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Nicht nur in der Großstadt geschehen spannende Geschichten. Der Auftakt in ein neues Leben beginnt für drei Freunde mit einem Mord. Alfons Amling, Bertram Batz und Carl Cornet, in Insiderkreisen bekannt als das ABC-Trio, sind drei liebenswerte ältere Ganoven, deren Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Diese verbringen sie in einem niederrheinischen Dorf. Doch sie hatten sich ihre Zeit außerhalb der Gefängnismauern anders vorgestellt. Denn unverhofft geraten sie mit ihrer Bewährungshelferin Fiona Parker in einen Mordfall und müssen alles daran setzen, um ihre Unschuld zu beweisen. Dabei geschehen rätselhafte Ereignisse, die sie zu lösen haben.
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Seitenzahl: 352
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KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
Die Türen ihrer Zellen öffneten sich gleichzeitig automatisch, fast wie von Geisterhand.
Drei Männer traten einen Schritt über die Schwelle und blieben dann, bepackt mit ihren Habseligkeiten, stehen. Schweigend sahen sie sich an. Das waren ihre letzten Augenblicke in dieser nordrheinwestfälischen Haftanstalt.
Sie hatten den Zenit ihres Lebens bereits überschritten. Aufgrund des ‚hohen‘ Alters war vorgesehen, dass sie den Rest ihrer Strafen in einer Art 'Senioren-Gefängnis-WG' abbüßten, quasi eine Strafaussetzung zur Bewährung.
Doch uneigennützig war dieses Vorgehen von Seiten der Einrichtung nicht.
Experten wiesen nach, dass die Menschen im Strafvollzug einer schnelleren Alterung unterlagen und stuften Insassen ab 55 Jahre mit 'alt' ein.
Auf diese Häftlinge war man nicht genügend vorbereitet – weder was den sanitären Bereich betraf, noch anderweitig - und ihre Zahl stieg stetig an, so dass es langsam an Platz fehlte.
Die drei Insassen waren deshalb ideale Versuchspersonen, mit denen man dieses Wagnis riskierte. In der JVA verhielten sie sich vorbildlich. Sie waren zuvorkommend, fielen nicht negativ auf, mustergültige Vorzeige-Gefangene.
Ein vom Gericht bestellter Sachverständiger untersuchte sie und fertigte über jeden von Ihnen ein Gutachten an. Das bescheinigte ihre Harmlosigkeit sowie ein geringes Rückfallrisiko.
Aus diesem Grund unterbreitete man ihnen diesen Vorschlag, von dem sie anfangs nicht begeistert waren. Erst nach längeren Gesprächen mit ihren Rechtsbeiständen und der Staatsanwaltschaft willigten sie ein.
Zwar verbrachte jeder die Strafe in einer Einzelzelle, was großzügig war, dennoch gab es Beanstandungen.
Angefangen bei den geringen Quadratmetern, der defekten Lüftung, den ungeeigneten Betten.
Was am meisten störte, war, dass die ebenfalls zu niedrige Toilette nicht separat untergebracht war, sondern sich direkt neben der Türe befand.
Sie besaß keinen Deckel, geschweige denn einen WC-Sitz. Nach dem Stuhlgang verteilte sich der Gestank dementsprechend in dem kleinen Raum.
Da jeder von ihnen alleine eine Zelle ‚bewohnte‘, war es erfreulich, dass wenigstens kein anderer Mitgefangener dabei zusah.
Es war unangenehm genug, immer im Rudel zu duschen, ohne jegliche Privatsphäre.
Das Mobiliar war abgewetzt. Ein kleines, mit Gittern versehenes Fenster, aus dem es nur möglich war, herauszusehen, wenn man sich auf einen Stuhl stellte, ließ Tageslicht herein.
Das war alles unangenehm.
Vielleicht, so schöpften sie Mut, wäre es, nach all dem Mist den sie verzapft hatten, nett am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, ohne Zwang, wie in dieser abgeschlossenen Welt.
In größeren Räumen mit entsprechender Ausstattung. Dass es 'draußen' ebenfalls Pflichten gab, war ihnen bewusst.
Es erschien reizvoll, den Lebensabend nicht auf dem Abstellgleis zu fristen. Ihn ‚normal‘ zu verbringen, statt hinter hohen Mauern mit Kilometern von Stacheldraht, umgeben von Hoffnungslosigkeit und Frustration.
Den größten Teil ihres Daseins hatten sie in einer Vollzugsanstalt verbracht. Sie lernten sich vor langer Zeit in einer Kneipe kennen und empfanden sofort Sympathie füreinander.
Nach ein paar Bieren schmiedeten sie die Ausführung ihres ersten gemeinsamen 'Husarenstücks'.
Es handelte sich bei ihnen nicht um Schwerverbrecher, eher um sympathische Ganoven. Sie 'arbeiteten' seit ihrer ersten Begegnung immer zusammen.
Die Aufgaben verteilten sich bei ihren Verfehlungen stets gleich.
Alfons Amling war gelernter Automechaniker und zuständig für die 'Bereitstellung' der Fahrzeuge.
Er saß als Autoknacker die Jahre ab.
Bertram Batz verstand sich ausgezeichnet auf die Manipulierung von Menschen und Daten.
Der Richter verurteilte ihn wegen Betruges.
Carl Cornet verschaffte sich Respekt bei seinen Zellengenossen, erst recht bei den jüngeren, da er ein Genie am Computer war. Das Gericht sah das anders und verhängte eine Strafe wegen Cyberkriminalität.
Zweifelsohne waren Betrugsdelikte der absolute Klassiker ihrer Missetaten.
Durch die Möglichkeiten des Internets vermischten sich diese Straftaten unweigerlich, je länger sie sich kannten.
So entstanden hunderte günstige Gelegenheiten, den Opfern das Geld abzuluchsen. Ihrer Fantasie waren nahezu keine Grenzen gesetzt.
Sie erstellten ‚Fake-Shops‘ und kassierten ordentlich Geld für nicht gelieferte Handelsgüter. Sie stellten ertragreiche Nebenjobs in Aussicht und versprachen hohe Gewinne. Doch zuvor zahlten Menschen, die dafür Interesse zeigten vermeintlich anfallende Gebühren. Sie boten ‚Super-Ferienhäuser‘ zum Schnäppchenmietpreis an, obwohl sie ihnen nicht gehörten.
Ihre Methoden gestalteten sich raffiniert, sahen täuschend echt aus und änderten sich ständig im Detail.
Zu ihrem Bedauern misslang ihr letzter Coup.
Man fasste sie und sperrte sie für einige Zeit weg.
Für acht lange Jahre. Die Strafe fiel relativ hoch aus, da sie zu den Wiederholungstätern zählten.
Zusammen nannte man sie das 'ABC-Trio'.
Sie richteten sich darauf ein, bis zu ihrem Lebensende im Knast zu verbleiben.
Das empfanden sie nicht dramatisch. Sie hatten ein Dach über dem Kopf, immer genügend zu essen, und für die Unterhaltung sorgten neben den gemeinsamen Fernseh- und Spieleabende, auch die anderen Mitgefangenen.
Ein geordneter Tagesablauf mit einem strukturierten Arbeitsalltag war wichtig für sie. Aufgrund dessen berücksichtigte die Gefängnisleitung teilweise ihre persönlichen Fähigkeiten und Neigungen.
