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**Ein heißer Baseballspieler und eine zielstrebige Studentin in einer Wohnung. Was kann da schon passieren?** Sebastian Diese Saison ist die entscheidende Gelegenheit, mich bei der Nachwuchsauswahl der großen Baseball-Teams zu beweisen. Das Letzte, was ich brauche, ist eine Ablenkung – erst recht nicht eine so verführerische wie Mia di Angelo. Die Astrophysikstudentin ist klug und umwerfend schön – natürlich musste ich mich verlieben. Doch als es zwischen uns ernster wurde, hat sie mich abserviert. Jap, autsch. Jetzt braucht sie allerdings eine Bleibe für den Sommer. Vergangenheit hin oder her … bevor sie gar kein Alternative findet, sollte ich ihr wenigstens einmal anbieten bei mir einzuziehen. Sie und ich und eine Wohnung … mehr ist es doch nicht, oder? Mia Ich habe diesen Sommer genau zwei Ziele. Erstens: Mich für ein Auslandsstudium zu qualifizieren. Zweitens: Über den Baseballgott Sebastian Miller-Callahan hinwegkommen. Ich empfinde viel mehr für ihn, als ich jemals zugeben würde. Doch spätestens, wenn ich im Ausland bin, wird das mit uns nicht mehr funktionieren. Demnach ist wirklich das Allerletzte was ich jetzt gebrauchen kann, ausgerechnet mit dem Mann zusammenzuwohnen, der permanent meine Gefühle verrücktspielen lässt. Sebastian jeden Tag zu sehen, stellt mich auf eine wahre Zerreißprobe, doch ich muss mich beherrschen, denn unsere Zukunftspläne passen einfach nicht zusammen. Werde ich es schaffen, meine Gefühle zu kontrollieren? **Eine SPICY umgekehrte "Grumpy & Sunshine" Sports-Romance!**
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Grace Reilly
Stealing Home
Aus dem Englischen von Heike Holtsch und Fabienne Weuffen
**Ein heißer Baseballspieler und eine zielstrebige Studentin in einer Wohnung. Was kann da schon passieren?**
Sebastian
Diese Saison ist die entscheidende Gelegenheit, mich bei der Nachwuchsauswahl der großen Baseball-Teams zu beweisen. Das Letzte, was ich brauche, ist eine Ablenkung – erst recht nicht eine so verführerische wie Mia di Angelo. Die Astrophysikstudentin ist klug und umwerfend schön – natürlich musste ich mich verlieben. Doch als es zwischen uns ernster wurde, hat sie mich abserviert. Jap, autsch. Jetzt braucht sie allerdings eine Bleibe für den Sommer. Vergangenheit hin oder her … bevor sie gar kein Alternative findet, sollte ich ihr wenigstens einmal anbieten bei mir einzuziehen.
Sie und ich und eine Wohnung … mehr ist es doch nicht, oder?
Mia
Ich habe diesen Sommer genau zwei Ziele. Erstens: Mich für ein Auslandsstudium zu qualifizieren. Zweitens: Über den Baseballgott Sebastian Miller-Callahan hinwegkommen. Ich empfinde viel mehr für ihn, als ich jemals zugeben würde. Doch spätestens, wenn ich im Ausland bin, wird das mit uns nicht mehr funktionieren. Demnach ist wirklich das Allerletzte was ich jetzt gebrauchen kann, ausgerechnet mit dem Mann zusammenzuwohnen, der permanent meine Gefühle verrücktspielen lässt.
Sebastian jeden Tag zu sehen, stellt mich auf eine wahre Zerreißprobe, doch ich muss mich beherrschen, denn unsere Zukunftspläne passen einfach nicht zusammen.
Werde ich es schaffen, meine Gefühle zu kontrollieren?
**Eine SPICY umgekehrte „Grumpy & Sunshine“ Sports-Romance!
Wohin soll es gehen?
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Vorbemerkung
Viten
ANMERKUNG DER AUTORIN
Ich habe darauf geachtet, alles im Zusammenhang mit Baseball und anderen Sportarten am College wahrheitsgetreu wiederzugeben, aber ein paar Abweichungen kommen dennoch vor, sowohl beabsichtigte als auch unbeabsichtigte.
Für alle, die es jemals infrage gestellt haben:Eure Träume sind es wert. Erfüllt sie euch!
CONTENT NOTE
Liebe Leser*innen,
dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die Spoiler enthält. Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du auf Probleme stößt und / oder betroffen bist, bleibe damit nicht allein. Wende dich an deine Familie und an Freund*innen oder suche dir professionelle Hilfe.
Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.
Grace und das Carlsen-Team
1
Sebastian
18. Februar
ICH SCHWÖRE BEI GOTT, Mia di Angelo trägt diese Jeans nur, um mich zu quälen.
Penelope Ryders beste Freundin ist so einiges, aber heute ist »Granate« die einzig richtige Beschreibung.
Sie tanzt mit Julio, der seine Hände schon fast an ihrem Hintern hat. Ihr langes, dunkles Haar fällt ihr offen über die nackten Schultern. Ihr hellgrünes Neckholder-Top und ihre Jeans sitzen so eng, dass sie sich die Klamotten auch auf ihre Haut hätte tätowieren lassen können. Ich starre sie immer wieder an. Wie sie tanzt – hypnotisierend –, aber leider nicht mit mir, sondern mit einem meiner Teamkollegen.
Lachend schmiegt sie sich an ihn, während ich auf das Stück nackte Haut oberhalb ihrer Jeans starre. Meine Finger schließen sich fester um meinen Drink.
Vor zwei Nächten war ich derjenige, der sie zum Lachen gebracht hat, mit meiner Zunge an ihrem Bauchnabel, als ich vor ihr auf die Knie ging.
Vor zwei Wochen hat sie mich in einen Raum in der fünften Etage der Bibliothek gezerrt und geküsst, bis mir die Luft wegblieb.
Vor zwei Monaten hat sie mich zum ersten Mal angelächelt. Erst richtete sich ihr Blick auf Penny und meinen Bruder Cooper, dann auf mich, und sie hat gelächelt. Für einen Sekundenbruchteil hat sich die Erdachse verschoben. Ich habe die Luft angehalten, stand da wie erstarrt und habe mich direkt in sie verknallt. Immer wieder habe ich sie vor mir gesehen, mit allen perfekten Einzelheiten: die kaum sichtbare Lücke zwischen ihren Vorderzähnen, den schwarzen Lippenstift, den geschwungenen Lidstrich, ihre dunkelbraunen Augen.
Erst mal hat sie mir nur einen bösen Blick zugeworfen. Als wäre ich persönlich für irgendetwas verantwortlich, was ihr in dem Moment auf die Nerven ging. Aber dann hat sie plötzlich gelächelt.
Wie ein Engel.
Neben mir höre ich Coopers Teamkollegen herumalbern. Sein Freund Evan Bell fragt, ob er vielleicht Chancen bei Mia hätte.
Auf keinen Fall!
Ich kenne nur einen, der mit ihr fertigwird. Und das ist sicher nicht Evan. Auch nicht Julio.
Ich trinke einen Schluck, dann klopfe ich Evan auf die Schulter. »Bei allem Respekt, Alter, die würde dich lebendig fressen und deinen Tiefschutz wieder ausspucken.«
Mickey, auch einer von Coopers Teamkollegen, pfeift durch die Zähne und lässt eine von Izzys Freundinnen stehen. »Damit könnte ich mich abfinden«, sagt er.
Ich versuche, mir nicht anmerken zu lassen, wie genervt ich bin. Mickey könnte es schaffen, in Mias Bett zu landen, aber er müsste sich höllisch was einfallen lassen, um auch dort zu bleiben.
Viermal war ich mit ihr zusammen.
Und jedes Mal hat sie gesagt, es würde kein weiteres Mal geben.
Doch wenn sie heute Nacht mit jemandem ins Bett geht, dann mit mir. Eigentlich sollte ich sie mit Julio oder Mickey oder sonst jemandem herumflirten lassen. Sie hat schließlich klargestellt, dass das mit uns rein körperlich ist. Aber ich weiß nicht, ob mir das reicht. Deshalb sollte ich sie lieber vergessen.
Leichter gesagt als getan.
Cooper macht sich auf die Suche nach Penny – weil sie bei irgendeinem Spiel mitmachen soll, Bierpong oder so.
Ich stoße mich von der Wand ab und gehe auf die Tanzfläche. »Kann ich abklatschen?«
Julio zieht die Augenbrauen hoch, aber er scheint nicht allzu sauer zu sein. Ich habe keinem meiner Teamkollegen von dem On-and-off zwischen Mia und mir erzählt. Auch sonst niemandem. Das geht nur uns beide etwas an.
»Gilt hier nicht Damenwahl?«, fragt Julio.
Mia gerät etwas aus dem Takt und sieht mich mit finsterem Blick an. Sie hat irgendein Glitzer-Make-up aufgetragen, sogar ihr Hals und ihr Ausschnitt schimmern. Ihre Stimme klingt so giftig, wie sie sollte. Nur Fassade. Will ich doch hoffen! »Ehrlich jetzt?«
»Nur ein Tanz.«
Der Song endet, und als der nächste anfängt, strecke ich die Hand nach ihr aus.
»Na gut.« Sie macht eine gehörige Show daraus, Julio einen Kuss auf die Wange zu geben. »Du weißt ja, wo du mich findest.«
Ich ziehe sie an mich. Zum Tanzen, schon klar, aber auch, um ihren heißen Körper zu spüren. »Hättest du dir nicht einen der Eishockey-Spieler, die hier überall rumlaufen, aussuchen können, um’s mir zu zeigen?«
Sie dreht sich um und reibt ihren Prachthintern an mir. Jetzt bin ich derjenige, der aus dem Takt gerät, ehe ich ihr einen Arm um die Taille lege und sie eng an mich ziehe.
