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Im idyllischen Paradies lauert das Böse - und es gibt kein Entkommen! Dr. Robert Bremeke, ein brillanter Meeresbiologe, hat eine bahnbrechende Formel entwickelt. Aus Algen hat er ein wahrhaftiges Wundermittel geschaffen, das die Medizinwelt revolutionieren könnte. Doch das Wundermittel zieht nicht nur die Aufmerksamkeit der Medizinwelt auf sich. Eine gefährliche Verbrecherorganisation hat von Bremekes Entdeckung erfahren und will die Formel um jeden Preis in ihre Hände bekommen. Während er mit seiner Familie einen wohlverdienten Urlaub auf der Insel Föhr verbringt, hofft er auf Entspannung. Allerdings geschehen bald unerklärliche Dinge im beschaulichen Ferienort, bis hin zum Mord, und auf ihn wird ein Anschlag verübt. Während er und seine Familie gegen die zunehmend bedrohlichen Ereignisse kämpfen, setzen die Verbrecher alles daran, die Formel zu stehlen. Die Grenze zwischen Gut und Böse verschwimmt, als unerwartete Allianzen geschmiedet und Geheimnisse enthüllt werden. Schaffen er und seine Familie es dennoch, die Pläne der Organisation zu durchkreuzen und die Welt vor einem drohenden Unheil zu bewahren? Begeben Sie sich in eine düstere Welt der Wissenschaft und des Verbrechens, in einen Krimi, der sowohl junge Detektive als auch erfahrene Spürnasen fesselt.
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Seitenzahl: 200
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Es war der letzte Schultag vor den großen Ferien.
Vergnügt und lautstark verkündete Lena:
„Supi, endlich Ferien, sechs lange Wochen Sommerferien und das heißt, erst mal keine Schule, keine nervenden Lehrer und keine blöden Mitschüler.“
Auch wenn sie, Corona bedingt, in den hinter ihr liegenden Jahren einen hohen Unterrichtsausfall und vorwiegend ‚Home-Schooling‘ hatte, war Lena froh, alles, was mit Schule einherging, für einige Zeit hinter sich zu lassen.
Die meisten Menschen nervten sie, bis auf ihre engsten Freundinnen, zu denen Kathrin gehörte.
Die blonde Lena tänzelte aufgeregt vor der dunkelhaarigen Kathrin hin und her, die gar nicht auf das Gesagte zu reagieren schien.
Beide waren auf dem Weg von der Schule nach Hause.
Wie immer im ‚Partnerlook‘, wie sich das für beste Freundinnen gehörte.
Sie trugen gleichfarbige blaue Skinny-Jeans, kurzärmlige T-Shirts und Sneakers. Die Haare waren, bis auf die unterschiedliche Farbe, identisch geschnitten und zu einem Dutt zusammengebunden. Dieser sah aus, wie ein übergroßer Knödel auf dem Kopf.
Dass die beiden dafür von ihren Mitschülern gehänselt wurden, weil sie deren Ansicht nach mit einen Omaknoten durch die Gegend liefen, störte sie nicht.
Die hatten alle keine Ahnung von modischen Trends.
Außerdem empfanden beide das Sommerwetter für zu heiß, um die Haarpracht offen zu tragen.
Was die Kleidung und Haare anbelangte, gestaltete sich das seit ihren gemeinsamen Tagen im Kindergarten so.
Lena war froh, für einige Wochen auf den geliebten Reiterhof zu kommen, der nur wenige Kilometer von ihrem Elternhaus entfernt lag, und der die Möglichkeit bot, dort zu übernachten.
Denn Pferde waren ihr ein und alles.
Ihre Eltern hatten ihr zum zweiten Mal erlaubt, dass sie die Hälfte der Ferien ohne sie verbrachte, obwohl ihre Tochter erst vierzehn Jahre alt war und sich, pubertätsbedingt, seit einiger Zeit unausstehlich benahm.
Nach der endlos langen Phase des Aufeinanderhockens im ‚Lock-Down‘ erschien es ihnen damals sehr erholsam, drei Wochen ohne ihre ewig nörgelnde Tochter zu verbringen.
