Bille und Zottel Bd. 07 - Ein Cowboy für Bille und Zottel - Tina Caspari - E-Book

Bille und Zottel Bd. 07 - Ein Cowboy für Bille und Zottel E-Book

Tina Caspari

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Beschreibung

"Wie vom Blitz getroffen fährt der Professor herum. Da steht Billes Pony Zottel vom Kopf bis zu den Hufen in einen weißen Brautschleier gehüllt, schnaubt und schlägt verzweifelt um sich." Wieder gerät Bille mit ihrem Freund Zottel in komische Situationen und erlebt spannende Abenteuer mit dem lustigen Pony.

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TINACASPARI

Ein Cowboy für

Bille und Zottel

Frau Beck hat ein Geheimnis

„Ich wünschte, ich wäre die heilige Johanna!“, stöhnte Karlchen und starrte verzweifelt auf einen einzelnen Strohhalm zu seinen Füßen, den Bille beim Ausfegen der Stallgasse übersehen hatte.

„Warum denn das, um Himmels willen?“

Bille vergaß vor Staunen fast weiterzukehren. Sie konnte sich Karlchen allenfalls als Wikingerfürsten vorstellen, mit seinem brandroten Schopf und den Sommersprossen auf der Nase. Aber als Jungfrau in glänzender Ritterrüstung – womöglich noch mit Heiligenschein?

„Ganz einfach!“ Karlchen lehnte sich verträumt zurück und drückte das Geschichtsbuch, in dem er gerade gelesen hatte, liebevoll an die Brust. „Ich würde zu meinen Eltern gehen und sagen: ‚Hört mal, Leute, mir ist da eben ein Engel erschienen, der mir befohlen hat, nach Frankreich zu ziehen – am besten gleich ans Mittelmeer – und dort ein neues, glücklicheres Land zu gründen, wo die Menschen frei sind von Zwang und Nötigung. Gebt mir ein Pferd und eine Rüstung, der Rest wird sich finden …‘“

„Der Vergleich hinkt doch auf allen vier Füßen!“, meinte Bille kopfschüttelnd. „Erstens hat die heilige Johanna kein neues Reich gegründet. Zweitens würdest du deine Eltern sicher nicht um ein Pferd bitten, sondern um ein neues Moped – und drittens: Was willst du mit der Rüstung? Außerdem kapiere ich immer noch nicht, warum du in Frankreich ein neues, glückliches …“

„Ach, hör doch auf!“, unterbrach Karlchen sie. „Ist das so schwer zu verstehen? Ich bräuchte meinen Eltern nichts von den drei Fünfern in Mathe zu sagen und davon, dass sie in die Sprechstunde unseres Mathelehrers kommen sollen. Es wäre einfach klar, dass ich zu Höherem berufen bin und dass so banale, irdische Dinge für mich keine Bedeutung haben.“

„Komisch, mir ist noch nie aufgefallen, dass du dich zur Heiligkeit berufen fühlst“, sagte Bille grinsend und fegte die letzten Strohhalme in eine der Boxen. „Komm, hilf mir den Hafer verteilen!“

Karlchen rutschte widerwillig von der Futterkiste hinunter und öffnete den Deckel.

„Fast nichts mehr drin! Wir müssen auf Petersen warten, der hat den Schlüssel für den Speicher.“

„Na gut – dann setz ich mich so lange in die Reithalle und schau Herrn Tiedjen bei der Arbeit zu. Du kannst ja pfeifen, wenn du mich brauchst.“

Bille verließ den Stall und ging über den Hof zur Reithalle. Es war ein ungewöhnlich milder Dezembertag, fast roch die Luft nach Frühling, aber die früh einbrechende Dämmerung erinnerte daran, dass bald Weihnachten war.

Auf dem Hof war es still. In der Küche des Gutshauses von Groß-Willmsdorf gingen die Lichter an, dort begann jetzt Frau Engelke, die Haushälterin Herrn Tiedjens, das Abendbrot vorzubereiten. Eigentlich schade, dachte Bille, so ein schönes großes Haus, in dem die meisten Zimmer nie bewohnt werden …

Auch im Büro drüben brannte Licht. Bille sah durch die Fenster die alte Gutssekretärin Frau Beck, die mit dem Verwalter, Herrn Lohmeier, und dem landwirtschaftlichen Assistenten, der scherzhaft von allen „Edmund der Weise“ genannt wurde, heftig diskutierte. Worüber die sich wohl stritten? Sicher wieder über eine der allerneuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Edmund der Weise aus einer Fachzeitschrift ausgegraben hatte und nun in der Praxis anwenden wollte. Musikberieselung für das Getreide, damit es besser wuchs, oder so was.