»Es dir zeigen?«, fragt sie und dreht sich halb zu mir um, sodass ihre Lippen mein Ohr streifen.
Mein Griff um ihre Taille wird fester. »Julio ist einer meiner Teamkollegen.«
»Also lieber mit Evan?«
»Nein.« Ich wirbele sie herum. Die schwungvolle Drehung zaubert ihr ein Lächeln auf die Lippen. Das muss ich sofort abspeichern. Von ihren vielen Gesichtsausdrücken sind die mit einem Lächeln immer die besten. Und die seltensten. »Mit mir.«
»Woher willst du wissen, dass ich noch interessiert bin?«
»Das sehe ich dir an, di Angelo«, hauche ich ihr ins Ohr. Obwohl es hier brütend heiß ist, kriegt sie Gänsehaut.
Sie dreht sich ganz zu mir um und sieht mir in die Augen. Mit ihren High Heels ist sie fast so groß wie ich. Die würde ich ihr am liebsten abstreifen und ihr dann schön langsam die Jeans ausziehen. Ihre Augen schimmern, umrandet von ihrem typischen Eyeliner. »Penny schläft doch heute Nacht hier, oder?«
»Cooper wird sie so bald nicht aus seinen Fängen lassen.«
»Dann kannst du zu mir ins Apartment kommen.«
Ich antworte nur mit einem Grinsen. Ein Teil von ihr – irgendwo tief verborgen – scheint mein Lächeln zu mögen.
Dennoch sollte ich mir nicht zu große Hoffnungen machen, aber Himmel noch mal, ich tue es trotzdem.
2
Mia
6. Mai
EINE MINUTE VOR MEINEM TERMIN bei Professor Santoro schlittere ich ins Bragg Science Center. Unpünktlichkeit kommt bei ihr gar nicht gut an, also sprinte ich mit zwei Stufen auf einmal die Treppe hoch bis in die fünfte Etage. War wohl keine so gute Idee, gestern Abend noch etwas trinken zu gehen mit Erin, einer Kommilitonin aus dem Fachbereich Physik, die schon im letzten Studienjahr ist. Natürlich ist es nicht bei ein paar Drinks geblieben. Ich war mal wieder leichtsinnig und bin anschließend bei ihr gelandet. Dafür kriege ich jetzt die Quittung.
Definitiv die Quittung. In der dritten Etage bleibt mir schon die Luft weg und ich muss erst mal stehen bleiben. Mein Kopf dröhnt, als würde er permanent mit einem Vorschlaghammer bearbeitet. Und die Nummer war es nicht mal wert. Viel zu viel Spucke.
Aber ich hatte schon immer so glorreiche Ideen. Explosive Experimente im Chemielabor der St. Catherine Academy. Lagerfeuer-Partys am Waldrand meiner Heimatstadt in South Jersey. Schnelle Nummern in begehbaren Kleiderschränken, leeren Klassenräumen oder Toilettenkabinen. Und in letzter Zeit fällt mir besonders viel Glorreiches ein.
Weil es leichter ist, mich Hals über Kopf in irgendwelche Affären zu stürzen und in meiner Freizeit von einer Party zur nächsten zu hetzen, als pausenlos an ihn denken zu müssen.
Sebastian Miller-Callahan. Entsetzlich nett. Entsetzlich gut im Bett. Entsetzlich gut im Baseball – auch das noch! Mit Sportlern wird es nämlich immer schwierig.
Mal ganz abgesehen davon, dass er der Bruder des festen Freundes meiner besten Freundin Penny ist. Ich kann ihm also nicht ständig aus dem Weg gehen. Auf lange Sicht wird der strahlende Baseball-Gott Teil meines Lebens bleiben, daran können noch so viele Affären nichts ändern.
Über einen Monat lang habe ich versucht, etwas dagegen zu unternehmen. Trotzdem wünsche ich mir manchmal, ich wäre eine andere. Wäre ich ein nettes Mädchen und würde Sebastian verdienen, hätte ich vielleicht nicht die Flucht ergriffen, als sein Bruder wegen irgendeiner Baseball-Kappe in sein Zimmer hereinplatzte, als wir gerade richtig loslegen wollten.
In der fünften Etage angekommen streiche ich mir die Haare glatt und hetze über den Flur. Ich bin verkatert und habe mehr Liebeskummer, als ich zugeben möchte. Aber nachdem ich die Stelle als studentische Mitarbeiterin im Labor von Professor Santoro ergattert habe, obwohl ich erst ins dritte Studienjahr komme, wäre es ja wohl das Allerletzte, sie sausen zu lassen! Auf der Highschool habe ich mir dafür den Hintern aufgerissen: an der McKee in einer der Top-fünf-Fakultäten für Astronomie studieren und im Labor unterkommen, die Chance auf echte Forschungsarbeit und eine hoffentlich lange Karriere, bei der ich die Sterne betrachten kann – und mich für ein Auslandsstudium in Astrophysik an der Universität von Genf bewerben.
Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich mich in den Weltraum verliebt habe. Natürlich sind mir die Sterne schon immer aufgefallen, aber erst bei einem Lagerfeuer im Sommerurlaub mit meiner Familie habe ich sie wirklich wahrgenommen. Mein Nonno war immer der Träumer in einer ansonsten praktisch veranlagten Familie. Er brachte ein Teleskop mit an den Strand, und während alle anderen lachend um das Feuer herumsaßen und Wein aus Pappbechern tranken, bin ich ihm in die Dünen gefolgt.
»Wollen wir doch mal sehen, ob wir einen Planeten finden«, sagte mein Großvater, während er das Teleskop aufstellte. »Vielleicht können wir den Mars oder Jupiter erkennen. Jetzt ist die beste Zeit für Sternengucker.«
Durch das Teleskop zum Himmel hinaufzuschauen, kam mir vor wie Magie. Selbstverständlich konnten wir die Planeten erkennen, auch den Saturn. Mit großen Augen klebte ich förmlich an dem Teleskop.
»Eines Tages«, sagte er, als er mit den Händen in den Taschen seiner Leinenhose so andächtig zum Himmel hinaufsah, wie ich es von ihm sonst nur in der Kirche kannte, »wird man vielleicht ein anderes kleines Mädchen entdecken, das von da oben durch ein Teleskop auf die Erde hinunterschaut. Und vielleicht wirst du diejenige sein, die diese Entdeckung macht, Maria.«
Er sagte mir immer, ich könne alles erreichen. Als ich mich immer mehr für den Weltraum begeisterte, schickte er mir Artikel der NASA, die wir anschließend zusammen lasen. Er ermutigte mich, Mathematik und naturwissenschaftliche Fächer zu wählen und bei der Robotik-AG mitzumachen. Als er mich an dem Morgen, bevor er an einem Herzinfarkt starb, von der Schule abholte – nachdem ich den Nonnen wieder einmal Ärger bereitet hatte –, meinte er, er sei überzeugt davon, dass ich zu etwas Großem berufen bin.
Jetzt stehe ich vor Professor Santoros Büro, klopfe an die Tür und nutze die fünf Sekunden, bis sie »Herein« ruft, um mir noch mal mit den Fingern durchs Haar zu kämmen. Warum habe ich mich bloß wieder mit Erin eingelassen?
Weil mir Sebastian Miller-Callahan noch immer im Kopf herumspukt. Deshalb.
Das muss aufhören. Ich muss mich auf die Arbeit im Labor konzentrieren. Mich für das Auslandsstudium bewerben. Meine Zukunft gestalten – aufgepasst, NASA, ich komme! –, die ich weit weg von New Jersey und der Familie di Angelo verbringen werde. Danke auch dafür.
Ein gewisser Baseball-Spieler mit grünen Augen kommt darin nicht vor.
Außerdem war ich diejenige, die ihn hat stehen lassen.
Aber ich wette, er verschwendet sowieso keinen Gedanken mehr an mich.
»Herein«, ruft Professor Santoro schließlich.
Vorsichtig öffne ich die Tür.
Professor Beatrice Santoro ist der Hauptgrund, warum ich unbedingt an der McKee University studieren wollte, obwohl es an einigen anderen Unis bessere Stipendien gegeben hätte und die Aufnahmebedingungen einfacher gewesen wären. Sie ist eine knallharte ältere italienische Dame, die mich nur einmal kurz anzusehen brauchte, um zu erkennen, welche Grundlagen ich mitbringe – sowohl die Herausforderungen als auch meine Begeisterung. Und jetzt, nachdem ich mir zwei Jahre lang in diesem Fachbereich den Hintern aufgerissen habe, werde ich in ihrem Labor arbeiten. Dass sie studentische Mitarbeitende für ihr Allerheiligstes zulässt, kommt nur selten vor, allenfalls solche, die kurz vor ihrem Abschluss stehen. Aber ich habe mir diese Stelle verdient. Mit gewissenhafter Arbeit und Fachkenntnissen in Programmiersprachen wie Python und C++, Freiwilligendienst im Campus-Planetarium und regelmäßiger Präsenz in Vorlesungen und Symposien, ohne eine einzige Fehlzeit.
Mein Großvater war immer der Einzige, der an mich glaubte – bis ich Professor Santoro begegnete.
Du hast eine glänzende Zukunft vor dir, Mia. Die Sterne werden deine Zukunft bestimmen. Wenn du bereit bist, alles dafür zu tun.
