Bitten by Mistake - Annabelle Jacobs - E-Book

Bitten by Mistake E-Book

Annabelle Jacobs

0,0

Beschreibung

Von Feindseligkeit zu sengender Leidenschaft innerhalb eines Mondzyklusses – aber kann die Verbindung überleben? Das Rudel bedeutet für den Wolfswandler Nathan Kohl sein ganzes Leben. Er vermeidet es, Kontakte außerhalb des Rudels zu knüpfen und bevorzugt Menschen als Sexpartner nur deshalb, weil die Gefahr gering ist, sich an sie zu binden. Doch als er auf Jared Taylor trifft, wird nahezu jede Regel in seinem Leben über den Haufen geworfen. Nach einer schlechten Erfahrung ist Jared Taylor sicher, dass er nie wieder etwas mit einem Wandler anfangen wird, egal, wie sehr derjenige ihm unter die Haut geht. Und obwohl er Nathan extrem heiß findet, kann er ihn nur als arroganten, dominanten Bastard sehen. Ein katastrophaler Fehler zwingt Nathan und Jared dazu, bis zum nächsten Vollmond in der Nähe des anderen zu bleiben. Und es dauert nicht lange, bis sie die starke Anziehung, die zwischen ihnen besteht, nicht mehr ignorieren können. Die Leidenschaft siegt über den Verstand und ihre Beziehung geht den einen Schritt weiter, den sie beide nicht geplant haben. Doch wenn der nächste Vollmond kommt, könnte sich alles erneut ändern …

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 423

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Regents Park Rudel

Band 1

Bitten by Mistake

von Annabelle Jacobs

Impressum:

© dead soft verlag, Mettingen 2019

http://www.deadsoft.de

© Annabelle Jacbos

Titel der Originalausgabe: Bitten by Mistake

Regent’s Park Pack 1

Übersetzung: Mia Rusch

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© Volodymyr Tverdokhlib – shutterstock.com

© l i g h t p o e t – shutterstock.com

1. Ausgabe

ISBN 978-3-96089-285-4

ISBN 978-3-96089-286-1 (epub)

Inhalt:

Von Feindseligkeit zu sengender Leidenschaft innerhalb eines Mondzyklusses – aber kann die Verbindung überleben?

Das Rudel bedeutet für den Wolfswandler Nathan Kohl sein ganzes Leben. Er vermeidet es, Kontakte außerhalb des Rudels zu knüpfen und bevorzugt Menschen als Sexpartner nur deshalb, weil die Gefahr gering ist, sich an sie zu binden. Doch als er auf Jared Taylor trifft, wird nahezu jede Regel in seinem Leben über den Haufen geworfen.

Nach einer schlechten Erfahrung ist Jared Taylor sicher, dass er nie wieder etwas mit einem Wandler anfangen wird, egal, wie sehr derjenige ihm unter die Haut geht. Und obwohl er Nathan extrem heiß findet, kann er ihn nur als arroganten, dominanten Bastard sehen.

Ein katastrophaler Fehler zwingt Nathan und Jared dazu, bis zum nächsten Vollmond in der Nähe des anderen zu bleiben. Und es dauert nicht lange, bis sie die starke Anziehung, die zwischen ihnen besteht, nicht mehr ignorieren können. Die Leidenschaft siegt über den Verstand und ihre Beziehung geht den einen Schritt weiter, den sie beide nicht geplant haben.

Doch wenn der nächste Vollmond kommt, könnte sich alles erneut ändern …

Prolog

London, 2010

Die Anzahl der Gestaltwandler stieg immer weiter an und erreichte einen neuen Höchststand. In der ganzen Stadt hatten miteinander verfeindete Rudel begonnen ihre Reihen zu stärken, indem sie Menschen bissen, mit und ohne deren Einverständnis. Um die wachsende Kriminalität in der Stadt zu bekämpfen und die Ängste der Menschen zu lindern, führte die Regierung Karels Gesetz ein.

Karels Gesetz

Ausnahmslos alle Gestaltwandler müssen ihre DNA registrieren lassen. Eine Unterlassung wird als krimineller Akt betrachtet und den Gesetzesübertreter erwartet eine strafrechtliche Verfolgung. Ferner muss für alle neuen Bisse zuerst ein Antrag bei der Abteilung für Wandlerangelegenheiten eingereicht und genehmigt werden. Sowohl der Anwärter als auch das Rudel, in das er aufgenommen werden soll, müssen den Antrag unterschreiben. Bei Unterlassung wird die Verwandlung als nicht einvernehmlich eingestuft. Eine verbale Übereinkunft ist nicht länger rechtskräftig. Alle nicht einvernehmlichen Verwandlungen werden laut dem Gesetz der Freien Wahl von 1995 strafrechtlich verfolgt.

Gesetz der Freien Wahl

KAPITEL 1

Jared lehnte sich gegen den Bartresen und ließ seinen Blick über die Menschenmenge schweifen. Zehn Uhr abends war in diesem Teil der Stadt für einen Freitag eigentlich noch relativ früh, aber trotzdem war der Club schon zu drei Vierteln voll. Heute Abend beeindruckte ihn niemand der Besucher besonders. Er seufzte, leerte sein Glas und drehte sich zum Barkeeper um.

Nachdem dieser das Paar neben ihm bedient hatte, blieb er vor Jared stehen und trommelte mit den Fingern auf dem Tresen. »Noch mal dasselbe?«

Der Mann war groß, schlank, und etwas an seiner arroganten Ausstrahlung schrie förmlich heraus: Wandler. Er war zwar heiß, aber Jared hatte kein Interesse daran, diesen Fehler noch einmal zu begehen. »Nein.« Er schüttelte den Kopf und lehnte sich nach vorn, um den Kühlschrank mit den Bierflaschen besser sehen zu können. »Mir steht der Sinn nach etwas anderem.«

Wie er erwartet hatte, grinste der Barkeeper und zwinkerte ihm zu. »Ist das so?«

Er flirtete ganz eindeutig mit ihm, doch Jared ignorierte es und zeigte auf den Kühlschrank. »Ja. Ich nehme ein Heineken, bitte.«

Viele Männer und Frauen im Club hätten sich um die Gelegenheit gerissen, es mit einem Wandler zu treiben. Aber Jared gehörte nicht dazu.

Der Typ hob zwar angesichts des mangelnden Interesses eine Augenbraue, aber sein Lächeln verschwand nicht, als er Jared die Flasche Bier reichte. »Lass es mich wissen, wenn ich sonst noch etwas für dich tun kann.«

Jared bezahlte und prostete ihm zum Abschied halbherzig zu. »Mache ich.«

Arrogantes Arschloch.

Als er sich durch die Menschenmenge kämpfte, konnte er spüren, wie der Barkeeper ihm nachschaute. Leider sandte diese Tatsache ein erfreutes Kribbeln durch seinen Körper. Wie er es hasste! Es war schließlich nicht so, als würde er ihn nicht attraktiv finden.

Hinter der Tanzfläche gab es einen kleinen Bereich mit Tischen und Stühlen und Jared drängte sich bis zu einem unbesetzten Tisch durch. Es war rappelvoll und als er sich auf einen Stuhl quetschten wollte, stieß er mit der Schulter gegen die Wand. »Fuck«, fluchte er. Obwohl es drei Jahre her war, tat es manchmal immer noch weh. Vor allem im Winter. Und es war natürlich nicht gerade hilfreich, wenn er sie sich anschlug. Jared stellte sein Bier auf dem Tisch ab, ließ seine Hand unter das T-Shirt gleiten und rieb sich abwesend die schmerzende Stelle. Er seufzte und schloss die Augen.

»Ist der Platz noch frei?«

Die leise, rauchige Stimme ließ Jared so sehr zusammenzucken, dass erneut gleißender Schmerz durch seine Schulter fuhr. Er riss die Augen auf.

