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"Black Artists Now!" ist ein Buch über 15 beeindruckende schwarze Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt, die einen neuen "Spirit" in die noch überwiegend Weiß und männlich dominierte Kunstwelt bringen. Jetzt endlich richtet sich der Blick verstärkt auf sie, jetzt endlich schließt sich eine Lücke in der westlichen Kunstgeschichte. Die Black Artists, die in diesem Buch vorgestellt werden, sind in den verschiedensten Medien tätig und verfolgen neue und vielseitige Ansätze. Neben Stars wie Kara Walker, deren Scherenschnitte weltweit für Aufsehen sorgen, oder Arthur Jafa, der neben seiner Videokunst Clips mit Beyoncé und Kanye West produziert, reicht der Bogen von El Anatsuis monumentalen Installationen aus bunt-schillernden Flaschenverschlüssen über Lynette Yiadom-Boakyes fiktive, rätselhafte Porträtmalerei bis hin zu Tabita Rezaires kybernetischer Medienkunst – sie alle haben einen Anteil daran, dass unser bisheriges Kunstverständnis neu aufgemischt wird. Ann Mbuti erzählt inspirierende Geschichten von zeitgenössischen schwarzen Künstlerinnen und Künstlern (die Jüngste von ihnen Jahrgang 1993, der Älteste Jahrgang 1944), die unsere Perspektive erweitern und den etablierten Kanon der Kunstgeschichte mit ihren innovativen Positionen in Frage stellen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Ann Mbuti
Black
Von El Anatsui
Artists
bis Kara Walker
Now
Mit Illustrationen von Sumuyya Khader
C.H.Beck
«Black Artists Now» ist ein Buch über 15 beeindruckende Schwarze Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt, die einen neuen «Spirit» in die noch überwiegend Weiß und männlich dominierte Kunstwelt bringen. Jetzt endlich richtet sich der Blick verstärkt auf sie, jetzt endlich schließt sich eine Lücke in der westlichen Kunstgeschichte.
Ann Mbuti ist freie Journalistin, Autorin und Kulturpublizistin und lebt in Zürich. Mit Black Artists Now hat sie nun ein Buch geschrieben, das sie selbst als Jugendliche gern gelesen hätte.
Sumuyya Khader ist freie Künstlerin und Illustratorin. Sie lebt in Liverpool.
VORSPANN
EINIGE GESCHICHTEN VON VIELEN
EINE NEUE KANONBILDUNG
BLACK ARTISTS NOW
EL ANATSUI
VON GHANA NACH NIGERIA UND IN DIE WELT
DIE ALLES VERÄNDERNDEN FLASCHENVERSCHLÜSSE
JULIANA HUXTABLE
NACHTLEBEN ALS KÜNSTLERISCHE RESSOURCE
NUWAUBIAN PRINCESS
ARTHUR JAFA
BILDER DER BLACK EXPERIENCE
DIE ELEKTRISIERENDE KUNST NEUER ZUSAMMENHÄNGE
KAPWANI KIWANGA
KÜNSTLERISCHE FORSCHUNG
ENG VERFLOCHTENE BEDEUTSAMKEITEN
ZANELE MUHOLI
KANN MAN RÜCKWIRKEND DIE GESCHICHTE VERÄNDERN?
PERSÖNLICHE ERZÄHLUNGEN MIT ALLGEMEINGÜLTIGER BEDEUTUNG
OTOBONG NKANGA
DIE KUNST DER ZUSAMMENHÄNGE
WACHSENDE ERINNERUNGEN
EMEKA OGBOH
KUNST GEHT DURCH DEN MAGEN
KLUGE KUNST MIT POLITISCHEM UNTERTON
PRECIOUS OKOYOMON
DAS INTERNET ALS ZUHAUSE
AM ANFANG WAR DAS WORT
NEUE WELTEN IN FANTASTISCHEN LANDSCHAFTEN
ROSANA PAULINO
LEERSTELLEN DER KUNSTGESCHICHTE
UNBEHAGEN ALS INSPIRATION
TABITA REZAIRE
KUNST ALS HEILMETHODE
ZWISCHEN TRADITIONEN UND QUANTENMECHANIK
FAITH RINGGOLD
EIN WERK, DAS SEINESGLEICHEN SUCHT
DEN WIDERSTÄNDEN TROTZEN
DIE STETIGE EVOLUTION IN DER EIGENEN KUNST
KUNST, DIE NEUE WEGE GEHT
HELEN SEBIDI
ALTE TRADITIONEN IN ZEITGENÖSSISCHEN WERKEN
DER PREIS VON FEHLENDEN WURZELN
AMY SHERALD
FOTOGRAFIE ALS BEFREIUNG
DIE GRAUZONEN DES SCHWARZSEINS
KARA WALKER
EINE EIGENE VERSION DER VERGANGENHEIT
VIELSAGENDE SILHOUETTEN
EINE KUNST, DIE UNANGEPASST BLEIBT
LYNETTE YIADOM-BOAKYE
SCHWARZE FIKTIONEN
TREUE ZU EINEM TOTGESAGTEN KUNSTMEDIUM
TRADITION TRIFFT TRAUMWELTEN
GALERIE DER KÜNSTLERINNEN UND KÜNSTLER
BILDNACHWEIS
DANK
IMPRESSUM
Margo Humphrey, The Getaway, 1977, Lithographie, 55,9 x 76,2 cm
