Spende zu Grayson Monk geschickt. Auch unmaskiert knistert es zwischen ihnen gefährlich heiß - heißer, als die Familienfehde erlaubt!
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Seitenzahl: 609
Naima Simone, Sophia Singh Sasson, Susannah Erwin
Heiße Leidenschaft - Best of Baccara 2021
IMPRESSUM
BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2020 by Naima Simone Originaltitel: „Vows in Name Only“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 2177 - 2021 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Maike Claußnitzer
Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 03/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751503587
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Wovon zum Teufel sprichst du?“, stieß Cain Farrell hervor und schoss von seinem Stuhl in der Bibliothek seines Vaters hoch.
Seines toten Vaters.
Barron Farrell hatte erst sterben müssen, damit Cain wieder einen Fuß in das Mausoleum setzte, in dem er eine höllische Kindheit durchlitten hatte. Sobald er mit einundzwanzig seinen Collegeabschluss gemacht hatte, war er gegangen und nicht zurückgekehrt, nicht einmal zu Geburtstagen, zu Weihnachten oder auch nur zu einem zwanglosen Essen. Es war schlimm genug, dass er zwölfstündige Arbeitstage mit seinem Vater in den Büros von Farrell International verbringen musste, dem Konzern, der seit vier Generationen im Besitz der Familie war. Aber Cain hatte sich vor elf Jahren geschworen, nie wieder die heiligen Hallen und marmornen Böden des historischen Anwesens seines Vaters in Beacon Hill zu betreten.
Typisch, dass der alte Mann etwas so Eigensinniges tat, wie einen Herzinfarkt zu bekommen und zu sterben, nur um Cain zu zwingen, seinen Schwur zu brechen.
Er war schon immer ein manipulativer Bastard gewesen.
Apropos Bastarde …
Cain marschierte über den glänzenden Hartholzboden und achtete dabei kaum auf die dunklen Ledermöbel vor dem riesigen Kamin, die Wendeltreppe, die ins nächste Stockwerk führte, und die bis zur hohen Gewölbedecke reichenden Regale voller Erstausgaben von Klassikern, die sein Vater nie gelesen hatte. Wenn Cain zu lange hinsah, würden die Erinnerungen, die immer am Rand seines Bewusstseins lauerten, die Gelegenheit ergreifen, sich hervorzustehlen und ihn zu quälen. Ihn so zu bestrafen, wie er es vor diesem Schreibtisch erlebt hatte, an dem jetzt Daryl Holleran saß, der Anwalt seines Vaters.
Cain hasste dieses Zimmer. Das ganze verdammte Haus.
Wut loderte in ihm auf. Er blieb vor einem großen Erkerfenster stehen, aber der von Mauern umschlossene Garten konnte seinen Blick nicht fesseln. Die Ehre gebührte den beiden anderen Männern, die stumm mit im Raum saßen.
Zwei Fremde, die er nie zuvor zu Gesicht bekommen hatte. Zwei Fremde, deren Anwesenheit bei der Testamentseröffnung erforderlich war.
Zwei Fremde, die laut Daryl Cains Brüder waren.
Seine Halbbrüder.
„Cain“, sagte Daryl. Seine samtige Baritonstimme klang beschwichtigend, als hätte er nicht gerade verkündet, dass der Multimilliarden-Dollar-Konzern, zu dessen Führung Cain herangezogen worden war, nicht länger ihm gehörte. „Ich weiß, dass es überraschend kommt …“
Cain wirbelte herum und rammte die fest geballten Fäuste in die Taschen seiner schwarzen Anzughose. „Überraschend? Du untertreibst. Das hier ist kompletter Unsinn, Daryl!“, fuhr er den Anwalt an.
Der ältere Mann ließ sich von Cains bissigem Ton nicht aus der Ruhe bringen. Aber er war ja auch dreißig Jahre lang Barron Farrells Anwalt gewesen. Wahrscheinlich hatte er ein so dickes Fell wie ein Mammut.
„Wie dem auch sei“, sagte Daryl und nahm einen kleinen Papierstapel vom Schreibtisch, „Barron hat sich sehr klar ausgedrückt, was die Bedingungen angeht. Die Anteilsmehrheit an Farrell International fällt an seine lebenden Erben. Aber nur, wenn du und deine Brüder zustimmen, in Boston zu bleiben und die Firma ein Jahr lang gemeinsam zu führen, begonnen mit dem Datum, an dem dieses Testament verlesen wird. Am Ende des Jahres könnt ihr entweder beschließen, das Unternehmen weiter gemeinsam zu leiten, oder du, Cain, kannst deine Brüder auszahlen. Dann gehört Farrell International dir. Wenn auch nur einer von euch sich nicht an diese Bedingungen hält, werden die Firma und ihre Tochterunternehmen gegen Höchstgebot verkauft.“
Es ergab auch beim zweiten Mal nicht mehr Sinn.
„Und es gibt noch eine Bedingung“, fügte Daryl hinzu.
„Typisch“, grummelte Cain.
„Sie betrifft dich, Cain.“ Daryl hielt inne, und zum ersten Mal sah Cain Unbehagen in seinen braunen Augen aufblitzen. Wenn dieser unerschütterliche Mann sich aus der Ruhe bringen ließ, verhieß das nichts Gutes. „Du musst das Jahr über hier leben. In diesem Haus.“
Cain rührte sich nicht. Er konnte es nicht. Denn wenn er auch nur Atem holte, würde er explodieren. Der Zorn, der in ihm tobte, würde dieses Zimmer und die Leute darin vernichten. Barron hatte es nicht gereicht, über Cains Zukunft zu bestimmen. Nein – er musste seinen Sohn auch noch zwingen, seinen persönlichen Albtraum zu durchleben.
Dieser Mistkerl!
„Ich soll also mein Leben in Washington aufgeben und nach Boston ziehen, nur weil der Idiot, der meine Mutter geschwängert hat, es verlangt?“ Der bärtige Riese in schwarzem Thermoshirt, ausgeblichener Jeans und abgenutzten braunen Stiefeln, der laut Daryl Achilles hieß, schüttelte den Kopf. „Sie hat mir ja vielleicht seinen Nachnamen gegeben, aber das ist alles, was ich je von ihm bekommen habe. Ich schulde ihm verdammt noch mal gar nichts.“
Und dir auch nicht.
Achilles sprach diese Worte nicht laut aus, aber sie hingen zwischen ihm und Cain in der Luft. Cain biss die Zähne zusammen. Natürlich kümmerte es diesen Mann nicht, dass das Unternehmen, für das Cain schon sein Leben lang arbeitete, vielleicht zerschlagen werden würde. Die Firma zu verlieren, für die er den intoleranten, gnadenlosen Barron ertragen hatte, die Firma, von der er gehofft hatte, sie eines Tages zu leiten … Das störte Achilles natürlich auch nicht.
Er hatte nicht für den Konzern gelitten.
Hatte nichts dafür geopfert.
Aber Cain sehr wohl.
Die Firma war sein Erbe. Das, was ihm zustand, dafür, dass er Barron Farrell überlebt hatte.
Und doch hatte Barron einen Weg gefunden, ihm alles wegzunehmen.
„Als man mich zu diesem mysteriösen Termin gebeten hat, habe ich nicht mit einem Familientreffen gerechnet, das muss ich zugeben“, sagte der zweite Mann, Kenan Rhodes, und zog die Augenbrauen über den unverkennbaren blaugrauen Farrell-Augen hoch, die sie alle hatten. „Aber ich muss Achilles zustimmen.“ Kenan zuckte die Schultern. „Ich habe eine Stelle im Unternehmen meiner Familie. Eine gute. Und sie aufzugeben hieße, meine Verwandten im Stich zu lassen. Warum sollte ich das tun? Ich habe Barron Farrell nicht persönlich gekannt, aber ich weiß, welchen Ruf er hatte. Und bei allem, was recht ist: Ich schulde ihm keine Loyalität.“
Cain starrte die beiden Fremden an. Obwohl sie laut Testament seine Brüder waren, empfand er keine Zuneigung zu ihnen. Keine Gefühl von Verbundenheit. Wenn die Augen nicht gewesen wären, hätte man sie gar nicht für Verwandte gehalten.
Kenan hatte hellbraune Haut, kurzes dunkles Haar und ein Kinnbärtchen. Er hatte offenbar afroamerikanische Wurzeln. Obwohl sie alle hochgewachsen und muskulös waren, hatten Cain und Kenan einen schlanken, wenn auch breitschultrigen Körperbau, während Achilles ein kraftstrotzender Hüne war, der sich gut als Verteidiger beim Football gemacht hätte. Mit seinen schulterlangen, fast schwarzen Locken, dem Bart und seiner sonnengebräunten Haut verlieh er der Familie eine eigene Komponente, sodass sie zusammen mindestens so bunt gemischt wirkten wie die Kinderschar von Brad Pitt und Angelina Jolie.
Dass Cains Vater seine Mutter betrogen hatte, schockierte Cain nicht. Barrons Untreue war ein offenes Geheimnis gewesen. Was ihn erstaunte, war, dass Barron nicht nur ein uneheliches Kind gezeugt hatte, sondern gleich zwei. Dass er das Schicksal seiner Firma den Launen von Männern überließ, die er gar nicht gekannt hatte, konnte Cain einfach nicht mit dem Kontrollfreak vereinbaren, der sein Vater gewesen war.
