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Science Fiction in Cinemascope: ein galaktisches Epos, das alle Grenzen sprengt
Sie sind die einstige Elitetruppe des menschlichen Imperiums: die Blackcollars. Doch die ehemals unbezwingbaren Soldaten sind müde geworden und in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Erst als eine technisch weit überlegene Kriegerzivilisation tief in den Machtbereich der Menschheit eindringt und Planet um Planet verwüstet, beschließen die Blackcollars sich wieder zu vereinigen – und zu einem Kampf anzutreten, wie ihn das Universum noch nicht gesehen hat …
Erstmals in einem Band gesammelt: Timothy Zahns „Blackcollar“-Romane, die in den USA seit Jahren Kultstatus haben.
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Seitenzahl: 1605
TIMOTHY ZAHN
BLACKCOLLAR
Drei Romane in einem Band
Deutsche Erstausgabe
DAS BUCH
Ryqril nennt sich eine mächtige, technisch weit überlegene Kriegerrasse, die bei der Okkupation ganzer Planetensysteme keine Rücksicht nimmt und eines Tages auch die Erde unterjocht. Den Menschen bleibt nichts anderes übrig, als darauf zu hoffen, dass möglichst bald die Blackcollars wieder in Aktion treten, eine nach ihrer Kampfmontur benannte Elitetruppe, der allerdings nur eines wichtig zu sein scheint: unter den argwöhnischen Augen der Ryqril-Besatzer nicht aufzufallen. Zwar gibt es immer wieder verdeckt agierende Widerstandsgruppen, doch sie können kaum etwas ausrichten. Erst als der Agent Allen Caine auf den Plan tritt und insgeheim Verbindung mit den Blackcollars aufnimmt, gibt es nach dreißig Jahren endlich Hoffnung auf eine Befreiung der Erde. Dass Caine ein Klon ist, interessiert zunächst niemanden. Dann aber entdecken die Ryqril und ihre Kollaborateure, dass es noch einen zweiten Allen Caine gibt: einen, der bezeichnenderweise den Namen Judas trägt. Dieser soll nun als Spion bei den Blackcollars eingeschleust werden. Der Kampf um die Zukunft der Menschheit beginnt …
Erstmals in einem Band versammelt: Timothy Zahns großartige Blackcollar-Romane »Die Blackcollar-Elite«, »Die Backlash-Mission« und »Die Judas-Variante«.
DER AUTOR
Timothy Zahn, 1951 in Chikago geboren, studierte Physik an der University of Illinois und veröffentlichte 1978 seine erste Science-Fiction-Geschichte. Seither hat er zahllose erfolgreiche Romane geschrieben, unter anderem für die STAR-WARS-Serie. »Blackcollar« ist sein bedeutendstes eigenständiges Werk. Er lebt mit seiner Familie in Oregon.
Titel der amerikanischen Originalausgaben THE BLACKCOLLAR THE BACKLASH MISSION THE JUDAS SOLUTION Deutsche Übersetzung von Hilde Linnert und Martin Gilbert
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Deutsche Erstausgabe 2/08 Redaktion: Werner Bauer Copyright © 2006 by Timothy Zahn Copyright © 2008 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlagbild: Fred Gambino Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels
eISBN: 978-3-641-19467-3V001
www.heyne.de
www.randomhouse.de
Die Vormittagssonne brannte vom leuchtend blauen Himmel herab, doch es gelang ihr nicht, die Kältewelle zu vertreiben, die den Frühling in beinahe ganz Mitteleuropa unterbrochen hatte. Allen Caine stellte als Schutz gegen den vom Genfer See wehenden Nordwind den Kragen auf. Es wäre schön gewesen, wenigstens einen Teil der Strecke zu fahren, doch nur jemand vollkommen Uninformierter unternahm am Victory Day den Versuch, im Ostteil von Neu-Genf ein Taxi aufzutreiben. Im Stadion fand wie jedes Jahr die Feier zur Beendigung des Krieges zwischen Terranern und Ryqril statt, und die Regierungsbeamten, die daran teilnehmen wollten, hatten die meisten Fahrzeuge mit Beschlag belegt. Caine hatte eigentlich erwartet, dass die Beteiligung infolge der Kälte gering sein würde – die Loyalitätskonditionierung erstreckte sich nicht auf etwas so Triviales wie Versammlungen –, aber es waren etliche Ryqril anwesend, und die Beamten in Neu-Genf wussten genau, von wem die Butter aufs Brot kam. Obwohl Caine noch gute drei Kilometer vom Stadion entfernt war, hatte er bereits gedämpft Beifall vernommen. Eine erstaunlich schamlose Zurschaustellung von Heuchelei, dachte er verbittert; noch dazu fand diese Veranstaltung seit neunundzwanzig Jahren statt, war also überraschend langlebig. Ein Fremder, der zu Besuch hier war, hätte daraus geschlossen, dass das Terranische Demokratische Empire den Krieg gewonnen hatte.
Wie üblich herrschte auf den Straßen an diesem Ende der Stadt rege Geschäftigkeit – das gewöhnliche Volk stand dem Victory Day verdrossen und gleichgültig gegenüber –, und deshalb fiel es Caine nicht schwer, in der Menge unterzutauchen. Er war erst vor zwei Wochen in Neu-Genf eingetroffen – die Reise betrachtete er als verspätetes Geburtstagsgeschenk –, kam sich aber bereits wie ein Einheimischer vor. Wie jede andere Menschengruppe auf der Erde, so verfügte auch diese über charakteristische Gesten und Eigenheiten, und Caine hatte den Auftrag gehabt, sie sich anzueignen. Zusammen mit seinem adretten Aussehen ermöglichte ihm diese Vorbereitung, sich als Student, als aufstrebender Jungmanager, oder – wenn er seinen Bart in der richtigen Art stutzen ließ – als Angehöriger der halb freiberuflichen Vereinigungen Neu-Genfs auszugeben. Natürlich war es in diesem Sektor leicht, nicht aufzufallen, aber er machte sich noch nicht allzu viele Sorgen, denn er würde erst in einigen Wochen in den Regierungsbezirk übersiedeln. Vermutlich würde er bis dahin auch dafür bereit sein.
Seine Kleidung war für das Wetter etwas zu leicht, aber Caine erreichte sein Ziel, bevor er zu unterkühlt war. In dem schäbigen Mittelstandsviertel der Stadt war zwischen zwei Bars ein kleiner CD- und Bücherladen eingezwängt, in dessen Schaufenstern verblasste Bänder von Dickens und Heinlein standen. Caine trat ein und blieb einen Augenblick lang bei der Tür stehen, damit sich seine Augen an die relative Dunkelheit gewöhnten. Der Besitzer des Ladens lehnte einige Meter von ihm entfernt an seiner Registrierkasse und musterte ihn. »Wird es draußen wärmer?«, erkundigte er sich.
»Eigentlich nicht«, erwiderte Caine und sah sich im Geschäft um. Drei oder vier Männer schmökerten zwischen den Regalen. Caine wandte sich dem Besitzer zu und zog fragend die Augenbrauen hoch. Dieser nickte unmerklich; daraufhin schlenderte Caine durch einen der beiden Gänge und tat, als lese er die Buchtitel. Er arbeitete sich gemächlich bis zur Rückwand durch. Dort befand sich halb hinter einem Regal verborgen eine Tür mit dem Schild ›Nur für Angestellte‹.
Caine wartete, bis ihm alle Kunden den Rücken zukehrten, dann schlüpfte er geräuschlos durch die Tür und den dahinter liegenden, vollgestellten Lagerraum. Er ging in der Mitte des alten Steinbodens in die Hocke und drückte sanft auf eine der Platten. Offensichtlich wurde er erwartet, denn ein zwei Quadratmeter großes Stück des Bodens glitt gleich darauf zur Seite. Er tastete mit dem Fuß nach der Holztreppe und stieg in den Schacht hinunter. Dann bückte er sich und ließ den Fußboden wieder an seinen Platz gleiten. Sobald der Einstieg geschlossen war, schob sich eine Eisenstange geräuschlos vor und verriegelte die Falltür. Caine drehte sich um und ging die schwach beleuchtete Treppe hinunter.
Am Fuß der Treppe erwartete ihn ein kurzer Korridor, an dessen Ende sich eine Tür befand. Caine öffnete sie und betrat einen dunklen Raum. Die Tür fiel hinter ihm von selbst ins Schloss.
Unvermutet leuchtete grelles Licht auf. Er hob schützend den Arm vor die Augen und trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Wer sind Sie?«, fragte eine Stimme.
Caines Antwort erfolgte sofort. »Ich bin Alain Rienzi, Adjutant des Senators Auriol«, erwiderte er scharf. »Schalten Sie das verdammte Licht aus!«
Der Scheinwerfer wurde ausgeschaltet, und stattdessen gingen gedämpftere Lampen an. Vor Caines Augen schwebte noch immer ein roter Lichtfleck, aber er erkannte undeutlich drei Männer und eine Frau, die um einen niedrigen Tisch saßen. »Ausgezeichnet«, sagte einer der Männer, vor dem ein schuhkartongroßes Gerät stand. »Kein Zögern, kein merkbarer Lügnerstress, und genau das richtige Maß an Arroganz. Er ist so weit, Morris.«
Ein anderer Mann nickte und machte eine Handbewegung. »Setzen Sie sich, Allen!«
Caine nahm auf dem angegebenen Stuhl Platz und musterte die Anwesenden; als seine Augen wieder deutlich sehen konnten, begann sein Herz schneller zu schlagen. Das war keine Routinezusammenkunft. Die vier Leute, die ihm gegenübersaßen, waren wahrscheinlich die obersten Führer des Widerstands in ganz Europa. Der Mann mit der Schachtel hieß Bruno Hürlimann, ehemaliger Captain in der terranischen Raumflotte; der zweite Mann war Raul Marinos, der während des größten Teils der vergangenen neunundzwanzig Jahre Sabotageakte gegen die Ryqril geplant und durchgeführt hatte; bei der Frau handelte es sich um Jayne Gibbs, ein ehemaliges Mitglied des vor langer Zeit aufgelösten Parlaments; und ›Morris‹ war General Morris Kratochwil persönlich, der letzte Befehlshaber der terranischen Verteidigungskräfte in der Endphase des Krieges. Natürlich sah keiner von ihnen so alt aus, wie er wirklich war; trotz der Kontrollen durch die Regierung gelangte genügend geschmuggeltes Idunin über den schwarzen Markt zum Widerstand, sodass der zweiundneunzigjährige Kratochwil biologisch einem Fünfundvierzigjährigen entsprach. Caine hatte jeden der vier irgendwann einzeln kennengelernt, aber sie noch nie beisammen gesehen. Etwas enorm Wichtiges musste also im Gang sein.
