Bis zum Hals - Jörg Juretzka - E-Book

Bis zum Hals E-Book

Jörg Juretzka

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
  • Herausgeber: Unionsverlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Sixpack Bier, Schachtel Kippen, eine Dose Katzenfutter, damit Kryszinski daheim überhaupt reingelassen wird. Er ist glücklich im Sinkflug auf zu Hause, ausnahmsweise mal nur mit Taurin und Koffein im Blut, als ihm ein Mann vor den Kühler seines Toyotas geworfen wird. Der ist sofort »auf eine Art und Weise tot, die keinen Raum für Hoffnung oder Zweifel lässt.« Privatdetektiv Kryszinksi beginnt, sich auf eigene Faust umzuhören und erfährt zwischen Wodka-Abstürzen und Magenkrämpfen die Identität des überfahrenen Mannes. Und so beginnt ein Reigen mit russischen Investoren, Sprachlehrern, Geheimdienstlern und gepfählten Bikern. Und plötzlich steht die Witwe des Toten vor Kryszinskis Tür. Anoushka ist so schön, dass jeder Mann für sie töten würde – oder sterben …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 367

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch

Kristof Kryszinski ist zum Glück gerade mal nicht betrunken, als ihm nachts ein Mann vors Auto gestoßen wird. Der Unbekannte ist sofort tot und Kryszinski droht der Knast. Plötzlich steht die Witwe des Toten vor Kryszinskis Tür. Und sie ist so schön, dass jeder Mann für sie töten würde – oder sterben …

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Jörg Juretzka (*1955) ist gelernter Zimmermann und baute Blockhütten in Kanada, bevor er sich aufs Schreiben konzentrierte. Sein Krimidebüt Prickel erschien 1998. Für seine Romane wurde er dreimal mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet, 2022 erhielt er für Nomade den Glauser-Preis.

Zur Webseite von Jörg Juretzka.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Jörg Juretzka

Bis zum Hals

Kriminalroman

Kristof Kryszinski ermittelt (Der siebte Fall)

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

HINWEIS: Ihr Lesegerät arbeitet einer veralteten Software (MOBI). Die Darstellung dieses E-Books ist vermutlich an gewissen Stellen unvollkommen. Der Text des Buches ist davon nicht betroffen.

Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 1 Dokument

Die Originalausgabe erschien 2007 im Ullstein Verlag, Berlin.

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: jukai5/Shotshop.com

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30867-1

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 23.09.2022, 00:41h

Transpect-Version: ()

DRM Information: Der Unionsverlag liefert alle E-Books mit Wasserzeichen aus, also ohne harten Kopierschutz. Damit möchten wir Ihnen das Lesen erleichtern. Es kann sein, dass der Händler, von dem Sie dieses E-Book erworben haben, es nachträglich mit hartem Kopierschutz versehen hat.

Bitte beachten Sie die Urheberrechte. Dadurch ermöglichen Sie den Autoren, Bücher zu schreiben, und den Verlagen, Bücher zu verlegen.

http://www.unionsverlag.com

[email protected]

E-Book Service: [email protected]

Unsere Angebote für Sie

Allzeit-Lese-Garantie

Falls Sie ein E-Book aus dem Unionsverlag gekauft haben und nicht mehr in der Lage sind, es zu lesen, ersetzen wir es Ihnen. Dies kann zum Beispiel geschehen, wenn Ihr E-Book-Shop schließt, wenn Sie von einem Anbieter zu einem anderen wechseln oder wenn Sie Ihr Lesegerät wechseln.

Bonus-Dokumente

Viele unserer E-Books enthalten zusätzliche informative Dokumente: Interviews mit den Autorinnen und Autoren, Artikel und Materialien. Dieses Bonus-Material wird laufend ergänzt und erweitert.

Regelmässig erneuert, verbessert, aktualisiert

Durch die datenbankgestütze Produktionweise werden unsere E-Books regelmäßig aktualisiert. Satzfehler (kommen leider vor) werden behoben, die Information zu Autor und Werk wird nachgeführt, Bonus-Dokumente werden erweitert, neue Lesegeräte werden unterstützt. Falls Ihr E-Book-Shop keine Möglichkeit anbietet, Ihr gekauftes E-Book zu aktualisieren, liefern wir es Ihnen direkt.

Wir machen das Beste aus Ihrem Lesegerät

Wir versuchen, das Bestmögliche aus Ihrem Lesegerät oder Ihrer Lese-App herauszuholen. Darum stellen wir jedes E-Book in drei optimierten Ausgaben her:

Standard EPUB: Für Reader von Sony, Tolino, Kobo etc.Kindle: Für Reader von Amazon (E-Ink-Geräte und Tablets)Apple: Für iPad, iPhone und Mac

Modernste Produktionstechnik kombiniert mit klassischer Sorgfalt

E-Books aus dem Unionsverlag werden mit Sorgfalt gestaltet und lebenslang weiter gepflegt. Wir geben uns Mühe, klassisches herstellerisches Handwerk mit modernsten Mitteln der digitalen Produktion zu verbinden.

Wir bitten um Ihre Mithilfe

Machen Sie Vorschläge, was wir verbessern können. Bitte melden Sie uns Satzfehler, Unschönheiten, Ärgernisse. Gerne bedanken wir uns mit einer kostenlosen e-Story Ihrer Wahl.

Informationen dazu auf der E-Book-Startseite des Unionsverlags

Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

Unsere Angebote für Sie

Inhaltsverzeichnis

BIS ZUM HALS

PrologTeil 1Die Sonne hob ihr schwelendes Auge über einen …Die Katze lauerte. Ich wusste es, spürte geradezu …Das Telefon bimmelte, ich hob ein Lid …Der Schweiß sickerte mir in die Ohren …Teil 2Alles wäre anders, wenn ich nur hin und …Ein junger Assi, aber immerhin ein Arzt und …Die Russen wollen, dass wir den Leichnam freigeben.« …Teil 3Sie können da nicht durch«, sagte der Polizist …Ich probte gerade ein Duett mit Whitney Houston …Aus einem tiefen Opiat-Dämmer hochzukommen heißt nichts anderes …Ein Wind kam auf, der erste Lufthauch seit …Epilog

Mehr über dieses Buch

Über Jörg Juretzka

Jörg Juretzka: Interview mit dem »Ruhrpott-Chandler«

Andere Bücher, die Sie interessieren könnten

Bücher von Jörg Juretzka

Zum Thema Spannung

Zum Thema Kriminalroman

Zum Thema Deutschland

Für Cora und Verena

Speziellen Dank an Hot Snakes für ›XOX‹

Prolog

So: Sixpack Bier, Schachtel Kippen. Dazu ein Red Bull und für zwanzig Öcken Sprit, damit Fahrer und Wagen es ohne abzukacken bis nach Hause schaffen. Ah, und damit der Fahrer sich zu Hause überhaupt zur Tür reintrauen kann, noch ’ne Dose Katzenfutter. Mit Fisch. Solange Fisch drin ist, frisst sie alles.

Drei Uhr morgens an der Nachttanke, seit zwei oppressiv schwülen Tagen und Nächten auf den Beinen und noch rund dreißig Minuten zu fahren, vorausgesetzt, man hielt sich einigermaßen an die Regeln. Also höchstens zwanzig in der Stimmung, in der ich mich befand.