Doch anscheinend hatte Barron von seinen Söhnen gewusst. Und er hatte sich erst die Mühe gemacht, von ihrer Existenz Notiz zu nehmen, als es ihm in den Kram passte.
Das wiederum war typisch für den Barron Farrell, den Cain kannte.
„Ich erwarte keine Loyalität von euch und bitte euch auch nicht darum“, stellte er nun klar. Sein neutraler Ton überspielte die Wut und die Angst, die in ihm tobten. „Ihr habt beide recht – ihr habt euer eigenes Leben. Aber meines hat sich heute für immer verändert. Ich habe nicht nur herausgefunden, dass ich zwei Brüder habe, sondern alles, wofür ich …“, gelitten, „… gearbeitet habe, ist plötzlich meiner Kontrolle entzogen worden. Ja, ihr könnt gehen, und für euch ändert sich nichts. Aber für mich? Für mich wird alles anders. Ich habe nicht die Möglichkeit, einfach zu gehen.“
Panik stieg in ihm auf. „Ich habe kein …“
Kein Erbe. Keine Kontrolle. Keine Macht. Keine Stimme.
Er biss die Zähne zusammen und schluckte die verräterischen Worte hinunter. Ebenso wie die flehentliche Bitte, die ihnen unweigerlich gefolgt wäre.
Hatte sein Vater ihn wirklich so sehr gehasst, dass er gewollt hatte, dass Cain sich vor diesen Fremden demütigte, damit sie ihm halfen? Ihn retteten?
Ja.
Die knappe Antwort hallte in Cains Kopf wider. Alles, was er je seinem Vater gegenüber empfunden hatte – Zorn, Angst, Verwirrung, Verbitterung und, Gott steh mir bei, sogar Liebe –, wirbelte wie ein Tornado durch seine Brust.
„Zum Teufel“, knurrte er, marschierte durchs Zimmer und riss die schwere Tür auf, um hinauszustürmen. Frische Luft. Er brauchte Luft, die nicht von seiner Verzweiflung und Hilflosigkeit verbraucht war. Von seiner Schwäche.
Als er auf den Flur kam, brandeten sofort unpassend fröhliche Stimmen auf ihn ein.
Ach ja, der Empfang! Wie verrückt, dass der Zirkus in der Bibliothek ihn hatte vergessen lassen, dass drüben im großen Saal und im Esszimmer über hundert Leute zusammengekommen waren, um seinen Vater zu betrauern. Er schnaufte. Betrauern? Wohl kaum. Aus dem lauten Geplauder, dem hellen Lachen und dem Klirren der Gläser ging nicht hervor, ob sie Barrons Leben feierten – oder seinen Tod.
Cain atmete aus, drehte sich um und ging zur Rückseite des Hauses, weit weg von seinen „Gästen“. In seiner derzeitigen Stimmung war er keine gute Gesellschaft, und er konnte keine Beileidsbekundungen ertragen.
Wenigstens war Barron nun an einem besseren Ort.
Falls man die Hölle einen besseren Ort nennen wollte.
Devon Cole musterte stirnrunzelnd die Hecke, vor der sie stand. Ihr kamen zwei Gedanken.
Erstens: Wie um alles in der Welt schaffte es der Gärtner, die Blätter Mitte Oktober noch so grün und üppig zu halten? Mit Spezialdünger? Pestiziden? Zauberei?
Und zweitens: Wenn sie noch ein paar Sekunden wartete, würde dann David Bowie im Kostüm des Goblin-Königs auftauchen?
Es waren beides angemessene Fragen, da sie in einem Garten mit hohen, labyrinthartigen Hecken stand, die gemütliche Nischen und Verstecke für romantische Treffen boten. Wer hätte gedacht, dass solch ein schöner, magischer Ort hinter dem kalten Mausoleum lag? Es sei denn natürlich, der Besitzer verbannte alle hierher, die ihn verärgert hatten, damit ein hungriger Minotaurus sie verschlingen konnte …
Oh, und noch etwas … Sie starrte in das Glas Rotwein hinab, das sie in der Hand hielt. Sollte dieses dritte Glas Cabernet Sauvignon das letzte bleiben? Wenn man sich innerhalb von zehn Sekunden Gedanken über Gartentipps, David Bowie und griechische Mythologie machte, war es vielleicht klug, mit dem Alkohol aufzuhören.
Sie seufzte. Sie war Barron Farrell nur ein paarmal kurz begegnet, als ihr Vater sie wieder einmal gezwungen hatte, an gesellschaftlichen Anlässen teilzunehmen. Aber man musste dem Toten die letzte Ehre erweisen. Und sei es seinem Sohn zuliebe.
Ihr wurde flau im Magen, als ein Bild von Cain Farrell vor ihrem inneren Auge erschien. Sie hatte Barrons Sohn und Erben heute zum ersten Mal getroffen. Kein Wunder, da sie den Galas, Benefizveranstaltungen und Dinnerpartys, die ihr Vater so liebte, oft aus dem Weg ging.
Sie schloss die Augen und ließ sich auf eine der Marmorbänke sinken, die überall in den kühlen, schattigen Winkeln des Gartens standen. Sie hatte an der überfüllten Trauerfeier in der prächtigen katholischen Kirche teilgenommen, aber erst am Grab hatte sie Cain Farrell zum ersten Mal gesehen. Selbst aus der Ferne war es nicht schwer gewesen, ihn zu entdecken. Er hatte die meisten anderen Anwesenden überragt.
Trotz seiner ausdruckslosen Miene war er … schön. Ein schmales, kantiges Gesicht mit hohen Wangenknochen, mit fast schon zu perfekten Zügen, einem sinnlichen, aber festen Mund und einem markanten Kinn, das kompromisslos wirkte. Sein schwarzer, eng anliegender, maßgeschneiderter Anzug betonte seine breiten Schultern, den Brustkorb, die schlanke Taille und die langen, athletischen Beine. Er erinnerte sie an einen König, der Macht als sein Geburtsrecht betrachtete, aber auch kein Problem damit hatte, sich mit Schwert und Schild an der Seite seiner Männer in den Kampf zu stürzen. Durchsetzungsstark, eindrucksvoll und, wenn es sein musste, gnadenlos. Das einzig Weiche an ihm waren die dichten, dunklen Locken, die sich um seine Ohren und oberhalb des Jackettkragens ringelten. Doch statt seine imposante, arrogante Schönheit sanfter wirken zu lassen, unterstrichen diese Haare nur die schiere Kraft seiner Gesichtszüge, besonders den Anflug von Härte im sinnlichen Schwung seines Munds …
Auf einmal schämte sie sich.
Er trauerte um seinen Vater, und sie hatte ihn angegafft wie Mr. Dezember aus einem „Heißeste Milliardäre des Jahres“-Kalender. Vielleicht hatte ihr Vater recht, und man konnte sich mit ihr wirklich nirgendwo blicken lassen.
Heftige Sehnsucht durchzuckte ihre Brust. Sie presste sich eine Hand aufs Herz und rieb den Phantomschmerz. Seit Jahren lebte sie nun schon in dieser glitzernden Welt des Reichtums und passte trotzdem nicht hierher. Allen Benimmkursen und Designerkleidern zum Trotz.
Was hätte sie nicht darum gegeben, Beacon Hill, ja ganz Boston verlassen zu können und wieder in dem alten Doppelhaus in Plainfield, New Jersey zu sein. Auf der einen Seite hatten sie und ihre Eltern gewohnt, auf der anderen ihr Onkel, ihre Tante und deren drei Kinder. Das Haus war eigentlich zu klein gewesen, mit Türenschlagen, lauten Stimmen und Gelächter. Es war ein schönes Zuhause gewesen.
Aber dann war Devons Mutter gestorben, nachdem sie sich geweigert hatte, mit einem Husten, den sie einfach nicht loswurde, zum Arzt zu gehen. Einem Husten, der sich zu einer schweren Lungenentzündung entwickelt hatte. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte Devons Vater sich in seiner Trauer mit Feuereifer in den Ausbau seiner Kette von Elektroläden gestürzt. Am Ende hatte er sie an eine größere Firma verkauft. Den Gewinn aus dem Verkauf hatte er klug investiert. Statt wohlhabend waren sie inzwischen steinreich.
Daraufhin hatte er beschlossen, dass Plainfield zu „kleinbürgerlich“ für ihn und seine Tochter war – seine Formulierung, nicht ihre. Sie liebte ihre Heimatstadt und ihre Familie. Aber er hatte den Kontakt abgebrochen und war mit Devon nach Boston gezogen, wo er es sich zur Aufgabe gemacht hatte, in die elitären Kreise der High Society vorzudringen. Aber Geld allein konnte einem Neureichen wie ihm keinen Zugang erkaufen.
Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, es zu versuchen.
Deshalb waren sie auch auf Barron Farrells Beerdigung. Ihr Vater wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, sich unter die reichen Geschäftsleute und Prominenten zu mischen. Aber er war nicht der Einzige, der die Trauerfeier des Milliardärs als eine Teeparty verstand.
