Bezwinger Meine Herzens - Barbara Cartland - E-Book

Bezwinger Meine Herzens E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Als stolz und eigenwillig gilt Lady Diana, eine der faszinierendsten Schönheiten der Londoner Gesellschaft. Ihr Auftreten erregt den Neid der Damenwelt und die uneingeschränkte Bewunderung der Herren. Doch keinem ist es bisher gelungen, Lady Dianas Liebe zu erringen, da sie zu wahren Gefühlen nicht fähig zu sein scheint. Erst in Ian trifft sie auf eine gleich starke Persönlichkeit. Zwischen den beiden beginnt eine seltsame Beziehung, die gleichermaßen von Haß und Leiden schaft geprägt ist...

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Betzwinger meines Herzens

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2019

Copyright Cartland Promotions 1985

Gestaltung M-Y Books

Prolog

»Diana! Diana!«

Immer wieder schrie der Kranke diesen Namen. Er schlug wild um sich und schleuderte das schäbige Bettzeug vom Lager, das man notdürftig auf dem Sand errichtet hatte.

Lautlos trat eine hochgewachsene Gestalt durch den Zelteingang, redete beruhigend auf den Kranken, der von Fieberphantasien gequält wurde, ein und stützte seinen Kopf, damit er einen Schluck Wasser trinken konnte.

Draußen lagerten die von dem harten Tagesmarsch erschöpften eingeborenen Träger. Das Lagerfeuer war niedergebrannt, die Nacht neigte sich dem Ende zu. Aus dem Dschungel rings um den Lagerplatz drangen die Geräusche wilder Tiere, die nach Beute Ausschau hielten, und das schaurige Heulen der Schakale.

Im Zelt versank der Kranke in einen bleiernen Schlummer. Sein Helfer ließ sich auf dem Läufer neben dem Krankenlager nieder und war gleich darauf eingeschlafen.

Eine Stunde später fiel das fahle Licht des erwachenden afrikanischen Tages auf das Gesicht des Schläfers. Ian Carstairs schlief mit zurückgelehntem Kopf und nach oben gestrecktem Arm.

Er war über einen Meter achtzig groß und hatte einen kraftvollen, muskulösen und geschmeidigen Körper. Seine Haut war von der tropischen Sonne tiefgebräunt. Das energische Kinn und die markanten Gesichtszüge verrieten, daß er stets seinen Willen durchzusetzen pflegte; die hohe Stirn und der humorvolle Zug um den Mund milderten diesen Eindruck etwas.

Sein Gefährte hatte einen zarteren Körperbau und das sensible Gesicht eines Träumers. Er war auch jünger, etwa Mitte zwanzig.

Er bewegte sich unruhig und öffnete langsam die Augen. Sofort war Ian bei ihm, strich ihm das wirre Haar aus der Stirn und befeuchtete ihm die ausgedörrten Lippen.

»Geht’s besser?« fragte er sanft.

Jack Melbourne nickte.

»Ich kann heute nicht weiter«, flüsterte er mit brüchiger Stimme. »Ich kann einfach nicht.«

»Unsinn«, sagte lan. »Wir haben nur noch an die fünfzig Meilen vor uns, und die Boys werden dich so behutsam wie möglich tragen.«

»Ich kann nicht mehr, Ian - wirklich nicht. Ich werde sterben, und selbst du kannst das nicht verhindern.«

Er hatte diese Worte so heftig hervorgestoßen, daß ihn ein Hustenanfall schüttelte und dicke Schweißperlen von seiner Stirn in die Augen tropften, die er mit einer fahrigen Handbewegung wegzuwischen versuchte. Dann bekam er einen Schüttelfrost, daß ihm die Zähne klapperten und seine Hände sich verkrampften.

Er war zweifellos ein schwerkranker Mann, doch Ians Miene verriet nicht, welche Sorgen ihn bedrückten. Nicht fünfzig Meilen unwegsamer Strecke lagen noch vor ihnen, sondern zweihundert, bis sie wieder in die Zivilisation und, wichtiger noch, zur nächsten Wasserstelle gelangen würden, denn ihre Vorräte wurden knapp.

Durch den Transport des Kranken über den nur für eine Person ausreichenden Dschungelpfad hatten sie viel Zeit verloren, und Ian sah sich außerstande, einen Ausweg aus der Misere zu finden, in der sie sich alle befanden.