Zwar wünschte sich Cornet eine andere Aufgabe, nicht seinen Einsatz in der Anstaltsküche. Eine Bürotätigkeit schwebte ihm vor. Das hätte ihm die Möglichkeit verliehen, sich mit Computerdingen zu beschäftigen, von denen er besser die Finger ließ. Doch durch die kochende Tätigkeit bekam er Gelegenheit, für sich und seine beiden Freunde, übrig gebliebenes Essen mitzunehmen.
Batz führte, unter Aufsicht der Wärter, Reinigungsarbeiten in den Zellblöcken durch.
Damit schloss die Anstaltsleitung aus, dass er Betrügereien anzettelte. Ihm bot sich dennoch die Gelegenheit, mit anderen zu kommunizieren.
Allein Amling war in einer Abteilung eingesetzt, die seinem Naturell am ehesten entsprach. Ihm war erlaubt, anfallende Reparaturen zu verrichten.
Der Tag lief immer nach demselben Muster ab, was vorteilhaft war. So gab es keine unangemeldeten Katastrophen, die Versorgung war gesichert.
Um 6.00 Uhr morgens erfolgte das Wecken durch den Stationsbediensteten und nach dem Waschen sowie Ankleiden die Frühstücksausgabe für die Zellen. Das bedeutete, jeden Morgen Brot, Butter und Marmelade. Das Hauptgetränk war Tee.
An Sonntagen gab es ein gekochtes Ei dazu.
Von 7.00 bis 9.00 Uhr erfüllten sie ihre Arbeiten, unterbrochen von einer Frühstückspause in einem dafür vorgesehenen Saal.
Sodann war, bis zum Mittagessen um 12.00 Uhr arbeiten angesagt. Gegen 13.00 Uhr bis 16.00 Uhr fand der letzte Arbeitsabschnitt des Tages statt. Dann der Hofgang bis 17.00 Uhr, an den sich das Abendessen in den Zellen anschloss. Nachfolgend bot sich die Möglichkeit sportlicher Betätigung an. Das bedeutete meistens Fußball zu spielen oder Fitness zu verüben. Für die geistige Beweglichkeit offerierte man ihnen Backgammon und Schach.
In dieser Zeit war es gestattet, sich gegenseitig in den Zellen zu besuchen. Um 22.00 Uhr vollzogen sich der endgültige Einschluss und die Nachtruhe.
Die letzte Nacht lag hinter ihnen und bevor sie diese 'gastliche' Einrichtung verließen, war ein Abschlussgespräch mit dem Direktor Herrn Edwin Waldmann vorgesehen.
Ein Beamter geleitete sie stillschweigend zu dessen Büro und klopfte an die verschlossene Türe.
Auf eine Aufforderung, einzutreten, warteten sie vergebens.
Der Direktor, ein pummeliger Mann im Maßanzug mit blitzblank geputzten Lederhalbschuhen, öffnete persönlich die Türe und bat das Trio herein.
Er verfügte über eine mittelgroße Statur sowie einen vollen graumelierten Haarschopf und stand einige Monate vor seiner verdienten Pensionierung.
Ihm war bewusst, dass es sich um drei gewiefte Schurken handelte. Dennoch fand er sie liebenswert. In unbegreiflicher Weise waren sie ihm ans Herz gewachsen, denn er vertrat die Meinung, dass das Leben dieser Männer anders verlaufen wäre, wenn sie früher die nötige Unterstützung bekommen hätten.
Vor seinem Schreibtisch hatte er vier Stühle platziert. Eine einladende Handbewegung bedeutete ihnen, sich zu setzen, bevor er sich ebenfalls in einem bequemen Bürosessel fallen ließ.
Der vierte Stuhl war mit einer äußerst jungen Frau belegt. Der Direktor, von allen 'Chef' genannt, egal ob Angestellter oder Insasse, stellte ihnen ihre zukünftige Bewährungshelferin vor.
Irritiert sahen sich die Weggefährten an und überlegten:
'Wer sollte denn hier auf wen aufpassen. Sie waren doch nicht das Kindermädchen von diesem jungen Girl.'
Zwar bemerkte der Chef, eine gewisse Unruhe bei den Mannsbildern, er ließ sich davon jedoch nicht aus seinem Konzept bringen und trug seine Abschiedsrede vor:
"Meine Herren, heute ist Ihr entscheidender Tag. Statt Ihren Lebensabend im Gefängnis zu verbringen, verlassen Sie diese Einrichtung, um in einem vom Staat finanzierten Pilotprojekt zu beweisen, dass es möglich ist, Resozialisierte wieder erfolgreich in die Gesellschaft zu integrieren. Ich weiß, dass dies nicht leicht für Sie wird. Die Zahl derjenigen, die es 'draußen' nicht schaffen ist hoch. Jeder Dritte wird in den ersten drei Jahren nach seiner Entlassung straffällig.
Das belegt eine Rückfallstatistik des Bundesministeriums der Justiz."
Er schmunzelte, sah er sich doch drei, bald zur Bewährung ausgesetzten, Gefangenen gegenüber sitzen. Dann redete er weiter.
"Wenn das stimmt und ich abzählen würde, käme also mindestens einer von Ihnen wieder hinter Gitter, falls es in der 'Wohngemeinschaft' nicht funktioniert. Auch wenn wir bereits versucht haben, Sie in dieser Einrichtung auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten, durch die Therapien, die Berufstätigkeit und vieles mehr, so wird Ihnen für die Zeit Ihrer Bewährung Frau Fiona Parker zur Seite stehen und Sie überall dort unterstützen, wo es nötig ist. Das bedeutet, sie achtet für die nächsten Monate, also bis zum Erlass Ihrer Strafen auch darauf, dass die Auflagen und Weisungen befolgt werden, die das Gericht verhängt hat. Vor allem sorgt sie dafür, dass Sie, meine Herren, straffrei bleiben. Das ist eine Art 'Übergangsmanagement' und Frau Parker ihre Fallmanagerin."
Wie aufs Stichwort erhob sie sich und gab jedem die Hand.
Verdutzt ließen die Freunde es geschehen und musterten sie eindringlich.
Fiona Parker war Mitte zwanzig und 1,75 groß.
Sie sah wesentlich jünger aus. Lag es an ihrer sportlichen straffen Figur, die eher knabenhaft wirkte, mit ihren langen endlos erscheinenden Beinen, der schmalen Taille und dem wenig vorhandenen Busen? Oder doch eher, an dem Schriftzug am zarten Hals, bestehend aus dem Motto 'Seize the day' und dem hochglänzenden bitterschokoladenfarbenen Undercut-Pixie?
Beide Merkmale ließen darauf schließen, dass sie eine rebellische Ader besaß.
Ihre roten, vollen Lippen wirkten ohne künstliche Farbe. Man sah ihr eh zuerst in die katzenartigen salbeigrünen Augen, umrandet von langen schwarz getuschten Wimpern. Sie stellte eine exotische Erscheinung mit makellos gebräunter Haut dar.
Sportiv wie ihre Figur fiel ihr Outfit aus. Sie trug eine olivfarbene Cargo-Hose, schwarze Jeansjacke, darunter ein kurzärmliges weißes T-Shirt, alles Markenprodukte und dunkle teure Sneakers. Auf dem Boden, neben dem Stuhl, lag ein schwarzer 'Buckle and Seam' Rucksack aus hochwertigem Leder.