Bille betrat die Reithalle und hockte sich leise auf die Bank, die sich hinter der Balustrade an der Stirnseite der Halle befand.

Herr Tiedjen lächelte Bille kurz zu, dann konzentrierte sich seine Aufmerksamkeit wieder ganz auf das Pferd, das er ritt – Troilus, einen Neuling unter dem Sattel, einen bildschönen Fuchswallach, mit breiter Blesse und vier gleichmäßig weißen Fesseln. Er wird fast noch hübscher als seine Mutter Troja, dachte Bille. Ein richtiger Star, wenn er sich auch unter dem Sattel so erfolgreich entwickelt.

Troilus tänzelte und warf unruhig den Kopf hoch. Herr Tiedjen sprach leise auf ihn ein, versuchte, ihn immer wieder zu beruhigen und lobte ihn ausgiebig, wenn er etwas gut gemacht hatte.

Das Gewicht des Reiters in seinem Sattel schien Troilus noch immer durcheinanderzubringen. Kein Wunder, es war erst das zweite Mal, dass Herr Tiedjen ihn nicht an der Longe ritt. Ein halbes Jahr lang hatten der alte Petersen und Herr Tiedjen Troilus auf diesen Tag vorbereitet – hatten ihn an der Führleine daran gewöhnt, auf Kommando vorwärtszugehen und stehen zu bleiben, hatten ihn mit der Longe vertraut gemacht und täglich mit ihm trainiert. Eine mühevolle Arbeit – Bille ahnte, dass es noch lange dauern würde, bis sie die nötige Geduld und Erfahrung für eine solche Aufgabe hätte.

Troilus versuchte immer wieder, in kleinen Bocksprüngen seitlich auszubrechen, aber Herr Tiedjen saß geschmeidig im Sattel und spürte jede Bewegung im Voraus. Bille wagte kaum zu atmen, um das stumme Zwiegespräch zwischen Reiter und Pferd nicht zu stören.

Nach zehn Minuten hielt Herr Tiedjen an, lobte Troilus mit zärtlicher Stimme und stieg aus dem Sattel.

„Genug für heute. Willst du ihn rüberbringen? Anschließend möchte ich noch eine halbe Stunde mit Sinfonie arbeiten, mach sie doch bitte inzwischen fertig, ich muss noch mal ins Büro.“

„In Ordnung.“

Bille kletterte von ihrem Sitz in die Bahn hinunter und nahm Troilus am Zügel. Er war noch ganz nass vor Schweiß, der Ritt musste ihn furchtbar aufgeregt haben – trotz der Ruhe, die von Herrn Tiedjen ausging.

„Ich werde ihn noch ein bisschen führen, bis er trocken ist“, schlug Bille vor. „Und dann kräftig abrubbeln.“

„Natürlich.“ Herr Tiedjen lächelte. „Es ist mir schon so selbstverständlich geworden, dass du das machst, dass ich es gar nicht mehr erwähne.“

Er strich Bille über den Kopf und sah sie nachdenklich an. Dann wandte er sich schnell um und ging hinaus.

Bille führte Troilus auf dem Hufschlag herum und streichelte ihm liebevoll den Hals.

„Fein hast du das gemacht, mein Junge, ich bin stolz auf dich! Warte nur ab, bald gehst du unterm Sattel wie ein alter Profi.“

Hoffentlich heißt es dann nicht bald Abschied nehmen für uns, dachte sie. Der größte Teil des Nachwuchses aus dem Stall von Groß-Willmsdorf wurde mit vier oder fünf Jahren verkauft. Nur die Pferde, die offensichtlich das Zeug zu einem erfolgreichen Turnierpferd hatten, durften länger bleiben und wurden von Herrn Tiedjen persönlich im Springen ausgebildet. Und wenn sie außergewöhnlich begabt waren, dann durften sie für immer bleiben.

Hans Tiedjen war kein großer Pferdezüchter – und schon gar keiner, der systematisch vorging. Sein Gefühl und der persönliche Kontakt zu einem Pferd spielten eine große Rolle. Er musste Freundschaft zu einem Pferd empfinden, und das Pferd musste diese Freundschaft erwidern, dann war es sicher, dass er es niemals hergeben würde, auch wenn seine Leistungen hinter den anfänglichen Erwartungen zurückblieben.