Zwei Jahre lang habe ich alles getan, um mich dieser Worte als würdig zu erweisen, und nun bin ich bereit, sie wahr werden zu lassen.
»Mia«, begrüßt mich Professor Santoro freundlich. »Wie geht es Ihnen?«
Professor Santoros kleines Büro ist vollgestopft mit Büchern. Gerahmte Fotos vom Weltraum und den Sternen hängen an einer Wand wie in einer Galerie. Ihre akademischen Grade und Auszeichnungen reihen sich hinter ihrem Schreibtisch aneinander. Am liebsten macht sie sich handschriftliche Notizen, und die Notizbücher stapeln sich zu beiden Seiten ihres Schreibtisches, als wollten sie dort Wache halten.
Ich setze mich, und sie rückt sich ihre Brille zurecht, die ihrem anmutig gealterten Gesicht etwas Verschrobenes verleiht. Das von silbrigen Fäden durchzogene Haar fällt ihr offen über die Schultern.
Ich bringe ein Lächeln zustande, obwohl ich so fertig bin, dass ich mich am liebsten auf ihren Schreibtisch sinken lassen würde. »Bestens. Und Ihnen?«
Professor Santoro lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück und legt die Fingerspitzen aneinander. »Ebenfalls. Ich freue mich, Sie über den Sommer als Forschungsassistentin bei uns zu haben. Dank Ihrem Interesse an der Entdeckung von Exoplaneten sind Sie genau die Richtige dafür.«
Vor lauter Aufregung muss ich mich zusammenreißen, um nicht mit einem Bein zu wippen. Exoplaneten sind eine relativ neue Entdeckung – laut offiziellen Angaben waren sie bis 1995 nur theoretisch vorhanden –, doch mittlerweile wurden Tausende nachgewiesen. Dabei handelt es sich um Planeten, die nicht unsere Sonne, sondern einen anderen Stern umkreisen. Unter den Milliarden exosolarer Planeten, die seitens der Wissenschaft im Weltraum vermutet werden, könnte es durchaus einen mit außerirdischem Leben geben. Professor Santoro war von Anfang an bei dieser Art von Forschungsarbeit dabei. Und jetzt für sie zu arbeiten, wenn auch nur in kleinem Rahmen, um weitere Exoplaneten zu entdecken und zu klassifizieren, lässt alles andere in den Hintergrund treten.
»Alice wird Ihnen die Laborzeiten mailen«, sagt sie. »Für die wöchentlichen Besprechungen müssen Sie sich einlesen. Kommen Sie möglichst gut vorbereitet. Ich möchte, dass Sie in Zusammenarbeit mit Alice das Programm umschreiben, das wir zur Messung der Atmosphäre dieser Planeten nutzen. Ich glaube, Ihr scharfes Auge in Sachen Programmierung wird hilfreich sein, um es zu optimieren. Ich hätte gern eine Version zur Modellierung auf Basis der Daten, die das neue James-Webb-Teleskop liefert, um sie für den analytischen Teil meines aktuellen Forschungspapers zu verwenden.«
Ich nicke. »Verstehe.«
Ihr Blick wird kritischer. »Wie läuft es sonst bei Ihnen, Mia? Mit Ihrer Familie?«
»Gut.«
»Glauben sie noch immer, Sie würden in der Summer School unterrichten?«
Meine Wangen glühen. Ich senke den Blick auf meine Hände. Laut Ansicht meiner Familie kann man als Frau die Karriereleiter nur erklimmen, wenn man Lehrerin wird, und das auch nur, bis man selbst Kinder hat. So hat es meine Nonna gemacht. Meine Mutter und meine Tante auch. Ich schätze, meine ältere Schwester Giana wird noch ein weiteres Jahr unterrichten, bevor sie mit ihrem Mann ein Kind nach dem anderen in die Welt setzen wird, obwohl sie früher immer Anwältin werden wollte. Deshalb denken alle, ich studiere auf Lehramt. Aber wenn ich zum Auslandsstudium in Genf zugelassen werde, kann ich meiner Familie beweisen, dass ich für dieses Forschungsgebiet bestimmt bin, und ihnen alles erklären. Dabei will ich sie bei etwas so Wichtigem gar nicht belügen.
»Das erspart mir eine Menge Ärger. Sie würden es sowieso nicht verstehen.«
»Dennoch«, sagt Professor Santoro. »Es ist Ihre Familie. Meine Eltern konnten zunächst auch nicht nachvollziehen, dass ich ständig vor einem Teleskop hing, aber letzten Endes haben sie Verständnis aufgebracht.«
»Ihr Vater war Arzt«, halte ich dagegen. »Meiner installiert Heizungs- und Klimaanlagen.«
Sie nimmt ihre Brille ab und faltet sie sorgfältig zusammen. »Ende Juni werde ich ein Symposium leiten. Daran werden Forschende verschiedener Universitäten teilnehmen. Ich möchte, dass Sie eine Präsentation über Ihr Forschungsthema halten.« Eindringlich sieht sie mich an. »Verstehen Sie, was das bedeutet?«
Mir stockt der Atem. »Ja.«
»Halten Sie eine gute Präsentation, dann werden Sie meine Empfehlung für Ihr Auslandsstudium in Genf gar nicht mehr brauchen. Robert Meier wird nämlich auch anwesend sein. Ich habe ihm bereits gesagt, dass er meine vielversprechendste Studentin kennenlernen wird.« Sie steht auf, um mir zu signalisieren, dass damit alles besprochen ist. Ich schwinge mir meine Tasche über die Schulter. »Vielleicht denken Sie einmal darüber nach, auch Ihre Familie zu der Veranstaltung einzuladen.«
Dieser Vorschlag haut mich nicht gerade um. Eigentlich will ich nicht einmal darüber nachdenken – da der einzige Mensch, der sich dafür interessieren würde, längst tot ist. Aber ich nicke. »Bis Montag.«
Professor Santoro hat sich bereits zu ihren Bücherregalen umgedreht und stöbert zwischen den dicken Folianten. Auf zum nächsten Problem des Tages. »Jaja, Montag.«
3
Sebastian
SO FRÜH AM MORGEN HERRSCHT IM HAUS STILLE.
Mit den Planks bin ich durch und nehme mir ein Paar Acht-Kilo-Hanteln. Neben mir macht Cooper dasselbe. Sprechen ist nicht nötig, nachdem wir diese Work-outs seit Jahren zusammen machen. Manchmal lassen wir Musik laufen, aber heute nicht. Keine Ablenkung, bis auf die Gedanken, die mir immer wieder durch den Kopf geistern.
Da Cooper im Eishockey-Team der McKee spielt und ich im Baseball-Team, hätten wir auch zum Campus-Fitnesscenter fahren können, das 24/7 geöffnet hat. Das Semester ist zu Ende und Cooper wird gleich mit seiner Freundin Penny zu einem Roadtrip aufbrechen, aber vorher will er noch eine Weile die Katze um sich haben – die gerade auf seinem Reisetrolley sitzt.
Blinzelnd sieht sie uns aus ihren Bernsteinaugen an, mit diesem irritierenden Blick, als würde sie einen immer durchschauen. Hunde sind mir eigentlich lieber, aber ich habe Tangy inzwischen ins Herz geschlossen. Cooper und Penny haben sie letzten Herbst als kleines Kätzchen draußen gefunden, und seitdem ist sie unsere Mitbewohnerin. Ich habe ihr noch immer nicht ganz verziehen, dass sie mir eine Maus in die Baseball-Schuhe gelegt hat, aber sie ist niedlich. Solange Cooper und Penny auf Reisen sind und Izzy in Manhattan ein Praktikum macht, bin ich allein für sie zuständig. Ob wir uns dann richtig anfreunden oder es damit endet, dass sie mich im Schlaf attackiert, kann ich noch nicht einschätzen.
Sie peitscht mit ihrem Schwanz hin und her, als würde sie Letzteres schon mal in Betracht ziehen. Als wir mit den Übungen fertig sind, lege ich die Hanteln auf den Boden und fahre mir durch meine zotteligen Strähnen. Typische Baseball-Frisur, sagt Izzy immer scherzhaft. Meine Haare sind jetzt sogar länger als Coopers. Nachdem er mit seinem Team die Frozen Four gewonnen hat, konnte Penny ihn überreden, seinen Bart zu stutzen und sich die Haare schneiden zu lassen.
Prüfend sieht er mich an. »Du bist heute so schweigsam.«
»Hab nicht viel geschlafen.« Ich mache ein paar Stretch-Übungen. Beim letzten Set fing meine Schulter an zu protestieren. Vor ein paar Tagen bin ich bei einem Spiel gegen die Absperrung hinter dem Warning Track geknallt, als ich an einen Deep Fly herankommen wollte. Den Ball habe ich gekriegt. Und eine Prellung noch dazu. Verloren haben wir trotzdem. Das vierte Mal in Folge. Wenn wir es in die Playoffs schaffen wollen, müssen wir das sinkende Schiff wieder auf Kurs bringen.