Der Mann, der vor ihm stand, war ziemlich groß, sicher einen halben Kopf größer als Jared mit seinen ein Meter fünfundachtzig. Er stand für seinen Geschmack viel zu nahe und ging ihm schon jetzt auf die Nerven. Jared lehnte sich zurück, um ein wenig Abstand zu gewinnen, und sah ihn misstrauisch an. »Ja, aber es wäre mir lieb, wenn das auch so bliebe.«

»Hm, temperamentvoll. Das mag ich an Männern.« Der hochgewachsene Typ legte seine Hand auf Jareds Stuhllehne und sog kaum merklich die Luft ein.

Wenn er ein paar Drinks mehr intus hätte, wäre es ihm wahrscheinlich gar nicht aufgefallen. Aber noch machte sich der Alkohol nicht bemerkbar und er verstand sofort.

Verdammte Wandler.

»Verpiss dich.«

»Ich bin Nathan«, sagte der Kerl und grinste ihn selbstbewusst an.

Jared verdrehte die Augen und nahm einen demonstrativ langsamen Schluck von seinem Bier. »Und ich bin nicht interessiert. Wärst du also so nett, jemand anderes zu belästigen?«

Wie immer brachte diese Arroganz ihn zur Weißglut. Ständig taten die Wandler so, als könnten Menschen ihrem Charme unmöglich widerstehen, als müssten sie sich glücklich schätzen, von ihnen überhaupt beachtet zu werden. Vielleicht gab es ja irgendwo Wandler, die nicht so waren, aber Jared hatte noch nie einen von ihnen getroffen. Andererseits standen die Chancen in einem Lokal wie diesem auch nicht gerade gut, das musste er zugeben, als er sich in dem dunklen, verrauchten Club mit seinem zweifelhaften Publikum umsah.

Nathan ignorierte Jareds Worte und ließ sich auf den Stuhl ihm gegenüber sinken. Die Bewegung sah viel eleganter aus als bei Jared. Kein Wunder, denn die Wolfsgene verliehen Nathan eine Art von Stärke und Geschmeidigkeit, die er nicht besaß. Er konnte den Blick nicht von Nathan abwenden, als dieser es sich auf dem Stuhl bequem machte. Nathan drehte den Stuhl seitwärts, um mehr Platz zu haben, und setzte sich dann breitbeinig hin. Schwarzer Jeansstoff schmiegte sich an seine muskulösen Schenkel und saß im Schritt ziemlich straff, was Jared vermuten ließ, dass er einiges zu bieten hatte. Obwohl er genau wusste, dass sich Nathan mit voller Absicht so hingesetzt und die Bewegung wahrscheinlich in langer Übung perfektioniert hatte, konnte er nicht anders, als seinen Schwanz anzustarren, der sich unter der Hose abzeichnete. Hitze sammelte sich in seinem Bauch, als sein Körper gegen seinen Willen reagierte. Hastig griff er nach seiner Bierflasche und nahm erneut einen Schluck, um sich zu beruhigen. Vielleicht war es Nathan ja nicht aufgefallen. Jared schluckte und schaute auf, nur um zu sehen, dass er ihn süffisant angrinste. Er wusste also Bescheid.

Scheiße.

»Weißt du … dein Mund sagt das eine, dein Körper das andere. Wie wäre es, wenn wir nicht lange um den heißen Brei herumreden und zu mir gehen?« Nathan setzte sich aufrecht hin und griff nach unten, um die Ausbuchtung in seiner Hose zurechtzurücken.

Jared schaffte es diesmal, Augenkontakt zu halten, und amüsierte sich innerlich über den Anflug von Verärgerung in Nathans Blick.

Ganz genau. Ich bin nicht so einfach zu haben, wie du denkst.

Er grinste, als seine Selbstsicherheit zurückkehrte. Niemals würde er zulassen, dass ein Wandler die Oberhand gewann. Keine Chance. Nicht schon wieder. »Nur weil ich dir auf den Schwanz geschaut habe, heißt das nicht, dass ich dich ficken will. Ehrlich gesagt …« Er deutete mit seiner Flasche in Richtung Menschenmenge um sie herum. Die Tanzfläche hatte sich nun deutlich gefüllt und er erblickte zumindest drei Männer, die er ohne zu zögern mit nach Hause nehmen würde. »Ich sehe da einige Alternativen, die definitiv mehr mein Typ sind.« Natürlich konnte er aus der Entfernung nicht sagen, ob es Menschen oder Wandler waren, aber das war ja nicht so wichtig.

Nathan legte den Kopf schief und musterte Jared neugierig. »Du weißt, was ich bin«, stellte er fest.

Das war keine Frage gewesen, aber Jared antwortete trotzdem. »Ja, weiß ich.«

»Und du versuchst immer noch so zu tun, als wärst du nicht interessiert.«

Er ballte seine Hände zu Fäusten. Ob er sich für das nächste Mal ein T-Shirt drucken lassen sollte, auf dem Ich treibe es nicht mit Wandlern stand? Andererseits würden sie es vielleicht als Herausforderung ansehen und sich noch mehr ins Zeug legen, so wie dieser hier. »Hör zu. Ich kann nicht leugnen, dass ich dich attraktiv finde, aber entgegen der verbreiteten Annahme, gibt es immer noch ein paar Menschen, die sich nicht automatisch bücken, sobald ein Wandler mit den Fingern schnippt.«

Er erhielt als Antwort nur eine hochgezogene Augenbraue. Ein paar Sekunden vergingen, in denen Nathan seine Arme auf dem Tisch abstützte und Jared weiterhin musterte. Er ließ es ungerührt zu. Was auch immer Nathan sah, es würde nichts an der Tatsache ändern, dass er von Wandlern die Finger ließ. Egal, wie heiß sie waren. Obwohl Jared zugeben musste, dass dieser sogar noch heißer war als alle, denen er zuvor begegnet war. Groß, breitschultrig und muskulös. Manche Wandler übertrieben es und verlangten ihren ohnehin schon athletischen Körpern alles ab, wodurch sie unnatürlich aufgepumpt aussahen, als nähmen sie Steroide. Nicht gerade sein Geschmack. Nathan allerdings mit seinem unordentlichen schwarzen Haar und den blitzblauen Augen war exakt Jareds Typ. Wenn er ein Mensch wäre, dann wären sie wahrscheinlich schon im Bett. Oder zumindest auf dem Klo mit den Jeans in den Kniekehlen. Aber Nathan war kein Mensch.

»Ich weiß nicht, was ich noch sagen soll, damit du es kapierst. Du verschwendest deine Zeit bei mir. Und außerdem ruinierst du meine Chance, heute noch jemanden aufzureißen. Würdest du dich also freundlicherweise verziehen?«

Unerwarteterweise veränderte sich Nathans Verhalten innerhalb einer Sekunde, als hätte er seine Arschlochfassade abgelegt. Seine Miene strahlte plötzlich Aufrichtigkeit aus und auch das Lächeln, das er ihm zuwarf, wirkte ehrlich. »Sorry«, sagte er und deutete in Richtung Menschenmenge. »Die meisten Leute wollen es mal mit einem Wandler treiben. Der Reiz des Neuen.«

»Muss ja schrecklich sein.« Jared konnte keinerlei Mitgefühl aufbringen. Und er kaufte Nathan die abrupte Veränderung nicht ab. Überhaupt nicht.

Zumindest widersprach Nathan nicht. Er zuckte mit den Schultern. »Ich hab ja nicht gesagt, dass es mich stört. Sex ist Sex. Aber sie erwarten eben ein bestimmtes Verhalten und ich habe mir das so antrainiert, dass ich es schwer wieder loswerde.«

Jared verengte die Augen. Es war nicht so, dass er Nathan auch nur ansatzweise vertraute, denn wahrscheinlich war das ebenso bloß ein Haufen Mist, um ihn zu verunsichern, aber der plötzliche Sinneswandel machte ihn neugierig. Er wusste, dass er nicht schlecht aussah, aber der ganze Club war voll mit heißen Leuten, die absolut nicht abgeneigt wären, weil sie nicht dieselben Vorbehalte hatten wie er. Warum ließ Nathan also ausgerechnet bei ihm nicht locker, wenn er sich mühelos jemand anderes aussuchen könnte? »Warum sitzt du immer noch hier, wenn du verdammt genau weißt, dass ich nicht auf deine Masche hereinfalle?«, fragte er.