Er schlägt sie. Sie rennt weg. Ihn packt Reue und die Angst, sie könne in ihr altes Gewerbe zurück und damit den Leuten wieder in die Fänge geraten, aus denen er sie einstmals gerettet – sprich: freigekauft – hat. Also heuert, ja fleht er Detektiv an, sie zu suchen. Detektiv braucht das Geld, handelt Prämie aus und kniet sich rein in achtundvierzig Stunden voll vager Andeutungen, dreister Lügen, kalten Misstrauens, unverhohlener Drohungen und klumpfüßiger Versuche, ihn zu bescheißen, zu beklauen oder sonstwie abzuzocken. Achtundvierzig Stunden umwabert von Schweiß und Qualm und synthetischen Duftstoffen mit einem geringeren Literpreis als dem der ausgeschenkten Getränke, achtundvierzig Stunden, die den gleichen Zeitraum mit Brechdurchfall zu verbringen vergleichsweise heiter erscheinen lassen. Nur um im Endeffekt herauszufinden, dass die Grundgute in der Zwischenzeit zu ihrem Kerl zurück ist. Und was machen beide, kaum wieder versöhnt? Prellen erst mal den Detektiv um sein Geld.

Ich hoffe, nächstes Mal schlägt er sie tot, dachte ich, warf die Einkäufe auf den Beifahrersitz, schwang mich hinters Lenkrad, startete den Motor, riss das Fernlicht an und trat das Gas mit mehr als nur dem üblichen Hauch von Ingrimm.

Keine fünfzehn Minuten später, lila Brause gerade spürbar, Kippe in voller Glut, Bierdose am Hals, Tachonadel im unteren dreistelligen, die vom Drehzahlmesser im oberen vierstelligen Bereich, praktisch im Sinkflug auf zu Hause, stieß man mir diesen schmächtigen blonden Typen direkt vor den Kühler.

Teil 1

Na, das hast du ja sauber hingekriegt, Kryszinski.«

Wenn es etwas gibt, das ich an Kommissar Hufschmidt hasse – besonders hasse, heißt das, also mehr noch als alles andere, das ich eh schon hasse an ihm –, dann ist das seine gespielte Coolness im Angesicht des Entsetzlichen.

Er war aschfahl und brauchte die offene Türe seines Opels als Stütze, doch anstatt sich zu erbrechen und dann langsam wieder beizukommen wie ein normaler Mensch, meinte er, hier Eindruck schinden zu müssen.

Der Typ am Boden war furchtbar zugerichtet, auf eine Art und Weise tot, die keinen Raum für Hoffnung oder Zweifel ließ. Mit abgerissenen Gliedmaßen und aufgeplatztem Schädel lag er inmitten einer unfassbaren Lache von … nennen wir es der Einfachheit halber Blut. Der Rumpf und die verbliebenen Extremitäten waren verdreht, wie es sonst nur bei einer ausgesprochen schlaffen Stoffpuppe möglich wäre. Selbst Unfallarzt und Rettungssanitäter sahen drein, als wüssten sie nicht recht, wo anfangen mit aufklauben.

Als Menden endlich eintraf, befand ich mich irgendwo am Rand des Geschehens und machte zögernde Fortschritte, meinen Magen wieder an seinen angestammten Platz hinunterzuwürgen.

»Vermutlich Arsch voll, viel zu schnell und … Peng«, meinte ein Uniformierter, der das Sich-Erbrechen-und-wieder-Beikommen schon hinter sich hatte, lapidar und deutete vom Toten zu meinem am Ende zweier endlos langer Bremsspuren in der Flanke eines geparkten Benz zum Stehen gekommenen Toyota und dann auf mich.

Hauptkommissar Menden sah mich an. Ich fügte mich ins Unvermeidbare und sah zurück. In ein Gesicht, so lang wie ein Sonntag im November, und zwei Augen, so grau wie der Produktausstoß eines Krematoriums. Sie musterten mich mit von Herzen kommender Kühle.

Blaulicht und Blitzlicht umflackerte uns, Scheinwerfer beschienen den Toten. Streifenbeamte, Feuerwehrleute, Zivile und Weißbekittelte taten, was zu tun war, wortkarg und schwitzend in der dampfenden Nacht.

»Also, Kryszinski. Äußern Sie sich«, forderte Menden.

»Ich bin unschuldig«, war alles, was mir einfallen wollte. Menden sehen und diesen Satz äußern ist manchmal wie zwei Sektenwerbern die Tür öffnen und sie gleich wieder schließen. Es hat etwas Automatisches, Zwangsläufiges. Beide Seiten wären irgendwie baff, würde es anders laufen.

Außerdem war ich fühllos, entrückt, wie anästhesiert. Man fährt schließlich nicht alle Tage einen Menschen über den Haufen. Noch nicht mal ich, sollte ich vielleicht hinzufügen. Und dann noch ohne Absicht.

»Ha, unschuldig«, mischte sich Hufschmidt ein, seine Hängebäckchen immer noch blass, aber schon wieder schlackernd vor Eifer. »Körperverletzung mit Todesfolge. Das ist das Mindeste, für das wir dich hier drankriegen.«

Ich drehte mich zu ihm und schenkte ihm einen Blick, den ich normalerweise für die Bewohner der Ritzen meiner Nasszelle reserviert halte. Also irgendwas zwischen resignativer Gleichgültigkeit und grundehrlicher Abscheu. Dann wandte ich mich wieder an Menden.

»Es war Mord«, sagte ich. Hufschmidt lachte unfroh auf.

Menden seufzte, wie nur er es kann. Er blickte auf seine Uhr und seufzte noch mal. »Was soll das werden, Kryszinski?«, fragte er dann. »Ein Geständnis?«

»Nein, nein«, warf ich hastig ein, doch Menden war noch nicht fertig. »Oder glauben Sie, uns hier in eine Morduntersuchung hetzen zu können, nur um Ihre fadenscheinige Fahrerlaubnis ein letztes Mal über die Zeit zu retten?«

»Nein«, entgegnete ich und versuchte, mich aus der zähen Betäubung des Schocks zu winden wie die Schlange aus der Haut. Es half nichts. Genauso wenig wie Kopfschütteln helfen wollte. Da blieb diese an- und abschwellende, tranceähnliche Empfindung, dieses schwankende Gefühl gespenstischer Irrealität. »Irgendjemand hat mir den Typen vor den Wagen gestoßen.«

Riesige Augen. Dieser Blick aus hellen, schreckgeweiteten, angstvollen Augen, das war, was mich von hier ab verfolgen würde, das war mein Erbteil dieser Nacht, völlig unabhängig davon, vollkommen scheißegal, wie die rechtlichen Konsequenzen aussehen mochten.

»Wer?« Alle Skepsis dieser Welt versammelte sich in dieser einen Mendenschen Silbe. »Wer hat Ihnen angeblich das Opfer vor den Wagen gestoßen?«

»Zwei dunkel gekleidete und, tja, irgendwie maskierte Männer.«

Ich hörte Hufschmidt schnauben. »Mein Gott, Kryszinski«, grunzte er. »Das ist die mit Abstand erbärmlichste Ausrede, die ich je von dir gehört habe. Und das will echt was heißen.«

Ich tippte, so für mich, auf Strumpfmasken. Wehendes Haar oder aber polierter Schädel, Brille, Barttracht, Brauen, große oder kleine Nasen – da war nichts, aber auch gar nichts in dieser Richtung, das sich vor meinem geistigen Auge abrufen lassen wollte. Nichts, woran ich eine Erinnerung hätte festmachen können. Zwei dunkle, gesichtslose Schemen, das war und blieb erst mal alles.