Es war, als hätte General Kratochwil Caines Gedanken gelesen. »Sieht so aus, als wäre Ihr Einführungslehrgang abrupt zu Ende, Allen«, meinte er. »Wir beschleunigen unsere Maßnahmen drastisch. Die Teilchen haben sich unerwartet zu einem Ganzen gefügt, und Sie werden in kaum zwanzig Stunden nach Plinry abreisen.«
Caines Mund wurde trocken. »Ich habe geglaubt, dass ich zuerst für ein paar Wochen Alain Rienzi ersetzen soll.«
»Das haben wir auch geglaubt«, erwiderte der General, »aber jetzt stellt sich heraus, dass es nicht notwendig sein wird. Rienzi ist gestern in Urlaub gefahren und hat anscheinend niemandem verraten, wohin. Es ist genau die richtige Gelegenheit, und wir haben beschlossen, sie zu ergreifen.«
Damit konnte Allen seine restliche Ausbildung vergessen … aber wenn er nicht oft mit Regierungsleuten zusammenkam, würde er es wahrscheinlich schaffen. »Sie haben Rienzi aus dem Verkehr gezogen?«
Marinos nickte. »Wir haben ihn heute früh abgeholt. Keine Probleme.« Er zeigte auf ein Kuvert, das auf dem Tisch lag. »Da drin ist sein Ausweis – natürlich entsprechend verändert – und Ihr übriges Zeug.«
Caine griff nach dem Päckchen, achtete aber darauf, nicht an den pilzförmigen ›Wanzenstörer‹ in der Mitte des Tisches zu stoßen, der alle in der Nähe befindlichen Überwachungsgeräte elektronisch lahmlegte. Er öffnete den Umschlag und entnahm ihm einen blauen Personalausweis sowie eine Brieftasche, die Regierungs- und persönliche Kreditplättchen, mehrere hundert Mark in knisternden TDE-Banknoten und ein nicht bestätigtes Ticket zur fernen Welt Plinry enthielt. »Das Ticket ist eigentlich nur eine Reservierung«, erklärte Marinos. »Sie müssen Ihren Ausweis am Flughafen überprüfen lassen, bevor Sie an Bord gehen können.«
Das Gesicht im Ausweis war länglich, hager und von sorgfältig frisiertem braunen Haar umgeben – eine glatt rasierte Ausgabe von Caines Gesicht. Doch unterhalb des angeblich fälschungssicheren Plastiks gab es auch Fingerabdrücke und Netzhautmuster – Kopien dieser Muster waren in einem kaum zehn Kilometer entfernten, schwer bewachten Computersystem gespeichert. »Sind Sie sicher, dass meine Fingerabdrücke und Netzhautmuster in die Regierungsunterlagen gelangt sind?«, fragte Caine.
»Das ist alles erledigt«, beruhigte ihn Marinos. Sein lässiger Ton bagatellisierte die Schwierigkeiten, die sie überwunden hatten. Es war kein Honiglecken, das Sicherheitssystem der Ryqril auszutricksen.
»Wir besitzen noch nicht die Bewilligung, mit der Sie Einblick in die Archive von Plinry nehmen können«, erklärte Kratochwil, »aber wir bekommen sie heute um 18 Uhr. Wenn Sie Glück haben, müssen Sie nur hineingehen, Ihr Seemannsgarn über ein Buch spinnen, die richtige Aufzeichnung einstecken und abhauen.« Er lächelte ironisch. »In der Praxis ist es natürlich nie so einfach. Aber Sie werden bestimmt imstande sein, mit allen Problemen fertig zu werden, vor die man Sie stellen wird.«
Caine nickte. Er war zwar noch nie mit einer Aufgabe betraut worden, doch er verfügte über die beste psychisch-mentale und kämpferische Ausbildung, die der Widerstand anzubieten hatte. »Wie sieht der letzte militärische Lagebericht aus, und wie wird er sich voraussichtlich auf die Situation in Plinry auswirken? Vermutlich unterhalten die Ryqril dort eine Basis, richtig?«
»Wir nehmen es an, aber das sollte Sie nicht stören.« Kratochwil wandte sich an Hürlimann. »Captain?«
»Die Berichte bezüglich eines großen Ryqril-Sieges über die Chryselli in der Nähe von Regulus scheinen zu stimmen«, berichtete Hürlimann. Seine Sprechweise erinnerte Caine an einen Collegeprofessor. »Es scheint sie aber mehr gekostet zu haben, als sie zugeben. Sie haben bereits zwei Truppentransporter der Elefantenklasse und ein vollständiges Geschwader von Korsaren von verschiedenen Basen auf der Erde abgezogen und sie vermutlich an die Chrysellifront in Marsch gesetzt. Falls es auf Plinry eine Basis gibt, könnte dort die gleiche Art von Mobilmachung in Gang sein. Aber das sollte kein Problem darstellen; solange Sie über die richtigen Papiere verfügen, kann Ihnen jedes zusätzliche Durcheinander nur von Vorteil sein.« Er lächelte. »Und je stärker die Ryqril im Gebiet der Chryselli gebunden sind, desto besser für uns.«
»Wie gesagt, die Situation entwickelt sich zu unseren Gunsten«, meinte Kratochwil. »Wenn Sie mit den Informationen zurückkommen, werden die Mannschaften hoffentlich so weit sein, dass sie aufbrechen können.« Er sah die anderen an. »Noch etwas?«
»Unterstützung auf Plinry«, murmelte Jayne Gibbs.
»Richtig. Seit Plinry besetzt wurde, also seit fünfunddreißig Jahren, haben wir mit ihm keinen Kontakt mehr. Deshalb wissen wir nicht, worauf Sie dort stoßen werden. Wir erwarten eine ähnliche politische Struktur wie auf der Erde – eine Gruppe Ryqril, die mithilfe einer zur Loyalität konditionierten menschlichen Regierung herrscht –, aber wir können es nicht mit Sicherheit annehmen. Wenn Sie mit Problemen konfrontiert werden, sollten Sie versuchen, was immer es an Untergrund gibt zu kontaktieren und sich seine Hilfe zu sichern.«
»Vorausgesetzt, dass es einen Untergrund gibt«, wandte Caine ein.
»Richtig«, stimmte Kratochwil zu. »Ich hoffe jedoch, dass General Avril Lepkowski die Eroberung des Planeten überlebt hat. Merken Sie sich diesen Namen, Allen: Wenn Plinry einen Untergrund besitzt, dann ist wahrscheinlich Lepkowski der führende Kopf. Bei Kriegsende gab es dort ungefähr dreihundert Blackcollars – einige von ihnen könnten noch am Leben sein.«
Blackcollars. Bei dem Wort streckte sich Caine ein wenig. Er hatte nie einen dieser hervorragend ausgebildeten Guerillakämpfer kennengelernt, aber ihre Heldentaten im Krieg waren legendär. Auf der Erde gab es nur noch wenige von ihnen, und die meisten hatten ihre Uniformen verbrannt und waren in der Bevölkerung untergetaucht. Die Handvoll, die noch aktiv war, machte den Ryqril angeblich in Nordamerika das Leben zur Hölle.
Kratochwil sprach noch immer. »Ich werde versuchen, bis heute Abend die Namen von einigen Leuten in Erfahrung zu bringen, die sich vielleicht auf Plinry aufhalten. Für den Fall, dass Sie General Lepkowski finden, werde ich auch einen Mikro-Einführungsbrief für Sie verfassen. Es stellt sicherlich ein gewisses Risiko dar, wenn Sie ihn bei sich tragen, aber ich finde, dass er das Risiko wert ist. Natürlich liegt die Entscheidung bei Ihnen.« Er erhob sich, und die Übrigen sprangen auf. »Das ist wohl alles, was wir im Augenblick unternehmen können. Seien Sie heute Abend um 18 Uhr hier, um Ihre restlichen Papiere und vielleicht weitere Anweisungen entgegenzunehmen, die uns noch einfallen. Bis dahin können Sie Ihren Bart behalten; es ist zwar unwahrscheinlich, dass Sie hier über einen Bekannten von Rienzi stolpern, aber es hat keinen Sinn, dieses Risiko einzugehen. Außerdem wird es ab heute zwölf Uhr mittags einen Zwei-Stunden-Sicherheitszyklus im Buchladen geben. Achten Sie darauf!«
»Geht klar.«
»Gut.« Der General ergriff über den Tisch hinweg Caines Hand. »Wenn Sie heute Abend kommen, bin ich vielleicht nicht hier, deshalb verabschiede ich mich schon jetzt. Sie sind sehr wertvoll für uns, Allen, und wir möchten natürlich, dass Sie vorsichtig und auf Ihren Schutz bedacht sind. Gleichzeitig handelt es sich jedoch wahrscheinlich um den wichtigsten Auftrag der letzten zwanzig Jahre, und es ist keine Übertreibung, wenn ich feststelle, dass die Chancen, die Erde zu befreien, von Ihnen abhängen. Wir werden vielleicht nie wieder in der Lage sein, jemanden für eine solche geheime Erkundung auf einen anderen Planeten zu befördern, und Sie wissen, dass es unmöglich ist, mit Gewalt an die Informationen heranzukommen. Enttäuschen Sie uns nicht.«
Caine sah dem General in die Augen, während er ihm die Hand schüttelte. Kratochwils braune Augen waren klar, wach und dank des Idunins relativ jung. Aber in ihnen lag noch etwas, das keine Jugenddroge beeinflussen konnte. Zweiundneunzig Lebensjahre, davon dreizehn in einem aussichtslosen Krieg und weitere neunundzwanzig unter feindlicher Herrschaft hatten diese Augen alt gemacht, und Caine fühlte sich plötzlich wieder wie ein Kind. Die selbstsichere Erklärung, die er abgeben wollte, verflüchtigte sich. »Ich werde mein Bestes tun, Sir«, murmelte er stattdessen.
