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Beschreibung

Die Vorstellung, dass die Natur als Vorbild für menschliches Handeln herangezogen werden kann, lässt sich als Leitmotiv in verschiedenen Denkschulen finden. Wie allerdings dieses Leitmotiv ausgelegt wird, kann sehr unterschiedlich ausfallen. Welche vermeintlichen Naturprinzipien als Vorbild wofür verwendet werden, hängt auch von der jeweiligen Kultur und ihren unterschiedlichen Weltbildern ab. Heute wird das Motiv eines Lernens von der Natur ganz von einer, immer sichbar werdenden, von Menschen verursachten ökologischen Krise geprägt. Kann eine Biologische Tranformation mit an der Biologie orientierten Technologien und Wirtschaftsweisen dazu beitragen, dieser ökologischen Krise entgegenzutreten? Diese Frage stand im November 2019 im Zentrum einer interdisziplinären Debatte, die auf einer von der Fraunhofer Gesellschaft, Fraunhofer UMSICHT, dem Zentrum für medizinischen Biotechnologie der Universität Duisburg-Essen und dem Museum für Naturkunde Berlin ausgerichteten Tagung geführt wurde. Das vorliegende Buch gibt die dort vorgetragenen unterschiedlichen Perspektiven in elf Beiträgen wieder.

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Seitenzahl: 267

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Biologische Transformation – Interdisziplinäre Grundlagen für die angewandte Forschung

Herausgegeben von

Thomas Marzi Hans Werner Ingensiep Heike Baranzke

Verlag Karl Maria Laufen

Die Texte in diesem Buch sind schriftliche Fassungen von Beiträgen der Tagung

»Biologische Transformation – Interdisziplinäre Perspektiven für die angewandte Forschung«.

Die von der Fraunhofer-Gesellschaft unterstützte Veranstaltung fand am 21. und 22.11.2019 im Museum für Naturkunde Berlin statt. Der Veranstaltung war bzw. ist ebenso wie der vorliegende Band eine wissenschaftliche Kooperation der Partner

Fraunhofer UMSICHT

Zentrum für medizinische Biotechnologie der Universität Duisburg-Essen Museum für Naturkunde Berlin

Kontakt:

Dr. Thomas Marzi

Fraunhofer-Institut für Umwelt-,

Sicherheits- und Energietechnik

UMSICHT

Osterfelder Str. 3

46047 Oberhausen

Telefon 0208 8598-1230

E-Mail [email protected]

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN print: 978-3-87468-436-1

ISBN pdf: 978-3-87468-433-0

ISBN mobi: 978-3-87468- 434-7

ISBN epub: 978-3-87468-435-4

Warenzeichen und Handelsnamen in dieser Publikation sind geschützt. Für Zitate und Bezugnahmen direkt oder indirekt auf Gesetze, Vorschriften oder Richtlinien übernimmt der Verlag keine Gewähr für Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität.

Autorinnen, Autoren und Herausgebende haben sich bemüht alle Bildrechte zu klären. Sollte dies im Einzelfall nicht oder nichtzutreffend gelungen sein, wird um Nachricht an den Verlag gebeten.

Titel: Bildausschnitt aus »Der Wanderer über dem Nebelmeer«, Caspar David Friedrich, ca. 1817

© Verlag Karl Maria Laufen

Oberhausen 2021

www.laufen-online.com

»Wie oft ist das, was in der Maske einer Antwort daherkommt, in Wirklichkeit eine Frage.«

Richard David Precht1

Wir danken Frau Astrid Pohlig und Frau Kerstin Hölscher für ihre Unterstützung bei der Erstellung dieses Buches.

Herrn Prof. Dr.-Ing. Eckhard Weidner, Frau Cornelia Reimoser, Herrn Dr. Christoph Häuser, Herrn Volker Knappertsbusch, Frau Sandra Naumann, Frau Astrid Pohlig, Frau Ute Gessner, Frau Leandra Hamann, Frau Anja Gerstenmeier, Frau Kerstin Hölscher und Herrn Dr. Jörg Freyhof sind wir für ihre Unterstützung bei der Veranstaltung, die diesem Buch zugrunde liegt, dankbar.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Thomas Marzi

1Zur Einleitung:Lernen von der Natur?

Markus Wolperdinger, Thomas Bauernhansl

2Die Biologische Transformation der Produktion – Einführung einer biointelligenten Wertschöpfung

Oliver Schwarz

3Vorbilder aus der Natur – worin besteht der Mehrwert?

Thomas Marzi

4Was ist »Biologische Transformation«?

Alfred Nordmann, Janine Gondolf

5Biotheorie und Bioparodie – Zur Transformation literarischer und biologischer Gattungen

Ulrich Krohs

6Evolution und Entwicklung – universelle Konzepte?

Marco Lehmann-Waffenschmidt

7Zur Analyse der Evolution der Wirtschaft – Kontingenz, kontrafaktische Methode und Kausalität

Klaus-Stephan Otto

8Transformationsprozesse in Natur und Wirtschaft

Joachim Boldt

9Biologische Technik – Technische Biologie. Ethische Einordnungen

Heike Baranzke

10Anstelle eines Schlusswortes I: Die Sehnsucht nach der guten Technik. Zur Urteilsbildung über die biologische Transformation der Technik

Hans Werner Ingensiep

11Anstelle eines Schlusswortes II: Natur, Technik & Ethik – Reflexionen und Fragen zur Natur als Vorbild

Endnoten

Zur Einleitung:

1Lernen von der Natur?