»Sie waren zu zweit«, wiederholte ich das Einzige, dessen ich mir sicher war. »Sie haben ihn mir gemeinsam vor den Wagen gewuchtet und sind direkt danach in einem dunklen Audi abgehauen.« Ich fühlte mich ruhig, dabei teilnahmslos, entrückt. Ich lauschte mir selbst und fand, ich klang ungefähr so lebhaft wie eine Bandansage mit Wetterdaten.

»Es wird immer wilder«, fand Hufschmidt und trollte sich mit demonstrativem Kopfschütteln.

»In welche Richtung?«, fragte Menden. Ich brauchte einen Moment, um hinter den Sinn seiner Frage zu kommen, abgelenkt durch den hamsterbackigen Kommissar, der einen Abschleppwagenfahrer beiseite schulterte, um durch die Beifahrertür in meinen Wagens zu krabbeln.

»In welche Richtung sollen die beiden angeblichen Täter entkommen sein?«, fragte Menden mit spürbar bemühter Geduld. Ich wurde ein wenig wacher. Riss den Blick los von Hufschmidt, der ungeduldig in meinem Handschuhfach herumwühlte. War mir gar nicht recht, das.

»Da lang.« Ich deutete Richtung Kettwig.

Menden nickte. »Von wo genau?«, wollte er wissen. Ich zeigte ihm die Stelle, an der der Audi gestanden hatte. Ich zeigte ihm auch die Lücke in einer Reihe parkender Wagen, aus der heraus man, wenn ich mich nicht täuschte, das Opfer gestoßen hatte. Zwischen beiden Orten lagen gerade mal vier PKW-Längen. Menden ließ sich eine Taschenlampe reichen und besah sich alles sehr gründlich. Es fand sich nichts, das seine besondere Aufmerksamkeit erregt hätte.

»Also noch mal von vorn«, wandte er sich schließlich wieder an mich. »Sie fahren in dieser Richtung«, er deutete mit dem Lampenstrahl, »rammen mit hoher Geschwindigkeit einen Fußgänger, notbremsen und bringen ihren Wagen in der Flanke eines geparkten Fahrzeugs zum Stehen. Gleichzeitig bemerken Sie, wie sich zwei Personen hinter Ihnen in einen PKW setzen, den Sie als Audi identifizieren, und sich dann damit in dieser, ihrer eigenen entgegengesetzten Fahrtrichtung entfernen.« Wieder deutete er mit der Lampe, beschien ein paar Gaffer, wie sie allerorten und zu jeder Tages- und Nachtzeit aus dem Boden zu wachsen scheinen. »Sie haben demnach nicht erst mal eine Weile ins Leere gestarrt oder sonstwie gebraucht, den Schrecken zu überwinden?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich war gleich aus dem Auto. Wissen Sie, das hier ist nicht unbedingt der erste Unfall, in den ich verwickelt wurde.«

Menden machte »Ach«.

Ein Weißkittel kam auf uns zu. »Sollen wir?«, fragte er, an Menden gewandt.

Der nickte. »Gehen Sie mit«, befahl er mir. »Blutprobe. Sie kennen das ja.«

Während ich bei offener Tür im Rettungswagen hockte, beobachtete ich, wie Menden die vier Fahrzeuglängen im Laufschritt abmaß und dabei auf die Uhr blickte. Ich sah auch, wie er anschließend ganz leicht den Kopf schüttelte.

»Ballen Sie die Finger zur Faust«, forderte der Arzt. Also ballte ich und sah ihm dann beim Herumstochern mit der Nadel zu.

»Sie haben aber harte Venen«, fand er.

»Ich weiß. Soll ich’s mal versuchen?« Doch er wollte lieber selber.

»Was ist denn das hier?« Das Blut war dann doch noch geflossen und Hufschmidt lenkte mich von der kontemplativen Betrachtung des kleinen Pflasters in meiner Armbeuge ab, indem er das vor meiner Nase herumschwenkte, das er eigentlich besser nicht in meinem Wagen hätte finden sollen.

»Wie sieht’s denn aus?« fragte ich zurück, nickte dem Arzt zu und kletterte wieder raus aus dem RTW.

»Wie eine ganze Latte Autoschlüssel, Kryszinski. Und was ich wissen will, ist, wo du die her hast.«

»Die hat mir ein Kunde anvertraut«, bog ich die Wahrheit ein wenig.

»Komplett mit Schlüsselbrett, aus dem hinten noch die Schrauben samt Dübeln rausragen?«

»Wir waren beide in Eile«, servierte ich ihm eine mathematisch exakte Halbwahrheit.

Hufschmidt ging die Schlüssel durch. Er staunte.

»Lamborghini, Porsche, Lotus … Du willst mir erzählen, jemand vertraut ausgerechnet dir die Schlüssel zu einem Dutzend Sportwagen an? Hat der Typ eine Ahnung, wie du Auto fährst?«

»Noch nicht«, antwortete ich.

Doch falls er nicht umgehend seine Schulden bei mir bezahlte, fügte ich im Stillen hinzu, würde er nur allzu bald dahinterkommen.

Menden nahm mich schließlich mit ins Präsidium, den ganzen Ablauf noch mal herunterbeten. Ich durfte vorne sitzen, entweder ein Zeichen von Vertrauen oder aber dafür, dass Menden mich als Gewalttäter nicht wirklich ernst nimmt.

So ist es immer mit ihm. Trotzdem gewöhnt man sich nicht daran.

Die Sonne hob ihr schwelendes Auge über einen Horizont aus Strommasten und Mobilfunkantennen, boshaft entschlossen, einen weiteren, endlosen Tag lang Leim aus den Knochen der Lebenden zu sieden.

Ich schleppte mich die sieben Etagen hoch – alles ist besser, als in eines unserer beiden irreführenderweise als »Aufzüge« bezeichneten, lotrecht mobilen Stehpissoirs zu steigen –, nur um mich oben noch vor Erreichen der Wohnungstür schlagartig daran zu erinnern, dass ich die Dose Katzenfutter im »bis auf weiteres« sichergestellten Wrack meines Toyotas vergessen hatte.

Ohne zu zögern machte ich auf der Hacke kehrt und ging wieder runter. Alles andere wäre Irrsinn gewesen. Es gibt nur zwei Methoden, dieses ebenso schrill gestimmte wie halsstarrige kleine Monster ruhigzustellen, und die unblutige, wenn auch leider nur temporäre der beiden ist, es vollzustopfen bis zur Glubschäugigkeit.

Zurück vom Kiosk an der Ecke, begrüßt von einer Stimmlage, die Gabel-auf-Porzellan-Gequietsche wie symphonische Musik erscheinen lässt, füllte ich dem Vieh in aller Hast den Napf, schloss die Vorhänge, nahm das hektische Blinken des Anrufbeantworters als Mahnung, den Telefonstecker zu ziehen, fiel aufs Bett und machte die Augen zu, entschlossen, mich den zu erwartenden Albträumen zu stellen. Über dem unnötig lauten und ausdauernden Kratzen der Katze in ihrem Scheißhaus sackte ich dann auch tatsächlich weg in eine Endlosschleife aus kreischenden Reifen, berstenden Windschutzscheiben und Blicken voller Anklage aus schreckgeweiteten, hellen, wissenden Augen.

Und sie verfolgten mich auch nach dem Wachwerden weiter.