Cooper seufzt mitfühlend. »Ich dachte, das wäre besser geworden.«
Ich zucke mit den Schultern und trinke einen Schluck Wasser. »Mal so, mal so. Gestern Abend konnte ich nicht einschlafen. Da habe ich noch ein bisschen den Umgang mit dem Messer geübt. Und mir eine Doku über Brotbacken in Frankreich angesehen.«
Darüber kann Cooper nur den Kopf schütteln. »Ich hatte mich schon über die Unmengen gehackter Zwiebeln im Kühlschrank gewundert. Manchmal ist dein Hobby echt seltsam, Mann.«
»Die waren nicht gehackt, sondern gewürfelt. Und du kannst es ruhig komisch finden, aber alles, was ich koche, scheint dir ja zu schmecken.«
»Und wie! Das ist immer verdammt lecker.« Er legt die Hanteln ab und macht auch ein paar Dehnübungen. Tangerine kommt auf Samtpfoten angeschlichen und streift um seine nackten Beine herum. Cooper nimmt sie auf den Arm und drückt sie an sich. Sie schnurrt zufrieden. »Trotzdem scheiße, dass du nicht schlafen konntest. Willst du drüber reden?«
»Hast du für die Reise alles eingepackt? Ihr wollt doch als Erstes James und Bex besuchen, oder?«
»Sebastian.«
Sorge steht in den tiefblauen Augen meines Adoptivbruders. Er legt mir eine Hand auf die Schulter und drückt sie. »War es …«
Ein Albtraum? Einer dieser furchtbaren Albträume, die auch nach Jahren teurer Therapien manchmal noch wiederkommen? Trotz all der Mühe, die seine Eltern – meine Adoptiveltern – sich gegeben haben.
Plötzlich habe ich einen Kloß im Hals und muss schlucken. »Nein. Kein Albtraum.«
Kein Knirschen von schleifendem Metall und splitterndem Glas. Kein Blut auf Ledersitzen. Kein Schrei, der von einer durchtrennten Luftröhre abgeschnitten wird. Auch ein Jahrzehnt danach ist all das noch deutlich präsent. Wenn man als Elfjähriger in die leblosen Augen seiner Mutter sieht, vergisst man das nicht. Es ist, als hätte einem jemand den Schädel gespalten und die Bilder und Geräusche dort eingebrannt.
Coopers Griff um meine Schulter wird fester. Er hat mir mal gesagt, dass er es mir immer anmerkt, wenn ich in diesen Erinnerungen versinke. Damals waren wir vierzehn und hockten unter der Tribüne, als unser älterer Bruder James wie so oft an Freitagabenden ein Football-Spiel hatte, jeder mit einem geklauten Bier in der Hand. Es war im Herbst, an einem der seltenen Abende, an denen Cooper nicht aufs Eis musste und ich kein Training hatte – im Oktober, als es auf Long Island nach einer späten Hitzewelle kühler wurde. Ich glaube, es lag an dem plötzlichen Wolkenbruch, dass die Erinnerung getriggert wurde. Wir saßen im Trockenen, in absoluter Sicherheit, aber ich starrte nur noch auf den prasselnden Regen. Cooper musste mich schütteln, um mich in die Gegenwart zurückzuholen.
Aber jetzt entwinde ich mich seinem Griff. »Ich kann … bloß nicht schlafen.«
Sein Blick wird kritisch. »Ihretwegen?«
Das will ich Cooper im Augenblick nicht erzählen, denn die Situation mit seinem Vater entspannt sich erst allmählich. Zwischen uns beiden gab es Anfang des Jahres auch Streit, als sein Onkel, dieser Drecksack, nach jahrelanger Abwesenheit wieder in New York auftauchte und ihn um das Geld aus seinem Treuhandfonds bringen wollte. Aber wenn Cooper dieses Gesicht macht, sieht er aus wie Richard Callahan, bis hin zu den zusammengezogenen Augenbrauen.
Die Callahans sehen alle gleich aus, mit ihren dunklen Haaren und den tiefblauen Augen. Die Familienähnlichkeit kann man gar nicht übersehen. Richard Callahan, die Quarterback-Legende. Sein Sohn James, der zwei Jahre älter ist als Cooper und ich und gerade sein erstes Jahr in der NFL hinter sich hat. Cooper, mein bester Freund und fast wie ein Zwillingsbruder. Unsere kleine Schwester Izzy, ein Energiebündel mit verdammt hartem Volleyball-Aufschlag und so großer Klappe, dass sie ständig in Schwierigkeiten gerät.
Ich habe das blonde Haar meiner verstorbenen Mutter und die grünen Augen meines verstorbenen Vaters und den Nachnamen Callahan. Seit meinem zwölften Lebensjahr trage ich ihn auf dem Rücken meines Baseball-Trikots. Seit zehn Jahren ist Coopers Familie auch meine Familie, dank einer Abmachung, die Richard und mein Vater, Jacob Miller, getroffen haben, als sie selbst noch junge Männer waren und voller Hoffnung auf eine Zukunft in der NFL und der MLB. Richard und Sandra haben mich nach dem Tod meiner Eltern mit offenen Armen in ihrer Familie aufgenommen, und dafür werde ich ihnen auf ewig dankbar sein.
Nach all den Jahren, in denen wir zu Brüdern wurden, weiß Cooper, wann ich mit etwas hinter dem Berg halte. Ich kraule Tangerine hinter den Ohren. Mein Schweigen sagt genug: Ich kann Mia di Angelo einfach nicht vergessen.
Genieß noch mal die schöne Aussicht, Callahan.
Ihre Worte verfolgen mich. Mittlerweile ist ein Monat vergangen, und noch immer habe ich diese Worte im Ohr. Erst lag sie in meinem Bett, in meinen Armen, und wir waren kurz davor, mehr daraus zu machen. Aber dann ist sie Hals über Kopf geflüchtet und sagte mir, ich soll noch mal die schöne Aussicht genießen – als würde ich sie nie wiedersehen. Seitdem habe ich sie wiedergesehen, schließlich ist sie ja Pennys beste Freundin. Außerdem ist es ein Ding der Unmöglichkeit, ihr nicht auf dem Campus über den Weg zu laufen. Aber sie benimmt sich, als würde ihr alles, was wir miteinander hatten, all die Gespräche, all die schönen Momente, rein gar nichts bedeuten.
»Willst du mir irgendwann mal erzählen, was bei euch vorgefallen ist?«
»Du hast doch selbst gesehen, wie sie abgehauen ist.«
»Ich verstehe sie nicht«, sagt Cooper seufzend. »Sie ist Pennys beste Freundin, ich weiß. Aber manchmal ist sie ganz schön … schwierig.«
»Und sie hat überhaupt nicht mehr von mir gesprochen?« Mein bemitleidenswerter Tonfall geht mir selbst auf die Nerven, aber ich musste diese Frage einfach stellen. Nervös drehe ich das Medaillon hin und her, das meinem Vater gehörte und das ich immer an einer Kette um den Hals trage.
Cooper zuckt mit den Schultern. Vermutlich hat er wieder vor Augen, wie er in mein Zimmer reingeplatzt ist. Es war nicht mal so, dass Mia und ich gerade Sex gehabt hätten, aber von einem Moment zum anderen war jegliche Vertrautheit dahin und Mia hat sich wieder in ihrem stählernen Panzer verschanzt.
»Wenn sie über dich gesprochen hat, dann bestimmt nicht mit mir, sondern mit Penny. Sie kann sich ja denken, dass ich es dir erzählen würde.«
»Na toll!«
»Aber du hast mir auch nichts Genaues erzählt.«
Ich ziehe eine Grimasse. »Nee. Werde ich auch nicht.«
»Worüber ihr euch so Gedanken macht!«, sagt Penny vom oberen Treppenabsatz aus. Mit nackten Füßen kommt sie zu uns herunter, in einem Shirt mit einem Drachen darauf, das garantiert meinem Bruder gehört. Mit seiner Fantasy-Nerd-Ausrüstung könnte er einer Fan-Convention Konkurrenz machen. Pennys hellrotes Haar – so ganz anders als Mias schwarze Locken – ist dermaßen zerzaust, dass ein Vogel darin nisten könnte. »Nur fürs Protokoll: Mir hat sie auch nichts erzählt. Sie will nicht darüber reden.«
Ihrem Tonfall nach scheint auch sie sich Gedanken über Mia zu machen. Schließlich ist sie ihre beste Freundin. Ich behalte Mia ebenfalls im Auge, und ich weiß, es geht mich gar nichts an, aber in letzter Zeit scheint sie ordentlich einen draufzumachen. Was ihr gutes Recht ist – das mache ich ja auch. Aber nach allem, was wir miteinander hatten?
Wenn ich an diesen Moment in meinem Zimmer denke, sehe ich immer ihren verschmierten Lippenstift und ihre funkelnden braunen Augen vor mir. Wir haben herumgeknutscht, und ich habe sie gefragt, ob sie nicht doch mal mit mir essen gehen will – wenigstens ein richtiges Date nach monatelangem heimlichem Vögeln –, und sie hat Ja gesagt. Eine Minute später ist Cooper hereingestürmt, und noch eine Minute später hat sie sich ihre NASA-Tasche über die Schulter geschwungen und ist abgehauen.
Genieß noch mal die schöne Aussicht, Callahan.
Seitdem verhält sie sich, als hätte sie mich, ohne einen weiteren Gedanken an mich zu verschwenden, aus ihrem Leben gestrichen. Ich habe es noch nicht über mich gebracht, Cooper alle Einzelheiten zu erzählen. Aber ich bin zu unserem geplanten Date gegangen. Über zwei Stunden lang habe ich auf sie gewartet, falls sie doch noch auftauchen würde. Doch sie hat mich versetzt. Das will ich meinem Bruder gegenüber nicht zugeben. Erst recht nicht, weil seine Freundin Mias beste Freundin ist.
