Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Editorial Stefan Fischer / Jan Heilmann / Thomas Wagner Hauptbeiträge Lukas Bormann Nur ein einziges Buch. Bibelkunde als hochschuldidaktische Herausforderung in den modularisierten Studiengängen der Ev. Theologie Matthias Hopf Bibelkenntnis statt Bibelkunde. Erwägungen zum Umgang mit biblischen Texten in der Integrationsphase des Pfarramts-/Masterstudiums Thomas Wagner Bibelkunde als E-Learning-Kurs. Eine Projektskizze Carl Henrich / Sarah Krebs / Jennifer Schaaf / Jessica Schaaf Bibelkunde als Studieninhalt. Ein Interview mit Studierenden in Pfarr- und Lehramtsstudiengängen sowie in den Religionswissenschaften Lehr-/Lernbeispiele Florian Oepping Speeddating – Speedhating. Ein innovatives Lehrbeispiel zu den zwölf kleinen Propheten Nils Neumann "… denn eine Volksmenge war an dem Ort" (Joh 5,13). Das Johannesevangelium in der Großgruppe erschließen Frontend Nathanael Lüke www.bibelwissenschaft.de. Das wissenschaftliche Portal der Deutschen Bibelgesellschaft Rezensionen Thomas Hieke / Benedict Schöning: Methoden alttestamentlicher Exegese, Darmstadt 2017 (Theologie kompakt), 172 Seiten, ISBN 978-3-534-26877-1, €19,95 (kartoniert), ISBN 978-3-534-74233-2, € 15,99 (e-Book/PDF) rezensiert von Carolin Neuber Lukas Bormann: Theologie des Neuen Testaments. Grundlinien und wichtigste Ergebnisse der internationalen Forschung, Basiswissen Theologie und Religionswissenschaft, UTB 4838, Göttingen 2017, 424 Seiten, ISBN 978-3-8252-4838-3 rezensiert von Susanne Luther Interview mit … Martin Rösel
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 182
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Thomas Wagner / Stefan Fischer / Jan Heilmann
Zeitschrift Verstehen von Anfang an Jahrgang 3, Heft 2/2018
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
© 2018 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen
ePub-ISBN 978-3-7720-0081-2
Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa)
Jahrgang 3–2018, Heft 2
Die Bibelkunde stellt für Studierende und Lehrende eine Hürde dar und zwar nicht nur zu Beginn des Studiums, sondern auch in der Integrationsphase. Das Studium keiner anderen Disziplin der Theologie enthält einen vergleichbaren Bereich, der sich fast ausschließlich auf inhaltsbezogenes Wissen (i.e. Inhalt und Struktur biblischer Texte) bezieht. Für Studierende steht Bibelkunde wohl vor allem für das Auswendiglernen und Hersagen von Bibelstellen; die größte Herausforderung für die Lehrenden lässt sich an der vielfach zu hörenden Klage ablesen, dass die Studierenden wegen der veränderten Sozialisationsbedingungen und der häufig in Elternhaus, Schule und Kirche zu kurz gekommenen Auseinandersetzung mit biblischen Erzähltraditionen nur noch rudimentäre Vorkenntnisse hätten. Zugleich gibt es eine Reihe von meist evangelikal sozialisierten Studierenden, die sich in der Erzählwelt der biblischen Texte sehr gut auskennen, jedoch Mühe mit einer hermeneutisch-kritischen Reflexion haben.
