Big Ideas. Das Medizin-Buch - Steve Parker - E-Book

Big Ideas. Das Medizin-Buch E-Book

Steve Parker

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Beschreibung

Anschauliche Einführung in die Medizingeschichte. Wie werden Krankheiten diagnostiziert? Was ist Krebs? Wie entstehen Pandemien? Das innovative Nachschlagewerk beantwortet diese und viele andere Fragen mit informativen Diagrammen & originellen Grafiken – klar und leicht verständlich. Es beleuchtet die 90 wichtigsten medizinischen Durchbrüche und Entdeckungen der Medizin-Geschichte – von den Anfängen in der Antike bis zur modernen Medizintechnologie. Der neue Titel aus der DK Erfolgsreihe "Big Ideas"! Das große Medizin-Buch zum Nachschlagen – Zusammenhänge, Theorien & Biografien kurzweilig und einfach aufbereitet: • 90 der wichtigsten medizinischen Meilensteine: Dieses Buch erzählt die Geschichte der Medizin – von Diagnostik in der Antike und im Mittelalter über die ersten Erkenntnisse zur Blutzirkulation und zu Impfungen bis zur modernen Medizintechnologie. • Medizinwissen grafisch auf den Punkt gebracht: Interessante Diagramme sowie originelle Illustrationen und beeindruckende Fotografien in einem jungen, frischen Layout erleichtern auf kreative Weise den Zugang zur facettenreichen Welt der Medizin. • Interessante Fragen rund um die Medizin werden in diesem Buch verständlich und anschaulich beantwortet und regen zum Nachdenken an. Wie hat man Krankheiten in der Antike behandelt? Seit wann gibt es Krankenhäuser? Kann man Zellen programmieren? • Die Geschichte der Medizin in sechs großen Kapiteln: Alte und mittelalterliche Medizin; der wissenschaftliche Körper; Zellen und Mikroben; Impfstoffe, Medikamente und Antibiotika; Weltgesundheit; Gene und Technologie. Medizin entdecken und verstehen! Ein spannender Überblick zu einer der wichtigsten Wissenschaften unserer Zeit – Basiswissen zum Studieren, Informieren oder Nachschlagen!

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Seitenzahl: 498

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INHALT

EINLEITUNG

MEDIZIN IN ANTIKE UND MITTELALTER

FRÜHZEIT BIS 1600

Schamane gegen Leid und Tod

Prähistorische Medizin

Jeder Arzt für eine Krankheit, nicht für mehr

Altägyptische Medizin

Ein Gleichgewicht der Doshas ist frei sein von Krankheit

Ayurveda

Wir bauen neu auf, was das Schicksal nahm

Plastische Chirurgie

Zuerst einmal nicht schaden

Griechische Medizin

Körper in Harmonie

Traditionelle Chinesische Medizin

Die Natur ist der beste Arzt

Pflanzenheilkunde

Durch Anschauung und Vernunft zur Diagnose

Römische Medizin

Wissen, was krank und was gesund macht

Islamische Medizin

Gelehrt, kundig, geschickt und anpassungsfähig

Medizinschulen und Chirurgie im Mittelalter

Vampir der Medizin

Aderlass und Blutegel

Kriege haben die Medizin weitergebracht

Feldmedizin

Die Kunst des Verschreibens liegt in der Natur

Pharmazie

Die Sektion ist das Lehrbuch

Anatomie

KÖRPER UND WISSENSCHAFT

1600–1820

Das Blut wird im Kreis geführt

Blutkreislauf

Eine bekannte Krankheit ist halb geheilt

Nosologie

Für eine gute und schnelle Entbindung

Geburtshilfe

Die Ernte der Arbeit ist Krankheit

Arbeitsmedizin

Jeder Patient ist anders

Anamnese

Kranke so schnell wie möglich wieder gesund machen

Krankenhäuser

Eine große, unbekannte Kraft in dieser Frucht

Skorbutvorsorge

Baumrinde ist sehr wirksam

Aspirin

Chirurgie ist eine Wissenschaft

Wissenschaftliche Chirurgie

Zuerst die schweren Fälle versorgen

Triage

Eine Besonderheit des Sehens

Farbsehschwäche

Nicht mehr gefürchtet, sondern verstanden

Humanes Anstaltswesen

Das Immunsystem trainieren

Impfung

Ähnliches mit Ähnlichem heilen

Homöopathie

Das schlagende Herz hören

Stethoskop

ZELLEN UND MIKROBEN

1820–1890

Gesundes Blut in den Kranken springen lassen

Bluttransfusion und Blutgruppen

Wohltuend, beruhigend und über die Maßen erfreulich

Anästhesie

Hände waschen

Hygiene

Die Medizin braucht Männer und Frauen

Frauen in der Medizin

Jede Zelle entsteht aus einer Zelle

Histologie

Sie hielten den Rauch für das Feuer

Epidemiologie

Ein Krankenhaus sollte den Kranken nicht schaden

Pflege- und Hygienewesen

Störungen auf Zellebene

Zellularpathologie

Macht euch zu Meistern der Anatomie

Gray’s Anatomy

Man muss das Narbengewebe ersetzen

Hauttransplantation

Das Leben hängt von der Gnade dieser winzigen Körper ab

Keimtheorie

Ein genetischer Fehler

Vererbung und Erbkrankheiten

Alles Unglück kommt von diesen kleinen Teilchen

Antisepsis in der Chirurgie

Disziplin der Lebenserscheinungen

Physiologie

Abwehr von Eindringlingen

Immunsystem

Ein einziger Mückenstich genügt

Malaria

IMPFSTOFFE, SEREN UND ANTIBIOTIKA

1890–1945

Lösung für das Puzzle Krebs

Krebstherapie

Die dunkleren Schatten der Handknochen

Röntgenstrahlung

Viren sind Alpha-Raubtiere

Virologie

Träume sind der Königsweg zum Unbewussten

Psychoanalyse

Es muss ein chemischer Reflex sein

Hormone und Endokrinologie

Aktionsströme des Herzens

Elektrokardiografie

Fasern, die Funken versprühen

Nervensystem

Eine eigenartige Krankheit der Hirnrinde

Alzheimer-Krankheit

Magische Kugeln

Gezielte Medikamentenabgabe

Unbekannte, lebensnotwendige Substanzen

Vitamine und Ernährung

Eine unsichtbare, antagonistische Mikrobe

Bakteriophagen und Phagentherapie

Eine abgeschwächte Form des Keims

Lebendimpfstoffe

Die Bauchspeicheldrüse nachahmen

Diabetes

Keine Frau ist frei, deren Körper nicht ihr selbst gehört

Geburtenkontrolle

Erstaunlicher, lebensrettender Schimmel

Antibiotika

Neue Fenster zum Gehirn

Elektroenzephalografie

Stumme Krankheiten früh entdecken

Krebsscreening

GLOBALE GESUNDHEIT

1945–1970

Das Recht eines jeden auf Gesundheit

Weltgesundheitsorganisation

Die künstliche Niere kann Leben retten

Dialyse

Dramatisches Antidot der Natur

Steroide und Cortison

Beruhigende Wirkung

Lithium und bipolare Störungen

Psychisches Penicillin

Chlorpromazin und Neuroleptika

Das Denken verändern

Verhaltens- und Wahrnehmungstherapien

Neue diagnostische Dimension

Ultraschall

47 Chromosomen in allen Zellen

Chromosomen und Downsyndrom

Tod wird Leben

Transplantation

Nützliches, unbändiges Molekül

Interferon

Sensation für den Patienten

Herzschrittmacher

Zentrum unserer Immunantwort

Lymphozyten und Lymphsystem

Die Macht, selbst zu entscheiden

Hormonale Kontrazeption

Frage nach der Sicherheit

Gesundheitsbehörde und Thalidomid

Funktion zurückgeben

Orthopädische Chirurgie

Rauchen tötet

Tabak und Lungenkrebs

Das Sterben erleichtern

Palliativmedizin

GENE UND TECHNOLOGIEN

1970 BIS HEUTE

Randomisieren, bis es wehtut

Evidenzbasierte Medizin

In den Körper schauen

MRT und Rasterverfahren

Antikörper nach Bedarf

Monoklonale Antikörper

Natürlich ging es nicht

In-vitro-Fertilisation

Sieg über die Pocken

Ausrottung von Krankheiten

Das Schicksal liegt in unseren Genen

Genetik und Medizin

Das geht jeden etwas an

HIV und Autoimmunerkrankungen

Revolution durchs Schlüsselloch

Minimalinvasive Chirurgie

Erster Blick auf unseren Bauplan

Human Genome Project

Reparatur von Genen

Gentherapie

Macht des Lichts

Laserchirurgie am Auge

Hoffnung auf neue Therapien

Stammzellforschung

Kleiner ist besser

Nanomedizin

Barrieren von Raum und Entfernung sind gefallen

Roboterchirurgie

Staatsfeind Nummer eins der Gesundheit

Pandemien

Zellen umprogrammieren

Regenerative Medizin

Mein neues Gesicht

Gesichtstransplantation

ANHANG

GLOSSAR

DANK

ZITATNACHWEIS

EINLEITUNG

Seit jeher sind Krankheit und Leiden Begleiter des Menschen. Krankheiten zu behandeln oder ihnen vorzubeugen, entscheidet buchstäblich über Leben und Tod. Ständig wurden neue Techniken ausprobiert, manchen Erfindungen, etwa der Impfung und den Antibiotika, verdanken unzählige Menschen ihr Leben oder ihre Gesundheit.

Frühe Heilkunde

In prähistorischer Zeit waren Kranke auf überliefertes Wissen, Heilkundige oder sogar Magie angewiesen. Systematischere Ansätze begannen um 3000 v. Chr mit dem altindischen Ayurveda, das ebenso wie die traditionelle chinesische Medizin heute noch viele Anhänger hat. Die Wurzeln der wissenschaftlich begründeten modernen Medizin liegen jedoch in der griechischen Antike.

Der Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. lebende griechische Philosoph Hippokrates hielt Krankheiten für natürlich bedingt und daher auch mit natürlichen Mitteln heilbar. Dieses medizinische Prinzip gilt bis heute. Die Verpflichtung, Kranken zu helfen, geht ebenfalls auf Hippokrates zurück. Sie ist im Hippokratischen Eid verankert und seitdem ärztliche Ethik und Praxis. Die Griechen hatten nur wenige Heilmittel zur Verfügung und ihr anatomisches Verständnis war wegen des Verbots der Leichenöffnung gering. In den römischen Feldzügen konnten die Ärzte jedoch ihre chirurgischen Fertigkeiten erweitern. Der berühmte römische Arzt Claudius Galen erwarb sich durch Tiersektionen und die Untersuchung von verletzten Gladiatoren erhebliche anatomische Kenntnisse.

Galen ging sorgfältig und systematisch vor und verfasste die ersten medizinischen Lehrbücher. Er beharrte jedoch auf der alten griechischen Vorstellung, dass Krankheiten durch ein Ungleichgewicht zwischen vier Körpersäften – Blut, gelbe und schwarze Galle sowie Schleim – hervorgerufen würden. Die Vier-Säfte-Lehre beherrschte die Medizin Europas bis ins 19. Jahrhundert.

