Jagd auf Ikarus - Timothy Zahn - E-Book

Jagd auf Ikarus E-Book

Timothy Zahn

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Beschreibung

Ein ganz einfacher Job ...

Als Jordan McKell, seines Zeichens Schmuggler und Kapitän ohne Raumschiff, den Auftrag erhält, die Ikarus samt hochbrisanter Ware zur Erde zu fliegen, sieht er zunächst keine größeren Probleme auf sich zukommen. Bereits der erste Zwischenstopp erweist sich als problematisch, ein Mitglied der Besatzung wird ermordet. Und ehe er sichs versieht, ist McKell in eine intergalaktische Handelsverschwörung verwickelt, und das halbe Universum ist ihm auf den Fersen...

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Inhaltsverzeichnis
DAS BUCH
DER AUTOR
Kapitel 1
Kapitel 2
Copyright
DAS BUCH
Was macht man, wenn man ein Raumschiff hat, aber keine Besatzung, die es fliegt? Die Antwort: Jordan McKell - Ex-Raumschiff-Captain und ein Haudegen, wie er im Buche steht. Den Rest der Crew zu rekrutieren ist ein Klacks … Es gilt, den Frachter Ikarus mit versiegelter Fracht vom Planeten Meima zur Erde zu bringen. Ein leichter Job, wie es zunächst scheint. Doch schon nach der ersten Zwischenlandung auf dem Planeten Xathru zeichnen sich erste Probleme ab: An Bord gibt es einen als Unfall getarnten Mord. Nur wer von der Besatzung ist der Mörder? Und wo ist der verantwortliche Schiffseigner Cameron, der eigentlich mit an Bord sein wollte? Bei Nachforschungen stellt McKell fest, dass das Schiff selbst die Fracht ist: »Stardrive«, ein neuartiger, extrem schneller Superantrieb. Offensichtlich haben das aber vor ihm schon einige nicht gerade ehrbare Leute gewusst oder zumindest vermutet, denn plötzlich scheint es so, als ob das halbe Universum McKell auf den Fersen ist. Und die Uhr tickt …
Das neue große Science-Fiction-Abenteuer vom Bestseller-Autor der Blackcollar-Trilogie - Timothy Zahn schreibt spannende Zukunftsabenteuer reinsten Wassers.
DER AUTOR
Timothy Zahn, 1951 in Chicago geboren, studierte Physik an der University of Illinois und veröffentlichte 1978 seine erste Science-Fiction-Geschichte. Seither hat er zahllose erfolgreiche Romane geschrieben, unter anderem für die STAR-WARS-Serie. Er lebt mit seiner Familie in Oregon. Im Wilhelm Heyne Verlag sind von Timothy Zahn erschienen: Blackcollar, Eroberer, Eroberer - Die Rückkehr, Eroberer - Die Rache, Cobra.
1
Sie warteten bereits, als ich durch die Tür in die Taverne ging: zu dritt. Halbstarke Yavanni etwa in der Größe von Brahma-Bullen, die sich auf beiden Seiten des Eingangs vor mir aufgebaut hatten. Die großen, finster blickenden Kerle hatten offensichtlich ein Revier markiert - sie waren auf Streit aus und suchten nur noch nach einem Vorwand, um jemanden in die Mangel zu nehmen.
Und allem Anschein nach schienen sie mich zu diesem Zweck auserkoren zu haben.
Ich blieb im Eingangsbereich stehen. Als die Tür sich schloss und mir ins Kreuz fiel, stieg mir aus der Richtung der mutmaßlichen Angreifer ein schwacher Geruch nach Terpentin in die Nase. Was bedeutete, dass sie nicht nur jung und ungestüm waren, sondern auch noch voll bis zur Halskrause. Ich befand mich noch immer jenseits der unsichtbaren Grenze des persönlichen Territoriums, das sie da im Eingangsbereich für sich abgesteckt hatten; und wenn ich nur halbwegs bei Verstand war, würde ich diese Grenze auch nicht überschreiten. Yavanni sind nicht sehr helle, selbst wenn sie einmal einen guten Tag haben; doch wenn einer von ihnen schon doppelt so schwer ist wie man selbst und wenn man noch dazu einer dreifachen Übermacht von ihnen gegenübersteht, wird der Intelligenzquotient wohl kaum den Ausschlag geben. Es war ein langer Tag gewesen, und ein noch längerer Abend, und ich war müde und abgespannt. Es wäre deshalb am vernünftigsten gewesen, wenn ich den Türknauf ergriffen hätte, der sich mir in den Rücken grub, und von dort verschwunden wäre.