Sie seufzte noch einmal, nahm ihr Glas und stand von der Bank auf. Am besten ging sie wieder ins Haus, bevor ihr Vater sich auf die Suche nach ihr machte und sie wie immer enttäuscht und missbilligend ansah. Kurz schloss sie die Augen, weil es sich anfühlte, als hätte sich ein Schraubstock um ihr Herz gelegt. Sie konnte sich noch an Zeiten erinnern, in denen nur Zuneigung, Liebe und Stolz aus seinen dunklen Augen geleuchtet hatten. Damals war er noch Ehemann und Vater gewesen, zufrieden, ein paar Läden zu besitzen. Bevor der Tod ihrer Mutter ihr Leben aus der Bahn geworfen hatte.
Sie starrte die Spitzen ihrer schwarzen Louis-Vuitton-Schuhe an und betrat den gepflasterten Gartenweg.
„Verdammt.“
Sie hörte den leisen Fluch, unmittelbar bevor eine hochgewachsene, muskulöse Gestalt um die Ecke bog und wenige Zentimeter vor ihr stehen blieb. Die Hecke bot ihr kein gutes Versteck. Sie machte sich klein und starrte den Mann an, der hin und her lief. Von der Bank, auf der sie eben noch gesessen hatte, bis zum schmalen Weg und wieder zurück.
Cain Farrell.
Seine Körpersprache strahlte Ärger aus. Nein, keinen Ärger. Wut. Sein schwarzes Haar, sein schwarzer Anzug und seine Schritte ließen ihn gefährlich wie ein Raubtier wirken. Geschmeidig, dunkel und tödlich. Auf der Suche nach der richtigen Beute, um sich auf sie zu stürzen … Sie zu verschlingen …
War es nicht verrückt von ihr, dass sie sich nicht sicher war, ob sie lieber vermeiden wollte, zu dieser Beute zu werden, oder dem unvernünftigen Drang nachgeben sollte, ihn zu trösten? Ihm die Haare zu tätscheln und die breiten Schultern zu streicheln? Ja. Ich bin verrückt. Denn man versuchte lieber nicht, ein Raubtier zu trösten.
Auch dann nicht, wenn es unglaublich sexy war.
Cain blieb ruckartig stehen und nagelte sie mit einem funkelnden Blick aus zusammengekniffenen Augen fest. Devon bekam keine Luft mehr.
Verdammt.
„Wer sind Sie?“, fragte er. Seine Stimme war dunkel wie die Nacht, berauschend wie teurer Scotch … und Schokolade. Zum Anbeißen.
„Ich?“, stieß sie heiser hervor und machte den Fehler, ihm in die unfassbar schönen Augen zu sehen. Wow. Aus der Entfernung hatte sie auf dem Friedhof die Farbe nicht genau erkannt. Aber jetzt. „Ich habe mich gefragt …“, hauchte sie.
Er zog die dunklen Brauen arrogant über seinen erschreckend schönen blaugrauen Augen zusammen. Wolfsaugen. Das Gefühl, vor einem Raubtier zu stehen, wurde noch stärker, aber statt Angst kitzelte unter ihrer Haut eine Mischung aus Erregung und Nervosität.
„Sie haben sich was gefragt?“, erkundigte Cain sich ungeduldig.
„Ihre Augen“, platzte sie heraus und verfluchte ihre Entscheidung, sich das dritte Glas Wein gegönnt zu haben. „Bei der Beerdigung konnte ich die Farbe nicht genau erkennen. Aber jetzt, äh, weiß ich Bescheid.“ Sie versuchte zu lächeln, machte einen Schritt auf ihn zu und überbrückte so das letzte bisschen Abstand zwischen ihnen, bevor sie sich vorstellte: „Devon.“
Sie streckte ihm die freie Hand hin. Mehrere Sekunden lang starrte er angespannt darauf herab. Dann hob er langsam den Arm.
Seine langen, eleganten Finger schlossen sich um ihre. Verbrannten sie. Feuer züngelte durch ihre Handfläche ihren Arm hinauf und loderte dann in ihrer Brust wie ein Stern. Cain hob den Blick von ihren umschlungenen Händen und folgte dem Weg, den die Flammen genommen hatten. Nur, dass er dann noch den Rest ihrer zierlichen Gestalt musterte, bevor er ihr ins Gesicht sah.
Sie entzog ihm ihre Hand und kämpfte gegen den Drang an, sich die prickelnde Handfläche am Oberschenkel zu reiben. Sie hob das Kinn, um seinem Wolfsblick zu begegnen. Sie wusste, was er sah. Was alle sahen. Klein. Nichtssagende Gesichtszüge. Sie hatte einmal gehört, wie ein angeblicher Gentleman behauptet hatte, dass man sie sofort wieder vergaß. Ihre Brüste und Hüften waren zu ausgeprägt, um elegant zu wirken. Das Beste an ihrem Äußeren waren ihre dichten, karamellbraunen Locken, die sie heute zu einem Knoten am Hinterkopf hochgesteckt hatte. Wenn sie die Haare offen trug, reichten sie bis zur Mitte ihres Rückens. Die Haare hatte sie von ihrer Mutter.
Eine große Schönheit war sie nicht, und er ging bestimmt regelmäßig mit Filmstars und Bademodenmodels aus. Egal. Eine der ersten Lektionen, die sie in Boston gelernt hatte, war die gewesen, sich keine Schwäche anmerken zu lassen. Lieber verstellte sie sich, bis sie es sich zu Hause in ihrem Schlafzimmer mit Chips und Netflix gemütlich machen konnte.
Das funktionierte.
Cain starrte sie stumm an. Obwohl sie innerlich zitterte, wankte sie nicht. Aber diese Augen … Gespenstisch in ihrer Schönheit. Als könnte er bis in ihre Seele blicken.
„Ja, jetzt wissen Sie Bescheid“, sagte er gedehnt, und die Flammen, die zu einem Glimmen zusammengeschrumpft waren, loderten wieder auf. In ihrem Gesicht.
Oh, Gott. Glaubt er etwa, dass ich mit ihm flirte?
„Was machen Sie hier draußen, Devon?“, fragte er. „Die Party …“, er verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln, „… findet drinnen statt. Dieser Teil des Geländes ist für Gäste gesperrt.“
„Oh, tut mir leid. Das Schild muss ich übersehen haben“, entschuldigte sie sich. Sobald die Worte zwischen ihnen in der Luft hingen, wurde ihr klar, wie gedankenlos sie klangen. „Das heißt – natürlich gibt es kein Schild. Aber in einem so großen Haus sollte man vielleicht welche aufhängen. Vielleicht so kleine, diskrete wie an Badezimmertüren … Ach, verdammt.“
„Wie bitte?“ Cains Stirnrunzeln vertiefte sich.
Sie schüttelte den Kopf und hob den Finger, um ihn zu bitten, kurz zu warten. Sie nahm sich die Zeit, einen großen Schluck Wein zu trinken. Dann noch einen. „Sonst nippe ich immer nur am Wein, ehrlich, und zwei Gläser sind eigentlich mein Limit. Ich weiß auch nicht, was mich auf den Gedanken gebracht hat, ich könnte drei verkraften. Hier.“ Sie hielt ihm das Glas hin, und er nahm es. „Da Sie gerade so geflucht haben, brauchen Sie es wahrscheinlich mehr als ich.“
Wieder starrte er sie an. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Sie benahm sich wie eine Verrückte. Eine beschwipste, redselige Verrückte, die in seinen Garten eingedrungen war.
Langsam, ohne den Blickkontakt zu ihr zu unterbrechen, hob er das Glas an seinen grausam schönen Mund. Und nippte am Wein.
Ihre Knie gaben nicht unter ihr nach, aber weich wurden sie doch. Warum dieses Nippen so sexy war, wusste sie selbst nicht. Aber tief in ihrem Bauch ballte sich Hitze zusammen.
„Sie haben recht“, sagte er, „ich kann es brauchen. Danke.“
Den Wein. Er brauchte den Wein. Nicht sie, wie ihr Körper seine Worte interpretierte wollte.
„Gern geschehen.“ Unfähig, weiter in seine ungewöhnlichen Augen zu sehen, strich Devon sich einen unsichtbaren Fussel vom Rock ihres dunkelgrauen Etuikleids. Während sie wieder einen Schritt von ihm abrückte, verflogen ihre Verlegenheit und Verwirrtheit. „Mein Gott, ich war so darauf konzentriert, in die Hölle zurückzukehren, dass ich es ganz vergessen habe.“ Sie legte ihm eine Hand auf den Unterarm. Straffe Muskeln spannten sich unter ihren Fingern an. Aber davon ließ sie sich nicht ablenken. „Herzliches Beileid zum Tod Ihres Vaters. Leider kenne ich den Schmerz, den Sie empfinden, und ich wünsche ihn niemandem.“
Sein prüfender Blick verlagerte sich auf seinen Arm, wo ihre Finger immer noch ruhten. Er wich ihrer Berührung nicht aus, und obwohl es klüger gewesen wäre, zog sie die Hand nicht zurück.