Sie versuchten, ihre innige Zweisamkeit als Paar, die Risse aufwies, wieder zu festigen.
Was letztes Jahr gut funktionierte, versprach erneut zu klappen.
Lena gefiel die Idee aus anderen Gründen.
Einen Teil der Ferien ohne Eltern zu verbringen und nur mit ihren Freundinnen, das war etwas Besonderes.
Das versprach, unvergleichlich zu werden.
„Hey Kathrin, was ist los? Bist du nicht happy, dass wir erst Anfang September wieder die Schule aufsuchen?
Du siehst schon den ganzen Tag voll down aus.“
Das traf zu. Die Gleichaltrige trottete seit dem Morgen mit einem missmutigen Gesicht durch die Gegend.
An ihrem Versetzungszeugnis lag es nicht. Sie war eine exzellente Schülerin.
Lena runzelte die Stirn und überlegte angestrengt, warum ihre Freundin so traurig war.
„Komm, sag schon, was du hast. Du bist seit heute Morgen so komisch. Fühlst du dich scheiße? Hast du deine Erdbeerwoche?
Ist zu Hause alles in Ordnung? Mach doch mal den Mund auf und sprich mit mir!“ bettelte sie ungeduldig.
Beide blieben stehen und Kathrin erzählte leise, warum sie sich nicht so recht auf diese Ferien freute.
„Gestern Abend sagte mein Vater mir, dass wir leider einen Familienurlaub unternehmen.“
„Ja und? Was ist denn so grell daran?“
„Ich hatte mich doch so auf die Zeit mit dir, Sarah und Nina auf dem Reiterhof gefreut. Daraus wird nichts.
Stattdessen verbringe ich drei langweilige Wochen mit meinem Papa, Hannah und, was das Schlimmste ist, mit Oliver.“
„Wie? Du kommst nicht mit? Das war abgemacht.
Fahrt doch nach der Zeit auf dem Reiterhof gemeinsam in Urlaub. Wohin düst ihr denn überhaupt?“
„Auf irgend so eine langweilige nordfriesische Insel.
Ich glaube sie heißt Föhr. Und später ist es nicht möglich, weil mein Vater dort Versuche für sein neues Forschungsprojekt durchführt.
Die Voraussetzungen dafür sind angeblich nur zu diesem Zeitpunkt optimal.
Die nächsten drei Wochen gehören dazu.“
Lena schüttelte vehement den Kopf und sie liefen weiter.
Kathrin trat während ihrer Ausführungen mit aller Wucht gegen eine im Weg stehende Mülltonne, die umfiel.
Gut, dass sie leer war.
Sie hatte keine Ahnung, dass Reiten auf Föhr ein cooler Spaß war und dort hunderte Pferde lebten. Deshalb galt die Insel unter Kennern als die deutsche Pferdeinsel schlechthin.
Vertreten war nicht nur das Holsteinwarmblut, jenes massige Tier, von dem selbst der ungeübteste Reiter nicht herunterfiel. Es gab flinke, bewegliche Renner sowie hochdotierte Welshponies, deutsche Reitponys, blondgelockte Haflinger, wetterfeste Fjordpferde und sogar eine Trakehnerherde. Eben alles, was ein Reiterherz begehrte und höher schlagen ließ.
„So ein Mist“, schrie sie und hatte dabei Wuttränen in den Augen.
Besänftigend legte Lena ihren rechten Arm auf Kathrins Schulter.
Sie merkte, dass ihre Freundin maßlos enttäuscht war und beschloss, ihr zu helfen.
„Hey, ich verstehe dich. Aber möglich, dass es doch cool auf der Insel ist.
Wir texten uns täglich und planen gemeinsame Ausflüge für die Zeit danach. Halten uns gegenseitig auf dem Laufenden mit dem, was wir so erleben.
Ich rede mal mit deinem Vater und frage, ob du doch mit zum Reiterhof darfst?
Wenn er seine Versuche dort durchführt, erledigt er das doch besser alleine. Warum müsst ihr alle mitfahren?“
Kathrin war bewusst, dass dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt war, und sie schaute ihre Freundin skeptisch an.
„Das ist lieb von dir. Aber es hat gar keinen Zweck, ihn umzustimmen.