Er spürte Jacks Hand auf seinem Arm und beugte sich hastig über den Kranken, um dessen kaum wahrnehmbares Flüstern zu verstehen.

»Du schaffst es nicht, alter Junge. Verschwinde und laß mich hier. Was bedeutet schon ein Menschenleben im Vergleich zu neun anderen?«

Darauf gab es keine Antwort. Ian ließ sich neben dem Lager auf die Knie fallen und bedeckte sekundenlang die Augen mit beiden Händen.

Der Boy, den Ian zum Anführer der Trägerkolonne ernannt hatte, näherte sich dem Zelteingang.

»Zeit zum Aufbruch, Master«, sagte er.

Ian sprang auf und trat nach draußen, um unter vier Augen mit ihm zu sprechen.

»Wir können heute nicht weiterziehen, Joe«, sagte er.

»Wir müssen, Master«, erklärte Joe mit Nachdruck. »Unser Wasser reicht nur noch für drei Tage, danach müssen wir Durst leiden, bis wir die Siedlung erreichen.«

»Wir können ihn doch nicht zurücklassen«, sagte Ian und wies auf das Zelt.

Langsam und mit schwerer Betonung entgegnete Joe: »Wir müssen es tun, Master  es gibt keinen anderen Ausweg.«

»Und wenn ich ihn allein durch den Dschungel tragen muß . . .« Noch während Ian diese Worte sprach, zerriß ein Laut die morgendliche Stille, der ihn erstarren ließ. Der peitschende Knall eines Revolverschusses drang aus dem Zeltinnern. Die eingeborenen Träger sprangen erschrocken auf und folgten Ian ins Zelt.

Auf dem Sandboden lag Jack. Er hielt den Revolver noch in der Hand, und unter seiner Brust breitete sich eine Blutlache aus.

»Jack! Jack!«

 Erschüttert nahm Ian den Gefährten in die Arme.

Der Sterbende wollte noch etwas sagen. Seine rissigen Lippen zuckten, doch er brachte keinen Ton hervor. Erst beim zweiten angestrengten Versuch hauchte er kaum hörbar in Ians Ohr: »Sag Diana, daß ich sie geliebt habe!«

Dann schoß ein Blutschwall aus seinem Mund, und er starb.

1

Lady Diana Stanlier war zweifellos das schönste Wesen im ganzen Ballsaal. Von Gestalt eher zierlich, bestand ihre Größe in der typischen Standeshaltung, die ihre Vorfahren berühmt gemacht hatte, bevor sie selbst in die Geschichte eingegangen waren.

Das goldblonde Haar mit dem rötlichen Schimmer bildete einen reizvollen Kontrast zu den dunklen Augen und dem ausdrucksvollen Mund. Mit ihren fünfundzwanzig Jahren war sie die bekannteste und meistumschwärmte junge Dame in England.

Ihre Schönheit, die in den Herzen anderer Frauen Neid und Bewunderung weckte, war in fast jedem der Londoner Fotoläden in Großaufnahme zu bewundern. Ihr Bild zierte jede Kunstausstellung und jede Illustrierte. Bei jedem Wohltätigkeitsfest oder anderen gesellschaftlichen Ereignissen stand ihr Name ganz oben auf der Gästeliste. Bei Pferderennen oder Wettkämpfen war Diana stets mit dabei und trug des Öfteren sogar den Sieg davon.

Sie war nicht nur bildschön, sondern auch wohlhabend und geistreich und hatte natürlich Scharen von Verehrern. Doch bisher hatte sie sich standhaft geweigert, einen von ihnen zu heiraten. Amüsieren durften sie die Angebetete, meist jedoch nur kurze Zeit, denn dann war sie ihrer überdrüssig, und die Tür zum Stadthaus am Grosvenor Square blieb ihnen verschlossen.

Da Diana zudem noch von ihren Eltern abgöttisch geliebt und maßlos verwöhnt wurde, war es kein Wunder, daß sie ihr Leben zu wenig aufregend fand und ständig auf der Suche nach Abwechslung oder Sensationen war. Das artete nicht selten in alberne Eskapaden aus, die von den Boulevardblättern genüßlich aufgegriffen wurden. Doch sobald der Gipfel der Heiterkeit überschritten war, war Diana selbst ihre härteste Kritikerin, die sich ob ihrer Sensationsgier zutiefst verachtete.