Generell wird die Zeit, die für die Bibelkunde zur Verfügung steht, angesichts der Menge des Stoffes, stets als zu knapp angesehen. Und dies geschieht, obwohl sie an den einzelnen Fakultäten und in verschiedenen Studiengängen sehr unterschiedlich bemessen ist. Wenn Bibelkunde nicht integriert unterrichtet wird, umfasst sie im Minimum eine zweistündige, einsemestrige Veranstaltung für Altes und Neues Testament zusammen. Mit der Bibelkunde sind verschiedene hochschuldidaktische Herausforderungen verbunden, die in diesem Heft aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet werden: 1. Heterogenität im Hinblick auf das Vorwissen sowie im Hinblick auf verschiedene Lerntypen; 2. damit verbunden ist die Frage nach den richtigen Lernmedien und deren Ausgestaltung; 3. motivationale Herausforderungen, das Lernen von häufig als ‚dröge‘ empfundenen Inhalten interessant aufzuarbeiten, darzubieten sowie die Relevanz der Inhalte für das Studium und die spätere Berufspraxis deutlich zu machen; 4. Vernetzung des primär inhaltsbezogenen Wissens mit weiteren Inhalten des Faches sowie mit hermeneutischen Grundkompetenzen. 5. Damit verbunden ist die Herausforderung, wie genau man die Lernziele der Bibelkunde (kompetenzorientiert) bestimmt und sinnvoll prüft. 6. Außerdem stellt sich die Frage, ob Bibelkunde in einer eigenen Lehrveranstaltung oder integriert unterrichtet wird bzw. wie hoch der Anteil zwischen Selbstudium und Instruktion anzusetzen ist. 7. Zudem werden an manchen Studienorten unterstützend Tutorien angeboten. Diese müssen didaktisch sinnvoll an die Veranstaltungen zurückgebunden werden.
Auch wenn das Budget für Fachlehrveranstaltungen begrenzt ist, so eröffnet das integrierte Lernen von Anfang an doch große Möglichkeiten, Wissenstiefe durch Vernetzung zu erreichen. Wie schon bei den Heften zum Proseminar und Biblischen Sprachen muss auch hier wieder beklagt werden, dass die fundamentalen Kenntisse zumeist nicht auf professoraler Ebene unterrichtet werden, als ob die Vermittlung der biblischen Stoffe keiner theologischen Reflexion bedürfe, da nur Inhalte vermittelt würden. Obwohl bereits dieses sachlich nicht zu halten ist, da die Komplexität von biblisch-theologischen Themen eine tiefe geistige Durchdringung erfordert und jede Vermittlung theologisch gefärbt ist, so erscheint diese dann, wenn Bibelkunde insbesondere im Verbund mit Einleitungswissenschaft unterrichtet wird, um so dringlicher.
Die Beiträge dieses Heftes adressieren diese Problematiken. Lukas Bormann geht der Frage nach, in welcher Form, in welchem Format und mit welchem Ziel Bibelkunde in modularisierten Studiengängen unterrichtet werden soll. Ausgehend von einem instruktiven Überblick über den derzeitigen Stand von Bibelkunde an deutschen Universitäten, der auf einer Durchsicht der jeweils aktuellen Regularien basiert, stellt Bormann die Geschichte des Lehrgegenstandes dar, die seit ihrem Beginn mit einer apologetischen Tendenz der Bibelkunde verbunden war. Er spricht sich vehement gegen eine Bibelkunde aus, die nicht zugleich Fragen der Einleitungswissenschaft aufnimmt.
Bormann führte zudem eine qualitative Befragung von Studierenden und Alumni durch, um ein genaueres Bild der Lehr-/Lern-Wirklichkeit in der Bibelkunde, jenseit der Normativität von Studien- und Prüfungsordnungen, zu erhalten – ein Ansatz, der zukünftig in der fachbezogenen Hochschuldidaktik weiter ausgebaut werden sollte.
Matthias Hopf stellt Erwägungen zum Umgang mit Bibelkunde in der Integrationsphase des Pfarramts- und Masterstudiums an. Dabei beleuchtet er zunächst die formalen, sachlichen und lernmedialen Voraussetzungen, analysiert in einem zweiten Schritt die Situation am Beginn der Intgegrationsphase und skizziert zuletzt einen eigenen Ansatz, wie den Herausforderungen des Bibelkundestudiums in der Integrationsphase begegnet werden könnte. Dabei schreibt er motivationalen Aspekten, der eigenen Lektüre biblischer Texte und der Aktivierung zu eigener Arbeit eine besondere Rolle zu.