Thomas Marzi, Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT

Ist Natur kreativ?

Obwohl er eine der herausragenden Persönlichkeiten der Nachkriegszeit war, werden die meisten der heute unter Vierzigjährigen mit dem Namen Hoimar von Ditfurth nicht mehr viel anfangen können. Viele Ältere werden sich jedoch an den 1989 verstorbenen Mediziner, Wissenschaftsjournalisten, Philosophen und Autor mehrerer Bestseller erinnern, weil er mit seinem Wirken ihr eigenes Interesse an Wissenschaft und Ökologie weckte. (Löhr 2014) Besondere Aufmerksamkeit erzielte von Ditfurth mit einer populärwissenschaftlichen Fernsehreihe, die von ihm gemeinsam mit dem Physiker und Wissenschaftsjournalisten Volker Arzt gestaltet wurde. »Querschnitt«, so der Titel der Reihe, wurde von 1971-1989 im ZDF ausgestrahlt. Die Inhalte einiger ihrer Folgen sind heute noch aktuell, wie eine Folge aus dem Jahr 1978 »Der Ast, auf dem wir sitzen - Die Balance der Biosphäre«. In ihr informierte von Ditfurth die Öffentlichkeit über die weitreichenden Folgen eines zu erwartenden Klimawandels. Damals schon beschrieb er ein Szenario, dass eine Erhöhung der mittleren globalen Temperatur um zwei bis drei Grad bis zum Jahr 2050 prognostizierte (Boeing 2019).

In einer anderen Folge, die im Februar 1975 ausgestrahlt wurde und den Titel »Phantasie der Schöpfung« trug, machte von Ditfurth das Fernsehpublikum erstmals, mit einer damals noch neuen Forschungsrichtung, der Bionik vertraut. Zusammen mit dem heute als Mitbegründer der Bionik bekannten Werner Nachtigall, ging er der Frage nach, wie sich Konstruktionsprinzipien aus biologischen Systemen auf technische Anwendungen übertragen lassen. Wie stabil ist ein rohes Hühnerei und wie stark kann man es zwischen dem oberen und dem unteren Ende zusammenpressen, ohne dass es kaputtgeht, waren die Fragen, denen in der Sendung, auch mithilfe eines Gewichthebers, nachgegangen wurde (Ditfurth 1993, S. 218–241). Das Ergebnis war erstaunlich: Die 0,3 mm dicke Eischale konnte einer Kraft, die dem Viertausendfachen ihres eigenen Gewichts entspricht, standhalten. Diese Stabilität hat die Eischale ihrem besonderen Aufbau zu verdanken, der die Form eines doppelten Gewölbes hat und einwirkende Kräfte längs der Schale verteilt.

Soweit die Erklärung, wie der mechanische Aufbau und die Stabilität der Eischale zusammenhängen. Sie stellt zufriedenstellend klar, wie bei der Eischale eine dermaßen hohe Stabilität erreicht wurde. Eine wichtige Frage bleibt jedoch unbeantwortet: Woher kommt die Idee für den Aufbau der Eischale? Müssen wir nicht, so fragt von Ditfurth (Ditfurth 1993, S. 221), da das Haushuhn selbst keine Ingenieurin ist, »der Natur insgesamt eine Art Intelligenz zuschreiben […] die unserem viel gepriesenen technischen Verstand durchaus ebenbürtig oder überlegen ist?« »Wo immer man biologische Zusammenhänge durchschaut, scheint sich diese Schlussfolgerung aufzudrängen«, schreibt von Ditfurth weiter.

Wenn es diese Art von Intelligenz, von der Hoimar von Ditfurth hier spricht, in der Natur gibt und wenn diese Intelligenz der menschlichen Ingenieurskunst sogar überlegen ist, wäre es dann nicht klug, sich bei technischen Entwicklungen zukünftig mehr an der Natur zu orientieren? Wenn sich auf diese Weise technische Lösungen entwickeln lassen, kann es sich dann nicht sprichwörtlich lohnen, von der Natur zu lernen?

Der Gedanke, Technik an der Natur zu orientieren, übt auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon seit Langem eine inspirierende Faszination aus. In Forschungsansätzen unterschiedlicher Zeiten wird deshalb immer wieder ein Leitmotiv sichtbar, das als »Lernen von der Natur« bezeichnet werden kann. Es findet sich in der Renaissance in den Arbeiten Leonardo da Vincis und in den heutigen Wissenschaften u. a. in der bereits genannten Bionik. Das Motiv prägt eine wissensbasierte Bioökonomie und ist nicht zuletzt unter der Bezeichnung »Biologische Transformation« auch in einem, von der Fraunhofer-Gesellschaft entwickelten, aktuellen Forschungskonzept als Paradigma erkennbar. Die Begriffe »biologisch« und »natürlich« werden dabei oft gleichwertig verwendet. Was sie unter Biologischer Transformation verstehen, definieren im vorliegenden Band Thomas Bauernhansl und Markus Wolperdinger in ihrem Beitrag (Kapitel 2). Sie gehen von einer systematischen Anwendung des Wissens über die Natur aus und zielen auf eine Konvergenz von Bio- und Technosphäre. Im Fokus stehen bei ihnen Fertigungssysteme, die mithilfe einer Biologischen Transformation optimiert werden sollen. Biologische Transformation, Bioökonomie und Bionik sind dabei eng miteinander verwobene Konzepte.