Hell und groß und seltsam kindlich in diesem irgendwie vorzeitig gealtert wirkenden Gesicht unter blonden Ponyfransen und Brauen. Harte Jugend, las ich aus den schmalen Wangen und tiefen, für immer skeptischen Falten links und rechts von Lippen, die kein Blut und kein Verlangen zu enthalten schienen.

»Ja, das ist er«, bestätigte ich, schob die Foto-Automaten-Passfotos in den Umschlag zurück und reichte ihn Hufschmidt wieder rüber.

Der Schock war gewichen und hatte einem dumpf in mir nagenden Wunsch nach Vergeltung Platz gemacht.

Hufschmidt linste in den Umschlag, fingerte darin herum, brachte den Streifen mit zwei Aufnahmen zum Vorschein und schlug dann mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Raus damit!«, bellte er und fügte, als ich ihn verwundert anblickte, »das dritte Foto!« hinzu, woraufhin ich zu meiner Verblüffung feststellen musste, dass mir das einzelne Passbild irgendwie unter der schwitzigen linken Handfläche kleben geblieben war. Zögernd händigte ich es aus.

»Wo habt ihr die Fotos her?«

»Waren zusammen mit einem handgeschriebenen Zettel in einem Umschlag, den wir in der Nähe des Unfallorts in einem Gebüsch gefunden haben.«

»Des Tatorts«, verbesserte ich ihn. Er zuckte die Achseln.

»Wie ist der Umschlag dahingekommen? Und wo ist das vierte Passfoto?« Wieder Achselzucken. Der Kommissar machte an diesem Nachmittag nicht den gesprächigsten Eindruck. Und auch nicht den zufriedensten. Das hieß, die Dinge konnten nicht ganz schlecht stehen für mich.

»Kann es sein, dass das Opfer ahnte, was man mit ihm vorhatte, und den Umschlag bewusst weggeworfen hat, damit er seinen Mördern nicht in die Hände fällt?«

»Jetzt mach mal halblang, Kryszinski. Erstens ermitteln wir immer noch ausschließlich wegen fahrlässiger Tötung und weiterhin nur gegen dich. Und zweitens sind es immer noch wir, die hier die Fragen stellen.«

»Habt ihr den Toten überhaupt schon identifiziert?« Kopfschütteln.

»Vielleicht findet sich ja ein Hinweis in dem Schreiben? Kann ich’s mal sehen?«

Schnauben. »Sonst noch irgendwelche Wünsche?«

»Ja: Ich will meinen Lappen zurückhaben.«

Hufschmidt machte einen regelrecht sichtbaren inneren Schritt rückwärts. »Das muss der Hauptkommissar entscheiden«, behauptete er.

Fast hätte ich gelacht. Meine Blutprobe war negativ, hieß das, und Hufschmidt ärgerte sich bucklig darüber.

Menden kam in sein Büro, ein entfaltetes, handbeschriebenes Blatt in der Hand. Er wedelte lustlos damit.

»Vermutlich russisch«, stellte er fest. »Wer übersetzt aus dem Russischen für uns?«, fragte er Hufschmidt.

»Ist das nicht dieser verhinderte Atomphysiker von ›Weltsprachen Sondermann‹? Gisbininjew oder so ähnlich?«

»Oder so ähnlich. Rufen Sie ihn an. Der soll sich das hier mal ansehen.«

Mit einem Ruck wandte sich Menden an mich. »Gut möglich, dass der Mann, den Sie überfahren haben, ausländischer Staatsbürger war, Kryszinski. Gut möglich, dass unsere Ermittlungsarbeit von mehr als nur einer übergeordneten Stelle unter die Lupe genommen werden wird. Anders ausgedrückt: Solange Sie Ihre Schutzbehauptungen aufrechterhalten, machen Sie uns wieder mal einen Haufen Scheiß-Arbeit.« Das Ganze in flachem, bedrohlichem Monoton. Menden kann einen anschnauzen, ohne die Stimme zu heben.

»Ich bin gerne bereit, Ihnen einen Teil davon abzunehmen«, versicherte ich mit all der Blauäugigkeit, zu der ein Mann mit zwei rostbraunen Iriden fähig ist.

»Das glaube ich gern«, knurrte der Hauptkommissar. »Deshalb lassen Sie’s uns hier und jetzt unverzüglich klarstellen: Sie werden sich aus der Angelegenheit komplett heraushalten, verstanden?«

Ich nickte ernsthaft, doch Menden sah gar nicht her.

»Wer ist eigentlich mit der Autopsie beauftragt?«, fragte ich und brachte ihn damit nahe daran, mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Doch er merkte es und fing sich.

»Sie haben mich gehört«, grollte er.

Ich stand auf. »Seien Sie mal ehrlich«, forderte ich provokant. »Würden Sie von einem Klempner erwarten, einen Wasserschaden im eigenen Haus so lange pladdern zu lassen, bis irgendeine schwachsinnige Behörde entschieden hat, ob es sich dabei tatsächlich um einen Rohrbruch oder aber möglicherweise um ein natürlich fließendes Gewässer handelt?« Ich sah von einem zum anderen. Keine Antwort. Das Adjektiv »schwachsinnig« hätte ich aus der Frage besser herausgehalten, fiel mir auf. Ging den beiden irgendwie schräg rein, das spürte man.

»Also«, fuhr ich eilig fort. »Da dürfte es doch wohl schwierig werden, Ähnliches von einem Detektiv zu verlangen, oder?«

»Wieso das denn?«, brauste Hufschmidt auf. »Du hältst dich raus oder wir buchten dich ein. Was soll daran schwierig sein?«

»Dr. Korthner«, sagte Menden, ohne mich dabei anzusehen. »St.-Marien-Hospital. Und jetzt lassen Sie uns arbeiten.«

»Hauptkommissar Menden hat gesagt, Sie sollen meinen Führerschein rausrücken«, behauptete ich an dem panzerverglasten kleinen Schalter im Keller des Präsidiums. Der diensthabende Beamte verlangte mürrisch meinen Personalausweis, kramte meinen Lappen und einen Wisch aus einem Ablageschrank, ließ mich den Wisch unterschreiben und schob mir die rosa Pappe raus.

Das ging mir nun doch ein bisschen zu glatt.

»Was wäre, wenn ich über Mendens Anweisung gelogen hätte?«, fragte ich, Führerschein tief in der Jackentasche und Füße schon mal bereit, die Treppen zum Ausgang hochzusprinten.

»Dann wäre Ihre Fahrerlaubnis gar nicht erst bei mir gelandet«, meinte der Beamte müde und verwies auf das Schild überm Schalter. »Wir sind die Ausgabe, Sie Schlauberger. Verwahrung ist woanders.«

Ich machte »Hm« und verzog mich.

Kristof Kryszinski scheitert erneut beim Versuch, die Justizbehörden zu ficken. Doch er wird es weiter probieren.

»Dr. Korthner?«, fragte ich über das sirrende Geräusch eines hochdrehenden Elektrogeräts hinweg, worauf der kleine, weißbekittelte Mann am Seziertisch zusammenzuckte und zu mir herumfuhr.