»Kommst du wirklich eine Weile allein hier zurecht?«, fragt Cooper und wirft Penny einen Blick zu. »Sollen wir zwischendurch mal reinschauen? Oder zu deinen Spielen kommen? Ich weiß, dass Mia …«
Ich schüttele den Kopf. »Nein. Habt eine schöne Reise! Und grüßt James und Bex von mir. Ich komme schon klar.«
Penny gibt Cooper einen Kuss auf die Wange. Er zieht sie an sich, legt sein Kinn auf ihren Kopf und wiegt sie hin und her. Das macht er oft, ganz unbewusst. Ich verdränge den Anflug von Eifersucht. Dass James mit Bex eine feste Beziehung eingegangen ist, war kein Wunder. Schon immer hat er auf die große Liebe gewartet. Auf eine Frau zum Heiraten und Kinderkriegen, ein Haus mit weißem Gartenzaun und Hund. Als Cooper dann Penny kennenlernte und sie seine feste Freundin wurde, war das für alle eine Überraschung. Aber es tut ihm gut, eine Frau an seiner Seite zu haben, eine Frau, die er lieben kann. Für mich macht es in mancher Hinsicht alles noch viel schlimmer, weil mir das lockere Leben fehlt, das wir vorher gemeinsam hatten.
Meine Brüder haben es beide verdient, die große Liebe gefunden zu haben. Aber es ist ätzend, sich einsam zu fühlen und sich Gedanken über eine Frau zu machen, der ich anscheinend so lästig bin wie Hundescheiße unter den Schuhen.
»Wir haben meinem Dad versprochen, dass wir noch zum Frühstück vorbeikommen, bevor wir losfahren«, sagt Penny.
Ich räuspere mich. »Dann los. Ich muss sowieso gleich zum Training.«
»Wenn es was Neues vom Draft gibt, schreibst du mir das aber«, sagt Cooper mit einem leichten Grinsen. Da die Eishockey-Saison schon vorbei ist, hat er massenhaft Zeit, sich mit allem Möglichen zu beschäftigen – vor allem damit, Vermutungen darüber anzustellen, bei welchem Team ich nach dem Draft der Major League Baseball im Juli unterschreiben werde. Ich selbst will noch gar nicht zu viel darüber nachdenken, sonst kriege ich sofort ein flaues Gefühl im Magen. »Dad erwähnte letztens die Marlins? Obwohl ich es natürlich überhaupt nicht toll fände, wenn du nach Miami ziehen würdest.«
Ich ringe mir ein Lächeln ab. Ich will es nicht zugeben, nicht einmal Cooper gegenüber, aber das Auswahlverfahren kommt mir vor wie eine in rasender Geschwindigkeit über mir aufziehende Sturmwolke. Das mag absurd scheinen, weil ich immer darauf hingearbeitet habe. Es ist das Vermächtnis meines Vaters. Das Vermächtnis, das er hinterlassen wollte. Seit ich zum ersten Mal einen Baseball-Schläger in den Händen hielt, habe ich diesen Sport geliebt. Baseball war immer mein Leben, und sobald ich gedraftet werde, wird es meine Zukunft bestimmen.
Doch in letzter Zeit meldet sich immer öfter eine innere Stimme, gerade laut genug, dass ich sie nicht überhöre. Und dann frage ich mich, ob es die richtige Zukunft ist.
Als ich in dem Sommer nach der Highschool das erste Draft-Angebot ablehnte und mich dem Baseball-Team der McKee verpflichtete, bedeutete das, dass ich erst ab meinem einundzwanzigsten Lebensjahr am Auswahlverfahren würde teilnehmen können. So machen es viele Baseball-Spieler. Man sieht sich das Angebot an, studiert an einer Uni, und während man im College-Team mit jeder Saison besser wird, plant man die nächsten Schritte. Den fast täglich erscheinenden Artikeln nach, die Richard mir immer schickt, soll ich schon in der ersten Runde von den Miami Marlins oder den Texas Rangers gedraftet werden. Außerdem ist die Rede davon, dass sich die Cincinnati Reds im Tausch gegen mehr Picks in den späteren Runden zu einem Erstrunden-Pick hochhandeln wollen, um wieder einen Miller in ihrem Team zu haben.
So hätte Dad es gewollt. Wenn ich die Augen schließe und mich darauf konzentriere, höre ich noch immer, wie er über Baseball sprach, über die Geschichte dieser als Schlagball aus Europa stammenden Sportart, ihre Schönheit und ihre Symmetrie, die sich auch im Aufbau des diamantförmigen Spielfelds zeigen und sie in der amerikanischen Kultur haben überdauern lassen. Er war berühmt für seine Geduld. Kontrollierte geballte Energie in der Batter’s Box, immer bereit zum entscheidenden Schlag. Der Major-League-Home-Run-Rekord, den er in seiner letzten Saison vor dem Unfall aufstellte, ist noch immer ungebrochen.
Eine Menge Leute da draußen erwarten von mir, dass ich ihn eines Tages übertreffe.
Es hätte etwas Poetisches, seinen Sohn unter Vertrag zu nehmen – ein Jahrzehnt nach dem tragischen Unfall, der einen der besten Baseball-Spieler aller Zeiten viel zu früh aus dem Spiel nahm. Es war die größte Tragödie in der Welt des Baseballs, seit Thurman Munson von den New York Yankees 1979 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam.
Vor ein paar Tagen hat mich jemand von The Sportsman, dem ältesten Sportmagazin des Landes, um ein Interview gebeten. Aber ich habe noch nicht geantwortet.
Ich liebe Baseball über alles. Wenn ich einen Fly Ball erwische oder auf gerader Linie dicht über dem Boden einen Line Drive schlage oder die Home Plate erreiche und einen Punkt mache, fühle ich mich immer richtig lebendig. Doch bei alldem geht es nicht nur um mich. Sobald ich in der Major League spiele, werden die Vergleiche mehr und mehr werden. Der Sohn des großen Jake Miller.
Das Vermächtnis nicht anzunehmen, ist keine Option. Denn das wollte Dad mir mitgeben. Es war furchtbar – unfair –, dass er so früh sterben musste. Einen Arm hatte er zum Beifahrersitz ausgestreckt, als hätte er meine Mutter so vor dem Tod bewahren können. Auf meinem Trikot trage ich jetzt den Namen Callahan, aber bald werde ich noch ganz anderen Erwartungen gerecht werden müssen.
Deshalb muss ich mir dieses Lächeln wirklich abringen.
»Schon möglich«, sage ich zu meinem Bruder. »Vielleicht werde ich in Miami spielen. Aber euch beiden erst mal eine schöne Reise! Die habt ihr euch verdient.«
4
Mia
13. März
WÄHREND ICH PENNYS TEXTNACHRICHT LESE – sie übernachtet heute bei Cooper, nachdem er und Sebastian nach der Prügelei im Red’s in der Notaufnahme versorgt wurden –, klopft es an der Tür.
Ich krieche aus dem Bett und zittere direkt vor Kälte, als ich mit nackten Füßen zur Tür schlurfe. Mir hämmert der Schädel von den unzähligen Drinks im Red’s und vom Starren auf den Laptop. Aber ich hatte nur die Wahl zwischen An-die-Decke-Starren oder meine Hausarbeit für das Stellarastronomie-Seminar fertig zu schreiben. Wenn man die Chance hat, in einem von der NASA gesponserten Labor zu arbeiten, will man es ja auch nicht vermasseln.
Und ich brauchte etwas zur Ablenkung, um nicht ständig an ihn zu denken.
Sebastian Miller-Callahan.
Sebastian, der mich immer anlächelt, seit wir letzten Herbst mit Penny, Cooper und ein paar anderen Leuten im Kino waren.
Sebastian, der sich heute Abend meinetwegen geprügelt hat.
Wer zur Hölle macht denn so was?
Anscheinend ist das bei den Callahan-Brüdern Standard. Zumindest nach allem, was ich von Penny über Cooper gehört habe, in den sie entsetzlich verliebt ist. Was mir normalerweise auf die Nerven gehen würde, aber dafür habe ich sie viel zu gern. Deshalb freue ich mich für sie, denn sie verdient eine liebevolle Beziehung. Sie ist ein Mädchen, das man seinen Eltern vorstellen kann.
Im Gegensatz zu mir.
Ich sollte mich von Sebastian fernhalten. Irgendwann würde ich ihn sowieso verletzen. Ich habe schon versucht, das durchblicken zu lassen. Bei dem Eishockey-Spiel heute habe ich extra ein Trikot von jemandem aus Coopers Team getragen, obwohl Seb das nicht wollte. Aber dann hat er es gelassen zur Kenntnis genommen. Souverän wie immer. Und später im Red’s, als irgendein Spinner Penny und mich mit dem Handy beim Tanzen gefilmt hat, hat er mich da weggezogen und ist dann Cooper zu Hilfe gekommen.
Ich öffne die Tür.
»Hey«, sagt er. Seine Stimme klingt heiser, aber nicht vom Schlag gegen den Hals, den er kassiert hat, sondern vom Spiel. Er hat Coopers Team genauso laut angefeuert wie Penny. Wir haben beide schon gesagt, dass wir noch nie erlebt haben, dass sich Brüder so nahestehen. »Kann ich reinkommen?« Er wirkt erschöpft. Seine Wange ist geschwollen von einem dicken Bluterguss, und unter seinem zerzausten Haar prangt an der Stirn eine mit Pflasterstreifen zusammengehaltene Platzwunde.
Ich nehme seine Hand und ziehe ihn in den Wohnbereich. Er setzt sich auf das kleine Sofa. Ich hole einen Kühlakku aus dem Mini-Gefrierfach, wickele ihn in ein T-Shirt und reiche ihn ihm.
Aber ich bleibe vor der Tür stehen. »Hast du auch bestimmt keine Gehirnerschütterung?«
Ganz langsam wendet er mir das Gesicht zu, aber er zuckt trotzdem vor Schmerz zusammen. Ich verdränge die Sorge, die sich in mir breitmachen will. »In der Notaufnahme sind wir durchgecheckt worden, alles okay. Cooper musste genäht werden.«
Doch meine Sorge breitet sich aus. Wie ein schwarzes Loch droht sie mich zu verschlucken.