Thomas Wagner stellt ein mehrfach evaluiertes, digitales Lehr-/Lern-Konzept vor, mit dessen Hilfe Bibelkunde an der Bergischen Universität Wuppertal vermittelt wird. Ausgehend von einer Übersicht des Angebots lernmedialer Hilfsmittel für das Studium der Bibelkunde, stellt er Überlegungen zu Umfang, Nachhaltigkeit und Prüfungsformen an und reflektiert damit die didaktische Ausgangssituation. Anschließend beschreibt er Aufbau und Didaktik des verwendeten E-Learning-Kurses, wobei er am Schluss kurz auf die weitere Entwicklung elektronisch gestützter Formate für das bibelkundliche Lernen blickt.
Der vierte Hauptbeitrag nimmt die Studierendenperspektive in den Blick. In einem Interview mit vier Studierenden der Goethe-Universität Frankfurt fragen wir nach Lernprozessen in theologischen und religionswissenschaftlichen Studiengängen. Sarah Krebs, Jennifer und Jessica Schaaf sowie Carl Henrich gewähren uns Einblicke in ihre Wahrnehmung und Erfahrung mit selbstgesteuertem und angeleitetem Erlernen biblischer Inhalte.
Florian Oepping demonstriert in seinem Lehr-/Lern-Beispiel eine Methode, bei der Bibelkunde in Anlehnung an Speed-Dating gelernt und vertieft wird. Als Beispiel dienen ihm die zwölf kleinen Propheten, von denen die Studierenden je einen ‚eigenen‘ Propheten vorstellen. Es handelt sich um ein interaktives Format für eine Sitzung, bei dem Studierende selbst zu Experten ausgewählter biblischer Texte werden und sich in einer spezifischen Sitzordnung gegenseitig austauschen.
Nils Neumann gibt einen Einblick, wie Bibelkunde in großen und heterogenen Lerngruppen unterrichtet werden kann. Er beschreibt zunächst seinen didaktischen Ansatz, Bibelkunde in einem interaktiven Vorlesungsformat mit den Studierenden zu erarbeiten. Konkret stellt er die Umsetzung dieses Ansatzes exemplarisch am Johannesevanglium dar.
In der seit dem letzten Heft neuen Kategorie Frontend stellt Nathanael Lüke das wissenschaftliche Bibelportal der Deutschen Bibelgesellschaft vor. Hier sind nicht nur eine Bibelkunde, sondern verschiedene Lexika, Bibelübersetzungen und neuerdings auch eine Zeitschrift zu finden. Susanne Luther bespricht die Theologie des Neuen Testaments. Grundlinien und wichtigste Ergebnisse der internationalen Forschung, welche Lukas Bormann kürzlich vorlegte, und Carolin Neuber rezensiert das 2017 in der Reihe Theologie kompakt erschienene Lehrbuch Methoden alttestamentlicher Exegese von Thomas Hieke und Benedict Schöning. Ein Interview mit Martin Rösel beschließt diese Ausgabe.
Der aufmerksame Leser wird die teileweise divergierenden Ansichten in den Beiträgen bemerken, die die Diversität der aktuellen Diskussion widerspiegeln. Sie sind Ansichten der jeweiligen Autoren und nicht der Herausgeber. Gerade wegen ihrer Diversität empfehlen wir Sie als gewinnbringende Lektüre.
Anregungen und Rückmeldungen sind wie immer willkommen unter [email protected].
Stefan Fischer, Wien, Jan Heilmann, Dresden, und Thomas Wagner, Wuppertal
Forum Exegese und Hochschuldidaktik Verstehen von Anfang an (VvAa)
Jahrgang 3–2018, Heft 2
Bibelkunde als hochschuldidaktische Herausforderung in den modularisierten Studiengängen der Ev. Theologie
Abstract | The paper deals with teaching and learning in “Bibelkunde”, which means in the German theological studies the teaching of basic knowledge about the contents and structures of the biblical books with respect to chapter and verses. The author gives an overview over current teaching instructions of German Universities (module descriptions, examination regulations) and presents the results of a qualitative interview of students and alumni. The paper states that teaching the Bible as part of an academic training in Theology necessarily has to address basic results of the critical research in the Bible.