Carl fiel sofort ihre erstklassige Smartwatch auf.
So wie sie von ihnen gemustert wurde, beäugte sie die Männer.
Sie hatte einige harte Jungs wieder in die richtige Spur gebracht. Mit diesen alten skeptischen Knochen würde es nicht leicht werden, das erspürte sie instinktiv.
Aus den mit Fotos versehenen Akten der Ganoven, die sie ausgiebig studiert hatte, besaß sie einige Kenntnisse über ihre neuen Klienten.
Sie durchspielte die Daten in Gedanken und verknüpfte sie mit ihrem ersten Eindruck.
Vorbildlich für diese Haftanstalt war, dass die Häftlinge einen Vollzugsplan durchliefen, der festlegte, an welchen Schwächen gearbeitet und welche Ziele erreicht werden sollten.
Fiona hatte alle drei Pläne sorgfältig durchgearbeitet und war bestens auf ihre zukünftigen Schutzbefohlenen vorbereitet.
Alfons Amling war gelernter Automechaniker, zweiundsechzig Jahre alt. Saß die Strafe ab, da er seine erworbenen Autoknackerkenntnisse einsetzte. Der einzige Bruder von drei Schwestern, hatte es im heranwachsenden Alter nicht leicht. Bei dieser Menge an Weiblichkeit flüchtete er förmlich in einen für damalige Verhältnisse reinen 'Männerberuf'. Er geriet auf die schiefe Bahn, weil alle Firmen, bei denen er beschäftigt war, pleitegingen. Da seine Gesichtszüge trotz seines Alters und der extrem breiten Stirn nicht sonderlich scharf umrissen waren, trug er zu seiner Glatze einen Bart, der mittlerweile mehr weiß als grau war. Das ließ ihn männlicher erscheinen.
Seine Hautfarbe erschien blass, er besaß eine schmächtige Figur. Alfons hatte immer ölverschmierte Hände und Dreck unter den Fingernägeln, da er andauernd irgendetwas auseinandernahm und zusammensetzte, am liebsten Motoren, egal welcher Art. Denn in technischen Problemen wies er eine enorme Geschicklichkeit auf, eben ein Tüftler. Dabei sah er nie schmuddelig aus. Am liebsten trug er Jeanshosen mit karierten Hemden.
Bertram Batz hatte soeben seinen sechzigsten Geburtstag erreicht. Er besaß keinen Berufsabschluss. Nach der Mittleren Reife brach er eine Bürolehre ab, nachdem er mit seinem Ausbilder aneinandergeraten war.
Unterordnung lag ihm nicht. Mit Gelegenheitsjobs hielt er sich mehr schlecht als recht über Wasser.
Er war das 'schwarzes Schaf' in der Familie, die im Verlauf seiner ersten Haftstrafe jeglichen Kontakt zu ihm abbrach.
Er hatte ein volles, rundes Gesicht, große Augen, die einen unschuldigen Blick ausstrahlten, trotz seiner buschigen Brauen. In der Schule luchste er seinen Mitschülern Geld ab für nicht erbrachte Leistungen und verstand es brillant, den Ahnungslosen darzustellen. Den gewieften Betrüger sah man ihm nicht an. Er war ein charmanter Gesprächspartner und ein ausgezeichneter Menschenkenner, dem man sich gerne anvertraute. Bertram wirkte harmlos, so als könne er keiner Menschenseele Ungutes zufügen. Sein Körper war ebenfalls rundlich, mit etlichen Kilos Übergewicht, Marke kuscheliger Teddybär. Sein volles Haar, auf das er stolz war, färbte er seit Jahren mit 'Men Perfect Anti-Grau'.
Vom Kleidungsstil her ordnete ihn Fiona in die Kategorie 'Casual' ein.
Seit Kurzem litt er an Bluthochdruck. Die Ursache dafür lag an einem jahrelangen übermäßigen Zigarettenkonsum sowie seinem Übergewicht und der mangelnden Bewegung.
Fiona fühlte sich verpflichtet, dagegen ebenfalls etwas zu unternehmen. Das hieß: Ihm nahe zu legen, auf die Zigaretten zu verzichten und sich zur Gewichtsreduzierung mehr zu bewegen.
Kein leichtes Unterfangen.
Carl Cornet war immens belesen. Er hatte den Ruf eines Computergenies und nutzte seine Fähigkeiten vor allem, um in der Rubrik der Cyberkriminalität Geld heranzuschaffen.
Er war ein Einzelkind, wuchs in einem sogenannten 'guten Elternhaus' auf, Nachkomme von wohlhabenden Leuten, Jahrgangsbester beim Abitur. Er studierte als einer der ersten die Fachrichtung Informatik und bis zum Vordiplom verlief alles in gewohnten Bahnen.
Doch dann gelangte die Firma seines Vaters unverschuldet in die Insolvenz. Die Schande war für seinen Erzeuger zu groß und ein Mitarbeiter fand ihn eines Morgens leblos in seinem Büro vor. Er hatte sich erschossen. Um die angehäuften Schulden zu tilgen, verkaufte seine Mutter die Villa, in der sie bis dahin lebten. Das reichte allerdings nicht. Carl brach sein Studium ab, um Geld zu verdienen, geriet in die falschen Kreise und saß schneller, als ihm lieb war im Knast. Das verzieh ihm seine Mutter nie.
Mit seinen fünfundsechzig Jahren war er der Älteste, wirkte durch seine sportliche Figur, die kein Gramm Fett zu viel aufwies, und einer Größe von 1,90 m, durchaus jünger und agiler. Sein kantiges, quadratisches Gesicht mit hohen Wangenknochen signalisierte seinem Gegenüber Männlichkeit, Durchsetzungsvermögen und Stärke. Der Kurzhaarschnitt unterstrich diesen Eindruck und ließ ihn umso markanter erscheinen, ein höchst attraktiver Mann.
Allen gemeinsam war ein verschmitztes Lächeln und das niemand von ihnen verheiratet war.
Ob sie leibliche Kinder hatten, wussten sie nicht.
Zwar beurteilten sie sich nicht als Kostverächter, was ihre Beziehungen zu Frauen betraf. Für eine dauerhafte Verbindung mit dem anderen Geschlecht brachten sie hingegen nicht die nötige Geduld und Beständigkeit auf. Das einzig Permanente in ihrem Leben war ihre innige Freundschaft zueinander.
Der Direktor sah von einem zum anderen und führte seine Rede fort:
"Auf Ihnen liegt eine große Last. Sie müssen nicht nur Ihr eigenes Leben in den Griff bekommen, sondern sind gleichzeitig Vorreiter für dieses Pilotprojekt, das fortgesetzt werden soll, wenn es von Ihnen erfolgreich absolviert wird. Bereiten Sie mir also keine Schande. Nach Ablauf der Bewährungszeit wird Ihnen die Strafe erlassen, wenn es keinen Anlass zum Widerruf gibt. Begehen Sie abermals eine Straftat, verstoßen gegen Weisungen und Auflagen oder entziehen sich der Aufsicht und Leitung von Frau Parker, landen Sie schnell wieder hier, was ich bedauern würde.