Ist eine von der Natur abgeschaute Technik naturverträglicher?

Neben dem innovativen Potenzial, das der Natur zugesprochen wird, verbindet sich mit dem Begriff eines Lernens von der Natur auch die Hoffnung, dass sich auf diese Art und Weise auch Lösungen für die aktuelle ökologische Krise finden lassen; bei der es sich um dieselbe Krise handelt, die bereits Hoimar von Ditfurth in seiner Sendung aus dem Jahr 1978 beschrieben hat. Sie hat sich seitdem verschärft und bedroht uns inzwischen existenziell.

Zu der Zeit, als die Querschnitt-Folge ausgestrahlt wurde, war das Thema Klimawandel für die meisten Fernsehzuschauer noch neu. Vielfach wurde den Prognosen entgegengehalten, dass man ja nicht wissen könne, ob die Modelle der Klimaforscher denn stimmen. »Vielleicht kommt alles ja ganz anders«, »Die Natur wird das schon aushalten und regeln« und »Die Wirtschaft muss Vorrang haben« waren oft zu hörende Argumente, die eine ernsthafte gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Klimawandel verhinderten.

Auch wenn diese Argumente teilweise noch heute verwendet werden, ist die aktuelle Situation anders. Heute wissen wir sicher, dass der mit der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung verbundene Ressourcenverbrauch und die damit einhergehenden Emissionen die globalen Stoffkreisläufe stören, die Atmosphäre, Ozeane und Böden massiv schädigen, das Klima relevant verändern und die Artenvielfalt dramatisch reduzieren. Die Veränderungen sind inzwischen so groß, dass bereits nur noch etwa ein Drittel des eisfreien Landes auf der Erde noch als Wildnis bezeichnet werden kann und der größte Teil der der Masse aller Wirbeltiere besteht inzwischen nicht mehr aus Wildtieren, sondern aus Nutztieren. (Williams 2015). Die ökologische Krise hat sich inzwischen so verschärft, dass auch ihr Potenzial eine soziale und ökonomische Krise auszulösen erkennbar ist. Ohne eine ökologische Grundlage ist nämlich auch die menschliche Existenz mit ihrer sozialen und wirtschaftlichen Dimension nicht denkbar.

Die Erkenntnis, dass die Art und Weise wie wir Technik bisher einsetzen, zu den ökologischen Problemen führt, die wir heute beobachten, lässt ein grundsätzliches und nicht vermeidbares Dilemma erkennen: Auf der einen Seite können wir unsere Lebensgrundlagen nicht ohne Technik erhalten, auf der anderen Seite führt aber gerade die Anwendung von Technik zur Bedrohung dieser Lebensgrundlagen. Kann uns also eine Technik, die von der Natur abgeschaut wird, aus diesem Dilemma befreien? Damit sie das kann, muss sie »naturgemäßer« oder zumindest »naturverträglicher« sein, als die Technik, die die bisherige Basis unserer Industriegesellschaft bildet (Gleich 1998, S. 7). Dass eine biologisch inspirierte Technik diese Qualität hat und deshalb einen nachhaltigen Beitrag zu einem zukünftigen Wirtschaften leisten kann, ist eine oft zu findende Ansicht (Dieckhoff 2019; Neugebauer 2019).

Wenn wir jedoch auf das Lernen von der Natur so viel Hoffnungen setzen, ist es von außerordentlicher Bedeutung vom wem oder von was wir da eigentlich lernen sollen oder wie Hoimar von Ditfurth bereits fragte (Ditfurth 1993, S. 221), wer »optimierte das Hühnerei und entwarf dessen geniale Form?«

Diese Frage nach dem »Wer«, die von Ditfurth ins Spiel bringt, wirft gravierende weitere Fragen auf, sie beinhaltet, zumindest sprachlich, die Suche nach einem Subjekt, das die Optimierung der Eischale vorgenommen hat. Die Natur als ein solches Subjekt zu beschreiben, sie quasi als Ingenieurin zu verstehen, ist jedoch äußerst problematisch. Um den Aufbau der Eischale zu erklären, berufen sich die Erklärungsmuster der Biologie nämlich nicht auf eine Zwecksetzung durch einen äußeren Willen oder ein Ziel, das in der Natur enthalten ist. Obwohl biologische Sprache nicht ohne teleologische Metaphern1auskommt, ist in der Biologie, kein Platz für ein zielsetzendes »Wer«. Biologische Sprache und biologisches Weltbild passen hier nicht richtig zusammen, da teleologische Deutungskonzepte von zielorientierten Entwicklungen ausgehen, während das Weltbild der Evolutionsbiologie eine willentliche Gestaltung ausschließt und stattdessen von einem Wechselspiel aus Variation und Selektion ausgeht, dass die Entwicklung von Lebewesen erklären soll. Ein einfacher Verweis auf die Kreativität der Natur als solches hilft hier nicht weiter, weil sie das kreative Potenzial mit »der Natur« einem abstraktem »Etwas« unterstellt, von dem sich schwer sagen lässt, was es denn eigentlich ist. So gehört die Frage, was Natur ist, zu den ältesten und grundlegendsten der Philosophie überhaupt (Kather 2012, S. 7). Sie ist bis heute umstritten und auch Werner Ingensiep geht in seinem Beitrag (Kapitel 11) dieser Frage nach.