So ein Fall war zum Beispiel Iris, die hübsche, zierliche Rappstute, von deren Sprungkraft und Schnelligkeit sich Herr Tiedjen große Erfolge versprochen hatte. Aber es war ihm bei aller Geduld und Liebe nicht gelungen, ihre Schreckhaftigkeit und Nervosität abzubauen. Iris wurde hysterisch, sobald sie vor einem größeren Publikum erschien, jeder Applaus von den Rängen brachte sie so durcheinander, dass sie alles vergaß, was sie gelernt hatte.

Herr Tiedjen liebte sie deshalb nicht weniger. Sie durfte bleiben und sich künftig ganz den Mutterfreuden widmen. Ihr Sohn Irrlicht war nun schon anderthalb Jahre alt und galoppierte auf langen Beinen über die Koppeln, mit seinem Altersgenossen San Francisco um die Wette.

Ähnlich war es mit Sinfonie. Auch sie war in diesem Jahr in den Stall der Pferdemütter umgezogen. Und wenn sie auch noch regelmäßig von Herrn Tiedjen geritten wurde, ihre Turnierkarriere war beendet.

Jetzt hatte Herr Tiedjen nur noch zwei Pferde, die auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit auf den internationalen Turnieren mit ihren Siegen glänzten: Nathan und Feodora.

„Wird dringend Zeit, dass der Nachwuchs herankommt“, sagte Bille zu Troilus und zupfte ihn zärtlich an der Mähne. „Also streng dich an! In drei, vier Jahren kannst du so weit sein! Wir erwarten große Dinge von dir! Na komm, es wird Zeit.“

Bille brachte Troilus in seine Box, versorgte ihn und ging zu Sinfonie hinüber, um sie zu satteln. Draußen war es inzwischen dunkel geworden, im sanften Licht der Lampen wirkte der Stall behaglich wie eine Wohnstube. Jedenfalls empfand Bille es so, für sie gab es auf der ganzen Welt keinen schöneren Platz als so einen Pferdestall, der erfüllt war von leisem Schnauben, dunklem Wiehern und fröhlichen Zurufen.

Hubert und der alte Petersen brachten Säcke mit frischem Hafer vom Speicher und füllten die Futterkiste auf. Karlchen mischte Kraftfutter für die Absetzer. Aus der hintersten Box klang ungeduldiges Wiehern herüber – Zottel beschwerte sich, dass es immer noch nicht nach Hause ging.

„Beruhige dich, Dicker, ich habe noch einen Moment zu tun. Es dauert nicht mehr lange!“, rief Bille zu ihm hinüber. Sie zog Sinfonie auf die Stallgasse hinaus, um ihr die Hufe auszukratzen.

Vor ihr wurde zögernd die Stalltür geöffnet, und der von grauen Löckchen umrahmte Kopf der Gutssekretärin wurde sichtbar. Hinter ihren dicken Brillengläsern wanderten die Augen unruhig zu der Stute hinüber, die in so geringer Entfernung etwas Bedrohliches für die ältere Frau zu haben schien.

„Frau Beck! Welch ein seltener Besuch bei uns im Stall!“, rief Bille überrascht aus. „Kommen Sie doch herein! Ruhig, Sinfonie, du willst doch unseren Gast nicht erschrecken.“

„Schon gut, ich wollte nicht weiter stören …“ Es war offensichtlich, dass Frau Beck keine Lust verspürte, in engeren Kontakt mit der nervösen Stute zu treten. Obgleich sie ihr Leben lang als Sekretärin auf Groß-Willmsdorf gearbeitet hatte, hatte sie die nähere Bekanntschaft mit den Vierbeinern auf dem Hof ängstlich gemieden. „Ist Karlchen Brodersen vielleicht da?“

„Hier! Schon zur Stelle! Was gibt’s?“, posaunte Karlchen.

„Oh, ich …“, Frau Beck zog einen Luftpostbrief hervor und hielt ihn Karlchen vor die Nase, „… ich habe mir gedacht, du hättest vielleicht Lust, dir mal wieder ein Taschengeld extra zu verdienen. Dieser Brief muss unbedingt heute noch aufs Postamt nach Neukirchen, er ist sehr dringend. Könntest du nicht schnell mit deinem Moped …“

„Und ob ich kann!“ Karlchen schnappte nach dem Brief, als habe er Angst, Frau Beck könne es sich anders überlegen. Er warf einen kurzen Blick darauf und pfiff durch die Zähne. „Hui – nach Kalifornien! Und so dringend? Worum dreht sich’s denn?“

„Aber Karlchen!“, sagte Bille tadelnd. „Das geht dich doch gar nichts an!“ Ihrer Stimme war unschwer zu entnehmen, dass auch sie liebend gern gewusst hätte, was in dem Brief stand und an wen er gerichtet war.