»Weil ich … Scheiße, tut mir leid.« Nathan hielt einen Finger hoch, als würde er kurz auf die Pausetaste ihrer Unterhaltung drücken, und fischte sein Handy aus der Tasche.

So verdammt unhöflich.

Er hielt das Handy ans Ohr. Wer auch immer am anderen Ende sprach, Nathans Gesichtsausdruck verdüsterte sich innerhalb von Sekunden.

Jared konnte durch die schweren Bässe, die durch den Club dröhnten, absolut nichts verstehen, und das brachte ihn zur Weißglut. Er nippte weiter an seinem Bier und verfluchte die Tatsache, dass er unbedingt wissen wollte, was Nathan gerade fast gesagt hätte. Und das, obwohl er ihm so fürchterlich auf die Nerven ging. Weil ich…, hatte er seinen Satz begonnen. Weil was? Pah. Jared pulte das Etikett von seiner Bierflasche und hasste sich dafür, dass es ihn interessierte.

»Ich muss gehen.« Nathan stand auf und erst, als Jared aufsah, wurde ihm klar, dass er ihn angesprochen hatte.

»Was? Aber …« Jared verschluckte den Rest des Satzes.

Warum versuche ich ihn aufzuhalten? Lass ihn gehen, verdammte Scheiße.

»Sorry.« Nathan drehte sich um und war innerhalb von Sekunden in der Menschenmenge verschwunden.

Jared starrte ihm fassungslos nach. »Fuck.« Erleichterung war eigentlich das Einzige, was er nun fühlen sollte. Warum also blieb diese quälende Neugier in ihm zurück? Egal, wie sehr er versuchte sie zurückzudrängen, sie verschwand nicht. »Verfickte Scheiße.« Er würde Nathan ziemlich sicher nie wiedersehen, also musste er das Gefühl einfach ignorieren, bis es von selbst verging. Es gab genug Menschen, die genauso heiß waren. Jared rutschte auf seinem Stuhl hin und her, um den Club besser überblicken zu können. Er musterte die vielen eng gedrängten Leute auf der Tanzfläche, um zu sehen, ob ihm jemand gefiel. Doch seine Gedanken wanderten immer wieder zurück zu Nathan, zu seinem Haar und diesen verdammt breiten Schultern.

Gottverdammt!

Jared knallte seine leere Bierflasche auf den Tisch und stand auf. Die Nacht war ruiniert, er konnte genauso gut nach Hause gehen, bevor er noch irgendetwas Dummes und Unüberlegtes tat.

Sich am Rand der Tanzfläche vorbeizudrücken, war nicht einfacher, als sich mitten hindurchzudrängeln. Der Club war brechend voll und von allen Seiten kamen Leute in ihn hinein. Er kämpfte sich so gut wie möglich seinen Weg frei. Mehr als ein Getränk wurde über ihn vergossen, während er sich langsam dem Ausgang näherte. Als er ihn schon fast erreicht hatte, prallte jemand mit seinem ganzen Gewicht seitlich gegen ihn und brachte ihn aus dem Tritt. Bevor er zu Boden fiel, griffen starke Arme nach ihm.

»Scheiße, bist du okay?« Der Fremde, der ihn gerettet hatte, ließ seine Hände über Jareds Arme nach oben wandern. Als er seinen Hals erreichte, hielt er inne.

Jared, immer noch ein wenig benommen von dem Zusammenstoß, brauchte einen Moment, um zu realisieren, was passiert war. »Was zur Hölle machst du da?«, fragte er verwirrt. Er versuchte sich von dem Mann zu lösen, aber dieser verstärkte den Griff um seinen Hals ein wenig. Jared erstarrte sofort.

»Hey, ganz ruhig. Ich will nur sehen, ob du okay bist«, sagte der Fremde sanft und beschwichtigend, doch in seinen Augen glänzte ein kalter, berechnender Ausdruck.

»Danke, aber mir geht’s gut.« Jared versuchte angestrengt, seinen Atem und seinen Herzschlag ruhig zu halten. Diese ganze Situation war ziemlich seltsam; er wollte nicht, dass sie eskalierte. Wenn hier drinnen irgendetwas passierte, würden wahrscheinlich nicht viele Zeugen zu seinen Gunsten aussagen. Das Gesetz verlangte zwar, dass Wandler ihre DNA registrieren ließen, doch Jared hatte die dumpfe Vermutung, dass das nicht alle taten.

Der Typ ließ ihn los und trat einen Schritt zurück. »Versuch nächstes Mal besser aufzupassen«, sagte er, dann war er weg.

Jegliche Restzweifel darüber, ob Wandler wirklich so übel waren, waren nun durch diese kleine Szene wie weggeblasen. Es war schon lange her, dass ein Wandler ihn mit seinem Geruch markiert hatte. Er fühlte sich dreckig, als wäre seine Haut befleckt worden. Je eher er nach Hause kam und duschen konnte, desto besser.

Als er es endlich aus dem Club geschafft hatte, blieb Jared auf dem Bürgersteig stehen, um sich zu sammeln. Die Nacht war warm genug, um keine Jacke zu brauchen. Er blickte auf und sah, wie hell der Mond schien. Gestern war Vollmond gewesen. Vielleicht verhielten sich die ganzen Wandler deshalb noch seltsamer als sonst, weil sie eine Art Kater von der gestrigen Verwandlung in ihre ekelhaften Wolfskörper hatten. Jared erschauderte und drängte das Bild zurück, das vor seinem inneren Auge aufblitzte. Krallen. Zähne … Er brauchte noch einen Drink.

Als er vor dem Club stand und überlegte, ob er lieber nach Hause gehen oder in die nächste Bar weiterziehen sollte, achtete er nicht so sehr auf seine Umgebung, wie er es hätte tun sollen. Den jungen Mann, der sich an ihm vorbeidrängte und ihm dabei die Brieftasche klaute, bemerkte er nämlich erst, als es schon zu spät war. Der Dieb begann zu rennen, als er einige Schritte entfernt war.

»Hey!«, brüllte Jared ihm hinterher und sprintete ihm nach. Konnte der Abend noch beschissener werden?

KAPITEL 2

Nathan eilte mit leisen Schritten die Straße runter und fluchte vor sich hin. Der Lärm aus dem Club trat langsam in den Hintergrund, verschwand wie das Versprechen auf einen unterhaltsamen Abend. Bei diesem Gedanken musste er lächeln; er konnte einfach nie einer Herausforderung widerstehen. Wieder klingelte sein Handy. Nathan verzog das Gesicht und fischte es aus seiner Tasche. »Was?«, fragte er.

»Wo zur Hölle bist du? Wir geben hier leichte Beute ab.«

Nathan blickte auf. Die Anziehungskraft des Mondes war nicht mehr so stark wie gestern, brachte sein Blut aber trotzdem in Wallung. »Ich bin fast da. Wo ist Alec? Ich dachte, er sei heute für die Verstärkung zuständig.«

»Er ist schon mit seinem Team unterwegs. Du sollst nur als zusätzliche Sicherheit da sein, bis er hier ist, also beeil dich verdammt noch mal.«

Die Verbindung brach ab und Nathan steckte sein Handy wieder in die Tasche. Dann begann er zu laufen. Daryl hatte wütend geklungen, aber auch angespannt. Irgendetwas machte ihm Angst.

Sie waren in einer miesen Gegend liegen geblieben, aber laut dem, was Daryl gesagt hatte, befanden sie sich auf neutralem Territorium. Solange sie in diesem Stadtviertel blieben, sollten sie sicher sein.

Nathan lief die Garrick Street runter und mühte sich, wachsam zu bleiben. Er musste auf alles achten, was aus der Masse an Leuten in Feierlaune herausstach. Der Überfluss an Lärm und Ausdünstungen machte es schwierig, Einzelheiten herauszufiltern, aber er tat sein Bestes. Schließlich erhaschte er den schwachen Geruch seines Rudels. Nathan sog die Luft tief in seine Lungen und musste ein Knurren unterdrücken. Es roch nach Angst und Panik.