Es war fünf vor sechs, als sich Caine durch die übliche Menge von heimwärts strebenden Arbeitern drängte und sich wieder dem Buchladen näherte. Die Victory-Day-Feiern waren vorbei, und auf den Straßen kurvten wieder Automat-Taxis und dazwischen gelegentlich ein privater Wagen herum; dadurch blieb ihm reichlich Zeit, in das Geschäft zu schlüpfen, sich seine restlichen Papiere zu holen und wieder in der Menge unterzutauchen.
Er war beinahe am Ziel angelangt und drängte sich gerade zum Rand des Gehsteigs durch, um die Straße zu überqueren, als ihn etwas in der Auslage erstarren ließ. Bei einem Zweistundenzyklus wäre die Auslage seit seinem Vormittagsbesuch dreimal verändert worden. Der Heinlein musste um neunzig Grad rotiert haben, und am Dickens musste eine CD-Box lehnen. Aber die Box war nicht vorhanden, und die Auslage befand sich im Vierzehn-Uhr-Zustand. Jemand hat es vergessen, war sein erster, hoffnungsvoller Gedanke, doch er dachte ihn nicht einmal zu Ende. Er wusste, dass es nur eine einzige Erklärung gab.
In dem Buchladen hatte in den letzten vier Stunden eine Razzia stattgefunden.
Diese Möglichkeit hatte natürlich immer bestanden, aber es hatte sich nie in seiner unmittelbaren Nähe abgespielt, und der Schock betäubte ihn. Weil die bewusste Kontrolle durch sein Gehirn aussetzte, trat seine Ausbildung an ihre Stelle, sodass er ohne zu zögern am Buchladen vorbeiging. Als sein Gehirn wieder zu funktionieren begann, befand er sich zwei Häuserblocks weiter und in Sicherheit.
In Sicherheit. Aber wie lange? Wenn die Regierung den Buchladen überwacht hatte, dann wusste sie, dass Caine innerhalb der letzten zwei Wochen viermal hier gewesen war. Auch wenn sie dieser Tatsache noch keine Bedeutung beimaßen, würden sie über kurz oder lang alles über ihn herausfinden. Bestimmt war mindestens einer der vier Leiter des Widerstands anwesend gewesen, als die Sicherheitskräfte eintrafen, und wurde jetzt unter Anwendung von Verifin oder Neurotrace einem Verhör unterzogen. Caine musste fliehen … aber wohin? Der Widerstand hatte zahlreiche Schlupflöcher angelegt, aber man konnte sich jetzt keinem anvertrauen. Kratochwil und die anderen hatten die beste verfügbare Psychor-Ausbildung erhalten, doch auch das nützte bei einem Neurotrace-Auswerter nur kurze Zeit. Irgendwann würden sie zusammenbrechen … und dann würde die Regierung imstande sein, ihn überall auf der Erde aufzuspüren.
Es dauerte eine Sekunde, bis ihm das klar wurde; doch dabei erinnerte sich Caine an das dicke Päckchen in seiner inneren Jackentasche. Rienzis Ausweis, ein kleiner Geldbetrag … und ein Rundflugticket nach Plinry. Falls Kratochwil zu den Festgenommenen gehörte, hatte wahrscheinlich für den Widerstand in diesem Gebiet die letzte Stunde geschlagen – aber das galt nicht unbedingt für Caines Auftrag. Wenn er sich die Hilfe von General Lepkowski und dem Plinry-Untergrund sichern konnte, gab es noch eine geringe Möglichkeit, dass er es schaffen würde. Gering, verdammt – mikroskopisch klein. Aber er hatte keine andere Wahl. Und wenn es schiefging, hatte er wenigstens die kleine Befriedigung, dass ihm die Ryqril über acht Parsec Weltraum nachjagen mussten.
Er benötigte nicht ganz eine Stunde, um in seine Wohnung zurückzukehren, sich den Bart abzurasieren, sich umzuziehen und alle Allen Caine betreffenden Dokumente zu vernichten. Er nahm den eleganteren Koffer, der zu einem Regierungsbeamten zweiten Ranges passte, und fuhr mit einem Automat-Taxi zum westlichen Ende der Stadt. Mit Rienzis Ausweis gelangte er ohne Schwierigkeiten durch die Absperrungen und betrat zum ersten Mal in seinem Leben den Regierungsbezirk von Neu-Genf.
Die erste Hürde – den Wächter am Tor – hatte er hinter sich; aber jetzt stand er vor einem unerwarteten Problem. Bis zum Start seines Raumschiffs um sechs Uhr früh waren es noch elf Stunden – viel zu lange, um im Flughafen zu bleiben. Falls er ein Zimmer in einem Hotel nahm, musste er jedoch Rienzis Ausweis herzeigen, und je seltener er den benützte, desto besser.
Die Lösung war einfach. Er fuhr mit dem Taxi zum Flughafen und steckte sein Gepäck in ein Schließfach. Dann begab er sich mit dem Geld, das ihm Rienzi dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hatte, auf eine Besichtigungstour von Neu-Genf. Er besuchte Bars, Restaurants und Vergnügungsetablissements und brachte die Nacht hinter sich, ohne erkannt zu werden. Als der Himmel im Osten endlich hell wurde, kehrte er zum Flughafen zurück.
Sogar um diese Zeit herrschte dort geschäftiges Treiben. Neu-Genf war erst nach dem Krieg zur Hauptstadt der Erde ernannt worden, und der Flughafen war sowohl für Flugzeuge als auch für Raumschiffe ausgelegt. Vor dem Krieg wäre er dadurch hoffnungslos überlastet gewesen, doch weil jetzt nur Regierungsbeamte und akkreditierte Geschäftsleute fliegen durften, konnte der Betrieb aufrechterhalten werden. Caine holte sein Gepäck. Als er durch den langen Korridor zum Raumflugterminal ging, pochte sein Herz schmerzhaft.
Das Check-in-Gebäude kam in Sicht; ein halbes Dutzend Leute schlenderte herum oder saß in den Stühlen in der Nähe des Gates. Daneben lehnte an einer Wand ein gelangweilter Wächter. Caine verzog das Gesicht. Das Ganze sah wie die klassische Falle für Anfänger aus, bei der in einem Umkreis von zweihundert Metern jeder Zivilist ein Sicherheitsmann war. Doch für einen Rückzug war es zu spät! Wenn es eine Falle war, hatte man ihn bestimmt schon entdeckt und identifiziert, und wenn er jetzt umkehrte, würde die Falle nur etwas früher zuschnappen. Er biss die Zähne zusammen und ging weiter.
Der Angestellte lächelte, als Caine zum Schalter trat. »Ja, Sir?«
»Alain Rienzi, mit Ziel Plinry«, antwortete Caine mit steifen Lippen. Er zog seine Ticketreservierung und Rienzis Ausweis heraus, ohne dabei den Angestellten aus den Augen zu lassen.
Es erfolgte keine sichtbare Reaktion. »Ja, Sir.« Der Angestellte schob den Ausweis in einen Schlitz im Steuerpult. »Würden Sie bitte Ihre Daumen auf diese Platte drücken und dort hinüberschauen …«
Es war so weit. Im Gegensatz zur einfachen visuellen Überprüfung, die der Sicherheitsmann vor ein paar Stunden am äußeren Tor vorgenommen hatte, erwartete Caine jetzt ein gründlicher Check. Seine Daumenabdrücke und sein Netzhautmuster würden mit jenen auf Rienzis Ausweis und mit den Aufzeichnungen des Computers verglichen werden. Wenn Marinos kein Wunder vollbracht und die Aufzeichnungen verändert hatte, war hier Endstation.
Licht flackerte beinahe zu schnell auf, um wahrgenommen zu werden, traf seine Augen, und die Platten an seinen Daumen fühlten sich warm an. Der Angestellte drückte auf einen Knopf. Caine hielt den Atem an … und auf dem Steuerpult ging ein grünes Lämpchen an. »Alles erledigt, Mr. Rienzi. Von welchem Konto sollen wir den Flug abbuchen?«
Die Spannung löste sich schlagartig, und Caine begann wieder zu atmen. Dann reichte er dem Angestellten Rienzis persönliche Scheckkarte. Dieser steckte sie in einen Schlitz, und einige Sekunden darauf spuckte die Maschine ein offizielles Ticket, Caines Ausweis, seine Scheckkarte und eine kleine Magnetkarte aus. Caine musterte Letztere mit gerunzelter Stirn. »Was ist das?«
»Medizinische Daten, Sir«, erklärte der Angestellte. »Offenbar gibt es in der Umwelt von Plinry etwas, das Ihnen Schwierigkeiten bereiten könnte. Sie können das Rezept bei dem Schalter dort drüben einlösen.«
Caine wollte gerade fragen, wie, zum Teufel, irgendwer eine Ahnung davon haben konnte, was für Tabletten er auf Plinry brauchen würde, überlegte es sich aber gerade noch rechtzeitig. Natürlich enthielten die Akten der Regierungsbeamten auch ihre medizinischen Daten, und der Computer hatte Rienzis medizinisches Diagramm mit den Bedingungen auf Plinry verglichen und eine rasche Diagnose erstellt. »Okay, danke«, antwortete er.