Wie Ihre Auflagen und Weisungen aussehen, besprechen Sie mit ihr im Anschluss an diese Unterredung. Haben Sie das soweit alles verstanden?"
Die Kameraden sahen sich fragend an und Carl ergriff das Wort:
"Chef, Sie haben das alles schön formuliert. Dennoch, so richtig angekommen ist das bei uns nicht."
Verständnisvoll nickte der Direktor.
"Ich sehe ein, dass ich Ihnen viele neue Informationen mitgeteilt habe. Das müssen Sie erst verarbeiten. Dafür haben Sie jetzt ihre Bewährungshelferin. Sie wird Ihnen alles Unklare nochmals erläutern."
Fiona erhob sich von ihrem Stuhl und bedankte sich bei Herrn Waldmann für die einleitenden Worte. Sie stellte sich so hin, dass alle sie ansahen, und dann erfolgte ihre Rede.
"Meinen Namen und meine Funktion wissen Sie bereits. Ich fasse mich kurz, da wir auf dem Weg zu Ihrer Unterkunft sind und dort in Ruhe die Angelegenheit besprechen. Lassen Sie mich dennoch so viel sagen. Der Neubeginn nach einer längeren Gefängnisstrafe ist nicht leicht. In Ihrem Fall ist es in doppelter Hinsicht schwierig.
Sie müssen lernen, ein eigenständiges Leben zu meistern und uns beweisen, dass Ihnen die Reststrafe nach einer vorher festgelegten Zeit erlassen wird, wenn Sie alle Auflagen und Weisungen befolgt haben und in der Lage sind, ohne rückfällig zu werden, zu leben.
Ihr Dasein verlief bis jetzt zum großen Teil fremdbestimmt. Jahrelang immer die gleiche Routine. Wecken um sechs Uhr, Frühstück, Arbeitsdienst oder die Zeit verstreichen lassen. Vom Essen bis zur Kleiderwahl war alles geplant. Das ändert sich nun und ich werde Sie unterstützen bei Ihrem Weg zurück in die Gesellschaft.
Es gibt auch vorneweg Positives zu berichten. Denn, im Gegensatz zu anderen Entlassenen ist es für Sie von Vorteil, dass Sie an unserem Pilotprojekt teilnehmen. Wir haben für Sie eine Wohnung angemietet und für jeden einen Arbeitsplatz gefunden. Des Weiteren unterstützen wir Sie bei finanziellen Dingen, da es unmöglich ist, von Ihrem im Gefängnis erworbenen Lohn die nötigen Anschaffungen zu tätigen, beispielsweise weitere Möbel für die Wohnung. Das wäre in Kürze alles. Wir fahren nun gemeinsam in Ihr neues Domizil und besprechen dort weitere Einzelheiten." Langsam begriff das Trio, dass es an der Zeit war, aufzustehen und sich von ihrem Direktor zu verabschieden. Herr Waldmann lief um seinen Schreibtisch herum und schüttelte jedem heftig die Hand. Bei allen kam Wehmut auf.
"Chef, wir werden Sie vermissen", äußerte sich Bertram, unterstützt durch das zustimmende Kopfnicken seiner Kumpel.
"Ich Sie auch, alle. Das ist jedoch kein Grund, hier zu bleiben", antwortete er lauter und strenger.
Das war überhaupt nicht seine Art. Er hasste Abschiede und bemühte sich, diesen möglichst schnell hinter sich zu bringen. An Fiona gerichtet äußerte er unmissverständlich seine Bitte und schob alle dabei in Richtung Tür:
"Dann packen Sie die Drei in Ihren Wagen und zeigen ihnen, dass die Wohnung viel schöner ist, als die hiesige Unterkunft."
"Das werde ich", kam ihre knappe Antwort, ein ebenso kurzer Handschlag und die Männer stapften ihr schweigend den Flur entlang bis zum Ausgang hinterher.
Draußen blieb sie abrupt stehen, drückte auf ihren Autoschlüssel und das typische Geräusch der Öffnung war hörbar. Zielstrebig lief sie auf einen schwarzen Mercedes Sprinter zu und öffnete dessen Fahrertüre.
"Cooler Wagen, erinnert mich an Mai '97", bemerkte Alfons.
Dabei sah er bedeutungsvoll zu den anderen, die im Bilde waren, was er meinte.
Fiona war, aufgrund des Aktenstudiums, ebenfalls informiert. Ihr war bewusst, dass die Schützlinge die Haustürbetrügereien, die sie damals vollzogen, damit meinten.
Sie verschafften sich zu jener Zeit, getarnt als Handwerker, unter einem Vorwand Zutritt zu den Unterkünften ihrer Opfer. Beispielsweise wiesen sie auf einen vermeintlichen Wasserrohrbruch hin, der schnell behoben werden musste. Meistens klingelte Bertram. Er verwickelte die Bewohner mit seinem schauspielerischen Talent in ein Gespräch, zog sie von der Wohnungstüre weg, ließ diese einen Spalt geöffnet und gab so Carl die Gelegenheit, die Räume nach Wertsachen zu durchsuchen.
Alfons, der extravagante, ausgefallene Autos liebte, organisierte und fuhr den Fluchtwagen. Damals war es ein gold-metallic leuchtender Transporter.
Die auffällige Farbe, die ihre Opfer einwandfrei beschrieben, sorgte dafür, dass die Polizei sie schnell fand und festnahm.
"Sie haben ebenfalls drei Fahrzeuge", sagte Fiona mit leicht ironischem Unterton, der ihnen nicht auffiel.
"Das ist großzügig", antwortete Bertram.
'Abwarten', dachte sie.
Die Habseligkeiten der drei Freunde fanden ausreichend Platz im Innenraum.
Carl beschlagnahmte für sich sofort den Beifahrersitz, wegen seiner Körpergröße, so dass seine Kumpel mit den hinteren Plätzen vorliebnahmen. Nachdem sich alle angeschnallt hatten, startete Fiona den Motor und sie fuhren aus der Großstadt hinaus.
Um die Fahrzeit aufzulockern, begann sie damit, die drei auf ihren neuen Lebensabschnitt vorzubereiten.
"Logischerweise ist Ihre Unterbringung etliche Kilometer von der JVA entfernt. Um Sie möglichst aus dem Dunstkreis Ihrer früheren Aktivitäten herauszunehmen, liegt Ihre Unterkunft abseits.
Wichtig ist, dass Sie zuerst die in Freiheit üblichen alltäglichen Routinen neu erlernen, um Ihre selbst gesteckten Ziele zu erreichen und die Zeit effektiv zu nutzen. Das bringt Struktur und Sicherheit in Ihr Leben und erspart Ihnen unnötigen Stress.
Wir erstellen gemeinsam 'To-do-Listen', auf denen alles notiert wird. So haben Sie Ihre Ziele immer in Reichweite, um zu überprüfen, ob sie eingehalten werden. Dabei ist eine gegenseitige Motivation hilfreich. Das frühe Aufstehen sind Sie gewohnt.
Sie sollten beibehalten, möglichst nach dem ersten Klingeln des Weckers das Bett zu verlassen.