Daryls Lieferwagen stand etwa in der Mitte der King Street. Die Sackgasse machte Nathan nervös, denn dadurch hatten sie weniger Optionen, falls eine Flucht nötig werden sollte. Nicht der beste Ort, um liegen zu bleiben. Er hielt sich nahe an den Geschäften, die die Straße säumten, als er in Richtung Lieferwagen eilte. Seine Sinne arbeiteten auf Hochtouren. Auf den ersten Blick wirkte es zwar nicht so, als wäre irgendetwas falsch oder seltsam, aber er hatte ein mieses Gefühl bei der Sache.

Die Menschen wichen ihm aus. Auch die Betrunkenen schienen instinktiv zu wissen, dass er gefährlich war. Es war heutzutage nicht unüblich, auf der Straße einem Wandler zu begegnen, doch die Menschen wussten nicht, wie viele von ihnen wirklich umherstreiften. Sie trugen ja keine Marke, auf der Wandler stand. Nathan wusste, wie viele sie waren. Genau wie die anderen seines Rudels. Die Stadt war in Reviere eingeteilt. Jedes Rudel hatte sein eigenes Revier, aber es war in London so gut wie unmöglich, sich nie in die Quere zu kommen. Deshalb gab es die Übereinkunft, dass bestimmte Rudelmitglieder zu bestimmten Zeiten die Reviergrenzen überschreiten durften. Manche Stadtviertel waren neutral: Covent Garden, Soho, die Oxford Street, alles erstklassige Gegenden, bei denen man sich darauf geeinigt hatte, dass sie allen gehörten. Wenn jemand versuchte sie für sich zu beanspruchen, würden sich alle anderen zusammenschließen und geeint dagegen vorgehen. Es war das Risiko nicht wert, es auch nur zu versuchen.

Daryl stand an den Lieferwagen gelehnt da und rauchte eine Zigarette. Er war etwa so groß wie Nathan und ähnlich gebaut, doch sein rasierter Kopf ließ ihn zehnmal so gefährlich erscheinen. Auf die meisten Leute hätte er sicherlich ruhig und gelassen gewirkt, wie er so dastand und wartete, vielleicht sogar gelangweilt. Aber Nathan bemerkte seine verkrampften Schultern und die pochende Ader an seinem Hals, die seinen hohen Puls verriet. Daryl streifte ihn mit einem flüchtigen Blick, als Nathan nur noch ein paar Schritte entfernt war, und nickte ihm zu. »Nate.«

»Daryl«, gab er zurück und musterte den Lieferwagen.

Die Seitentür wurde aufgezogen. Ben sprang heraus und gesellte sich zu ihnen. Als Beta war Daryl Cam unterstellt, dem Alpha ihres Rudels. Ben gehörte zu Daryls Einheit.

»Wie lange, bis Alec hier ist?«, fragte Nathan.

»Zehn Minuten.« Ben ließ seinen Blick zwischen ihm und Daryl hin und her schweifen. Er war einen Kopf kleiner als die beiden. Seine blonden Locken und die Grübchen in den Wangen verliehen ihm ein engelhaftes Aussehen, was nicht weiter von der Wahrheit hätte entfernt sein können. Nathan hatte mit eigenen Augen gesehen, wie er beim letzten Kampf einem anderen Wandler die Kehle herausgerissen hatte. Er stutzte. Warum brauchten sie eigentlich ihn als Verstärkung, wenn Ben bei Daryl war?

Ein Vorderreifen des Lieferwagens hatte einen Platten. Nathan ging an Ben und Daryl vorbei, um dagegenzutreten. »Warum habt ihr ihn nicht gewechselt?«

»Oh, warum sind wir darauf bloß nicht gekommen?«, fragte Daryl sarkastisch und verdrehte die Augen. Er zeigte mit seinem Daumen über die Motorhaube. »Auf der anderen Seite genau dasselbe.«

»Fuck«, zischte Nathan. Ein Platter, das konnte schon mal passieren, aber zwei? Er sah sich auf der Straße um. Kein Wunder, dass Daryl so angespannt war. »Hast du gesehen, wer das getan hat?«

Ben schüttelte den Kopf. »Nein. Wir haben versucht der Sache nachzugehen, aber nichts. Hier sind zu viele Gerüche, um sie auseinanderzuhalten.«

Nathan nickte. Seine Wandlersinne waren auch schon komplett durcheinander und er hatte Daryl nur gefunden, weil der Geruch des Rudels ihm in Fleisch und Blut übergegangen war. Er würde ihn überall erkennen.

Daryl schnippte seinen Zigarettenstummel zu Boden und trat ihn aus. »Viele Wandler unterwegs heute. Ich kann aber nicht sagen, zu welchen Rudeln sie gehören.«

Nathan brummte zustimmend. Ein seltsamer Geruch, der ihm vage bekannt vorkam, lag in der Luft. Er meinte, ihn vorher im Club schon einmal gewittert zu haben. Doch sicher war er sich nicht, er war zu abgelenkt gewesen. »Ruf Alec noch mal an …« Ein plötzlicher Geruch überwältigte ihn förmlich. Er war viel zu stark, um ihn zu ignorieren. Sie drehten sich alle im selben Moment um. Wandler.

»Scheiße«, fluchte Daryl so leise, dass es eigentlich nur Ben und Nathan hätten hören können. Aber Nathan glaubte ein leichtes Lächeln auf dem Gesicht eines der drei Fremden zu erkennen, die sich ihnen näherten. Drei gegen drei, die Chancen waren ausgeglichen, aber kein Wandler kämpfte gerne in der Öffentlichkeit. Die Polizei hielt sich zwar aus Rudelkämpfen heraus, aber wenn Menschen verletzt oder gefährdet wurden, sah die Sache anders aus. Hier einen Kampf anzufangen mit so vielen Menschen rundherum, schrie nach Ärger.

Das ist neutraler Boden, verdammt. Was zur Hölle ist ihr Problem?

»Was meint ihr?«, fragte Daryl und hielt seinen Blick fest auf die drei Wandler gerichtet, die sich weiter näherten. Bald würden sie ihre Unterhaltung hören können, wenn sie es nicht schon konnten.

»Zu viele Leute in der Nähe für einen Kampf. Mal sehen, was sie wollen.« Nathan sog die Luft ein und versuchte zu erkennen, aus welchem Rudel sie stammten, doch sie rochen merkwürdig. Irgendwie vertraut, aber auch wieder nicht. »Und außerdem, wenn sie uns ausschalten wollten, hätten sie doch mehr als drei geschickt.« Er warf einen Blick über die Schulter. Ein schwarzer Geländewagen fuhr auf sie zu und am liebsten hätte er sich geohrfeigt.

Daryl schüttelte den Kopf. »Scheiße, Nathan. Jetzt hast du es verschrien.«

Der Geländewagen blieb mit quietschenden Reifen vor ihnen stehen. Die Leute stoben auseinander und plötzlich war die Straße menschenleer. Sicher würden einige von ihnen die Polizei rufen. Aber es würde vorbei sein, ehe sie da war. Auf die eine oder andere Art.

»Ein anderer Beta ist mit seiner Einheit auf dem Weg hierher. Das solltet ihr nicht tun.« Daryl erhob seine Stimme nicht, doch die Tür des Geländewagens wurde aufgerissen.

Niemand stieg aus, aber von drinnen erklang hämisches Lachen. »Oh, wir werden mit euch fertig sein, bevor Alec kommt.«

Daryl richtete sich in einer Drohgebärde auf, als er Alecs Namen hörte. Niemand außerhalb des Rudels konnte wissen, wer zur Verstärkung eingeteilt war. Nathan war sich nicht sicher, was besorgniserregender war: Die Tatsache, dass die fremden Wandler es wussten oder dass sie es nicht geheim hielten. Es sollte also anscheinend keine Überlebenden geben. Dass Nathan dabei war, hatten sie aber unmöglich wissen können. Es war nicht üblich, in einem neutralen Gebiet zusätzliche Verstärkung zu rufen. Vielleicht hatten sie dadurch einen Vorteil.