Lukas Bormann, *1962, Dr. theol., ist Professor für Neues Testament an der Philipps-Universität Marburg (Schwerpunkt: Sozial- und Literaturgeschichte des frühen Christentums). Promoviert wurde er 1993 mit einer Arbeit über Philippi an der Universität Frankfurt a.M., wo er 2000 mit einer Arbeit über Religion, Recht und Gerechtigkeit im Lukasevangelium habilitierte. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Sozial- und Literaturgeschichte des frühen Christentums, der Rezeptionsgeschichte des AT im NT und in der Forschungsgeschichte der neutestamentlichen Wissenschaft. Er ist Autor der Bibelkunde: Altes und Neues Testament, die in der Reihe UTB basics erschienen ist.
‚Nur ein einziges Buch!‘, das war die Reaktion eines Professors für Pädagogische Psychologie, als ich mit ihm über eine Lehrveranstaltung in Bibelkunde ins Gespräch kam. Die übliche Antwort des Theologen, dass es sich in Wahrheit um eine ganze Bibliothek handele, die historische, kulturelle und religionsgeschichtliche Sachverhalte reflektiere, die sich über einen Zeitraum von etwa 1500 Jahren mit mehrfachen grundlegenden Veränderungen im Weltbild und in den anthropologischen Grundannahmen und schließlich im Übergang vom Alten Orient über das persische Reich hin zum Hellenismus erstrecke, war eine wohlfeile Apologie im Rahmen eines universitären Flurgesprächs, die aber letztlich auf das Verdikt ‚nur ein einziges Buch!‘ nicht völlig zutreffend reagierte. Der Hinweis auf die Bibliothek und das Anführen des umfangreichen Wissens, das erst ein Verständnis der über einen langen Zeitraum entstandenen verschiedenen biblischen Bücher eröffnet, hat zwar die wissenschaftliche Theologie verteidigt, nicht aber die Lehrveranstaltung Bibelkunde, in der die genannten Sachverhalte nicht unmittelbar Gegenstand sind, da sie in den Bereich der Einleitungswissenschaften fallen. Bibelkunde nach der in der deutschen Theologie vorherrschenden klassischen Definition umfasst: Inhalt und Aufbau der Bibel nach Kapitel- und Versgruppen geordnet auf der Basis einer deutschen Bibelübersetzung, bzw. in der vollständigen Definition der vom Evangelisch-theologischen Fakultätentag verabschiedeten Bibelkundeordnung:
„Gesamtüberblick über Inhalt und Aufbau der biblischen Bücher anhand des deutschen Textes, wobei in der Regel die Kenntnis der Inhalte nach Kapiteln bzw. Kapitelgruppen erwartet wird. Die örtlichen Prüfungsbestimmungen können vorsehen, dass ergänzend grundlegende biblische Themen und Motive durch das Alte und das Neue Testament hindurch verfolgt werden. Es besteht die Möglichkeit, Schwerpunkte zu vereinbaren. Bei Schwerpunkten sind differenziertere Kenntnisse erforderlich.“1
Diese Inhalte setzen weder die Kenntnis der Quellensprachen Hebräisch, Aramäisch und Griechisch, noch der Geschichte Israels oder des frühen Christentums und auch keine einleitungswissenschaftlichen Grundkenntnisse über die Abfassungsverhältnisse der biblischen Bücher voraus. Der Fakultätentag ergänzt aber als Nr. 3 einen Hinweis auf die nicht obligatorische Berücksichtigung der Einleitungswissenschaften:
„Die örtlichen Prüfungsordnungen können vorsehen, dass grundlegende Einleitungskenntnisse einbezogen werden können, soweit sie für das Verständnis einzelner biblischer Schriften oder des alt- bzw. neutestamentlichen Kanons wesentlich sind.“2
Es lassen sich auf dieser Basis bereits zwei Verständnisse von Bibelkunde idealtypisch unterscheiden: Auf der einen Seite steht eine Bibelkunde, die sich ausschließlich auf Inhalt und Aufbau der Bibel konzentriert, sozusagen eine ‚reine‘ Bibelkunde, und auf der anderen Seite eine Bibelkunde, die Wissen über die Abfassungsverhältnisse der biblischen Schriften, d.h. Einleitungswissen, miteinbezieht, nennen wir sie eine wissenschaftlich verantwortete Bibelkunde. Das letztere Verständnis dürfte ausdrücklich oder unausgesprochen im akademischen Unterricht vorherrschen. Man ist sich dabei zwar bewusst, dass die genannten Kenntnisse nicht unmittelbar Lehr- und Prüfungsgegenstand der Bibelkunde sein können, sieht aber die Notwendigkeit, dass Lehre in Bibelkunde zumindest die Entstehungszeit und die Abfassungsverhältnisse eines biblischen Buches zu skizzieren hat, bevor man sich mit seinen Inhalten befasst. Damit ist das hochschuldidaktische Grundproblem universitärer Lehre in Bibelkunde benannt: Der Erwerb von Kenntnissen über Inhalt und Aufbau der biblischen Bücher auf der Grundlage einer deutschen Bibelübersetzung berührt und überschneidet sich mit Grundannahmen zu einleitungswissenschaftlichen Fragen über die Entstehung der biblischen Bücher. Insofern ist es notwendig, die Frage zu stellen und zu beantworten, wie sich eine wissenschaftlich verantwortete Bibelkunde im obengenannten Sinn und Einleitungswissenschaft sinnvoll zueinander verhalten.