Ich schaute an den Yavanni vorbei in die Taverne. Sie war gut besetzt, mit Menschen und einer repräsentativen Auswahl anderer Spezies, die im Raum mit dem schummrigen Ambiente herumsaßen, das gerade angesagt war. Und es würde wohl auch so voll bleiben - zumindest so lange, bis jemand aufbrechen wollte und an den drei Fleischbergen vorbeimusste, die den Türsteher gaben. Ein beachtlicher Teil der Gäste verfolgte verstohlen das kleine Drama, das sich hier entfaltete, während der Rest es geflissentlich ignorierte. Und keine der beiden Gruppen schien erpicht, mir zu Hilfe zu eilen, falls dies notwendig werden sollte. Die beiden Barkeeper beobachteten mich unverhohlen, doch aus dieser Richtung war auch keine Hilfe zu erwarten. Dieser Abschnitt der Raumhafen-Peripherie lag in Meimas Vyssiluya-Enklave, und die Vyssiluyas waren bekannt dafür, dass sie sich aus solchen Streitigkeiten heraushielten. Die örtliche Polizei würde zwar gern die Reste aufsammeln, wenn alles vorbei war, aber das wäre auch kein Trost, wenn ich zu diesen Resten gehörte.
Dann musterte ich erneut die Yavanni, die hier Posten bezogen hatten: Einer stand etwas nach links versetzt vor mir, die beiden anderen zu meiner Rechten. Sie hatten sich noch nicht gerührt, aber vor dem geistigen Auge hatte ich das Bild von Schraubenfedern, die noch einmal um ein paar Drehungen gespannt wurden. Und ich hatte noch nicht den Rückzug angetreten, sah auch nicht so aus, als ob ich den Rückzug antreten wollte; wohl deshalb keimte in ihren unterbelichteten Köpfen die Vorfreude auf den Moment auf, wo ich einen Fuß über diese unsichtbare Grenze setzen würde und sie mich derartig vermöbeln konnten, dass ich in allen Farben des Regenbogens schillerte.
Ich war nicht bewaffnet, zumindest nicht richtig. Und selbst wenn ich eine richtige Waffe gehabt hätte, wäre es für jemanden, der sich noch eines langen und glücklichen Lebens erfreuen wollte, nicht ratsam gewesen, aus nächster Nähe das Feuer auf drei ausgewachsene Yavanni zu eröffnen. Aber es gab da einen Trick, den ich vor ein paar Jahren aufgeschnappt hatte, eine nette kleine Kombination aus Yavanni-Psychologie und Physiologie, den ich mir für den Notfall gemerkt hatte. Und es sah nun so aus, als ob dieser Notfall eingetreten wäre. Ich ließ den Blick über die Yavanni schweifen und räusperte mich. »Weiß eure Mami überhaupt, dass ihr Bübchen hier seid?«, fragte ich mit der tiefsten Stimme, die ich hervorzubringen vermochte.
Drei Kinnladen klappten synchron herunter. »Es ist doch schon spät«, fuhr ich fort, bevor sie etwas zu erwidern vermochten. »Ihr solltet längst zu Hause sein. Also husch, husch ins Körbchen.«
Sie schauten sich an, und die Vorfreude wich der Verwirrung. Eine Ansprache wie von einem Alpha-Männchen der Yavanni war wahrscheinlich die letzte Reaktion, die sie von einem Fremden erwartet hätten, der gerade einmal halb so groß war wie sie selbst; und ihre Matschbirnen hatten Schwierigkeiten, sich auf diese Situation einzustellen. »Habt ihr gehört?«, sagte ich schroff und legte einigen Zorn in die Stimme. »Geht nach Hause.«
Bei dem zur Linken schien die Matschbirne aber noch besser zu funktionieren als bei den beiden anderen. »Du bist kein Yavanni«, erwiderte er grimmig in Anglisch mit dem typischen Yavanni-Akzent. Ein neuer Schwall Terpentingeruch begleitete diese Worte. »Du wirst nicht so mit uns sprechen.« Er ballte die Pfoten, kam einen Schritt auf mich zu …
Und ich öffnete den Mund und stieß ein trällerndes Geheul aus, bei dem einem das Blut in den Adern gefror.
Er blieb wie angewurzelt stehen, und sein fremdartiges Gesicht nahm plötzlich einen gequälten Ausdruck an, als sein Reptilienhirn sich dieses fatalen Irrtums bewusst wurde. Ich stand, und er bewegte sich, was bedeutete, dass er nun mein Territorium verletzt hatte. Ich war die geschädigte Partei, ich hatte ihn mit dem angemessenen Anklage-/Beschuldigungs-/Herausforderungs-Schrei der Yavanni gewarnt, und ich hatte nun das Recht auf den ersten Schlag.
Aber natürlich würde ihm auch bald dämmern, dass ich gar kein Yavanni war und deshalb auch keinen Anspruch auf Beachtung der Yavanni-Gepflogenheiten hatte. Allerdings hatte ich nicht die Absicht, ihm eine entsprechende Bedenkzeit einzuräumen. Ich machte einen Ausfallschritt auf ihn zu, ballte die Hände zu Fäusten und rammte sie ihm in den Unterleib, in die leichten Vertiefungen auf beiden Seiten des zentralen Muskelstrangs.