„In die Hölle zurückzukehren?“, wiederholte er, ohne auf ihre Beileidsbekundung einzugehen. Sie hatte Verständnis dafür; nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie auch nicht darüber reden wollen. „Wo ist die denn?“
Sie zog den Kopf ein. „Versprechen Sie mir, nicht gekränkt zu sein?“ Er hob eine dunkle Augenbraue, nickte aber. „Dieser Empfang. Gesellschaftliche Anlässe sind für mich ohnehin schon eine Qual, aber da drinnen …“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich komme aus einer großen italienischen Familie, deshalb kenne ich es durchaus, dass ein Leichenschmaus zu einer lauten und lustigen Feier wird. Aber nicht so. Niemand spricht über Ihren Vater und erinnert sich an ihn. Es herrscht keine Trauer über einen geliebten Menschen. Es ist … makaber.“
Sie ließ die Hand sinken und wappnete sich für seine Vorwürfe. Für ein hämisches Grinsen, wie sie es von ihrem Vater zu sehen bekommen hatte, als sie ihm dieselben Gedanken anvertraut hatte, bevor sie vor der ganzen Falschheit hierher geflüchtet war.
Aber Cain machte sich nicht lustig über sie.
Stattdessen musterte er sie mit undurchdringlichem Blick.
Als sie gerade den Mund aufmachen wollte, um sich für ihre unsensiblen Worte zu entschuldigen, murmelte er: „Danke, Devon.“
„Wofür?“
„Dafür, dass Sie den Mut haben, ehrlich zu sein.“ Ein halbes Lächeln huschte über seine sinnlichen Lippen. „Und dafür, dass Sie mir eine Atempause von ein paar Minuten verschafft haben, bevor ich in meine eigene Hölle zurückmuss.“ Er reichte ihr das Weinglas, und als sie es nahm, hob er die freie Hand und schockierte sie, indem er ihr über die Wange strich. „Das weiß ich mehr zu schätzen, als Sie ahnen.“
Er trat zurück. Ihre Haut brannte von seiner Liebkosung. Sie rührte sich nicht – konnte es nicht –, als er sich auf dem Absatz umdrehte und so schnell und leise wieder verschwand, wie er gekommen war.
Erst dann legte sie ihre zitternden Finger auf die Stelle, die er so zärtlich berührt hatte. Voller Dankbarkeit. Denn bestimmt hatte sie sich das Aufblitzen von Begehren in seinen Augen nur eingebildet. Es war nur Wunschdenken gewesen, dass sie ihr eigenes Verlangen in ihnen gespiegelt gesehen hatte.
Ja, das ist alles.
Aber was schadete es, an diese Fantasie zu glauben?
Sie würde Cain Farrell ja ohnehin nie wiedersehen.
Nein. Es schadet überhaupt nicht.
Ein Jahr.
Das konnte Cain durchstehen. Er hatte seinen Vater zweiunddreißig Jahre lang ertragen. Zwölf Monate mehr waren ein Kinderspiel.
Natürlich würde er das schaffen.
Dieses Mantra marschierte durch Cains Gedanken wie ein Regiment todbringender Soldaten. Cain biss die Zähne so fest zusammen, dass sein Kiefer pochte. Sonst hätte er eine Schimpftirade losgelassen, die ihm auf der Zunge lag. Und die Befriedigung würde er seinem Vater nie verschaffen. Nicht einmal nach dessen Tod.
„Mr. Farrell, es sind mehrere Nachrichten für Sie eingegangen, während Sie bei Ihrem Meeting waren. Ich habe sie auf Ihren Schreibtisch gelegt und sie auch noch einmal per Mail an Sie weitergeleitet“, teilte ihm seine Assistentin Charlene Gregg mit, als er an ihrem Schreibtisch vorbeirauschte. Die adrette braunhaarige Frau arbeitete schon seit fünf Jahren für ihn, und sie war ein Geschenk des Himmels. Das fanden ihr hünenhafter Mann und ihre zwei süßen Kinder auch.
„Danke, Charlene“, sagte Cain. „Stellen Sie die nächsten zwanzig Minuten keine Anrufe durch.“
Er betrat sein Büro. Es gelang ihm, nicht die Tür hinter sich zuzuknallen. Beherrschung. Die hatte er sich schon in seiner Kindheit angewöhnt. Er war in einem Haus aufgewachsen, in dem schon der kleinste Fehler – ob nun echt oder eingebildet – ihm eine Strafpredigt oder einen Schlag in den Magen einbrachte. Er hatte rasch gelernt, seine Emotionen für sich zu behalten.
Aber nach dem Meeting mit seinen … Zum Teufel, ich kann sie doch nicht meine Brüder nennen! Achilles Farrell, der nachdenkliche Riese, und Kenan Rhodes, der Charmeur mit dem breiten Lächeln, waren Fremde.
Verhasste Eindringlinge, die sich nur eine Woche nach ihrer ersten Begegnung auf der Trauerfeier in seiner Firma eingenistet hatten.
Ihm war klar, dass seine Wut eigentlich seinem Vater galt. Aber Barron war nicht mehr hier. Seine unehelichen Söhne dagegen sehr wohl.
Cain fuhr sich durchs Haar und ließ sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen. Sein Blick blieb an der Akte hängen, die er schon seit Tagen durcharbeitete. Direkt nach der Testamentseröffnung hatte Cain einen Privatdetektiv auf Achilles und Kenan angesetzt.
Achilles Farrell. Geboren in Boston, aber von seiner alleinerziehenden Mutter in der Nähe von Seattle, Washington, großgezogen. Genialer Softwareentwickler und Ex-Sträfling. Er hatte wegen Körperverletzung zwei Jahre hinter Gittern gesessen. Der Apfel fiel nicht weit vom Stamm.
Kenan Rhodes. In Boston geboren und dort von reichen Eltern adoptiert. Brillanter Vizechef der Marketingabteilung in der Firma seiner Familie. Danach zu urteilen, wie oft er in den Klatschspalten auftauchte, ein notorischer Frauenheld. Auch der Apfel fiel nicht weit vom Stamm.
Kaum dass die beiden auf Barrons Bedingungen eingegangen waren, hatten sie Cain mitgeteilt, dass sie nicht vorhatten, ein Jahr lang die stillen Teilhaber zu spielen. Sie wollten sich in der Firma selbst verwirklichen: Achilles in der IT-Abteilung, Kenan im Marketing. Alles in Cain sträubte sich dagegen. Aber dank Barrons Testament konnte er nichts dagegen tun. Als er damals bei seinem Vater ausgezogen war, hatte er sich geschworen, nie wieder schwach und machtlos zu sein. Aber jetzt …
Seufzend schloss er die Augen und kniff sich in den Nasenrücken. Ungebeten erschien vor seinem inneren Auge ein Bild von Devon – ihren Nachnamen kannte er immer noch nicht.
Es war nicht das erste Mal, dass sich die Frau, die wie eine Fee im Garten seiner Mutter aufgetaucht war, in seine Gedanken stahl. Zierlich, aber mit üppigen Brüsten, von denen er vermutete, dass sie zu groß für seine Handflächen waren. Eine schmale Taille, die er jedoch problemlos hätte umfassen können. Köstlich geschwungene Hüften. Die perfekte Sanduhrfigur. Ihre High Heels hatten sie nicht größer wirken lassen, sondern nur ihre durchtrainierten Oberschenkel betont.
Devon hatte einen Körper, der einen Mann mitten in der Nacht schwitzend aus dem Schlaf hochschießen lassen konnte. Aber ihr Körper war nichts gegen die wunderschönen, smaragdgrünen Augen, die so unschuldig wirkten, aber uralte Geheimnisse in ihren Tiefen zu bewahren schienen. Oder ihre eleganten Wangenknochen, die er einfach hatte berühren müssen. Oder ihren sinnlichen, fast schon unanständigen Mund.
Welcher Mann konnte sie ansehen und sich nicht danach sehnen, sie zu verführen?
Er jedenfalls nicht.
Objektiv musste er einräumen, dass manche Männer Devons Gesichtszüge vielleicht als unscheinbar beschrieben hätten.
Aber diese Männer mussten verdammt noch mal blind sein.
Doch am meisten hatten ihn ihr Humor, ihre Selbstironie, ihr Mitgefühl und ihre Selbstlosigkeit getröstet. Vor einer Woche hatte sie ihm unwissentlich die Kraft verliehen, in die Bibliothek zurückzukehren und sich dem Chaos zu stellen, das ihm sein Vater hinterlassen hatte.
Cain, der stolz darauf war, niemanden zu brauchen, klammerte sich an die Erinnerung an eine Frau, die er ein einziges Mal getroffen hatte und wahrscheinlich nie wiedersehen würde. Die Ironie entging ihm nicht.
„Mr. Farrell“, ertönte Charlenes Stimme durch die Gegensprechanlage. „Ich weiß, dass Sie mich angewiesen haben, Sie nicht zu stören, aber ein gewisser Gregory Cole möchte Sie sprechen. Er hat keinen Termin, aber er behauptet, dass es etwas Privates ist, das mit Ihrem Vater zu tun hat.“
Cain verkrampfte sich. Einen Moment lang lag ihm ein „Nein“ auf der Zunge. Wer tauchte einfach ungebeten auf und verlangte ein Treffen mit dem CEO eines Konzerns? Vielleicht einer der vielen Journalisten, die er mit der Bemerkung „Kein Kommentar“ abgewimmelt hatte. Oder noch ein Bruder?
Gereizt drückte er auf den Antwortknopf. „Schicken Sie ihn herein, Charlene.“ Er ließ den Knopf wieder los, stand auf und knurrte: „Verdammt.“
Sein Vater. Und etwas Privates. Er schluckte den Köder nicht gern, aber er konnte nicht anders.