»Gern geschehen, Sir. Sie können in zehn Minuten an Bord gehen.«
Es dauerte beinahe fünfzehn Minuten, bis der Apotheker das Medikament laut Rezept hergestellt hatte, und deshalb konnte Caine den zum Raumschiff führenden Korridor direkt von dort aus benützen und damit dem gelangweilten Wächter ausweichen, der vermutlich nie erfahren würde, wie knapp er an einer Beförderung vorbeigeschlittert war. Die Tabletten in der kleinen Phiole in Caines Tasche klapperten mahnend, und er hatte keine Ahnung, was er mit ihnen anfangen sollte. Es war nicht anzunehmen, dass er und Rienzi einander physisch so ähnlich waren, um die Tabletten für ihn verwertbar werden zu lassen; anderseits war es möglich, dass Marinos alle Aufzeichnungen über Rienzi durch Caines Daten ersetzt hatte, und in diesem Fall würden ihn unter Umständen die Tabletten auf Plinry am Leben erhalten. Er musste sie einfach schlucken und hoffen, dass das Medikament, was immer es war, ihn wenigstens rasch umbringen würde.
Krankheit war jedoch seine geringste Sorge. Bis jetzt hatte sich seine Aufmerksamkeit darauf konzentriert, Neu-Genf zu verlassen und in ein Raumschiff zu gelangen, bevor die Widerstandsbewegung wie ein Kartenhaus zusammenbrach. Nachdem er diese beiden Programmpunkte jetzt beinahe erledigt hatte, konnte er sich den ungeheuren Problemen zuwenden, vor denen er noch immer stand. Ohne Kratochwils gefälschte Bewilligung würden ihn die Behörden auf Plinry bestimmt nicht einmal in die Nähe der Aufzeichnungen lassen, auf die er es abgesehen hatte. Und ohne Einführungsschreiben würde es genauso schwierig sein, sich die Kooperation des Untergrunds von Plinry zu sichern. Seine einzige Hoffnung bestand darin, dass General Lepkowski tatsächlich der Führer des Untergrunds war. Wenn er Lepkowski davon überzeugen konnte, dass er ein Mitarbeiter von Kratochwil war, dann würde ihm dieser vielleicht helfen. Und sobald er die Information besaß … Caine schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, so weit vorauszudenken; es lagen schon so genügend unmögliche Aufgaben vor ihm. Er musste eins nach dem anderen erledigen.
Aus dem Korridor gelangte er zu der Rampe, an der das Passagierraumschiff – seinem Aussehen nach ein umgebauter Vorkriegsfrachter – wartete. Er wechselte den Koffer in die andere Hand, blieb dabei stehen und sah sich um. Die Rampe führte vom Erdboden zum Einstieg, und man erblickte von ihr aus große Teile der Stadt, des Sees und der umliegenden Berge. Doch obwohl Caine den Anblick genoss, zog es seinen Blick beinahe magnetisch nach Südwesten. Dort lag in sieben Kilometern Entfernung das geschwärzte Gebiet, das einmal Genf gewesen war. Caine erschauerte und ging weiter auf das Schiff zu.
Er wusste, dass die Ryqril dieses Spiel gewinnen wollten.
Zum ersten Kontakt war es Anfang 2370 gekommen, als ein TDE-Erkundungsschiff zwei Parsec von der terranischen Kolonialwelt Llano entfernt über einen Vorposten der Ryqril stolperte. Innerhalb von zehn Jahren kam es zu einer regelmäßigen Kommunikation zwischen den Menschen und den hochgewachsenen lederhäutigen Zweibeinern, und verschiedene Handelsübereinkommen befanden sich in Vorbereitung. Die Ryqril gaben sich seltsam zugeknöpft, wenn es sich um sie selbst und ihr Empire handelte, doch das wurde allgemein als normale Zurückhaltung betrachtet; den Gerüchten, dass die Aliens an einer weit entfernten Grenze einen Eroberungskrieg führten, wurde nie nachgegangen.
Vierzig Jahre später änderte sich die Situation schlagartig. Die Bemühungen zu einer ›Normalisierung der Beziehungen‹ zwischen den beiden Rassen – die Ryqril hatten diese Bemühungen bewusst verschleppt – wurde aufgegeben, und neue Erkundungssonden deckten endlich die Wahrheit auf. Die Ryqril hatten tatsächlich einen Eroberungskrieg geführt und vor beinahe zwei Jahren gewonnen. Alles deutete darauf hin, dass ihre Nachkriegsaufrüstung beinahe beendet war und dass ihr nächstes Ziel das Terranische Demokratische Empire sein würde.
Man begann sofort mit den Vorbereitungen, obwohl man erkannte, dass es zwecklos war. Das TDE beherrschte achtundzwanzig Planeten; die Ryqril hundertvierzig. Dennoch stand es außer Frage, dass das TDE kämpfend untergehen würde.
Und es kämpfte. Von dem Augenblick an, in dem es erkannte, dass es als leichte Beute betrachtet wurde, bis zum Ausbruch des totalen Krieges vergingen acht Jahre, und in dieser Zeit entwarf, erzeugte und testete die Menschheit eine beeindruckende Menge von neuen Waffen – von Gewehren bis zu Kriegsschiffen der Supernovaklasse. Obwohl das TDE nie gegen eine fremde Rasse gekämpft hatte, gab es in seiner Geschichte genügend Kabbeleien, sodass es etliches über den Krieg im Weltraum gelernt hatte. Zahllose Vorkriegsscharmützel mit den Ryqril boten den Menschen außerdem Gelegenheit, ihre Fertigkeiten zu vervollkommnen. Die Situation war dennoch hoffnungslos; in ihrer Verzweiflung war die Menschheit gezwungen, die akzeptierten militärischen Theorien zu überdenken, zum Beispiel auch die Frage, was genau man unter einer Waffe verstand.
Das Ergebnis waren die Blackcollars, die Schwarzkragen.
Caine hatte sich immer für diese Elitetruppe interessiert, doch gelangten auf der Erde Bürger, die keine Regierungsmitglieder waren, nur sehr schwer an Informationen heran. Jetzt saß er jedoch zehn Tage lang in einem Raumschiff fest, das über eine ansehnliche Sammlung von historischen Dokus auf Datenträgern verfügte, und hatte Zeit, seine Neugierde zu befriedigen.
Doch die CDs waren eine Enttäuschung, denn er erfuhr nur wenig, was er nicht schon wusste. Das Blackcollarprogramm war im Jahr 2416, also zwei Jahre vor Kriegsausbruch, gestartet und bis zur Kapitulation der Erde fortgesetzt worden. Außer einer intensiven Kampfausbildung, die größtenteils auf den alten asiatischen Kampfsportarten beruhte, erhielten die Blackcollars eine Version der gleichen Psychor-Mental-Konditionierung wie Caine. Seltsamerweise – dachte Caine zunächst – wurden in den Dokus die verschiedenen Drogen nicht erwähnt, die seinen Informationen zufolge das Wichtigste an dem Projekt gewesen waren. Man hatte mindestens drei Drogen verwendet: gewöhnliches Idunin, das in kleinen Dosen Muskeln, Knochen und Gelenke jugendlich erhielt, während der Kämpfer äußerlich normal alterte; ein RNS-Derivat, das die Lernfähigkeit förderte, sodass die Ausbildungszeit drastisch verkürzt werden konnte; und eine spezielle Droge mit dem Codenamen ›Backlash‹, die angeblich die Schnelligkeit und die Reflexe eines Blackcollar verdoppelte. Das Ergebnis war ein Soldat, der in jeder Menschenmenge untertauchen, nur durch eine vollständige körperliche und biochemische Untersuchung identifiziert werden und theoretisch sogar in einem Kampf ohne Waffen mit einem Ryqril fertig werden konnte. Sie waren gefährliche Gegner – und vielleicht waren die Doku-Discs deshalb unvollständig. Die Informationen waren offensichtlich für subalterne Regierungsbeamte bestimmt, und die höheren Ränge hatten – so schien es zumindest – beschlossen, die Gefahr, die überlebende Blackcollars vielleicht darstellten, herunterzuspielen. Die sich daraus ergebende Schlussfolgerung war keineswegs ermutigend: Wenn die Blackcollars immer noch als Bedrohung galten, dann hielten sich diejenigen von ihnen, die es auf Plinry noch gab, so gut versteckt, dass Caine sie wahrscheinlich nie finden würde.
Caine war der einzige Passagier, der auf Plinry von Bord ging. Der Planet war die dritte Haltestelle einer Sieben-Planeten-Rundreise, aber er war auch Tankstelle, und deshalb entging Caine einer Shuttle-Landung. Stattdessen blieb er angeschnallt in seiner Kabine sitzen, während die Schwerkraft des Schiffes langsam verringert und durch echte Schwerkraft ersetzt wurde. Schließlich dockte das Raumschiff mit einem sanften Stoß an.