Zwei Wandler stiegen aus dem Geländewagen. Ihr kaum merkliches Zögern bedeutete wahrscheinlich, dass Nathan richtig lag. Wegen ihm stand es nun drei gegen fünf, und das war für sie um einiges besser als zwei gegen fünf.

»Ben, rüber zu Nathan. Ich nehme die im Wagen.« Nachdem Daryl die Worte ausgesprochen hatte, verwandelten sie sich.

Nathans T-Shirt riss an den Schultern ein, als seine Knochen sich vergrößerten und verschoben. Seine Kiefer barsten, seine Zähne wuchsen und Krallen brachen aus seinen Händen hervor. Eine Woge roher Kraft überrollte ihn. Die Halbverwandlung war nicht hübsch oder sexy, wie es in romantischen Schilderungen manchmal dargestellt wurde. Sie war brutal und abscheulich: Die verzerrte Version eines Wolfsschädels auf einem gekrümmten menschlichen Körper, riesige Hände mit messerscharfen Krallen statt Fingernägeln. Eine verstärkte Sinneswahrnehmung und mehr Kraft hatten Wandler die ganze Zeit, egal ob sie sich verwandelten oder nicht, doch welche chemische Veränderung auch immer dafür verantwortlich war, die Halbverwandlung machte sie noch stärker. Übermenschlich stark. Obwohl es unerträglich wehtat, wenn seine Knochen brachen und sich bis zum Äußersten dehnten, fühlte sich Nathan in dieser Form lebendiger als in jeder anderen. Als ob sein Körper für sie geschaffen wäre.

Gutturales Brüllen zerriss die Nacht. Die Straße verschwamm in einem Strudel aus Bewegungen, als die acht Wandler aufeinander losgingen.

Nathan stürzte nach vorne, genauso wie Ben zu seiner Rechten. Er holte weit aus und hieb mit seinen Krallen nach dem ersten Angreifer, spürte Fleisch bis auf den Knochen reißen. Dann wirbelte er den Typen herum, den er gerade aufgespießt hatte, und ließ ihn gegen den Lieferwagen krachen. »Welches Rudel?«, knurrte Nathan aus tiefster Kehle.

Der Typ lachte nur und entblößte dabei blutverschmierte Zähne. »Fick dich.«

Er bohrte seine Krallen ein wenig tiefer in sein zerfetztes Fleisch. Er wollte ihn nicht unbedingt töten, würde es aber tun, wenn es nötig wäre. »Welches Rudel?« Nathan sah eine Sekunde zu spät, wie der Blick seines Gegners nach links huschte, und spürte einen scharfen, reißenden Schmerz in seinem Rücken. Er heulte auf, ließ sein Opfer zu Boden fallen und wirbelte zu dem neuen Angreifer herum.

Ben hatte ihn ordentlich zugerichtet. Wandler heilten schnell, aber der Typ, der ihm gegenüberstand, war blutüberströmt. Fünf tiefe Schnitte zogen sich über seine Brust, ihm fehlte ein Auge, das nicht mehr heilen würde, und sein Oberschenkel war bis zum Knochen offen. Die Wunden würden sich schließen, wenn er ruhte, aber nicht während des Kampfes.

Nathan stürzte sich auf ihn und ignorierte den Schmerz und das Blut, das klebrig seinen Rücken herunterlief. Er nahm sich das Bein seines Gegners vor. Der Knochen brach sauber in zwei Hälften. Ein schrilles Heulen erklang, aber der Wandler schaffte es trotzdem, Nathans Arm zu packen, während er fiel. Eine rasche Drehung, etwas Druck und Nathan spürte, wie sein Handgelenk brach.

Fuck, das hat wehgetan.

Nathan umklammerte seine Hand und stieg über den gekrümmten Körper seines besiegten Gegners. Er warf Daryl einen kurzen, prüfenden Blick zu. Er schien okay zu sein, also eilte er zu Ben, um ihm zu helfen.

Als Beta war Daryl sogar noch stärker und schneller, und er schlug sich wacker gegen die zwei aus dem Geländewagen. Ben hingegen erging es nicht ganz so gut. Sein Arm hing schlaff an seiner Seite herab und eine besorgniserregende Menge Blut sammelte sich neben ihm auf dem Boden. Der Kampf, zwei gegen einen, hatte seinen Tribut gefordert. Bens Gegner war in nicht besserer Verfassung, aber immer noch stark genug, um ihn erneut anzugreifen und ihn zu Boden zu ringen. Er hob seine Hand, bereit, Ben mit seinen blutigen Krallen die Kehle herauszureißen.

Als er seine Hand schon für den Todesstoß nach unten sausen ließ, sprang Nathan nach vorn. Er ignorierte den gleißenden Schmerz in seinem Handgelenk und brach dem Typen mit einer schnellen Bewegung das Genick. Dann trat er einen Schritt zurück und ließ die Leiche fallen. »Bist du okay?«, fragte Nathan und krümmte sich, als er die wachsende Blutlache unter Ben bemerkte. Sie mussten ihn in Sicherheit bringen, damit er heilen konnte.

»Ging mir schon besser.« Husten schüttelte Ben und er zischte schmerzerfüllt.

Ein dunkelblauer Lieferwagen bog in die Straße ein. Als die Scheinwerfer sie trafen, wurde er schneller. Daryl, nun wieder in seiner menschlichen Form, stand über den Leichen der zwei Wandler aus dem Geländewagen. Er drehte sich zu Nathan um und schnitt eine Grimasse. »Alec ist da.«

Jeder im Rudel wusste, dass Nathan und Alec einander nicht ausstehen konnten. Der Gedanke daran, dass er nun neben diesem Chaos auch noch Alec am Hals hatte, erfreute ihn nicht besonders. Er entspannte sich und ließ zu, dass sich sein Körper wieder verwandelte. »Wundervoll«, murmelte er, dehnte die Hände und spannte den Kiefer an, um die Schmerzen zu lindern. Die Knochen in seinem Handgelenk begannen wieder zusammenzuwachsen, aber das dumpfe Pochen würde noch etwa einen Tag anhalten.

Die zwei Wandler, die noch am Leben waren, nutzten die Ablenkung und ergriffen die Flucht. Es ging ihnen schon wieder gut genug, um Nathan aus dem Weg zu stoßen, als sie an ihm vorbeihasteten. Dann eilten sie halb laufend und halb taumelnd die Straße runter.

Scheiße.

Sie mussten herausfinden, welches Rudel hinter dem Angriff steckte. Alec würde durchdrehen, wenn die beiden davonkämen. Er würde es regelrecht genießen, Nathan die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben.

»Geh«, sagte Daryl, als sich die Türen des Lieferwagens öffneten. »Ich kümmere mich hier um alles.«

Nathan zischte davon wie eine Rakete. Die Schmerzen in seinem Rücken waren wie weggewischt, als das Jagdfieber einsetzte. Er rannte in Schlangenlinien durch die Menge und achtete darauf, in niemanden hineinzulaufen. Die flüchtigen Wandler waren zwar außer Sichtweite, aber ihr heftiger Atem und ihre lauten Schritte verrieten ihm, wo sie waren. Er holte sie langsam, aber sicher ein. Leute blieben stehen, um zu gaffen, als er vorbeilief. Wie musste er wohl für sie aussehen; das T-Shirt in Fetzen gerissen und sein Rücken blutüberströmt? Das Geräusch von weit entfernten Sirenen kam nicht überraschend. Sie fuhren wahrscheinlich zu Daryl und Alec. Es war nicht das erste Mal, dass sie mit der Polizei zu tun hatten, und es würde auch nicht das letzte Mal sein. Kämpfe zwischen Wandlern, die tödlich endeten, wurden aber meist als Angelegenheit des Rudels betrachtet. Wenn sie den Geruch des Rudels nicht zuordnen konnten und sich niemand zu dem Angriff bekannte, blieb er ungelöst und ungestraft. So war es eben.