Wenige Sekunden später betrat Charlene sein Büro, dichtauf gefolgt von einem älteren Mann. Groß und distinguiert, mit grau meliertem Haar und einem maßgeschneiderten Anzug, der, wie Cain wusste, mindestens dreitausend Dollar gekostet haben musste, trat er auf ihn zu und streckte die Hand aus.
„Mr. Farrell, Gregory Cole“, begrüßte er ihn. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen, auch wenn ich wünschte, es könnte unter anderen Umständen geschehen. Es hat mir sehr leidgetan, vom Tod Ihres Vaters zu erfahren.“
Die Worte waren angemessen, aber seine grünen, irgendwie vertrauten Augen straften den feierlichen Ernst Lügen. Unruhe machte sich in Cain breit, als er dem Mann die Hand schüttelte.
„Danke, Mr. Cole.“ Er nickte Charlene zu. Sie ging und schloss die Bürotür hinter sich. „Meine Assistentin sagt, es geht um meinen Vater?“
Er bat Gregory Cole nicht, auf einem der Besucherstühle oder auf dem braunen Ledersofa Platz zu nehmen. Irgendetwas an dem Mann störte ihn.
„Bitte nennen Sie mich doch Gregory. Darf ich?“ Er wartete nicht auf Cains Zustimmung, sondern ließ sich lächelnd auf dem Sessel vor dem Schreibtisch nieder. „Ich habe ein Anliegen, das mein … Verhältnis zu Ihrem Vater betrifft, aber ich habe aus Respekt vor Ihrer Trauer bisher damit gewartet, an Sie heranzutreten.“
Eine ganze Woche lang. Ein wahrer Heiliger.
„Hatten Sie eine Geschäftsbeziehung mit ihm, Mr. Cole?“ Cain benutzte absichtlich den Nachnamen des Mannes.
„Eher eine Vereinbarung“, sagte Mr. Cole und wischte gekünstelt ein unsichtbares Stäubchen von seinem makellosen Anzug. „Mr. Farrell oder Cain. Darf ich dich duzen?“
„Nein.“
Mr. Cole konnte das verräterische Aufblitzen von Zorn in seinen Augen nicht verbergen. Es verschwand sofort wieder, aber es entging Cain nicht. Der Mann war schon mit einer Anspruchshaltung in sein Büro spaziert und mochte es offensichtlich nicht, wenn man ihm widersprach.
Sein Pech.
„Ich bin ein Selfmademan. Ich habe eine erfolgreiche Elektroladenkette aufgebaut, bevor ich sie verkauft und den Gewinn in noch lukrativere Projekte investiert habe. Jetzt besitze ich eine exklusive Investmentfirma, die meinen Kunden und mir in den letzten Jahren Millionen eingebracht hat“, prahlte Gregory Cole.
„Ihre harte Arbeit in allen Ehren, aber ich verstehe nicht, was das mit meinem Vater zu tun hat, Mr. Cole. Ich will nicht unhöflich sein, aber ich habe noch Termine. Wenn wir also auf den Punkt kommen könnten …?“
Wieder bemerkte er ein Aufblitzen von Verärgerung in Mr. Coles Augen, aber noch etwas anderes. Befriedigung.
Cains Magen zog sich zusammen. Mr. Coles Schadenfreude verhieß nichts Gutes.
„Gern“, säuselte Mr. Cole und faltete die Hände vor der Brust. „Dein Vater hat vor seinem Tod eine Abmachung mit mir getroffen. Jetzt ist er nicht mehr da, und du musst den Vertrag erfüllen.“
Cain runzelte die Stirn. „Dafür ist die Rechtsabteilung zuständig. Wenn Sie den Vertrag meiner Assistentin übergeben, leitet sie ihn an die korrekte Stelle weiter …“
„Das kann ich tun, Cain.“ Mr. Cole betonte Cains Vornamen geradezu genüsslich. „Sofern es dir nichts ausmacht, wenn deine Firmenanwälte einen Ehevertrag durchsehen …“
Cain starrte den Mann an, der spöttisch grinste.
Ehevertrag?Was zum Teufel soll das heißen?
Sein mulmiges Gefühl wurde zu Panik. Aber die bitteren Lektionen, die er gelernt hatte, ließen ihn eisern die Beherrschung wahren.
Er durfte sich keine Schwäche anmerken lassen.
„Wovon reden Sie?“, fragte er in ruhigem Ton.
„Davon, dass du meine Tochter heiraten wirst. Dein Vater hat dich mir versprochen, ja geradezu überschrieben.“
Mr. Cole lachte, als ob ihn der Gedanke amüsierte, dass ein Vater seinen Sohn wie ein Stück Vieh verschacherte. Aber wenn der Mistkerl seiner eigenen Tochter dasselbe antat, fand er es wohl wirklich komisch. Er zog ein paar gefaltete Blätter Papier aus dem Jackett, stand auf und reichte sie Cain. „Ich habe eine Kopie des Vertrags mitgebracht. Bitte lass dir mit der Durchsicht Zeit. Ich versichere dir, dass er bindend ist.“
Wie betäubt nahm Cain die Papiere. Er faltete den Vertrag auseinander, legte ihn hin und studierte ihn. Je länger er las, desto wütender wurde er. Als er zur letzten Seite der dreiseitigen Vereinbarung kam und das schwungvolle Gekrakel seines Vaters neben Mr. Coles eleganter Unterschrift sah, tat es ihm körperlich weh, sich zurückzuhalten. Er wollte seine Empörung herausschreien. Den Schreibtisch umwerfen. Sich auf den feixenden Mr. Cole stürzen und ihn erwürgen.
„Sie haben sich als Geschäftsmann bezeichnet“, stieß Cain rau hervor. „Sie haben vergessen, zu erwähnen, dass Sie auch ein Erpresser sind.“
Mr. Cole zog eine Augenbraue hoch. „Nun werde doch nicht gleich beleidigend, Cain. Wenn ich im Zuge meines Aufstiegs eines gelernt habe, dann, dass niemand einem armen Mann etwas schenkt. Ich war selbst meines Glückes Schmied. Habe mich durchgekämpft, wenn Leute aus deiner Welt mir Steine in den Weg gelegt haben. Mit allen Mitteln. Wenn du damit rechnest, dass ich mich entschuldige, kannst du lange warten.“
„Ersparen Sie mir Ihr selbstgerechtes Gefasel“, fuhr Cain ihn an. „Es gibt haufenweise Leute, die ganz unten anfangen und es bis an die Spitze schaffen, ohne kriminell zu werden. Denen machen Sie Schande, wenn Sie das hier“ – er zeigte mit einem Finger auf den Vertrag – „mit Ihrer Herkunft rechtfertigen.“
„Das kann auch nur ein Mann sagen, den es in seinem Leben keinen einzigen Tag lang an etwas gefehlt hat“, höhnte Mr. Cole. Kalter Zorn glitzerte in seinen grünen Augen.
Cain erkannte, dass der Mann angewidert war. Von ihm.
„Sie wissen nicht das Geringste über mich, Mr. Cole“, knurrte er, stützte die Fäuste auf den Tisch und beugte sich vor. „Wenn Sie mich kennen würden, wären Sie nicht in mein Büro gekommen. Nehmen Sie das hier.“ Er schob ihm die drei Seiten so schwungvoll hin, dass sie durch die Luft flatterten und auf dem Boden landeten. „Und dann verschwinden Sie.“
Mr. Cole bückte sich nicht, um den Vertrag aufzuheben. Er hielt Cains Blick stand.
„Oh, da irrst du dich. Ich weiß alles, was ich über dich wissen muss, Cain“, murmelte er. „Dein Vater ist aus Eitelkeit auf dieses Arrangement eingegangen, aber er hat mir versichert, dass du dich aus einem anderen Grund darauf einlassen würdest: aus Loyalität zu deiner Mutter. Du würdest alles tun, um zu verhindern, dass Emilia Farrells Name von skrupellosen Reportern in den Schmutz gezogen wird. Die Paparazzi wären gnadenlos, wenn sie herausfinden würden, dass sie eine Affäre hatte, als sie noch mit deinem Vater verheiratet war. Und sie würden durchdrehen, wenn es für diese Affäre sogar Beweise gäbe: Fotos, E-Mails, Chatnachrichten, Videos.“
Cain kam die Galle hoch. Sie brannte in seiner Kehle. Einen Moment lang gab er dem Schmerz nach und schloss die Augen. Aber sofort sah er das Gesicht seiner Mutter vor sich, wenn diese Neuigkeit die Runde machte. Gedemütigt. Am Boden zerstört. Gebrochen.
Seine Mutter war die einzige liebevolle Konstante in Cains Leben gewesen – so sanft, wie sein Vater brutal gewesen war. Zunächst hatte sie Barron wohl geliebt, aber er hatte sie so oft herabgesetzt und betrogen, dass diese Liebe zerstört wurde. Die letzten Reste hatte er durch sein Beharren ausgelöscht, mit Gewalt „einen Mann aus Cain machen zu wollen“.
Seine Mutter hatte für Cain durchgehalten. Sie hätte Barron jederzeit verlassen können, aber er hätte ihr das Sorgerecht streitig gemacht und es dank seiner Macht und seines Geldes auch zugesprochen bekommen. Statt Barron ihren Sohn zu überlassen, war sie geblieben, bis Cain alt genug gewesen war, auf sich selbst aufzupassen.