An diesem Abend anläßlich des Wohltätigkeitsballes hatte sie sich einen neuen Zeitvertreib ausgedacht, ohne auch nur einen Augenblick lang die Folgen zu bedenken. Sie pflegte sich niemals Gedanken um die Zukunft zu machen, denn für sie zählte nur die Gegenwart.

Ihr Opfer war ein ehrgeiziger junger Parlamentarier, dem seine politische Karriere offensichtlich zu Kopf gestiegen war. Zudem hielt er sich für unwiderstehlich und ließ nicht locker, bis er Diana vorgestellt wurde. Ungeachtet der boshaften Blicke und spöttischen Bemerkungen der anderen, plusterte er sich vor seiner Angebeteten auf wie ein Pfau. Ermutigt durch ihr offensichtliches Interesse an seiner Person, drückte er während eines Spaziergangs durch den Garten vielsagend ihre Hand und holte sich später die Erlaubnis, sie nach Hause begleiten zu dürfen. Über ihr Einverständnis war er so entzückt, daß er es sich nicht nehmen ließ, dem einen oder anderen Bekannten gegenüber ganz beiläufig eine entsprechende Andeutung fallen zu lassen.

An die folgenden Ereignisse erinnerte er sich später nur schwach. Doch Dianas Verachtung, als er sie im Taxi zu küssen versuchte, war ihm lebhaft im Gedächtnis geblieben, ebenso wie die zahlreichen Kratzer im Gesicht, die er sich eingehandelt hatte, bis sie vor ihrem Haus angelangt waren. Dort hatte ihn eine übermütige Gesellschaft in Empfang genommen, durchs Haus gestoßen und dann in den Springbrunnen im Garten geworfen.

Bis auf die Haut durchnäßt und mit klappernden Zähnen war er vom Grosvenor Square in seinen Klub geflohen, wobei ihm das hämische Gelächter der anderen in den Ohren gellte.

Es wäre dem zutiefst Gedemütigten und Beschämten wohl ein geringer Trost gewesen, hätte er erfahren, daß Diana die ganze Angelegenheit plötzlich ekelhaft gefunden hatte. Sie war ins Bett gegangen, nachdem sie ihre Freunde aus dem Haus geworfen hatte.

In ihrem Schlafzimmer blickte sie lange auf ihr Spiegelbild. In dem weißen Kleid, das ihre helle Haut betonte, hätte sie einem der Lawrence Gemälde entstiegen sein können, die unten im Speisezimmer hingen. Doch die steile Falte zwischen ihren Augen und der mißmutig verzogene rote Mund paßten nicht ins Bild.

Mit einer unwilligen Bewegung wandte sie sich von ihrem Spiegelbild ab, zog ihr Kleid aus und schlüpfte in einen Morgenrock. Dann öffnete sie das Fenster.

Während sie auf den Platz hinunterblickte, vernahm sie das Rumpeln der Lastwagen, die mit ihrer Gemüse- und Blumenladung vom Lande zum Covent Garden fuhren; sie hörte ein Taxi vorbeirauschen, das vermutlich einen Nachtschwärmer nach Hause brachte, und sah einen Polizisten, der an jeder Haustür rüttelte, um sich zu vergewissern, daß sie verschlossen war.

Dann nahm sie im Schatten eines Baumes auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine männliche Gestalt wahr. Er stand so regungslos da, daß sie ihn zunächst gar nicht bemerkt hatte.

Er war auffallend groß und breitschultrig und schaute zu ihrem Erstaunen zu ihrem Fenster. Seine Hände steckten in den Taschen seines Dinnerjackets. Trotz der ungewöhnlichen Stunde schien er einen kleinen Spaziergang gemacht zu haben.

Als sie sich bewegte, hob er den Kopf und schien sie zu entdecken. Er starrte unverwandt nach oben, als versuche er, sie zu erkennen.

Sie zog sich in die Dunkelheit ihres Zimmers zurück. Er drehte sich um und ging ohne Hast davon. Sie beobachtete ihn, bis er aus ihrem Blickfeld verschwunden war.

Flüchtig fragte sich Diana, wer das wohl gewesen sein mochte und weshalb er sich für sie interessierte. Es war zwar nicht das erste Mal, daß jemand unter ihrem Fenster stand und schmachtende Blicke nach oben warf, doch obwohl sie seine Züge kaum hatte erkennen können, war sie sicher, diesem Mann noch nie zuvor begegnet zu sein.