Was ist Natur?

Für Forschungsthemen, die sich am Leitbild Natur orientieren, hat die Frage, was mit der als Vorbild verwendeten Natur gemeint ist, eine entscheidende Bedeutung. Eine Reflexion was Natur ist, mitsamt einer Analyse der vielfältigen Antworten darauf, ist eine wichtige Voraussetzung, um die Naturbilder, an denen sich die jeweiligen Forschungsthemen – meist ohne es zu wissen – orientieren, zu identifizieren und zu bewerten. Letzteres ist ein notwendiger Prozess, der von der angewandten Forschung noch zu leisten ist! Der Umfang, den eine solche Reflexion hat, ist allerdings groß, sodass ihr hier nicht mit der gebotenen Ausführlichkeit nachgegangen werden kann. Grob zusammengefasst kann jedoch geschichtlich zwischen »monistischen« und »dualistischen« Naturvorstellungen unterschieden werden. In monistischen Vorstellungen wird die Natur mit allem was existiert, philosophisch ausgedrückt mit dem ganzen Seienden, gleichgesetzt. Wir finden solche Vorstellungen u. a. bei vorsokratischen Philosophen wie Heraklit, der die »physis«2, wie die Griechen dieses ganze Seiende nannten, als etwas interpretierte, dass Dinge, Lebewesen, Menschen und das Göttliche enthielt.

Auch die modernen Naturwissenschaften, setzen scheinbar ein umfassendes Ganzes als Natur voraus, von dem sie annehmen, dass es eine weitgehend kausale Organisation3 hat, die mathematisch erfasst werden kann. Dieses Ganze ist jedoch etwas Anderes als die physis der Griechen. Während die physis alle Dinge, alle Lebewesen mitsamt den Menschen und Göttern umfasste, benötigt das Konzept der Naturwissenschaften Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die den Prozessen, die sie in der Natur untersuchen als erkennende Subjekte gegenüberstehen. In der Entwicklung der naturwissenschaftlichen Methode ist also schon eine dualistische Vorstellung von Natur enthalten, in der eine determinierte Natur von einer durch den menschlichen Geist geprägten Sphäre unterschieden wird.

Eine dualistische Sichtweise findet sich bereits bei Aristoteles, für den Natur all das ist, was ohne menschliches Zutun entstanden ist (Schiemann 1996b, 17ff). Kultur, zu der auch die Technik gehört, wird somit bereits durch Aristoteles von der Natur unterschieden, eine Sichtweise, der die meisten Menschen wahrscheinlich intuitiv zustimmen würden. In dualistischen Naturvorstellungen kann Natur immer nur in Abgrenzung zur Kultur oder zu etwas anderem, beispielsweise einer göttlichen Sphäre definiert werden. Umgekehrt wird Kultur in Abgrenzung zur Natur gedacht, sodass Natur und Kultur mitsamt der Technik als Gegenpole verstanden werden, die ohne Bezug auf das jeweils Andere nicht beschrieben werden können (Schiemann 1996a).

Auch im Konzept einer Biologischen Transformation finden sich verschiedene Naturmotive als Deutungskonzepte wieder. So nimmt es eine Trennung zwischen Natur und Kultur (Technik) zum Ausgangspunkt und formuliert, mit der im Beitrag von Thomas Bauernhansl und Markus Wolperdinger (Kapitel 2) genannten Konvergenz aus Biosphäre und Technosphäre, eine Vision, in der diese Trennung aufgehoben wird. Diese Vermischung der meist getrennt gedachten Bereiche Natur und Kultur (Technik) zeigt sich bereits in der Biotechnologie und Gentechnik, deren Gegenstände sowohl natürliche wie auch technische Aspekte haben. Unsere Gewohnheit, Natürliches und Technisches strikt voneinander zu trennen, entspricht also nicht den Gegebenheiten, wie wir sie heute vorfinden. Von Einigen, beispielsweise von den Soziologen Michel Callon und Bruno Latour, wird diese Trennung nicht nur als falsch angesehen, sondern sogar als Hauptursache der ökologischen Krise ausgemacht. Die Aufhebung der Natur-Kultur-Trennung ist deshalb auch das Ziel der von ihnen ab den 1980er Jahren federführend entwickelten »Akteur-Netzwerk-Theorie«. Die Theorie »zielt […] darauf […]: die Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Natur bzw. zwischen Gesellschaft und Technik aufzubrechen« (Schulz 2000). Im Fokus stehen die Eigenschaften und Verhaltensweisen der an einem Netzwerk beteiligten, belebten oder unbelebten Natur, die der involvierten technischen Artefakte und sowie der betreffenden sozialen Akteure, Normen oder Institutionen; sie alle werden als Handlungssubjekte eines Netzwerks interpretiert. (Schulz 2000)

Im interdisziplinären Diskurs wird das Gespräch über Natur und Kultur durch eine Grenzlinie behindert, die viele Naturwissenschaftlerinnen und –wissenschaftler von ihren geisteswissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen trennt. Auf der einen Seite der Grenzlinie finden sich eher naturalistische und auf der anderen Seite eher kulturalistische Positionen. Im »Naturalismus« wird die Kultur als Produkt der Natur aufgefasst und im »Kulturalismus« ist Natur ein kulturelles Konstrukt. Das Eine geht jeweils in dem Anderen auf bzw. ist dessen Produkt. Bei einem Diskurs über eine Biologische Transformation, die eine Konvergenz von Bio- und Technosphäre postuliert, ist deshalb zu fragen, ob dabei das Technische im Natürlichen oder das Natürliche im Technischen aufgeht. Es ist eine offene interdisziplinäre Diskussion erforderlich, um zu vermeiden, dass »das Biologische« bzw. »das Natürliche« nur als Legitimation herangezogen wird, damit das Technische umgesetzt werden kann. Für einen partizipatorischen Prozess, der sich mit der Akzeptanz des Konzepts einer Biologischen Transformation auseinandersetzt, wird diese Frage von großer Wichtigkeit sein.