Blickt man kurz auf gängige Studien- und Prüfungsordnungen, wird deutlich, dass es hier unterschiedliche Ansätze gibt.3 Manche Ordnungen, mehrheitlich aus dem Bereich der Pfarramtsstudiengänge, ziehen eine klare Grenze zwischen bibelkundlichem Wissen und Einleitungswissenschaften, andere reflektieren das Verhältnis der beiden Wissensbereiche oder setzen weitere Akzente. Insgesamt wird man sagen können, dass bibelkundliche Lehrveranstaltungen, die in ein umfassenderes und gestuftes exegetisches Curriculum aus Methodenseminar, Einführung und exegetischem Hauptseminar bzw. Basismodul und Ausbau- bzw. Vertiefungsmodul eingebunden sind, und das betrifft in der Regel die Studiengänge für das Pfarramt und großenteils für das gymnasiale Lehramt, in den Studienordnungen eine klarere Grenze zwischen Einleitungswissenschaft und Bibelkunde ziehen, als das in denjenigen Studiengängen der Fall ist, in denen für Lehre in den Fächern Altes und Neues Testament nur ein begrenzter Stundenanteil zur Verfügung steht wie überwiegend in den durch Bachelorstudiengänge abgebildeten Lehramtsstudiengängen und Nebenfächern bzw. Exportmodulen. Hier wird Bibelkunde oftmals gar nicht als eigene Lehrveranstaltung angeboten, sondern der Erwerb bibelkundlichen Wissens als Teilbereich der Lehre etwa in einem bibelwissenschaftlichen Modul genannt. Ob sich das auch genauso in der tatsächlich durchgeführten Lehre auswirkt oder ob nicht gar das Gegenteil der Fall ist, dass nämlich bibelkundliche Lehrveranstaltungen für Pfarramtsstudiengänge und für das gymnasiale Lehramt de facto sehr viel mehr einleitungswissenschaftliches Wissen und quellensprachliche Hinweise einfließen lassen, sollte zumindest bedacht werden. Die Erfahrungen des Autors dieses Artikels weisen jedenfalls in die Richtung, dass bibelkundliche Lehrveranstaltungen an Fakultäten doch eher umfangreicher auf das erwartete, gewünschte und zu erwerbende Wissen in den exegetischen Fächern verweisen oder auch reagieren als dies in den Studiengängen der Fall ist, in denen Bibelkunde etwa 50 % der Lehre im Alten und Neuen Testament umfasst. Angesichts dieser Problematik ist auch auf den Sachverhalt hinzuweisen, dass die zunehmend präskriptive Definition und strukturelle Durchdringung der Lehrveranstaltungen im Modulsystem (Modulbeschreibung, Leistungs- bzw. ECTS-Punkte, Workload usw.) unter Umständen zu einem Auseinanderdriften von Modulbeschreibung und Lehrwirklichkeit führt.