Er stieß ein schwächliches Quieken aus - ein komisches Geräusch für ein Geschöpf seiner Größe - und ging mit einem soliden Schlag zu Boden, der die ganze Taverne erschüttert haben musste. Dann blieb er zusammengekrümmt und reglos liegen.
Die zwei anderen standen noch immer da und starrten mich mit offenem Mund an. Aber ich ließ mich dadurch nicht täuschen - perplex hin oder her, sie waren noch immer im »Territorial-Modus«, und in dem Moment, wo ich die Reviere betreten würde, die die beiden für sich reserviert hatten, würde ich durch den Wolf gedreht. Doch zum Glück hatte das Problem sich nun erledigt. Die linke Seite des Eingangs war freies Territorium; ich trat über den ausgeknockten Yavanni hinweg, passierte den Eingangsbereich und betrat die Taverne.
Es brandete so etwas wie Applaus auf; doch der ebbte schnell wieder ab, als die Anwesenden, die ihren Beifall bekundeten, begriffen, dass noch immer zwei Yavanni auf den Beinen waren. Ich rechnete zwar nicht damit, dass sie mir noch weitere Schwierigkeiten bereiten würden, hielt aber dennoch ein Auge auf ihre Lichtreflexe auf den Kuppeln der Messingleuchter, während ich mir einen Weg durch das Labyrinth aus Tischen und Stühlen bahnte. Da war ein freier Tisch im hinteren Bereich, ziemlich nahe am gemütlichen Kamin, der die Wand dominierte, und ich setzte mich mit dem Rücken zu den knisternden Flammen. Dabei bekam ich gerade noch mit, wie die beiden unversehrten Yavanni mit ihrem angeschlagenen Kollegen draußen in der Nacht verschwanden.
»Darf ich Ihnen einen Drink spendieren, Sir?«
Ich drehte den Kopf. Ein mittelgroßer Mann mit dunkler Haut stand im trüben Licht rechts neben meinem Tisch. Er hatte einen halb vollen Krug in der Hand; ein dichter weißer Haarschopf schimmerte im Kaminfeuer. »Ich bin im Moment nicht an Gesellschaft interessiert«, sagte ich und bestellte mir über die in den Tisch integrierte Speisekarte einen vodkaline. Eigentlich war mir nicht einmal nach einem Drink zumute, aber durch diese kleine Einlage mit den Yavanni hatte ich ziemliche Aufmerksamkeit erregt, und wenn ich nun ohne ein Glas in der Hand dagesessen hätte, dann hätte ich erst recht Anlass zu Spekulationen gegeben.
»Ich finde es gut, was Sie eben getan haben«, bemerkte der Mann, zog den Stuhl mir gegenüber hervor und setzte sich, als ob ich ihn dazu aufgefordert hätte. »Ich hatte schon eine halbe Stunde darauf gewartet, dass die drei Muskeltiere endlich verschwinden. Aber Sie sind trotzdem ein ziemliches Risiko eingegangen, nicht wahr? Zumindest hätten Sie sich ein paar Knöchel brechen können.«
Für einen Moment schaute ich ihn über den Tisch hinweg an, auf dieses dunkle Gesicht unter dem weißen Haarschopf. Der runzligen Haut nach zu urteilen, hatte er offenbar einen Großteil seines Lebens im Freien unter der Sonne verbracht; und den Konturen der Muskeln unter dem Jackett nach zu urteilen, hatte er diese Zeit nicht unbedingt damit verbracht, sich in Strandkörben zu fläzen. »War eigentlich nicht sehr riskant«, sagte ich ihm. »Yavanni werden erst als Erwachsene zu solchen ›Dickhäutern‹. Jugendliche sind an manchen Stellen noch ziemlich weich. Man muss halt nur wissen, wo diese weichen Stellen sind.«
Er nickte, und sein Blick fiel für einen Moment auf das Schiffsabzeichen mit dem stilisierten »SB« auf der Schulter meiner ausgebleichten schwarzen Lederjacke. »Haben Sie viel mit Aliens zu tun?«
»Ziemlich«, sagte ich. »Mein Partner ist ein Alien, falls Ihnen das weiterhilft.«
»Was soll das heißen, falls mir das weiterhilft?«
In der Mitte des Tischs erschien eine Öffnung, und mein vodkaline wurde serviert. »Falls es Ihnen bei der Entscheidungsfindung hilft«, konkretisierte ich und nahm das Glas vom Tablett. »Ob Sie mir eine Fracht anbieten sollen.«
Ein Anflug von Überraschung erschien auf seinem Gesicht, doch dann lächelte er. »Sie sind fix«, sagte er. »Das gefällt mir. Ich nehme an, dass Sie ein freier Schiffer sind?«