Irgendwie interessierte er sie, und sie hatte einen Augen blick lang mit dem Gedanken gespielt, nach unten zu gehen und ihn anzusprechen, doch dann lachte sie sich selbst aus und war zehn Minuten später eingeschlafen.

Am Morgen wurde ihr bewußt, daß sie sich wieder einmal nicht nur schlecht, sondern auch töricht benommen hatte. Der alberne junge Mann, der für sein großspuriges Gehabe viel zu streng bestraft worden war, tat ihr leid. Ihr wurde plötzlich übel bei dem Gedanken, daß sie sich zu einer solchen Kinderei hatte überreden lassen, doch ihr Stolz ließ es nicht zu, das offen zuzugeben, und als ihre Mutter ihr eine sanfte Rüge erteilte, lachte sie nur darüber.

Die Stanliers waren immer schon eine stolze Sippe. Als Jakob der Erste ihnen die Grafenwürde verliehen hatte, war das Oberhaupt der Familie zu stolz gewesen, diese unter einem anderen Namen anzutreten. Das machte die Stanlier Linie einzigartig im Adelsregister, denn der Erbe der Grafschaft Stanlier trug den Ehrentitel Vicomte Stanlier, während alle übrigen Abkömmlinge nur Stanlier hießen.

Diana war das einzige Kind des siebten Grafen und als solches so verzogen, daß bei ihr der Familienstolz zu Härte und Gleichgültigkeit anderen gegenüber verkommen war.

Sie hatte kein Mitleid mit den Schwachen und verachtete die Menschen, besonders die Frauen, die jemals Anzeichen von Schwäche zeigten. Da sie in ihrem Leben niemals andere Probleme gehabt hatte, als sich entscheiden zu müssen, ob sie den einen oder anderen Heiratsantrag annehmen oder ablehnen sollte, konnte sie die Gefühle anderer Menschen nicht nachempfinden und sich nur in Gesellschaft lebenslustiger junger Leute wohlfühlen, die nur dem Augenblick lebten.

Sie war bildhübsch und intelligent, doch ihr Herz hatte noch nie gesprochen, und ihre Familie hatte es längst aufgegeben, sie in der Wahl ihrer Verehrer beeinflussen zu wollen.

Diana rannte die Treppe hinunter, um auszureiten. In der Halle wartete ihre Mutter auf sie.

»Da will dich ein Mr. Carstairs sprechen, Liebling«, sagte sie. »Er behauptet, es sei dringend.«

»Wer ist das? Und was will er?«

Diana war an diesem Morgen so schlecht gelaunt, daß ihr jede Störung lästig war.

»Er besteht auf einer Unterredung mit dir«, erwiderte Lady Stanlier. »Er scheint sehr nett zu sein, aber ich glaube nicht, daß wir ihn kennen.«

Diana überlegte einen Augenblick, wer der Besucher sein könnte. Jemand von der Presse etwa? Sie hoffte inständig, daß ihre nächtliche Eskapade nicht bereits publik geworden war.

»Es ist bestimmt nicht wichtig«, sagte sie zu ihrer Mutter und begab sich in die Bibliothek.

Vor dem Kamin stand der gutaussehendste Mann, der ihr je begegnet war. Irgendwie kam er ihr bekannt vor, aber sie konnte sich nicht daran erinnern, woher.

Er ergriff ihre ausgestreckte Hand und begrüßte sie höflich.

»Ich bedaure, Sie von Ihrem Ausritt abgehalten zu haben, Lady Diana«, sagte er, »aber ich habe eine Nachricht für Sie, deren Überbringung sich wegen bestimmter Umstände um ein Jahr verzögert hat.«

»Eine Nachricht für mich?« Diana hob erstaunt die Brauen.

»Von Jack Melbourne«, erklärte er.

Diana runzelte die Stirn.

»Jack Melbourne?« wiederholte sie. »Ich glaube nicht. . .« Sie unterbrach sich und fuhr nach einer Weile fort: »O ja, jetzt erinnere ich mich. Ich lernte ihn vor einigen Jahren kennen. Wie geht es ihm? Warum sollte er mir eine Nachricht schicken?«

Ians Miene hatte sich verdüstert, als sie sich zuerst nicht an Jack, der sich in Liebe zu ihr verzehrt und im Fieberwahn immer wieder ihren Namen gerufen hatte, erinnern konnte.