»Heilen manchmal, lindern oft, trösten immer.«

Hippokrates

(um 460–375 v. Chr.)

Wissenschaftlichkeit

Nach dem Untergang des Römischen Reiches bewahrten islamische Gelehrte Galens Lehre und entwickelten neue Operationstechniken und Arzneien. Al-Razi behandelte mit chemischen Substanzen und Ibn Sina verfasste den grundlegenden Kanon der Medizin.

Im späten Mittelalter gelangten Galens Medizin und die islamischen Erweiterungen wieder zurück nach Europa. Städte wie Salerno und Padua errichteten an den Universitäten Medizinschulen. Die Medizin wurde erstmals als akademisches Fach anerkannt. Mit der Renaissance folgte ein Zeitalter der studien- und beobachtungsbasierten Erkenntnisse.

Mitte des 16. Jahrhunderts begründete der flämische Arzt Andreas Versalius durch detaillierte Sektionen das moderne Bild der menschlichen Anatomie. Ärzte befassten sich mit der Physiologie, der Wissenschaft von den Körperfunktionen. Ein großer Durchbruch war 1628 die Demonstration des englischen Arztes William Harvey, dass das Herz das Blut im Kreislauf durch den Körper pumpt.

Nur langsam entwickelten sich wirkungsvolle Behandlungsmethoden. Im 16. Jahrhundert beschrieb der Arzt und Alchemist Paracelsus den Körper als chemisches System, das mit chemischen Substanzen zu heilen sei. Obwohl fast 400 Jahre lang Syphilis mit Quecksilber behandelt wurde, fanden sich Paracelsus’ Prinzipien erst im 20. Jahrhundert in der medikamentenbasierten Medizin wieder.

Krankheiten bekämpfen

Die erfolgreiche Pockenimpfung des britischen Arztes Edward Jenner von 1796 erweckte das medizinische Interesse neu. Im Jahr 1881 bewies der französische Chemiker Louis Pasteur den Erfolg von Impfungen auch bei anderen Erkrankungen. Die Impfforschung ist heute eine große Teildisziplin der Medizin.

Pasteur und der deutsche Arzt Robert Koch ebneten auch den Weg für eine neue Sichtweise auf die Ursachen von Krankheiten. Mit der Keimtheorie und dem Nachweis, dass Infektionskrankheiten von mikroskopisch kleinen Organismen wie Bakterien verursacht werden, bereiteten sie der Säftelehre ein deutliches Ende. Neue Forschungsgebiete entstanden. Nach Kochs Isolierung des Tuberkuloseerregers entdeckte der russische Wissenschaftler Ilja Metschnikow Körperzellen, die Krankheitserreger ausschalten können. Die Erforschung des Immunsystems ist eine große Erfolgsgeschichte im 20. Jahrhundert.

Im 20. Jahrhundert führten auch Neuentwicklungen der Mikrobiologie und Chemie zu neuen Sichtweisen auf die Bekämpfung von Krankheiten. Der deutsche Forscher Paul Ehrlich entdeckte kleinste Teilchen des Immunsystem (Antikörper) und erforschte Medikamente, die gezielt nur den Erreger angreifen. Mit der Einführung des Syphilis-Wirkstoffs Salvarsan von 1910 ebnete er den Weg für die pharmazeutische Industrie weltweit.

Moderne Medizin

Mit der Entdeckung des Penicillins 1928 durch den schottischen Bakteriologen Alexander Fleming begann eine neue Ära der Medizin. Zum ersten Mal konnten Ärzte Krankheiten heilen, die zuvor lebensbedrohlich waren. Auch die Organtransplantation, eines der großen Wunder der Medizin, war aufgrund von Antibiotika nun möglich.

Seit 1950 brachten Entwicklungen wie die Entzifferung des genetischen Codes neue Erkenntnisse zum Krankheitsverlauf und den Möglichkeiten, heilend einzugreifen. Biomedizinische Fortschritte, beispielsweise die Gentechnik, führten zu neuen Lösungen im Gesundheitswesen und reichen von nicht invasiver Bildgebung über Roboterchirurgie bis hin zu Implantaten wie Herzschrittmachern und künstlichen Gelenken.

Neue Ideen und Erkenntnisse in der Medizin haben Millionen Menschen Leid und Tod erspart. Manche davon waren Geistesblitze eines Einzelnen, andere das Ergebnis von jahrelanger harter Arbeit in großen Forschungsteams. Innovationen der Medizin müssen jedoch mit größerer Vorsicht betrachtet und stärker reguliert werden als in vielen anderen Fachgebieten. Auf dem Spiel stehen Menschenleben.

»Die Fortschritte in Medizin und Landwirtschaft haben viel mehr Leben gerettet, als in der Geschichte in all den Kriegen verloren gegangen sind.«

Carl Sagan

Amerikanischer Wissenschaftler

(1934–1996)

MEDIZIN IN ANTIKE UND MITTELALTER

FRÜHZEIT BIS 1600

6. Jt. v. Chr.

Europäische Schädelfunde mit Lochbohrungen belegen Trepanationen, wahrscheinlich zur Schmerzlinderung oder der Befreiung von »bösen Geistern«.

um 1700 v. Chr.

Im Papyrus Edwin Smith aus dem alten Ägypten sind 48 Traumaarten aufgeführt. Er stellt eine der frühesten medizinischen Schriften dar.

um 440 v. Chr.

Hippokrates beginnt sein Wirken als Arzt im antiken Griechenland. Er entwickelt einen ethischen Kodex für Ärzte, der später als Hippokratischer Eid bekannt wird.

um 70 v. Chr.

Der römische Militärarzt Pedanius Dioskurides verfasst die Schrift De materia medica (Über Arzneistoffe). Hunderte Heilkräuter und medizinische Präparate sind dort aufgeführt.

2700 v. Chr.

Im alten Ägypten gelangt der Architekt, Hohepriester, Wesir und Arzt Imhotep zu großem Ruhm. Hunderte Jahre später wird er zum Gott auf Erden der ärztlichen Praxis erhoben.

um 500 v. Chr.

In Indien stellt der Arzt Sushruta die Sushruta Samhita, eine Sammlung ayurvedischer Operationstechniken, zusammen. Dazu gehören auch Rekonstruktionen.

um 300 v. Chr.

In China werden Grundsätze und Methoden der Traditionellen Chinesischen Medizin im Huangdi Neijing (Klassiker des Gelben Kaisers zur Inneren Medizin) niedergeschrieben.

9.–11. Jh.

In der islamischen Welt entwickelt sich die Medizin unter al-Razi in Bagdad und später Ibn Sina in Persien weiter.

1242

Der islamische Arzt Ibn al-Nafis vermutet richtig, dass es keine Poren zwischen den Herzkammern gibt und entdeckt den Lungenkreislauf.

1363

Der Französische Arzt und Chirurg Guy de Chauliac verfasst die einflussreiche Abhandlung Chirurgia Magna (Große Chirurgie).

1543

Andreas Vesalius revolutioniert die Medizin mit De humani corporis fabrica (Über den Bau des menschlichen Körpers).

162 n. Chr.

Der Arzt Claudius Galen geht nach Rom. In seiner Vier-Säfte-Lehre legt er großen Wert auf Beobachtung, Experiment und anatomisches Wissen.

1180

In Italien verfasst Roger von Salerno, Lehrer an Europas erster Medizinschule, die Practica chirurgiae (Praxis der Chirurgie).

1347

Der Schwarze Tod erreicht Genua in Italien. Bis 1353 fallen ihm in Asien, Europa und Nordafrika bis zu 200 Mio. Menschen zum Opfer.

um 1530

Paracelsus behandelt Kranke mit eigens hergestellten chemischen Präparaten und begründet damit die Pharmakologie – die Lehre der Arzneimittel.

Prähistorische Skelett- und Werkzeugfunde sowie Felsmalereien belegen, dass bereits vor 40 000 Jahren medizinische Praktiken angewandt wurden. Die Menschen kannten gesundheitsfördernde Eigenschaften von Mineralien, Pflanzen oder Tierteilen. Das Wirken der Heilkundigen führten die Menschen auf Mythen, Magie und die Anrufung übernatürlicher Kräfte zurück.

Von vielen alten Kulturen Nord- und Südamerikas, Afrikas, Asiens und Ozeaniens sind spirituelle Praktiken bekannt, bei denen die Menschen sich in Trancezustände versetzten, um so mit den Geistern in Verbindung zu treten. Die Magier wollten die Heilkräfte der Geister kanalisieren oder die Geister bei einer Gegenleistung um Gesundheit und Erlösung von Leiden und Schmerz bitten. In manchen indigenen Gesellschaften sind solche Praktiken immer noch verbreitet.

Medizinische Versorgung

Alle alten Zivilisationen entwickelten medizinische Praktiken, häufig gepaart mit religiösen Ritualen. Die Ägypter des 4. Jahrtausends v. Chr. glaubten, dass Krankheiten eine Strafe der Götter für böse Taten – im jetzigen oder früheren Leben seien. Priester verabreichten Heilkräuter, führten Rituale aus und boten den Göttern Opfer dar. Im 2. Jahrtausend v. Chr. waren bereits Spezialisten für Augen, Magen-Darm-Trakt und Zähne tätig. Eine jahrhundertelange Erfahrung mit der Mumifizierung und Einbalsamierung von Toten hatte eine hohe Fertigkeit in der Chirurgie hervorgebracht.

In Indien entwickelte sich um 800 v. Chr. das medizinische Ayurvedasystem, das bis heute praktiziert wird. Sein Grundprinzip ist das Gleichgewicht von drei Lebenselementen, die Doshas genannt werden: Vata (Wind), Pitta (Galle) und Kapha (Schleim). Der Vaidya (Arzt) deckt Ungleichgewichte auf und korrigiert sie mit mineralischen und pflanzlichen Arzneien, Aderlass, Abführmitteln, Einläufen, Brechmitteln und Massage.

Im alten China galt das Prinzip, dass Gesundheit erreicht wird, wenn das Gegensatzpaar Yin und Yang, die fünf Elemente Feuer, Wasser, Erde, Holz und Metall sowie die lebenserhaltende Energie des Qi, die durch die Meridiane (Körperkanäle) fließt, im Gleichgewicht stehen. Neben vielen, andernorts bekannten Heilmitteln (Heilkräuter, Ernährung und Massage) gab es auch Neuentwicklungen, etwa den Puls als diagnostisches Instrument zu nutzen oder die Akupunktur (Einstecken von Nadeln entlang der Meridiane zur Korrektur von Ungleichgewichten).

Neue Erkenntnisse

Im 1. Jahrtausend v. Chr erlebte die Medizin in Griechenland eine große Blüte. Das Patientenethos des Hippokrates von Kos und viele seiner Diagnose- und Heilverfahren sind bis heute noch gültig. Unter den Römern machte insbesondere die Chirurgie große Fortschritte. Auch die Römer glaubten, dass Gesundheit eine Frage des Gleichgewichts sei – in diesem Fall der vier Körpersäfte Blut, Schleim sowie gelbe und schwarze Galle. Um 200 n. Chr. erarbeitete sich Claudius Galen im Bereich der Anatomie einen herausragenden Ruf. Bis ins 16. Jahrhundert beriefen sich die europäischen Ärzte auf seine Arbeiten.

Mit dem Niedergang und dem Fall des Römischen Reichs 476 n. Chr. ging im nunmehr stark fragmentierten Europa viel medizinisches Wissen verloren. Die Gesundheitsversorgung des Mittelalters (um 500–1400) spielte sich größtenteils in den Klöstern ab. Dagegen entwickelte die expandierende arabische Welt Wissenschaft und Medizin stark weiter. In der Blütezeit des Islam (um 750–1258) studierten und übersetzten Gelehrte am abbasidischen Hof in Bagdad die medizinischen Texte der Antike. Al-Razi und Ibn Sina ergänzten sie durch einflussreiche eigene Arbeiten. Die Schriften wurden später ins Lateinische rückübersetzt.

Im 14. Jahrhundert begann in Italien mit der Wiederentdeckung der griechisch-römischen Kultur und Gelehrsamkeit das Zeitalter der Renaissance (»Wiedergeburt«). In ganz Europa verbreiteten sich neue Ideen in Kunst, Erziehung, Politik, Religion, Wissenschaft und Medizin.

Statt die antiken Texte zu zitieren, beriefen sich Wissenschaftler und Ärzte nun auf eigene Beobachtungen, Experimente und logische Überlegungen. Herausragende Personen waren der Schweizer Arzt Paracelsus, der die Pharmakologie begründete, und der flämische Anatom Andreas Vesalius. Dessen Meisterwerk De humani corporis fabrica (Über den Bau des menschlichen Körpers) veränderte das medizinische Verständnis des menschlichen Körpers grundlegend.

SCHAMANE GEGEN LEID UND TOD

PRÄHISTORISCHE MEDIZIN

IM KONTEXT

FRÜHER

47000 v. Chr. Zähne von Neandertaler-Skeletten aus einer Höhle bei El Sidrón in Nordspanien verraten den Gebrauch von Heilpflanzen.

SPÄTER

7000–5000 v. Chr. Felsmalereien in Tassili n’Ajjer (Algerien) zeigen wahrscheinlich Schamanen mit psychoaktiven Pilzen der Art Psilocybe mairei.

Um 3300 v. Chr. Ötzi, dessen Eismumie 1991 in den Ötztaler Alpen entdeckt wurde, verwendete nachweislich Heilkräuter.

Um 1000 n. Chr. In Südwestbolivien nehmen Heiler psychoaktive Drogen einschließlich Kokain ein; chemische Spuren davon wurden 2010 auf dem Lípez Altiplano nachgewiesen.

2000 Chuonnasuan, einer der letzten praktizierenden Schamanen, stirbt in Sibirien.

Prähistorische Menschen experimentierten bereits mit Kräutern und Tonerden bei Verwundung oder Krankheiten. Ähnliches lässt sich auch bei Menschenaffen beobachten. Unglück erklärten sich die Menschen mit übernatürlichen Kräften und gaben bösen Geistern die Schuld für körperliches Leiden.

Magische Heilung

Vor 15 000–20 000 Jahren tauchte erstmals die Figur des Gestaltenwechslers auf, der als Heiler und Zauberer zugleich in die spirituelle Welt übertreten kann. Dort wirkt er auf die Geister ein, damit sie die Leidenden erlösen und Heilung und Frieden bringen.

Prähistorische Steinbildnisse in Afrika und Höhlenmalereien in Europa zeigen solche rituellen Praktiken, bei denen sich Heiler in Tierwesen verwandeln. Bei Hilazon Tachtit in Israel fand man in einem Frauengrab aus der Zeit um 11 000 v. Chr. einen goldenen Adlerflügel, Beckenknochen eines Leoparden und einen abgetrennten menschlichen Fuß. Mithilfe solcher Gegenstände sollten Geisterheiler die menschliche Existenz überwinden. Wahrscheinlich besaßen sie auch praktisches Heilwissen. Archäologen fanden nicht nur zahlreiche Belege für die Anwendung von Heilpflanzen, sondern auch Beweise für chirurgische Eingriffe wie Trepanationen und die Versorgung von Knochenbrüchen.

Bedürfnis nach Heilung

Der Glaube an übernatürliche Kräfte brachte verschiedene spirituelle und medizinische Praktiken hervor. Viele starben nie aus. Im 17. Jahrhundert trafen europäische Reisende in Sibirien Geisterheiler mit der tungusischen Bezeichnung Šaman (»Wissender«). Als Schamanismus wurden später allgemein spirituelle Handlungen bezeichnet.

In Sibirien nutzt immer noch eine schwindende Anzahl von Schamanen Halluzinogene, Trommeln und Gesänge, um sich in Trance zu versetzen und Visionen der Geisterwelt herzustellen. Die Menschen glauben, dass mächtige Heilkundige (oft geleitet von einem Tiergeist) in die Anderwelt übertreten können. Dort überzeugen sie den bösen Geist, den Kranken zu verlassen. Ist keine Heilung mehr möglich, führt der Schamane die Seele des Sterbenden mit ähnlichen Ritualen sicher ins Totenreich. Spirituelle Heilpraktiken gibt es noch in Ostasien, Afrika und in den Naturvölkern Australiens, der Arktis und auf dem amerikanischen Kontinent. Sie erfüllten jahrtausende- oder jahrmillionenlang das Bedürfnis zu verstehen, warum man krank wird und warum – bei zu mächtigen oder zu widerwilligen Geistern – es keine Heilung gibt. Trotz schwindender Naturvölker lebt dieser Glauben weiter.

Der Vogelmann aus den Höhlen von Lascaux in Frankreich wurde um 15 000 v. Chr. erschaffen. Der Kopf, die vierfingrigen Hände und die Vogeldarstellung deuten auf einen Schamanen hin.

Trepanation

Ein Schädelfund unter dem Markt von Krakau in Polen aus dem 11. Jh. belegt eine mittelalterliche Trepanation zu therapeutischen Zwecken.

Bei Tausenden prähistorischen Schädeln wurde eine gesägte oder gebohrte Öffnung gefunden. Trepanationen sind seit etwa 8000 v. Chr bekannt und dienten vermutlich zur Austreibung von bösen Geistern. Manchmal trug der Patient das ausgesägte Knochenstück als Amulett mit sich. Die Schädel zeigten häufig Merkmale vergangener Verletzungen oder Krankheit, möglicherweise wurden dadurch auch Wunden und neurologische Leiden behandelt. Bei Ensisheim in Frankreich entdeckten Archäologen um 1990 einen 7000 Jahre alten Schädel, der sogar zweimal trepaniert wurde. Ein neu gewachsener Knochen beweist, dass die Patienten häufig mehrere Jahre überlebten.

Die Trepanation wurde in den alten Hochkulturen von Ägypten, Griechenland, Rom, China und Südamerika angewandt. In Europa und den USA behandelten Chirurgen damit Gehirnerschütterungen und Entzündungen und säuberten Kopfwunden (z.B. im amerikanischen Bürgerkrieg).

JEDER ARZT FÜR EINE KRANKHEIT, NICHT FÜR MEHR

ALTÄGYPTISCHE MEDIZIN

IM KONTEXT

FRÜHER

Um 3500 v. Chr. In Ägypten wird der Kopf durch Trepanation (Aufbohren des Schädels) von Druck entlastet.

Um 2700 v. Chr. Durch Mumifizierung der Leichen ihrer Könige erlangen die Altägypter tiefe Kenntnisse über die inneren Organe.

SPÄTER

Um 2600 v. Chr. Tod von Hesire, des ersten bekannten Zahnarzts (»Großer der Elfenbeinschneider«).

Um 1700 v. Chr. Im Papyrus Edwin Smith (benannt nach seinem Käufer von 1862) werden Operationstechniken für Wunden und Brüche erklärt.

Um 440 v. Chr. Herodot beschreibt die hohe Spezialisierung der ägyptischen Ärzte.

1805 n. Chr. In London eröffnet das Moorfields Eye Hospital als eine der ersten modernen Fachkliniken.

In den frühen Gesellschaften glaubten die Menschen, Krankheiten hätten übernatürliche Ursachen. Die Heilkunst lag daher in den Händen von Schamanen oder Priestern. In Mesopotamien galt jemand mit einer Geschlechtskrankheit als »geschlagen von Lilith«, dem Sturmgeist. Die ersten ägyptischen Ärzte residierten in einem Tempelbereich, der Per-anch (Haus des Lebens) genannt wurde.

Der erste namentlich bekannte ägyptische Arzt war Imhotep, ein hoher Beamter am Hof des Pharaos Djoser um 2700 v. Chr. Über seine medizinischen Ansichten ist wenig bekannt, aber sein Ruf war so überragend, dass er später als Heilgott verehrt wurde.

Spezialisierung

Mit Imhotep begann die medizinische Tradition, durch praktische Maßnahmen Leben zu erhalten. Priester und Ärzte übten nicht mehr die gleichen Tätigkeiten aus. Im 5. Jahrhundert v. Chr. schrieb der griechische Geschichtsschreiber Herodot, dass es in Ägypten Ärzte für verschiedene Fachbereiche gebe, darunter für Zähne, Unterleib und »versteckte Krankheiten«. Diese Darstellung findet sich auch in altägyptischen Dokumenten. So steht z. B. auf dem Grabmal von Hesire (eines ägyptischen Beamten und Zeitgenossen von Imhotep) »Großer der Elfenbeinschneider«. An anderer Stelle werden Swnw (Allgemeinmediziner), Augenärzte oder Spezialisten für Verdauungsbeschwerden genannt. Es gab auch Ärztinnen wie etwa Merit Ptah, die um 2700 v. Chr. lebte, sowie Hebammen und Chirurgen.

Chirurgische Instrumente, dargestellt auf einem Fries des Tempels von Kom Ombo, belegen die hohe Bedeutung der Chirurgie in Altägypten.

Operationskunst

Am stärksten spezialisiert waren Chirurgen. Sie legten bei äußeren Operationen (Eingriffe an inneren Organen hatten das große Risiko von tödlichen Infektionen) große Fertigkeiten an den Tag. Im Papyrus Edwin Smith um 1700 v. Chr., dem ältesten überlieferten Text mit Operationsbeschreibungen, sind 48 Fallstudien aufgeführt. Es gibt genaue Anleitungen, wie Brüche, Wunden und Verrenkungen zu versorgen sind. Der Praxisbezug lässt vermuten, dass sich die Schrift an praktizierende Feldärzte richtete. In anderen Dokumenten wie im Papyrus Ebers (um 1550 v. Chr.) werden hingegen Volkskuren und Magie angeführt, mit denen Infektionskrankheiten geheilt werden sollten.

Trotz ihrer Spezialisierung besaßen die altägyptischen Ärzte noch sehr wenig anatomisches Wissen. Dem Herz gestanden sie zwar eine zentrale Rolle für die Körperfunktionen zu, aber sie nahmen an, dass Venen, Arterien und Nerven als Teil von 46 »Kanälen« Energie durch den Körper leiten. Die fachliche Spezialisierung der Altägypter beeinflusste nachhaltig die römische, die arabische und schließlich die mittelalterliche europäische Medizin. Im 19. Jahrhundert spaltete sich das Feld rasch weiter auf. Fachkliniken wie das Moorfields Eye Hospital (1805) eröffneten und bis 1860 entstanden allein in London 60 medizinische Fachzentren.

Imhotep

Die einzigen schriftlichen Zeugnisse über Imhotep stammen aus einer Zeit 1000 Jahre nach seinem Tod. Wenig gilt daher als gesichert. Imhoteps Name steht auf einer Statue des Pharaos Djoser des Alten Reichs im Museum von Kairo. Imhotep wurde um 2700 v. Chr. als einfacher Bürger geboren und stieg unter Djoser bis zum Wesir (Kanzler) auf. Er gilt als Baumeister der Stufenpyramide von Sakkara, die den ein Jahrhundert später errichteten Pyramiden von Gizeh vorausging. Er war auch Hohepriester des Gottes Re.

Imhoteps besonder Ruf als Arzt führte zur Annahme, er könne der Autor des Papyrus Edwin Smith oder die Quelle für die dort beschriebenen Operationstechniken gewesen sein. Dazu gibt es jedoch keinen direkten Nachweis und bis zum 4. Jh. v. Chr. wurde er auch nicht mit Medizin in Verbindung gebracht. Nach seinem Tod wurde er als Heilgott und Sohn von Sachmet, der Göttin der Heilkunst, verehrt. Gelegentlich wird er mit dem griechischen Heilgott Asklepios in Verbindung gebracht. Auch als Thot, der Gott der Architektur und Weisheit, wurde er identifiziert.

EIN GLEICHGEWICHT DER DOSHAS IST FREI SEIN VON KRANKHEIT

AYURVEDA

IM KONTEXT

FRÜHER

Um 3000 v. Chr. Der Legende nach schenkt der Götterarzt Dhanvantari den Rishis (Sehern) das Ayurveda.

Um 1000 v. Chr. Der Atharvaveda, eine heilkundliche indische Schrift, entsteht.

SPÄTER

13. Jh. n. Chr. Der Dhanvantari Nighantu wird als Lexikon der Heilkräuter und mineralischen Arzneistoffe des Ayurveda verfasst.

1971 Der Zentralrat für indische Medizin wird gegründet. Er soll die Ausbildung an anerkannten Einrichtungen überwachen und bewährte Praktiken entwickeln.

Um 1980 Die Ayurveda-Mediziner Dr. Vasant Lad und Dr. Robert Svoboda sowie der amerikanische Veda-Gelehrte David Frawley unterrichten Ayurveda in den USA.

Um 800 bis 600 v. Chr. entstand in Indien ein philosophisch begründetes Gesundheitssystem. Benannt nach den Sanskritwörtern für Leben (Ayur) und Wissen (Veda), liegt dem Ayurveda die Lehre zugrunde, dass Krankheiten durch Ungleichgewichte von körpereigenen Elementen ausgelöst werden. Maßnahmen zur Wiederherstellung des Gleichgewichts richten sich nach den individuellen körperlichen, geistigen und spirituellen Bedürfnissen des Kranken.

Die Wurzeln des Ayurveda liegen im Atharvaveda, einer von vier heiligen Schriften (Veden), in denen die Kernvorstellungen der indischen Zivilisation im 2. Jahrtausend v. Chr. festgehalten wurden. Das Atharvaveda enthält magisch-religiöse Vorschriften für das tägliche Leben, darunter die Austreibung von bösen Geistern. Erläutert werden aber auch weniger mystische Krankheitskuren wie der Gebrauch von Heilpflanzen.

In den beiden späteren Schriften, dem Sushruta Samhita und Charaka Samhita, werden die Grundprinzipien des Ayurveda weiterentwickelt. Das Sushruta Samhita wird dem um 500 v. Chr. im nordindischen Varanasi tätigen Arzt Sushruta zugeschrieben und enthält eine Sammlung von chirurgischen Techniken, den Shalya Chikitsa. Neben Hunderten von Heilpflanzen sind hier auch Anleitungen für so komplizierte Verfahren wie Kataraktoperationen und die Versorgung von Weichteil- und Knochenbrüchen beschrieben. Die Charaka Samhita wurde um 300 v. Chr. wahrscheinlich vom königlichen Leibarzt Charaka verfasst und behandelt mit einem eher theoretischen Ansatz die innere Medizin (Kaya Chikitsa) und den Ursprung von Krankheiten.

Im 5. Jahrhundert n. Chr. kamen drei weitere akademische Schriften des Ayurveda hinzu: das Ashtanga Sangraha und das Ashtanga Hridaya, die beide von Vagbhata stammen, einem Schüler von Charaka, sowie das Bower-Manuskript, das nach dem britischen Offizier Hamilton Bower benannt wurde, der es 1890 erworben hatte. Alle sechs Texte bilden die medizinische Tradition des Ayurveda ab, das seit Jahrhunderten in Asien und in jüngerer Zeit auch im Westen praktiziert wird.

Nach der Hindu-Tradition überbrachte das Ayurveda der Schöpfergott Brahma dem Götterarzt Dhanvantari, dessen Geburtstag in Indien ein Nationalfeiertag ist.

Elemente und Doshas

Im Zentrum des Ayurveda stehen die Erlangung und Bewahrung eines harmonischen Gleichgewichts zwischen den Elementen des menschlichen Körpers. Der Vaidya (Arzt) hat die Aufgabe, Ungleichgewichte festzustellen und zu korrigieren. Nach der Lehre des Ayurveda ist der Körper wie auch die gesamte materielle Welt aus fünf Elementen aufgebaut: Akash (Raum), Vayu (Luft), Jala (Wasser), Prithvi (Erde) und Teja (Feuer). Im Körper vereinen sich diese Elemente zu drei Doshas, ähnlich den »Säften« der griechischrömischen Tradition. Die Tridosha sind Vata (Wind), Pitta (Galle) und Kapha (Schleim). Bei ausgewogenen Doshas herrscht ein Zustand von Gesundheit und Wohlbefinden vor. Dabei können die einzelnen Dosha-Anteile individuell variieren. Unausgeglichene Doshas bedeuten Krankheit und Verdauungsstörungen. So verursacht zu viel Vata Magendrücken und Flatulenz, bei zu viel Kapha können Atem- und Lungenbeschwerden auftreten.

Im Ayurveda wird der Körper nicht als statisches, sondern als dynamisches System aufgefasst. Der Energiestrom durch den Körper ist genauso wichtig wie sein anatomischer Aufbau. Zu jedem Dosha gehört eine bestimmte Energieform: Vata steuert die Aktivität und damit Muskeltätigkeit, Atemfluss und Herzschlag, Pitta reguliert die Verdauung und Kapha steht für den Skelettaufbau und die Knochen.

Die Doshas fließen in Srotas (Kanälen) durch den Körper. Es gibt 16 Haupt-Srotas: Drei nähren den Körper durch Atem, Nahrung und Wasser, drei entsorgen ihn von den Abfallprodukten, zwei tragen Muttermilch und Periodenblut, auf einem fließen die Gedanken und sieben sind direkt mit den Körpergeweben verknüpft, den Dhatus. Die Dhatus sind Rasa (Körperflüssigkeiten wie Blutplasma und Lymphflüssigkeit), Rakta (Blut), Mamsa (Muskel), Meda (Fett), Asthi (Knochen), Majja (Knochenmark und Nervengewebe) und Shukra (Fortpflanzungsgewebe). Das innere Gleichgewicht des Körpers wird dazu von Agni (»biologisches Feuer«) bestimmt, das die Stoffwechselprozesse antreibt. Der wichtigste Aspekt von Agni ist Jatharagni, (»Verdauungsfeuer«), das die Ausscheidung fördert. Bei zu schwachem Jatharagni stauen sich Urin, Kot und Schweiß an und es kommt zu Entzündungen im Harntrakt.

Die sieben Dhatus (Körpergewebe) bauen aufeinander auf. Eine Störung eines Dhatu (durch ein Ungleichgewicht zwischen den drei Doshas Vata, Pitta oder Kapha) wirkt sich sofort auf die Nährstoffversorgung und die Funktion des nächsten Dhatu aus.

Diagnose und Behandlung

Im Ayurveda ermitteln die Ärzte Krankheitszeichen durch Beobachtung und Befragung des Patienten. Dazu messen sie den Puls, analysieren Urin und Stuhl, betrachten die Zunge, prüfen Stimme und Sprache und begutachten das gesamte Erscheinungsbild. Sie untersuchen auch die sogenannten Marmapunkte. Das sind 108 Stellen am Körper, an denen sich Körpergewebe (Venen, Muskeln, Gelenke, Bänder, Sehnen und Knochen) kreuzen. Die Marmas bilden auch die Verbindungsstellen zwischen dem physischen Körper, dem Bewusstsein und der Energie, die durch den Körper fließt.

»Bei falscher Ernährung hilft keine Medizin. Bei richtiger Ernährung ist sie unnötig.«

Sprichwort aus dem Ayurveda

Ayurvedische Arzneimittel sind in ganz Indien in Geschäften und Apotheken erhältlich. Etwa 1500 pflanzliche Präparate fanden seit 3000 Jahren Eingang in die ayurvedische Medizin.

Nach der Diagnose wählt der Arzt die geeignete Behandlung aus einer Reihe von Therapien aus, um das Ungleichgewicht zwischen den Doshas oder anderen Elementen des physiologischen Systems im Ayurveda zu korrigieren. So besteht z. B. das Panchakarma aus einem mehrstufigen Reinigungsverfahren aus Dampfanwendung, Massage, Virechana (Anwendung von Abführmitteln), Vamana (Brechauslösung), Raktamokshana (Aderlass), Basti (Einläufen) und Nasya (Nasenspülungen), um den Körper von Abfallstoffen zu befreien. Verschrieben werden auch Heilkräuter, um die Doshas direkt zu beeinflussen. Unter den zahlreichen pflanzlichen, tierischen und mineralischen Produkten gilt Knoblauch als besonders leistungsstark. Mit ihm werden eine Reihe von Beschwerden wie Erkältung, Husten und Verdauungsstörungen sowie Hautreizungen und Insektenstiche behandelt.

Um den Körper bei der Heilung zu unterstützen, spielen im Ayurveda Nahrungsmittel und insbesondere Gewürze eine große Rolle. Der Vaidya kann in einer ganzheitlichen Medizin eine Ernährungsumstellung verschreiben, um das Gleichgewicht zwischen Körper, Geist und Umgebung wiederherzustellen. Dabei werden der körperliche und emotionale Zustand des Patienten und sein überwiegendes Dosha betrachtet. In der Ernährung sind sechs Geschmacksrichtungen ausschlaggebend: zusammenziehend (herb), sauer, süß, salzig, scharf und bitter.

»Es ist wichtiger, einer Krankheit vorzubeugen, als zu versuchen, sie zu heilen.«

Charaka Samhita

Neue Einflüsse brachten ab dem 11. Jahrhundert die islamische (einschließlich der griechisch-römischen) Medizin sowie die im 19. und 20. Jahrhundert neu gegründeten medizinisch-wissenschaftlichen Hochschulen und modernen Krankenhäuser. Dennoch spielen ayurvedische Ärzte bis heute eine große Rolle. Allein in Indien nutzen 500 Mio. Patienten Ayurveda ausschließlich oder parallel zur westlichen Medizin.

Sicherheitsbedenken

Im Westen gilt das Ayurveda als ergänzende Therapiemöglichkeit. Einigen Studien zufolge kann Ayurveda durchaus wirksam sein. Es gibt jedoch Bedenken, wie sicher die Mittel sind, denn sie weisen teilweise einen hohen Schwermetallgehalt auf. In einer Studie aus dem Jahr 2004 wurden 70 ayurvedische Arzneien von 27 südasiatischen Herstellern untersucht. 20 Prozent davon enthielten giftige Mengen an Blei, Quecksilber und Arsen. Manche Mittel wirken auch entgegengesetzt zu westlichen Medikamenten. Ayurveda-Präparate sollte daher immer nur unter Anweisung eines ausgebildeten Ayurveda-Arztes eingenommen werden.

Andere medizinische Traditionen in Indien

Das Ayurveda ist nicht das einzige traditionelle Heilsystem in Indien. Besonders in Südindien ist das Siddha (aus dem tamilischen Wort siddhi für »Perfektionieren«) stark verbreitet. Auch hier steht die Wiederherstellung eines Gleichgewichts im Mittelpunkt, aber innerhalb der Dualität von Materie und Energie. Das Behandlungssystem des Siddha besteht aus drei Zweigen: Bala vahatam (Pädiatrie), Nanjunool (Toxi kologie) und Nayan vidhi (Ophthalmologie).

Die Unani-Medizin (vom Hindiwort für »griechisch«) steht in der klassischen griechisch-islamischen Medizintradition. Die vier Körpersäfte (Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle) sollen im Gleichgewicht gehalten werden. Schwerpunkt ist die Untersuchung des Patienten, wobei der Puls als Diagnoseinstrument eine besonders wichtige Rolle spielt.

WIR BAUEN NEU AUF, WAS DAS SCHICKSAL NAHM

PLASTISCHE CHIRURGIE

IM KONTEXT

FRÜHER

Um 1700 v. Chr. Im altägyptischen Papyrus Edwin Smith werden narbenfreie Wundversorgungen beschrieben.

Um 950 v. Chr. Ein Holzzeh wird als erste bekannte Prothese einem ägyptischen Grab beigelegt.

SPÄTER

Um 40 n. Chr. Celsus führt in De Medicina das Annähen von Ohrläppchen auf.

1460 Heinrich von Pfolspeundt erläutert eine operative Nasenkorrektur (Rhinoplastik).

1814 In Europa wird eine Rhinoplastik nach der Methode von Sushutra ausgeführt.

1914–1918 Im Ersten Weltkrieg unternimmt der gebürtige Neuseeländer Harold Gillies Gesichtsrekonstruktionen.

2008 Der französische Chirurg Laurent Lantieri führt eine Gesichtstransplantation durch.

Den größten Teil der Menschheitsgeschichte konnten Ärzte bei Entstellungen aufgrund von Unfall, Krankheit oder Geburtsfehlern wenig ausrichten. Kleinere Makel ließen sich überschminken und verlorene Gliedmaßen durch Prothesen ersetzen, aber schlimme Verunstaltungen hatten häufig Ächtung zur Folge. Erste Hoffnung brachten diesen Menschen neue Operationstechniken, die im 1. Jahrtausend v. Chr. als Teil der medizinischen Kultur in Indien entwickelt wurden.

Ayurvedische Chirurgie

Bereits in den Vedas, den fundamentalen Texte zur hinduistischen Religion und Philosophie, finden sich chirurgische Maßnahmen – angeblich zum Wiederaufsetzen abgeschlagener Köpfe. Der erste klare Nachweis wiederherstellender Techniken stammt jedoch aus den Schriften der Sushruta Samhita, die um 500 v. Chr. entstanden.

Der Text in Sanskrit steht in der Tradition der ayurvedischen Operationskunst des Shalya und wird Sushruta zugeschrieben, einem Arzt aus dem nordindischen Varanasi. Dieser vertrat für die damalige Zeit eine sehr fortschrittliche Medizin; seine Schüler mussten Leichen sezieren, um anatomische Kenntnisse zu erwerben. Vor allem aber beschrieb er wiederherstellende Verfahren und wird deshalb auch als »Vater der plastischen Chirurgie« bezeichnet.

Das Sushruta Samhita enthält bemerkenswert moderne Ideen über die Ausbildung, Instrumente und Verfahren in der Chirurgie. Dieses Exemplar aus dem 12. oder 13. Jh. stammt aus Nepal.

Unter den 300 Operationen des Sushruta Samhita sind auch Anleitungen zur Nasenkorrektur (Nasa Sandhan, eine Rhinoplastik) und zum Wiederaufbau des Ohrs (Otoplastik), dem Ostha Sandhan. Es wird erklärt, wie man einen Hautlappen aus der Wange ausschneidet und dann umgedreht über die Nase legt – eine abgewandelte Technik wurde später auf die Stirnhaut angewandt. Nasenversehrungen waren eine gängige Strafe, und solche Operationen wurden stark nachgefragt. Sushruta empfahl auch Wein als Betäubungsmittel.

»Der Chirurg sollte … den Patienten wie seinen eigenen Sohn behandeln.«

Sushruta

Sushruta Samhita,

6. Jh. v. Chr.

Verbreitung der Technik

Mehr als zwei Jahrtausende war die indische plastische Chirurgie der europäischen weit voraus. Im 1. Jahrhundert n. Chr. umriss der römische Arzt Aulus Celsus eine otoplastische Methode, um Schäden durch schwere Ohrringe zu korrigieren. Im 15. Jahrhundert schrieb der deutsche Chirurg Heinrich von Pfolspeundt, wie man eine »vollständig abgetrennte« Nase wiederherstellt. Erst mit der Kolonialisierung Indiens im 17. und 18. Jahrhundert lernten die Europäer die verfeinerten indischen Techniken kennen. Der britische Chirurg Joseph Carpue wandte sie 1814 zum ersten Mal an.

Es folgte ein rascher Aufschwung der plastischen Chirurgie und im Jahr 1827 wurde in den USA zum ersten Mal eine Hasenscharte operiert. Im Ersten Weltkrieg wurden angesichts schwerster Versehrungen Hauttransplantation angewandt. Um 1900 verfeinerten sich die chirurgischen Methoden und mit dem ersten Lifting 1901 kam die kosmetische Chirurgie auf. Bis 1910 stand schon eine Reihe von Optimierungen an Gesicht und Körper zur Verfügung. Im Jahr 2018 fanden mehr als 10 Mio. Schönheitsoperationen statt; im selben Jahr erhielt der durch eine Schussverletzung stark entstellte 64-jährige Kanadier Maurice Desjardins als ältester Mensch eine vollständige Gesichtstransplantation.

Plastische Chirurgie im Zweiten Weltkrieg

Der gebürtige Neuseeländer und Chirurg Archibald McIndoe wurde 1938 zum Berater der Royal Air Force, der königlichen Luftwaffe Großbritanniens berufen. Im Zweiten Weltkrieg sollte er Brandverletzungen bei den Besatzungen versorgen. Die Tanninharze, die man damals verwendete, ließen das Wundgewebe stark schrumpfen und verursachten schwere Narben. McIndoe entwickelte neue Techniken, z.B. Solebäder und Hautlappenneuaufbau zur Korrektur von Gesicht und Händen. Er wusste auch, wie wichtig die Rehabilitation nach der Operation war, und gründete für die mehr als 600 Dienstleute, die an seiner Station für Verbrennungsopfer am Queen Victoria Hospital in East Grinstead operiert worden waren, den Hilfsverein »Guinea Pig Club«, den »Club der Versuchskaninchen«.

ZUERST EINMAL NICHT SCHADEN

GRIECHISCHE MEDIZIN

IM KONTEXT

FRÜHER

Um 1750 v. Chr. Im Codex Hammurabi werden Arzthonorare und Strafen für Fehlleistungen beschrieben.

Um 500 v. Chr. Alkmaion von Kroton sieht das Gehirn als Sitz der Wahrnehmung.

SPÄTER

4. Jh. v. Chr. Der große Philosoph Aristoteles erweitert die Säftelehre, hält aber das Herz für den Sitz der Lebenskraft, des Denkens und des Fühlens.

Um 260 v. Chr. Herophilos von Alexandria, der Begründer der Anatomie, beschreibt Nerven, Arterien und Venen.

Um 70 v. Chr. Asklepiades von Bithynien erklärt, der Körper sei aus Molekülen aufgebaut. Störungen in ihrer Abfolge hätten Krankheiten zur Folge.

Um 70 n. Chr. Dioskurides schreibt De materia medica, das 1600 Jahre die Schule für pflanzliche Arzneistoffe bleibt.

Die antike Medizin fußte in der Überzeugung, Krankheiten stellten die Wirkung böser Geister oder eine Bestrafung durch die Götter dar. Daher führte man Rituale aus und rief die Götter an. Es gab zwar Rezepte für pflanzliche Präparate aus der ägyptischen und sumerischen Heilkunde, aber deren Wirkung war zweifelhaft. Um 1750 v. Chr. unternahm der babylonische König einen frühen Versuch, die medizinische Praxis zu regulieren. Sein Gesetzeskodex enthielt eine Auflistung ärztlicher Honorare – z.B. zehn Schekel für die Entfernung eines Tumors bei einem Adligen. Misslungene Operationen wurden hart bestraft: Ein Chirurg konnte seine Hände verlieren, wenn er den Tod des Patienten verschuldete. In der babylonischen Medizin wurden auch Exorzisten angestellt, die üble Geister austreiben sollten. Die alten Griechen begannen hingegen, das Wesen des Universums weniger in göttlichen als in philosophischen Begriffen zu denken. Erst mit diesem Wandel änderte sich auch die medizinische Praxis.

Hippokrates, der Gründervater der westlichen Medizin, mit seinem Werk in einer Miniatur aus dem 14. Jh. Seine in viele Sprachen übersetzten Schriften beeinflusste die mittelalterlichen Lehre.

Philosophie und Medizin

Einen stärker vernunftbasierten Blick auf die Medizin hatte als einer der Ersten der Naturphilosoph Alkmaion von Kroton im 5. Jahrhundert v. Chr. Er sah das Gehirn als den Sitz der Wahrnehmung und der Erkenntnis an und führte auch wissenschaftliche Experimente durch. So sezierte er Augen und legte den Sehnerv frei. Seiner Überzeugung nach wurde der Körper von Gegensatzpaaren beeinflusst (trocken/heiß oder süß/bitter), die ins Gleichgewicht gebracht werden müssen. Sein Zeitgenosse Empedokles glaubte, dass den menschlichen Körper vier Elemente regierten: Erde, Luft, Feuer und Wasser. Hippokrates (um 460–375 v. Chr.), der größte Arzt der griechischen Antike, vereinigte beide Lehren zu einer umfassenden Theorie der menschlichen Physiologie. In seiner Heimat auf Kos gründete er eine Schule und lehrte dort die Theorie der vier Säfte (Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle), die in einem gesunden Körper im Gleichgewicht sein müssen. Anders als konkurrierende Schulen wie die von Knidos sah er den Körper als ein Gesamtsystem und nicht als die Summe seiner Teile. Zentral war es, die Symptome zu beobachten, um zu einer begründeten Diagnose und Behandlung zu gelangen.

Vernunftbezogener Ansatz

Die hippokratischen Schriften sind eine Sammlung von mehr als 60 Texten (einschließlich der Epidemien und Über die Knochenbrüche und Gelenke), die Hippokrates und seinen Nachfolgern zugeschrieben werden. Zusammen mit genauen Fallstudien enthalten sie eine klare Einteilung von Krankheiten, die bis heute gebräuchlich ist: epidemische, chronische und akute Erkrankungen. Hippokrates förderte die ganzheitliche Behandlung und legte neben der Verabreichung von Medikamenten großen Wert auf Ernährung, Bewegung, Massage und Hygiene. Seine Schüler mussten einen Eid ablegen, niemals einem Patienten zu schaden und Vertraulichkeit zu bewahren. Hippokrates’ professioneller Ansatz bereitete späteren Ärzten wie Galen und Dioskurides den Boden, um die Medizin als angesehene und lebenswichtige Wissenschaft zu etablieren. Maßgeblich dafür war die Abkehr von obskuren Praktiken und dem Aberglauben.

Eid des Hippokrates

Der Hippokrates zugeschriebene und nach ihm benannte Eid verpflichtete angehende Ärzte zu geloben, ethische Grundsätze einzuhalten. Als verehrter und weitgereister Lehrer und Arzt besaß Hippokrates großen Einfluss. Der Eid setzte hohe Standards an Erfahrung, Kenntnis und Praxis und machte den Arztberuf beim einfachen Volk glaubwürdig. Er hob Ärzte von »Heilern« ab. Eingeschlossen war das Gelöbnis, Patienten nicht zu vergiften und Vertraulichkeit zu bewahren. Hippokrates bestand auch auf einem gepflegten Erscheinungsbild, da ein Arzt, der selbst nicht in der Lage war, sich um sich zu kümmern, nicht vertrauenswürdig wäre. Laut dem Eid soll ein Arzt ruhig, aufrichtig und verständnisvoll auftreten.

Der Eid wurde in der westlichen Welt Grundlage und manche Klauseln wie Vertraulichkeit und Achtung vor dem Patienten sind weiterhin maßgeblich.

Mittelalterliche Abschrift des originalen Eids, der wahrscheinlich um 400 v. Chr. von einem Nachfolger des Hippokrates verfasst wurde.

KÖRPER IN HARMONIE

TRADITIONELLE CHINESISCHE MEDIZIN

IM KONTEXT

FRÜHER

2697 v. Chr. Der Legende nach beginnt der Gelbe Kaiser Huangdi seine Regentschaft und begründet die Traditionelle Chinesische Medizin.

1700–1100 v. Chr. Auf Orakelknochen aus der Shang-Dynastie sind Krankheitsnamen, Wein als Medizin und chirurgische Messer und Nadeln eingetragen.

Um 1600 v. Chr. Der Shang-Beamte Yi Yin erfindet das Abkochen in Wasser oder Geist (Dekokt), um ein gereinigtes Konzentrat zu erstellen.

SPÄTER

113 n. Chr. Im 1968 entdeckten Grab des Prinzen Liu Sheng werden vier goldene und vier silberne Akupunkturnadeln entdeckt.

2. Jh. Hua Tuo entwickelt Betäubungsmittel, chirurgische Techniken und Übungen nach Tierbewegungen.

1929 Mit zunehmendem westlichem Einfluss drängt China die Akupunktur und andere traditionelle Behandlungsformen zurück.

Um 1950 Mao Zedong fördert die Traditionelle Chinesische Medizin und eröffnet Forschungszentren zur Akupunktur in ganz China.

2018 Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nimmt traditionelle Verfahren in die 11. Internationale Klassifikation der Krankheiten auf.

Die grundlegende Lehrschrift zur Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) ist das Huangdi Neijing (Klassiker des Gelben Kaisers zur inneren Medizin). Das Werk stammt aus der Periode der streitenden Reiche um 300 v. Chr., noch vor der Vereinigung Chinas, und enthält auch frühere Ideen wie etwa die Diagnostik des legendären Arztes Bian Que aus dem Nanjing (Klassiker der Schwierigkeiten).

Die Grundannahmen der Traditionellen Chinesischen Medizin sind viel älter und werden den drei mythischen Urkaisern zugeschrieben. Demnach erschuf Kaiser Fuxi die Bagua: acht Symbole, die für die Grundbestandteile der Wirklichkeit (Himmel, Erde, Wasser, Feuer, Wind, Donner, Berg und See) stehen. Jedes Symbol ist aus drei Linien aufgebaut, die entweder gebrochen (Yin) oder ungebrochen (Yang) sein können. Der Rote Kaiser Shennong entdeckte Heil- und Giftpflanzen und Huangdi, der Gelbe Kaiser, erfand die Akupunktur und wurde von den Göttern unterrichtet, wie magische Heilpulver und Pulsdiagnostik anzuwenden sind.

Auch wenn die Herkunft etwas unklar ist, so sind im Huangdi Neijing die Essenzen der Traditionellen Chinesischen Medizin niedergelegt: das Yin und Yang als Universalkonzept der chinesischen Philosophie, die Untersuchung und Diagnose als Heilverfahren sowie Akupunktur und Heilkräuter als Heilmittel. Die Schrift selbst ist als Unterhaltung zwischen dem Gelben Kaiser und seinen Ministern angelegt. Huangdi stellt medizinische Fragen und die Antworten seiner Berater beinhalten die Grundsätze des medizinischen Wissens.

»Wenn das echte Qi leicht fließt … wie kann dann Krankheit entstehen?«

Huangdi Neijing

Grundprinzipien

Im Huangdi Neijing sind das Gegensatzpaar Yin und Yang, die fünf Elemente Feuer, Wasser, Holz, Metall und Erde und die auf Leitungsbahnen (Meridianen) durch den Körper fließende Lebensenergie Qi beschrieben. Der Text enthält auch die Pulsabnahme und die Inspektion der Zunge zur Diagnose sowie die Akupunktur und die Anwendung von Heilpflanzen, Massage, Diätik und Übungen als Therapie.

Schlüssel zu allem ist das Gleichgewicht von Yin und Yang. Das Kräftepaar wird als gleichzeitig gegensätzlich und sich gegenseitig ergänzend erklärt und steuert den Körper auf unterschiedliche Weise. Das Yin wirkt als kühle, dunkle, passive und weibliche Kraft, vergleichbar mit dem Wasser. Das Yang ist feuerähnlich: heiß, hell, aktiv und männlich. Ein Ungleichgewicht des Paars verursacht Krankheit.

Alle wichtigen inneren Organe werden entweder durch das Yin oder das Yang beeinflusst. Die Organe des Yin wie Herz, Milz, Lunge, Nieren, Leber und Herzhülle (Perikard) gelten als fest und haben die Aufgabe, lebenswichtige Substanzen wie Blut und Qi zu speichern. Die Organe des Yang wie Darm, Gallenblase, Magen und Harnblase sind hohl und dienen der Verdauung von Nährstoffen und der Ausscheidung.

Die fünf Elemente, die miteinander durch ein System namens Wuxing in Beziehung stehen, gehören zu jeweils einem Yin- und einem Yang-Organ: Feuer zu Herz/Dünndarm, Wasser zu Niere/Blase, Holz zu Milz/Magen. Durch die Wechselwirkung entsteht ein dynamischer, sich selbst regulierender Kreis aus Sheng (erschaffend oder nährend), Ke (steuernd und überwachend), Cheng (überschießend) und Wu (rebellierend). Die durch die Meridiane strömende Lebenskraft Qi versorgt und vitalisiert die Organe. Nahrung und Luft füllen das Qi auf. Fehlt es, stirbt der Körper, und bei Mangel erkrankt er.

Diagnose

Ziel der Traditionellen Chinesischen Medizin ist es, Ungleichgewichte zwischen Yin und Yang, Wu-xing und Qi aufzudecken und zu korrigieren. So prägt sich beispielsweise ein Mangel an Yin als Schlaflosigkeit, nächtliches Schwitzen oder Pulsrasen aus, während zu wenig Yang kalte Gliedmaßen, eine fahle Zunge oder Pulsträgheit bedeutet. Disharmonien werden mit acht Diagnoseprinzipien erkannt. Die wichtigsten sind das Yin und Yang, die die anderen sechs definieren: Mangel, Kälte, Inneres, Überschuss, Hitze und Äußeres. Als Ursache für äußerliche Störungen kommen sechs Einflüsse infrage: Wind, Kälte, Sommerhitze, Schwüle, Trockenheit und Feuer, die mit den Elementen verbunden sind. Innerliche Probleme stammen von den sieben Emotionen Zorn, Freude, Grübeln, Traurigkeit, Sorge, Schrecken und Angst ab.

Für die Diagnose werden in der Traditionellen Chinesischen Medizin Grundprinzipien untersucht, das Yin und das Yang sowie deren untergeordnete Prinzipien: Mangel, Kälte und Inneres für das Yin und Überschuss, Hitze und Äußeres für das Yang.

Im 4. Jh. v. Chr. beschrieb Bian Ques im Nanjing die vier Stufen der Diagnose: den Kranken anschauen, insbesondere Gesicht und Zunge, auf die Stimme und innere Geräusche hören (sowie Atem und Körper riechen), ihn befragen und den Puls nehmen. Ende des 3. Jh. n. Chr. schrieb Wang Shuhe den Maijing (Klassiker des Pulses) und erläuterte, wo der Puls genommen werden soll – entweder am Cun (direkt an der Hand), am Guan (weiter oben am Arm) oder am Chi (ganz oben am Arm). Das rechte Handgelenk, so erklärte er, eigne sich am besten für das Yin, das linke für das Yang. Um den Zustand der Organe zu erfassen, empfahl er zwei Messungen an jedem Pulspunkt, erst mit leichtem, dann mit stärkerem Druck.

In der Traditionellen Chinesischen Medizin wird jede Diagnose individuell auf den Patienten zugeschnitten, gemäß dem Sprichwort Yin bing tong zhi; tong bin yi zhi (»andere Krankheit, gleiche Therapie, gleiche Krankheit, andere Therapie«). Demnach können Menschen mit unterschiedlichen Symptomen die gleiche Behandlung erfahren oder die gleichen Symptome haben, aber andere Maßnahmen erhalten.

»Ein springender Puls ist ein Puls, der kommt und geht und gelegentlich unterbrochen ist.«

Wang Shuhe

Heilung mit Nadeln

Ziel der Akupunktur ist es, Ungleichgewichte im Körper durch Einstechen von Nadeln zu korrigieren. Die Nadeln sollen den Strom des Qi entlang der zwölf Haupt- und unzähligen Nebenmeridiane umleiten. Die Einstichpunkte können weit entfernt von den eigentlichen Problemzonen liegen – für Schmerzen im unteren Rücken wird beispielsweise an der Hand genadelt. Erstmals systematisch erfasst wird die Akupunktur mit 349 Punkten im Systematischen Klassiker der Akupunktur und Moxibustion, der um 260 n. Chr. von Huangfu Mi, der 630 n. Chr. von Zhen Quan überarbeitet wurde. Im Jahr 1030 nannte der berühmte Anwender Wang Weiyi bereits 657 Punkte, die er auf lebensgroßen Bronzestatuen veranschaulichte.

Bestimmte körperliche Übungen sollten helfen, Harmonie zurückzuerlangen. Diese Tafel stammt von einem Seidenmanuskript aus einem Grab in Südzentralchina aus dem 2. Jh. v. Chr.

»Nadeln und Brennen … kurieren den tauben [unbewussten] Körper.«

Bian Que

Moxibustion und anderes

Zur Traditionellen Chinesischen Medizin gehört auch die Moxibustion, das Brennen der Beifußpflanze (Moxa) auf oder direkt an der Haut, um das Qi anzuregen. Im 1. Jahrtausend n. Chr. wurden die Therapieformen einschließlich der Akupunktur weiter verfeinert. Der führende Arzt der Han-Dynastie, Zhang Zhongjing (150–219 n. Chr.) beschrieb, was man bei Typhus essen sollte, aber berühmt wurde er durch seine Abhandlung über fieberhafte, durch Kälte verursachte Erkrankungen. Sein Zeitgenosse Hua Tuo gilt als erster Anästhesist Chinas; vor Operationen verabreichte er Kranken ein wasserlösliches Pulver namens Mafeisan (das wahrscheinlich Opium, Cannabis und Giftpflanzen enthielt). Mit dem Aufkommen der europäischen Medizin durch jesuitische Missionare im späten 16. Jahrhundert geriet die Akupunktur immer mehr in Verruf und chinesische Ärzte gingen vor allem auf Heilpflanzen über. In seinem 53-bändigen Bencao Gengmu (Kompendium der Materia Medica) von 1576 führte der Arzt Li Shizhen 1892 Kräuter und mehr als 11 000 Rezepturen für spezifische Krankheiten auf.

Legende:

Yin-Meridian

Yang-Meridian

Die Lebenskraft Qi versorgt und vitalisiert die Organe durch zwölf in Yin- und Yang-Gruppen aufgeteilte Hauptmeridiane. Störungen im Qi-Fluss verursachen Erkrankungen. Während der Akupunktur werden Nadeln in Punkte entlang der zwölf Haupt- und Nebenmeridiane eingestochen, um Blockaden zu lösen.

Die Moderne

Mit dem Einfluss des Westens wuchs seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Kritik an der traditionellen Medizin, der man die Wissenschaftlichkeit absprach. Nach der Gründung der Volksrepublik China 1949 wurde sie wiederbelebt, auch weil 500 Mio. Menschen eine Gesundheitsversorgung bekommen sollten und nur 15 000 westlich ausgebildete Ärzte zur Verfügung standen. Die Kombination von moderner westlicher und Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) wurde als »Gehen auf zwei Beinen« bezeichnnet.

Obwohl Wissenschaftler der TCM nach wie vor das Fehlen von klinischer Evidenz ankreiden, erlebt sie heute einen weltweiten Aufschwung, z. B. in der Schmerztherapie durch Akupunktur und insbesondere seit ihrer Aufnahme in ein Diagnosekompendium der WHO.

Bian Que

Geboren im 5. Jh. v. Chr., ist Bian Que der erste chinesische Arzt, von dem dank einer 300 Jahre nach seinem Tod verfassten Biografie des Geschichtsschreibers Sima Qian etwas bekannt ist. Demnach übergab dem jungen Que eine geheimnisvolle Person ein Buch mit medizinischen Formeln sowie ein Bund Kräuter und verschwand wieder. Nachdem er die Kräuter 30 Tage in eine Lösung eingelegt hatte, konnte Bian Que in Menschen hineinsehen und Krankheiten feststellen.

Bian Que zog durch das Land, behandelte und operierte Kranke und wurde sehr berühmt. In einer seiner Wunderheilungen erweckte er Zhao Jianzi, den obersten königlichen Minister von Jin, durch Akupunktur zum Leben, nachdem dieser in ein Koma gefallen war und als tot galt.

Bian Que wurde 310 v. Chr. von Li Mi, einem königlichen Beamten und ärztlichen Konkurrenten, ermordet.

Hauptwerke

Nanjing (Klassiker der Schwierigkeiten)

Bian Que Neijing (Bian Ques Klassiker der inneren Medizin)

DIE NATUR IST DER BESTE ARZT

PFLANZENHEILKUNDE

IM KONTEXT

FRÜHER

Um 2400 v. Chr. Auf einer Keilschrifttafel der Sumerer stehen zwölf, meist pflanzliche Arzneirezepturen.

Um 1550 v. Chr. Der Papyrus Ebers in Ägypten verzeichnet 700 Pflanzen für medizinische Zwecke.

Um 300 v. Chr. Die Historia Plantarum von Theophrastos enthält eine Einteilung von 500 medizinischen Pflanzen.

SPÄTER

512 n. Chr. Das älteste erhaltene Exemplar der De materia medica wird für die Tochter des römischen Kaisers Olybrius produziert.

Um 1012 Der Kanon der Medizin des islamischen Arztes Ibn Sina schließt viele Quellen ein, u. a. von Dioskurides.

1554 Der italienische Botaniker und Arzt Pietro Andrea Mattioli kommentiert De materia medica.

Viele Gesellschaften der Antike kannten und beschrieben pflanzliche Arzneimittel. Im altägyptischen Papyrus Ebers von um 1550 v. Chr. sind 700 Heilpflanzen und ihre Anwendung aufgeführt. Homer nennt in seinen beiden Epen, der Ilias und der Odyssee, die um 800 v. Chr. entstanden sind, mehr als 60 Pflanzen mit medizinischer Verwendung. Erst nach Hippokrates im 5. Jahrhundert v. Chr. wurden die Pflanzen erstmals in ein stimmigeres System nach ihrer therapeutischen Wirkung eingeteilt. Der Botaniker Theophrastos von Lesbos (ein Schüler des Aristoteles) verfeinerte das Klassifikationssystem Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. In seiner Historia Plantarum (Naturgeschichte der Gewächse) kategorisierte er 500 medizinische Pflanzen nach ihren genauen Gruppeneigenschaften wie beispielsweise Aussehen, Lebensraum und Verwendung.

De materia medica

Ein ausgereiftes System der Pflanzenheilkunde errichtete der römischen Militärarzt Dioskurides im 1. Jahrhundert n. Chr. Nach jahrelanger Beobachtung legte er seine gesamte Pflanzenkenntnis und ihre medizinische Anwendung in der bahnbrechenden Schrift De materia medica (Über Arzneistoffe) nieder. Dabei ordnete er die Pflanzen nach ihrer physiologischen Wirkung auf den Körper, beispielsweise in diruetische (harntreibende) oder emetische (Brechreiz auslösende) Arzneien. Die Liste umfasst 944 Substanzen, wovon 650 pflanzlichen Ursprungs sind, zudem ihre physikalischen Eigenschaften, ihrer Zubereitung, ihrer Wirkung und gegen welche Beschwerden sie eingesetzt werden sollen. Viele davon, beispielsweise Weide und Kamille mit ihrem breiten Wirkspektrum, wurden zur wichtigsten Stütze der mittelalterlichen Kräuterheilkunde.

Aufstieg der Heilkräuter

Auch nach dem Fall Roms im 5. Jahrhundert blieb De materia medica ein grundlegendes Werk. Viele andere medizinische Schriften gingen mit der Zerstörung der römischen Bibliotheken verloren. Dass De materia medica überlebte, war den zahlreichen Abschriften von Gelehrten des Byzantinischen und islamischen Reichs zu verdanken. Die Übersetzungen von Dioskurides’ Schriften trugen maßgeblich zur Ausbreitung des klassischen medizinischen Wissens bei.

Im Mittelalter begannen Gelehrte und Mönche, inspiriert durch De materia medica, mit der Sammlung von medizinisch nützlichen Pflanzen in Herbaren oder Kräuterbüchern. Deren Verbreitung und Ergänzung mit gelehrten Kommentaren förderte der Buchdruck in der Renaissance.

De materia medica begründete den modernen wissenschaftlichen Ansatz, Pflanzen als Wirkstoffquelle zu betrachten (im Jahr 1820 wurde Chinin aus Weidenrinde gewonnen). Wie das Buch zeigt, gibt es eine lange Tradition, Pflanzen und pflanzliche Präparate direkt wegen ihres therapeutischen Nutzens einzusetzen.

De materia medica war 16 Jahrhunderte das Standardwerk für Pharmakologie und Arzneimittelkunde. Diese handgezeichneten Veilchen zieren eine Ausgabe aus dem 15. Jahrhundert.

Pedanios Dioskurides

Dioskurides wurde um 40 n. Chr. in Anazarbus in der heutigen Türkei geboren. Unter Kaiser Nero reiste er als Wundarzt in der römischen Armee durch den östlichen Mittelmeerraum, wo er die dort wachsenden Nutz- und Heilpflanzen kennenlernte. Dieses Wissen legte er um 70 n. Chr. in seinem Werk De materia medica (Über Arzneistoffe) nieder, ein umfassendes fünfbändiges Lehrbuch über Arzneimittel. In seiner Muttersprache Altgriechisch verfasst, waren die Arzneistoffe – hauptsächlich Pflanzen – nach ihren therapeutischen Eigenschaften geordnet. Diese Systematik wurde in den späteren lateinischen und arabischen Übersetzungen gebrochen, da diese Gelehrten ein alphabetisches Verzeichnis bevorzugten. Illustriert wurde das Werk zu einem Lieblingsbuch von mittelalterlichen Kopisten und frühen Verlegern am Ende der Renaissance. Dioskurides starb etwa 90 n. Chr.

Hauptwerk

Um 70 n. Chr.De materia medica (Über Arzneistoffe)

DURCH ANSCHAUUNG UND VERNUNFT ZUR DIAGNOSE

RÖMISCHE MEDIZIN

IM KONTEXT

FRÜHER

753 v. Chr. Gründung Roms. Dessen Herrscher erobern später die griechische Welt und erschaffen ein Weltreich.