Wenige Minuten später befand sich Caine bei der Ausgangsrampe, wo ihn der Kapitän und der Kabinen-Steward erwarteten, um sich von ihm zu verabschieden. Der Abschied war kurz; dann ging Caine die Rampe hinunter und versuchte, alles gleichzeitig zu sehen.
Er befand sich am Ende eines großen Flugfeldes mit glatter Oberfläche, das offensichtlich für dichten Verkehr ausgelegt war. Rechts von ihm standen ein halbes Dutzend Raumschiffe, mittelgroße Frachter, sowie einige offiziell aussehende Senkrechtstarterflugzeuge. Links von ihm, in größerer Entfernung und durch einen Drahtzaun vom Rest des Flughafens getrennt, bot sich ihm ein Anblick, der ihm den Magen umdrehte. Ordentlich aufgereiht standen dort mindestens dreißig Korsaren, die Aufklärungs-Kampfschiffe mit großer Reichweite, die die Angriffsspitze der Ryqril-Kriegsmaschinerie bildeten. Da die Besatzungen dieser Schiffe eine bis drei Personen umfassten – und das Bodenpersonal vier Mann –, hatten die Aliens allein in diesem Teil von Plinry eine zweihundert Mann starke Garnison stationiert. Hundert Meter jenseits der Korsaren gab es einen widerstandsfähigeren Zaun, der den gesamten Flughafen umschloss und eine Barriere zwischen der glatten Oberfläche und den Grasflächen mit dem spärlichen Baumbestand außerhalb von ihm bildete. Unmittelbar vor Caine lag ein aus mehreren Gebäuden bestehender Komplex – eindeutig das Verwaltungs- und Service-Zentrum des Flughafens. Eines der Gebäude schien ein Hangar zu sein; ein anderes in der Nähe der Korsaren sah wie eine Kaserne aus.
Und am Fuß der Rampe warteten zwei Männer in graugrünen Uniformen.
Caines Herz setzte kurz aus, doch er wurde mitnichten langsamer. Er wusste, dass ein Korsar die Strecke von der Erde hierher in etwas mehr als vier Tagen zurücklegen konnte, und wenn es der terranischen Regierung gelungen war, aus den Führern des Widerstands Informationen herauszuholen, dann wusste inzwischen ganz Plinry über ihn Bescheid. Doch es blieb ihm nichts anderes übrig, als weiterzugehen.
Als Caine näher kam, trat der größere der beiden Männer einen Schritt vor. »Mr. Rienzi?«, fragte er. Als Caine nickte, fuhr er fort: »Ich bin Präfekt Jamus Galway, der Leiter des planetarischen Sicherheitsdienstes; das ist mein Adjutant. Officer Ragusin. Willkommen auf Plinry, Sir.«
»Danke. Kommen Sie immer zum Flughafen, um die Touristen zu begrüßen?«
Galways Lächeln war beinahe albern, und dieses Lächeln verriet Caine mehr als jede Äußerung des Präfekten. Der Leiter des Sicherheitsdienstes, der einen mutmaßlichen Rebellen begrüßte, hätte bestimmt nicht so gelächelt; so lächelte ein Politiker einen hohen Regierungsbeamten an, der über mehr Einfluss verfügte als er selbst. Caines Tarnung war also noch nicht aufgeflogen.
»Ich habe es mir tatsächlich zur Gewohnheit gemacht, Besucher, die zum ersten Mal hier sind, persönlich zu begrüßen und ihnen zu erklären, über welche Einrichtungen wir verfügen«, erwiderte Galway. »Das erspart allen Beteiligten Zeit.« Er zeigte auf die Gebäude. »Wenn es Ihnen recht ist, gehe ich mit Ihnen durch den Zoll. Danach würde ich Sie bitten, uns zu einem Identitätscheck in Capstone zu begleiten.«
Caine nickte lässig. Er hatte die Kontrollen auf der Erde ohne Schwierigkeiten hinter sich gebracht, und es war wohl kaum anzunehmen, dass sie auf Plinry gründlicher sein würden. »Selbstverständlich, Präfekt. Gehen Sie voraus!«
Die Zollkontrolle war reine Formsache. Außer seiner Kleidung hatte Caine nur einen Taschenvideorekorder, ein paar Reserve-CDs und die Pillen mitgebracht, die man ihm am Flughafen von Neu-Genf gegeben hatte. Bereits wenige Minuten später fuhren Caine und Galway auf dem Rücksitz eines Streifenwagens nach Capstone. Der schweigsame Ragusin saß am Lenkrad.
Bis jetzt hatte Caine keine Zeit gehabt, seine Aufmerksamkeit dem Planeten zuzuwenden, und als er nun aus dem Fenster blickte, war er darüber erstaunt, wie groß die Ähnlichkeit und gleichzeitig die Unterschiede zur Erde waren. Auch hier war die vorherrschende Farbe der Vegetation Grün; aber auf Plinry wies das Grün einen bläulichen Stich auf, und es gab ungewöhnlich viele Pflanzen, die gelb, purpurrot und sogar orangefarben waren. Aus einem fahrenden Auto konnte man die kleinere, niedrigere Flora kaum deutlich erkennen, doch die Blätter waren zu breit, als dass es sich um Gras handeln konnte. Die Bäume und Büsche wieder sahen wie Hirschgeweihe aus, auf denen spanisches Moos hing. Zwischen den Bäumen bewegten sich kleinere Geschöpfe, die zu stromlinienförmig wirkten, um Vögel zu sein. »Sie haben einen hübschen Planeten«, bemerkte Caine. »Sehr farbig.«
Galway nickte. »Es war nicht immer so. Während meiner Kindheit waren die meisten Pflanzen grün oder blau. Die anderen Farben tauchten erst nach dem Krieg auf – Mutationen infolge einer Substanz in den Ryqril-Geschossen. Die meisten werden vermutlich irgendwann aussterben.«
Caine wandte dem Fenster den Rücken zu; ihn fröstelte. In Galways Stimme hatte kein Bedauern oder gar Feindseligkeit gelegen, als er von den Verwüstungen sprach, die die Ryqril seiner Welt zugefügt hatten. Als würde er auf ihrer Seite stehen – was natürlich der Fall war. Die TDE-Regierung beschäftigte ausschließlich Leute, die vorher einer Loyalitätskonditionierung unterzogen worden waren. Ob diese Konditionierung die Einstellung des Betreffenden tatsächlich veränderte oder sie nur wirkungslos machte, war ungeklärt, doch die grundlegende Tatsache blieb bestehen: Eine konditionierte Person konnte sich weder in Worten noch in Taten gegen die Autorität der Ryqril auflehnen. Man konnte sie weder erpressen noch bestechen – nur überlisten oder durch bessere Waffen besiegen. Caine besaß keinerlei Waffen.
Sie fuhren jetzt durch die Außenbezirke der Stadt, in denen offensichtlich die Mittelklasse oder Bürger gehobenen Standes wohnten. Wohn- und Geschäftsviertel waren im Gegensatz zur Erde miteinander vermischt. Caine erkundigte sich danach.
»Auf Plinry gibt es nur wenige Fahrzeuge«, erklärte Galway. »Sogar gut situierte Leute müssen in der Lage sein, ihre Arbeitsplätze und Geschäfte zu Fuß zu erreichen. Hier draußen, in den neueren Stadtteilen, sind Wohnsitz und Arbeitsplatz etwas weiter voneinander entfernt. Weiter drin, in den ärmeren Bezirken, arbeiten die Menschen oft in dem Gebäude, in dem sie wohnen. In der Nabe liegen die Dinge natürlich anders. Dort gibt es genügend Automat-Taxis, deshalb werden Sie ohne Schwierigkeiten überall hingelangen können.«
»Die Nabe ist vermutlich das Regierungszentrum, nicht wahr?«
»Ja, und dort leben auch die meisten Regierungsfamilien.« Galway zeigte nach vorn. »Von hier aus sehen Sie einige der wichtigsten Gebäude.«
Die Gebäude waren nur wenige Kilometer von ihnen entfernt, und sie waren also keineswegs Wolkenkratzer, aber sie überragten dennoch die ein- bis zweistöckigen Gebäude ringsum. Capstone war offensichtlich eine sehr flache Stadt.
Wie Galway erwähnt hatte, wirkte die Stadt immer ärmlicher, je weiter sie hineinfuhren. In beinahe allen Geschäftsgebäuden gab es Stockwerke mit Wohnungen. Auf den Gehsteigen waren mehr Menschen unterwegs als in den Außenbezirken, und sie waren schäbiger gekleidet. Es war schwierig, ihren Gesichtsausdruck abzuschätzen, aber Caine bildete sich ein, dass die Blicke, die sie dem Streifenwagen zuwarfen, unfreundlich und sogar feindlich waren. Das war ein gutes Zeichen. Hätten die Menschen die Regierung respektiert, so hätte er wohl kaum eine Chance gehabt, eine brauchbare Untergrundbewegung zu finden.
Der Wagen bog um eine Ecke, und eine graue Mauer versperrte ihnen den Weg. In ihr befand sich ein Gittertor, neben dem zwei Wachposten in der gleichen graugrünen Uniform standen, wie sie Galway und der Fahrer trugen. Der Wagen hielt, und einer der Posten trat ans Fenster. »Ihre Ausweise, bitte.«
Alle drei reichten ihm ihre Ausweise. Er blätterte sie durch, gab sie ihnen zurück und winkte einem dritten Wachposten an der Innenseite des Tors, der prompt hinter der Mauer zu seiner Linken verschwand. Das Tor glitt auf und wieder zu, sobald der Wagen durchgefahren war. »Neuer Rekrut?«, fragte Caine.