Er hat sich meinetwegen geprügelt.
Das darf ich nicht so wichtig nehmen.
Ich versuche, einen finsteren Blick aufzusetzen. Das ist am sichersten. Lächeln bringt mich immer in Schwierigkeiten, finstere Blicke nicht. »Ich hab dich nicht gebeten, den Ritter in strahlender Rüstung zu spielen.«
»Ich hätte doch nicht zugelassen, dass dieses Arschloch dir eine scheuert. Oder Penny. Oder sogar Cooper.« Das sagt er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldet. Eigentlich mag ich das nicht, aber so dämlich es scheinen mag, finde ich es in dem Fall ganz nett – mehr als nett sogar.
»Cooper hatte dreißig Pfund mehr drauf als dieser Hänfling«, antworte ich schnaubend. »Mit dem wäre sogar ich allein fertiggeworden.«
»So weit wollte ich es nicht kommen lassen.«
»Ich kann gut auf mich selbst aufpassen.«
»Habe ich etwa das Gegenteil behauptet?« Er steht auf, geht auf mich zu und drückt mich gegen die Tür. Ich schlucke, sehe nur noch diese unglaublich grünen Augen, aus denen er mich jedes Mal, wenn wir zusammen in einem Raum sind, mit Blicken verschlingt. Das mit uns ist unser Geheimnis, aber wenn er öfter so was macht wie heute, wird es wohl nicht mehr lange eins bleiben. Eigentlich müsste ich ihn jetzt nach Hause schicken und ihm sagen, dass er mir keine Nachrichten mehr schreiben soll. »Ich wollte dich nur nicht allein kämpfen lassen.«
Wir sollten aufhören, uns zu treffen. Momente wie diese sollte es nicht mehr geben – wir beide nachts allein, als wären wir die einzigen Menschen auf der Welt, während ich mich nach ihm verzehre. Nichts weiter als eine chemische Reaktion, die sich zwischen uns abspielt. Ich streiche über die Prellung an seiner Wange, woraufhin er scharf die Luft einzieht.
Er kommt mir so nah, dass zwischen unseren Lippen nur noch ein paar Zentimeter liegen. Die immer weniger werden. Wie bei zwei Magneten, die sich anziehen.
Ich beiße ihm in die Lippe. Er stöhnt auf, und ich spüre ein Kribbeln im Bauch. Lächelnd revanchiert er sich ebenfalls mit einem Biss. Seine Hände greifen so selbstverständlich nach meinen Hüften wie nach einem Baseball-Schläger, während sich meine Nägel durch den leichten Stoff seines Shirts in seinen Rücken krallen. Wir schnappen beide nach Luft und lösen uns voneinander, nur um uns gleich darauf noch näher zu kommen. Eins seiner Beine schiebt sich zwischen meine, fest und fordernd, aber dennoch lässig. Mit den Fingern fahre ich durch sein blondes Haar, das so ganz anders ist als das seiner Adoptivfamilie und noch ein bisschen kalt von der eisigen Luft draußen.
Am liebsten würde ich ihn in mein Schlafzimmer zerren. Penny übernachtet bei Cooper und verwöhnt ihn bestimmt, nachdem seine Wunde genäht werden musste. Was ich hier mit Sebastian veranstalte, ist verdammt nah dran, auf dieselbe Art zu enden – aber doch nicht so nah, dass ich den Gedanken nicht verdrängen könnte. Fast. Ich weiche einen Zentimeter zurück, gefangen zwischen ihm und der Tür.
Festgehalten wäre vielleicht treffender.
»Mia«, flüstert er.
Ich gebe ihm nicht die Chance, den Gedanken auszusprechen. Entweder in mein Schlafzimmer oder raus auf den Flur. Der Flur wäre die sichere Option, aber ich kann ihn doch nicht einfach nach draußen in die kalte Nacht schicken. Nicht mit diesem Bluterguss. Nicht, wenn er mich so festhält. Als bräuchte ich einen Ritter mit Schwert und Rüstung – einen von Pennys Fantasy-Helden.
So jemanden brauchte ich nie – aber ein Teil von mir muss ihn wohl trotzdem wollen, denn ich ziehe ihn mit zu meinem Bett und flüstere ihm ins Ohr, er soll mich zum Stöhnen bringen.
5
Mia
ALS ICH MIT EINEM KAFFEEBECHER IN DER HAND am Tag nach dem Gespräch mit Professor Santoro über den Campus gehe, ruft Giana an.
Meistens laufen ihre Anrufe in zwei Varianten ab: Entweder sie beschwert sich über unsere Familie oder sie fragt mich aus und erzählt alles weiter. Weder das eine noch das andere kann ich jetzt gebrauchen. So viele Ideen schwirren mir durch den Kopf, wie ich etwas zu Professor Santoros Projekt beitragen kann. Der Forschungsauftrag der NASA besteht zum Teil darin, weitere Exoplaneten in den unendlichen Weiten des Weltraums nachzuweisen, mit dem Ziel, einen erdähnlichen Planeten zu finden. Wobei jeder Exoplanet neue Erkenntnisse über das Universum liefert.
Da wir Planeten außerhalb unseres Sonnensystems mit unserer derzeitigen Technologie nicht sehen können, müssen wir uns anderer Mittel bedienen, um sie zu identifizieren. Professor Santoro forscht an einer neuen Methode, mit der man anhand der Daten des James-Webb-Teleskops die Atmosphäre analysieren und daraus auf die Eigenschaften der exosolaren Planeten schließen kann. Wenn ich das Computerprogramm für die Modellierung optimiere, könnten wir sehr viel präzisere Daten der identifizierten Exoplaneten erhalten.
Beim Gedanken an all die weit entfernten Planeten mit ihrer außerirdischen Schönheit bleibe ich unwillkürlich stehen und sehe zum Himmel hinauf, obwohl helllichter Tag ist. Dann setze ich einen möglichst neutralen Gesichtsausdruck auf und nehme den FaceTime-Anruf an.
Im Sommer ist auf dem Campus nicht viel los, also wird wohl kaum jemand bei dem Telefonat mithören. Altocumulus-Wolken hängen wie Zuckerwatte am Himmel. Vor ein paar Jahren entdeckten Wissenschaftler den Exoplaneten WASP-121b. Er ist umgeben von Metallwolken, aus denen flüssige Edelsteine rieseln – Regen wie auf der Erde, aber aus einer völlig anderen Materie. Als ich Penny davon erzählte, sagte sie scherzhaft, da hätte ich mich wohl als Planet manifestiert.
»Hi, Mimi«, begrüßt mich Giana. In New Jersey sind noch keine Sommerferien, also hat sie in der Grundschule, wo sie arbeitet, offenbar gerade Mittagspause. Hinter ihr sehe ich die bunten Poster an der Wand ihres Klassenzimmers. Ihr dickes Haar ist zu einem Pferdschwanz zusammengebunden und die kleinen Diamanten ihrer Ohrringe funkeln. »Wie geht’s denn so?«
Als ich den Spitznamen aus meiner Kindheit höre, muss ich mir ein Lächeln verkneifen. Giana ist die Einzige, die mich immer noch so nennt, so wie ich nach wie vor Gigi zu ihr sage. »Gut.«
»Ihr scheint ja schönes Wetter zu haben.«
Ich setze mich wieder in Bewegung. »Ist ziemlich heiß geworden.«
»Das kannst du wohl sagen! Die Kinder sind schon halb in den Sommerferien und wollen gar nichts mehr lernen.« Sie trinkt einen Schluck Wasser und fügt hinzu: »Hast du mit dem Unterricht in deinem Sommerkurs schon angefangen? Mom fragte letztens danach.«
»Ähm, nein.« Ich sehe hinauf zu den Bäumen. »Es ist ja die Summer School für die Schüler, die in die Nachprüfungen müssen. Die fängt erst in den Ferien an.«
»Dann könntest du doch vorher ein paar Tage nach Hause kommen. Ostern warst du dieses Jahr überhaupt nicht hier.«
Ostern habe ich dieses Jahr einfach mal ausgelassen. Keine katholische Messe, kein Lamm mit Rosmarin von Nonna, keine Pastiera Napoletana von Mom. Keine Ostereier im Garten suchen, wo meine kleinen Cousinen in Sonntagskleidchen und mit klebrigen Händen herumtoben. Stattdessen habe ich mich einer Seminararbeit gewidmet, obwohl wir im Frühling ein paar Tage freihatten. Aber seit Nonno nicht mehr da ist, fällt es mir schwer, die Ferien zu Hause zu verbringen.
»Ich muss ein paar zusätzliche Schichten im Coffeeshop auf dem Campus übernehmen.«
Das Purple Kettle, wo ich während der Semester arbeite, hat vor zwei Tagen für den Sommer geschlossen. Eine weitere Lüge von so vielen. Meine Familie denkt, ich bleibe den Sommer über in Moorbridge, um an der Highschool in den Ferienkursen die Schüler zu unterrichten, die in den naturwissenschaftlichen Fächern in die Nachprüfungen müssen. Dabei habe ich keine Sekunde in Pädagogik-Seminaren verbracht. Wenn ich irgendwann einmal unterrichte, dann so wie Professor Santoro. Weil es dazugehört, ohne dass es meine Hauptarbeitszeit einnimmt. Ich werde garantiert nicht Highschool-Schülern Wolkenformationen erklären oder sonst irgendetwas, das meine Familie mir gerade noch zutraut.