Sein Entschluss steht fest.
Schon aus dem Grund, weil Hannah ihm den Vorschlag mit dem Familienurlaub unterbreitet hat. Du weißt doch, was sie sagt, das wird bei uns vollstreckt.
Alles Reden ist dann total unnütz“, erwiderte Kathrin, der Verzweiflung nah.
„Aber Hannah ist gar nicht deine richtige Mutter.
Sie entscheidet nicht, was für dich wichtig ist und wo du dich wohlfühlst.
Außerdem war es schon beschlossene Sache, dass du mit uns kommst.“
„Da siehst du mal, was das Wort von Hannah Wert ist.
Zuerst war sie ja damit einverstanden, dass ich mit euch fahre. Urplötzlich hat sie es sich anders überlegt und dann meinen Vater vorgeschickt, mit meinem Bruder und mir die Sache zu besprechen.
Oliver ist ebenfalls not amused von dieser Idee. Er ist drei Jahre älter und hatte andere Pläne. Aber Papa meinte, das ist unser letzter gemeinsamer Familienurlaub. In einigen Monaten wird Oliver volljährig, und dann fährt er nicht mehr mit uns. Ich hasse Hannah.
Natürlich sollte ich nicht so über sie reden. Schließlich ist mein Vater, seitdem er sie kennt, wie ausgewechselt, fast so wie früher, als Mama noch lebte.
Er lacht wieder und unternimmt mit uns einiges, falls er nicht arbeitet.
Aber, wenn er von zu Hause abwesend ist, übernimmt sie bei uns das Kommando. Du kennst sie. Sie hat manchmal einen Ton an sich.“
Kathrin ballte ihre rechte Hand zu einer Faust.
„Ja ich fühl das. Und bin froh, dass sie nicht bei uns lebt.
Die ist total krass. Wie helfe ich dir da raus?“, bot Lena an.
Kathrin seufzte.
„Ich muss da alleine durch. Die drei Wochen ziehen vorbei.“
„Wie gesagt, versprich mir, dass wir jeden Tag chatten oder zumindest simsen und Fotos schicken, damit wir gegenseitig auf dem Laufenden bleiben und wissen, was beim anderen passiert“, schlug Lena vor.
„Auf jeden Fall“, antwortete Kathrin.
Schweigend liefen sie weiter. Der Weg nach Hause zog sich eine Weile hin.
Mit dem Fahrrad wären sie schneller, doch dann entfielen die innigen Gespräche miteinander, auf die sie nicht verzichten wollten.
Kathrin rief sich die Zeit ins Gedächtnis, in der ihre Familie glücklich war.
Ihre Mutter lebte damals noch.
Doch die Idylle fand ein jähes Ende, als diese unverhofft, unter rätselhaften Umständen tödlich verunglückte.
Kathrin hatte nie an einen Unfall geglaubt.
Ihre Mutter fuhr damals mit ihrem roten Motorroller, den sie einem Auto vorzog, alleine schon wegen der endlos dauernden Parkplatzsuche, in die Stadt.
Wie jeden Donnerstagnachmittag, außer während der ‚Corona-Zeit‘, begab sie sich zum fünf Kilometer entfernten Sportcenter. Sie hatte dort einen Kurs belegt.
Für sie die maximal effektivste Methode, schnell wieder gelassener und zufriedener zu werden.
Es regnete, aber das störte sie nicht.
Unmittelbar, nachdem sie in die viel befahrene und leicht abschüssige Hauptstraße einbog, stieß sie gegen einen entgegenkommenden SUV.
Augenblicklich fing der Roller an, zu brennen, inklusive Kathrins Mutter, die starke Brandwunden davontrug und noch am Unfallort verstarb.
Es sah alles nach einem tragischen Verkehrsunfall aus, daran hatte die Polizei keine Zweifel. Sie nahm die Personalien des Unfallfahrers auf, der aus den USA kommend, auf Geschäftsreise in Deutschland war, mit einem gemieteten Wagen.
Selbst nachdem ein Sachverständiger die Überreste des Motorrollers näher untersuchte, kamen diesem keinerlei Bedenken.