Emilia Farrell hatte ihre Pflicht getan.
Er konnte ihr nicht verdenken, dass sie bei einem anderen Mann Trost gesucht hatte. Aber sie hatte einen Fehler begangen, als sie sich ausgerechnet für diesen hier entschieden hatte.
„Es ist illegal, dieses Material ohne die Zustimmung der anderen Seite herauszugeben“, stieß Cain angewidert hervor.
„Verklag mich doch.“
Cain richtete sich auf. „Und Ihre Tochter? Ist es ihr egal, dass ein Mann sie nur heiratet, weil er dazu erpresst wird? Dass er sie weder begehrt noch liebt? Oder geht es ihr wie Ihnen nur ums Geld?“
„Meine Tochter tut, was sie für ihre Familie tun muss“, antwortete Mr. Cole aalglatt. „Und ich brauche dein Geld nicht, Cain. Davon habe ich selbst mehr als genug. Aber wenn meine Tochter mit einem Farrell verheiratet ist, werden sich ihr alle Türen öffnen.“
„Ihnen, meinen Sie“, sagte Cain zornig.
Noch ein Schulterzucken. „Die oberen Zehntausend von Boston sehen auf die herab, die nicht in diesen elitären Kreis hineingeboren worden sind. Du weißt so gut wie ich, dass Reichtum allein einen nur bis zu einem gewissen Punkt aufsteigen lässt. Du bist schon mit einem Platz am Tisch geboren worden. Erzähl mir also nichts darüber, wie man eine Einladung bekommt.“
In seinen Worten schwang Verbitterung mit. Obwohl Cain Mr. Cole verabscheute, musste er ihm in dem Punkt recht geben. Die Welt, in der er lebte, war eine snobistische Clique, und der Name Farrell, der für so vieles stand – Tradition, Macht, Reichtum –, hatte ihm oft den Weg geebnet. Er hatte Chancen bekommen, die andere einfach nicht hatten.
Aber nichts davon entschuldigte das, was Mr. Cole tat. Er bedrohte den einzigen Menschen, der Cain am Herzen lag. Das war unverzeihlich.
Das Lächeln, das Mr. Coles Lippen umspielt hatte, war verschwunden. „Genug geplaudert. Wie lautet deine Antwort? Heiratest du meine Tochter, oder soll ich meine Informationen an die Presse geben?“
Einen Moment lang war Cain wieder der zehnjährige Junge, der in der Bibliothek vor seinem Vater kauerte. Der weinte, weil er sich wehren wollte, aber nicht stark genug war. So hilflos wie damals war er auch heute, obwohl er sich geschworen hatte, nie wieder derart verletzlich zu sein.
Dafür würde Mr. Cole bezahlen.
Und seine Tochter auch.
„Ich bin bereit, sie zu heiraten“, sagte Cain und sah Triumph in den grünen Augen aufblitzen. „Aber das ist auch alles. Sie haben Ihre Tochter gerade in die Hölle geschickt. Sie mögen ja hinter dieser Farce stecken, aber Ihre Tochter ist diejenige, die dafür büßen wird.“
„Devon, bist du das?“
Devon zog die Haustür hinter sich zu und hielt den Griff kurz fest. Herr, gib mir Kraft, betete sie stumm. Dann bekam sie ein schlechtes Gewissen. Egal wie fordernd ihr Vater sein konnte, er war trotz allem ihr Vater. Auch wenn er nicht mehr der liebevolle, fröhliche Beschützer war wie zu Lebzeiten ihrer Mutter, hatte er immer für Devon gesorgt und ihr alles geschenkt, was man für Geld kaufen konnte.
„Ja, Dad, ich bin es“, rief sie zurück, stellte ihre Handtasche auf einen Stuhl und durchquerte das weitläufige Foyer des hochherrschaftlichen Stadthauses im Herzen von Back Bay.
Ihr Vater hatte dafür sieben Millionen auf den Tisch gelegt. Es war ein wunderschönes Haus, das konnte Devon nicht bestreiten. Weitläufige, hohe Zimmer, Gewölbedecken, Erkerfenster, aus denen man einen Blick auf die ruhige, von Bäumen gesäumte Straße hatte, große Kamine, schöne Schlafzimmer und luxuriöse Bäder. In solch einem eleganten Haus voller Kunstwerke, opulenter Möbel und hochmoderner Annehmlichkeiten zu wohnen, hatte Devon sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können.
Und doch schien das Gregory Cole immer noch nicht zu reichen. Ihr Vater hatte in sich ein klaffendes, unersättliches Loch, das er mit Geld und Besitz zu füllen versuchte.
Devon unterdrückte ein Seufzen und betrat das Wohnzimmer. Ihr Vater stand vor dem kalten Kamin, der so riesig war, dass zwei erwachsene Männer hineingepasst hätten. Na gut – vielleicht nur anderthalb, wenn die Männer so groß waren wie Cain Farrell.
Ich muss endlich aufhören, an ihn zu denken.
Die Begegnung in seinem Garten lag gut eine Woche zurück, und er ging ihr einfach nicht aus dem Kopf. Wahrscheinlich war es ungesund, dass sie immer wieder über diese paar Minuten nachgrübelte und sie analysierte. Versuchte, sich einzureden, dass sein sanftes Streicheln ihrer Wange nur Dankbarkeit ausgedrückt hatte. Dass sie kein Begehren in seinen Augen gesehen hatte.
„Hey, Dad“, begrüßte sie ihren Vater. „Ist alles in Ordnung? In deiner Nachricht stand etwas von einem Notfall.“
Er runzelte die Stirn und musterte sie von Kopf bis Fuß. „Mein Gott, Devon. Was hast du nur an? Unfassbar, dass du dich so aus dem Haus wagst! Was, wenn einer meiner Geschäftspartner oder sonst jemand dich so sieht?“
Jemand hatte sie gesehen. Sogar viele Jemande. Die über hundert Kinder, die sie als Jugendkoordinatorin eines Stadtteilzentrums in East Boston betreute.
„Die meisten Schüler hatten heute wegen des Columbus Day frei. Es ist doch ein Feiertag! Deshalb haben wir einen Spieletag organisiert. Jeans und T-Shirt sind für Ballonwerfen und Brennball viel praktischer als ein Kostüm.“ Sie wusste, dass ihr Vater ihren Beruf für unwürdig hielt. „Was ist denn nun los? Weshalb sollte ich früher nach Hause kommen?“
Er ging zu der in die Wand eingebauten Bar hinüber. Erst nachdem er sich einen Drink eingegossen und einen Schluck getrunken hatte, wandte er sich ihr zu. „Ich habe wunderbare Neuigkeiten für dich, Devon. Wir haben einen ganz besonderen Gast zum Abendessen. Du musst sofort nach oben gehen und dich fein machen.“
„Das ist der Notfall?“ Ist das dein Ernst? hätte sie gern hinzugefügt. „Du hast doch mindestens dreimal die Woche Gäste. Warum ist es heute so wichtig?“
„Weil“, er musterte sie über sein Glas hinweg, „der Gast dein zukünftiger Ehemann ist.“
Devon schluckte schwer und stieß hervor: „Was?“
„Ich habe für dich eine Ehe mit einem der begehrtesten Junggesellen der Stadt arrangiert. Er stammt aus einer der reichsten Familien von Boston – besser könntest du es gar nicht treffen.“
Sie schüttelte den Kopf. In ihr Erstaunen mischte sich Panik. „Dad, du kannst nicht einfach eine Ehe arrangieren wie im Mittelalter. Ich bin eine erwachsene Frau und durchaus imstande, mir selbst den Mann auszusuchen, den ich einmal heirate. Und wenn ich das tue, dann hat er garantiert mehr zu bieten als ein volles Bankkonto.“
„Als dein Vater habe ich großes Interesse daran, wen du heiratest. Es geht nicht nur um dich“, erwiderte er. Der stahlharte Unterton in seiner Stimme machte ihr Angst.
„Da wir hier von meiner Zukunft reden, geht es ganz eindeutig um mich“, konterte sie gereizt.
Er marschierte quer durchs Zimmer zurück zum Kamin. Dort stellte er seinen Drink auf den steinernen Sims. „Ich habe dich großgezogen. Niemand weiß besser als ich, wen du heiraten solltest. Auch du nicht. Nachdem ich mir all die Mühe gemacht habe, um diese Ehe zu arrangieren, wirst du dich gefälligst auch entsprechend verhalten. Du wirst ihn heute Abend beeindrucken. Er hat Beziehungen. Dank mir wirst du in den höchsten Kreisen von Boston willkommen sein. Dann stehen dir alle Türen offen. Uns beiden. Ich lasse nicht zu, dass du das vermasselst.“
„Und was ist mit Zuneigung? Liebe? All dem, was zwischen dir und Mom war?“, flüsterte sie.