Die hochschuldidaktische Grundproblematik der Lehre in Bibelkunde, das Verhältnis von Einleitungswissenschaften und Inhaltskenntnis der Bibel, differenziert sich weiter aus, wenn man die sehr unterschiedlichen Verhältnisse im Alten Testament und im Neuen Testament in die Betrachtung miteinbezieht. Während die Einleitungsfragen im Neuen Testament einen Entstehungszeitraum der Schriften von ca. 60 bis 90 Jahren (vom Markusevangelium ca. 69/70 n. Chr. bis Pastoralbriefe um 120–150 n. Chr.) und einen erzählten Zeitraum von ca. 4 v. Chr. bis 64 n. Chr. (Tod des Herodes des Großen bis Haft des Paulus in Rom) zu reflektieren haben,4 reicht die erzählte Zeit der alttestamentlichen Schriften von der Schöpfung (nach biblischer Chronologie im Jahr 3761 v. Chr.) bis in die Zeit der Perserherrschaft vor 331 v. Chr. und ihre Entstehung erstreckt sich über ‚ca. 800 Jahre‘, unter Einbeziehung der deuterokanonischen Schriften über einen noch etwas längeren Zeitraum; von den nicht mehr konsensual zu beschreibenden einleitungswissenschaftlichen Problemen des Alten Testaments ganz zu schweigen.5
Als vorläufige Schlussfolgerung dieser Überlegungen wird man festhalten können, dass der vermeintlich intellektuell wenig herausfordernde Lerngegenstand Inhalt und Aufbau der Bibel insbesondere dann erfolgreich gelehrt und gelernt werden kann, wenn er zugleich einleitungswissenschaftliches Grundwissen berücksichtigt. Lehre in Bibelkunde soll demnach einerseits das kritische Bibelverständnis der wissenschaftlichen Exegese voraussetzen und in die bibelkundliche Lehre einfließen lassen und andererseits die Studierenden auf die kritische wissenschaftliche und demnach ergebnisoffene Analyse der biblischen Schriften in der neutestamentlichen und alttestamentlichen Wissenschaft vorbereiten. Folgt man dieser Überlegung zum Verhältnis von Einleitungswissenschaft und Bibelkunde, dann sollte auch die mancherorts durch den Bologna-Prozess ermöglichte Praxis der Anerkennung von Studienleistungen in Bibelkunde, die in Bibelschulen und propädeutischen Bibelseminaren erbracht wurden, neu überdacht werden. Wenn in diesen Einrichtungen die Lehre in Bibelkunde als Vorverständnis für das Alte Testament unkritisch die faktuale Richtigkeit der biblischen Grunderzählung, d.h. mehr oder weniger das Motto „Und die Bibel hat doch recht!“6, zugrunde legt und im Falle des Neuen Testaments dem Narrativ der Kirchenväter folgt, das die Verfasserschaft von Jüngern und Apostelbegleitern für die vier Evangelien annimmt und Fragen zur Abhängigkeit dieser Schriften oder zur Pseudepigraphie der Briefliteratur gar nicht erst stellt, dann können derartige Bibelkunden nicht als Teil eines wissenschaftlichen Studiums anerkannt werden. Studierende, die auf dieser Grundlage an der weiterführenden universitären Lehre teilnehmen, bereiten nicht nur der kritischen Lehre Schwierigkeiten, sondern ihnen steht zudem das verfestigte unkritische Fürwahrhalten vermeintlich historischer biblischer Sachverhalte der Ausbildung eines angemessenen hermeneutischen Reflexionsvermögens dauerhaft im Weg, das für das Studium der Ev. Theologie unerlässlich ist.
Um zu verstehen, wie es zu diesen bis heute letztlich unreflektierten Überschneidungen von Bibelkunde im Sinne von Inhalt und Aufbau biblischer Schriften und dem wissenschaftlich verantworteten Wissen über diese Schriften kommen konnte, ist ein kurzer Blick auf die Geschichte der Bibelkunde im deutschsprachigen Raum sinnvoll.