Für alle stand fest: Frau Bremeke war durch einen schrecklichen Zusammenstoß, bei dem der Roller Feuer fing, ums Leben gekommen.
Was damals niemand von ihnen kommen sah:
Sie musste sterben, weil eine andere Frau für einige Monate ihre Rolle einnehmen sollte, um so an gewisse Informationen von Roberts Arbeitsergebnissen zu gelangen.
Der inszenierte Unfall lief wie geplant ab.
Der angebliche Amerikaner blieb unauffindbar.
Die Wochen nach ihrem plötzlichen Tod waren grauenvoll.
Ihr Vater stand seinen Kindern nicht so bei, wie es in diesem Fall nötig gewesen wäre. Er fand keine tröstenden Worte, keine beruhigenden Gesten, wenn Kathrin nachts, gequält von Alpträumen, schlaflos und lange weinend im Bett wach lag. Sie litt unter Gefühlsschwankungen, hatte Mühe, ruhig zu sitzen, verschlang alles Essen wahllos, um es dann wieder loszuwerden, und hatte an nichts mehr Freude.
Er war nicht der belastbare Mann, der seinem Sohn Antworten gab, wenn dieser fragte, warum ausgerechnet seine Mutter sterben musste. Zu groß war sein eigener Schmerz. Und der hoffnungslose Versuch, mit der neuen Situation fertig zu werden, ließ ihn oft selber verzweifeln und immer unumgänglicher werden.
Obwohl sein äußeres Erscheinungsbild etwas ganz anderes vortäuschte.
Robert war ein Mann von bemerkenswerter Statur und Ausstrahlung.
Seine auffallende Größe von 1,90 cm verlieh ihm eine fast übernatürliche Präsenz.
Er wirkte wie eine imposante Säule der Beständigkeit in einer Welt voller Unberechenbarkeiten.
Die dunklen Locken trug er kurz und praktisch, dennoch fielen sie sofort auf, wenn man ihn ansah.
Sein typisches Outfit, bestehend aus perfekt sitzenden Jeans, einem leicht zerknitterten Hemd und einem lässig darüber geworfenen Sakko, zeugte von einem Mix aus Ungezwungenheit und professioneller Eleganz.
An seinen Füßen trug er stets Sneakers, die eine Spur von Jugendlichkeit und Aktivität in seinen Look einfließen ließen und seinen sportlichen Lebensstil unterstrichen.
Roberts durchtrainierter Körper spiegelte sein Leben von regelmäßigen Besuchen im Fitnessstudio und von einem aktiven Lifestyle wider. Er war nicht nur in den Laboren der Wissenschaft zu Hause, sondern, wann immer sich die Zeit dazu fand, auch auf den Sportplätzen.
Jede seiner Bewegungen war von einer unaufdringlichen Eleganz begleitet, die auf eine Person schließen ließ, die ihren Körper genauso pflegte wie ihren Geist.
Die eckige Brille auf seiner Nase verlieh ihm eine akademische Ernsthaftigkeit. Seine grünen Augen, die hinter den Gläsern lebhaft funkelten, zeugten von einem unaufhörlichen Durst nach Wissen und Erkenntnis.
Trotz seiner modernen äußeren Erscheinung war Robert in seinen Ansichten eher traditionell und konservativ.
Diese Prinzipien spiegelten sich subtil in seinen Worten und Taten wider, verliehen seinem Charakter eine zusätzliche Tiefe und Komplexität.
Sein intensives Engagement für seinen Beruf als promovierter Naturwissenschaftler zeigte sich nicht nur in seinem akademischen Werdegang, sondern ebenfalls in der Art und Weise, wie er über seine Forschung sprach.
Ehrgeizig und hartnäckig verfolgte er wissenschaftliche Durchbrüche und scheute keine Mühe, um den Rätseln der Welt auf den Grund zu gehen und sie zum Wohle der Menschheit einzusetzen.
Seinen Beruf sah er nicht nur als Mittel zum Zweck, denn mit ihm lebte er eine wahre Leidenschaft aus, die in jeder Faser seines Lebens zu vibrieren schien.