„Du siehst ja, wohin das geführt hat“, blaffte er. „Ich tue dir einen Gefallen, Devon. Falls du, was Gott verhüten möge, Witwe wirst, bleibst du nicht am Boden zerstört und gebrochen zurück. Halt dein Herz aus der Sache heraus, dann wirst du das beste Leben führen, das ich dir schenken kann.“
Ungläubig schüttelte Devon den Kopf. „Tut mir leid, das kann ich nicht. Du hältst eine arrangierte Ehe ja vielleicht für einen Segen, aber für mich wäre sie die Hölle. Ich heirate keinen Fremden.“
Und was für ein Mann ließ sich auf solch einen archaischen Unsinn ein? Was hatte ihr Vater ihm versprochen, um ihn davon zu überzeugen? Wenn er wirklich einer der begehrtesten Junggesellen von Boston war, hatte er die freie Auswahl unter allen möglichen Frauen. Devon war Realistin: Sie war freundlich, klug und fleißig, aber weder die Schönste noch die Reichste. Warum also sie?
„Du wirst es tun, Devon“, knurrte ihr Vater. „Weil ich dich großgezogen und so viele Opfer für dich gebracht habe.“
„Das hast du getan, weil du mein Vater bist“, antwortete sie. Wut über seinen Versuch, sie emotional zu erpressen, flammte in ihr auf. „Das tun Väter nun einmal.“
„Und Töchter sind für ihre Familie da“, herrschte er sie an. Er drehte sich um und nahm einen Schluck aus seinem Glas. Als er sie wieder ansah, schob er die freie Hand in die Hosentasche und musterte sie. „Devon, du wirst mitspielen …“
„Kommt nicht infrage“, unterbrach sie ihn.
Er redete weiter, als wäre sie ihm nicht ins Wort gefallen: „Denn wenn du es nicht tust, sorge ich dafür, dass die Finanzierung für das Stadtteilzentrum, das du so liebst, gekürzt wird. Ich überzeuge sämtliche Sponsoren, dass die Investition sich nicht lohnt. Du weißt so gut wie ich, dass es genügend andere wohltätige Zwecke gibt, in die das Geld fließen könnte.“
Ein Zittern durchfuhr sie, Hass flammte auf. Beschämung und ein schlechtes Gewissen folgten. Was für eine Tochter dachte so über den Mann, dem sie ihr Leben verdankte? Bevor ihre Mutter gestorben war, hatte sie Devon das Versprechen abgenommen, auf ihren Vater aufzupassen. Dieses Versprechen kettete Devon an ihren Vater. Mit sechsundzwanzig wohnte sie immer noch bei ihm und machte sich Sorgen um ihn, weil er sich ständig überanstrengte, getrieben von unsichtbaren Dämonen.
„Du würdest mir meinen Job wegnehmen – das, was mir am wichtigsten ist?“, fragte sie leise.
Er winkte verächtlich ab. „Ich habe dir schon oft gesagt, dass du diesen Job nicht brauchst. Du kannst dich in allen möglichen Komitees ehrenamtlich engagieren. Dort könntest du wirklich etwas bewegen und Beziehungen zu wichtigen Leuten knüpfen. Aber stattdessen bestehst du darauf, solch eine niveaulose Tätigkeit auszuüben. Also ja: Das nehme ich dir weg, wenn du mich dazu zwingst. Es wäre zu deinem Besten, auch wenn du zu stur bist, das einzusehen.“
Ihr Vater hatte recht. Es ging nicht nur um sie. Nicht wenn die Zukunft des Stadtteilzentrums auf dem Spiel stand. Seit vier Jahren war es für sie nicht nur der Ort, wo sie ihren Master in Sozialarbeit einsetzen konnte, sondern auch eine Zuflucht. Die Angestellten, die Kinder und die Senioren waren für sie ein Ersatz für die Familie, die sie in New Jersey zurückgelassen hatte. Wie egoistisch wäre es von ihr, sie alle um die Finanzierung zu bringen, nur um sich selbst zu retten? Das Zentrum würde Angestellte entlassen müssen. Viele Projekte, die dem ganzen Stadtteil dienten, würden eingestellt werden: die Kinderbetreuung und die Tagespflege für Senioren.
Nein – sie würde nicht zulassen, dass ihr Vater dem Zentrum schadete.
Aber sie würde auch nicht zulassen, dass er über ihre Zukunft bestimmte. Sie würde schon einen Ausweg finden, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie genau.
„Na gut, Dad“, sagte sie und verdrängte ihr mulmiges Gefühl. „Du hast gewonnen. Wenn du das Stadtteilzentrum in Ruhe lässt, mache ich mit.“
„Du wirst nicht nur den Mann heiraten, den ich für dich ausgewählt habe, Devon“, sagte ihr Vater. „Du wirst ihn glauben machen, dass es dein Traum ist, seine Frau zu sein. Diese Diskussion hier bleibt unter uns, verstanden?“
„Natürlich, Dad“, murmelte sie. „Du willst, dass meine Zukunft auf einer Lüge basiert. Verstanden.“
„Devon“, brüllte er, aber die Türklingel unterbrach ihn.
Gleich darauf erschien ihre Haushälterin. „Sir, es tut mir leid, Sie zu stören, aber da ist ein Herr an der Tür. Er behauptet, dass Sie ihn erwarten. Ich habe ihn ins Empfangszimmer geführt …“
„Da ich ja fast schon zur Familie gehöre, finde ich das viel zu förmlich“, verkündete eine dunkle, samtige Stimme.
Devon kannte diese Stimme.
Hatte sie in ihren Träumen gehört.
Nein, nein. Das kann nicht sein.
Langsam drehte sie sich um, als könnte sie noch hinauszögern, was ihr Herz und die Hitze, die sich in ihrem Bauch sammelte, ihr schon verrieten.
Aber weder ihre Ohren noch das Begehren, das in ihr aufloderte, logen sie an. Nur ein einziger Mann löste in ihrem Körper diese seltsame Anspannung aus, eine Mischung aus Vorfreude, Verlangen, Aufregung und Nervosität. Und er stand in ihrem Wohnzimmer.
Cain Farrell.
Entzücken explodierte in ihr, und der Anfang eines Lächelns umspielte ihre Mundwinkel. Sie trat einen kleinen Schritt auf ihn zu, aber dann drangen seine Worte zu ihr durch.
Da ich ja fast schon zur Familie gehöre …
Ruckartig blieb sie stehen.
Sie warf einen Blick über ihre Schulter zu ihrem Vater. Sein selbstgefälliges Grinsen bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen.
Sie wandte sich wieder dem stillen, grüblerischen Mann zu, der nur wenige Meter von ihr entfernt stand. Instinktiv wusste sie, dass er eine noch größere Gefahr darstellte als ihr Vater. Nicht physisch. Obwohl sein hochgewachsener, breitschultriger Körper das Zimmer zusammenschrumpfen ließ, hatte sie keine Angst, dass er seine Größe gegen sie einsetzen würde. Nein, die Gefahr, die er ausstrahlte, war nicht greifbar.
Sie schluckte und ging wieder auf ihn zu. Sein Name lag ihr auf der Zunge. Aber er sah von ihrem Vater zu ihr. Und wieder blieb sie stehen.
In diesen Wolfsaugen funkelte kein Humor, auch keine Bewunderung oder auch nur Verwirrung.
Abscheu.
Er starrte sie voll schierem Abscheu an.
Cain Farrell hasste sie.
Und sie konnte es ihm nicht verdenken.
Devon.
Ihr Verrat traf Cain wie eine Rasierklinge.
Er hatte nur zehn Minuten lang mit ihr gesprochen, kannte noch nicht einmal ihren Nachnamen. Und dennoch …
Dennoch hatte er von ihr geträumt. Sie in Gedanken zu einem Muster an Freundlichkeit, Unschuld und Anstand stilisiert.
Er war so ein Dummkopf gewesen.
Er hatte gedacht, es wäre unmöglich, noch einmal so wütend zu werden wie bei Mr. Coles Besuch in seinem Büro. Er hatte sich geirrt.
Vorhin war er nur wütend gewesen.
Jetzt war er rasend.
Sie hatte ihn manipuliert. Hatte das Treffen im Garten seiner Mutter wahrscheinlich bewusst arrangiert. Er war auf sie hereingefallen. Hatten sie und ihr Vater sich hinterher über ihn amüsiert? Sich dazu gratuliert, ihn hinters Licht geführt zu haben?
Und nun tat sie auch noch schockiert. Ein Hauch von Traurigkeit stand in ihren smaragdgrünen Augen und ließ ihn fast explodieren. Kein Wunder, dass Mr. Coles Augen ihm so bekannt vorgekommen waren. Er hatte schon einmal in solche grünen, trügerischen Tiefen gestarrt.
Nie wieder. Er würde diesen schönen Augen und diesen sinnlichen Lippen ihre Lügen nie mehr abnehmen.
„Cain, was für eine Überraschung. Wir hatten erst zum Abendessen mit dir gerechnet“, begrüßte Mr. Cole ihn und streckte ihm lächelnd die Hand hin.
Macht er Witze?
Cain starrte auf Mr. Coles Hand hinab, bis dieser, hochrot im Gesicht, den Arm wieder sinken ließ.