Prinzipien der Natur, Prinzipien der Biologie?

Wenn nun aber schon die Einordnung des Naturbegriffs äußerst kompliziert ist, so ist die Identifizierung von Natur-Prinzipien oder biologischen Prinzipien nicht einfacher. Biologische Prinzipien sind etwas Anderes als gesetzmäßige Zusammenhänge in der Physik oder Chemie.

Auch generelle Aussagen zur Natur können in einem oder mehreren Jahrhunderten ganz anders aussehen als heute. Solche Aussagen, mit denen Allgemeingültiges über die Natur ausgesprochen wird, sogenannte »Die Natur ist-Sätze« sind deshalb mit äußerster Vorsicht zu bewerten. »Die Natur ist ein System!«, »Die Natur arbeitet in Kreisläufen!« und »Die Natur ist effizient!« sind Aussagen, die in diese Kategorie gehören. Oft werden sie auch mit einer Schlussfolgerung verknüpft, die sich aus dem vermeintlichen Naturprinzip ergibt. Auf eine dieser Annahmen, die besagt, dass die Natur effizient ist, soll im Folgenden kurz eingegangen werden.

Es ist richtig, dass bionische Anwendungen effizienter sein können als herkömmliche technische Anwendungen. Aber lässt sich hieraus der Schluss ziehen, die Natur selbst ist effizient und Effizienz damit ein Prinzip der Natur? Viele Prozesse in der Natur lassen sich durchaus unter diesem Blickwinkel betrachten. So ist es möglich, den Materialaufwand zu messen und zu bewerten, der für einen zu erzielenden Nutzen, beispielsweise die Stabilität einer Hühnereischale, benötigt wird. Viele Prozesse und Produkte in der Natur erscheinen, wenn wir diesen Blickwinkel einnehmen, als ausgesprochen effizient. Viele, aber nicht alle! Beispielsweise ist die Energieumwandlung durch pflanzliche Photosynthese in Bezug auf die pro Flächeneinheit umgewandelte Energie deutlich ineffizienter als technische Photovoltaik-Anwendungen (Fratzl 2019, S. 50) und wie ressourceneffizient Prozesse in Lebewesen organisiert sind, hängt auch davon ab, wie viele Ressourcen zu Verfügung stehen. Effizienz wird nur dann wichtig, wenn Ressourcen knapp sind. (Vincent 2002)

Zu berücksichtigen ist auch, dass es sich bei Effizienz um ein quantitatives Konzept handelt, dass nur angewendet werden kann, wenn sich sowohl der Nutzen wie auch der Aufwand quantifizieren lassen. Effizienzdenken stößt immer da an seine Grenzen, wenn es nicht um quantitativ messbare Dinge geht, sondern um Qualitäten. Während wir in Technik und Ökonomie nämlich in der Regel einen Nutzen klar benennen können, ist das in der Natur nicht der Fall. Was soll »der Nutzen« in der Natur sein? Ist es das Überleben, die Fortpflanzung, die Arterhaltung? Wäre der Nutzen so zu erfassen, müssten wir auch die Frage beantworten, warum sich immer komplexere Lebensformen entwickelt haben. Wäre es nicht effizient, wenn es nur Lebewesen wie »Haarsterne« gäbe? Haarsterne sind in der Tiefsee lebende Tiere, die sich nur wenige Zentimeter pro Jahr fortbewegen und keine Energie darauf verwenden, die eigene Körpertemperatur aufrechtzuerhalten (Weber 2010). Die Tiere kommen mit dieser Art zu leben bestens klar. Bestünde der Nutzen in der bloßen Arterhaltung, dann stellt sich die Frage, warum es so etwas wie energieverschwendende Warmblüter überhaupt gibt. Überleben und sich fortpflanzen können Haarsterne auch und sie tun das mit einem äußerst geringen Aufwand.

Das Beispiel zeigt, dass Effizienz in der Natur möglicherweise nicht unwichtig ist, keinesfalls aber von anderen Aspekten isoliert bewertet werden darf. So eröffnet eine konstante, ausreichend hohe Körpertemperatur, wie sie bei warmblütigen Tieren vorliegt, vermutlich ein reichhaltigeres Innen- und ganz anderes Sozialleben, als es bei wechselwarmen Tieren möglich ist. Hier reden wir jedoch über eine Qualität und nicht über eine quantitativ messbare Größe. Die Qualität »Warmblütigkeit« lässt sich nicht mithilfe des Effizienzgedankens erfassen. Effizienz, als leitendes biologisches Prinzip zu verstehen, greift deshalb viel zu kurz.