Er war nicht nur ein Mann der Wissenschaft, sondern genauso ein Mann der Empfindsamkeit und Menschlichkeit.
Doch nach dem Tod seiner geliebten Frau war alles anders.
Er erwartete, nie wieder glücklich zu sein, und haderte mit seinem Schicksal.
Er vergrub sich in seine Arbeit als Naturwissenschaftler.
Kurz vor dem tragischen Unglück hatte er eine erstaunliche Entdeckung gemacht, von der er sich den großen Erfolg versprach. Sie vereinnahmte ihn so enorm, dass alles andere für ihn unwichtig wurde, einschließlich seiner Kinder.
Für Kathrin und Oliver sorgten unterdessen die Eltern ihrer verstorbenen Mutter. Sie wohnten nicht weit entfernt und bei ihnen bewältigten beide ihre Trauer, soweit das überhaupt möglich war.
Obwohl es den Großeltern nicht leicht fiel, mit dem Tod der geliebten Tochter fertig zu werden, unternahmen sie vieles, um ihren Enkeln das Leben lebenswert erscheinen zu lassen. Und das mit großem Erfolg.
Langsam orientierten sie sich nach außen. Alles schien wieder normal zu verlaufen, bis zu jenem Tag, an dem ihr Vater mit Hannah bei den Großeltern erschien.
Er stellte sie als seine neue Freundin und zukünftige Ehefrau vor, die sich von nun an um Kathrin und Oliver kümmern würde. Jeder war erst einmal verblüfft, vor allem von der auffälligen äußerlichen Ähnlichkeit, die Hannah mit ihrer verstorbenen Mutter und Tochter hatte.
Bis auf den Haarschnitt.
Hannahs Haare waren schulterlang, die Mutter trug sie kurz – und die Kleidung – Hannah war äußerst elegant gekleidet, die Mutter bevorzugte sportliche Kleidung- war es die perfekte Kopie einer Frau, die sechs Monate zuvor ums Leben gekommen war.
Sogar die Stimmlage und die Gesten waren dieselben.
Es war gespenstisch und zugleich faszinierend, wie sich zwei Menschen dermaßen ähneln konnten.
Kathrin erinnerte sich, dass es ihr Großvater war, der, nachdem er den ersten Schock überwunden hatte, fragte, wie es denn weiterging.
Daraufhin antwortete ihr Vater, dass das doch klar sei.
Da Hannah ab sofort bei ihm wohnte, kämen die Kinder wieder zurück, um in ihrem Elternhaus zu leben. Er wies sie an, ihre Sachen zu packen, um dann gemeinsam heimwärts zu fahren.
Den Großeltern dankte er für ihre Hilfe. Sie könnten jederzeit, nach telefonischer Voranmeldung, zu Besuch kommen, und sich aus der Erziehung der Kinder von jetzt an raushalten.
Die Hochzeit würde in der nächsten Woche stattfinden, damit man schnellstmöglich wieder eine normale Familie wäre.
Das Trauerjahr wolle er nicht abwarten.
Er sei froh, dass er relativ schnell eine so wundervolle Frau wie Hannah gefunden habe, die ihn über die schrecklichsten Monate seines Lebens hinweg half und die seiner verstorbenen Frau so ähnlich sei.
Die Großeltern und Kinder bat er um Verständnis für seine Situation. So wäre es für alle das Beste.
Außerdem stünden seine wissenschaftlichen Forschungen kurz vor dem Abschluss.
Für sie benötigte er seine ganze Kraft. Aus diesem Grund sei es für ihn wichtig zu wissen, dass sich die Kinder bei Hannah in den besten Händen befänden.
Er vertrat seine Meinung mit so großem Enthusiasmus, dass keiner der Anwesenden zu widersprechen wagte.
Erst in ihrem Zimmer im Elternhaus fragte sich Kathrin, ob diese Entscheidung das Beste für ihre Zukunft sei.
Sie vermutete schon damals, dass die Geschehnisse nicht mit rechten Dingen zugingen.
Das war vor genau drei Monaten. Kurz darauf heirateten Robert und Hannah standesamtlich.
Außer den Trauzeugen, bei denen es sich um Kollegen ihres Vaters handelte, sowie Kathrin und Oliver waren keine Hochzeitsgäste anwesend.