»Keineswegs«, erwiderte Galway. »Unsere Sicherheitschecks werden immer noch vorschriftsmäßig durchgeführt.« In seiner Stimme lag ein Anflug von Stolz.
Es war nicht weit zu dem vierstöckigen Gebäude mit der Aufschrift Planetarischer Sicherheitsdienst Plinry. Galway und Caine stiegen beim Haupteingang aus und ließen Caines Gepäck im Wagen bei Ragusin. Im ersten Stockwerk betraten sie einen kleinen Raum, in dem sich zwei Stühle, ein Tisch, ein Fon und ein Gerät befanden, an das sich Caine aus dem Flughafen in Neu-Genf erinnerte. »Dürfte ich Sie um Ihren Ausweis bitten, Mr. Rienzi? Würden Sie bitte Ihre Daumen auf diese Platte drücken und dort hinüberschauen …«
Wieder flackerte das Licht kurz auf und glitt über Caines Augen. Galway betätigte einen Schalter und nickte Caine zu. »Sie können sich jetzt entspannen, Sir. Es wird leider noch einige Minuten dauern – einer der Computer der Stadt ist gestern zusammengebrochen, und die anderen beiden sind nun überlastet.« Er blieb neben der Maschine stehen, als wolle er den Computer dazu überreden, schneller zu arbeiten.
»Kein Problem«, beruhigte ihn Caine. »Es gibt keinen Grund, warum routinemäßige Sicherheitschecks Priorität genießen sollten.«
Galway entspannte sich ein wenig. »Ich bin froh, dass Sie so viel Verständnis zeigen. Werden Sie länger auf Plinry bleiben?«
»Nur zehn Tage, bis zum nächsten Flug zur Erde. Dort wartet Arbeit auf mich.«
»Ach ja – der Kapitän hat uns über Funk mitgeteilt, dass Sie Mitglied des Senats sind. Adjutant von Senator Auriand – oder jemand genauso Wichtigem.«
»Auriol«, stellte Caine automatisch richtig. »Ja, ich bin einer seiner Adjutanten. Es handelt sich um einen untergeordneten Posten, aber Dad war der Ansicht, dass es eine gute Gelegenheit ist, Erfahrung in der Politik zu sammeln.«
»Ihr Vater arbeitet auch für die Regierung?«
»Ja. Seit Kriegsende. Er hat als Ratsherr in Mailand begonnen und ist jetzt dritter Minister für Erziehung.«
»Sie wurden also sehr zeitig vorbereitet?«
Vorbereitet war eine Umschreibung für loyalitätskonditioniert. Das Gespräch entwickelte sich in eine unangenehme Richtung. »Im Alter von fünf Jahren«, antwortete Caine kurz, und sein Ton wurde um einige Grad kälter. Der Adjutant eines Senators sollte nicht mit solchen Fragen belästigt werden.
Galway begriff und trat hastig den Rückzug an. »Entschuldigen Sie, Mr. Rienzi – ich wollte nicht persönlich werden, sondern war nur neugierig.« Er unterbrach sich unvermittelt, und Caine hörte beinahe, wie er verzweifelt nach einem unverfänglichen Gesprächsthema suchte. »Sind Sie geschäftlich hier, oder machen Sie einfach nur Urlaub?«
Caine befand sich wieder auf sicherem Boden. »Eigentlich beides. Ich habe Urlaub und bin auf eigene Kosten hier, aber ich werde auch arbeiten.« Er strahlte sein Gegenüber schüchtern und zugleich stolz an. »Ich werde ein Buch schreiben.«
Galway zog höflich erstaunt die Augenbrauen hoch. »Tatsächlich? Über Plinry?«
»Nein, über den Krieg. Ich weiß, dass bereits eine Menge Bücher darüber geschrieben wurden, aber die meisten konzentrieren sich auf die Erde oder auf die Centaurus-Welten. Mein Buch soll den Standpunkt der Menschen auf den äußeren Welten des TDE aufzeigen. Da Plinry Hauptstadt dieses Sektors und eine wichtige Militärbasis gewesen ist, nehme ich an, dass ich hier alle Unterlagen finden werde, die ich benötige.«
»Wir besitzen umfassende Archive«, versicherte Galway. »Sie verfügen selbstverständlich über die erforderlichen Bewilligungen?«
Das war der Punkt, an dem sich die im letzten Augenblick erfolgte Razzia der Regierung auswirken würde. »Was denn? Man braucht hier eine Erlaubnis, um Bücher zu schreiben?«, fragte Caine lächelnd.
»Natürlich nicht, ich meine die Bewilligung, in die Unterlagen Einsicht zu nehmen. Sie besitzen sie doch, nicht wahr?«
Caines Lächeln verschwand. »Was soll das für eine Bewilligung sein?«
Jetzt runzelte Galway die Stirn. »Das Standardformular des TDE für Forschungsarbeit. Sie brauchen es jedes Mal, wenn Sie in offizielle Dokumente Einsicht nehmen wollen.«
»Verdammt! Kein Mensch hat mir gesagt, dass ich hier so etwas brauchen würde.« Caine mimte Entrüstung. »Hören Sie, ich bin Mitglied der TDE-Regierung, und keine einzige der Unterlagen, die ich brauche, ist geheim. Kann ich mir die Dinger nicht ansehen, während mir ein Wächter über die Schulter schaut?«
Galway zuckte die Achseln. »Sie können sich ja im Archiv erkundigen, aber ich glaube nicht, dass Sie die Erlaubnis bekommen werden. Tut mir leid.«
»Verdammt!« Caine blickte missmutig zu Boden, dann sah er zur Verifizierungsmaschine hinüber. »Ist der elende Computer noch immer nicht fertig?«, fragte er verärgert.
»Ich will mal nachsehen, ob ich es beschleunigen kann.« Galway berührte einen Schalter; Sekunden später leuchtete ein grünes Lämpchen auf, und Caines Ausweis erschien. »Na also, alles erledigt.« Galway gab Caine den Ausweis zurück.
Das Timing war perfekt, dachte dieser. Er nahm nicht an, dass es sich um einen Zufall handelte, hatte aber nicht vor, eine entsprechende Bemerkung zu machen. Er begann nämlich allmählich daran zu zweifeln, dass der Präfekt ein dienstbeflissenes geistiges Fliegengewicht war. Zum Glück konnte bei diesem Spiel jeder den grinsenden Idioten mimen. Falls Galway die Verifizierungsmaschine tatsächlich daran gehindert hatte, ihre Arbeit zu verrichten, hatte Caine guten Grund, zornig zu sein; es war aber vorteilhafter für ihn, wenn er bei dem Präfekten den Eindruck erweckte, dass er geistig beschränkt war. Er steckte also den Ausweis ein und erhob sich. »Ist das alles?«
»Ja. Während wir hinausgehen, werde ich Ihnen ein Informationspaket übergeben. Es führt Restaurants und Unterhaltungslokale auf, enthält Informationen über Automat-Taxis und Flugverbindungen, einen Stadtplan, eine Karte der Umgebung und so weiter.« Er zögerte. »Leider kann ich Ihnen keinen Führer zur Verfügung stellen. Wir sind etwas knapp an Personal.«
»Das geht schon in Ordnung«, meinte Caine großzügig. Ein offizieller Babysitter war das Letzte, was er brauchen konnte. »Es sieht ohnehin nicht so aus, als hätte ich viel Verwendung für ihn.«
»Was wollen Sie denn alles unternehmen?«, erkundigte sich Galway, während sie den Raum verließen und durch den Korridor zu den Lifts gingen.
Caine antwortete langsam, als hätte er sich nicht bereits alles zurechtgelegt. »Ich möchte nicht, dass die Reise reine Zeitverschwendung ist – Sie glauben nicht, was das Ticket kostet. Vielleicht kann ich in Capstone mit Leuten sprechen, die den Krieg miterlebt haben. Ich wollte es eigentlich erst tun, nachdem ich Hintergrundinformationen gesammelt hätte, aber …« – er zuckte die Achseln, dann runzelte er die Stirn – »ich glaube mich zu erinnern, dass es auf Plinry bei Kriegsende einen hohen Admiral oder General gegeben hat, aber mir fällt der Name nicht ein. Wissen Sie, wen ich meine?«
Auch Galway runzelte die Stirn. »Hmmm. Handelt es sich vielleicht um General Lepkowski? Als dieser Sektor erobert wurde, war er hier Kommandant.«
»Möglich. Ich weiß noch, dass der Name wladimirianisch klang.«
»Ich glaube, dass Lepkowski tatsächlich von Wladimir stammte. Aber ich befürchte, dass Sie auch hier Pech haben – er ist im Krieg gefallen.«
Caines Magen krampfte sich zusammen. »Sind Sie sicher?«, fragte er so beiläufig wie möglich.
»Ja. Er befand sich in seiner Kommandozentrale, als sie durch das Bodenfeuer zerstört wurde; so heißt es jedenfalls.« Galway machte eine Pause, als würde er nachdenken. »Mir fällt sonst niemand ein, der über die Informationen verfügen könnte, die Sie suchen. Zwar hat eine große Menge Menschen den Krieg überlebt – ich selbst zum Beispiel –, aber keiner von uns wusste viel über die großen Zusammenhänge.«
»Vielleicht werde ich trotzdem mit ein paar von ihnen sprechen.« Caine spürte jetzt einen leichten Druck in der Brust; außerdem klang seine Stimme plötzlich heiser. »Unter Umständen kann ich damit etwas anfangen – der Standpunkt des kleinen Mannes oder so.«
»Was ist mit Ihrer Stimme los?«, fragte Galway unvermittelt. Er hatte die Hand ausgestreckt, um auf den Fahrstuhlknopf zu drücken, ergriff aber stattdessen Caines Arm und stützte ihn.