Wenn wir von Effizienz in der Natur sprechen, nehmen wir ein technoökonomisches Kosten-Nutzen Denken in unsere Vorstellung von Natur hinein und vermeinen es dort als biologisches Prinzip zu erkennen. Versuchen wir dann dieses Prinzip wieder in Technik, Wirtschaft oder gar die Gesellschaft zu übertragen, erfolgt eine Rückübertragung, die ggf. Dinge und Prozesse als »natürlich« legitimiert, obwohl sie es vielleicht gar nicht sind.

Begriffsübertragungen, wie sie eben beschrieben wurden, sind in der Geschichte der Wissenschaften nicht ungewöhnlich. Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen Erkenntnisse aus einem Fachgebiet inspirierend auf Untersuchungen in anderen Fachgebieten einwirkten. Beispielsweise integrierte Carl von Linné ökonomische Gedanken in seine Lehre vom Naturhaushalt, Charles Darwin griff zur Erläuterung seiner Evolutionstheorie auf Begriffe des britischen Ökonomen Thomas Robert Malthus zurück und Erkenntnisse zu biologischen Systemen wurden von Biokybernetikern aus technischen Systemsteuerungen abgeleitet. Werden diese Gedanken nun wieder in den technischen, ökonomischen oder sozialen Bereich zurücktransferiert, ist eine kritische Reflexion dieses Vorgangs erforderlich. Zu berücksichtigen sind die mit der Übertragung verbundenen, unterbewussten und bewussten Vorstellungen und Ziele.

Und die Ethik?

Leider hat es in der Geschichte nicht an Versuchen gefehlt, vermeintliche biologische Prinzipien auf die menschliche Gesellschaft zu übertragen. Vor allem im 20. Jahrhundert geschah dies mit fatalen Folgen. So orientierte sich die nationalsozialistische Ideologie auch am Verhalten von Tieren und angeblichen, aus der Evolutionstheorie ableitbaren Grundsätzen der Natur, um ihr Gesellschaftsmodell zu begründen. Diesen »Sozialdarwinismus«, betrachtet u. a. Gregor Schiemann (Schiemann 1996b) als extremen Teil einer »allgemeine(n) Tendenz der spätneuzeitlichen Wissenschaft, den Anwendungsbereich von Naturgesetzen und experimentellen Verfahren auf die Bereiche der menschlichen Gemeinschaft und Gesellschaft auszudehnen«. Als neueres Beispiel für diese Tendenz soll hier nur auf die, um das Jahr 2000 herum, erfolgte Debatte um sogenannte »konvergierende Technologien« (»Converging Technologies«) Bezug genommen werden. Sie wurde unter der Bezeichnung »NBIC4-Konvergenz« in den USA initiiert und basierte auf einer postulierten Wechselwirkung zwischen den Themengebieten Nano-, Bio- und Informationstechnik sowie den Kognitionswissenschaften, von der bahnbrechende Innovationen erwartet wurden. Während sich das Gespräch über die NBIC-Konvergenz in Europa vor allem an forschungspolitischen Fragen orientierte, war die Diskussion in den USA eher weltanschaulich geprägt. Die Initiatoren des US-amerikanischen Diskurses, Mihail Roco und Sims Bainbridge gingen von einer zunehmenden Vereinheitlichung unterschiedlicher Wissenschaften und Technologien aus (Roco 2003). Sie verwenden dabei den Begriff einer »materiellen Einheit auf der Nanoebene« (Coenen 2008; Roco 2003), der zu einem »hierarchischen Verständnis von Wirklichkeit« führt und zur Erklärung der gesamten Natur, dem menschlichen Gehirn sowie von sozialen und kulturellen Prozessen herangezogen werden kann. Komplexe soziale Zusammenhänge wurden dabei auf Gesetzmäßigkeiten auf der Nanoebene zurückgeführt. Zurecht kritisiert wurde das Leitbild der NBIC-Initiative, das sich an einer Optimierung von Menschen orientierte. Extrempositionen gingen dabei sogar von einer »Ergänzung, Ersetzung oder Abschaffung der Menschheit« durch posthumane Wesen aus (Coenen 2014).

Das hier angesprochene Beispiel, die Debatte um die NBIC Konvergenz, ist in seinen Tendenzen sicherlich extrem. Es zeigt jedoch deutlich, wie wichtig es ist, Forschungsprogramme ethisch zu reflektieren. Das gilt besonders, wenn Lebendiges oder sogar Menschen einbezogen sind. Werden Prinzipien aus der Natur in andere Bereiche transformiert oder Lebendiges und Technisches kombiniert, so hat das immer auch eine ethische Dimension. Auch das Thema Nachhaltigkeit, als ein ethisch-moralisches sowie handlungsleitendes Prinzip, spielt dabei eine besondere Rolle.

Ist eine von der Natur abgeschaute Technik nachhaltig?