»Richtig.« Obwohl ich so frei gar nicht war - jedenfalls nicht mehr. Aber das war jetzt auch nicht der richtige Zeitpunkt, um es zur Sprache zu bringen. »Mein Name ist Jordan McKell. Ich bin Kapitän eines Frachters der Steinbock-Klasse namens Stormy Banks.«
»Sonderzertifikate?«
»Navigation und Direktbefehl-Steuerung«, sagte ich. »Mein Partner Ixil ist sowohl für Antriebs- als auch für mechanische Systeme zertifiziert.«
»Eigentlich brauche ich Ihren Partner gar nicht.« Er wölbte eine Augenbraue. »Und Ihr Schiff auch nicht.«
»Natürlich nicht«, sagte ich und versuchte, nicht gar zu sarkastisch zu klingen. »Was brauchen Sie dann - vielleicht einen vierten Mann für die Brücke?«
Er beugte sich über den Tisch zu mir herüber. »Ich habe bereits ein Schiff«, sagte er und dämpfte die Stimme zu einem Murmeln. »Es steht im Raumhafen, aufgetankt und beladen und startbereit. Ich brauche nur noch eine Besatzung, um das Schiff zu fliegen.«
»Interessanter Trick«, lobte ich ihn. »Ein Schiff ohne Besatzung hierherzubringen, meine ich.«
Er kniff die Lippen zusammen. »Bis gestern hatte ich auch noch eine Besatzung. Sie hat das Schiff heute Morgen verlassen, nachdem wir zum Betanken gelandet waren.«
»Und wieso?«
Er fuchtelte mit der Hand. »Persönliche Konflikte, Gruppenzwistigkeiten - solche Dinge eben. Anscheinend hatten beide Gruppen beschlossen, von Bord zu gehen, ohne zu wissen, dass die andere Seite das ebenfalls vorhatte. Aber das spielt jetzt auch keine Rolle mehr. Das Problem ist, dass ich meinen Zeitplan nicht einhalten kann, wenn ich nicht bald Hilfe bekomme.«
Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück und musterte ihn mit einem schelmischen Grinsen. »Dann sitzen Sie also hier fest. Wie überaus unangenehm für Sie. Über welche Art von Schiff sprechen wir denn?«
»Es handelt sich um die Entsprechung einer Orion-Klasse«, sagte er und wirkte dabei wie jemand, der plötzlich einen schlechten Geschmack im Mund hatte. Er stufte mich zweifellos auf seiner Skala der Wertschätzung herunter, als seine Einschätzung, wie viel Geld ich wohl aus ihm herauszuholen versuchen würde, sich umkehrte. »Es ist zwar keine Standard-Orion, aber vergleichbar in Größe und …«
»Dann brauchen Sie also mindestens sechs Besatzungsmitglieder«, sagte ich. »Jeweils drei, die für den Einsatz auf der Brücke und im Maschinenraum zertifiziert sind. Und sie müssen im Besitz aller acht Sonderzertifikate sein: Navigation, Steuerung, Elektronik, Mechanik, Computer, Antrieb, Außenhaut/Außeneinsatz und Sanitätswesen.«
»Wie ich sehe, kennen Sie den Handelskodex aus dem Effeff.«
»Gehört zu meinem Job«, sagte ich. »Wie ich bereits sagte, kann ich Navigation und Steuerung abdecken. Welche von den restlichen Qualifikationen fehlen Ihnen noch?«
Er grinste listig. »Was denn? Sie haben ein paar Freunde, die auch Arbeit brauchen?«
»Könnte sein. Also, was brauchen Sie?«
»Ich bedanke mich für das Angebot.« Er lächelte noch immer, aber die Lachfältchen hatten sich etwas tiefer eingegraben. »Ich würde es jedoch vorziehen, selbst eine Besatzung zusammenzustellen.«
Ich zuckte die Achseln. »Soll mir recht sein. Ich wollte Ihnen nur unnötige Lauferei ersparen. Und was ist mit mir? Bin ich mit im Boot?«
Er betrachtete mich noch für ein paar Sekunden. »Wenn Sie den Job wollen«, sagte er schließlich. Dabei klang er so, als ob er mit der Entscheidung nicht hundertprozentig zufrieden sei.
Daraufhin drehte ich demonstrativ den Kopf ein paar Grad nach links und schaute auf ein Trio von Patthaaunutth in grauen Gewändern, die in der Mitte der Bar saßen und hochmütig den Blick über die anderen Gäste schweifen ließen - wie selbst ernannte Gutsherrn, die über ihre Knechte wachten. »Haben Sie vielleicht geglaubt, ich hätte Ihnen nicht helfen wollen?«, fragte ich und hörte dabei den Anflug von Bitterkeit in meiner Stimme.