»Ich weiß nicht.« Er krächzte jetzt, und wenn er atmete, hatte er stechende Schmerzen.
»Aber ich weiß es.« Halb führte, halb zog der Präfekt Caine zu einem Erfrischungsstand am Ende des Korridors. Mit einer Hand betätigte er die Taste für ein Glas Wasser, mit der anderen griff er geschickt in Caines Jackentasche und zog die Phiole mit den Pillen heraus. Er reichte Caine das Glas, las das Etikett auf der Phiole und klopfte zwei Kapseln auf seine Hand. »Nehmen Sie das!«, befahl er.
Caine gehorchte. Er hätte sich liebend gern hingesetzt, aber im Korridor gab es weder Bänke noch Stühle, und Galway hatte offensichtlich keine Lust, ihn in eines der Büros zu führen. Doch das Medikament wirkte zum Glück rasch, und nach wenigen Minuten konnte Galway ihn loslassen. Caine holte vorsichtig Luft. Der Schmerz war fort, die Heiserkeit beinahe verschwunden. »Ich bin wieder in Ordnung, danke.«
»Gern geschehen.« Er reichte Caine die Phiole. »Ich hatte angenommen, dass Sie die Tabletten vor der Landung geschluckt haben, sonst hätte ich Sie daran erinnert, als wir durch den Zoll gingen. Ich hoffe, dass Sie in Zukunft weniger vergesslich sein werden.«
»Worauf Sie sich verlassen können. Was, zum Teufel, hat mir eigentlich gefehlt?«
»Tormatyses Asthma. Befällt etwa drei Prozent der Besucher von anderen Welten. Ausgelöst wird es durch einen Bestandteil der Luft – ich weiß nicht genau welchen –, aber es ist harmlos, solange man täglich seine Dosis Histrophyn nimmt. Sind Sie schon imstande, ein Fahrzeug zu benützen?«
»Klar.«
Galway führte ihn zu den Fahrstühlen zurück, und Minuten später stand Caine mit einem dicken Päckchen in der Hand vor dem Haupteingang des Gebäudes. »Ihr Gepäck sollte bereits in Ihrem Hotelzimmer sein«, meinte Galway. »In der Nabe gibt es ein einziges Hotel für auswärtige Gäste – das Coronet – deshalb habe ich mir erlaubt, Ihre Sachen dorthin zu schicken.«
»In Ordnung.« Sie hatten zweifellos sein Gepäck unterwegs durchsucht, aber es gab nichts, was sie finden konnten. Je früher der Sicherheitsdienst zu der Einsicht gelangte, dass Alain Rienzi ein echtes, wenn auch nicht sonderlich intelligentes Regierungsmitglied war, desto besser war es für Caine. »Danke für Ihre Hilfe, Präfekt. Ich hoffe, dass wir einander wiedersehen.«
Galway lächelte. »Das ist sehr wahrscheinlich. Genießen Sie Ihren Aufenthalt, Mr. Rienzi!«
Das Coronet war vermutlich das luxuriöseste Hotel, das Caine je kennengelernt hatte, auch wenn ein Regierungsmitglied es bestenfalls als guten Durchschnitt bezeichnen würde. In seinem Zimmer befand sich ein übergroßes französisches Bett mit eingebautem Fernsehapparat und weiterem Zubehör, das Badezimmer war riesig, es gab einen Aufzug für den Zimmerservice und ein Unterhaltungscenter, das sogar ein Computerterminal besaß.
Er packte sorgfältig aus und brachte seine Kleidung in dem begehbaren Schrank und in den Schubladen unter, die in die Bettumrandung eingebaut waren. Dabei hielt er Ausschau nach versteckten Kameras oder Wanzen, entdeckte aber keine. Außerdem war es unwichtig – er wusste, dass die Wanzen irgendwo verborgen waren, aber er würde in dem Zimmer ohnehin nichts Wesentliches erledigen.
Als er mit dem Auspacken fertig war, las er die Speisekarte neben dem Fon und gab eine Bestellung auf. Dann stieg er aus seinen Stiefeletten und legte sich mit dem Gesicht nach unten quer über das Bett, weil ihn plötzlich die Müdigkeit überwältigte. Draußen befand sich Plinrys Sonne erst auf halbem Weg zwischen Zenit und Horizont; in dem Dreißigstundentag war es jetzt Nachmittag. Aber Caines biologische Uhr war noch immer auf Schiffszeit eingestellt, und für ihn war es beinahe Mitternacht. Er hätte sich noch ein, zwei Stunden auf den Beinen halten können, falls es erforderlich gewesen wäre, aber es hatte keinen Sinn. Es genügte, wenn er sich am nächsten Morgen an die Arbeit machte.
Er drehte sich auf den Rücken, schob sich ein Kissen unter den Kopf und überdachte die Situation. Seine Identität als Alain Rienzi konnte jetzt, vor allem nach dem Asthmaanfall, nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Die Kapseln entsprachen offenkundig Rienzis medizinischen Daten, die Präfekt Galway ohne Zweifel zu Gesicht bekommen hatte. Caine hatte keine Ahnung, wie es Marinos auf der Erde gelungen war, die Unterlagen auszutauschen – es war schon ein Wunder, dass er überhaupt daran gedacht hatte. Aber es hatte funktioniert und dadurch hoffentlich jeden eventuellen Verdacht Galways entkräftet.
Galway. Caine veränderte nervös seine Lage, als er versuchte, sich ein Bild von dem Mann zu machen. Das leicht angeberische, leicht kriecherische, leicht dümmliche Image, das Caines erster Eindruck gewesen war, stand in deutlichem Gegensatz zu dem Verhalten des Präfekten während des Asthmaanfalls. Er hatte rasch die richtige Diagnose gestellt und ohne eine Sekunde zu verlieren die entsprechenden Maßnahmen ergriffen – er hatte sich sogar daran erinnert, wohin Caine seine Tabletten gesteckt hatte. Ein fähiger, selbstsicherer Mann, der sich sehr bemühte, dem anderen ein falsches Bild von sich vorzugaukeln. Weshalb? Benahm er sich jedem Besucher gegenüber so, oder war Caine für ihn ein Sonderfall? Im Augenblick wusste Caine es noch nicht, aber es beunruhigte ihn. Vielleicht war das der Zweck der Übung.
Ein leiser Glockenton ließ ihn zusammenzucken, und es dauerte einen Augenblick, bis er begriff, dass es das Signal für sein Abendessen war. Er erhob sich, holte das Tablett aus dem Speisenaufzug und trug es durchs Zimmer, weil aus der gegenüberliegenden Wand ein Tisch und ein Stuhl herausklappten. Wahrscheinlich hatte die Glocke den Mechanismus ausgelöst.
Die Speisen waren ihm fremd, schmeckten aber trotzdem, und das Essen hob seine Stimmung ein wenig. Zwar stand er erst am Anfang seiner Mission, war aber besser weitergekommen, als er erwartet hatte. Er hatte Plinry erreicht, war ungefährdet in feindliches Gebiet eingedrungen und hatte einen Vorwand dafür gefunden, warum er auf Plinry spazieren gehen und Fragen an die Einwohner von Capstone stellen würde. Aus dem Fenster im dritten Stock konnte er gerade noch den oberen Rand der grauen Mauer sehen, die die Nabe vom Rest der Stadt trennte. Er hob das Glas an die Lippen und trank stumm den Menschen auf der anderen Seite zu. Selbst wenn General Lepkowski tatsächlich tot war, hatte das einfache Volk ganz bestimmt eine Untergrundbewegung gegen die Ryqril und die Nabe organisiert.
Morgen würde er sich auf die Suche machen.
Leiter der Archivabteilung war eine jung aussehende Frau, an deren Augen man jedoch ihr hohes Alter erkannte. Sie war streng, lächelte nicht und verteidigte ihre Unterlagen wie eine Löwin ihre Jungen. »Es gibt keine Ausnahmen, Mr. Rienzi«, erklärte sie Caine entschieden. »Ich habe mich hoffentlich deutlich genug ausgedrückt. Ich bedaure.« Sie sah nicht so aus, als bedaure sie es, und Caine war nicht darüber erstaunt, dass er keinen Erfolg hatte, aber er hatte es versuchen müssen. »Okay. Ich verstehe Ihren Standpunkt. Jedenfalls vielen Dank.«
Er marschierte wieder in das Licht des frühen Morgens hinaus. In der Nabe herrschte bereits hektisches Treiben; die Plinryaner nahmen die Arbeit offenbar ernst. Caine fand in der Nähe des Archivgebäudes eine Bank, setzte sich und orientierte sich anhand des Stadtplans von Capstone, den Galway ihm gegeben hatte. Er konnte es nicht erwarten, auf die andere Seite der Mauer zu gelangen und den Untergrund zu suchen, aber zuerst musste er ein paar Stunden lang einige Regierungsbeamte in der Nabe mit den Recherchen für sein ›Buch‹ belästigen. Es war reine Zeitverschwendung, aber es würde merkwürdig aussehen, wenn er mit seinen Ermittlungen nicht an der Spitze anfing und sich erst dann auf die unterste Ebene der Gesellschaft begab. Natürlich immer vorausgesetzt, dass ihn jemand beobachtete – und vermutlich beobachtete ihn jemand.
Die Gespräche verliefen beinahe beunruhigend glatt. Bis auf die wenigen wirklich überlasteten Beamten waren alle bereit, ihre Zeitpläne rettungslos durcheinanderzubringen, um dem Besucher von der Erde einen Gefallen zu erweisen. Irgendwie war es amüsant, solchen Einfluss auf seine Feinde zu besitzen, doch wusste Caine genau, dass es sich um ein zweischneidiges Schwert handelte. Zu viel Aufmerksamkeit und Publicity konnten auch gefährlich werden.
Er nahm die Kriegserinnerungen von sieben Beamten beinahe vier Stunden lang auf Band auf, bevor er es gut sein ließ. Der Nachmittag war halb vorbei, und er konnte es sich nicht leisten, noch mehr Zeit in der Nabe zu vergeuden. Es konnte Tage dauern, bis er den Untergrund fand, und er verfügte nicht über sehr viele Tage. Also bestellte er ein Automat-Taxi und fuhr zur grauen Mauer.
Der Wagen setzte ihn am Nordtor ab, durch das er am vorhergehenden Tag hereingekommen war. »Ich möchte hinaus«, erklärte er dem Posten.
»Ja, Sir«, erwiderte der junge Mann. »Steigen Sie nur wieder in Ihr Automat-Taxi, dann öffne ich das Tor.«
Caine schüttelte den Kopf. »Ich gehe zu Fuß.«
Der Wachposten blinzelte überrascht. »Ja … aber das ist nicht empfehlenswert, Sir.«
»Warum nicht?«
»Die einfachen Leute sind manchmal nicht sehr freundlich. Sie könnten Schwierigkeiten bekommen.«
Caine wischte die Warnung mit einer Handbewegung beiseite. »Ach, es wird schon alles in Ordnung gehen. Kommen Sie, öffnen Sie das Tor.«
»Ja, Sir.« Der Posten war sichtlich noch nicht überzeugt, aber er trat zu einer kleinen Schalttafel, und das Gitter glitt einen Meter zur Seite. Caine dankte mit einem Nicken und marschierte hindurch.
Er ging langsam und spannte alle Sinne an, um die neuen Eindrücke zu erfassen. Die Stadt war zumindest oberflächlich anders als alle Städte, die er kannte. Aber unterschwellig spürte er den gleichen bitteren Geschmack, den die Ryqril auf der Erde hinterlassen hatten. Die staubigen, ein bis zwei Stockwerke hohen Gebäude sahen aus wie Schachteln, waren kalt, funktionell; sie wiesen noch weniger Fassadenschmuck auf als ihre terranischen Gegenstücke. Die ›Architektur der Besiegten‹ wurden sie genannt; und es war kaum zu übersehen, dass Plinry unter dem Krieg wesentlich mehr gelitten hatte als die Erde. Die Menschen, die durch die Straßen schlurften, befanden sich in kaum besserem Zustand als die Häuser. Sie waren ärmlich gekleidet, und ihre Gesichter drückten Resignation, Hoffnungslosigkeit oder einfach nur Leere aus. Die meisten sahen ältlich oder alt aus; offenbar gelangte auf diese Seite der Mauer nur wenig Idunin. Trotzdem musste es irgendwo auch junge Männer und Frauen geben, und Caine hätte gern gewusst, wo sie sich versteckten.
Zwei Häuserblocks weiter fand er einen Teil der Antwort. In einer Seitenstraße gab es eine Art Straßencafé, aus dem das Geräusch von Gesprächen und gelegentlich Gelächter drang. Caine trat neugierig näher.
Es war anscheinend eine Bar. Caine überblickte einen Augenblick lang das Lokal. Etwa zwanzig kleine Tische standen in der Nähe des Gehsteigs im Freien; weitere fünfzig befanden sich in einiger Entfernung von der Straße in einem Raum, der dadurch entstanden war, dass man die Vorderwand eines eingeschossigen Hauses niedergerissen hatte. Etwa ein Viertel der Tische war besetzt – von älteren Männern, die allein oder zu zweit an ihnen saßen, oder von jungen Leuten in Gruppen von einem halben Dutzend oder mehr. Der Lärm wurde hauptsächlich von diesen Gruppen erzeugt.
An einer Wand des überdachten Raumes stand ein hufeisenförmiger Tisch, und ein Mann in mittleren Jahren beobachtete von dort aus die Teenager. Caine zögerte und ging dann zu ihm, ohne die Blicke zu beachten, die ihm folgten.
Der Barmann begrüßte Caine. »Schönen Tag, Freund. Was wollen Sie gluckern?«
Caine begriff, was er meinte. »Bier. Die Marke ist mir egal.«
Der Mann nickte und holte eine Flasche unter der Theke hervor. »Ich habe Sie noch nie gesehen, was?«, fragte er beiläufig, während er das Bier in ein Glas einschenkte. »Sind Sie neu in der Stadt?«
»Nur auf Besuch«, antwortete Caine, während er vorsichtig trank. Das Bier schmeckte merkwürdig; woraus es wohl gebraut war? »Ich heiße Rienzi.«
»Ich bin John, Mr. Rienzi«, erwiderte der Barkeeper. »Wo kommen Sie her?«
»Von der Erde.«
Johns Augen weiteten sich überrascht, und er schien sich in sich zurückzuziehen. »Ich verstehe.« Seine Stimme klang plötzlich gleichgültig. »Sie sehen sich wohl mal die Slums an, nicht wahr?«
Caine überhörte die Provokation und schüttelte den Kopf. »Ich schreibe ein Buch über den Krieg vom Standpunkt der äußeren Welten aus. Ich habe geglaubt, dass ich hier ehemalige Soldaten oder Raumfahrer finden werde, mit denen ich mich darüber unterhalten kann.«
Der andere schwieg einen Augenblick lang. »Es leben noch ein paar in dieser Gegend«, meinte er schließlich. »Aber ich bezweifle, dass das, was sie zu sagen haben, in ein Kolliebuch passt!«
»Kollie?«
John wurde rot. »Der Slangausdruck für Leute von der Regierung«, murmelte er. »Die Abkürzung für ›Kollaborateur‹.«
»Oh. Ihre Ansichten würden also nicht sehr schmeichelhaft sein?«
»Man kann ihnen daraus kaum einen Vorwurf machen.« Er unterbrach sich unvermittelt, als hätte er bereits zu viel gesagt, griff nach einem Glas und einem Geschirrtuch und begann es eifrig zu polieren.
Caine ließ das Schweigen noch einige Sekunden lang andauern, bevor er sprach. »Ich bin nur ein sehr unbedeutender Regierungsbeamter, aber ich habe Zugang zu einem TDE-Senator. Falls es auf Plinry Probleme gibt, kann man sicherlich etwas dagegen unternehmen.«
»Sie können nur dann etwas dagegen unternehmen, wenn Sie eine Million Arbeitsplätze aus der Tasche zaubern.« John stellte seufzend das Glas hin. »Sehen Sie, wir sind von den Ryqril niedergewalzt worden. Durch die verdammte Bodenfeuertechnik sind drei Viertel unserer Bevölkerung ausradiert worden, und sieben Achtel unseres Landes wurden unbewohnbar. Beinahe unsere gesamte Industrie und eine Unmenge Ackerland sind zugrunde gegangen. Im ersten Winter ist eine weitere Million Menschen erfroren oder verhungert.« Er holte tief Luft. »Ich will Sie nicht mit Einzelheiten langweilen. Es wird allmählich besser, aber es gibt noch immer nicht genügend Arbeit für alle. Warum würden diese Leute sonst um diese Tageszeit hier sitzen?« Er zeigte mit dem Daumen auf die Teenager.
Caine musterte die jungen Leute, während er sein Bier trank. Jetzt erst fiel ihm die Niedergeschlagenheit in ihren Gesichtern auf, die kaum unterdrückte Verbitterung, und die vielen leeren und halb leeren Flaschen vor ihnen. »Ich verstehe«, meinte er. »Aber ich bin sicher, dass man Plinry irgendwie helfen kann. Sobald ich wieder auf der Erde bin, werde ich Senator Auriol über die Situation informieren. Doch inzwischen können Sie mir vielleicht vorschlagen, mit wem ich hier über Plinrys Probleme und über den Krieg sprechen kann.«
John presste die Lippen zusammen, und Caine konnte seine Gedanken lesen: ›Außer seinem verdammten Buch kümmert ihn überhaupt nichts.‹ »Wenn Sie eine ehrliche Meinung hören wollen, dann sollten Sie es mit Damon Lathe versuchen. Er sitzt dort drüben.« Er zeigte an Caines Ohr vorbei.
Caine drehte sich um und sah einen grauhaarigen, alten Mann mit buschigem Bart, der allein an einem Tisch im Freien saß. Er war mittelgroß, und Caine schätzte ihn auf sechzig oder darüber. »Danke. Bei welcher Waffengattung war er?«
»Er war ein Blackcollar.«
»Tatsächlich?« Caine zeigte sein Interesse offen. Er legte einen Geldschein auf die Theke, griff nach seinem Glas und ging zum Tisch des alten Mannes.
Lathe, der geistesabwesend in sein Glas starrte, rührte sich nicht, als Caine an den Tisch trat; er blickte erst auf, als dieser sich räusperte. »Mr. Lathe?«, fragte er vorsichtig. »Ich heiße Alain Rienzi und würde mich gern einen Augenblick lang mit Ihnen unterhalten.«
Lathe zuckte die Achseln und zeigte auf einen Stuhl. »Warum nicht? Ich habe ohnehin nicht viel zu tun. Ich glaube nicht, dass ich Sie kenne, oder?«
Caine nahm ihm gegenüber Platz; er musste erst mit dem Unterschied zwischen der Wirklichkeit und seiner idealistischen Vorstellung fertig werden. Lathe hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem jugendlichen, aktiven Blackcollar, den er immer vor Augen gehabt hatte. Er hatte sich nicht überlegt, wie sich fünfunddreißig Jahre ohne Idunin auf einen Menschen auswirkten. »Nein, ich bin erst eben angekommen – von der Erde.«
»Ach, ein Kollie. Wie steht es daheim?«