In diesem Augenblick hätte Ian Diana umbringen können, weil ihre Schönheit und ihre leichtfertige Art so viel Leid über einen jungen Mann gebracht hatte.

Ernst sagte er: »Jack Melbourne ist tot.«

Einen winzigen Augenblick lang schien sie bestürzt, dann sagte sie leise: »Das tut mir leid.«

 »Er starb, um seinen Begleitern nicht länger zur Last zu fallen«, sagte Ian mit schwerer Betonung. »Er rettete neun Menschenleben, auch meins, indem er sich erschoß. Ich bin gerade erst von Afrika zurückgekehrt und hielt es für meine Pflicht, Ihnen seine letzten Worte, die eine Botschaft für Sie enthielten, zu übermitteln.«

»Ja?«

Dianas dunkle Augen sahen ihn an, doch sie verrieten ihm nicht, welche Gedanken sie bewegten.

»Bevor er starb, flüsterte er: ‚Sag Diana, daß ich sie geliebt habe!‘«

 Seine Stimme klang weich, als er die letzten Worte des Sterbenden wiederholte, doch dann fügte er schroff hinzu: »Hoffentlich erinnern Sie sich jetzt, wer er war!«

Diana zuckte zusammen. Sie war es nicht gewöhnt, daß ein Mann in so verächtlichem Ton mit ihr sprach. Wie ein Pferd, das plötzlich die Sporen fühlte, bäumte sie sich innerlich dagegen auf, sagte aber mit erzwungener Ruhe: »Natürlich erinnere ich mich jetzt. Als Sie vorhin den Namen nannten, war ich völlig überrascht. Ich hatte Jack immerhin seit zwei Jahren nicht mehr gesehen.«

»Ich ahnte nicht«, bemerkte Ian bitter, »daß eine Frau einen Mann, der sie geliebt hat, so schnell vergessen kann.«

»Vielleicht wissen Sie nichts über die Liebe«, entgegnete Diana.

»Über die Ihre sicher nicht«, gab Ian zurück.

Einen Augenblick lang starrten sie sich wortlos an. Wie zwei unversöhnliche Feinde standen sie sich gegenüber. Ian, hochgewachsen, bronzehäutig, ein Naturbursche, geradlinig und unverbildet, jedoch in sich gefestigt und durch und durch ein Ehrenmann, und Diana, das Produkt einer überzivilisierten Welt, das wahre Ich unter künstlicher Tünche verborgen, reizvoll und begehrenswert, aber ohne sich der eigenen, wahren Charaktereigenschaften bewußt zu sein.

In diesem Augenblick verspürte sie das unbändige Verlangen, ihn vor sich auf den Knien zu sehen, so wie andere Männer es getan hatten, um ihrer Schönheit zu huldigen. Sie wollte seine Unterwerfung. Seine Verachtung empörte sie wie eine orientalische Prinzessin der Ungehorsam eines Sklaven.

Und Ian war zwar wütend auf sie, mußte sich aber gleichzeitig eingestehen, daß sie hinreißend aussah. Sie hatte den Kopf in den Nacken geworfen, ihre Augen funkelten vor Zorn, und ihre zierliche Gestalt nahm eine herausfordernde Haltung ein. Sie war unbeschreiblich schön in diesem Augenblick, aber sie verkörperte auch den Typ des modernen jungen Mädchens, bei dem er sich nicht auskannte.

»Wie können Sie sich unterstehen, ein so unverschämtes Benehmen an den Tag zu legen?« fragte Diana zornbebend. »Sie erdreisten sich, mich zu beleidigen, nur weil ich irgendeinen faden jungen Mann vergessen habe? Soll ich mich etwa an all diese Idioten erinnern, die sich jemals in mich vergafft haben? Jack Melbourne war ein sentimentaler, liebeskranker Idiot, für den ich keine Verwendung hatte, und wenn er nicht mehr auf dieser Erde weilt, umso besser für alle!  Ihr verlogenes Geschwätz von der ‚großen Liebe‘ . . .«

»Schweigen Sie.«

Mit einem Satz war Ian bei ihr und packte ihr Handgelenk.

»Ich dulde nicht, daß Sie so über Jack reden! Er war ein viel zu anständiger Mensch, um einer Frau, wie Sie es sind, zu gefallen, das ist mir jetzt klar! Es ist besser für ihn, tot zu sein, als eine Frau wie Sie zu lieben!«

Sie waren beide außer sich vor Zorn.