Frau Beck lächelte geheimnisvoll. Für einen Augenblick vergaß sie sogar, ängstlich auf Sinfonie zu achten.

„Das kann ich euch leider nicht verraten. Aber ich kann euch sagen, dass es sich um ein großes und aufregendes Geheimnis handelt. Etwas, das – nun, ihr werdet ja sehen“, unterbrach sie sich hastig, als habe sie schon zu viel verraten.

„Ein großes und aufregendes Geheimnis?“, wiederholte Bille. „Jetzt werde ich auch neugierig! Ein neues Pferd? Kauft Herr Tiedjen ein berühmtes Springpferd aus Amerika? Oder wieder so ein Nachwuchstalent wie Black Arrow?“

„Nein, nein, um ein Pferd handelt es sich diesmal ausnahmsweise nicht.“

„Nicht um ein Pferd? Ja, um was dann?“, drängte Bille.

„Tut mir leid, mehr kann ich euch wirklich nicht sagen. Und nun mach dich auf den Weg – sonst ist das Postamt geschlossen, bis du hinkommst. Hier ist das Geld.“

„Ich eile, ich fliege. Postamt Neukirchen!“ Karlchen stob davon.

„Das ist zwar nicht Frankreich, aber als Ausrede für nicht gemachte Hausaufgaben reicht’s aus“, rief Bille ihm lachend nach. „Pass auf, dass du nicht von deinem Blechross fällst, Jungfrau Johanna!“

Neuigkeiten auf Groß-Willmsdorf

Das große, aufregende Geheimnis beschäftigte Bille noch den ganzen Abend. Sie dachte daran, während sie Zottel sattelte und nach Hause ritt, sie rätselte daran herum, als bereits die ersten Häuser von Wedenbruck hinter ihr lagen und sie die Dorfstraße hinaufritt, sie grübelte weiter, während sie Zottel zu Moischele, dem kleinen Shetlandpony, in den Stall brachte, ihn absattelte und für beide Futter in den Krippen verteilte. Geistesabwesend streichelte sie ihre vierbeinigen Freunde und sagte ihnen Gute Nacht.

Mutsch stand in der Küche und bereitete Pfannkuchen zum Abendessen, die sie mit einem duftenden Ragout aus frischen Pilzen füllte. Bille schnupperte. Der Geruch nach gebratenen Speckwürfeln und gerösteten Zwiebeln erinnerte sie daran, wie hungrig sie war. Schnell zerrte sie sich die Stiefel von den Beinen und schlüpfte ins Haus.

„Na endlich!“, sagte Mutsch vorwurfsvoll. „Ich hab schon gedacht, wir müssten mal wieder ohne dich essen. Wasch dir die Hände, es ist alles fertig. Hast du wenigstens deine Hausaufgaben gemacht?“

„Klar.“

„Na, so klar ist das ja nun auch wieder nicht.“

„War nur ’ne Englischübersetzung.“

„Hm.“

Mutsch strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, dann stellte sie die Platte mit den duftenden Pfannkuchen auf den Tisch und setzte sich seufzend.

„War ein verdammt anstrengender Tag heute im Geschäft. Vor Weihnachten kaufen die Leute wie verrückt.“

„Sollte man gar nicht glauben, dass ihr das im Spar-Markt auch so merkt. Ihr führt doch kaum Geschenkartikel.“

„Aber Backzutaten.“ Onkel Paul schob sich durch die Tür, kam zu Bille herüber, gab ihr einen schmatzenden Kuss auf die Stirn, klopfte ihr auf den Rücken und murmelte etwas von „Geradehalten!“, dann setzte er sich. Sein Blick war die ganze Zeit nicht von dem Pfannkuchenberg gewichen.

„Das duftet ja lecker!“, grunzte er zufrieden und hielt Mutsch seinen Teller entgegen. „Wie kommen wir zu dem erlesenen Genuss frischer Pilze?“

„Waren so viele übrig im Laden“, erklärte Mutsch. „Heute ist kaum etwas gekauft worden davon. Und länger halten sie sich nicht.“

„Was ich immer sage – viel zu luxuriös für unsere Gegend, solche Sachen. Bei dem Preis – und vor Weihnachten denken die Leute doch nur ans Geschenkekaufen und Backen. SeIberbacken ist wieder ganz groß in Mode, sage ich euch. Die Leute haben die Fertigbackwaren dick bis obenhin!“

„Kann schon sein“, meinte Mutsch. „Wer genug Zeit hat …“

Onkel Paul ließ sich das Pilzragout auf der Zunge zergehen.