Die Großeltern hatten, ohne jegliche Begründung, die Einladung abgelehnt.
Weitere Verwandte gab es weder von ihrer noch von Hannahs Seite. Die Freunde ihrer Eltern hatten sich kurz nach der Beerdigung von ihnen abgewandt, da Robert sich in seiner Persönlichkeit veränderte und keinen Wert mehr auf, wie er es nannte, ‚Smalltalk‘ und ‚Oberflächlichkeit‘ legte.
Das Leben der Kinder wurde jedoch keineswegs besser, wie Robert es versprochen hatte.
Es vollzog sich eine Zeit der lückenlosen Kontrolle durch Hannah.
Nach der Schule mussten Kathrin und Oliver immer auf dem schnellsten Weg heimkommen. Dann wurde eilig gegessen und die Hausaufgaben angefertigt.
Anschließend durften die beiden zwar ihre Freunde einladen, aber mit ihnen etwas außerhalb des Hauses unternehmen, funktionierte nur, wenn Hannah dabei war.
Sie mischte sich überall ein, wusste alles besser.
Das Schlimmste für Kathrin vollzog sich mit der Abgabe ihrer über alles geliebten silbernen Katze namens ‚Plata‘, einer ‚British Langhaar‘, die einer Perserkatze glich, an das örtliche Tierheim. Angeblich reagierte Hannah allergisch auf die Katzenhaare.
Sie täuschte geschickt langanhaltende Nies- und Hustenattacken vor und bearbeitete Robert so lange, bis er das Tier eines Abends, Kathrin hielt sich in ihrem Zimmer auf, einfing und im Tierasyl abgab.
Den Schock, den seine Tochter am anderen Morgen bekam, nachdem er sie vor die vollendete Tatsache gestellt hatte, ignorierte er mit der Unterstützung seiner neuen Frau.
Der einzige Lichtblick für Kathrin war die Aussicht auf die Reiterferien, die sie endlich aus dieser totalen Kontrolle herausbringen sollten.
Aber selbst diese Hoffnung zerschlug Hannah.
Am Vortag des gemeinsam geplanten Urlaubs fühlte sie sich hilflos und verzweifelt.
„Hey, wo läufst du denn hin. Du wohnst doch hier“, rief Lena Kathrin zu, als diese in Gedanken versunken an ihrem Elternhaus vorbeilief.
„Ach.“, sagte sie. „Sind wir schon da? Heute kommt mir der Weg gar nicht so lange vor. Na ja, dann werde ich jetzt mal reingehen und nach dem Essen meine Sachen packen.
Morgen fahren wir in aller Frühe los. Und das heißt, du und ich sehen uns erst in einigen Wochen wieder.
Viel Spaß auf dem Reiterhof.“
Traurig sah Lena sie an.
„Jetzt, wo du es sagst, kommen mir die nächsten Wochen ohne dich leider nicht mehr so supi vor.
Aber, wir simsen und chatten, wie verabredet, täglich!“, betonte Lena.
„Tolle Idee“, erwiderte Kathrin. „Wunder dich nicht, wenn die Inhalte meiner Mails langweilig sind. Ich glaube nicht, dass es auf dieser Insel irgendetwas zu erleben gibt.
Ich teile dir bestimmt nicht jeden Tag Neuigkeiten mit.
Hätte mein Vater wenigstens Sylt für seine Versuche ausgesucht, da ist was los.
Auf Föhr ist tote Hose. Das meint Oliver auch. Dort ist es total eintönig. Es gibt keine Großstadt, nur Dörfer, wenig Verkehr und eine endlos erscheinende Deichlandschaft mit blöden, blökenden Schafen und unzählig vielen Rindviechern.
Eben eine platte, grüne Schüssel, 82 Quadratkilometer groß, umgeben von schlickigem Watt, in dem sich allerlei Getier tummelt. Oliver hat es im Internet recherchiert.
Igitt“, Kathrin verzog das Gesicht und schüttelte sich.
„Alleine schon bei dem Gedanken wird mir übel. Du weißt, dass ich diese Krabbeltiere schrecklich finde.