Wie oben beschrieben, wird die Entwicklung von Technologien und Prozessen, die sich an der Natur orientieren mit der Hoffnung verbunden, dass sie eine naturverträglichere Technik ermöglichen und so zu einem nachhaltigen Wirtschaften beitragen. (Neugebauer 2019; Dieckhoff 2019). Die Frage nach Nachhaltigkeit kann jedoch nicht universell beantwortet werden, haben wir es doch in der Bionik, in der Bioökonomie und bei der Biologischen Transformation mit einer Reihe sehr unterschiedlicher Themen, Technologien und Konzepte zu tun. Sie müssen jeweils für sich geprüft und bewertet werden. Beispielsweise ist die wasserabweisende Wirkung von Oberflächenstrukturen, die den Vorbildern von Pflanzenblättern entnommen wurden (Lotus-Effekt), etwas völlig anderes, als die gentechnische Veränderung eines Lebewesens. Die Erwartung von Nachhaltigkeit darf deshalb nicht auf der ggf. bewusst oder unbewusst getroffenen Annahme gründen, dass Etwas, dass sich in seiner Funktion oder seinem Material ihn ähnlicher Weise in der Natur finden lässt, auch in seinen Auswirkungen mit der Natur kompatibel ist.

Wichtiger als die Orientierung an biologischen Prinzipien wird es auf dem Weg zu einem ökologisch verträglichen Wirtschaften möglicherweise sein, die gesellschaftlichen Stoffumsätze mehr als bisher an die Größenordnungen anzupassen, die in Ökosystemen umgesetzt werden. Dass hier eine große Diskrepanz vorliegt wird deutlich, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass der jährliche Verbrauch von Erdöl und Erdgas, der globalen Lebensleistung von mehreren hunderttausend Jahren Plankton-Population entspricht (Steininger 2017). Es wird deshalb darauf ankommen, die in diesen Ökosystemen umgesetzten Stoffmengen und die Zeit, in der sie umgesetzt werden, zu berücksichtigen. Konkret heißt das, sich auch auf die Anfänge bioökonomischen Denkens zu besinnen, die in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts entstanden und dem gedanklichen Umfeld von Dennis und Donella Meadows zuzuordnen sind. Die Botschaft der Eheleute Meadows in ihren 1972 mit »Die Grenzen des Wachstums« betitelten Bericht des Club of Rome (Meadows 1972) war, dass auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen ein grenzenloses Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum nicht möglich ist.

Diesem ursprünglichen bioökonomischen Denken sind auch die Arbeiten von Ökonomen wie Nicholas Georgescu-Roegen (Georgescu-Roegen 1987) und Herman Daly (Daly 1968; Daly 2015) zuzurechnen. Sowohl Daly wie auch Georgescu-Roegen entwickelten bioökonomische Wirtschaftsmodelle, die sich an thermodynamischen Prinzipien orientieren. Ihre Modelle können als Vorläufer heutiger Vorstellungen über eine Postwachstumsökonomie betrachtet werden. Sie hängen eng mit dem Nachhaltigkeitsdenken zusammen. Mit dem Begriff der Bioökonomie sollte ursprünglich der biologische Ursprung aller Wirtschaftsprozesse hervorgehoben und auf den begrenzten Vorrat ungleich verteilter natürlicher Ressourcen hingewiesen werden. In dieser Lesart der Bioökonomie ist die Erneuerung der Ressourcen, die für wirtschaftliche Zwecke verwendet werden, der entscheidende Aspekt. (Giampietro 2019). Es wird deshalb nicht ausreichen, ressourceneffizient zu wirtschaften. Zusätzlich gefragt sind auch Konsistenz- und Suffizienzstrategien.

Die Tagung »Biologische Transformation – Interdisziplinäre Perspektiven für die angewandte Forschung«

Die Ausführungen in diesem einleitenden Kapitel sollten zeigen, dass ein Konzept, welches das Lernen von der Natur voraussetzt und biologische Erkenntnisse in andere Bereiche übertragen möchte, äußerst komplex und vielschichtig ist. Es lässt sich nur interdisziplinär erschließen und reflektieren. Am 21. und 22.11.2019 kamen deshalb im Museum für Naturkunde Berlin Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sowie Vertreterinnen und Vertreter der Presse, von NGOs und Projektträgern zu einer von der Fraunhofer-Gesellschaft, dem Zentrum für medizinische Biotechnologie der Universität Duisburg-Essen und dem Museum für Naturkunde Berlin ausgerichteten Tagung zusammen. Der Titel der Tagung »Biologische Transformation – Interdisziplinäre Perspektiven für die angewandte Forschung« zeigt an, dass es das Ziel der Tagung war, unterschiedliche Fachrichtungen zu einem interdisziplinären Diskurs über das Thema biologische Transformation anzuregen. Teil nahmen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen Ingenieur- und Naturwissenschaften, Bionik, Soziologie, Wirtschaftswissenschaften, Psychologie sowie Technik- und Biophilosophie. Die in diesem Band enthaltenen Artikel sind verschriftliche Beiträge der Tagung. Leider lagen nicht alle Beiträge in schriftlicher Form vor, sodass sicherlich wichtige Impulse noch fehlen.

Nach dieser Einleitung findet sich ein Beitrag von Thomas Bauernhansl und Markus Wolperdinger. Die Leiter des Fraunhofer IPA und IGB stellen in ihrem Beitrag den Fraunhofer-Forschungsansatz »Biologische Transformation« vor (Kapitel 2). Anschließend erläutert der Bioniker Oliver Schwarz, ebenfalls vom Fraunhofer IPA, welchen Mehrwert eine Technikentwicklung erreichen kann, die sich an der Natur orientiert (Kapitel 3).