„Die Leute kaufen die Pilze nicht, sagst du? Gut – dann bestellen wir morgen gleich wieder welche. Dafür, dass wir zur Vorweihnachtszeit doppelt so viel schuften müssen wie sonst, können wir uns ruhig mal solche Extrafreuden leisten. Wo kommen die her – aus Frankreich?“

Beim Wort „Frankreich“ fielen Bille schlagartig die Erlebnisse des Nachmittags wieder ein. Sie dachte an Karlchen und an den geheimnisvollen Brief. Der verlockende Essensduft hatte ihre Überlegungen unterbrochen, jetzt wurde sie von Neuem von einer bohrenden Neugier überfallen.

„Könnt ihr euch ein aufregendes Geheimnis vorstellen, das etwas mit Kalifornien, aber nichts mit Pferden zu tun hat?“, fragte sie in die Runde.

Onkel Paul zog in komischem Entsetzen die Augenbrauen hoch.

„Man hat dich doch nicht für Hollywood entdeckt? Als Western-Braut, weiblicher Cowboy oder so etwas?“

„Ich hab doch gesagt, dass es nichts mit Pferden zu tun hat!“

„Aha, also dann vielleicht als ‚Mädchen vom Mars‘ oder so – oder sollst du die liebe Tochter in einer neuen Familienserie spielen?“

„Jetzt sei doch mal ernst! Es ist kein Geheimnis, das etwas mit mir zu tun hat – sondern mit Groß-Willmsdorf! Frau Beck hat es erwähnt, als sie Karlchen bat, einen ganz wichtigen Brief nach Kalifornien zur Post zu bringen. Wir haben sie natürlich gelöchert, um was für ein Geheimnis es sich handelt und ob Herr Tiedjen vielleicht ein berühmtes Pferd dort kaufen will. Aber sie sagt, mit Pferden hätte es nichts zu tun.“

„Kalifornien?“ Mutsch kratzte die Reste der cremigen Soße von ihrem Teller. „Lebt da nicht seine geschiedene Frau mit seinem Sohn?“

„Im Ernst? Du meinst, der Brief war an sie? Aber was ist daran so geheimnisvoll?“

„Ganz einfach. Frau Beck wollte nicht, dass ihr eure neugierigen Nasen in Herrn Tiedjens Privatangelegenheiten steckt.“

„Aber nein! Sie sprach ausdrücklich von einem aufregenden Geheimnis, das wir bald erfahren würden!“

Mutsch schaute unschlüssig zu Onkel Paul hinüber. Dann stand sie entschlossen auf und räumte die Teller zusammen.

„Dann müsst ihr euch eben noch so lange gedulden.“

„Ihr beide macht Gesichter, als wüsstet ihr mehr, als ihr mir sagen wollt!“, bohrte Bille weiter.

„Ach, das sind doch bloße Vermutungen“, wehrte Mutsch ab. „Hier, verteil mal die Kompottschälchen. Der Obstsalat steht noch im Kühlschrank.“

„Was für Vermutungen?“

Mutsch holte tief Luft.

„Wenn Herr Tiedjen euch nichts über seine Pläne gesagt hat, dann wird er seine Gründe haben. Und uns geht die ganze Sache sowieso nichts an.“

„Da bin ich nicht so sicher“, meinte Bille grübelnd. Nach einer Weile fragte sie: „Wie alt ist eigentlich der Sohn von Herrn Tiedjen?“

„Keine Ahnung. Das ist alles so lange her.“ Mutsch hatte offensichtlich keine Lust, noch länger über dieses Thema zu reden.

Bille holte die Schüssel mit dem Obstsalat aus dem Kühlschrank und stellte sie auf den Tisch.

„So alt wie du ungefähr“, brummte Onkel Paul. „Kann auch ein bisschen älter sein. Er war ja noch klein, als sie mit ihm zurück nach Amerika ging.“

„Und er ist inzwischen nie hier gewesen?“

„Nicht, dass ich wüsste. Tiedjen war wohl ein paarmal in Kalifornien und hat sie besucht.“

Mutsch warf Onkel Paul einen warnenden Blick zu.

„Na ja, deine Mutter hat recht. Wir sollten uns da nicht in Spekulationen ergehen. Herrn Tiedjens Privatangelegenheiten haben uns nicht zu interessieren. Und dich auch nicht, verstanden? Tu mir einen Gefallen und quatsch nicht mit deinen Freunden über das, was du eben gehört hast. Nicht, bevor es dir Herr Tiedjen selber erzählt.“