Er folgte meinem Blick, setzte den Krug an den Mund und nahm einen Schluck; und eher schon mit dem sechsten Sinn als aus dem Augenwinkel sah ich, wie er hinter dem Rand des Krugs leicht zusammenzuckte. »Nein«, sagte er leise. »Ich glaube nicht.«
Ich nickte wortlos. Der Talariac-Antrieb galt seit etwas mehr als fünfzehn Jahren als Referenz-Standard auf den Handelsrouten der Spirale, und in dieser kurzen Zeit hatten die Patth, die ursprünglich eine drittklassige Rasse kleiner machiavellistischer Intriganten gewesen waren, beinahe die volle Kontrolle über die Schifffahrt hier in unserer gemütlichen Ecke der Galaxis erlangt. Was natürlich auch kaum verwunderte: Da der Talariac-Antrieb viermal schneller und dreimal billiger war als alle anderen Sternen-Antriebe, musste man kein kaufmännisches Genie sein, um zu wissen, welche Schiffe vorzugsweise gechartert wurden.
Dadurch war der Rest von uns sozusagen zwischen Baum und Borke geraten. Es gab zwar immer noch eine beachtliche Anzahl kleinerer Routen und einen Transportbedarf, der noch nicht von den Patth gedeckt wurde, aber es gab einfach zu viele Nicht-Patth-Schiffe, die zu wenigen Aufträgen nachjagten, und das hatte ein verheerendes wirtschaftliches Chaos zur Folge gehabt. Ein paar der großen Transportgesellschaften kamen gerade noch so über die Runden, die meisten unabhängigen hingegen waren bereits aus dem Geschäft gedrängt worden oder sie hatten auf Intrasystem-Transporte ausweichen müssen, wo kein Stardrive benötigt wurde.
Oder sie hatten sich mit ihren Schiffen auf eine andere, weniger seriöse Geschäftstätigkeit verlegt.
Einer der Patth am Tisch drehte etwas den Kopf, und unter seiner Kapuze erhaschte ich ein Glitzern der elektronischen Implantate, die in dieses hagere, mahagonifarbene Gesicht eingelassen waren. Die Patth hatten ein gutes Geschäft am Laufen, und sie hatten auch nicht die Absicht, es zu verlieren. Patth-Sternenschiffe waren direkt mit dem jeweiligen Piloten gekoppelt; mit kleinen, aber systemrelevanten Elementen der Talariac-Schaltkreise und mit Feedback-Systemen, die in den Körper des Piloten implantiert waren und visuell dargestellt wurden. Das System war zunächst auf Bedenken gestoßen, als es in der Spirale eingeführt wurde - das Management der Transportgesellschaften hatte befürchtet, dass, falls dem Patth-Piloten unterwegs etwas zustieße, ihre wertvolle Fracht irgendwo im Nichts verloren wäre; und wenn da draußen etwas verlorenging, war es gleich ein komplettes Sternenschiff. Die Patth hatten diesen Bedenken Rechnung getragen, indem sie jedes Schiff mit einem oder zwei Copiloten besetzten. Dies hatte das Risiko eines Unfalls reduziert, ohne jedoch den Nebel der Geheimhaltung zu lüften, in den sie den Talariac-Antrieb hüllten. Ohne die in den Piloten implantierten Schaltkreise - und ohne eine ganze Palette von anderen Schutzvorrichtungen, die in die Antriebstechnik selbst integriert waren - wären die Informationen, die man einem geliehenen oder gestohlenen Patth-Schiff entlocken würde, gleich null.
Von dieser Voraussetzung ging man jedenfalls aus. Und der Umstand, dass bisher noch keine »Raubkopien« des Talariac-Antriebs auf dem Markt aufgetaucht waren, schien diese Theorie auch zu stützen.
Der Mann mir gegenüber stellte seinen Krug mit einem leicht ungeduldig klingenden Geräusch auf dem Tisch ab. Ich wandte den Blick und die Gedanken von den unter ihren Kapuzen verborgenen Patth ab und widmete mich wieder dem Geschäft: »Um welche Uhrzeit möchten Sie aufbrechen?«
»So früh wie möglich«, sagte er. »Sagen wir, morgen früh um sechs.«
Ich ließ mir das durch den Kopf gehen. Meima war eine Ihmis-Kolonialwelt, und eine der Besonderheiten der von Ihmisit betriebenen Raumhäfen war, dass Schiffer zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang keinen Zugang zum Hafen hatten. Der gesamte Raumhafen war während dieser Zeit hermetisch abgeriegelt. Experten für Alien-Psychologie erklärten dies nach herrschender Meinung mit irgendeinem wunderlichen Aberglauben der Ihmisit; für mich war es nur ein Förderprogramm für das Hotel- und Gaststättengewerbe an der Peripherie des Raumhafens. »Sonnenaufgang ist morgen aber erst um fünf Uhr dreißig«, gab ich ihm zu bedenken. »Dann hätten wir nicht mehr viel Zeit für die Startvorbereitungen.«
»Das Schiff ist bereits startklar«, erinnerte er mich.