Nathan bog mit voller Geschwindigkeit in eine Seitenstraße. Die Leiche, die ihm im Weg lag, hatte er nicht erwartet. Er kam ins Taumeln, landete auf dem Asphalt und schürfte sich die Hände blutig auf. Die Wunden an seinem Rücken rissen wieder auf. Fluchend kam er auf die Beine und musterte den leblosen Körper. Das fehlende Auge und die sichtbaren Verletzungen ließen ihn erstarren.

Die Kehle des Wandlers war aufgeschlitzt worden. Er war sicher sofort tot gewesen.

Wer zur Hölle hat ihn getötet?

Nathan hatte in der Umgebung keine anderen Wandler gerochen, also hieß das, dass es der andere getan haben musste.

Mein Gott.

Doch er hatte keine Zeit, sich weiter damit zu befassen. Rasch drehte er sich um und lief die Gasse entlang, den verhallenden Schritten hinterher. Wer auch immer der Kerl war, er führte Nathan zurück nach Soho mit all den Clubs und Bars. In der Menschenmenge würde Nathan ihn sicher verlieren, also musste er ihn vorher kriegen.

Am Ende der Gasse blieb er stehen und lauschte. Das Geräusch der Schritte verstarb, aber er konnte jemanden abgehackt und hastig atmen hören. Die Seitenstraße, in der er sich befand, war so gut wie ausgestorben. Der Geruch des Wandlers war schwach, aber definitiv da. Nathan erkannte ihn, es war einer von denen, gegen die er gekämpft hatte. Er ballte die Hände zu Fäusten und widerstand dem Drang, sich zu verwandeln. Das sollte er erst tun, wenn sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden. Der Geruch führte ihn in eine andere dunkle Seitenstraße gegenüber. Der perfekte Ort, um ungestört zu kämpfen.

Nathan zögerte kurz, bevor er die Gasse betrat. Sie war nicht beleuchtet, aber seine Augen waren gut genug, um zu erkennen, dass sie völlig leer war. So viel zu “von Angesicht zu Angesicht“. Er trat einen Schritt vor und hielt erneut inne. Wieder näherte sich das Geräusch von Schritten, schnellen Schritten, als ob jemand verfolgt würde. Und dieser Jemand war … ein Mensch.

Scheiße.

Das Letzte, was Nathan wollte, war, dass ein Mensch verletzt wurde. Er drückte sich eng an die Wand. Hoffentlich würden sie einfach vorbeilaufen, ohne ihn zu bemerken.

Sekunden später schlitterte jemand um die Ecke, ein dürrer Typ, der ihn nicht eines Blickes würdigte und an ihm vorbeirannte. Nathan seufzte erleichtert. Durch den kurzen Moment der Unaufmerksamkeit war er nicht vorbereitet, als erneut schnelle Schritte erklangen. Gleichzeitig stieg ihm ein unverwechselbarer Geruch in die Nase. Wandler. Und zwar der, hinter dem er her war.

Warum zur Hölle kommt er aus dieser Richtung?

Nathan spähte die Gasse entlang, die definitiv leer war. Die Schritte waren schon fast bei ihm. Niemals würde er zulassen, dass dieser Bastard die Oberhand gewann. Er verwandelte sich, kurz bevor ein Schatten auf ihn fiel. Der bekannte Geruch füllte seine Lungen und er musste ein Brüllen unterdrücken. Dies würde kein tödlicher Kampf werden. Nathan und sein Rudel wollten Antworten, und sie würden sie verdammt noch mal bekommen. Die Leichtigkeit, mit der er den Typen überwältigte, hätte ein Warnsignal sein sollen. Aber er war zu beschäftigt mit seiner Aufgabe, um ein solches zu erkennen. Der Geruch des Feindes beherrschte seine Sinne und mit einem Knurren grub er seine Krallen in seine Schultern, was ihn sofort zum Stillstand brachte. Der beste Weg, einen Wandler zu unterwerfen, war, ihm mit dem Tod zu drohen. Und nichts schrie so sehr nach endgültigem Tod wie eine herausgerissene Kehle. Nathan zog den Typen grob mit dem Rücken an seine Brust und hielt ihn mit eisernem Klammergriff fest. Dann fletschte er die Zähne und biss ihm in den Hals. Er grub seine Zähne nicht tief genug, um viel Schaden anzurichten, aber die Drohung war klar: Eine falsche Bewegung und Nathan würde ihn erledigen.

Wie er erwartet hatte, sackte der Typ schlaff in seinen Armen zusammen. Langsam verebbte der Adrenalinstoß, den die Jagd mit sich gebracht hatte. Und ab da lief alles ganz fürchterlich schief. Nathans Nase war eng gegen den Hals des Typen gedrückt, sodass er seinen Geruch gut wahrnehmen konnte. Er erstarrte.

Scheiße, Scheiße, Scheiße.

Unter dem Geruch nach Wandler war noch ein zweiter, viel stärkerer, nämlich der nach Mensch. Nathan fuhr die Zähne ein, ließ den Typ zu Boden fallen und sackte nach hinten gegen die Backsteinmauer.

Verdammte Scheiße.

Sein Herz raste und er rang angestrengt nach Luft, als er versuchte die Panik zu unterdrücken.

Ein Mensch. Ich habe einen verdammten Menschen gebissen. Oh mein Gott, dafür kann ich hingerichtet werden.

Der metallische Blutgeschmack klebte an seiner Zunge und in seiner Kehle. Er schluckte mühsam, um ihn loszuwerden. Nachdem er sich den Mund am Ärmel abgewischt hatte, musterte Nathan den Körper, der gekrümmt zu seinen Füßen lag. Etwas an dem Mann kam ihm bekannt vor. Weißblondes Haar über schwarzem und dieser Geruch …

Oh nein.

Nathan kniete nieder und drehte ihn vorsichtig um.

Scheiße.

Feine Gesichtszüge und blasse Haut. Nathan hatte dieses Gesicht heute schon einmal gesehen, doch es fühlte sich an, als wäre es eine Ewigkeit her. Er hatte nicht nur einen Menschen gebissen, sondern diesen Klugscheißer aus dem Club. Den, der anscheinend alle Wandler hasste. »Fuck!«, zischte Nathan und raufte sich die Haare, während er versuchte, so etwas Ähnliches wie einen Plan zu entwickeln. Wenn er den Typen hier zum Sterben zurückließ, würden sie das zurückverfolgen können. Er hatte seine DNA überall auf dem Kerl verteilt und Nathan war registriert. Wenn er ihn ins Krankenhaus brachte, würde der Blondschopf ihn wahrscheinlich töten oder einsperren lassen. Er wollte aber nicht hingerichtet werden und Gefängnis klang auch nicht viel besser.

Nathan zog sein Handy aus der Tasche, drehte es herum und starrte es an. Wen sollte er anrufen? Das Verbrechen, das er gerade begangen hatte, war, abgesehen von Mord, das schlimmste, das ein Wandler begehen konnte. Das Rudel hätte keine andere Wahl, als ihn auszuliefern, oder sie wären ebenfalls dran. Und das konnte Nathan ihnen nicht antun. Sie waren seine Familie. Der Gedanke an Alec kam ihm in den Sinn und er verzog verächtlich das Gesicht. Nun ja, die meisten von ihnen jedenfalls.

Der Blondschopf stöhnte und drehte sich auf die Seite. Er hob eine Hand zu der Wunde an seinem Hals. Immer noch tröpfelte Blut daraus, aber viel langsamer als zuvor. Nathan war sich ziemlich sicher, dass der Typ nicht sterben würde, wenn man die Wunde behandelte. Er sollte sich besser schnell entscheiden, was er tun sollte. Jederzeit konnte jemand vorbeikommen und sie sehen, und wenn Nathan sich nicht bald bei seinem Rudel meldete, würde jemand kommen und nach ihm suchen. Ganz abgesehen davon, dass der andere Wandler, sein Angreifer, noch irgendwo da draußen war. Scheiße, er würde erklären müssen, warum er ihn verloren hatte.