Danach eine kalte Dusche, die wahre Wunder wirkt, da sie nicht nur hellwach macht, sondern gleichzeitig das Immunsystem des Körpers aktiviert. Anschließend ein gesundes Frühstück, das Energie und Kraft für den Tag gibt. Denn die werden Sie benötigen, wenn Sie die Arbeit überstehen wollen.
Da Sie bereits in der JVA eine Aufgabe hatten, wird es Ihnen nicht schwer fallen, die geregelten Arbeitszeiten einzuhalten.
Ich werde Sie bei Ihren ersten Einkäufen begleiten, beim Zubereiten der Mahlzeiten, obwohl Herr Cornet darin durch seine Kochtätigkeit geübt ist, und helfe beim Erstellen der Putzpläne. Wenn Ihnen noch Weiteres einfällt, raus damit!"
Sie sah in den Rückspiegel.
Alfons, der den Ausführungen widerwillig folgte, verdrehte die Augen. Zu seinem Sitznachbarn flüsterte er:
"Hört die nie auf zu reden?"
Carl rekelte sich ungeduldig. Sie fuhren an nie enden wollenden Feldern vorbei und er erkundigte sich:
"Dauert es bis zu unserem Ziel noch lange?"
Frau Parker überspielte geschickt, dass sie von den drei Männern nichts anderes erwartet hatte außer Genörgel.
"Sie gehören nicht zu den Geduldigsten. Daran werden wir ebenfalls arbeiten und die Ursache dafür herausfinden. Und um Ihre Frage zu beantworten:
Wir sind in ungefähr zehn Minuten da."
Mittlerweile hatten sie die Landstraße hinter sich gelassen und befuhren einen Waldweg.
Resigniert sprach Carl das aus, was die beiden anderen Männer erahnten:
"Das ist weit entfernt von jeglicher Zivilisation."
"Sie fürchten sich doch nicht im Wald?", fragte Frau Parker amüsiert und obwohl die Freunde erkannten, dass es ein Scherz war, antwortete Bertram:
"Witzig. Sie haben eine seltsame Art von Humor."
"Daran gewöhnen Sie sich", entgegnete sie lapidar und steuerte den Wagen geradewegs auf ein riesiges, stabiles Blockhaus zu. Es handelte sich um eine, aus erstklassigem Fichtenholz hergestellte, Spezialanfertigung.
"So meine Herren, hier ist Endstation. Das ist Ihre neue Heimat."
Alle verließen den Sprinter und die drei Männer sahen sich angenehm überrascht um. Bertram atmete tief durch und nahm nach einigen Sekunden die gesunde Luft wahr, er roch den Duft von Latschenkiefern.
Vor der Hütte standen zwei Trekkingräder und ein Lastenrad. Carl vermochte sich mit einer Anmerkung nicht zurückzuhalten.
"Ernsthaft? Das ist doch ein Scherz! Meinten Sie das, als sie von unseren Fahrzeugen sprachen?"
"Sehen Sie, dass ich lache?", entgegnete die Bewährungshelferin, die ein Kopfschütteln von ihm registrierte.
"Na also. Damit gelangen Sie überall hin: zur Arbeit, zum Einkaufen. Für den Möbelkauf, zu dem ich Sie begleite, nehmen wir den Transporter. Mal abgesehen von den Rädern, an die Sie sich gewöhnen, gefällt Ihnen, was Sie sehen?", fragte sie und zeigte auf die Hütte.
Alle nickten und Alfons bemerkte:
"Das ist idyllisch, fast wie Urlaub."
"Gut, dann nehmen Sie ihre Sachen und lassen Sie uns reingehen. Ich zeige Ihnen, wie es von innen aussieht", schlug sie vor.
Zur Erleichterung ihrer Klienten besaß diese Blockhütte kein bisschen Zellenflair. Die Fenster waren unvergittert. Die Türen ließen sich weit öffnen, so dass sie ohne Nachfragen umherstreiften und alles besichtigten.
"Wie Herr Batz feststellte, beginnt direkt vor Ihrer Haustür die freie Natur. Das Wanderwegenetz ist gut ausgeschildert, so dass Sie den Weg zu Ihrem Arbeitsplatz nicht verpassen werden. Ich stelle Sie dort übermorgen vor. Der Rest des heutigen Tages ist eine Art Einführung und Orientierung. Morgen besorgen wir die übrigen Möbel".
Sie betraten das Haus und standen inmitten eines riesigen Wohnraumes mit Kaminofen, der zu gemütlichen Abenden einlud, obwohl die Einrichtung spärlich war. An ihn schloss sich eine offene moderne Küche an, die mit allem ausgestattet war, einschließlich einem Ensemble aus imposantem Küchentisch mit sechs passenden Stühlen. Eine Holztreppe führte in die obere Etage.
Dort fanden sie drei gleich große Zimmer vor, ideale Rückzugsorte. Sie einigten sich schnell, wer welchen Raum für sich in Anspruch nahm.
Sie platzierten sofort ihre persönlichen Sachen am jeweiligen Ort, in dem lediglich ein seniorengerechtes Bett und ein Schrank vorhanden waren. Jeder sollte den Rest nach seinen Vorstellungen einrichten. Da lediglich ein geräumiges Bad zur Verfügung stand, schlug Fiona vor:
"Da es nur ein Bad gibt, das auf Ihre Bedürfnisse ausgerichtet ist, erstellen wir im Anschluss an die Besichtigung eine Vorlage für dessen Benutzung, ebenso einen Putz-, Einkaufs- und Kochplan."
Alfons, dem das zu schnell vonstatten ablief, legte ein Veto ein.
"War heute nicht ein Tag der Eingewöhnung geplant?"
"Wir sind mittendrin. Ein kleiner Tipp von mir.
Schieben Sie nie Dinge lange vor sich her, die sofort erledigt werden können. Glauben Sie mir, Sie fühlen sich wesentlich besser, wenn die Aufgaben zügig fertig gestellt werden."
Aus Mangel an anderen Sitzgelegenheiten nahmen alle auf den Stühlen am Küchentisch Platz.
Mittlerweile zeigte Fionas Uhr kurz vor zwölf und sie sah ihren Schützlingen an, dass sie hungrig waren.
"Bis gestern waren Sie gewohnt, um diese Zeit zu Mittag zu essen. Hier verpflegen Sie sich selbst.
Der Kühlschrank ist mit einer Handvoll Lebensmitteln gefüllt. Auf jeden Fall können Sie sich daraus eine schmackhafte Mahlzeit zubereiten.
Während der nächsten Stunde sind Sie damit beschäftigt. Das gibt mir die Gelegenheit, mich um Dilthey zu kümmern."
Bertram unterbrach sie.
"Ich dachte, wir wären die einzigen, die Sie in diesem Pilotprojekt betreuen?"
"Genau. Bei Dilthey handelt es sich um meinen Hund."
Welcher Hunderasse er angehörte, verschwieg Fiona, da sie der Meinung war, dass ihre Klienten es früh genug feststellen würden.
Carl grinste, ihm war der tiefere Sinn, der hinter dem Namen stand bewusst und er erklärte es Bertram.
"Wilhelm Dilthey war unter anderem ein Philosoph.
Er beschäftigte sich intensiv mit der Hermeneutik."
Bertram verstand kein Wort, nickte und sagte:
"Aha."
"Hermeneutik ist die Kunst, das Verstehen zu verstehen. Aus äußerlich gegebenen, sinnlich wahrnehmbaren Zeichen, ein Inneres, Psychisches zu erkennen", ergänzte Carl.