»Wir überprüfen es trotzdem, bevor wir starten«, sagte ich ihm. »Das meine ich mit ›Startvorbereitungen‹. Was ist mit der Startfreigabe?«
»Alles schon geregelt«, sagte er und tippte auf sein Gewand. »Ich habe die Papiere dabei.«
»Zeigen Sie sie mir.«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist nicht erforderlich. Ich werde schon an Bord sein, bevor …«
»Zeigen Sie sie mir trotzdem.«
Dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, zog er für einen Moment ernsthaft in Erwägung, aufzustehen und sich einen Piloten zu suchen, der ein feineres Gespür für die Hierarchie eines Eigner-Mitarbeiter-Verhältnisses hatte. Doch dann griff er nur in die Innentasche der Jacke und zog einen dünnen Kartenstapel hervor. Vielleicht gefiel ihm mein Esprit, vielleicht hatte er auch nur keine Zeit mehr, sich jemand anderen zu suchen, der sein Schiff für ihn flog.
Ich schaute mir die Karten der Reihe nach an. Die Papiere waren auf einen modifizierten Frachter der Orion-Klasse namens Ikarus ausgestellt; er war auf der Erde zugelassen, und als Eigner war ein gewisser Alexander Borodin eingetragen. Außerdem handelte es sich um Kopien und nicht etwa um die Originalpapiere, von denen ich erwartet hätte, dass er sie bei sich trug. »Sie sind Borodin?«, fragte ich.
»Stimmt«, sagte er. »Wie Sie sehen, steht einem morgendlichen Start nichts im Wege.«
»Sieht jedenfalls so aus«, pflichtete ich ihm bei. Alle notwendigen Kontrollen waren bereits durchgeführt worden: Maschinenraum, Schubdüsen und Stardrive, Bordrechner, Zoll …
Etwas unschlüssig runzelte ich die Stirn. »Was hat denn dieser ›versiegelte Frachtraum‹ zu bedeuten?«
»Genau das, was es besagt«, beschied er mich. »Der Frachtraum befindet sich im Heck des Schiffs und wurde auf Gamm versiegelt, um jeglichen Zugang und alle Kontrollen zu unterbinden. Hier ist die Lizenz der Hafenmeisterei von Gamm.«
»Dann kommen Sie also von Gamm, richtig?«, merkte ich an und sah die Lizenz auf der nächsten Karte. »Ein ruhiger kleiner Ort.«
»Ja. Wenn auch etwas primitiv.«
»Allerdings«, pflichtete ich ihm bei und stapelte die Karten wieder aufeinander. Dann warf ich noch einmal einen Blick auf die oberste Karte, prägte mir die Start-und Freigabecodes ein, die der Ikarus zugewiesen waren, und reichte sie ihm über den Tisch zurück. »In Ordnung, Sie haben einen Kapitän. Wie sieht’s mit einem Vorschuss aus?«
»Tausend commark«, sagte er. »Zahlbar, wenn Sie morgen beim Schiff eintreffen. Noch einmal zweitausend, sobald wir die Erde erreichen. Mehr kann ich nicht zahlen«, fügte er mit dem Unterton einer Entschuldigung hinzu.
Also insgesamt dreitausend für einen Auftrag, für dessen Durchführung ich wahrscheinlich fünf oder sechs Wochen veranschlagen müsste. Mit einer solchen Vergütung würde ich bestimmt nicht reich werden, aber ich würde wohl auch nicht verhungern. Vorausgesetzt natürlich, er würde auch den Brennstoff und die Liegegebühren bezahlen. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, Nachverhandlungen zu führen, aber der Ausdruck auf seinem Gesicht sagte mir, dass es nur Zeitverschwendung wäre. »Na schön«, sagte ich. »Haben Sie auch einen Ausweis für mich?«
»Hier«, sagte er und griff wieder in die Jackentasche. Dabei nahm sein Gesicht kurz einen erstaunten Ausdruck an, weil ich wider Erwarten nicht versucht hatte, noch mehr Geld aus ihm herauszuholen. Für einen Moment fragte ich mich, in welche Richtung dieser Vorgang seine Meinung von mir wohl revidiert hatte, doch dann brach ich diese Überlegungen ab, denn sie waren müßig und unerheblich.