Diana versuchte verbissen, sich aus seinem eisenharten Griff zu befreien. Ian war kaum bewußt, daß er sie festhielt. Sie verlor den letzten Rest von Beherrschung, während sie vergebens gegen ihn ankämpfte.

Sie hob die Reitpeitsche und schlug ihn ins Gesicht.

2

Ein breiter roter Striemen brannte auf Ians Wange. Wie versteinert stand er da. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Die Knöchel traten weiß unter der gebräunten Haut hervor.

Als der jähe Wutausbruch vorüber war, schoß Diana brennende Röte ins Gesicht, und gleich darauf wurde sie totenbleich. Nur ihre Augen blieben starr und herausfordernd auf Ian gerichtet.

Was er als nächstes getan oder gesagt hätte, sollte sie nie erfahren, denn in diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet und Lord Stanlier betrat die Bibliothek.

»Ah, Diana, meine Liebe«, sagte er. »Ich wußte gar nicht, daß du hier bist.«

Diana drehte sich langsam zu ihrem Vater um, der Ian höflich begrüßte.

»Mr. Carstairs, Vater«, stellte sie mürrisch vor.

»Freut mich«, sagte Lord Stanlier und fügte dann hinzu: »Sie müssen Bobbie Carstairs Sohn sein!«

»Der bin ich, Sir«, erwiderte lan.

»Die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Waren Sie nicht in Afrika? Ich hörte davon, als ich vor drei Monaten seine Todesanzeige las.«

»Das ist richtig, Sir«, entgegnete Ian. »Ich befand mich damals in einer sehr abgelegenen Gegend und erhielt die Todesnachricht erst einen Monat später. Ich trat so schnell wie möglich die Rückreise an - mein erster Besuch in England seit fünf Jahren.«

»Sie waren viel zu lange weg, mein Junge! Erlauben Sie uns, Ihnen unsere Gastfreundschaft anzubieten? Ihr Vater war einer meiner ältesten Freunde, obwohl er mich ständig beim Bridge geschlagen hat.«

»Danke, Sir, aber ich will noch heute abend in den Norden weiterreisen.«

»Zu Ihrer Insel?« erkundigte sich Lord Stanlier. »Ihr Vater pflegte immer zu sagen, der alte Familiensitz sei ihm zu abgelegen. Doch zum Lunch müssen Sie bleiben. Ich dulde keinen Widerspruch!«

Da es Ian unmöglich war, eine so freundliche Einladung abzuschlagen und ihn Dianas mürrische Mißbilligung reizte, nahm er an.

Zum Lunch hatte Diana ihre Reitkleidung, die ihr ein entzückend jungenhaftes Aussehen verlieh, gegen ein zartes Chiffonkleid eingetauscht, das ihre vollkommenen weiblichen Formen betonte. Ihr rötlichblondes Haar war nach hinten gekämmt und fiel in kleinen Locken über den Nacken. Die Wimpern waren sorgfältig getuscht und der verächtlich verzogene Mund so rot geschminkt, daß er mit der Farbe der Rosen an ihrer Taille wetteiferte.

Während Lord und Lady Stanlier gebannt seinen Schilderungen über Afrika lauschten, ertappte Ian sich dabei, daß er Diana verstohlen beobachtete. Als Jacks Name fiel, schoß ihr brennende Röte in die Wangen, und ihre Augen blitzten zornig. In diesem Augenblick erwachte in Ian ein Hang zur Grausamkeit, dessen er sich nie für fähig gehalten hätte. Er verspürte den unbändigen Wunsch, ihr weh zu tun, sie für ihren Hochmut hart zu bestrafen. Immer wieder zog er sie ins Gespräch und zwang sie, ihm zu antworten, weil sie in Gegenwart ihrer Eltern nicht aufmucken konnte.

Er verglich sie mit einem schönen, wilden Tier, dessen Herz von Luxus und Wohlleben verschüttet war und das sich jedem Versuch, es zu zähmen, widersetzte.

Natürlich war sie sich ihrer weiblichen Reize bewußt und jederzeit bereit, sie einzusetzen, um ihrem jeweiligen Verehrer zu imponieren, doch ihr Herz und ihre Seele ließen jede weibliche Regung vermissen.

Als Lady Stanlier wissen wollte, woher der Striemen auf seiner Wange stamme, kam Diana ihm zuvor, indem sie mit sanfter Stimme und nur für Ian erkennbarem Spott bemerkte: »Zweifellos ein Andenken an ein galantes Abenteuer.«

Ruhig erwiderte er den Blick ihrer boshaft glänzenden Augen.