Wie jeden Morgen schlug bell die Augen auf und das Erste, was sie sah, war das Bild an der Wand gegenüber von ihrem Bett. Und wie jeden Morgen machte ihr Herz dabei einen kleinen Sprung. Es war ein Poster von Margo Humphreys Print The Getaway, das sie sich gekauft hatte, weil ihr knappes Budget als Studentin nicht für das Original reichte. Es hatte sie umgehauen, als sie die Arbeit vor ein paar Monaten in einer Ausstellung gesehen hatte und wenig später zog das Bild in ihr kleines Zimmer ein. Es war in bunten Farben gehalten, hatte einen dicken, rot gemusterten Rand und wurde von einem großen Tiger beherrscht, der mitten in der Bewegung festgehalten schien. Um ihn herum schwirrten Himmelskörper – Sterne und Mondsicheln – und sattrote Chilischoten. Das Bild strotzte vor Lebendigkeit und war ein wenig skurril, wie die meisten Arbeiten der Künstlerin. Doch der eigentliche Grund, warum bell das Bild so mochte, war das Paar, das im tiefblauen Himmel über dem Tiger schwebte. Der Mann hielt die Frau in den Armen, ihre Gesichter waren einander zugewandt und sie schienen gemeinsam davonzufliegen. Das war die Flucht, die dem Werk den Namen gab. bell wusste nicht, wovor die beiden flohen, aber die verschworene Einheit, die sie bildeten, berührte sie. Sie stellte sich vor, dass die beiden nicht vor etwas Bösem davonliefen, sondern frei waren, auf dem Weg in ihr gemeinsames Glück. Jeden Morgen erinnerte es sie daran, dass so etwas möglich war, auch wenn ihre eigene Situation ganz anders aussah.
Es waren die frühen 1970er-Jahre und bell hooks absolvierte zu diesem Zeitpunkt gerade ihr Masterstudium. Sie führte eine komplizierte Beziehung, die sie später als herzzerreißend beschrieb, doch in dem Bild von Margo Humphrey fand die damals Anfang Zwanzigjährige immer wieder Hoffnung. bell hooks erwähnt das Bild in der Einleitung zu ihrem Buch Art on my Mind, in dem es darum geht, welche Rolle Kunst innerhalb der afroamerikanischen Community der USA spielen kann. Die bedeutende Autorin, Kritikerin und Aktivistin setzte sich über Jahrzehnte mit Feminismus, Klassismus und dem Befreiungskampf der Schwarzen Bevölkerung auseinander. Doch vor allem war bell hooks eine Verfechterin der Kunst und der transformativen Kraft, die von ihr ausgeht.
1 Schwarz wird im Buch durchgängig großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich nicht um eine reine Farbbezeichnung handelt.
Die folgenden Seiten versammeln viele weitere Geschichten über Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt, die aus dieser Kraft schöpfen. So unterschiedlich ihre Themen und Werke sind, haben sie jedoch gemeinsam, dass sie alle Schwarz1 sind. Damit ist nicht nur ihre Hautfarbe gemeint, sondern die soziale Konstruktion des Andersseins und die nicht-privilegierte Positionierung in der Gesellschaft, die sie alle betrifft. Das zeigt sich besonders in der Kunstwelt, denn sie hat lange vermittelt, dass die großen Errungenschaften der Vergangenheit vor allem der Arbeit von Weißen Künstlern entspringen. Die Kunstgeschichte schien vorzuschreiben, was gute Kunst ist – dabei ist sie nur eine Geschichte von vielen. Doch auch sie wandelt sich mit den Künstlerinnen und Künstlern der Gegenwart, die sie konstant fortschreiben und neue Richtungen aufzeigen.
Zum Beispiel hin zu Schwarzen Künstlerinnen und Künstlern, die sich schon lange visuell und intellektuell mit künstlerischen Mitteln ausdrücken. Egal ob aus afrikanischen Ländern oder der afrikanischen Diaspora, die Erfahrung des Schwarzseins, des Lebens in Schwarzen Kulturen und die Komplexität der Darstellung von Schwarzen Menschen sind längst zeitgenössische Themen. Nun zieht die westliche Kunstwelt mit einer neuen Kanonbildung nach und räumt diesen Künstlerinnen und Künstlern mitsamt ihren Fragestellungen endlich Platz ein.