Grimms Wörterbuch kennt zwar den Begriff bibelfest, nicht aber die Bezeichnung Bibelkunde. Die ersten Lehrbücher für Bibelkunde entstanden Anfang des 19. Jahrhunderts als Präparationsbücher für Lehrer an christlichen und jüdischen Volksschulen.1 Sie sollten sich ein strukturiertes Wissen über die Bibel erarbeiten, um auf dieser Grundlage ihren Unterricht erteilen zu können. Dabei wurde die Bibel als Grundorientierung in Völker- und Staatskunde, aber auch Biologie und Sittenkunde verstanden.2
In der Mitte des 19. Jahrhunderts entstehen die ersten Lehrwerke für das Gymnasium und zwar für den Unterricht sowohl an christlichen, als auch an jüdischen höheren Schulen.3 Die Integration von Bibelkunde in den Religionsunterricht dieser Schulen war nicht zuletzt einer apologetischen Tendenz geschuldet, die den in Friedrich Schleiermachers (1768–1834) Reden an die Verächter der Religion genannten Vorbehalten begegnen wollte.4 Zunächst stellten die insbesondere von Hermann Samuel Reimarus (1694–1768) vertretene Vernunftreligion und die dieser zugrundeliegende Sachkritik der biblischen Aussagen den Gehalt der Bibel infrage. Im 19. Jahrhundert wurde dann Schritt für Schritt der faktuale Gehalt der biblischen Schriften weiter destruiert. Die biblische Chronologie wurde durch archäologische Funde im Alten Orient infrage gestellt, die Vorstellung von der Erschaffung der Welt an einem Tag durch die Geologie, die synchrone Schöpfung aller Arten durch die Evolutionstheorie und die Offenbarungsqualität der Bibel durch altorientalische Texte, die als Parallelen oder gar Vorlagen aufgefasst werden konnten (Bibel-Babel-Streit). Die apologetische Tendenz der Bibelkunde im Schulunterricht führte dazu, dass die Darstellung von Inhalt und Aufbau biblischer Schriften immer auch ein Reflex auf die Situation der in Deutschland konfessionell verfassten Religionen war. So ist es kein Zufall, dass die erste Bibelkunde, die im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet ist, auf den Rabbiner Ludwig Philippson (1811–1889) zurückgeht, der zugleich der Autor einer Schrift mit dem Titel Reden wider den Unglauben gerichtet an alle denkenden Israeliten ist.5 Der Gymnasiallehrer Eduard Krähe notiert im Vorwort seiner Bibelkunde aus dem Jahr 1877, dass er die wachsende „Gleichgültigkeit der Gebildeten, die offene Feindschaft der Massen gegen alle Religion“ bekämpfen und den „gebildeten Theile unseres Volkes“ wieder zum „Träger von wahrer deutscher Frömmigkeit“ machen wolle.6 Bibelkunde ist in ihrer Entstehung als schulisches Lehrfach der Aufgabe verpflichtet, die Religionen, die sich auf die Bibel berufen, in ihren verschiedenen konfessionellen Prägungen zu verteidigen. Es ist mit dem Wesen jeglicher Apologie verbunden, dass diese, wenn sie wirkungsvoll sein möchte, sich auf die Argumente der Angreifer einlassen muss, sodass diesem Gestus eine historisch-aufklärende wie auch assimilierende Tendenz zu eigen ist.7
Die universitäre Lehre in Bibelkunde setzt später ein. Erste Überblicke und Lehrvorlagen erscheinen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, etwa die 1933 erschienene und bis 1983 aufgelegte Bibelkunde des Missionswissenschaftlers Martin Schlunck (1874–1956).8 Die Bibelkunde des Göttinger Systematikers Otto Weber (1902–1966) aus dem Jahr 1949 steht hingegen unter dem Einfluss der barthianischen Bibelorthodoxie der Nachkriegszeit und ist aus einer systematisch-theologischen Perspektive konzipiert.9 Die Überschriften zu den einzelnen Kapiteln stellen theologische Begriffe, die heilsgeschichtlich interpretiert werden, in den Mittelpunkt (‚Schöpfung und Sünde‘, ‚Israel‘, ‚Theokratie‘ usw.) und verbinden mit ihnen eine Auswahl passend erscheinender Bibeltexte als ‚Lesestoff‘. Daneben entstehen auch Lehrbücher, die die Berührung mit der theologischen Wissenschaft meiden, so erläutert der Pfarrer und Bonner Privatdozent für das Alte Testament Martin Thilo (1876–1950) das Verhältnis seiner Bibelkunde zu den exegetischen Wissenschaften mit den Worten: