Big Sky - weiter Himmel, weites Land - Teil 4-6 - Linda Lael Miller - E-Book

Big Sky - weiter Himmel, weites Land - Teil 4-6 E-Book

Linda Lael Miller

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Beschreibung

BIG SKY SUMMER - ZEIT DER ENTSCHEIDUNG Einmal nicht aufgepasst - das hat Walker Parrish mindestens einmal eine Riesenüberraschung bereitet. Beziehungsweise zwei, und die sind nun im Teenageralter. Erst jetzt hat seine Jugendliebe Casey ihm eröffnet, dass er Vater ist. Damals verließ sie Parable, Montana, um Karriere als Countrysängerin zu machen. Doch plötzlich ist sie wieder zurück in Walkers Leben. Für den schweigsamen Cowboy mit der Angst vor großen Gefühlen wird es ein Sommer der Entscheidungen: Er und Casey müssen ihren Kindern endlich die Wahrheit sagen. Er und Casey, da ist noch immer so viel Leidenschaft. Er und Casey könnten vor einem Neuanfang stehen - oder vor einer Katastrophe … BIG SKY WEDDING - HOCHZEITSGLÜCK IN MONTANA Die Braut steht vorm Altar und wartet auf den Bräutigam. Und wartet - und wartet - vergeblich. Dieser Albtraum ist für Brylee Parrish Wirklichkeit geworden. Kein Wunder, dass sie Männern seitdem misstraut. Vor allem solchen wie Zane. Der sexy Schauspieler mit dem umwerfenden Lächeln, das Brylees Knie weich werden lässt, hat die Nachbarranch gekauft. Ein Sonntagscowboy, ein Aufreißertyp! Glaubt sie. Ein Irrtum - wie sie schnell erkennt. Doch selbst die romantischen Küsse können ihre Zweifel an Zane nicht ganz vertreiben: Wer weiß schon, ob der berühmte Hollywoodstar im beschaulichen Parable, Montana nicht nur eine Gastrolle spielt? BIG SKY SECRETS - ANTWORT DES HERZENS "Warum können Sie mich nicht leiden, Ria?" - "Weil Sie zu gut aussehen und das auch wissen. " - "Mein Verbrechen besteht also darin, dass ich zu gut aussehe und es auch weiß?" - "Genau!" Was soll man(n) dazu sagen? Landry Sutton fällt jedenfalls nichts mehr ein. Deshalb verschließt er der kratzbürstigen Ria den Mund mit einem Kuss. Aber damit fangen die Probleme erst an. Jeden Tag fühlt er sich mehr zu Ria hingezogen. Doch ein Happy End scheint in weiter Ferne: Denn Landry hat die Arbeit auf der Ranch, die er mit seinem Bruder führt, satt, und vermisst das quirlige Stadtleben. Im Gegensatz zu Ria! Die hat der hektischen Großstadt den Rücken gekehrt und genießt die beschaulichen Stunden auf ihrer Blumenfarm. Bald muss Landry sich entscheiden: Landliebe oder Citylife?

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Seitenzahl: 1232

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Linda Lael Miller

Big Sky - weiter Himmel, weites Land - Teil 4-6

Linda Lael Miller

Big Sky Summer –

Zeit der Entscheidung

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Ralph Sander

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2014 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Big Sky Summer

Copyright © 2013 by Linda Lael Miller

erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Covergestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

Autorenfoto: © Harlequin Enterprises S.A., Schweiz

ISBN eBook 978-3-95649-331-7

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder

auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich

der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Liebe Leserin, lieber Leser,

ob Sie neu sind oder schon mal hier waren, ich heiße Sie herzlich willkommen in der Kleinstadt Parable, Montana.

In „Big Sky Summer – Zeit der Entscheidung“ lesen Sie die Geschichte von Walker Parrish, Rodeopferdezüchter und sexy Cowboy par excellence, und Casey Elder, der rothaarigen und hitzköpfigen erfolgreichen Countrysängerin. Beide verbindet eine stürmische Vergangenheit, aus der ein paar heikle Geheimnisse überdauert haben, die mit einem Mal brisanter sind denn je. Und Sie wissen ja, wie das mit der Wahrheit ist: Am Ende kommt sie immer ans Licht, ob man es nun will oder nicht.

Sollte es den beiden Dickschädeln tatsächlich gelingen, mehr als nur ein paar Stunden gemeinsam zu verbringen, ohne sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen? Kaum jemand würde auch nur einen Dollar darauf setzen, dass die zwei ein Paar werden und bleiben können. Aber wie Sie und ich inzwischen gelernt haben, liegt in Parable Magie in der Luft, und die entfaltet ihren Zauber vor allem in Liebesangelegenheiten.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Lesen.

Ihre

Linda Lael Miller

Für Larry Readman

alias der „Canadian Wrangler“.

Danke, dass Sie so gut

auf meine Pferde aufgepasst haben.

1. KAPITEL

Walker Parrish saß eingezwängt auf der Holzbank in der dritten Reihe, links und rechts hatten alte Damen, die Sommerhüte und Kleider mit großflächigen Blumenmustern trugen, Platz genommen. Nervös wanderte sein Blick zur Decke der Kirche, um sich zu vergewissern, dass die ihm nicht jeden Moment auf den Kopf fallen würde. Zu gern hätte er den Krawattenknoten ein wenig gelockert, doch er widerstand dieser Versuchung. Schlipse waren seiner Meinung nach genau wie ein Kirchenbesuch zwei Anlässen vorbehalten: Beerdigungen und Hochzeiten. Glücklicherweise lieferte Letzteres diesmal den Grund.

Die Luft in der kleinen Kirche knisterte förmlich vor Begeisterung. Die Leute tuschelten aufgeregt, der Organist stimmte sich auf den Hochzeitsmarsch ein, und der Bräutigam – Sheriff Boone Taylor – stand ganz vorn ein kleines Stück rechts vom schlichten Altar. Er schien sich zu freuen, gleichzeitig allerdings sah er aus, als ob er sich zu Tode fürchten würde. So wie die meisten Männer in und um Parable, Montana, zog er am liebsten Jeans, Stiefel und Baumwollhemden an, weshalb er sich in seinem geliehenen Smoking sichtlich unbehaglich fühlte.

Die Halbbrüder Hutch Carmody und Slade Barlow, die besten Freunde von Boone, standen neben ihm, sie waren in ihren schicken Anzügen ebenfalls kaum wiederzuerkennen. Beide waren sie verheiratet, und sie waren durch und durch Cowboys. Momentan behielten sie Boone im Auge, als fürchteten sie, sie müssten ihn jeden Moment stützen, weil er weiche Knie bekam. Doch nicht nur Sorge um ihren Kumpel war ihnen anzusehen, ihre Mundwinkel umspielte auch ein ironisches Lächeln, das verriet, welchen Spaß ihnen diese Situation bereitete. Immerhin hatte jeder von ihnen bei seiner Hochzeit das gleiche Ritual über sich ergehen lassen müssen, da sollte Boone nicht von verschont bleiben.

Walkers Blick blieb an Hutch hängen, dabei erinnerte er sich an das letzte Mal, als er diese kleine Kirche betreten hatte. Es war ein Tag im Juni gewesen, ähnlich dem heutigen. Die Vögel hatten zwitschernd in den Bäumen gesessen, durch die offenen Türen wehte ein warmer Wind durch den Mittelgang bis hin zum Altar. Im nächsten Augenblick bewirkte diese Erinnerung, dass er wütend die Lippen zusammenpresste. Damals vor fast zwei Jahren war Hutch der Bräutigam gewesen, nicht der Trauzeuge. Und Walkers jüngere Schwester Brylee, seine einzige Blutsverwandte – zumindest die Einzige, von der er das öffentlich behaupten durfte –, war die Braut gewesen. Eine junge Frau mit strahlenden Augen und der Hoffnung auf eine wundervolle Zukunft. In einem Kleid, von dem Frauen schon als kleines Mädchen träumten.

Eben erst hatte der Organist zu spielen begonnen, die Brautjungfern hatten ihre unendlich oft geprobte Aufstellung eingenommen, und Walker war im Begriff gewesen, mit Brylee am Arm durch die bis auf den letzten Platz besetzte Kirche zu schreiten – da hatte sich auf einmal Boone umgedreht und laut gerufen: „Einen Moment! Halt!“

Und damit hatte er dann die Hochzeit abgesagt, mitten in der Kirche, nur ein paar Meter vom Altar entfernt. Brylees Traum von der Märchenhochzeit war in diesem Moment in tausend Scherben zerschlagen worden.

Zwar war Walker darüber, wie sich die Dinge entwickelt hatten, auch jetzt noch erleichtert, weil er Brylee und Hutch Carmody nie für ein Traumpaar gehalten hatte. Doch beim Gedanken an diese Demütigung, die seine Schwester erlebt hatte, durchfuhr ihn nach wie vor ein Stich, und wenn er damals nicht Brylee von jeder nur denkbaren Dummheit hätte abhalten müssen, dann hätte er Carmody auf der Stelle verprügelt – ohne Rücksicht darauf, dass das dann mitten in diesem Gotteshaus geschehen wäre.

Aus diesem Grund war er sich auch nicht sicher, ob die Dachbalken tatsächlich halten würden. Wieder blickte er skeptisch zur Decke hoch.

Reverend Walter Beaumont würde die Trauung vornehmen, mit der Bibel in der Hand stand er vor dem Altar. Vom Aussehen her erinnerte er an Morgan Freeman, während seine Stimme so tief und sonor war wie die von James Earl Jones. In seinem prachtvollen kastanienfarbenen Ornat mitsamt langer golden glitzernder Stola wirkte Beaumont wie ein alttestamentarischer Prophet, der gekommen war, um uneinsichtige Sünder auf den Pfad der Tugend zurückzubringen. Es war ein ungewohntes Bild, da er für gewöhnlich so wie alle anderen bei der Kleidung den lässigen und zweckmäßigen Westernstil pflegte.

Als Beaumont sich kurz räusperte, setzte der Organist zum ersten Akkord des Hochzeitsmarsches an, woraufhin sich alle Anwesenden erwartungsvoll nach der Braut umschauten. Walker vermutete, dass so wie er selbst sich auch einige andere Gäste fragten, ob sich wohl die Geschichte wiederholen würde. Immerhin war die abgesagte Carmody/Parrish-Hochzeit in Parable County schon so etwas wie eine Legende.

Tara Kendalls Teenager-Stieftöchter, die inzwischen dauerhaft bei ihr lebten, hatten die Rolle der Blumenmädchen übernommen, die sie mit großem Vergnügen ausübten. Während die Zwillinge den Mittelgang entlangtänzelten und Blütenblätter verstreuten, grinsten sie sich gegenseitig fröhlich an. Es schien ihnen zu gefallen, von allen beachtet zu werden.

Dann folgte Joslyn Barlow, die Ehefrau von Slade, deren Schwangerschaft sich in einem sehr fortgeschrittenen Stadium befand. Sie trug ein elegantes lavendelfarbenes Umstandskleid und hielt mit beiden Händen einen bunten Blumenstrauß fest.

Walker entgingen nicht die elektrisierten Blicke, die Joslyn und ihr Ehemann austauschten, während sie ihren Platz gegenüber von den drei Männern einnahm, die wie übergroße Pinguine dastanden.

Als Nächste kam Hutchs Ehefrau Kendra Carmody herein, die Frau, für die er Brylee am Altar hatte sitzen lassen. Sie trug ein elegantes, blassgelbes Kleid und hielt ebenfalls einen Blumenstrauß in ihren Händen.

Hutch zwinkerte ihr zu, während sie sich neben Joslyn stellte. Prompt errötete sie leicht.

Es folgten Boones Söhne, beide Jungs trugen Anzug und Fliege. Jeder hielt ein Satinkissen vor sich, darauf lag je ein goldener Ehering. Auf dem Weg zum Altar blieb der Kleinere von beiden ab und zu stehen, als hätte er vergessen, was er eigentlich tun sollte. Dabei zeigte er den Ring auch Opal Dennison, die den Jungen anlächelte und ihn dann weiter zum Altar schickte.

Diese Szene sorgte für heiteres Lachen, und ringsum wurden rasch Handys hochgehalten, um ein Erinnerungsfoto zu schießen.

Selbst Walker musste lächeln, denn auf einmal machte der ältere Junge kehrt und zog seinen Bruder hinter sich zum Altar.

Im nächsten Moment ertönte der laute, mitreißende Akkord, der den unmittelbar bevorstehenden Auftritt der Braut ankündigte. Abermals musste Walker an Brylees schiefgegangene Hochzeit denken, doch er freute sich auch für Boone und Tara Kendall.

Boone war seit ein paar Jahren verwitwet, der Verlust seiner ersten Frau hatte ihn so schwer getroffen, dass er Walker eine Zeit lang wie ein wandelnder Toter vorgekommen war, der nur noch seinen Job als Sheriff erledigt hatte. Umso mehr gönnte er Boone sein neues Glück.

Die Braut war vor noch nicht allzu langer Zeit aus New York nach Parable umgezogen, um nach einer hässlichen Scheidung einen kompletten Neuanfang zu wagen. Es hatte eine Weile gedauert, bis Tara und Boone zusammengefunden hatten, vor allem da sie sich zu Beginn gar nicht hatten leiden können. Das lag jetzt hinter ihnen, ebenso wie die lange Kennenlernphase, auf die sie sich mit Blick auf ihre ursprüngliche gegenseitige Abneigung geeinigt hatten, was Walker für eine kluge Idee hielt.

Und jetzt war für die beiden endlich der große Tag gekommen.

Lautes Rascheln erfüllte die Kirche, als die Gäste aufstanden und sich umdrehten, um einen Blick auf die Braut zu erhaschen, der die wenigen Meter bis zum Altar vermutlich wie die längste Strecke ihres ganzen Lebens erschienen.

Boones Schwager Bob führte Tara zum Altar, aber neben ihrem strahlenden Erscheinungsbild geriet er schnell in Vergessenheit. In ihrem wallenden Spitzenkleid sah Tara aus wie ein Engel, ihr Lächeln war hinter dem mit Strass besetzten Schleier ebenso deutlich auszumachen wie die Freudentränen, die ihr über die Wangen liefen.

Der Anblick sorgte dafür, dass sich Walkers Kehle zusammenschnürte. Sosehr er ihr und Boone dieses Glück gönnte, so sehr wünschte er, seine desillusionierte jüngere Schwester würde auch endlich den Mann finden, den sie heiraten wollte. Beide hatten sie eine Einladung zu dieser Hochzeit erhalten, doch Brylee machte seit einer Weile einen großen Bogen um jede Hochzeit. Genau genommen machte sie um viel zu viele Dinge einen Bogen, was ihn betraf. Stattdessen stürzte sie sich in die Arbeit und war meistens so erledigt, dass sie keine Lust hatte, sich ausgiebig mit ihm zu unterhalten, wenn sie sich sahen. Erst lange nachdem ihre Angestellten Feierabend hatten und nach Hause gegangen waren, beendete sie die Arbeit, und dann verkroch sie sich sofort in ihr Apartment im Ranchhaus, dicht gefolgt von ihrem deutschen Schäferhund Snidely, einer treuen Seele, die ihr nie von der Seite wich.

Als ihm auffiel, dass er sich entgegen allen Gewohnheiten mit einem Mal in seinen Gedanken verloren hatte, zuckte Walker leicht zusammen, da auf einmal Casey Elder mit Notenblättern in der Hand neben dem Organisten auftauchte. Sie trug ein blaues Kleid und hatte auf fast sämtliches Make-up verzichtet. Ihr schulterlanges rotes Haar, das normalerweise in ungestümen Locken ihr Gesicht einrahmte, war zu einem braven Knoten im Nacken hochgesteckt worden.

Bei diesem Anblick erlaubte sich Walker innerlich ein ironisches Glucksen.

Von dieser Seite hatte er Casey nur selten kennengelernt, obwohl sie beide eine chaotische, verworrene Vergangenheit verband. Auch nach fünfzehn Jahren als Profi im Musikgeschäft konnte sie noch immer jede Arena und jede große Konzerthalle füllen, keine ihrer Singles hatte je den ersten Platz in den Charts verpasst, sondern stets mehrere Woche an der Spitze gestanden. Ihre Videos waren legendär, immer sehr bunt und mit viel Feuer und Rauch, außerdem war sie berühmt für ihren auffallenden Stil, besonders allerdings für ihre kraftvolle Stimme, die mehrere Oktaven umfasste. Wenn sie sang, dann war es, als würde ihre Stimme die Schwingen ausbreiten und wie eine befreite Seele davonfliegen.

Auf der Bühne und vor der Kamera trug sie maßgeschneiderte Outfits, die so verschwenderisch mit Edelsteinen besetzt waren, dass Casey wie der sternenübersäte Nachthimmel über Montana glitzerte und funkelte. Mit ihrem Aussehen und ihrer Art zu singen schlug sie jeden Zuschauer in ihren Bann und hielt ihn so lange fest, bis der letzte Song verklungen war und der Vorhang sich geschlossen hatte. Und selbst dann wirkte der Zauber ihres Auftritts noch lange nach.

Walker fragte sich, ob die Heerscharen der Fans Casey wiedererkennen würden, wenn sie sie jetzt sehen könnten, so brav und fast schon bieder. Er verdrängte den Schwall an Gefühlen, die ihn immer dann bestürmten, sobald er dieser Frau begegnete, ganz gleich ob sie sich gegenüberstanden oder ob er sie in einiger Entfernung auf der Bühne sah. Als sie jetzt zu singen begann, ließ er sich keine Regung anmerken.

Dieses Lied, in dem es um Versprechen und Sonnenaufgänge und darum ging, unter allen Umständen zusammenzubleiben, hatte sie speziell für Boone und Tara geschrieben. Die Orgel spielte im Hintergrund so leise, dass die Melodie Caseys Stimme wie ein hauchdünnes Tuch aus Klängen unterlegte.

Sowie das Lied endete, schnieften die alten Damen links und rechts von Walker vor Rührung, und er selbst musste feststellen, dass sich offenbar die eine oder andere Träne in seine Augen verirrt hatte.

So lautlos wie ein Geist zog sich Casey unterdessen zurück, und die eigentliche Zeremonie konnte anfangen. Von der bekam Walker aber nur noch wenig mit, da er wie benommen dasaß, während Caseys Song wie ein himmlisches Echo in ihm nachhallte.

Tara stellte sich zu Boone, der Reverend begann zu reden. Wenig später legten beide ihr Ehegelübde ab, schworen sich ewige Treue, und schließlich verschmolzen die Flammen von Boones und Taras Kerzen zu einer einzigen Flamme, die kaum flackerte. Sie steckten sich gegenseitig die Eheringe an und schauten sich strahlend an.

Noch immer wie in Trance von Caseys Lied lief das Geschehen vor Walker ab.

Der Reverend erklärte sie mit volltönender Stimme zu Mann und Frau, dann hob Boone vorsichtig Taras Schleier und strich ihn nach hinten, um sie so voller Zärtlichkeit zu küssen, dass es selbst einem rauen Cowboy wie Walker warm ums Herz wurde.

Wieder ertönte die Orgel, diesmal so energisch, dass Walker schlagartig aus dem Zauber herausgerissen wurde, mit dem Casey ihn belegt hatte. Mr und Mrs Boone Taylor verließen vom Jubel der Gäste begleitet die Kirche.

Geduldig wartete Walker, bis auch er nach draußen gehen konnte, wo ihn die Nachmittagssonne empfing. Es duftete nach Blumen und gemähtem Gras. Er war froh, dass die Trauung vorüber war, und er fand, es war nur richtig von ihm gewesen, herzukommen und dafür diese kratzigen Klamotten in Kauf zu nehmen.

Jetzt musste er sich nur noch beim anschließenden Empfang blicken lassen, etwas vom Kuchen essen, Boone die Hand schütteln und Tara einen Kuss auf die Wange geben, ein paar Leuten freundlich zunicken, und dann konnte er sich dezent verdrücken. Die ganz große Feier würde wohl die Ausmaße einer kleinen Zirkusvorstellung haben und sollte im riesigen Garten hinter Caseys Haus abgehalten werden. Das hätte er nur zu gern vermieden, doch das war natürlich nicht möglich, weil er sich ja auch stellvertretend für Brylee blicken lassen musste. Mit etwas Glück würde er ein paar Minuten mit Clare und Shane verbringen können, ohne dass ihre Mutter mit dabei war.

Clare und Shane. Caseys Kinder.

Seine Kinder.

Er marschierte zu seinem Wagen, einem Modell mit besonders langer Fahrerkabine und genügend PS unter der Haube, um Pferdeanhänger ziehen zu können. Kaum war er eingestiegen, legte er die Krawatte ab, da die sich allmählich anfühlte wie der Strick an einem Galgen.

Auf der Straße vor der Kirche herrschte einiger Trubel, weshalb es eine Weile dauerte, um überhaupt von der Stelle zu kommen. So wie er waren alle anderen auch auf dem Weg zu Caseys Herrenhaus an der Rodeo Road.

Ein Stück voraus entdeckte Walker die Limousine, in der das frischvermählte Paar chauffiert wurde. Trotz seiner wachsenden Nervosität musste er lachen, als er sah, dass Boone und Tara im Wagen standen und sich aus dem offenen Schiebedach beugten. Es tat gut, beim Anblick dieser beiden daran erinnert zu werden, dass ein solch himmlisches Glück tatsächlich möglich war. Nach einer gescheiterten Ehe und seiner langen, stürmischen Beziehung mit Casey reagierte Walker eher skeptisch, wenn es um Liebe und Romantik ging, jedenfalls um Liebe, die alles überdauerte.

Eine etwas düstere Stimmung überfiel ihn, während er im Schritttempo in der Wagenkolonne mitfuhr. Mehr als einmal fühlte er sich versucht, den zweiten Teil der Feierlichkeiten einfach zu überspringen, in die nächstbeste Seitenstraße einzubiegen und nach Hause zu seinen Pferden und Rindern zu fahren, sodass er endlich diesen Anzug ausziehen konnte. Zu dumm nur, dass seine Manieren von ihm verlangten, das Richtige zu tun, egal ob es ihm nun behagte oder nicht.

Also tat er das Richtige und blieb in der Kolonne, bis er auf der Rodeo Road Caseys riesiges Haus erblickte. Er ergatterte einen Parkplatz, was einem kleinen Wunder gleichkam, und musste zwei Blocks weit laufen, bis er die mit weißem Kies bedeckte Einfahrt erreichte. Dort mischte er sich unter die Hochzeitsgäste, darunter auch viele, die in der Kirche keinen Platz mehr gefunden hätten und deshalb direkt hierher zum Haus gefahren waren.

Jeder hatte sich herausgeputzt, und alle hielten sie wundervoll verpackte Geschenke oder Auflaufformen mit selbst zubereitetem Essen in den Händen, andere trugen Blumensträuße, die sie im eigenen Garten zusammengestellt hatten.

Im ersten Moment fühlte sich Walker etwas unwohl, weil er ohne Geschenk hier aufgetaucht war, doch dieses Gefühl verschwand schnell wieder. Brylee hatte sich längst darum gekümmert und auf der Glückwunschkarte für ihn mit unterschrieben, die sie irgendeinem dem Anlass entsprechenden Geschenk beigelegt hatte.

Zusammen mit einigen anderen Gästen lief er um das Haus herum und bemerkte vergnügt, dass er mit seiner Vermutung recht gehabt hatte. Im Garten hinter Caseys Haus herrschte tatsächlich so etwas wie Jahrmarktatmosphäre. An den Zweigen der Bäume hingen Papierlaternen, mittendrin stand ein großer silberner Schokoladenbrunnen, und über den Dutzenden Tischen war ein riesiges Zeltdach aufgespannt worden. Auch an ein Podium für eine Band war gedacht worden, an eine provisorische Tanzfläche, eine Bar und – am unglaublichsten von allem – an ein echtes Karussell für die kleinen Gäste.

Es gab keinen Zweifel daran, dass hier noch lange weitergefeiert werden würde, wenn Boone und Tara die Torte angeschnitten, für den Fotografen posiert und den obligatorischen Tanz absolviert hatten, um dann in die Flitterwochen aufzubrechen. Gerüchte über mögliche Ziele wie Vegas, Honolulu und Cabo kursierten zwar, allerdings wohin es tatsächlich ging, verrieten die frischgebackenen Eheleute nicht.

In einer Kleinstadt, in der fast jeder wusste, was der andere machte, behielten die Leute so viele Geheimnisse für sich, wie sie nur konnten.

Walker betrachtete das zu Casey passende Spektakel, als sich plötzlich Shane zu ihm gesellte. Er trug eine dunkle Hose und ein weißes Hemd, doch Fliege und Jackett hatte er inzwischen abgelegt. Mit seinen dreizehn Jahren konnte man dem Jungen fast beim Wachsen zuschauen. Jedes Mal wenn Walker ihn traf, war er wieder ein Stück größer.

„Hey, Walker“, begrüßte Shane ihn grinsend. Während seine Schwester mit ihrem kastanienroten Haar, dem hellen Teint und ihren grünen Augen eindeutig nach Casey kam, sah Shane fast genauso aus wie Walker als Teenager. Schon seltsam, dass es bislang noch niemandem aufgefallen war.

„Hey“, erwiderte er. „Scheint so, als würde das eine ganz besondere Party werden.“

Shane nickte. „Mom wird nachher auch noch singen. Von dem Essen, das die Caterer ranschleppen, könnte die ganze Stadt bestimmt ein Jahr lang satt werden.“

Walkers Kehle war prompt wie zugeschnürt. Er konnte ein knallharter Kerl sein, wenn es nötig war, allerdings Casey in der Kirche singen zu hören, hatte ihn schon sehr gerührt. Den Abend über ihren größten Hits zu lauschen – er wusste nicht, wie er das überstehen sollte.

„Allzu lange kann ich nicht bleiben“, sagte Walker etwas schroff. „Ich habe auf der Ranch noch einiges zu erledigen …“ Er verstummte, weil er bemerkte, dass Shane ein langes Gesicht machte. Auch wenn der Junge wahrscheinlich keine Ahnung hatte, dass Walker sein leiblicher Vater war – Casey hatte dafür gesorgt, dass das niemand erfuhr –, hatten sie beide sich doch schon immer gut verstanden. Walker war der gute Freund der Familie, der Typ, der zu Thanksgiving, zu Geburtstagen und manchmal auch zu Weihnachten vorbeischaute. Casey weigerte sich, Unterhaltszahlungen anzunehmen, dennoch legte Walker schon seit Jahren für seine beiden Kinder Geld zur Seite, das sie später bekommen sollten.

„Oh“, stieß Shane hervor und schaute betrübt drein. Ihm war klar, was es bedeutete, eine so große Ranch wie Timber Creek zu führen, auf der Walker Viehzucht betrieb, aber auch Bullen und Pferde für Rodeos züchtete.

Der Junge verbrachte zusammen mit seiner Schwester Clare fast jeden Sommer ein bis zwei Wochen auf Timber Creek, weshalb er wusste, dass da genügend fähige Helfer waren, die sofort einsprangen, falls Walker aus irgendeinem Grund nicht dort war.

Walker zwang sich zu einem Lächeln und berührte Shane an der schmächtigen Schulter. „Aber eine Weile werde ich wohl doch bleiben können“, erklärte er. Bislang waren Clare und Shane von Privatlehrern unterrichtet worden und mehr oder weniger im Tourbus aufgewachsen. Im letzten Jahr hatten sie die Schule in Parable besucht, was für sie eine völlig neue Erfahrung war. Doch sie hatten sich gut eingelebt, denn durch ihr Leben in luxuriösen Reisebussen und Privatjets hatten sie gelernt, sich schnell an neue Verhältnisse anzupassen.

Breit grinste Shane ihn an. „Gut“, sagte er und stand die nächste Viertelstunde bei Walker, bis er auf eine Gruppe kichernder Mädchen aufmerksam wurde, die alle zu ihm rüberschauten. „Meine Fans“, meinte er augenzwinkernd und brachte Walker zum Lachen.

„Dann halt dich mal ran“, gab Walker zurück und schlenderte allein weiter in Richtung Bar, hielt alle paar Meter an, um sich mit jemandem zu unterhalten, den er von irgendwoher kannte. Schließlich hatte er sein Ziel erreicht und bekam ein kaltes Bier überreicht. Boone, Tara und die anderen posierten für Profi- und Hobbyfotografen gleichzeitig. Eine Weile sah Walker ihnen zu und musste sich eingestehen, dass er seine Freunde tatsächlich ein wenig beneidete. Gemeinsam hatten die beiden vier Kinder, sie waren also bereits eine fertige Familie. Wie wäre es wohl, wenn er öffentlich erklären könnte, dass er der Vater von Shane und Clare war? Und wenn sie ihn Dad nennen könnten?

Das wird nie passieren, Cowboy, sagte er sich. Also vergiss es lieber.

Walker trank von seinem Bier. Wie sollte ein Mann vergessen können, dass er der Vater von zwei Kindern war, was allerdings niemand wissen durfte?

Es ärgerte ihn, dass Casey so sehr darauf beharrte, die beiden seien allein ihre Kinder. Sie tat so, als hätte sie nicht nur ein Mal, sondern gleich zwei Mal das Wunder der unbefleckten Empfängnis erfahren. Vor Verärgerung lief sein Hals rot an, und der Hemdkragen schien noch enger zu werden. Er stellte die nur zur Hälfte ausgetrunkene Bierflasche weg. Möglicherweise war es der Alkohol, der ihn in diese Stimmung versetzt hatte, also sollte er darauf für den Augenblick besser verzichten.

Gerade hatte er sich durch die Menschenmenge gezwängt, die die Bar belagerte, da rannte ihm Kendra Carmody über den Weg.

„Hallo, Walker“, begrüßte sie ihn. Kendra war eine elegante Blondine, ein Grace-Kelly-Typ, und Walker verstand, warum Hutch diese Frau liebte, auch wenn sein Mitgefühl natürlich Brylee galt.

„Kendra“, erwiderte er und nickte höflich. Er hatte nichts gegen sie, schließlich hatte sie keine Ehe zerstört, was sogar Brylee klar war. Bloß wenn es um Hutch ging, dann hatten Walker und seine Schwester gewisse Vorbehalte.

„Schade, dass Brylee nicht mitgekommen ist“, sagte Kendra. Ein Blick in ihre grünen Augen ließ erkennen, dass sie das ehrlich meinte. Parable und das nur dreißig Meilen entfernte Three Trees waren die Art von Gemeinden, bei denen einfach alle einbezogen wurden, wenn es etwas zu feiern oder zu betrauern gab.

Walker seufzte leise. „Finde ich auch“, entgegnete er genauso aufrichtig. Er würde für seine Schwester keine Ausreden erfinden. Brylee war eine erwachsene Frau, und sie hatte nun mal ihre Gründe, großen Feiern und erst recht Hochzeiten fernzubleiben.

Lächelnd berührte Kendra seinen Arm. „Aber es ist schön, wenigstens dich zu sehen“, erklärte sie.

Nach einer kurzen freundlichen Unterhaltung ging Kendra weiter, um die anderen Gäste zu begrüßen. Vor einiger Zeit hatte dieses Haus noch ihr gehört, doch seitdem war viel geschehen. Sie und Hutch lebten mit ihren zwei Töchtern auf der Whisper-Creek-Ranch und planten dort eine noch viel größere Familie.

Ein weiteres Mal musste Walker gegen puren Neid ankämpfen. Okay, er besaß vielleicht nicht alles, was er haben wollte – Kinder, eine Ehefrau, ein Heim anstelle eines Hauses. Aber wer konnte schon von sich behaupten, alles zu haben? Größtenteils war er mit seinem Leben zufrieden, er liebte das Züchten und die Aufzucht von Rodeopferden, generell liebte er die Arbeit auf der Ranch. Und außerdem kam nie etwas Gutes dabei heraus, wenn man anfing, sich zu beklagen.

Casey Elder drückte die Zehen in das weiche Gras, froh darüber, endlich barfuß laufen zu können, nachdem sie fast den ganzen Tag über hohe Absätze und eine Strumpfhose hatte tragen müssen – zwei Dinge, die sie abgrundtief hasste. Ihr blaues Kleid fühlte sich auf der Haut leicht und locker an, was viel angenehmer war als dieses schwere Kleid, zu dem sie sich für ihre Gesangseinlage während der Hochzeitszeremonie in der Kirche hatte überreden lassen.

Sie stand ein wenig abseits, trank ein Glas Champagner und nickte lächelnd den Gästen zu, die an ihr vorbeischlenderten. Dazwischen widmete sie sich einmal mehr ihrer Lieblingstätigkeit, Walker Parrish aus sicherer Entfernung zu beobachten.

Ihrer Ansicht nach war er ein toller Kerl, groß, breitschultrig, markantes Gesicht, attraktiv wie ein Filmstar mit seinen grüngrauen Augen und seinem glänzenden, dunkelbraunen Haar, das immer ein klein wenig verwuschelt wirkte.

Wie es schien, war ihm seine Wirkung auf Frauen überhaupt nicht bewusst, was ihn nur noch faszinierender machte.

Caseys Gefühle für Walker waren eine komplizierte Angelegenheit, was eigentlich auch für alles andere in ihrem Leben galt. Ihr war klar, dass sie sich in den Mann verlieben konnte, und dabei musste sie sich nicht mal besonders anstrengen. Hatte sie nicht genau das über die Jahre hinweg schon ein paar Mal gemacht, nur um sich gleich wieder davon abzubringen? Sie war pragmatisch, zu pragmatisch, da sie ihr Herz nicht dem einen Mann öffnete, der über die Macht verfügte, dieses Herz in tausend Stücke zu zerschlagen.

Als hätte er bemerkt, dass sie ihn anstarrte, drehte er sich um, und ihre Blicke trafen sich.

Sie nickte und hob ihr Glas leicht an. Jetzt geht’s los, dachte sie und wünschte, er würde weggehen, obwohl sie sich sicher war, dass er sich stattdessen den Weg durch die Menge zu ihr bahnen würde.

Ihr Atem stockte kurz, weil Walker tatsächlich auf sie zuschritt, und ihr wurde schwindelig, als hätte sie ein paar zu schnelle Runden auf dem gemieteten Kinderkarussell gedreht.

Sowie er schließlich vor ihr stand, musste Casey sich bemühen, sich von ihrer coolen Seite zu zeigen, auch wenn sie sich viel lieber in seinen so ernst dreinschauenden Augen verloren hätte, um sich eine kuschelige Ecke in seinem Herzen zu suchen. „Hallo, schöner Mann“, sagte sie mit sanfter Stimme.

Er verzog keine Miene. „Das Lied, das du in der Kirche gesungen hast, war fantastisch, und du hast es wunderschön vorgetragen.“

Casey zuckte flüchtig mit einer Schulter. „Ich habe viel geübt.“ Sie sah hinüber zu der Hochzeitsgesellschaft, die sich immer noch fotografieren ließ. Ein Hauch von Traurigkeit erfasste sie bei diesem Anblick, auch wenn sie für Boone und Tara überglücklich war, weil beide das hier mehr als verdient hatten.

Kaum drehte sie sich wieder zu Walker um, wurde sie sich bewusst, dass er sie die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen hatte. Sie konnte nur hoffen, dass ihm ihr Anflug von Selbstmitleid entgangen war.

„Die beiden sind glücklich“, meinte er und deutete mit einer Kopfbewegung auf Braut und Bräutigam, die soeben für die Kameras Grimassen schnitten.

„Ja“, stimmte sie Walker zu und konnte nur mit Mühe einen Seufzer unterdrücken. Sie wusste, die beiden hatten einen steinigen Weg zurücklegen müssen, bevor sie zueinandergefunden hatten, und es war ihr peinlich, sich selbst gegenüber zugeben zu müssen, wie sehr sie Tara um all das beneidete, was sie alles noch erwartete. Nicht nur die Hochzeitsnacht und die Flitterwochen, sondern auch um den Trost und den Schutz, den eine Ehe bot, dazu den Sex, die Freude, die Babys, die Zukunftspläne. So beharrlich selbstständig sie auch war, sehnte sich Casey dennoch manchmal danach, mitten in der Nacht umarmt und geliebt zu werden, Freude und Sorgen und ihre Kinder mit einem Mann zu teilen, der sie liebte. In diesen Momenten war sie es leid, die unerschrockene alleinerziehende Mutter zu spielen, die allen Herausforderungen trotzte. „Sehr glücklich sogar.“

Zu ihrem Erstaunen legte er seine schwielige und doch sanfte Hand um ihr Kinn und hob ihren Kopf so an, dass er ihr tief in die Augen schauen konnte. Erschreckende und zugleich wundervolle Sekunden verstrichen, in denen sie fest davon überzeugt war, dass er sie jetzt küssen würde.

Aber das tat er dann nicht.

Sein Gesicht wies einen fast schon todernsten Ausdruck auf. Was auch immer er hatte sagen wollen, es kam – wahrscheinlich zum Glück – nicht über seine Lippen, da in dieser Sekunde die vierzehnjährige Clare auf sie zurannte. In ihrem pfirsichfarbenen Kleid, das sie sich extra für die Hochzeit ausgesucht hatte, sah sie wunderschön aus. Sie war noch immer verspielt, verrückt nach Pferden und unschlüssig, was Jungs anging, doch die temperamentvolle Frau, die sie einmal sein würde, war jetzt schon zu erkennen.

Im Hintergrund hörte Casey, wie ein paar der Musiker ihre Instrumente stimmten, aber der Anblick ihrer Tochter, die Walker regelrecht anhimmelte, ließ ihr das Herz stocken. Werd nicht erwachsen, flehte Casey stumm. Noch nicht.

„Du musst mit mir tanzen“, meinte Clare zu Walker. Schüchtern war sie eindeutig nicht. Allerdings hatten Clare und Shane ihm und auch Brylee schon immer nahegestanden.

Boone und Tara hatten die Fotografen offenbar zufriedengestellt, da sie beide sich inzwischen auf der Tanzfläche befanden und dastanden wie ein Hochzeitspaar auf einer gigantischen, himmlischen Hochzeitstorte.

Walker lächelte Clare an, die ihn als einen liebevollen Onkel betrachtete. Es war diese Geste, die Casey einen Blick in jenen Teil seiner Seele erlaubte, in dem er der Vater des Kindes war, nicht nur ein loyaler und vertrauenswürdiger Freund der Familie.

„Lass uns noch ein paar Minuten warten“, erwiderte er und drückte sanft Clares Hand.

„Braut und Bräutigam tanzen immer zuerst allein, Honey“, brachte Casey irgendwie heraus, obwohl ihre Kehle wie zugeschnürt war. „Das ist so Tradition.“

Clares smaragdfarbene Augen funkelten schelmisch. „Okay“, lenkte sie gut gelaunt ein und schaute Walker noch immer auf eine Weise an, die ein wenig an Heldenverehrung erinnerte. Sie biss sich kurz auf die Lippe, dann platzte sie heraus: „Wenn ich mal heirate, führst du mich dann zum Altar, Walker? Bitte, ja? Außer dir soll das keiner machen, okay?“

„Bis du heiratest, dauert es ja noch eine Weile“, warf Casey hastig ein.

„Es wird mir eine Ehre sein, dich zum Altar zu führen“, versicherte er seiner Tochter. „Wenn die Zeit dafür gekommen ist.“ Dann verzog er den Mund zu einem schiefen Lächeln, wie er es immer tat, wenn er sein Gegenüber necken wollte. „Natürlich hängt das davon ab, ob ich den Kerl überhaupt leiden kann, den du als Ehemann erwählt hast.“

Lachend klammerte sich Clare an seinem Arm fest. „Wenn ich ihn mag“, argumentierte sie dann sehr selbstbewusst, „wirst du ihn auch mögen.“

Walker begann zu lächeln und gab ihr einen Kuss auf den Kopf. „Damit wirst du vermutlich sogar recht haben, Prinzessin.“

Boone und Tara tanzten eng umschlungen einen Walzer und schienen ihre Umgebung völlig vergessen zu haben.

Bei diesem Anblick brannten mit einem Mal Caseys Augen, und sie sah rasch zur Seite, damit weder Walker noch Clare etwas bemerkten. Doch die waren so wie alle anderen Gäste sowieso ganz auf das Brautpaar konzentriert.

So wie für diesen Moment geplant öffnete sich ein zwischen den Ästen eines Ahornbaums gespanntes Netz, und Hunderte von weißen Rosenblättern rieselten wie samtener, duftender Neuschnee auf Boone und Tara herab. Die Gäste waren beeindruckt, und die frischgebackenen Eheleute schauten überrascht lächelnd nach oben. Tara streckte die Arme aus, um ein paar Blütenblätter zu fassen zu bekommen.

Dann begann Casey, voller Rührung über die Szene zu klatschen, die anderen Gäste schlossen sich dem Beifall prompt an. In der Zwischenzeit setzte die improvisierte Band zu einer Ballade an, mit der die Tanzfläche für die übrigen Anwesenden freigegeben wurde. Gleichzeitig gab Boone ihnen mit Handzeichen zu verstehen, dass die Gäste sich zu ihnen gesellen sollten. Clare schleifte Walker förmlich hinter sich her, damit er auch ja mit ihr tanzte.

Als Casey sah, wie glücklich Clare über seine ungeteilte Aufmerksamkeit war, fingen ihre Knie an zu zittern, und sie schwankte zur Veranda, damit sie sich dort auf die Stufen hocken konnte.

Umgeben von allen Feiernden musste Casey an die Lügen denken, die sie von Anfang an verbreitet hatte. Zugegeben, da war sie noch jung und ängstlich gewesen. Sie hatte Walker zwar haben wollen, doch ihre gerade erst anlaufende Karriere war ihr wichtiger gewesen – jedenfalls damals. Sie hatte Walker erklärt, sie erwarte von einem anderen Mann ein Baby, von einem Typen, den er nicht kannte. Er hatte ihr das anfangs auch geglaubt und sich von ihr getrennt, so wie sie das geplant hatte. Schließlich war Walker ein stolzer und anständiger Mann. Aber sie hatte nicht mit der tiefen Trauer gerechnet, die sie nach dem Beenden der Beziehung überfallen hatte, eine Trauer, die genauso schmerzte wie ein Knochenbruch.

Casey tat darauf das, was sie immer tat: Sie machte stur weiter. Selbst als sie hochschwanger war, konnte man ihr das kaum ansehen, sodass es ihr mit der zusätzlichen Unterstützung durch weite, wallende Kleider und übergroße T-Shirts möglich war, die Schwangerschaft vor den Fans und den Medien geheim zu halten.

Ein Jahr später allerdings traf sie Walker wieder, bei beiden setzte der Verstand aus, und sie zeugten Shane.

Da sie wusste, dass Walker ihr die gleiche Geschichte nicht ein zweites Mal abkaufen würde, rief sie ihn während einer Tournee an, als feststand, dass sie tatsächlich schwanger war. Walker war jedoch nicht auf den Kopf gefallen, und er durchschaute bald, dass das kleine rothaarige Mädchen, das gerade erst krabbeln lernte, ebenfalls sein Kind war.

Von dem Moment an war der Teufel los.

Walker wollte sofort heiraten, allerdings war seine Wut auf sie nicht gerade förderlich gewesen. Der Streit um die Kinder zog sich ein paar Jahre lang hin, landete aber nie vor Gericht, und letztendlich schafften sie es, eine Art Waffenstillstand zu schließen.

Nur widerwillig ließ er sich auf die Geschichte ein, die als offizielle Version für die Öffentlichkeit dienen sollte, dass nämlich beide Kinder das Ergebnis einer künstlichen Befruchtung mit Samenzellen von einem anonymen Spender waren. Im Gegenzug erlaubte Casey ihm, Clare und Shane regelmäßig besuchen zu dürfen.

Lange Zeit hatte das so auch gut funktioniert, doch inzwischen erschien es Casey, als wäre ihr Gebäude aus Lügen so wacklig geworden, dass es jeden Moment über ihr einstürzen könnte. Das jagte ihr schreckliche Angst ein.

Kendra kam vorbei und nahm neben ihr auf der obersten Verandastufe Platz. Außer Walker war ihre Freundin Kendra die Einzige, die die Wahrheit über Clare und Shane kannte. Das Sonderbare an dem Ganzen war, dass ausgerechnet Walker es ihr – womöglich aus Frust über die Situation – erzählt hatte, nicht aber Casey selbst.

„Es ist noch nicht zu spät, das in die richtigen Bahnen zu lenken, weißt du“, erklärte Kendra und stieß ihre Freundin mit der Schulter an. Dabei schaute sie zu, wie Clare Walker zu einem weiteren Tanz überredete.

„Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, dass du aufhören sollst, die Gedanken anderer Leute zu lesen, Kendra Carmody?“

Kendra lächelte sie an. „Hin und wieder.“ Dann wurde sie ernst und flüsterte: „Casey, solche Dinge kommen früher oder später doch immer ans Licht. Wenn man bedenkt, wie berühmt du bist, ist es eigentlich ein Wunder, dass noch niemand auf diese Story gestoßen ist.“

Mit dem Handrücken wischte Casey sich über die Wangen, dann richtete sie sich auf. „Und was soll sein, wenn sie es nicht verstehen?“, presste sie hervor. „Was soll sein, wenn Clare und Shane mir das nicht verzeihen können?“

Kendra seufzte leise und antwortete mit einer Gegenfrage: „Wäre es dir lieber, wenn sie es aus den Medien erfahren?“

2. KAPITEL

Obwohl es noch nicht völlig dunkel war, fiel ein goldgelber Lichtschein durch das Küchenfenster auf den Hof vor dem Ranchhaus. Dieser Anblick sorgte dafür, dass sich Walkers Laune ein wenig besserte, während er den Wagen vor seinem Haus ausrollen ließ. Nachdem er sich von Clare und Shane – und ja, auch von Casey – verabschiedet hatte, hatte ihn wie jedes Mal ein fast schmerzendes Gefühl überfallen. Verstärkt wurde das noch durch den Sonnenuntergang, weil das die Zeit war, zu der Familien in einem hell erleuchteten freundlichen Wohnzimmer zusammenkamen und sich erzählten, was sie den Tag über erlebt hatten.

Es war noch nicht lange her, da wurde er von seinen beiden alten Labradoren Willie und Nelson schwanzwedelnd empfangen, die ihn in der Hoffnung auf eine Streicheleinheit begrüßten. Aber im vergangenen Herbst waren beide Hunde im Abstand von nur wenigen Wochen verstorben, friedlich und im Schlaf, ganz so, wie gute Hunde es verdienten. Jetzt hatten sie ihre letzte Ruhestätte in zwei Gräbern in der Nähe der Apfelbäume gefunden, doch es verging kein Tag, an denen Walker nicht mit Wehmut an sie dachte.

Er schluckte schwer, als er aus seinem Auto ausstieg und auf das Haus zulief. Er hatte Willie und Nelson als Welpen bekommen und großgezogen, und er fühlte sich noch nicht bereit, sich einen Ersatz für sie anzuschaffen, auch wenn Brylee ihn immer wieder dazu drängte. Für den Augenblick begnügte er sich mit dem Hund seiner Schwester, auch wenn er Snidely nur selten zu Gesicht kriegte, da der seinem Frauchen auf Schritt und Tritt folgte.

Durch die Hintertür ging er ins Haus und betrat direkt die großzügige, altmodisch eingerichtete Küche, in der Brylee gerade herumwerkelte. Sie trug eine alte Jeans und ein T-Shirt mit einem eindeutig männerfeindlichen Aufdruck, alles war mit Mehl bedeckt.

Snidely lag zusammengerollt auf einem Läufer und beobachtete ganz genau das Geschehen.

„Hey“, sagte Walker an sie beide gewandt, nahm das Jackett, das er sich über die Schulter geworfen hatte, und hängte es über die Stuhllehne.

Der Hund hob kurz den Kopf, stieß etwas aus, das sich wie ein Seufzer anhörte, und legte sich gleich wieder hin.

„Hey“, erwiderte Brylee, die Walkers Blick ganz gezielt auswich. So wie es schien, hatte sie seit Stunden nichts anderes getan, als Brot zu backen, und offenbar würde das auch noch einige Stunden so weitergehen. Schließlich reihte sich auf der Arbeitsfläche eine Backform an die andere, in denen die aufgegangenen Teige nur darauf warteten, endlich in den Ofen geschoben zu werden. „Wie war die Hochzeit?“

Walker wollte ein Bier trinken und sich in Ruhe mit seiner Schwester unterhalten, aber erst einmal musste er diesen Anzug loswerden und gleich danach in der Scheune und in den Ställen nach dem Rechten sehen und sich davon überzeugen, dass auch alle Arbeiten erledigt worden waren. Bei sechs Ranchhelfern, die er beschäftigte, war dieser Kontrollgang eigentlich mehr Routine als eine Notwendigkeit. „Es war eine Hochzeit“, antwortete er und hielt inne. Seine Bemerkung war nicht schnippisch gemeint, doch kirchliche Trauungen liefen alle weitestgehend gleich ab – eine Braut in weißem Kleid mit Schleier, ein nervöser Bräutigam, ein Geistlicher, Orgelmusik, volle Sitzbänke, ein Blumenmeer.

Ihm fiel auf, wie verkrampft Brylee dastand, während sie ihm beharrlich den Rücken zuwandte. Sobald irgendjemand heiratete, zog sie sich in sich selbst zurück und gab vor, es würde sie nicht interessieren.

„Dann hat alles wie am Schnürchen geklappt?“, fragte sie so angestrengt beiläufig, dass es Walker einen Stich ins Herz versetzte. Brylee wünschte niemandem das, was sie selbst erlebt hatte, dennoch stellte sie immer die gleichen Fragen, da sie jedes Mal mit dem Schlimmsten rechnete.

„Ich würde sagen, es ist perfekt gelaufen“, erwiderte Walker ruhig. Er hatte sein Jackett wieder von der Stuhllehne genommen, stand aber wie angewurzelt da.

Brylee schaute über die Schulter zu ihm, lächelte schwach und sagte: „Das ist doch gut.“ Sie zwinkerte einmal und widmete sich dann wieder dem Teig, den sie kneten musste.

„Was hat es mit all dem Brot auf sich?“, wollte er wissen.

„Opal Dennison und ein paar andere Frauen aus ihrer Kirche wollen morgen nach dem zweiten Gottesdienst einen Basar veranstalten“, entgegnete sie mit gespielter guter Laune, auch wenn ihre Körpersprache etwas anderes verriet. „Es soll noch mehr Geld für die McCulloughs zusammenkommen.“

Der junge Dawson McCullough hatte sich beim Sturz vom mittlerweile abgerissenen alten Wasserturm in der Stadt schwer verletzt. Seit er groß genug gewesen war, um Heuballen zu schleppen und Ställe auszumisten, hatte er nach der Schule und in den Ferien oft auf der Ranch geholfen, sodass er praktisch schon zur Familie gehörte.

„Und du hast dich als Einzige freiwillig gemeldet, um Brot zu backen?“, fragte er amüsiert.

Brylee unterbrach ihre Arbeit und versteifte sich noch etwas mehr. Zwar hielt sie den Kopf hoch, allerdings schien es sie viel Kraft zu kosten. „Hör auf, Walker“, flüsterte sie. „Mir ist klar, was du da versuchst, und ich weiß das auch zu schätzen, aber … lass es bitte bleiben.“

Seufzend fuhr Walker sich durchs Haar. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich jedoch anders und ging aus der Küche in den Flur, vorbei an Ess- und Wohnzimmer, dann in sein großes Schlafzimmer, wo er den Anzug und die feinen Schuhe gegen eine alte Jeans, ein bequemes Flanellhemd und ausgetretene Stiefel eintauschte.

Es tat unglaublich gut, wieder ganz er selbst zu sein.

Als er in die Küche zurückkam, schob Brylee soeben den womöglich letzten Brotteig zu den anderen in den Ofen. Sie bemerkte Walker gar nicht, der nach seinem Hut griff, aber Snidely sprang auf und trottete hinter ihm her nach draußen auf die Veranda.

„Frauen“, wandte sich Walker aufgebracht an den Hund. „Brylee könnte jeden Mann kriegen, den sie haben will, doch was macht sie? Jammert dem einen hinterher, von dem sie sitzen gelassen wurde.“

Snidely ließ die Zunge seitlich aus dem Maul hängen, während er gemütlich neben Walker herlief, der sich über diese ruhige Gesellschaft freute. „Das Schlimmste ist“, redete er weiter, froh darüber, dass kein Zweibeiner anwesend war, der seine Unterhaltung mit einem Schäferhund hätte belauschen können, „dass sie einfach nur stur ist. Tief in ihrem Inneren … ach, gar nicht mal so tief in ihrem Inneren weiß sie ganz genau, dass Hutch gar nicht der Richtige für sie gewesen wäre. Inzwischen wären die Flitterwochen vorüber, und sie hätten sich längst gegenseitig den Schädel eingeschlagen.“

Der Hund äußerte sich wie erwartet nicht dazu, allerdings genügte allein seine Anwesenheit, damit Walker sich wieder etwas beruhigte. An einem Zaunpfahl hob Snidely das Bein, gleich darauf sputete er sich, um wieder in Walkers Nähe zu sein, da der das Scheunentor erreicht hatte.

Walker schaltete das Licht an und betrat die Scheune, dann schaute er in jeder Box nach dem jeweiligen Pferd, überprüfte, ob das elektrische System funktionierte, das die Tiere mit Wasser versorgte, und ob sie alle genug Heu hatten.

Sein großer Wallach Mack hatte die größte Box gleich gegenüber vom Materialraum, er wieherte leise, sowie er Walker entdeckte. Alle Pferde waren so gut versorgt, wie er es erwartet hatte, dennoch musste er sich einfach persönlich davon überzeugen, wenn er ruhig schlafen wollte. Das Gleiche galt für die Bullen und die Rodeopferde, von denen sich einige auf der Weide, andere in einem Stall hinter der Scheune befanden.

Leise seufzend rieb er sich den Nacken, der vom steifen Hemdkragen gerötet war, dann rückte er seinen Hut gerade, mehr aus Reflex als aus Notwendigkeit. Da seine Gedanken ständig um Casey Elder und die Kinder, die sie beide gemeinsam hätten großziehen sollen, kreisten, wusste er jetzt schon, dass er sich die ganze Nacht im Bett hin und her wälzen und am Morgen entsprechend schlecht gelaunt aufwachen würde.

Snidely stand so neben ihm, dass er ihm mit dem Schwanz wiederholt in die Kniekehlen schlug, so als wollte der Hund ihn ins Hier und Jetzt zurückholen. Walker lachte leise und beugte sich vor, damit er das Tier streicheln konnte. Dann liefen sie weiter zu den Bullen, die sich in ihren mit Stahlgittern verstärkten Boxen befanden und schnaubend mit den Hufen scharrten. Auf der anderen Seite des Big Sky River konnte er die hell erleuchteten Hütten und Trailer sehen, deren Lichter sich im Wasser spiegelten. Stimmen wurden von einer leichten Brise zu ihm herübergetragen, ebenso die Geräusche der spielenden Kinder, die noch den letzten Rest Tageslicht ausnutzten, bevor sie von ihren Müttern ins Haus gerufen wurden, damit sie badeten und ins Bett gingen. Die Männer saßen in den Vorgärten, rauchten noch eine letzte Zigarette und rissen Witze.

Alles war ganz normal, und doch bohrte sich diese Alltäglichkeit wie eine Messerspitze in Walkers Herz. Er legte den Kopf in den Nacken und sah, wie am Himmel die ersten Sterne strahlten. Dabei fragte er sich, wie es sein konnte, dass er mitten auf einer geschäftigen Ranch lebte, von zahlreichen Leuten umgeben war und er sich dennoch fühlte, als wäre er der einzige Bewohner eines weit entfernten Planeten.

Snidely stand ein wenig unschlüssig neben ihm, aber ihm war anzumerken, dass er eigentlich zurück ins Haus und damit zurück zu Brylee wollte. Der Hund hatte völlig recht. Es brachte nichts, hier draußen am Ufer zu verweilen und den Stimmen und dem Lachen von glücklichen Familien zu lauschen.

„Komm“, sagte er zu Snidely und drehte sich um.

Als sie zurück im Haus waren, hatte Brylee bereits die Küche aufgeräumt. Auf dem Tresen stapelten sich gut zwei Dutzend Brotlaibe, die morgen verkauft werden sollten. Brylee selbst saß am Tisch, trank einen Tee und wartete darauf, dass der Timer klingelte, damit sie auch noch die letzte Ladung aus dem Ofen holen konnte.

Während er draußen unterwegs gewesen war, hatte seine Schwester sich wieder gefangen. Er war froh darüber, weil er immer unsicher war, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte, wenn sie ihre „Sitzen-gelassene-Braut-Laune“ hatte.

„Ich habe ein paar Brote für dich abgezweigt“, sagte sie aufrichtig lächelnd, während Snidely zu ihr tapste und den Kopf auf ihren Oberschenkel bettete, womit er sie zum Streicheln aufforderte. „Eines in der Brotdose, zwei in der Gefriertruhe.“

„Danke“, erwiderte er, hängte den Hut an den Haken neben der Tür und ging zum Spülbecken, um sich die Hände zu waschen, was er prinzipiell tat, wenn er zurück ins Haus kam. Sein Vater hatte das schon so gemacht und vor ihm auch sein Granddad. Diese Art von Tradition hatte etwas Beruhigendes an sich.

„Ich nehme an, du hast heute Casey und die Kinder gesehen“, sagte sie.

„Ja, hab ich.“

„Und?“

„Was und?“ Walker griff ruckartig nach einem Geschirrtuch und trocknete sich die Hände ab.

Leise lachte Brylee. „Hoppla“, rief sie. „Da ist aber jemand gereizt.“

„Du musst gerade das Wort ‚gereizt‘ in den Mund nehmen, wie?“, entgegnete er mürrisch.

Hastig hob sie abwehrend die Hände. „Okay, du hast recht“, räumte sie ein. „Es ist bloß so, dass ich allergisch auf weiße Spitze und Versprechen reagiere.“ Ihre nussbraunen Augen blitzten auf, während sie das Haargummi von ihrem Zopf löste. Sie schüttelte den Kopf, bis ihre Locken wieder ihr Gesicht umrahmten. Vor der fehlgeschlagenen Hochzeit hatte sie ihre Haare bis zur Taille getragen, dann allerdings bis zur Schulter abschneiden lassen, was wohl immer noch besser war, als wenn sie sich zu einer Tätowierung oder einem Piercing entschlossen hätte.

„Darüber solltest du vielleicht mal hinwegkommen“, meinte Walker und holte sich eine gekühlte Dose Bier aus dem Kühlschrank.

„Willst du mir eine Predigt halten?“ Auch wenn die Frage belustigt klingen sollte, hatte sie dennoch einen spitzen Unterton. Dabei blickte Brylee ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Ihre Wangen waren von der Arbeit am heißen Backofen gerötet. „Du, Walker Parrish, müsstest nämlich schon der letzte Mensch auf Erden sein, um dir das Recht herauszunehmen, irgendwem eine Predigt in Sachen Liebesleben zu halten.“

Mit dem Fuß zog er einen Stuhl nach hinten, setzte sich hin und stellte die Dose auf die rot-weiß karierte Tischdecke. „Wer behauptet, dass ich eine Predigt halten will?“, gab er frostig zurück.

Brylee grinste ihn so breit an, dass ihre strahlend weißen Zähne zu sehen waren. Heute konnte diese Frau Werbung für perfekte Zähne machen, aber als Kind waren ihre Zähne wild in alle Richtungen gewachsen. „Na ja, wenn ich mich nicht irre, findet dieses Gespräch immer dann statt, wenn irgendwo im Großraum von Parable County jemand heiratet.“

„Welches Gespräch?“ Walker trank einen ausgiebigen Schluck Bier. „Du hast mir erklärt, dass du allergisch auf weiße Spitze und Versprechen reagierst. Daraufhin habe ich gesagt, dass du vielleicht mal darüber hinwegkommen solltest. Da, wo ich herkomme, nennt man so was nicht Gespräch.“

Brylee rollte mit den Augen. Für jemanden, der den ganzen Tag über deprimiert gewesen sein dürfte, war sie auf einmal sehr aufgedreht. „Da, wo du herkommst, komme ich auch her“, erwiderte sie. „Nämlich genau von dieser Ranch.“

„Führt diese Diskussion irgendwohin?“, fragte Walker, der plötzlich ein Hungergefühl verspürte. Immerhin hatte er seit dem Mittagessen außer einem Stück Kuchen, ein paar Minzbonbons und einer Handvoll Mini-Sandwiches, die von einem Zahnstocher zusammengehalten wurden, nichts mehr gegessen.

Brylee beugte sich vor und legte kurz ihre Hand auf seinen Unterarm. „Ich weiß, du machst dir meinetwegen Sorgen, Walker, doch das mit mir, das wird schon wieder. Ehrlich.“

„Und wann?“

„So was braucht seine Zeit“, wich sie ihm aus und wünschte, ihr großer Bruder hätte dieses Thema gar nicht erst angeschnitten, sondern sich mit ihr über die Fleischpreise oder das Wetter oder am besten über gar nichts unterhalten.

„Und wie viel Zeit?“, hakte er nach. Sie steckten jetzt mitten in diesem Thema, und daran ließ sich nun nichts mehr ändern, auch wenn er sich wünschte, er hätte die Sache auf sich beruhen lassen. „Es ist jetzt schon ein paar Jahre her, seit das mit Hutch vorgefallen ist. Soweit ich das beurteilen kann, hast du dich seitdem für keinen Mann mehr interessiert.“

Sie stützte einen Ellbogen auf dem Tisch auf, legte das Kinn auf die Handfläche und schaute ihn seltsam amüsiert an. „Ich leite ein Unternehmen, Walker. Ein erfolgreiches Unternehmen, falls du das noch nicht gemerkt hast, und das hält mich ziemlich auf Trab.“

„Zu sehr auf Trab, wenn du mich fragst“, murrte er.

„Ich frage dich aber nicht“, konterte sie mit sanfter Stimme und zog für einen Moment die Brauen zusammen. „Hast du Angst, dass ich als alte Jungfer ende und du mich nie wieder loswirst?“

Vor Walkers geistigem Auge entstand ein Bild, das Brylee im hochgeschlossenen Kleid in einem Schaukelstuhl auf der Veranda zeigte, die grauen Haare zum Dutt zusammengesteckt, während sie Socken strickte. Unwillkürlich musste er grinsen. „Nein, das nun wirklich nicht“, erwiderte er. „Dann würde ich dich einfach im nächstbesten Pflegeheim abliefern, damit ich meine Ruhe vor dir habe.“

Brylee lachte nicht darüber, sie konnte nicht mal lächeln. Traurig starrte sie an ihm vorbei. „Was sollen wir tun, falls wir doch allein bleiben und auf einmal alt sind?“, flüsterte sie. „So was kommt vor.“

„Ich bin der Meinung, ich warte noch zehn oder zwanzig Jahre ab, ehe ich mir darüber Gedanken mache“, entgegnete Walker. Es musste etwas geben, was er sagen konnte, um Brylee Mut zu machen und sie zurück ins Leben zu holen, doch er hatte beim besten Willen keine Ahnung, was das sein sollte.

Abrupt veränderte sich Brylees Laune. Der Timer klingelte, sie schob den Stuhl nach hinten und stand auf, wodurch Snidely gezwungen war, seinen Kopf wegzuziehen. Fast schon hektisch schnappte sie die Topflappen und holte die Backformen aus dem Ofen, um sie zum Abkühlen auf die Arbeitsfläche zu stellen. „Du hast recht“, meinte sie. „Lass uns zwanzig Jahre warten, dann können wir immer noch überlegen.“

Erneut knurrte sein Magen. Walker erhob sich und ging zur Brotdose, die auf dem Tresen stand. Es handelte sich um ein völlig altmodisches Modell, das blassgrün emailliert war. Er nahm das Brot heraus und griff sich ein Messer aus einer Schublade. „Abgemacht“, stimmte er ihr zu und durchsuchte die Schränke so lange, bis er ein Glas Erdnussbutter und Honig entdeckte. Die Plastikflasche war klebrig, der Deckel fehlte, und als Walker etwas zu fest zudrückte, verteilte sich der Honig auf der Arbeitsfläche.

„Also wirklich“, schimpfte Brylee, schubste ihn zur Seite und schmierte für ihn das Sandwich. Nachdem sie es ihm vorgesetzt hatte, wischte sie erst mal den Tresen ab.

Walker grinste. „Du bist die geborene Butterbrotschmiererin für einen Haushalt mit einem halben Dutzend Kinder“, stellte er fest.

„Wow“, erwiderte sie ironisch. „Was für ein Kompliment.“

„Ich meinte doch nur …“

„Ich weiß genau, was du gemeint hast, Walker“, fiel sie ihm ins Wort.

Er biss von dem Brot ab, kaute hastig und schluckte runter. „Ja, ja, tut mir schrecklich leid“, konterte er.

„Halt die Klappe und geh ins Bett“, forderte sie ihn auf.

„Wird gemacht“, entgegnete Walker, während er sich unwillkürlich in ihre Teenagerzeit zurückversetzt fühlte, in der sie es keine fünf Minuten lang zusammen in einem Zimmer ausgehalten hatten, ohne sich gegenseitig zu piesacken.

Brylee gab einen verärgerten Laut von sich und tippte mit einem Finger auf die Brotlaibe. Es würde noch eine Weile dauern, ehe auch die letzte Runde so weit abgekühlt war, dass sie sie verpacken konnte.

Walker deutete mit dem Sandwich in der Hand eine Verbeugung an und ging kopfschüttelnd in Richtung Schlafzimmer. Wann würde er nur endlich lernen, den Mund zu halten? In fünfundneunzig Prozent aller Fälle war es vertane Zeit, mit einer Frau vernünftig reden zu wollen, was vor allem dann galt, wenn es sich bei dieser Frau um seine kleine Schwester handelte.

Es war fast Mitternacht, als auch die letzten Gäste sich verabschiedeten und das Karussell endlich zum Stillstand kam.

Beim Blick in den Garten, in dem sich nur noch die Catererangestellten und die Leute aufhielten, die das Zeltdach abnahmen und die Tanzfläche abbauten, fühlte sich Casey an ihre Kindheit erinnert. So war es auch gewesen, wenn der Zirkus einmal im Jahr in der Stadt eine Vorstellung gab und nach dem Gastspiel einen kahlen und irgendwie verlorenen Flecken Land zurückließ.

„Mom?“ Clare stand barfuß neben ihr und trug immer noch ihr Partykleid. Genau wie ihr Bruder überragte auch sie Casey, wodurch sie schon sehr erwachsen wirkte. „Alles okay?“

Casey drehte sich zu ihrer Tochter um und lächelte sie liebevoll an. „Mit geht’s gut, Schatz. Ich bin nur ein bisschen müde.“ Einen Moment lang genoss sie einfach nur die Nachtluft, den sternenübersäten Himmel und die bittersüßen Überbleibsel eines schönen Tags. „Da fällt mir ein … solltest du nicht längst im Bett sein?“

Clare, die nicht nur den Namen ihrer verstorbenen Großmutter trug, sondern ihr auch von Jahr zu Jahr mehr ähnelte, verzog den Mund. „Mom“, sagte sie gedehnt. „Ich bin fast fünfzehn, außerdem ist heute Samstag, und ich kann morgen ausschlafen.“

„Wir gehen morgen früh in die Kirche“, ermahnte Casey ihre Tochter. „Nach dem Gottesdienst um elf beginnt der Basar, und ich habe Opal versprochen, ihr dabei zu helfen. Und abgesehen davon wirst du erst in acht Monaten fünfzehn.“

Übertrieben seufzend wandte Clare sich um und überquerte die Veranda in Richtung Küche, während Casey ihr zögerlich ins Haus folgte.

„Aber“, begann Clare auf einmal, da Teenager allem Anschein nach keine zehn Minuten lang auf Widerworte verzichten konnten, „du hast doch Opal nicht versprochen, dass ich ihr auch helfe, oder?“

Shane stand am Tresen und schaufelte sich mit den Fingern die Reste der Hochzeitstorte in den Mund. Sowie er Casey sah, setzte er eine schuldbewusste Miene auf, zuckte dann mit den Schultern und widmete sich dem nächsten Stück Kuchen.

„Du bist eklig“, fuhr Clare ihren Bruder an, woraufhin er ihr die mit Krümel bedeckte Zunge rausstreckte und einmal laut rülpste. „Igitt!“, rief sie und drehte sich zu Casey um. „Mom, willst du einfach nur dastehen und nichts machen, während er sich wie ein Affe aufführt?“

Casey tat so, als würde sie über die Frage nachdenken, dann antwortete sie grinsend: „Ja, ich glaube schon.“

Daraufhin begann der Junge, prustend zu lachen, sodass sich die Kuchenkrümel in der Küche verteilten. Sofort drängten sich die drei Hunde um ihn und sammelten auf, was an Essensresten auf dem Boden landete.

Clare stieß einen theatralischen Schrei aus, danach stürmte sie in Richtung Treppe, um sich in ihrem Zimmer vor Shane in Sicherheit zu bringen.

„Okay, das reicht jetzt“, sagte Casey ernst. „Waren die Hunde draußen?“

Mit vollem Mund nickte Shane, seine Finger waren mit Zuckerguss verklebt. Nachdem er geschluckt hatte, entgegnete er: „Bestimmt fünf Mal. Rockford hat ein Stück Kreppgirlande und einen Teil von einem Luftballon gefressen.“

Rockford, der Kleinste aus dem schokoladenbraunen Labrador-Trio, winselte betrübt, so als wollte er sich dagegen wehren, dass er angeschwärzt worden war.

Casey trat zu ihm, nahm seinen Kopf zwischen die Hände und betrachtete ihn eindringlich. „Es scheint ihm aber gut zu gehen.“

„Mit ihm ist alles in Ordnung“, bestätigte Shane lässig. „Er hat alles ausgekotzt. Darum weiß ich ja, was er gegessen hat.“

„Iiih“, machte Casey, fasste ihren Sohn an den Schultern und drehte ihn in Richtung Treppe. „Wasch dir auf jeden Fall noch gründlich die Hände, bevor du schlafen gehst“, rief sie ihm hinterher, als er ebenfalls nach oben rannte.

Die Hunde folgten ihm nur einen Augenblick später, so wie sie das jeden Abend taten.

Doris, die Köchin und Haushälterin, kam aus ihrer Einliegerwohnung gleich neben der Küche. Sie hatte eine Gesichtsmaske aufgelegt und Lockenwickler im Haar und trug einen rosa Bademantel. „Ist die Party zu Ende?“, fragte sie freundlich. Natürlich war das nur eine rhetorische Frage, denn Doris musste mitgekriegt haben, wie sich alle nach und nach verabschiedeten und wie auf der Straße Wagentüren zugeschlagen und Motoren angelassen wurden. Sie war bis kurz vor zehn auf der Party geblieben, dann hatte sie sich zurückgezogen, um sich die Haare zu waschen und die Lockenwickler einzudrehen, damit sie am nächsten Morgen in der Kirche gut aussah.

„Ja“, erwiderte Casey lächelnd, schloss die Hintertür ab und schaltete die Alarmanlage ein, anschließend kochte sie sich eine Tasse Kräutertee. Der half ihr üblicherweise beim Einschlafen.

Doris wünschte ihr eine gute Nacht und kehrte in ihre Wohnung zurück.

Casey verweilte noch ein wenig in der Küche, nippte an ihrem Tee und horchte auf die üblichen Geräusche aus dem ersten Stock – das Geräusch der Hundepfoten auf dem Holzboden, Shanes Gelächter, das wohl an einen Schurken aus einem alten Film erinnern sollte, Clares an ihn gerichtete Beschimpfung, der das Zuschlagen ihrer Zimmertür folgte.

Seufzend durchquerte sie die unglaublich riesige Küche, am Fuß der Treppe angekommen, schaltete sie das Licht im Erdgeschoss aus.

Shane ärgerte Clare noch immer vom Flur aus, als Casey die obere Etage erreicht hatte. In dem Moment beging Clare den Fehler, die Tür wieder aufzumachen und ihm eine Beleidigung an den Kopf zu werfen, die ihn nur weiter anspornte.

Damit Ruhe einkehrte, steckte Casey zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus, ganz so, wie sie es von Juan, dem Gärtner und Mädchen für alles ihrer Großeltern, gelernt hatte. Dieser Pfiff lenkte alle Aufmerksamkeit auf sich – das Pfeifen hatte noch nie seine Wirkung verfehlt, weder bei den Kindern, ihrer Tourcrew noch bei all ihren Hunden.

„Der Streit ist vorbei, es steht unentschieden“, verkündete sie mit Nachdruck, während Clare, Shane und alle drei Hunde sie entgeistert anstarrten.

„Schwachkopf“, raunte Clare Shane zu.

„Pizzagesicht“, konterte der sofort.

Als Casey eine Hand in die Hüfte stützte und wieder zwei Finger zum Mund führte, genügte diese bloße Androhung eines weiteren Pfiffs, um sofort Ruhe einkehren zu lassen. Die Kinder zogen sich wortlos in ihre Zimmer zurück, die Hunde folgten Shane, als wollten sie erst gar keine Aufmerksamkeit auf sich lenken.

„Meine reizenden Kinder“, murmelte Casey und betrat ihr eigenes Schlafzimmer.

Der Begriff „Zimmer“ wurde diesem Raum eigentlich nicht gerecht, da er fast die Ausmaße einer Suite in einem Luxushotel hatte, die sich über eine ganze Etage erstreckte.

Beim Betreten des Zimmers kam es ihr so vor, als ob dort irgendetwas verändert oder Möbel verschoben worden wären, dabei sah alles aus wie immer – die von der Decke bis zum Boden reichenden Fenster, die einen freien Blick auf den Garten erlaubten, das verspielte antike Bett, das aus einer dem Verfall preisgegebenen italienischen Villa gerettet worden war und auf dessen vergoldetem Kopfende Nymphen und römische Gottheiten abgebildet waren, die ausladende Kommode und die Couch. Ebenso standen die Sessel, die vor dem mit Marmor verkleideten Kamin angeordnet waren, an Ort und Stelle.

Das alles war einfach viel zu groß für eine einzelne Frau, doch wenigstens hatte dieses Haus keine Räder so wie ihr Tourbus, und im Erdgeschoss gab es auch keine Rezeption wie in einem der unzähligen Hotels, in denen sie unzählige Nächte verbracht hatte. Das hier war ihr Heim, nach dem sie sich ihr Leben lang gesehnt hatte.