In der Folge werden in einem weiteren Text verschiedene Kategorien biologischer Transformationen von mir untersucht. Im Vordergrund steht dabei die Frage, was seinem Wesen nach vorliegt, wenn Biologie und Technik zusammenkommen und welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind (Kapitel 4). Alfred Nordmann und Janine Gondolf interpretieren in ihrem Beitrag, Bionik und Biotechnologie als »Parodie« von Biologie oder Natur. Sie bringen »biologische Funktion in einem technischen Zusammenhang, [der] nichts mehr mit Biologie zu tun hat« (Kapitel 5)

Im sechsten, siebten und achten Kapitel finden sich unterschiedliche Sichtweisen auf den Begriff »Evolution«. Dieser stand auf der Tagung oft im Mittelpunkt des Austausches. Oft wurde diskutiert, ob es wissenschaftlich richtig ist, den Evolutionsbegriff auf andere Bereiche zu übertragen. Wie komplex die Zusammenhänge sind und dass zurückhaltend mit einer zu vorschnellen Übertragung umgegangen werden muss, macht vor allem der Beitrag von Ulrich Krohs, Biophilosoph an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, deutlich (Kapitel 6). Er erläutert Evolutionsmechanismen und den Evolutionsbegriff. Im Anschluss stellt Marco Lehmann-Waffenschmidt von der Technischen Universität Dresden sein Fachgebiet, die Evolutionäre Ökonomik, vor (Kapitel 7). Die Evolutionäre Ökonomik untersucht graduelle, ergebnisoffene Prozesse bzw. ungerichtete Transformationen in der Ökonomie. Der Unternehmer und Psychologe Klaus-Stephan Otto bringt im vierten Kapitel Beispiele, wie, seinem Verständnis nach, Prozesse aus der Natur ihr Pendant in der Wirtschaft finden. Er nimmt eine metaphorische Übertragung biologischer Begriffe vor, in dem er Unternehmen als Lebewesen bzw. Ökosysteme betrachtet (Kapitel 8).

Kapitel neun und zehn setzen sich mit ethischen Aspekten rund um das Thema Biologische Transformation auseinander. Zunächst stellt der Ethiker und Philosoph Joachim Boldt von der Universität Freiburg ethische Prinzipien vor, die bei einer Diskussion um eine Biologische Transformation relevant sein können (Kapitel 9). Die Philosophin und Theologin Heike Baranzke stellt in Zusammenhang mit einer biologischen Transformation die Frage, ob es überhaupt so etwas wie eine »gute« Technik geben kann (Kapitel 10).

Der anstelle eines Schlusswortes formulierte und abschließende Text des Biophilosophen Werner Ingensiep nimmt die in diesem einleitenden Beitrag gestellte Frage auf, was wir unter Natur verstehen und was zu berücksichtigen ist, wenn wir Begriffe aus einem Bereich in einen anderen übertragen (Kapitel 11).

Auch wenn auf der Veranstaltung viele Fragen angesprochen wurden, ist abschließend festzustellen, dass der interdisziplinäre Diskurs für das Thema Biologische Transformation gerade erst begonnen hat. Da die Beiträge in diesem Tagungsband von Menschen, stammen, die ihre Expertise in sehr unterschiedlichen Disziplinen erworben haben, sind sie nicht nur unterschiedlich, teilweise widersprechen sie sich sogar. Dies kann bei einem interdisziplinären Diskurs jedoch nicht anders sein. Hier gibt es einfach unterschiedliche Standorte und Perspektiven, die oft in und mit ihren Unterschieden nebeneinanderstehen bleiben müssen. Dieser einleitende Text soll deshalb mit einem Zitat des Philosophen Georg Picht enden, das auf das Miteinander verschiedener Perspektiven Bezug nimmt und auch als Plädoyer für einen interdisziplinären Austausch in den Wissenschaften auslegt werden kann5. So wie »Der Wanderer im Nebelmeer«, der auf dem Umschlagbild dieses Buches zu sehen ist, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jeweils ihre eigene Perspektive. Georg Picht schreibt:

»Wir beginnen zu ahnen, daß unser Wissen keine zeitlosen Wahrheiten enthält, sondern von dem Standort abhängig ist, an dem wir uns jeweils befinden; es dämmert uns, daß […] unser Denken eine Bewegung, daß heißt eine Wanderung durch die Landschaft ist, bei der uns von verschiedenen Standorten aus verschiedene Ausblicke in dieselbe Landschaft möglich werden. Würden wir die Aussagen vergleichen, in denen wir die verschiedenen Bilder beschreiben, und würden diese Bilder ohne Rücksicht auf den Standort, von dem aus sie jeweils gewonnen würden, nebeneinanderstellen, so würde sich ergeben, daß sie einander widersprechen. […] Durch diesen Vergleich wird deutlich, wo der fundamentale Fehler in unseren Denkgewohnheiten steckt. Wir halten abstrakt Meinung gegen Meinung, Aussage gegen Aussage und stellen fest, daß sie einander widersprechen, reflektieren aber nicht darauf, daß sie von ihrem (jeweiligen) Standort aus in perspektivischem Sinne des Wortes »wahr« sind. Wir können ihre perspektivische Wahrheit nicht erkennen, weil uns die Landschaft unbekannt ist, durch die wir uns beim Denken bewegen, und weil wir vergessen haben, eine Karte zu zeichnen, auf der wir uns über die Formation dieser Landschaft und über die relative Position der verschiedenen Standorte orientieren könnten.« (Picht 1993, S. 28)

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