»Leider nicht«, erwiderte er dann gleichmütig. »Nur ein belangloser, unliebsamer Zusammenstoß.«

Wieder stieg unbändige Wut in ihr hoch. Wie konnte dieser ungehobelte Kerl es wagen, sie derart herablassend zu behandeln? Zugegeben, er sah blendend aus und hätte allein wegen seiner männlichen Ausstrahlung Eindruck auf sie gemacht, wären sie sich unter weniger unerquicklichen Umständen begegnet, aber das berechtigte ihn noch lange nicht, sie ständig und mit jedem Wort seine Verachtung spüren zu lassen.

Hätte er verärgert oder verlegen auf ihren Spott reagiert, dann wäre sie imstande gewesen, die Lage auf gewohnte Weise zu meistern, doch seine ablehnende Haltung verunsicherte sie und nährte in ihr den schrecklichen Verdacht, daß er sich über sie lustig machte.

Dabei war bisher immer sie es gewesen, die anderen überlegen war. Sie hatte nach Lust und Laune mit den Männern gespielt, sie entweder abgewiesen oder ermutigt, um ihre Gunst zu buhlen. Zum ersten Mal passierte es ihr jetzt, daß ein Mann ihre Beleidigungen und ihren Spott scheinbar belustigt über sich ergehen ließ und ihr das Gefühl gab, ein ungezogenes, verwöhntes Kind zu sein, mit dem man Nachsicht üben mußte.

Sie haßte ihn dafür und war wild entschlossen, alles zu tun, um ihn zu demütigen und ihn ihre Überlegenheit spüren zu lassen.

Plötzlich hatte sie eine Idee, wie sie das anstellen könnte. Sie würde mit allen Mitteln der Verführungskunst diesen Narren, der es wagte, sie mit Verachtung zu strafen, dazu bringen, ihr seine Verehrung zu Füßen zu legen und etwas zu schenken, was einem Mann wie ihm heilig sein mußte: seine Liebe.

Keinen Augenblick lang zweifelte sie daran, daß ihr das gelingen würde  so sicher war sie sich ihres Charmes und ihrer Macht über die Männer.

Ian würde sich sicher nicht so leicht einfangen lassen wie die meisten ihrer verflossenen Verehrer. Ihr weiblicher Instinkt verriet ihr, daß ein Mann wie er es ganz gewiß mit veralteten viktorianischen Ehrbegriffen wie Schicklichkeit und Anstand hielt. Umso größer würde ihr Triumph sein, wenn sie ihn dazu brachte, seine moralischen Bedenken über Bord zu werfen, um ihre Liebe zu gewinnen.

Skrupel kannte Diana nicht. Man konnte nicht seit über fünf Jahren zur Creme der Londoner Gesellschaft gehören, ohne zu äußerst freizügigen Ansichten zu gelangen, die sittenstrenge Leute als unmoralisch verdammt hätten.

In ihren Kreisen gab es keine konventionellen Schranken, die man nicht umgehen und keinen Ehrenkodex, dem man nicht ausweichen konnte.

Die Männer pflegten sich Geld zu leihen, das sie nie zurück zahlen konnten, und die Ehefrauen ihrer Freunde zu verführen, ohne dabei den geringsten Skrupel zu empfinden. Und Dianas Freundinnen waren zwar charmant und witzig, aber absolut hemmungslos, wenn es galt, einen jungen, hübschen Galan für sich einzufangen.

Sie hasteten von einem Vergnügen zum anderen und waren auf ihre oberflächliche Art glücklich dabei. Ihr Mut erschöpfte sich darin, mit gelegentlichen Rückschlägen im Leben fertig zu werden.

Abwechslung und Vergnügen, das allein zählte. Solange man amüsant war und bereit, sich zu amüsieren, war man gesellschaftsfähig.

Während in der vorangegangenen Generation ein Mädchen in Dianas gesellschaftlicher Stellung behütet und beschützt wurde und niemals ohne Anstandsdame ausgegangen war, traf Diana sich mit jungen Männern aus allen Schichten, denn ihr war nichts Menschliches fremd.

Sie hatte keinerlei Illusionen und leider auch keine Ideale.

Wozu auch, wenn sie doch jeden Mann, der ihr gefiel, haben konnte?