Sonst mag ich alle Tiere, aber diese Krabbelviehcher… “
„Kopf hoch. Es wird bestimmt nicht so krass, wie du es dir im Moment vorstellst.“
Lena war im Begriff weiter zu sprechen, aber da sah sie die Gestalt von Hannah in der offenen Haustür stehen.
Diese bedeutete Kathrin mit einer Geste, endlich ins Haus zu kommen.
„Ich glaube, du musst jetzt los“, sagte Lena nur und blickte dabei zum Haus.
Kathrin drehte sich ebenfalls in diese Richtung und sah, dass Hannah verärgert schien, da sie nicht sofort auf ihre Geste reagierte.
Schnell flüsterte sie Lena zu:
„Ich schreibe dir bestimmt. Hoffentlich sind deine Ferien vergnüglicher.
Hab Spaß und bitte grüße die anderen von mir.“
Sie umarmten sich innig. Dann gaben sie sich, die zu ihrem Begrüßungs- und Verabschiedungsritual entsprechenden Wangenküsschen auf jede Seite und versuchten zu lächeln, was beiden schwerfiel.
„Yolo“, brachte Lena noch über ihre Lippen und formte mit ihrer rechten Hand das ‚Victory-Zeichen‘.
Dann trennten sich ihre Wege. Kathrin trottete langsam und missmutig den schmalen Vorgartenweg entlang.
Wie sie diese Kontrolle von Hannah hasste.
Nichts entging ihrem Blick. Grauenvoller war es in einem Gefängnis ihrer Meinung nach nicht.
Die einzige unbeobachtete Zone war die Schule, zumindest der Unterricht.
Denn an manchen Tagen fiel es Hannah ‚spontan’ ein, sie draußen vor dem Schultor zu ‚überraschen’ und sie nach Hause zu begleiten.
Kathrin überlegte schon lange, welche Beweggründe Hannah für ihr Handeln hatte. Sie war doch kein kleines Kind mehr, das eine ständige Beaufsichtigung benötigte.
Ihre Mutter war da anders. Sie hatte stets dafür gesorgt, dass ihre Sprösslinge früh selbständig wurden und etwas alleine unternahmen.
Wenn Oliver und Kathrin ihren Vater auf das Verhalten der Stiefmutter ansprachen, dann gab dieser zur Antwort, sie müssten Verständnis für Hannahs Situation haben.
Sie wolle alles hundertprozentig erledigen und nur das Beste für die beiden. Sie hätte keine Erfahrung mit eigenem Nachwuchs. Für sie wäre das Neuland.
Wenn die Kinder ihr etwas mehr Entgegenkommen zeigten, dann liefe das gemeinsame Leben schon bald stressfreier ab.
Robert hatte immer Verständnis für seine zweite Frau, aber neuerdings recht wenig für seine Kinder.
„Wo kommst du jetzt her?“, keifte Hannah sie an.
„Woher? Von der Schule“, antwortete Kathrin schnippisch zurück. Sie war versucht, etwas Patziges anzufügen, schluckte es jedoch lieber hinunter.
„Dein Schulweg dauert maximal zwanzig Minuten.
Ich warte hier mit dem Essen auf dich schon über eine halbe Stunde. Ich wünsche eine Erklärung von dir.“
„Ich habe mich mit Lena unterhalten und dabei etwas die Zeit vergessen. Entschuldige bitte. Die nächsten Wochen wird es nicht wieder vorkommen.“
„Das kommt überhaupt nicht mehr vor. Haben wir uns verstanden? Du nimmst demnächst immer den direkten Weg nach Hause, ansonsten hole ich dich gerne mit dem Wagen ab.“
Als Hannah das sagte, grinste sie verdächtig.
„Du bist eine böse, gemeine Bitch und irgendwann wirst du verbrannt, wie alle Hexen“, resümierte Kathrin, erwiderte aber betont freundlich:
„Ich werde ab jetzt immer pünktlich sein. Was gibt es denn zu essen?“
„Oliver und ich hatten eine leckere Linsensuppe. Die ist jetzt kalt. Wenn du Hunger hast, wärme sie wieder auf.