»Wie sind Sie hier hereingekommen?«, blaffte er mich durch seine Chirurgenmaske hindurch an. Routiniert schaltete er die kleine, blutige Elektrosäge in seiner Rechten ab und zog mit der freien Hand ein Laken über das, woran er da gerade herumgesägt hatte. Ob aus Gründen der Pietät war nicht zu sagen. Mir kam es eher so vor, als ob niemand sehen sollte, was für ein besonders schönes Stück er sich da gerade heraustrennte, um es heute Abend daheim in die Pfanne zu hauen. Aber vielleicht ging auch nur mal wieder meine Fantasie mit mir durch. »Ich frage Sie noch mal: Wie sind Sie hier hereingekommen?«

»Ich hab an der Pforte gesagt, dass ich Sie im Rahmen polizeilicher Ermittlungen sprechen muss«, antwortete ich und sah mich um. Die pathologische Abteilung des katholischen Krankenhauses befindet sich praktischerweise direkt neben der im Fachjargon L-Haus genannten Leichenkammer im Keller. Es war angenehm kühl hier und hell, wenn auch nicht unbedingt freundlich. Beide Seziertische in dem weißgekachelten Raum mit den grauen Bodenfliesen waren belegt, beide Leichen mit Tüchern bedeckt. Auf dem vor Dr. Korthner sickerte an mehreren Stellen Blut durch. Unter dem Tisch arbeitete eine Pumpe mit Schlürfgeräuschen, für die es kein anderes Attribut gibt als revoltierend.

Es roch dumpf nach Fäkalien, bitter nach verbranntem Fleisch, süßlich nach angesägten Knochen und ätzend nach Sagrotan. Wonach es wider Erwarten nicht riechen wollte, waren Tod und Verwesung.

Zwischen den, tja, leichenblassen Füßen der angesägten Leiche lag ein Bündel bunter, blutiger und zerrissener Klamotten.

Der gar nicht so entfernt an Grillpartys erinnernde, angebrannte Geruch kam von dem anderen Tisch. Der Tote dort lag eng zusammengekrümmt auf der Seite. Hinter seinen schwarz verkohlten, abblätternden Füßen, aus denen oben gelblich die Reste von Zehenknochen herausragten, lag ein Paar ebenfalls völlig verschmurgelter Ledersohlen. Dazu nicht mehr als eine Handvoll kleiner, schwarz umrandeter Stoffreste.

»Suizid«, meinte Dr. Korthner lapidar. »Kleiner Selbständiger, Änderungsschneider. Alleinstehend. Insolvent, zwangsgeräumt. Hat erst noch seinen Hund ins Tierheim gebracht, ist dann vom Tierheim aus schnurstracks nach Hause, hat sich im Hof mit Benzin übergossen und angesteckt.«

Das muss, dachte ich so für mich, eine einsame Strecke Wegs gewesen sein.

»Ich weiß nicht, wie’s Ihnen geht«, dachte ich laut, »aber ich frag mich bei so was immer, wie ich wohl mal enden werde.« Und irgendwie entrang sich mir ein Seufzer dazu.

Das brachte mir einen äußerst schrägen Blick ein.

»Was immer Sie tun«, meinte der Doktor mit großem Ernst, »sehen Sie zu, dass es final ist. Kommen Sie uns hier nicht mit so ’nem halbgaren Selbstmordversuch. Oder wenn, dann erwarten Sie bitte kein Mitleid. Wir reißen uns hier sieben Tage die Woche rund um die Uhr den Arsch auf, Menschen am Leben zu halten. Da kommt kein Verständnis auf für Leute, die ihres wegzuschmeißen versuchen. Also wenn schon, dann machen Sie’s wie er hier: erst das Haustier versorgt und dann sauber und endgültig Schluss gemacht. Und, als kleinen, persönlichen Gefallen an mich, möglichst so, dass Ihre Überreste bald gefunden werden. Okay?«

Und ich nickte zu einer der vielleicht bizarrsten Abmachungen meines bisherigen Lebens.

»Sie sind also Polizist? Welches Kommissariat?« Dr. Korthners Augen funkelten misstrauisch durch gleich zwei Lagen Brillengläser hindurch. Die äußeren die einer Schutzbrille, wie auch Handwerker sie verwenden.

»Ich bin kein Polizist«, stellte ich richtig. »Mein Name ist Kryszinski. Ich bin Privatdetektiv.«

Er streckte den Arm in umissverständlicher Manier zur Tür, deutender Zeigefinger und alles, doch ich bremste ihn mit einer Handbewegung. »Und«, fuhr ich eindringlich fort, »ich bin der Fahrer des Wagens, der den unbekannten Toten von letzter Nacht angefahren hat.«

»Aha«, meinte er mit einem nachdenklichen Blick auf die Leiche unter dem blutdurchtränkten Tuch, zog sich erst die Handschuhe und dann auch die Maske, die Schutzbrille und schließlich die hellgrüne Haube vom Kopf und ließ alles nacheinander in einem großen Treteimer verschwinden. »Das trifft sich gut«, fand er, trat an ein ebenfalls per Fußhebel betriebenes Waschbecken und wusch sich kurz und gründlich die Hände. Trocknete sie unter einem Gebläse. »Ich hätte da nämlich ein paar Fragen an Sie.«

Jetzt zeigt er dir gleich den nackten, halb ausgeweideten Toten, dachte ich mit Grausen. Löffelt vielleicht ein Auge raus oder so was.

Doch der Doktor startete in eine andere Richtung und winkte mir, ihm zu folgen. Er hatte dunkle, struppige Haare, außerordentlich dicht bis auf eine kreisrunde und völlig flache Stelle an seinem Hinterkopf. Wie die Tonsur eines Mönchs. Oder als ob ihm da einer eins mit ’ner Polizeikelle übergebraten hätte.

»Was ich von Ihnen gerne erfahren würde«, begann ich vorsichtig, »ist, ob Sie an dem Toten etwas festgestellt haben, das eher untypisch für einen Verkehrsunfall erscheint.«

»Falls Sie Wasser in der Lunge oder ein Projektil im Schädel meinen«, erklärte der Doktor leichthin, »kann ich nur sagen: bisher noch nicht.«

Er schaltete ein breites Neonleuchtfeld an der Wand ein, zog ein paar Röntgenaufnahmen aus einem Umschlag und schob sie in die Klemmhalterungen vor dem Bildschirm.

»Ungewöhnlich viele Frakturen, ungewöhnlich heftig«, stellte er fest und deutete mit wedelnder Hand vage auf das eine oder andere splittrige Detail der Aufnahmen. »Was für ein Auto fahren Sie?«

»Einen Toyota Carina.«

»Einen PKW also?«

Ich nickte, der Doktor schüttelte den Kopf und besah sich die Bilder mit neu erwachtem Interesse.

»Ich hatte auf einen Geländewagen getippt«, meinte er. »Heutzutage schaffen es eigentlich nur noch diese Allradpanzer, Fußgänger dermaßen zu zermalmen. Was für ein Baujahr hat Ihr Wagen?«

»77.«

»Ah. Also noch aus der Zeit vor der Stromlinienform, richtig? Das erklärt einiges. PKWs sind seither wesentlich fußgängerfreundlicher geworden. Doch das wirft nun völlig neue Fragen auf. Sehen Sie sich das an:« Er deutete, ich blickte, doch was genau ich da sah, wollte sich mir nicht erschließen. »Der Beckenbereich. Deshalb hatte ich an einen Allradwagen gedacht. Selbst bei einem PKW im eckigen Siebziger-Jahre-Design und selbst bei einer Person von gerade mal, na, einem Meter siebzig Körperhöhe sollte das Becken bei seitlichem Anprall normalerweise relativ unbeschadet bleiben. Es sind die Beine, die in dem Fall die meisten Frakturen davontragen. Doch jetzt sehen Sie sich dieses Becken an.«

Das tat ich die ganze Zeit schon, und ebenfalls schon die ganze Zeit über versuchte ich, das Gesehene mit meiner Vorstellung von einem Teil des menschlichen Knochenbaus in Deckung zu bringen. Es ging nicht.