Seine tastende Hand fand schließlich, wonach sie gesucht hatte, und brachte eine Plastikkarte im Format drei mal sieben Zentimeter zum Vorschein, die mit bunten Punkten besetzt war. Auch so eine Marotte der Ihmisit - womit sie diesmal die fehlende Bereitschaft zum Ausdruck brachten, die über zweihundert Landefeld-Quadranten auf ihrem Raumhafen durchzunummerieren oder anderweitig zu differenzieren. Die einzige Möglichkeit, ein bestimmtes Schiff zu finden - oder ein bestimmtes Servicecenter oder Zollamt oder Vorratslager -, bestand darin, eine dieser kleinen Karten mitzuführen. Wenn man sie dann in den transparenten ID-Schlitz eines Landejackenkragens schob, wurde der Punktcode auf der Karte von den Sensoren an den Knotenpunkten ausgelesen, worauf eine Art Platzbefeuerung dem ortsunkundigen Reisenden den rechten Weg wies. Dadurch geriet die Reise manchmal zu einer ziemlich langwierigen Angelegenheit, aber die Ihmisit fanden eben Gefallen daran, und es bereitete im Grunde auch keine allzu großen Umstände. Wobei ich immer schon vermutet hatte, dass der Schwippschwager von irgendjemandem die Konzession zur Herstellung dieser Karten besaß. »Haben Sie sonst noch Fragen?«
Ich schaute ihn mit einer nach oben gezogenen Augenbraue an und schob die Karte in den Kragenschlitz vor diejenige, die darauf programmiert war, mich zur Stormy Banks zurückzuführen. »Wieso? Haben Sie es denn eilig?«
»Ja, ich habe heute Abend noch das eine oder andere zu erledigen«, sagte er, stellte den Krug ab und stand auf. »Guten Abend, Captain McKell. Ich sehe Sie morgen früh.«
»Ich werde da sein«, sagte ich und nickte.
Er erwiderte das Nicken und ging. Bahnte sich einen Weg durch das Labyrinth aus Tischen, schob sich an ein paar Gästen vorbei und verschwand schließlich durch die Tür. Ich nahm noch einen Schluck vodkaline, zählte bis zwanzig und brach dann auch auf.
Ich wollte nicht den Eindruck erwecken, als ob ich in Eile wäre, und so brauchte ich vielleicht eine halbe Minute länger als er, um die Taverne zu durchqueren. Aber das war kein Problem. Auf den Straßen wimmelte es zwar von Raumfahrern, aber die Straßenbeleuchtung war ziemlich gut, und mit diesem weißen Haar müsste er leicht auszumachen und zu verfolgen sein. Ich stieß die Tür auf und trat in die kühle Nachtluft hinaus.
Die Yavanni hatte ich schon ganz vergessen. Leider hatten sie mich nicht vergessen.
Sie warteten am Ende des Eingangs, halb hinter einem der dekorativen gläsernen Windabweiser verborgen, die zu beiden Seiten der Tür einen Meter von der Wand wegführten. Die exakte Identifizierung eines fremdrassigen Individuums ist immer eine heikle Angelegenheit, doch offensichtlich beherrschte diese Bande die Technik. Als ich aus dem Schutz der Windabweiser heraustrat, bewegten sie sich zielstrebig auf mich zu; der »Frontmann« war deutlich nach vorn gebeugt.
Ich musste irgendetwas tun, und ich musste es schnell tun. Sie verzichteten nun auf ihr früheres Spiel, erst ein Territorium zu markieren - das war daraus zu ersehen, dass sie als ein Pulk gegen mich vorrückten. Ich hatte sie vor der ganzen Taverne blamiert; und was sie nun zweifellos im Sinn hatten, war eine knallharte Demonstration, dass ich damit einen großen Fehler begangen hatte. Ich zog in Erwägung, die Waffe aus der Jacke zu ziehen, wurde mir aber sofort bewusst, dass das Selbstmord gewesen wäre; dann spielte ich mit dem Gedanken, mich wieder in die Taverne zurückzuziehen, und wurde mir schmerzlich bewusst, dass ich damit nichts erreichen würde - außer die Auseinandersetzung noch hinauszuzögern.
Also hatte ich nur noch eine Option: Ich straffte mich innerlich, machte einen schnellen Schritt zurück hinter den Windabweiser, drehte mich um neunzig Grad nach links und trat mit voller Kraft mit dem rechten Fuß nach hinten aus.
Die meisten Windabweiser - so auch die hier - bestanden aus extrem widerstandsfähigem Kunststoff. Doch die Vyssiluyas bevorzugten Glas - und zwar hochvergütetes Glas. Da drei wütende Yavanni es auf mich abgesehen hatten, war ich verständlicherweise nicht in der Stimmung für halbe Sachen, und die Wucht des Fußtritts schien sich direkt über das Rückgrat in den Kopf zu übertragen. Aber ich erzielte immerhin das gewünschte Resultat: Das Glaspaneel flog heraus und zersplitterte in hundert Scherben, die sich in der Landschaft verteilten.