Der Titel des Buchs ist gleichermaßen eine Beschreibung wie auch eine Forderung. Die 15 vorgestellten Positionen entstammen unserer Gegenwart, sie erforschen die Grenzen der Gattungen, bringen neue Perspektiven in die Öffentlichkeit ein und nutzen das Kunstsystem, dessen Normen und Regeln nicht für sie gemacht sind, auf inspirierende Weise. Doch im Titel steckt auch ein gewisser Nachdruck, der ihren Platz in der Kunstgeschichte einfordert. Die 15 Positionen reichen bei Weitem nicht aus, um die Vielfalt von Black artists und ihrem Schaffen abzudecken – keine Auswahl wäre dazu imstande. Die Anekdoten und Biografien sind einige Geschichten von vielen, die es jenseits der etablierten Kunstgeschichte zu entdecken gibt. Für bell hooks besaß das Bild an ihrer Schlafzimmerwand eine Art von Magie. Es veränderte ihre Art zu denken und schließlich auch ihre Lebensweise. Das ist nur ein Beispiel für das, was Kunst alles kann, wenn man sich wirklich auf sie einlässt. Und so hoffe ich, dass die Black artists in diesem Buch euch Leserinnen und Leser genauso verzaubern werden und ihr euch von ihrer Magie verführen lasst.
«New wood has poetry locked in it, Old wood is poetry itself, time having worn off the prose.»
Er hörte das Zwitschern der Vögel vor seinem Fenster, noch bevor er die Läden geöffnet hatte. Als er die beiden schweren Holzflügel aufstieß, sah er auch, warum. Direkt hinter dem Gärtchen seines neuen Zuhauses begann der Wald und die schlanken Stämme der Nadelbäume gaben ihren feinen Duft ab, der ihm schon bei der Ankunft am Abend vorher aufgefallen war. Später würde er erfahren, dass es Kiefern waren. Nach dem Frühstück machte er sich auf, um die Gegend zu erkunden. Cummington war eine kleine Stadt im US-Bundesstaat Massachusetts und geprägt von der Industrie des 19. Jahrhunderts. Die Wasserkraft aus den umliegenden Flüssen und Bächen begünstigte Sägewerke und Holzmühlen, Gerbereien und Spinnereien. Es war ländlich und ruhig, optimal für das Programm, das der Bildhauer hier absolvieren wollte. Er lief durch endlose Kiefernwälder und bewunderte das Licht, das sich durch ihre Nadeln brach und den dunklen Waldboden vor ihm sprenkelte. Er blieb stehen und sah sich nach einer Sitzgelegenheit um, auf der er kurz Rast machen könnte. Da waren sie wieder, die aufgetürmten Stapel ordentlich zurechtgeschnittener Stämme, bereit für die industrielle Weiterverarbeitung. Er wagte es nicht, sich auf eine der Pyramiden zu setzen, die die wuchtigen Stämme bildeten. Aber die feine Maserung, die Struktur des Holzes und seine harten Kanten reizten ihn für seine bildhauerischen Arbeiten. Er strich nochmal vorsichtig über die raue Oberfläche des abgeschnittenen Stamms vor seinen Füßen und spazierte langsam weiter, mit einer neuen Idee im Kopf.
El Anatsui kam in den frühen 1980er-Jahren nach Cummington, den Ort, an dem er ein neues Medium für seine Skulpturen entdeckte. Als zeitgenössischer Künstler aus Ghana wollte er das Klischee der traditionellen Schnitzarbeiten afrikanischer Länder nicht bedienen. Also wählte er einen drastischen Weg: Er griff zur Kettensäge und begann kurzerhand mit ihr zu «schnitzen». Die unkontrollierten Schnitte und Formen des groben Werkzeugs faszinierten ihn in ihrer eigentümlichen Schönheit. Es brach eine neue Zeit im Schaffen des ghanaischen Künstlers an. «Während meiner gesamten Laufbahn habe ich immer mit Materialien gearbeitet, die unmittelbar zur Hand waren», sagt er. So fließen der Kontext und die Geschichte des Ortes in die Kunst mit ein. Doch darüber hinaus ist es Teil von Els Arbeitsweise, zu experimentieren, auszuprobieren und weiterzuentwickeln, wofür sich Materialien, die im Überfluss vorhanden sind, besonders gut eignen. Schon über 50 Jahre dauert seine Schaffenszeit an, in der er nicht nur Holz, sondern auch Alltagsgegenständen wie Flaschendeckeln, Milchdosen oder Blechschildern neues Leben einhaucht. Sie wandeln sich in seiner Kunst zu Skulpturen, Keramiken, Wandteppichen oder Schnitzereien und bilden monumentale Installationen, für die er weltbekannt ist. Zerstörung und Wiederbelebung von Materialien und ihren Daseinsformen wechseln sich ab und El sieht sie als Metaphern für das Leben an sich oder die Geschichte Afrikas während des Kolonialismus und seit der Unabhängigkeit.