Das brachte seinen Freund nicht weiter, denn er verstand gar nichts mehr. Für ihn war Carl ein Genie. Er hatte auf jede Frage die richtige Antwort parat. Nicht nur dafür bewunderte er ihn.
Resigniert gab er von sich:
"Lass gut sein. Hauptsache ist doch, wir verstehen uns, Frau Parker versteht ihren Hund, der versteht sie. "
Alle grinsten.
"Übrigens, ich wohne da drüben."
Sie zeigte in Richtung einer freistehenden Baumgruppe, hinter der sich ein größeres Haus zu verbergen schien, das von ihrer Position aus nicht zu erkennen war.
Im Weggehen begriffen, sagte sie:
"Ich bin also in Ihrer Nähe und gegen 13.00 Uhr bei Ihnen, dann besprechen wir die weiteren Details.
Überlegen Sie sich, welche Möbel Sie noch benötigen."
In diesem Moment bedauerten sich die drei Weggenossen. Nicht genug, dass alles um sie herum neu und gewöhnungsbedürftig war, fühlten sie sich unglücklich darüber, dass ihre 'Aufpasserin' so nah bei ihnen wohnte.
Das war doch wie im Knast, mit dem Unterschied, dass sie sich zusätzlich selbst verpflegten.
"Rumkommandieren kann sie", meckerte Alfons, nachdem Fiona außer Hörweite war.
Carl stand vor dem geöffneten Kühlschrank und überlegte, was er aus den vorhandenen Zutaten kochte. Er entschied sich für Spaghetti mit köstlichem Tomatenpesto und Chicken Wings, die er, da sie vorgebraten waren, lediglich kurz in der Pfanne erwärmte. Diese Zubereitung dauerte nicht lange. Sie hatten eine Stunde, das war knapp.
Während die beiden anderen Männer grübelnd am Tisch saßen, wies Cornet sie an, diesen zu decken.
Das gestaltete sich schwierig, da sie erst in den Schränken nach dem Geschirr und Besteck suchten.
Extrem schnell schlangen sie das fertige Mahl herunter.
"Wir müssen mit ihr auskommen, ob wir wollen oder nicht", eröffnete Carl die Diskussion beim Essen.
"Mir ist sie zu forsch, ein richtiges Mannweib.
Wir werden niemals Ruhe vor ihr haben. Sie wird sich überall einmischen", äußerte Alfons seine Bedenken.
Bertram sah das anders.
"Dennoch, sie gibt uns eine Chance. Das dürfen wir nicht vergessen. Ich stimme Carl zu. Bieten wir ihr die Möglichkeit, uns zu 'integrieren und sozialisieren' wie sie es nennen würde. Wenn uns ihre Vorgehensweise und Bevormundung auf Dauer nicht passt, sehen wir weiter und entscheiden, was wir unternehmen."
Inmitten des sich anschließenden Spülvorganges kehrte Fiona froh gelaunt zurück zu ihren Klienten.
"Das riecht köstlich", lobte sie.
"Es schmeckt auch so", bemerkte Bertram.
"Eine Portion ist noch übrig, wenn Sie hungrig sind, richte ich Ihnen gerne einen Teller her", erwiderte Carl galant.
"Ich muss gestehen, mir grummelt der Bauch.
Außer einem Kaffee habe ich heute noch nichts zu mir genommen und ich bin dankbar für Ihr Angebot."
'Kein Wunder, dass sie so dürr aussieht', dachte Alfons, sprach es jedoch nicht laut aus.
Fiona bemerkte, dass die drei Männer sich bemühten, ihr gegenüber nett zu sein.
Sie wusste außerdem, dass sich dieses Verhalten jederzeit ändern konnte, wenn sie auf die von ihnen zu befolgenden Weisungen und Auflagen zu sprechen kommen würde, was sie bis zu diesem Zeitpunkt hinausgezögert hatte. Sie wählte ihre Worte mit Bedacht, nachdem sie das Essen mit Genuss verspeist hatte.
"Das war lecker. Vielen Dank. Leider muss ich mit Ihnen nun weniger nette Dinge besprechen. Es ist extrem wichtig, dass Sie sich von mir nicht gegängelt oder zurecht gewiesen fühlen.
Für mich ist meine Arbeit nicht bloß ein Job.
Ich will, dass Sie diese Bewährung bestehen und dann Ihr restliches Leben in Freiheit genießen.
Haben Sie das verstanden? Sie sind für mich nicht nur drei Aktenvorgänge, die ich fallbezogen und fallübergreifend vernetze. Sie sind in erster Linie für mich Menschen, drei Männer, die den Vorsatz haben, ihr Leben in den Griff zu bekommen.
Dabei biete ich Ihnen jegliche Unterstützung und Orientierung an, die Sie benötigen.
Beginnen wir mit den Auflagen und Weisungen, die für Sie alle gelten. Diese Blockhütte ist Ihr neuer Wohnort. Es versteht sich von selbst, dass Sie Deutschland nicht eigenständig verlassen.
Ihnen wird eine Arbeit zugewiesen. Es besteht nicht die Möglichkeit, diese abzulehnen. Da ich Ihnen zugeteilt bin, halten Sie zu mir Kontakt und versäumen keinen der mit mir anberaumten Termine."
"Es ist unmöglich, den Kontakt zu Ihnen nicht aufrecht zu erhalten. Schließlich sind wir Nachbarn", konterte Bertram sofort und wies in die Richtung von Fionas Haus.
"Dann habe ich alles richtig gemacht, als es darum ging, für Sie eine geeignete Unterkunft zu besorgen", erwiderte sie und setzte ihre Belehrungen fort.
"Außer diesen allgemeinen Auflagen gibt es für Herrn Batz und für Herrn Cornet noch persönliche."
"Was ist mit Alfons?", fragte Bertram erstaunt.
"Für ihn nicht".
"Herr Batz, aufgrund Ihres Gesundheitszustandes, ist es notwendig, dass Sie sich ausgewogener ernähren. Diese Möglichkeit ist hier einfacher, nicht so wie in der JVA. Des Weiteren nehmen Sie an einem Programm 'Vom Raucher zum Nichtraucher' teil und achten auf ausreichende Bewegung.
Für Sie Herr Cornet besteht die Auflage, ihre Finger vom Internetzugang zu lassen. Es gibt hier lediglich einen Festanschluss, der ist ausreichend."
Sie schaute zu Alfons und Bertram.
"Mir ist selbstverständlich bewusst, dass Sie in der Lage sind, für Ihren Freund jederzeit ein Handy oder sonstige Gerätschaften mit Zugang zum Internet aufzutreiben und es ihm geben, wenn er Sie darum bittet. Bedenken Sie, dass niemandem von Ihnen damit geholfen ist, denn das bekomme ich schnell heraus. Das hätte dann unschöne Auswirkungen für Sie, würde Ihre erfolgreiche Wiedereingliederung erschweren oder verhindern und das wollen Sie doch nicht?"
Alle schüttelten den Kopf.
"Gut, dann hätten wir das geklärt und erstellen die diversen Pläne, die ich erwähnt habe".
Carl erhob, wie in der Schule, seine rechte Hand.