»Dieses Becken hat die volle Wucht des Aufpralls abbekommen. Dazu natürlich der Lendenwirbelbereich und die Oberschenkel bis runter zu den Knien. Die Unterschenkel wurden dagegen vergleichsweise wenig in Mitleidenschaft gezogen. Das ist eigentlich typisch für den Impact eines großen Geländewagens, wo sich Kühler und Stoßstange ungefähr auf dieser Höhe befinden. Jetzt sagen Sie mir, Sie fahren einen wesentlich niedrigeren PKW. Was schließen wir daraus?«

Dr. Korthner blickte mich abwartend, geradezu prüfend an.

»Der Typ stand nicht und er ging nicht«, antwortete ich.

»Genau.« Der Doktor nickte. »Natürlich müssen wir Ihren Wagen noch genau vermessen, doch vorab würde ich davon ausgehen, dass sich das Opfer im Moment des Zusammenpralls in einer halb knieenden Position befand.« Er nickte sich selber zu, offenbar zufrieden mit seiner Formulierung.

»Man hat ihn mir vor den Wagen gestoßen«, erklärte ich. »Das versuche ich der Polizei begreiflich zu machen.«

»Ja, das wäre eine mögliche Erklärung für die eingeknickte Haltung«, meinte der Mediziner, vage. »Auszuschließen ist es jedenfalls nicht.«

Er begann, die Aufnahmen wieder aus ihren Halterungen zu zupfen und sie zurück in den Umschlag zu schieben.

»Ist Ihnen sonst etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

Der Doktor dachte einen Augenblick nach. »Ja«, meinte er dann. »Kaum was in den Taschen. Ein paar Euro-Scheine, etwas Kleingeld, aber keinerlei Papiere und vor allem keine Schlüssel.«

»Vielleicht sind sie rausgeflogen?«

»Möglich. Aber die ermittelnden Beamten haben mir mitgeteilt, dass am Unfallort nichts dergleichen gefunden wurde.«

»Gut, doch ich wollte eigentlich auf etwas anderes hinaus: Haben Sie an dem Leichnam eventuell Spuren von Gewalt vor dem Unfall festgestellt? Irgendetwas, das meine Aussage unterstützt?«

»Ach du je. Bisher hab ich es gerade mal bewerkstelligt, Torso und Extremitäten einigermaßen anatomisch korrekt auszurichten. Damit wir eine Röntgen-Dokumentation bekommen. Und kein Puzzlespiel.«

»Ließe sich so etwas denn überhaupt noch feststellen?«

Er schnalzte abfällig mit der Zunge. »Genauso gut könnte man versuchen, anhand einer groben Mettwurst nachzuweisen, ob das Schwein vor dem Schlachten misshandelt wurde.«

»Aber nur mal angenommen, Sie finden etwas Entsprechendes. Oder etwas anderes, das mich entlastet oder einen Hinweis auf die Täter liefert. Könnten Sie mich auf dem Laufenden halten?«

Dr. Korthner knipste das Licht in dem kleinen Raum aus und wir gingen zurück in die strahlende Helligkeit des pathologischen OPs. Er griff sich eine frische Haube, riss die Verpackung einer neuen Schutzbrille auf, zupfte ein Paar Gummihandschuhe aus einem Spender.

»Haben Sie schon mal was von gerichtsmedizinischer Diskretionsverpflichtung gehört?«

»Haben Sie schon mal jemanden für jemanden umgebracht, ohne vorher gefragt oder zumindest nachher dafür bezahlt worden zu sein?«, fragte ich zurück.

Er schüttelte den Kopf, ließ damit allerdings, wie ich fand, offen, ob er ganz allgemein verneinte oder nur den Part ohne spätere Bezahlung.

»Weder noch«, fügte er dann plötzlich hinzu und grinste verschmitzt.

Doch irgendwelche Zugeständnisse holte ich nicht aus ihm heraus. Also wandte ich mich zum Gehen, reichte ihm aber für alle Fälle noch eine meiner Geschäftskarten. Er betrachtete sie skeptisch, las, drehte dann den Kopf zur Seite und blickte sinnend in die architektonisch limitierte Ferne.

»›Kristof Kryszinski‹«, sann er. »Ich weiß, Sie haben ihn vorhin schon genannt, doch erst jetzt, wo ich Ihren Namen geschrieben sehe, fällt mir ein, woher er mir so geläufig ist.« Er riss den Kopf zu mir herum und seine Augen blitzten. »Sie sind Kristof Kryszinski? Wissen Sie eigentlich, dass Sie im Labor des Essener Klinikums den Status einer Berühmtheit haben?«

Ein Umstand kompletter Neuigkeit für mich.

»Wir haben dort, als ich noch Laborarzt war, regelmäßig die Blutproben polizeilicher Untersuchungen analysiert, darunter auch einmal eine von Ihnen. Das Ergebnis hängt gerahmt im Büro des Stationsleiters.«

Er wirkte völlig begeistert. Ich weniger, denn unterschwellig ahnte ich, worauf das hinauslief.

»Weder vorher noch jemals nachher ist eine höhere Dosis und größere Vielfalt an psychotropen Wirkstoffen in einer einzigen Blutprobe nachgewiesen worden! Mann, was haben wir nicht alles gefunden! Opiate, Barbiturate, THC, Amphetamine, diverse Halluzinogene …«

»Das muss länger her sein«, unterbrach ich seine Aufzählung. »Seither bin ich doch um einiges ruhiger geworden.«

»Was meine Kollegen und ich uns immer gefragt haben: Sie wurden ja damals in Ausübung einer Straftat verhaftet, waren also nicht nur bei Bewusstsein, sondern obendrein aktiv. Wie … wie haben Sie es geschafft, diese Vielzahl an teilweise gegenläufig wechselwirksamen Substanzen physisch und vor allem auch psychisch zu koordinieren?«

»Schwer zu sagen«, gab ich zu. »Aber wenn ich mich recht erinnere, brachte eine halbe Flasche Wodka für gewöhnlich so was wie ein bisschen Ordnung in den ganzen Kuddelmuddel.«

Er nickte. »Muss wohl.«

»Außerdem waren wir ja wohl alle mal jung, oder?«

»Wenn auch mit durchaus unterschiedlichen Hobbys«, meinte er abschließend, warf die Decke zurück und machte weiter damit, sich was fürs Abendessen zu filetieren.

Es dämmerte, als ich in den Bus nach Kettwig stieg, und es dämmerte immer noch, als ich in Kettwig nach nicht mehr als vierzig Minuten Wartezeit in den Bus nach Hösel wechselte. Nein, das Ticket aus dem ersten Bus galt hier nichts, ich musste ein neues lösen. Die jeweils geforderten Summen zogen mir buchstäblich die Taschen auf links.

Na, tröstete ich mich, immer noch billiger als der Kauf eines Neuwagens. Wenn auch nicht viel.

Ein Detektiv ohne Räder ist nicht viel mehr als ein weiterer arbeitsloser Fußgänger. Und da mein letzter Kunde mich um die Mittel beschissen hatte, Ersatz für den Toyota zu beschaffen, musste ich mir anders behelfen.