Verfickte Scheiße, kann es wirklich noch schlimmer werden?

Er hatte drei Optionen: Den Kerl ins Krankenhaus bringen und vielleicht hingerichtet werden, ihn zum Sterben zurücklassen und ziemlich sicher hingerichtet werden oder die Leiche verstecken und vielleicht davonkommen. Die dritte Option war die beste, wenn er seinen neunundzwanzigsten Geburtstag noch erleben wollte. Nathan seufzte und verbarg den Kopf in den Händen. Die dritte Option war eigentlich gar keine. Er war kein kaltblütiger Mörder. Jemanden zu töten, der versuchte, ihn zu töten, war etwas anderes, das war Notwehr. Aber egal, welche Konsequenzen er befürchten musste, er konnte nicht einfach jemanden umbringen, weil er einen schrecklichen Fehler begangen hatte. An diesem ganzen Durcheinander war nur er schuld und er konnte keinen Unschuldigen töten, nur um davonzukommen.

Der Kerl stöhnte erneut und das Geräusch riss Nathan aus seinen Gedanken. Er starrte auf den Mann herab. Vielleicht konnte er ihn überzeugen, nicht dafür zu sorgen, dass er getötet würde. Nathan war kein bösartiger Typ, nur manchmal ein kleines Arschloch, aber wer war das nicht? Eine Idee formte sich langsam in seinem Kopf, eine verrückte, gefährliche und wirklich schlechte Idee. Aber welche Wahl hatte er? Er betete, dass noch niemand nach ihm suchte.

Er benutzte das zerrissene Hemd des Typen, um sich notdürftig zu säubern. Es würde schwer genug sein, ihn zu seinem Auto zu schaffen, da musste er nicht auch noch alles vollbluten.

Der Rückweg dauerte länger, als es Nathan lieb war. Zum Glück hatte der Kerl unter seinem Hemd ein schwarzes T-Shirt getragen, sodass Passanten kein Blut sehen konnten. So wie Nathan ihn festhielt, würde auch niemand die Bisswunde oder die Spuren von Krallen an seiner Schulter erkennen. Der Kerl sah ihn jeglicher Hinsicht so aus, als wäre er betrunken und würde gleich zusammenklappen. Gegen das getrocknete Blut an seinem eigenen Rücken konnte Nathan nichts unternehmen, aber hoffentlich würde seine Körpergröße die Leute davon abhalten, Fragen zu stellen. Niemand schenkte ihnen auch nur einen zweiten Blick. Aber wenn sie anderen Wandlern begegneten, sähe die Sache schon ganz anders aus.

Nathan trug fast das gesamte Gewicht des Blondschopfs. Zum Glück war dieser genug bei Bewusstsein, um einen Fuß vor den anderen zu setzen, aber das war es auch schon. Ab und zu stöhnte er auf oder murmelte etwas, doch das trug nur zu dem Eindruck eines Betrunkenen bei.

Endlich bog Nathan in die Straße ein, in der er seinen Lieferwagen geparkt hatte. In London einen Parkplatz zu finden, war nicht gerade spaßig, aber er und seine Einheit hatten festgelegte Parkplätze. Das war einer der Vorteile am Leben im Rudel. So konnten sie sich weitestgehend von Menschen fernhalten. Leider war er nicht der Einzige, der von den Sonderparkplätzen Gebrauch machte. Zwei andere Autos standen dort und er erkannte sie. Er schluckte und drängte die aufsteigende Panik zurück. Wenn die beiden da waren, würden sie das Blut riechen und angerannt kommen.

Nathan lauschte und sog tief die Luft ein.

 Nichts. Verflucht, was für ein Glück.

Nachdem er die Türen des Lieferwagens geöffnet hatte, warf Nathan den Kerl auf eine alte Decke im Laderaum. Scheiße, alles würde nach Mensch riechen. Es würde Tage brauchen, den Geruch loszuwerden, dabei musste Nathan morgen einiges ausliefern. Natürlich, er hatte es in seinem Lieferwagen schon mit einigen Menschen getrieben, aber keiner von ihnen war blutüberströmt gewesen. Und normalerweise war ihr Geruch von anderen Gerüchen begleitet, was seine Rudelgefährten davon abhielt, genauere Nachforschungen anzustellen. Um das Blut zu erklären, könnte er sagen, dass es ein wenig härter zugegangen war, aber dann müsste es auch nach Sex riechen … Nathan ächzte, kletterte in den Lieferwagen und schloss die Türen hinter sich. Er hatte sich noch nie so wenig darauf gefreut, sich einen runterzuholen.

Dreißig Minuten später parkte Nathan ein Stück von seiner Wohnung entfernt. Er saß einen Moment da und trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad. Sein Lieferwagen roch nach Blut, Schweiß und Sperma, und darunter lag der Geruch nach Mensch. Das konnte er leicht erklären, doch seinen neuen Schützling in die Wohnung zu bekommen, stellte ihn vor andere Probleme. Das ganze Gebäude gehörte dem Rudel, genauso wie vier ähnliche in derselben Straße. Die anderen Wohnungen in seinem Wohnhaus beherbergten die Mitglieder seiner Einheit und ihren Beta. Nathan musste nicht nur reingelangen, ohne von jemandem gesehen zu werden, er musste auch den Geruch des Blondschopfs verschleiern. Ohne Genehmigung durfte man keine Menschen mit ins Haus nehmen. Wer ohne Erlaubnis einen Fremden mitbrachte, saß tief in der Scheiße. Diese Regel hatte ihn immer schon genervt. Ja, er verstand, dass es notwendig war, den Zugang in das Gebäude des Rudels zu beschränken, aber dass er nicht kommen und gehen konnte, wie er wollte und mit wem er wollte, gab ihm das Gefühl, wieder ein kleines Kind zu sein. Und jetzt gerade ging ihm diese Regel wirklich auf den Sack. Wie zur Hölle sollte er den Menschengeruch maskieren, wenn drinnen eine Menge Leute mit so gutem Geruchssinn waren? Außerdem musste er dringend pinkeln. Die drei Drinks aus dem Club machten sich bemerkbar und er rutschte unbehaglich im Sitz hin und her. Zögerlich spähte er hinaus auf die Straße und schüttelte dann den Kopf. Auch wenn ihn niemand sah, sein Rudel würde es bemerken und nicht gerade begeistert sein. Die Straße lag direkt neben dem Wohnhaus des Rudels und Pisse hatte diesen unverwechselbaren, widerlichen Geruch, der für Wandler noch zehnmal schlimmer war. Er übertünchte alles …

Nein, das kann ich nicht tun. Oder?

Nathan warf einen Blick über die Schulter und musterte den bewusstlosen Mann im Laderaum. Seine Wunde blutete nicht mehr, aber sie musste gereinigt werden, damit sie sich nicht entzündete.

Was soll’s? Angewichst habe ich ihn ja auch schon.

Nathan schnitt eine Grimasse und kletterte nach hinten in den Laderaum. Das wurde bei seinem verdammten, schrecklichen Plan langsam zur Gewohnheit.Dann zog er den Reißverschluss seiner Jeans runter und richtete sich gebückt auf, dennum aufrecht zu stehen, war kein Platz. Er seufzte. Es war um einiges schwieriger, als gedacht. Er konnte nicht, wenn jemand in der Nähe war, und starrte eine Weile seinen Schwanz an, als wollte er ihn dazu überreden, endlich loszulegen. Und um seine Geschichte glaubhaft zu machen, musste er sowohl sich selbst als auch den Blondschopf ausreichend anpinkeln, um den Menschengeruch zu verschleiern. Wie viel war genug? Er hatte keine verdammte Ahnung, also zielte er auf sein eigenes Hosenbein, als es endlich losging. Er musste ein betrunkenes Missgeschick vortäuschen. Es war recht einfach für Wandler, betrunken zu werden, wenn sie genug Tequila oder sonstiges Hochprozentiges hinunterstürzten. Betrunken zu bleiben, war schon schwieriger.