"Ich hätte da noch eine Frage."
"Ich höre."
"In welcher Firma werden wir arbeiten? Sind wir alle im selben Unternehmen tätig oder in verschiedenen?"
"Wir sind während der Fahrt hierher bereits an einem Teil Ihres neuen Wirkungskreises vorbei gekommen", erwähnte Fiona beiläufig.
Carl erahnte, was sie damit meinte. Er sah unweigerlich die riesigen Felder vor sich.
"Wir schuften dann auf einem Bauernhof?", entfuhr es ihm.
"Sie werden staunen, wie modern die heutige Landwirtschaft ausgerichtet ist. Ihr zukünftiger Arbeitsgeber wird Ihnen das Wichtige vor Ort erklären. Lassen Sie uns jetzt die Pläne und Regeln erstellen sowie die Liste für die fehlenden Möbel."
Weiterhin besprachen sie Tagesabläufe und was sie, neben den Auflagen und Weisungen, zu beachten hatten. Beispielsweise, dass Fiona von Zeit zu Zeit unangekündigt die Hütte durchsuchen würde und sie spätestens um 22.00 Uhr im Haus zu sein hatten.
Abermals erkannten sie, dass es zwecklos war, sich gegen ihre Anweisungen zur Wehr zu setzen.
Soweit war es mit ihnen gekommen, dass sie sich von jemandem, der kaum halb so alt wie sie waren, bevormunden ließen.
An diesem ersten Abend schliefen sie zeitig ein.
Carl wachte immer des Öfteren auf, weil es für ihn ungewohnt war, dass nachts keiner durch ein Guckloch in sein Zimmer sah, dessen Türe er offenließ, ein Zeichen seiner 'kleinen Freiheit'.
Am anderen Morgen stand Fiona pünktlich um 9.00 Uhr bei ihren Schützlingen vor der Türe und klopfte an. Bertram öffnete diese, mit einer belegten Scheibe Toastbrot in der Hand.
"Erinnern Sie mich daran, dass wir auf dem Rückweg beim Bäcker vorbei fahren, um Ihnen anständiges Brot zu besorgen", sagte sie mit einem verächtlichen Blick auf die Schnitte.
"Ich wünsche Ihnen auch einen schönen Tag", entgegnete Bertram und schob sich mit Vergnügen den Rest des Toasts in seinen Mund.
Fiona ließ sich nicht beirren und gab allen zu verstehen, dass sie sich für den Möbelkauf bereit zu halten hatten. Auf dem Weg zum Möbelhaus unterrichtete ihre Bewährungshelferin sie, dass sie die Möbel, wegen des geringen Budgets, in einem 'Second-Hand-Haus besorgten. Die drei Freunde reagierten darauf erstaunlich gelassen. Solange alles sauber und in einem ordentlichen Zustand wäre, hatten sie nichts dagegen einzuwenden.
Sie wurden nicht enttäuscht, im Gegenteil.
Das Kaufhaus war riesengroß, ebenso die Auswahl.
Schnell fanden sie die fehlenden Ausstattungsstücke und fuhren, unterbrochen durch einen Zwischenstopp beim Bäcker, zufrieden nach Hause, wo sie sofort mit dem Aufbau anfingen.
Bis zum Abend hatten sie eine gemütliche Einrichtung mit einer einladenden Atmosphäre erschaffen, die Fiona zu einem Lob veranlasste.
Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass diese 'alten Knochen' ein Händchen für Behaglichkeit und entsprechende Stimmung an den Tag legten.
"In Ihnen steckt viel mehr, als ich geahnt habe.
Ich hoffe, dass Sie weiterhin so gute Fortschritte an den Tag legen. Die nächste Gelegenheit dafür ist morgen, wenn ich Sie Ihrem neuen Arbeitgeber vorstelle."
Fiona holte ihre Schützlinge am kommenden Morgen mit ihrem Fahrrad ab und fuhr mit ihnen, samt deren Rädern, zur neuen Arbeitsstätte.
Hinter einem kurzen Waldstück, das sie durchquerten, erstreckten sich riesige Felder, die unendlich schienen.
Carl war wissbegierig. Er steuerte seinen Drahtesel direkt neben Fiona.
"Sind wir hier bereits vorbeigefahren? Oben auf der Straße mit dem Sprinter, als Sie uns von der JVA aus zu unserer Unterkunft gebracht haben?
Gehört dieses Land einem Bauern?", erkundigte er sich während der Fahrt.
"Das stimmt beides. Sie sind ein guter Beobachter.
Wir sind gleich da."
"Das sieht nach viel körperlicher Anstrengung aus", stellte Carl fest und sah sich schweißtreibende Arbeit verrichtend auf dem Acker stehen. Ihm war es angenehmer, seinen Kopf für sich schuften zu lassen.
Fiona erkannte seine Bedenken und merkte an:
"Keine Angst, der technische Fortschritt ist auch in der Landwirtschaft angekommen. Das wird Ihnen Ihr Boss erklären."
Lauter, damit die anderen es ebenfalls mitbekamen, ergänzte sie:
"Ihr zukünftiger Arbeitgeber heißt Martin Arvid und er freut sich, Sie kennenzulernen. Heute zeigt er Ihnen, wie und wo er sich Ihren Einsatz vorstellt."
So war es. Der Landwirt, Mitte dreißig, über zwei Meter groß, braungebrannt und muskulös, stand vor einem der Scheunentore und starrte ungeduldig auf seine Uhr. Unpünktlichkeit kannte er von Fiona nicht. Auch dieses Mal war sie zum vereinbarten Zeitpunkt vor Ort.
Schon des Öfteren hatte er sie unterstützt und ihre Klienten bei sich arbeiten lassen. Auf seinem Hof gab es immer Kleinigkeiten zu erledigen. Er war dankbar für jede vernünftige helfende Hand.
Außer ihm war niemand auf dem Hof darüber informiert, dass die kommenden Kräfte aus der JVA entstammten und an einem Pilotprojekt teilnahmen.
Freudestrahlend lief er auf Fiona zu, als diese von ihrem Rad abstieg. Zärtlich umarmte er sie und Fiona erwiderte seine Umarmung. Dann gab er ihr einen heftigen Kuss auf die Wange.
Ihre drei Schützlinge sahen sich irritiert an.
Das hatten sie nicht erwartet.
"Fiona, wie schön, dich zu sehen", hauchte er ihr ins Ohr. Dennoch kam das Gesagte bei dem Trio an.
"Ich freue mich auch", erwiderte sie knapp und lenkte das Gespräch direkt auf seine zukünftige Unterstützung, indem sie die drei Männer vorstellte.
Daraufhin bat Martin Arvid alle in sein Haus.
Hierbei handelte es sich um ein modernisiertes Bauernhaus, das von außen einem Gutshaus ähnelte, so wie man es aus Filmen kannte.
Im Inneren war es mit allen erdenklichen Raffinessen ausgestattet, die zu einem modernen und energieeffizienten Haus gehörten, einschließlich der Alarmanlage.
Nachdem die Formalien geklärt waren, schlug Arvid eine Führung über den gesamten Hof vor, dem alle sofort zustimmten.
Fiona und Martin liefen vorneweg, die zukünftigen Arbeitnehmer hinter ihnen her. Sie steuerten den Hofladen an, der in einer umgebauten alten Scheune untergebracht war.