„Sie mögen mich ja vielleicht dazu erpressen, Ihre Tochter zu heiraten, aber glauben Sie ja nicht, dass uns das zu Freunden macht. Ich habe Sie gewarnt. Sie bekommt nur meinen Namen. Das ist alles. Keine Höflichkeiten. Und kein Abendessen. Ich bin hier, um die Person kennenzulernen, die so dringend in der Gesellschaft Fuß fassen will, dass sie ihrem Vater erlaubt, ihretwegen zu kriminellen Mitteln zu greifen.“ Er richtete den Blick wieder auf Devon und registrierte befriedigt, dass alle Emotionen aus ihrem Gesicht verschwunden waren. „Und nun, da ich sie kennengelernt habe, will ich einen Moment lang unter vier Augen mit meiner Verlobten sprechen. Das macht dir doch sicher nichts aus, Devon?“
Mr. Cole warf seiner Tochter einen scharfen Blick zu. Gekonnt tat sie so, als fühlte sie sich schuldig. Ihre dichten Wimpern sanken herab, und sie sah ihrem Vater nicht in die Augen. Netter Versuch, aber Cain war überzeugt, dass sie die willige Komplizin ihres Vaters war.
„Devon?“, blaffte ihr Vater, und Cain musste die Zähne zusammenbeißen, um ihn nicht spontan zur Ordnung zu rufen.
„Wir können gern miteinander sprechen“, murmelte sie an Cain gewandt und ignorierte ihren Vater.
Die dichten Wimpern hoben sich. Er sah ihrem Blick die Entschlossenheit an. Die würde sie auch brauchen. Denn sie hatte genauso viel Gnade verdient, wie sie und ihr Vater ihm gewährten.
Gar keine.
Cain sah die Wut in Mr. Coles Augen und die Anspannung seiner Schultern.
Er genoss den Anblick.
„Gut“, knurrte Mr. Cole. „Zwanzig Minuten.“
Er marschierte aus dem Zimmer.
Sobald er verschwunden war, wandte Cain sich Devon zu und applaudierte. „Gut gemacht“, sagte er ironisch. „Ich gratuliere dir zu der gelungenen Vorstellung. Dein Vater muss stolz auf seine Musterschülerin sein.“
„Cain, es tut mir leid“, flüsterte sie.
„Was? Dass du mir auf der Trauerfeier aufgelauert hast? Oder dass du mit deinem Vater zusammenarbeitest, um mich zu erpressen?“
Dass du mich zum Narren gehalten hast? Dass du mich in dem Glauben gelassen hast, es gut mit mir zu meinen? Dass ich mich so viele verschwitzte Nächte lang nach einer Frau gesehnt habe, die gar nicht existiert?
Er biss die Zähne zusammen und ging an ihr vorbei zu der Bar, die er schon entdeckt hatte, als er das luxuriös eingerichtete Zimmer betreten hatte. Ein Teil von ihm sträubte sich dagegen, etwas anzurühren, das Gregory Cole gehörte – einschließlich seiner Tochter.
Aber ein anderer Teil von ihm gestand sich ein, dass dieses Gespräch einen Drink erforderte. Und dass er seine Hände beschäftigt halten musste, damit sie nicht gegen seinen Willen die gefährlichen Kurven erkundeten, die das schlichte, langärmlige T-Shirt und die eng anliegende Jeans so gut zur Geltung brachten.
Sie war wie ein Maiglöckchen – anmutig und scheinbar unschuldig. Aber giftig, wenn man darauf hereinfiel.
Er goss sich Scotch in ein Glas, stürzte den Alkohol in einem Zug hinunter und schloss die Augen. Er musste sich von der Frage ablenken, ob ihre schönen Brüste wohl über seine Hände hinausquellen würden, wenn er sie umfasste. Ob ihre Brustwarzen wohl etwas heller waren als ihr goldbraunes Haar oder doch eher rosig.
Er goss sich noch einen Drink ein, um sich einzureden, dass es ihm egal war.
Aber es gab nicht genug Scotch auf der Welt, um ihn davon zu überzeugen.
„Cain, ich weiß, dass du mir nicht glauben wirst, aber es tut mir leid, dass du in diese Sache hineingezogen worden bist …“ Sie brach ab.
Er stürzte seinen zweiten Drink hinunter und schmetterte das Glas auf die Theke. „Du klingst ja, als hättest du nichts damit zu tun. Als würde dein Egoismus mein Leben nicht ruinieren. Ich habe keine Wahl, aber du? Alles, was du tun musst, ist, deinem Vater zu sagen, dass du nicht mitmachst.“
Sie strich sich die Haarsträhnen, die ihrem Pferdeschwanz entschlüpft waren, aus der Stirn, und wandte sich ab. Nun konnte er ihr Profil betrachten. Ihre hohe Stirn. Ihre freche Nase. Ihre vollen Lippen. In der materialistischen und oberflächlichen Gesellschaft von heute war Schönheit wie ihre nicht gefragt. Das bewies, dass die Gesellschaft ebenso dumm wie blind war.
Ihre Kurven konnten einem Mann zum Verhängnis werden.
So weit kommt’s noch. Er würde vielleicht an sie gefesselt sein, aber er würde sich nicht von seinem Begehren ins Verderben reißen lassen.
Ihr Brustkorb hob und senkte sich bei einem hörbaren Atemzug. „Ich kann keinen Rückzieher machen.“
Mit der Antwort hatte er gerechnet. Dennoch erschütterte sie ihn. Als hätte ein kleiner Teil von ihm sich noch an die Hoffnung geklammert, dass er sich in ihr getäuscht hatte.
„Es läuft mir zwar bei der Vorstellung kalt den Rücken runter, mich an eine geldgierige Zicke und ihren widerlichen Vater zu ketten, aber ich bin trotzdem froh, dass du das gesagt hast“, murmelte er.
Ohne ihr leichtes Zurückzucken zu beachten, ging er auf sie zu. Sie machte einen Schritt rückwärts, aber das Sofa war im Weg. Das nutzte Cain aus. Er hatte sie zwischen sich und dem protzigen Möbelstück in der Falle. Er hielt sich gerade noch davon ab, die Brust an ihre zu pressen, aber er war ihr so nahe, dass ihr Duft – eine sinnliche Kombination aus Honig und Zitrusnoten – ihm in die Nase stieg. Ihn aufreizte. Er wehrte sich dagegen und musterte sie.
Es war ihm egal, dass sowohl sein Blick als auch seine Distanzlosigkeit nicht nur unhöflich, sondern absolut unangemessen waren.
Nichts an dieser Sache war angemessen.
„Wenn ich alles tue, was in meiner Macht steht, um dir das Leben zur Hölle zu machen, weißt du wenigstens, warum du von mir keine Gnade zu erwarten hast. Ich hoffe, du hast den einen Moment der Befriedigung genossen, als dein Vater dir gesagt hat, dass du mich am Haken hast. Denn das war das letzte Mal, dass du so etwas empfunden hast.“
„Fühlst du dich besser, wenn du mir drohst?“, fragte sie, und er hasste ihren gelassenen Ton. Als wäre er der Einzige, der in Gefühlen ertrank.
Er wollte unbedingt, dass sie mit ihm unterging.
„Ja“, sagte er.
Seine unverblümte Antwort ließ sie blinzeln.
„Aber du musst mir nichts mehr vormachen, Süße“, fuhr er fort. „Tu bloß nicht länger so, als wärst du die nette, ehrliche Frau, die ich im Garten getroffen habe.“ Er hob die Hand und fuhr in einer spöttischen Wiederholung seiner Geste von damals über ihre Wange. Mittlerweile wusste er, dass ihr vermeintlich weiches Herz in Wirklichkeit aus Stein war. „Das ist vielleicht das Einzige, was du an unserer Ehe genießen wirst: dich nicht verstellen zu müssen. Ich weiß jetzt schon, dass du eine eiskalte Neureiche bist, die alles tut, um zu bekommen, was sie will.“
Feuer blitzte in ihren Augen auf. Mein Gott. Erregung vermischte sich mit dem Zorn in seinem Blut und schuf eine unheilige Mischung, die er kannte: Begehren. Er verabscheute alles, wofür Devon stand, aber das hinderte die Lust nicht daran, ihn so heftig zu packen, dass es wehtat.
„Braves Mädchen“, raunte er und fuhr mit dem Daumen über ihre volle Oberlippe. Er drückte sanft darauf. Er spürte ihren Atem auf seiner Haut. Bevor er sich davon abhalten konnte, hatte er schon den Kopf über ihren geneigt, sodass seine Stirn fast ihre berührte. „Ich will das Feuer sehen, das du hinter deiner gespielten Unschuld versteckst.“
Sie schob die Arme zwischen sich und ihn, stemmte die Hände gegen seine Brust und stieß ihn von sich. Er rückte von ihr ab und erkannte an ihrem bitteren Lächeln, dass sie so gut wie er wusste, dass sie sich nur hatte befreien können, weil er es zugelassen hatte.
„Du kennst mich nicht“, fuhr sie ihn an. „Zehn Minuten in meiner Gesellschaft machen dich nicht zum Experten darin, wer ich bin. Und schmeichle dir nicht: Du hältst dich ja vielleicht für eine wunderbare Partie, aber du bist nicht der Einzige, der hier ein Opfer bringt. Im Gegensatz zu dem, was du glaubst, geht es nicht nur um dich.“
„Beweis es mir“, sagte er. „Ruf deinen Vater herein, und setz allem ein Ende.“ Als sie nicht reagierte, verzog er die Lippen zu einem zynischen Lächeln. „So viel dazu. Rechtschaffene Empörung steht dir nicht, Süße.“
Sie seufzte. „Hör zu, Cain. Ich …“