Das Schlüsselbrett hatte ich zu Hause gelassen, doch die Schlüssel als solche klimperten munter in meinen Jackentaschen.

Die Dämmerung hatte zufriedenstellende Werte von Dämmrigkeit erreicht, als ich in Hösel als einziger Fahrgast an einer Haltestelle im Wald ausstieg.

Von hier aus war es nicht mehr weit bis zum »Rittergut dero von und zu Scheydt«.

Ich ließ mir Zeit.

Der Mann hieß in aller Schlichtheit Wolfgang Vonscheidt. Ehemals Waschstraße Vonscheidt. Ehemals Autoglas Vonscheidt. Und sein angebliches Rittergut war nicht viel mehr als ein vordergründig auf schick renovierter Bauernhof. Irgendwie muss der gute Wolfgang wohl zu der Überzeugung gelangt sein, als Ritter Wolf von der Scheydt eine Art Seriositätszuschlag für seine Handelsware verlangen zu können. Wobei es sich in erster Linie um Gebrauchtwagen mit enormer Diskrepanz zwischen Markt- und Nutzwert handelte. Zumeist also flache, übermotorisierte Zweisitzer, die er kunstvoll rings um seinen Hof drapierte. Jedes Fahrzeug vor seinem eigenen fotogenen Hintergrund, alles ganz nett, sofern man eine Schwäche für Landadelkitsch hat.

Ich hatte schon mal einen Haufen Geld abschreiben müssen im Zusammenhang mit Wolfgang Vonscheidt. Das war noch zu seiner Autoglaszeit gewesen. Einer großen Versicherung war eine auffällige Häufung von zerdepperten Windschutzscheiben in direkter Nachbarschaft entweder der Vonscheidtschen Autoglaswerkstatt oder aber in Sichtweites eines ihrer zahlreichen Werbeträger suspekt vorgekommen. Ich war es, der seinerzeit die als »Vonscheidts kleine Scheißer« zu einiger Berühmtheit gelangte, BMX-Rad fahrende und Pflastersteine schmeißende Bande observiert, fotografiert und zumindest zum Teil identifiziert hatte. Was weder mir noch Menden hatte gelingen wollen, war, auch nur eine der strafunmündigen Rotznasen zur Aussage gegen ihren Auftraggeber zu bewegen. Damit versandete auch die Klage des Versicherers und mit ihr zusammen meine Prämie. Trotzdem nahm Menden die Schlappe persönlicher als ich, und letztendlich war es wohl der Hartnäckigkeit des – damals noch – Kommissars zu verdanken, dass Vonscheidt das Autoglasgeschäft aufgeben und mit einem neuen Gewerbe hierhin nach Hösel umziehen musste.

Die Gebäude als solche lagen eine stattliche Distanz von der Landstraße zurück, und schon bei meinen beiden vorherigen Besuchen war mir aufgefallen, wie wohldurchdacht es gewesen war, die baumbestandene Anfahrt sowie den ganzen Hofbereich mit lauthals knirschendem Kies auszustreuen. Jetzt, bei meinem dritten Besuch, merkte ich obendrein, wie still es hier nachts wurde.

Hm, hm, hm.

Ich fühlte die Schlüssel in meiner Tasche. Lamborghini, Porsche, Lotus, TVR, Ferrari, um nur einige zu nennen. Die Versuchung war enorm, doch die realen Widerstände waren kaum zu überwinden: Der alarmierend laute Kies. Der Schlagbaum quer über die Hofeinfahrt. Dazu die höchst wahrscheinliche Anwesenheit des einen oder anderen Grobians, instruiert, einem gewissen Kryszinski erst die Schlüssel abzunehmen und ihm dann den Kiefer zu brechen oder umgekehrt. Und schließlich die Abwesenheit von Zulassung und somit auch Kennzeichen bei all diesen provokant platzierten Schätzchen. Und obwohl man nur den Schlagbaum knacken und dann schnell sein musste und es auch beileibe kein großer Akt ist, sich ein paar Nummernschilder zu pflücken, so möchte man trotzdem anschließend nicht von den Bullen angehalten werden mit dem ganzen Paket. Nicht als Vorbestrafter, nicht als Privatdetektiv und nicht mit einem Lappen, der an einem dermaßen dünnen Fädchen hing wie der meine.

Mein Vorhaben sollte ja auch eigentlich gar keinen Diebstahl beinhalten. Es ging mehr um nicht abgesprochene Entleihung, um Akquisition eines Tauschobjekts also. Falls der gute Ritter sich entschieden haben sollte, lieber neue Schlüssel anfertigen zu lassen als den Detektiv zu bezahlen, brauchte ich etwas zum Nachlegen, etwas, das meine Forderung noch mal untermauerte.

Und was zu fahren brauchte ich sowieso. Und dann war das erste Auto, das ich aus dem Schatten eines dichten Busches heraus zu Gesicht bekam, ein Hummer, ein ursprünglich für die US-Armee entwickeltes Monster von einem Geländewagen, ein solcher Brecher, dass er ein vorheriges Knacken des Schlagbaums eigentlich überflüssig machte. Nur das Pappschild »VERKAUFT« von der Windschutzscheibe rupfen, reinspringen, starten, Vollgas. Und dann versuchen, sich, turmhoch den übrigen Verkehr überragend, möglichst unauffällig zu verhalten.

Ich seufzte, machte kehrt und lenkte meine Schritte auf der Landstraße nach links.

Wolfgang Vonscheidt selbst hatte mir diesen Fingerzeig gegeben. »Sie braucht noch nicht mal zu kochen«, hatte er die Undankbarkeit seiner entschwundenen Gattin beklagt. »Wir essen so gut wie jeden Abend in der Alten Mühle.«

Die Alte Mühle, ein fundamental-bürgerlicher Landgasthof, lag keine zwei Kilometer vom Rittergut entfernt, also in durchaus fußläufiger Distanz. Doch Autohändler fahren, Punkt. Und Vonscheidt fuhr einen schwarzen CSL, ein geducktes Ding mit dunkel getönten Scheiben, das auch ganz gut zu einem Privatdetektiv passen könnte. Und sei es nur für ein paar Tage.

Kurz vor dem Gasthof blieb ich noch mal stehen und sortierte im Licht einer Straßenlaterne die Schlüssel durch, fand und packte den mit dem Stern. Dann atmete ich tief durch und verlängerte meinen Schritt in ein flottes Tempo.

Schreitend fragte ich mich, was tun, sollte Vonscheidt einen Grobian als Wache im Wagen postiert haben.

Ich reiße die hintere Tür zuerst auf, entschied ich. Falls wirklich jemand im Wagen hockt, dann sitzt er hinten, und falls er vorhat, auf mich loszugehen, kann ich ihm die Tür vor den Schädel knallen. Und dann eins werden mit der finstren, ländlichen Nacht.

Mein Schritt verlangsamte sich, als ich den Parkplatz vor der Alten Mühle in Augenschein nahm. Schließlich verhielt ich ihn ganz, den Schritt. Da stand kein CSL. Weder in Schwarz noch in sonst einer Farbe.

Ich sah mich schon wieder in den verfluchten Bus kraxeln, als mir mein Irrtum aufging: Vonscheidt war sehr wohl vorgefahren, bloß nicht im CSL. Sondern in einem anderen Modell seines Fuhrparks, unverkennbar seins gemacht durch Firmenaufkleber ringsrum. Hastig zerrte ich die Schlüsselsammlung wieder ans Licht, suchte und fand den Passenden, presste den Knopf und entriegelte die beiden Türen. Keine Rückbank bei diesem Fahrzeug, oh nein. Und auch kein lauernder Grobian darin.