Nachdem er sich vollgenässt hatte, was so eklig war, dass er fast würgen musste, richtete Nathan den Strahl auf den Blondschopf. Er begoss ihn ordentlich von Kopf bis Fuß und wühlte dann eilig nach irgendeinem Behältnis, in das er hineinpinkeln konnte. Mit der Maskierung des Geruchs war er zwar fertig, aber er konnte nicht einfach mittendrin aufhören. Eine alte Wasserflasche erfüllte ihren Zweck, aber in der Hektik landete auch einiges daneben. Oh Gott, es würde Tage brauchen, bis der Geruch verflogen wäre.

Zum Glück befand sich Nathans Wohnung im ersten Stock, nur eine Treppe hoch und dann ein kurzes Stück den Flur entlang. Er musste bloß an dem vorbeikommen, der heute auf Patrouille war. Eigentlich hätte er längst auswendig wissen müssen, wer eingeteilt war. Aber normalerweise war es ihm egal, solange er nicht selbst dran war. Es war nicht so, dass er sich nicht gut mit den anderen aus seiner Einheit verstand. Sie waren eine tolle Truppe, wahrscheinlich die beste im ganzen Rudel, aber er hatte sich schon immer schwer damit getan, sich Dinge zu merken, die ihn nicht interessierten. Im Gebäude zu patrouillieren, war so unglaublich langweilig, dass er nur selten einen zweiten Gedanken daran verschwendete.

Der Laderaum stank erbärmlich und Nathan hielt es kaum noch aus. Er starrte aus der Windschutzscheibe, den Blick fest auf den Hauseingang gerichtet. Wer auch immer heute eingeteilt war, er sollte endlich nach draußen kommen. Jede Stunde mussten sie auch eine kurze Runde außerhalb des Gebäudes drehen.

Nathan war nun schon seit zwanzig Minuten hier. Wer auch immer heute patrouillierte, hoffentlich hielt er sich an die vorgegebenen Uhrzeiten. In drei Minuten wäre es ein Uhr nachts, und mit ein bisschen Glück würde gleich jemand nach draußen kommen. Dann könnte er endlich aus dem verdammten Lieferwagen raus, bevor der Gestank ihn noch umbrachte. Zum Glück war der Blondschopf noch nicht ausreichend bei Bewusstsein, um sich zu beschweren.

Nathan umklammerte den Fahrersitz, als die Eingangstür endlich aufschwang.

Gott sei Dank.

Heute war Fortuna ihm wohl hold, denn Luke trat nach draußen. Von allen Wandlern in ihrer Einheit mochte Nathan ihn am liebsten. Er war riesig, sogar für einen Wandler, aber so entspannt und gelassen, dass es fast schon ein Schock war, wenn er sich halb verwandelte. Luke war einer derjenigen, zu denen die vollständige Verwandlung viel besser passte. Sein dunkelbraunes, weiches Fell verleitete förmlich dazu, es zu streicheln und sich an ihn zu kuscheln. Nicht dass Nathan ihm das jemals sagen würde.

Luke war Raucher und Nathans Plan formte sich nun vollständig in seinem Kopf. Er öffnete die Tür des Lieferwagens, sprang heraus und schloss sie schnell wieder.

Als er etwa fünfzehn Meter vom Eingang entfernt war, drehte Luke ruckartig den Kopf. Er starrte ihn an und rümpfte die Nase. »Oh mein Gott, du stinkst ja bestialisch.«

Nathan grinste und zuckte mit den Schultern. Er mühte sich, einen verlegenen Gesichtsausdruck aufzusetzen. »Ja, tut mir leid. Ich hatte einen kleinen Unfall beim Pinkeln.« Er gestikulierte zu seiner nassen Jeans, die an seinem Bein klebte. »Tequila.«

Luke grinste und nickte verständnisvoll. Als Nathan näher kam, hob er die Hand, um ihn zu stoppen. »Hast du nicht etwas zum Umziehen, bevor du reingehst und den ganzen Gestank mitnimmst? Das wird man noch eine ganze Weile riechen.«

Er tat so, als müsste er über die Frage nachdenken, obwohl er gehofft hatte, dass Luke genau das fragen würde. »Ich weiß nicht, glaube nicht. Aber ich kann schnell im Wagen nachsehen.«

»Bitte mach das.«

Er ging ein paar Schritte Richtung Lieferwagen und kehrte dann um. »Ich habe eine Idee. Wenn ich nichts zum Umziehen finde, winke ich dir kurz zu. Dann kannst du oben patrouillieren, während ich mich reinschleiche. Pisse ist möglicherweise nicht das Einzige, womit meine Klamotten durchtränkt sind … Ich will mich wirklich nicht noch mehr vor dir blamieren. Du solltest das nicht aus der Nähe riechen.«

»Herrgott, Nathan.« Luke sah sich auf der Straße um und sog tief die Luft ein. »Ich weiß nicht recht …«

»Es ist niemand hier, du würdest es ja riechen, wenn es so wäre. Und ich halte hier ein Auge offen, mach dir keine Sorgen.« Er grinste und zeigte auf Lukes Hosentasche, wo er seine Zigaretten aufbewahrte. Sie durften vor dem Gebäude nicht rauchen, also musste er dafür aufs Dach. »Warum gehst du nicht eine rauchen? Du musst ja sowieso bald oben eine Runde drehen.« Das war reine Vermutung, denn Nathan hatte keine Ahnung, wann Luke das tun wollte. Als dieser zurücklächelte, wäre er fast in Jubel ausgebrochen.

»Ja, okay.« Er zog eine Zigarette aus dem Päckchen und zeigte damit auf Nathan. »Aber halte die Ohren offen. Ich will nicht erwischt werden, während ich den Dienst schwänze.«

»Versprochen.« Nathan drehte sich um und hastete zum Lieferwagen. Er öffnete die Tür und tat so, als würde er nach Klamotten suchen. Dann richtete er sich auf und winkte Luke mit einer verneinenden Geste zu. Luke sah sich hastig um, um noch mal alles zu überprüfen, dann salutierte er fröhlich und verschwand nach drinnen.

Eins … zwei … drei … Nathan wartete zehn Sekunden, um sicherzugehen, dass Luke nicht zurückkam. Wenn er noch länger wartete, bestand die Gefahr, dass er ihm auf seinem Rückweg begegnete. Das Gebäude war nur vierstöckig. Er musste es gut timen. Noch ein letztes Mal sah er sich um, dann griff er in den Lieferwagen und legte sich den Blondschopf über die Schulter. Er verschloss den Wagen und lief zur Eingangstür. Es dauerte nur zehn Sekunden. Nathan versuchte nicht zu tief einzuatmen, denn der Typ und seine stinkenden Klamotten waren für seinen Geschmack viel zu nahe an seinem Gesicht und klebten an ihm wie ein kaltes, nasses, widerliches Laken. Nathan würgte, als er weiterrannte. Mit Blut kam er klar. Blut vermischt mit Pisse und Wichse war allerdings zu viel.

Der Hauseingang war zum Glück leer, als er hineinlief. Er schloss die Tür hinter sich und achtete darauf, dass der Kopf des Blonden nirgends anschlug. Der Arme hatte in dieser Nacht schon genug Schaden erlitten. Nathan rückte ihn auf seiner Schulter zurecht und raste die Treppe hinauf. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Jede Sekunde erwartete er, dass ihm jemand über den Weg lief. Der Flur in seinem Stockwerk war Gott sei Dank auch leer. Er kämpfte damit, die Schlüssel so schnell wie möglich aus seiner Tasche zu bekommen. Luke konnte jeden Moment hier vorbeikommen. Ja, er hatte zugestimmt, eine rauchen zu gehen, aber Luke war viel zu pflichtbewusst, um lange oben zu bleiben. Er würde wahrscheinlich nur ein paar Züge nehmen, bevor er sich schuldig fühlen und zurückkommen würde.