Alfons nutzte die Gelegenheit.
"Fiona, wie schön dich, zu sehen", äffte er leise vor sich hin.
"Du bist doch nicht eifersüchtig?", hakte Bertram nach.
"Der Kerl ist doch bestimmt verheiratet, er trägt schließlich einen Ring an seiner rechten Hand", verteidigte sich Alfons.
"Sie ist alt genug und wahrhaftig in der Lage, die Situation entsprechend einzuordnen. Das haben wir selber erfahren. So, jetzt seid mal still, es wird spannend", wiegelte Carl ab und gab ihnen so zu verstehen, dass er den Ausführungen folgen wollte.
Martin leitete den Hof in sechster Generation, auf diese bäuerliche Tradition war er äußerst stolz.
Selbstbewusst deutete er auf die großformatig gerahmten alten Fotos an den Wänden des Hofladens.
Auf einer Fotografie waren seine Großeltern zu erkennen. Sie standen vor einem geschmückten Erntewagen, gezogen von Pferden.
"Vergangene Zeiten", bemerkte Arvid.
"Der Landwirt von heute sollte IT-Kenntnisse mitbringen, dann geht manches leichter, schneller, besser. Seit kurzem gibt es ebenfalls einen Online-Shop. Der steckt noch in den Kinderschuhen."
Carl wurde hellhörig, bekam glänzende Augen und die Arbeit auf diesem Gelände gefiel ihm schon jetzt. Mit dieser großen Anzahl an High- Tech hatte er nicht gerechnet, ohne IT lief gar nichts und sie hatten erst wenig gesehen. Seine Kenntnisse wären hier vorzüglich aufgehoben. Es kribbelte in seinen Fingern. Wie gerne hätte er sein Wissen eingebracht, um zu helfen und zu unterstützen, nicht für eigene Zwecke.
Das Wohnhaus hatte ihn begeistert, jetzt war er vollends motiviert, auf diesem Hof zu arbeiten.
Eventuell gab es hier doch ein Hintertürchen für ihn, das es ihm erlaubte, seine Computerfähigkeiten anzuwenden, obwohl dieses offiziell untersagt war.
Aufmerksam hing er an den Lippen des Bauern, der seine Ausführungen fortsetzte. Sie beschritten den Weg in eine Lagerhalle, in der ein Mähdrescher stand.
"Die Arbeit auf dem riesigen Bauernhof, es handelt sich immerhin um mehr als 100 Hektar, das sind ungefähr 135 Fußballfelder, ist heute ohne entsprechende Vorrichtungen nicht mehr zu bewältigen."
Bei diesem Stichwort wurde Alfons ebenfalls achtsam. Hier gäbe es einige Maschinen zu reparieren. Ein El Dorado tat sich für ihn auf, da Arvid erzählte, wie viele Traktoren, Pflüge, Eggen, Heuwender, Feldhäcksler, Rundballenpressen und Sämaschinen der Hof besaß. Ganz zu schweigen von den unzähligen Geräten. Einzig bei der Erwähnung des Jauchewagens rümpfte er automatisch die Nase, so als krieche ihm der Geruch bei dessen Nennung in die Öffnungen.
"Im letzten Jahr erwirtschafteten wir mehr als 500 Tonnen Getreide. Ich spreche von Weizen und Roggen. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen gerne, wie es ihm Inneren des Mähdreschers aussieht."
Carl und Alfons strahlten.
"Ich lasse Satellitenaufnahmen meiner Felder anfertigen, auf denen ist der Bewuchs dargestellt.
So erkenne ich, wo das Getreide gut wächst und wo nicht. Auf meinem Land liegt eine alte Bahntrasse, der Boden dort ist dermaßen verdichtet, dass lediglich Unkraut an dieser Stelle gedeiht."
Die Weggefährten bestiegen den Koloss.
Der Bauer drehte den Schlüssel im Schloss um, und vor ihnen blinkte es.
"Der Bordcomputer wird mit bestimmten Daten gefüttert. Er misst während der Fahrt im Sekundentakt die Menge und Feuchte des Getreides. Sehen Sie, hier ist alles zu erkennen.
Per GPS-Koordinaten sind die Felder erfasst, jeder Messpunkt hat auf der Computeranzeige eine andere Farbe, an der die erwartete Ertragshöhe abgelesen werden kann. Wo eine bessere Ernte aufgrund der Bodenwerte erwartet wird, düngt der Streuer im Frühjahr dann automatisch gleich die richtige Menge mehr. Per Drohne kontrolliere ich, ob sich die Kulturen nach der Bodenbearbeitung auch so entwickeln, wie erwartet. Die Fotos geben mir dann Aufschluss darüber, wie ich mit dem Boden weiterhin verfahren muss, damit er möglichst ertragreich bleibt. Dass ich heute im Vergleich zu meinen Vorfahren mehr als das Doppelte von den Äckern ernte, liegt nicht einzig an den technischen Gegebenheiten.
Die Pflanzenzüchtung hat über die vergangenen Jahrzehnte hinweg viel ertragreichere Sorten hervorgebracht.
Meine Eltern und Großeltern nutzten jeden Meter Ackerland zum Anbau. Ich lege heute an den Rand meiner Felder rund zehn Meter breite Blühstreifen an. Sie sind ein Schutzraum für Insekten und Hasen. Der Einsatz von Wissenschaft und Technik bei der Bodenbearbeitung hilft mir bei der Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln. Mit der leistungsstarken Nutzung von Wasser und Nährstoffen durch die moderne Pflanzenzüchtung und planmäßigeren Anbaumethoden kann ich so den Ertrag verdreifachen und gleichzeitig den Einsatz von Düngemitteln halbieren.
Meine modernen Maschinen schaffen das. Aber, die Digitalisierung der Landwirtschaft steckt immer noch in den Anfängen."
"Das ist der absolute Wahnsinn. Toll. Fantastisch.
Super. Unglaublich".
Carl überschlug sich förmlich mit Worten voll des Lobes und Alfons schmunzelte beseelt.
Bertram teilte die Erregtheit und Begeisterung seiner Freunde nicht. Was erhielt er, das ihn dazu motivierte, hier mit vollem Engagement anzupacken? So suchte er krampfhaft nach Argumenten, die zum Nachteil dieser Technik beitrugen.
"Heute erzeugen immer weniger Landwirte immer mehr. Es gibt mehr Getreide, mehr Kartoffeln, mehr Futtermittel, mehr Fleisch, mehr Eier, mehr Milch.
Auch sogenannte Nebenprodukte wie Stroh, Holz und vor allem Gülle.
Dennoch hat das Modell der industriellen, monokulturellen und kapitalintensiven Landwirtschaft es nicht gemeistert, die Ernährungsfrage zufriedenstellend zu lösen.
Es hungern noch immer nahezu 1 Milliarde Menschen.
Außerdem hat sich der Wasserverbrauch versechsfacht, der Phosphatdüngereinsatz verdoppelt und die Stickstoffbenutzung ist in den letzten 40 Jahren um das Achtfache gestiegen.
Mal abgesehen davon, dass jedes Jahr in Deutschland rund 830 Millionen Schweine, Rinder, Hühner und Puten gemästet werden.
Diese produzieren Tonnen von Gülle, Mist, Jauche.