219 v. Chr. Archagathos von Sparta praktiziert als erster griechischer Arzt in Rom.

2. Jh. v. Chr. Erste öffentliche Bäder als Orte der Reinigung und Begegnung, aber auch der Krankheitsübertragung.

SPÄTER

Um 390 n. Chr. Bau des ersten Allgemeinkrankenhauses.

Um 400 Oribasius, Leibarzt von Kaiser Julian, verfasst die Medizinischen Sammlungen, eine der letzten großen medizinischen Schriften der Römer.

Um 900 Al-Razi übersetzt und kritisiert Galens Werk.

Um 1150 Burgundio pisanos übersetzt Galens Werke auf Latein.

In seiner Blütezeit erstreckte sich das Römische Reich unter Kaiser Trajan im 2. Jahrhundert n. Chr. 5 Mio. Quadratkilometer über Europa, Nordafrika, den Nahen Osten und Westafrika. Seine Bürger waren stolz auf ihre Bäder und Aquädukte, lebten aber in schmutzigen Straßen und Krankheiten machten sich breit. Dennoch gab es nachhaltige Fortschritte in Hygiene und Medizin.

Griechische Wurzeln

Die römische Medizin vereinte traditionelle Praktiken wie die Anwendung von Heilkräutern und wissenschaftliche Theorien, wie sie seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. in Griechenland aufkamen. Zunächst waren die Anleihen aus Griechenland vor allem religiöser Natur. So übernahmen die Römer die griechische Gottheit Asklepios als römischen Heilgott. Mit der Ankunft des spartanischen Arztes Archagathos 219 v. Chr. in Rom begann dann eine neue Sichtweise auf die Medizin. Archagathos war für die Heilung von Hautleiden und Kriegswunden berühmt. In einer Zeit, als die Römer kaum chirurgische Kenntnisse hatten, sich aber gerade im Zweiten Punischen Krieg engagierten, war die Wundheilung eine hochgeschätzte Gabe.

Obwohl Archagathos in Rom auch »der Schlächter« genannt wurde, etablierten sich seine Behandlungszentren für Soldaten und wurden zu den Valetudinaria, den Lazaretten. Neben anderen griechischen Ideen verbreitete Archagathos vor allem Hippokrates’ Lehre von den Körpersäften aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. Demnach war der Körper aus den vier Leibessäften oder Humores, Blut, gelbe und schwarze Galle sowie Schleim, aufgebaut. Eine Krankheit deutete auf einen Überschuss oder Mangel einer der Säfte hin. Um die Gesundheit wiederherzustellen, sollte der Arzt das Ungleichgewicht finden und für den Ausgleich sorgen.

Denkschulen

Mit zunehmender Akzeptanz der griechischen Kultur bei den Römern wuchs auch die Zahl der griechischen Ärzte. Ein gewisses Misstrauen blieb jedoch bestehen. Der Geschichtsschreiber und römische Senator Cato der Ältere aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. befürwortete die traditionelleren Heilkuren gegenüber den griechischen Neuerungen: So empfahl er beispielsweise Kohl als Mittel gegen ein breites Beschwerdespektrum, von Bauchschmerzen bis zu Taubheit.

Trotz des Gegenwinds etablierte sich die griechische Schule in Rom, denn ihre Erfolge ließen sich nicht ignorieren. Später entwickelte sich jedoch daraus eine Reihe von konkurrierenden Schulen.

So begründete der griechische Arzt Asklepiades von Bithynien um 50 v. Chr. die eher philosophisch geprägte Schule der Methodisten. Ihre Anhänger beriefen sich auf Demokrit und seine Theorie, dass das Universum aus Atomen als Bausteine aufgebaut sei. Die Methodisten glaubten, der Körper sei ein physikalisches Gebäude, das mit guter Hygiene, Ernährung und Arzneien leicht in einen Zustand der Ordnung zurückgebracht werden könne. Somit bräuchte man den Beruf des Arztes auch nicht, denn die Grundlagen der Medizin seien in wenigen Monaten erlernbar.

Dagegen glaubten die Empiriker, die sich auf den um 250 v. Chr. lebenden griechischen Arzt Philinos beriefen, dass man den Patienten beobachten müsse, um mehr Kenntnisse zu erlangen und die sichtbaren Krankheitsanzeichen zu erkennen. Andererseits hielten sie die Natur für grundsätzlich undurchdringbar. Deshalb seien Spekulationen über die Ursache von Krankheiten unnütz und Kenntnisse über die menschliche Anatomie weniger relevant.

Die dritte Schule, die Rationalisten oder Dogmatiker, legte großen Wert auf den theoretischen Hintergrund. Der Arzt solle stets nach einer vorgegebenen Lehre verfahren, während die genaue Untersuchung der Symptome zweitrangig sei. Die Rationalisten fanden mehr über allgemeine Regeln von Krankheit heraus als die Empiriker, aber sie beobachteten die Fälle nicht systematisch. Bei einer falschen Theorie konnte das Ergebnis für den Patienten katastrophal ausfallen.

Während seiner Zeit als Wundarzt in einer Gladiatorenschule erhielt Galen durch die Wundversorgung und die Untersuchung der Toten direkte Einblicke in die menschliche Anatomie.

»Niemand kann jemals die richtige Funktion eines Teils finden, wenn er nicht mit dem gesamten Instrument sehr vertraut ist.«

Claudius Galen

De usu partium corporis humani, (um 165–75 v. Chr.)

Zusammenschluss

Eine Vereinigung dieser konkurrierenden Denkschulen konnte nur einer außergewöhnlichen Persönlichkeit gelingen. Eine solche war der römische Arzt Claudius Galen, der aus Pergamon (in der heutigen Türkei) stammte. Er zog aus jeder Schule, die er für geeignet befand, Elemente heraus und erschuf daraus ein medizinisches System, das über 1000 Jahre der Maßstab für ärztliche Ausbildung blieb.

Galen lernte die griechische Philosophie und Medizin in seiner Geburtsstadt Pergamon kennen. In Rom, wo er ab 162 n. Chr. lebte, entwickelte er seine Theorien weiter. Wie Hippokrates sah er den menschlichen Körper als Gesamtheit und nicht als Summe von isolierten Organen oder Beschwerden. Um eine Krankheit und ihre Therapie zu verstehen, solle ein Arzt den Körper von innen und von außen genau betrachten, meinte Galen. Daraus sei gemäß der Säftelehre des Hippokrates eine Theorie zu entwickeln und eine Behandlung vorzuschlagen. Somit verband Galen die Gedanken der Rationalisten und der Empiriker – blieb aber skeptisch gegenüber der methodistischen Lehre.

Klinische Beobachtung

Nach Galens Verständnis gehörten die Anatomie und die Beobachtung sowie das Experiment zusammen. Während seiner Zeit als oberster Wundarzt einer Gladiatorenschule in Pergamon bekam er es mit offen liegenden Muskeln und inneren Organen zu tun. Da das römische Recht das Sezieren von Leichen verbot, beschränkte er sich auf Tiere. Aus Experimenten mit Berberaffen, Rindern und Schweinen erkannte er die blutführenden Eigenschaften von Arterien. Einmal verletzte er den Kehlkopfnerv eines lebenden Schweins, das danach weiterstrampelte, aber nicht mehr quieken konnte. Damit sah Galen seine Hypothese über die Nerven bei der Lautbildung bestätigt.

Galen beobachtete nicht nur, sondern nutzte auch die klinische Untersuchung für die Diagnose und die Auswahl der Behandlung. Während der Antoninischen Pest im Jahr 165 n. Chr. schrieb Galen die Symptome der Kranken auf. Alle übergaben sich, hatten Bauchschmerzen und einen schlechten Atem. Überzog sich der Körper mit schwarzen Pusteln, die nach einigen Tagen abfielen, überlebten einige Patienten. Entwickelte sich jedoch ein schwarz gefärbter Stuhl, war der Tod fast sicher. Die Ursache des Leidens, bei dem es sich wahrscheinlich um die Pocken handelte, konnte Galen nicht erklären und er konnte den Kranken auch kaum helfen. Seine genauen Aufzeichnungen bezeugen jedoch sein tiefes Bestreben, Krankheiten und Symptome zu verstehen.

Galen verknüpfte jeden der vier Säfte mit einer Jahreszeit, einem Element (z. B. Luft) und einem Temperamenttyp (z. B. Sanguiniker). Eine gute Balance ist wichtig; zu viel von einem Saft führt zu Krankheit.

Auf diesem italienischen Fresko aus dem 13. Jh. sind Galen und Hippokrates gemeinsam als die bedeutendsten Ärzte der Antike dargestellt – ungeachtet ihres zeitlichen Abstands.

Galens medizinische Ideen wurzelten in der Säftelehre des Hippokrates, die er um die Faktoren »heiß« und »kalt« sowie »nass« und »trocken« erweiterte. Jeder einzelne Faktor wirkt sich auf das Gleichgewicht aus. So sollten Menschen mit Neigung zur Kälte und Trockenheit nach Galen fragil und schlank sein. Galen glaubte auch, dass die Faktoren das Temperament beeinflussen. Hochgradig kalte und trockene Personen sollten demnach melancholisch veranlagt sein. Einen hohen Gehalt an gelber Galle hielt Galen für ein Zeichen von Intelligenz.

Bleibender Ruhm

Galen war der berühmteste Arzt Roms, aber es gab noch andere große Gelehrte. Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. befasste sich Aulus Celsus mit Ernährung und Chirurgie und beschrieb viele Hautleiden. Soranos von Ephesos betrieb im frühen 2. Jahrhundert Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Einzig Galens Werk überdauerte jedoch den Fall Roms im Jahr 476. Übersetzt von islamischen Gelehrten des 7. Jahrhunderts, begründete es die europäische Medizin des Mittelalters.

Galen, der selbst großen Wert auf das Experimentieren und die klinische Beobachtung gelegt hatte, galt als unantastbare Autorität. Ironischerweise blockierte dieser Umstand den weiteren experimentellen und diagnostischen Fortschritt. Galens anatomische Kenntnisse stammten weitgehend von Tieren und ließen sich nicht direkt auf den Menschen übertragen. Dennoch beurteilten noch Jahrhunderte später die Ärzte das, was sie unter dem Messer vor sich sahen, als nicht der Lehre entsprechend und daher als falsch. Nach und nach offenbarten sich aber immer mehr die Schwächen seiner Lehre und mit den Arbeiten des flämischen Mediziners Andreas Vesalius von 1543 zerbrach Galens anatomischer Ruf.

Trotz seines Sturzes war Galens Beitrag zur Medizin enorm. Der islamische Gelehrte al-Razi (854–925) kritisierte Galens Ergebnisse, unterstützte aber dessen Methoden. In der modernen Medizin zählt die genaue Kenntnis der menschlichen Anatomie zusammen mit der Untersuchung von klinischen Symptomen als Grundlage des ärztlichen Vorgehens. Insofern hat Galens Werk übergeordneten Einfluss.