»Wenn du ein paar Tage freihast, würden sich hier alle freuen, wenn du kämst. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, Michelle ist wieder schwanger.«
Ich schicke ein Stoßgebet gen Himmel. Mit meinem Bruder gerate ich manchmal aneinander, aber mit seiner Frau verstehe ich mich prächtig. »Wie schön.«
»Ja, nicht wahr? Ich hoffe, wir beiden Tanten bekommen diesmal eine Nichte. Nach all den Neffen.«
»Anthony würde sie doch sowieso wie einen Jungen behandeln.« Mein Bruder und seine Frau haben Zwillinge, zwei Mini-Tornados, die ständig Chaos anrichten. Giana und ihr Mann wollen da bestimmt nicht zurückstehen. Ich wette, wenn Michelle wirklich schwanger ist, wird Giana spätestens Weihnachten das Gleiche verkünden.
Erschreckender Gedanke. Der Weltraum macht mir keine Angst. Aber ein Kind zu bekommen? Dafür verantwortlich zu sein, ein Baby zu versorgen? Das konnte ich mir nie vorstellen. Ich kriege schon Angst, wenn ich nur darüber nachdenke. Noch eine Lüge, die ich bei meiner Familie aufrechterhalte: Aber natürlich kann ich es gar nicht mehr erwarten, zu heiraten und Kinder zu kriegen. Das erste und letzte Mal, als ich meiner Mutter sagte, dass ich mir da gar nicht so sicher sei, hat sie mich auf meine Pflichten als Frau und Tochter hingewiesen.
»Das kannst du wohl sagen!«, pflichtet meine Schwester mir bei. »Also wenn du jetzt keine Zeit hast, dann musst du aber wenigstens im Juni zum Barbecue kommen. Wenn nicht, wird Nonna in Tränen ausbrechen.«
»Unsere Großmutter hat in ihrem ganzen Leben noch keine einzige Träne vergossen.« Das ist einer der Gründe, warum ich Respekt vor ihr habe, obwohl man unser Verhältnis ansonsten gelinde gesagt als schwierig bezeichnen könnte. Auf Nonnos Beerdigung hat sie die ganze Zeit lang Haltung bewahrt, mit geschminktem Gesicht unter ihrem schwarzen Schleier und Augen so trocken wie ein Flussbett nach einer Hitzewelle. Keine Tränen bei der Totenmesse, keine Tränen am Grab, keine Tränen bei der anschließenden Trauerfeier, auf der sich mein Vater und mein Onkel mit Grappa betrunken und auf meinen Großvater angestoßen haben.
Ich hatte nicht so viel Standfestigkeit. Ich habe mich in meinem Zimmer eingeschlossen und mir die Augen ausgeweint, bis meine Nase so verstopft war, dass ich kaum noch Luft bekam.
Ich stapfe einen der zahlreichen Hügel auf dem Campus der McKee hinauf und halte mein Handy höher, damit nur noch mein Gesicht im Bild ist. Für den Sommer bin ich in dem alten Erstsemester-Wohnheim untergebracht worden, wo Penny und ich uns kennengelernt haben. Ich war als Erste in unserem Apartment angekommen und überlegte gerade, an welche Wand ich mein Andromeda-Poster hängen sollte, als sie wie ein Wirbelwind mit ihrem hellroten Haar und den vielen Sommersprossen hereinstürmte. Mit mehr Büchern als Klamotten im Schlepptau und Schlittschuhen über der Schulter baumelnd. Sie hat mich mit meiner schwarzen Lederjacke, den Springerstiefeln und der Scheiß-drauf-Ausstrahlung kurz gemustert, dann hat sie mir die Hand gereicht.
Auf den ersten Blick hat sie mich besser wahrgenommen als alle anderen über die Jahre hinweg. Besser als meine eigene Schwester.
Die jetzt am anderen Ende der Leitung einen Seufzer ausstößt – was mir signalisiert, dass mir nur noch drei Sekunden bleiben, um einem Vortrag zu entgehen.
»Ich muss jetzt zu einer Besprechung«, sage ich hastig. »Wir reden später weiter.«
»Sag mir wenigstens, dass du zum Barbecue kommst«, lässt sie nicht locker. »Meinetwegen, Mimi. Mach dir über unsere Eltern, Nonna oder unsere Cousinen keine Gedanken.«
Ich halte die Schlüsselkarte an den Sensor und stoße die schwere Tür auf. Hier drinn ist es fast genauso heiß wie draußen. Den Sommer ohne Klimaanlage zu überstehen, wird mörderisch für meine Haare.
Immerhin habe ich ein Zimmer im Erdgeschoss. Hitze steigt ja bekanntermaßen nach oben.
»Na gut«, lenke ich ein. Einen Nachmittag in unserem riesigen erweiterten Familienkreis mit befreundeten Nachbarn und Leuten, die man aus der Kirche kennt, werde ich ja wohl verkraften. Ich weiß nicht, wie und warum meine Eltern damit angefangen haben: Sommerbarbecue bei den di Angelos. Jedenfalls hält sich diese Tradition schon seit über zwanzig Jahren. Das letzte Mal habe ich meine Schwester an Weihnachten gesehen, und da war sie die Hälfte der Zeit mit ihrem Ehemann Peter bei dessen Familie.
»Yay!« Ihr Lächeln rührt mich richtig. »Hab dich lieb, Mimi.«
Ich bekomme einen Kloß im Hals. »Hab dich auch lieb, Gigi.«
Das stimmt. Ich liebe sie wirklich. Ich liebe sie alle so sehr, dass es mich schmerzt zu wissen, dass ich nicht die bin, die sie sich gewünscht haben. Ich habe versucht, mich in diesen Rahmen pressen zu lassen – mit meiner Sexualität, meinen Interessen –, aber es hat nicht funktioniert. Ich konnte nicht mehr länger dort bleiben, so eingeengt, dass ich das Gefühl hatte, kaum noch Luft zu bekommen. Nonno war der Einzige, der das verstehen konnte.
Wenn er noch lebte, würde er mich in meinen Ambitionen unterstützen, und ich müsste nicht allen diese Lügen auftischen. Früher hat Giana versucht, Verständnis für mich aufzubringen. Doch seit sie verheiratet ist, verhält sie sich wie Mom und unsere Tanten.
Trotzdem liebe ich sie alle und so vieles von dem, was sie mir mitgegeben haben. Und eine kleine Dosis Freundlichkeit kann selbst ich manchmal aufbringen. Das sagt sogar Penny.
Auf dem Flur zu meinem Zimmer rutsche ich fast aus. Ich schaue auf den Boden und stelle genervt fest, dass er total nass ist. Irgendeine Schlafmütze hat wohl im Bad das Wasser überlaufen lassen.
Als ich am Ende des Flurs die Tür aufschließe, bleibe ich auf der Schwelle stehen.
Mir klappt der Mund auf. »Das darf nicht wahr sein!«
Mein Zimmer ist überflutet.
Durch die offene Tür läuft umso mehr Wasser in den Flur und über meine Sneaker. Ich hebe den Kopf. Das Wasser rinnt aus einem Riss in der Decke und hat alles durchnässt. Absolut alles. Das Bett. Meine Kleidung in dem offenen Koffer auf dem Boden. Schuhe schwimmen mir entgegen.
Meine Lieblings-Wildlederstiefel. Ruiniert.
Ich mache einen Schritt vorwärts und prompt rutsche ich aus. Mit den Armen rudernd versuche ich mich am Bettrahmen festzuhalten, doch stattdessen lande ich im kalten, widerwärtigen Wasser.
Und stoße einen peinlich lauten Schrei aus.
6
Sebastian
»WIE WÄR’S DENN MIT DIESER? Die sieht doch toll aus.«
Mit einem genervten Blick drehe ich mich um zu Rafael, der über meine Schulter auf mein Handy starrt. Neugieriger Spanner! Ich hatte ihn zwar nicht um seine Meinung gebeten, aber ja, das Mädchen auf dem Profilbild ist ziemlich attraktiv. Bestimmt drehen sich eine Menge Typen grinsend nach ihr um und starren ihr hinterher.
Aber sie hat dunkle Haare.
Ich wische sie weg.
»Alter«, kommentiert Rafael. »Das hast du jetzt bestimmt schon zehnmal gemacht.«
Hunter, der sich auf einer Stufe der Tribüne ausgestreckt hat, als wäre sie eine bequeme Couch, zieht die Augenbrauen hoch. Er nimmt seine McKee-Cap ab und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Es ist erst Anfang Mai, aber die typische New Yorker Sommerschwüle hat schon eingesetzt. Bis vor ein paar Minuten haben wir trainiert und jetzt hängen wir hier noch ab, um über das bevorstehende Spiel gegen die Bryant University zu sprechen und zu überlegen, ob wir heute noch etwas zusammen unternehmen wollen. Es ist ein Heimspiel und für den Abend angesetzt, also könnten wir uns im Red’s bei ein paar Bier das Spiel der Mets anschauen und morgen trotzdem fit zur Vorbereitung erscheinen.
Abergläubisch wie Hunter nun mal ist, hat er vor einem Spiel immer seine speziellen Rituale. Ich mache mir über so etwas keine Gedanken. Kann mir doch egal sein, ob ich schwarze oder blaue Unterwäsche trage, wenn ich einen Home Run schlage und einen Punkt mache – aber das würde ich Hunter natürlich niemals sagen. Hauptsache, wir punkten überhaupt mal wieder. Diese Pechsträhne macht uns schon die ganze Saison lang zu schaffen. Wenn wir in den nächsten Wochen nicht so gut wie alle Spiele gewinnen, sieht es mit den Playoffs düster für uns aus. Unsere Bilanz wird meinen Wert beim Draft nicht mindern, aber für die offiziellen Statistiken will ich meine Trefferquote noch erhöhen.
Ich sehe mir das nächste Profilbild an. Eine Blondine. Mit hübschen Brüsten. Und einem leicht schiefen, verschmitzten Lächeln. Diesmal wische ich nach rechts. Match. Keine Überraschung.
»Genau jetzt, wo wir uns unterhalten wollen«, sagt Rafael und stupst mich mit der Schulter an. »Wetten, du kriegst eine Nachricht in drei, zwei …«
Schon poppt die Nachricht auf. »War ja klar«, sagt Raf grinsend.
Ich ignoriere seinen Kommentar und antworte direkt. Sie heißt Regina und kommt mir vage bekannt vor. Aber ich brauche mir nicht lange Gedanken zu machen, woher, denn sie textet mir sofort, dass wir im vergangenen Semester im Ethik-Seminar fast nebeneinandergesessen haben. Sie wohnt in einem der Wohnheime und hätte in einer Stunde Zeit.
Eigentlich viel zu einfach.
»Eine Vermeidungsstrategie dahingehend auszulegen, noch mehr Frauen als sonst abzuschleppen, kann auch nur dir einfallen«, meldet sich Hunter zu Wort. Dem besorgten Ausdruck seines hellbraunen Gesichts nach will er dem scherzhaften Kommentar garantiert noch etwas Ernstes hinterherschicken.
Ich stehe auf. Dazu bin ich jetzt nicht in der Stimmung. Ich will mir nicht wieder anhören, wie ich nach eineinhalb Monaten überhaupt noch einen Gedanken an Mia di Angelo verschwenden kann. Das habe ich schon oft genug von Cooper zu hören bekommen. Hunter hat ja auch gut reden. Er hat eine Freundin. Seit ich ihn kenne, hängt er ständig mit seiner Highschool-Liebe am Telefon.
Dagegen war Rafaels Ratschlag nachvollziehbarer. Er setzte sich mit mir zusammen und ich erzählte ihm die ganze Story. Dann riet er mir in ernstem Ton: »Vielleicht solltest du sie dir einfach aus dem Kopf vögeln.«
Ich frage mich, ob jemand Mia denselben Rat gegeben hat. Penny war es garantiert nicht.
Genieß noch mal die schöne Aussicht, Callahan.
Die einzige Möglichkeit, nicht pausenlos daran zu denken, ist offenbar Ablenkung. Entweder das oder Trübsal blasen. Eigentlich habe ich keinen Grund, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, was Mia so treibt. Immerhin lege ich es in meiner Freizeit ja auch darauf an … Hauptsache, keine mit dunklen Haaren.
»Er befindet sich auf einer Mission«, erläutert Raf.
»Die darin besteht, jede gefärbte Blondine auf dem Campus flachzulegen?«, kontert Hunter.
»Das würde ich vielleicht etwas großzügiger auslegen«, räumt Rafael ein. »Er sollte auch Dunkelhaarige in Betracht ziehen.«
Ich schwinge mir meine Sporttasche über die Schulter. »Werd ich mir merken.«
»Es gibt doch auch noch andere italienische Mädchen auf der Welt. Die nicht so verrückt sind«, sagt Hunter.
Mit dem Fuß auf der Tribünenstufe bleibe ich stehen. »Sie ist nicht verrückt.«
»So was in der Art eben«, brummt Hunter.
»Wag es ja nicht!«, blaffe ich ihn an. »Wag es ja nicht, sie als verrückt zu bezeichnen, weil sie sich von mir getrennt hat. Wag es ja nicht, irgendjemanden als verrückt zu bezeichnen. Das ist total daneben!«
Rafael und Hunter wechseln Blicke. Rafs dichte Augenbrauen rutschen so weit hoch, dass sie fast unter seinen ebenso dichten Haaren verschwinden. »Kann man sich überhaupt von jemandem trennen, mit dem man gar keine Beziehung hatte? Wenn man sich immer geweigert hat, es als solche zu bezeichnen? Wenn man zu einem richtigen Date Ja sagt und sich dann aus dem Staub macht?«
Hitze flutet meine Wangen. Von dieser Warte aus betrachtet scheint es wirklich armselig, dass ich sie noch immer nicht vergessen kann. »Lass das!«
»Ich will nur die richtigen Fragen stellen.«
»Lass es!«, wiederhole ich in schärferem Tonfall. Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Ich will sie verteidigen. Obwohl alles den Bach runtergegangen ist. Meinem Bruder habe ich kaum etwas erzählt. Aber ich musste darüber sprechen und dafür habe ich mir meine beiden besten Freunde ausgesucht. In dem Moment bedauere ich, dass mir je ein Wort davon über die Lippen gekommen ist, vor allem weil ich gemerkt habe, dass es Raf einiges an Beherrschung kostete, nicht etwas furchtbar Unfreundliches über Mia zu sagen. So wie jetzt. Taktgefühl ist für ihn anscheinend ein Fremdwort. Ich hätte ihnen niemals erzählen dürfen, dass ich zwei Stunden lang im Vesuvio’s gewartet habe, in der Hoffnung, sie würde doch noch auftauchen. »Kein Wort mehr über sie!«
Raf sieht fast traurig aus. »Sie hat eine miese Nummer mit dir abgezogen. Irgendwie musst du darüber hinwegkommen.«
»Sie ist doch den ganzen Sommer lang hier, oder?«, schaltet sich auch Hunter wieder ein – allerdings etwas behutsamer, als rechne er damit, dass ich jeden Moment ausraste. »Du wirst ihr irgendwann sowieso über den Weg laufen. Deshalb musst du eine Möglichkeit finden, das Ganze hinter dir zu lassen.«
»Ich bin ja schon dabei.« Ich nehme meine Baseball-Cap ab, stecke sie in meine Sporttasche und fahre mir durch mein verschwitztes Haar. Alles, was ich jetzt brauche, ist eine Dusche, frische Klamotten und einen Nachmittagsfick mit Regina. Dann geht es mir bestimmt schon besser. Mia wird den ganzen Sommer hierbleiben, um an dem Projekt ihrer Mentorin mitzuarbeiten. Aber wenn wir uns im Starbucks oder im Stop & Shop begegnen, wird sie mich ignorieren. Ich werde ihr wunderbares dunkles Haar zu sehen bekommen und all die kleinen Erinnerungsscherben werden mir mit voller Wucht um die Ohren fliegen. Textnachrichten mitten in der Nacht. Das eine Mal, als ich für sie gekocht habe – nur etwas Leichtes zum Frühstück, aber immerhin – und sie scherzhaft sagte, das wäre besser als ein Orgasmus. Die Blicke, die wir uns zugeworfen haben, wenn wir unbeobachtet waren.
Vielleicht hat Rafael recht. Vielleicht sollte ich doch eine Dunkelhaarige in Betracht ziehen. »Wir sehen uns später im Red’s.«
»Ich halte uns einen Tisch frei«, sagt Hunter. »Julio, Levine und Big Miggy kommen auch. Und Hops und Ozzy vielleicht.«
»Also das halbe Team«, bemerke ich. »Da werden wir mehr als einen Tisch brauchen.«
»Um diese Jahreszeit ist es im Red’s doch schön ruhig«, sagt Raf.
»Obwohl wir auch Fans der Eishockey-Mannschaft deines Bruders sind«, fügt Hunter mit einem Grinsen hinzu.
Dieses Lächeln ist ein Friedensangebot. Das Okay, um für den Rest des Nachmittags zu verschwinden. Ich antworte mit einem Nicken. Dann jogge ich über das Baseball-Feld zur Kabine.
———
Als ich im hintersten Winkel des Campus am Wohnheim ankomme, bin ich schon wieder verschwitzt. Die Fahrt war nicht lang genug, um die Klimaanlage auf Touren zu bringen. Regina, die noch so aussieht, wie ich sie aus dem Ethik-Seminar vage in Erinnerung habe – zitronengelbes Haar, schiefes Lächeln –, empfängt mich unten an der Tür in einem orangefarbenen, verführerisch engen Sommerkleid.
»Tut mir leid, dass es in diesem Gebäude keine Klimaanlage gibt«, sagt sie, nimmt mich an die Hand und zieht mich zur Treppe.
Ihr Zimmer ist in der dritten Etage. Dem Hall nach scheint das Gebäude so gut wie leer zu sein. Reginas Flipflops machen klatschende Geräusche auf dem abgewetzten Holzboden, der aus unerfindlichen Gründen ganz nass ist. Mia würde bestimmt keine Flipflops tragen, eher Sandalen wenn es zu heiß ist für feste Schuhe. Ich weiß nur, dass sie sich die Zehennägel passend zu allem anderen schwarz lackiert.
Ich gebe mir einen mentalen Ruck. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um an Mia di Angelos Zehennägel zu denken. Nicht, wenn mich Regina mit diesem Schlafzimmerblick ansieht. Sie hat braune Augen, die wahrscheinlich auch recht hübsch sind, aber viel heller als die von Mia, die mich immer an frisch umgegrabene Erde erinnern. Natürliche Schönheit im wahrsten Sinne des Wortes.
Noch ehe Regina die Tür zu ihrem Zimmer öffnet, lässt sie die Träger ihres Kleids über ihre gebräunten Arme rutschen. »Letztens war ich bei einem Spiel von dir«, sagt sie mit einem verführerischen Lächeln, während sie mit den Fingernägeln über meine Brust fährt. »Hast du die Prellung von dem Catch?«