Also schwang ich mich rein, fand das Zündschloss auf der Mittelkonsole, führte den Schlüssel ein, drehte ihn, und der Motor hinter den Sitzen … brüllte auf? Bellte, röhrte, erwachte zu volltönendem Leben?

Na ja. Eher nicht. Ich drehte den Schlüssel, und der Motor, tja, er potterte los.

Ich wählte die Fahrstufe »Vorwärts«, und wir entfernten uns langsam und unauffällig. Wenn auch eher zwangsweise.

Auf halbem Weg zurück nach Mülheim stoppte ich, stieg aus und riss die Firmenaufkleber ab. Dann betrachtete ich einen Moment lang meinen Fang mit der ganzen Ernüchterung einer gründlich untertroffenen Erwartung. CSL am Arsch, von Lamborghini ganz zu schweigen.

Ich fahr nur nachts damit, beschloss ich. Solange mich keiner damit sieht, geht’s vielleicht.

Der Tank war noch einigermaßen voll, die nächtlichen Straßen einigermaßen leer. Ich fuhr, rauchte, grübelte.

Schmale Gestalt, bestenfalls mittelgroß, mit den harten Zügen einer verkorksten, abgewürgten Jugend.

Stricher, dachte ich fast automatisch. Ich hab wohl im Laufe meiner Berufsjahre zu viele davon gesehen, vor allem während meiner Anfangszeit, als ich noch hauptsächlich nach von zu Hause abgehauenen Minderjährigen fahndete.

Mit einem hab ich sogar mal eine Zelle geteilt, in Wuppertal. Auch so ein schmales Hemd. Babyface, doch ständig halb verhangene Augen, ausdruckslos wie Glasmurmeln. Schon als Kind vom Stief gefickt worden, später vom Pastor, dann – wenn schon, kann man sich ja auch dafür bezahlen lassen – in den Saunaclubsumpf abgerutscht, bis er eines Tages, ohne große Vorwarnung, einen besonders ruppigen Freier mit 37 Messerstichen umgebracht hat. Und keinen Monat später, noch in U-Haft, einen Mitinsassen, der ›nein‹ nicht als Antwort akzeptieren wollte.

»Vielleicht besser, du fasst mich nicht an«, waren seine Begrüßungsworte gewesen, und da ich das eh nicht vorgehabt hatte, kamen wir anschließend eigentlich ganz gut miteinander klar. Für einen Hitzkopf war er erstaunlich cool. Und gar nicht dumm. Er weinte bei allen Vernehmungen. Er weinte vor dem Anstaltspsychologen. Er weinte vor Gericht. Bei mir in der Zelle weinte er kein einziges Mal. Ich hab ihm damals geraten, es nach der Entlassung als Schauspieler zu versuchen, und tatsächlich stolpere ich heute ab und an mal beim Zappen über ihn und seine Unschuldsmiene.

Kann man mal sehen. Doch wie war ich darauf gekommen?

Ah, ja. Schmächtige Figur, jungenhafte Züge, jedoch mit irgendeinem Hinweis auf tiefsitzende Bitterkeit, das ist so ein Charakteristikum, das mir bei Strichern schon oft aufgefallen ist.

Und von da aus war es nur ein kleiner, gedanklicher Schritt zum Rosa Lollipop, Mülheims heißester Gay-Bar, ein unumstößlicher Superlativ, wenn auch schlichtweg mangels Konkurrenz. Und der gedankliche Schritt war umso kleiner, wenn man bedachte, dass die Schwulenkneipe nur einen Steinwurf entfernt lag von der Stelle, an der man mich gestern Nacht zum Totschläger wider Willen gemacht hatte.

Also drauf aufs Gas, und die Tachonadel tat ihr Möglichstes, mich davon zu überzeugen, dass wir tatsächlich beschleunigten. Ich ließ die Scheiben runter, bis mich die warme Nachtluft umfächelte, und versuchte einfach, die Nerven zu behalten.

Schon einen halben Kilometer vor dem Lollipop parkten die Autos dicht an dicht, doch direkt vor der Tür des Lokals machte ich eine Lücke aus, von der ich dachte, sie könnte so gerade passen.

Sie passte natürlich nicht, und das trotz der zahlreichen, überaus hilfreichen Kommentare, mit der mich die kleine Schar von Gästen versorgte, denen es drinnen zu eng oder zu, tja, schwül geworden war. Wie gesagt, es passte nicht, zum unverhohlenen Vergnügen der Zuschauer, und ich war drauf und dran, einfach wegzufahren und ein andermal wiederzukommen, als mir einfiel, dass man die hässliche kleine Kutsche ja angeblich auch quer einparken kann, also riss ich sie um quietschende 270 Grad herum, stach in die Lücke und bremste das Ding mit Gewalt zusammen. Mit aller Gewalt, sagen wir mal, die das knurrende ABS zuließ.

Motor aus, und ich hörte jemanden »Smart!« flöten, gefolgt von einigem Gegiggel. Nun endgültig angenervt, wollte ich so schnell wie möglich aussteigen, und die allgemeine Heiterkeit wuchs merklich, als ich dazu die Tür nicht weit genug aufbekam. Was ich stattdessen bekam, war ein dicker Hals. Jetzt wieder wegzufahren wäre … eine Schmach gewesen. Also ruckte ich die Türe wieder ins Schloss, schwang die Füße herum auf den Beifahrersitz, griff mit beiden Händen raus zur Dachreling und zog und schob mich mit aller zur Verfügung stehenden Geschmeidigkeit rücklings durchs Fenster. Irgendjemand pfiff anerkennend.

Endlich draußen, glitt ich von der Haube des neben meinem parkenden Wagens und war nicht unzufrieden mit mir, bis einer aus der kleinen Gruppe von stylisch gewandeten Markenfickern meinte: »Jetzt sind wir aber so was von gespannt, wie er die Scheiben hochgedreht kriegt«, gefolgt von viel gepresstem Hihi.

Ich wandte mich wortlos ab und ging mit langen Schritten ins Lokal.

Kurz, ich war nicht unbedingt mein gelassenstes Selbst, als ich mich durch das schrill gestimmte Getöse, dick aufgetragene Gebalze und ganz allgemein affektierte Gebaren zum Tresen vorarbeitete. Alles, was ich wollte, war ein Bier und einen Moment Ruhe. Ich fand einen Hocker und bestellte einen Pils, möglichst groß, möglichst kalt, möglichst bald, doch der blassgeschminkte Schwarzgefärbte hinterm Tresen zog es vor, mich zu ignorieren.

Jetzt bin ich eigentlich kein Typ für Gewalttätigkeiten, doch so was macht mich rasend. Wer sich zu schick findet, um in der Gastronomie zu arbeiten, der soll es ganz einfach lassen. Ich bestellte noch mal, unmissverständlich in Tonfall und Lautstärke, wenn auch weiterhin höflich in der Wortwahl, zählte bis zehn und schloss meine Finger um einen Kristallaschenbecher, als der Blasse endlich aufsah. Gut für ihn.

»Ich nehme keine Bestellungen entgegen«, ließ er mich wissen. »Ich lege hier nur auf.«

Ich dachte kurz daran, ihm den Ascher trotzdem über den Scheitel zu ziehen, und sei es nur dafür, mich so lange warten gelassen zu haben. Doch ich beherrschte mich.