Ich bin damit beschäftigt, den Koffer einzuräumen.
Denk daran, nach dem Essen deine Habseligkeiten zusammen zu packen. Und vergiss nicht die Hälfte.
Ich habe dir einen Zettel auf das Bett gelegt.
Darauf stehen alle Sachen, die du unbedingt benötigst.
Komm mir nicht auf die Idee, nutzlosen Kram mit zu schleppen, dafür ist kein Platz im Wagen. Ich kontrolliere nochmals alles, wenn du fertig bist.“
Mit diesen Worten entschwand sie in das Schlafzimmer und Kathrin hatte erst einmal Gelegenheit, sich in aller Ruhe die Suppe aufzuwärmen und zu essen.
Nachdem sie gegessen und das schmutzige Geschirr in den Geschirrspüler gepackt hatte, schlürfte sie hoch in ihr Zimmer.
Auf dem Weg dorthin kam sie an Olivers Refugium vorbei.
Sie klopfte an und schlenderte hinein. Ihr Bruder lag mit geschlossenen Augen und earbuds auf seinem Bett.
Anscheinend hörte er Musik, denn seine Füße wippten im gleichförmigen Takt. Zuerst bemerkte er nicht, dass seine Schwester im Zimmer stand.
Erst, als sie ihn an seiner Schulter antippte, öffnete er erschrocken die Augen.
Erleichtert sah er, dass Kathrin und nicht Hannah vor ihm stand.
„Hast du schon deine Sachen gepackt?“, fragte sie ihn.
„Bis auf ein paar Kleinigkeiten habe ich alles zusammen“, antwortete er.
„Du weißt, dass Hannah kontrolliert, was wir mitnehmen?“
„Meinst du, sie guckt alles noch mal nach?“, fragte er ungläubig.
„Ja. Nimmst du Schwimmflossen und Schnorchel mit?“
„Klaro. Schnorcheln ist doch das einzige Vergnügen, dass ich auf der Insel haben werde“, antwortete er.
„Hoffentlich passt das ins Auto. Ich gehe dann mal und sehe zu, dass ich meinen Kram zusammenräume.
Wann kommt Papa denn heute? Hat er dir etwas gesagt?“
„Ich habe mitbekommen, wie er zu Hannah meinte, dass er rechtzeitig hier ist, um den Wagen schon mal startklar zu bekommen.
Eine genaue Uhrzeit hat er nicht genannt. Wie ist denn dein Zeugnis ausgefallen?“, erkundigte er sich interessiert.
„Nett, dass du fragst. Hannah scheint es nicht zu interessieren. Wenigstens etwas, das für sie gleichgültig ist.
Ich beklage mich nicht. Die schlechteste Note ist eine Drei, in Mathe, dann habe ich eine Zwei in Sport und ansonsten nur Einser. Und wie sieht es bei dir aus?“
„Ich bin zufrieden. In Bio reichte es zwar nur für eine Vier.
Das wird Papa gar nicht gefallen, aber in den anderen Fächern stehe ich insgesamt glatt zwei. Das kann sich doch sehen lassen, oder?“
„Finde ich auch“, unterstütze sie ihren Bruder.
Kathrin war im Begriff, Olivers Zimmer zu verlassen, da stand wie aus dem Nichts, Hannah vor ihr.
„Habe ich dir nicht vorhin erklärt, was du zu tun hast?“
Mit verschränkten Armen platzierte sie sich vor dem Mädchen und man merkte ihr an, dass sie innerlich aufgewühlt war.
„Ja, ich bin schon auf dem Weg“, entgegnete Kathrin mürrisch und wollte sich an ihr vorbeischleichen.
Hannah rührte sich jedoch nicht vom Fleck.
„Das ich dir immer alles mehrmals sagen muss, bevor du es dann umsetzt. Du bist mir gegenüber bockig.
Ich denke, es ist mal wieder soweit, Robert über dein Verhalten zu unterrichten. Ob ihm das so kurz vor unserer Abreise gefallen wird, weiß ich nicht, aber es ist erforderlich. So wie du dich heute aufgeführt hast, sehe ich keinen anderen Ausweg.“
Oliver mischte sich in das Gespräch ein.