Ich erlangte das Gleichgewicht zurück und machte einen Satz durch den nun fast leeren Rahmen. Ein großer Keil aus gezacktem Glas, das noch immer locker an der Seite des Rahmens hing, schabte an der Jacke, als ich hindurchsprang. Ich packte das Glas - wobei ich darauf achtete, mir nicht die Finger an den Kanten aufzuschneiden - und riss es heraus. Dann schwang ich das provisorische Messer und holte gegen die Yavanni aus.
Der vordere Yavanni blieb wie angewurzelt stehen und erzeugte kurz eine leicht komödiantische Verwirrung, als die anderen zwei mit ihm zusammenstießen. Trotz ihrer Masse und Aggressivität können Yavanni kein Blut sehen, und die Vorstellung, in ein Messer oder ein messerartiges Instrument zu laufen, wird auch den Hartgesottensten zur Besinnung bringen. Aber nur für einen Moment. Wie bei den meisten unangenehmen Dingen ist die Angst davor oft schlimmer als das eigentliche Erlebnis, und sobald ihre Matschbirnen sich daran erinnerten, würden sie alle über mich herfallen.
Ich würde jedoch selbstredend nicht mehr hier sein, wenn diese Erkenntnis einsetzte. Wo der Windabweiser verschwunden war und die Yavanni auf einem Fleck beisammenstanden, hatte ich nun einen freien Fluchtweg im Rücken. Ich schleuderte den Glassplitter gegen den vorderen Yavanni, drehte mich um und gab Fersengeld. Kam aber nur ein paar Schritte weit, bis sie ein verwirrtes Geheul ausstießen und mir nachsetzten. Und sie würden mich irgendwann auch erwischen - auf einer langen Geraden war ein menschlicher Läufer den Yavanni nämlich unterlegen. Aber in den ersten paar Sekunden, in denen sie die ganze Körpermasse erst einmal in Bewegung setzen mussten, war ich im Vorteil. Jetzt musste ich nur noch einen Weg finden, diesen Vorteil auch umzusetzen.
Mir war klar, dass es Zeitverschwendung gewesen wäre, einen Blick über die Schulter zu werfen; aber ich hörte am Klang ihrer Schritte, dass ich noch einen ziemlich großen Vorsprung hatte, als ich die Ecke der Taverne erreichte und in die schmale Gasse einbog, die sie vom angrenzenden Gebäude trennte. Leider war die Gasse leer und enthielt nicht das, was ich zu finden gehofft hatte. Die Yavanni kamen um die Ecke, und ich senkte den Kopf und versuchte den letzten Rest von Geschwindigkeit aus den Beinen herauszuholen. Ich wusste, dass sie mich wahrscheinlich einholen würden, bevor ich das Gebäude noch vollständig umrundet hatte. Wenn das, wonach ich suchte, nicht an der Rückseite war, würde ich eine ziemlich schmerzhafte Erfahrung machen.
Mit Karacho umrundete ich die nächste Ecke, wobei die Yavanni mir schon ziemlich dicht auf den Fersen waren. Und da war es! Genauso, wie ich es vorzufinden gehofft hatte: ein Stapel einen halben Meter langer Holzscheite für den großen Kamin der Taverne, die ordentlich an der Wand aufgestapelt waren und fast bis zur Dachkante hinaufreichten. Ohne langsamer zu werden, erklomm ich den Stapel.
Fast hätte ich es nicht geschafft. Die Yavanni waren nun direkt hinter mir und viel zu schnell, um sofort stehen zu bleiben. Sie knallten mit ihren Quadratlatschen gegen das Holz wie Bowlingkugeln, die auf die Pins trafen. Der ganze Stapel geriet unter mir ins Rutschen, und wenn ich auch nur einen Sekundenbruchteil langsamer gewesen wäre, wäre ich abgerutscht! Der Versuch, die Dachtraufe zu erreichen, wäre aber trotzdem beinahe misslungen: Das Holzscheit, von dem ich abgesprungen war, wackelte unter meinen Füßen und raubte mir einen Teil des schwer verdienten Schwungs. Doch ich schaffte es gerade noch und fand Halt. In der nächsten Sekunde hatte ich mich über die Kante aufs Dach hinaufgezogen.
Keine Sekunde zu früh! Ich schwang gerade die Beine über die Kante, als eins der Holzscheite an der Dachtraufe vorbeischoss und im Nachthimmel verschwand. Meine Spielkameraden da unten erwiesen sich als schlechte Verlierer. Ich wusste nicht, ob Yavanni eine solche Sprungkraft besaßen, um auch ohne Hilfe des Holzstapels, den sie soeben abgebaut hatten, aufs Dach zu gelangen; und ich war auch nicht sonderlich erpicht, es auf die harte Tour herauszufinden. Den Kopf nach unten - es gab noch viel mehr Holz, wo das erste Stück hergekommen war -, nahm ich die Beine in die Hand und lief übers Dach.
Alle Gebäude in diesem Abschnitt der Raumhafen-Peripherie hatten ungefähr die gleiche Höhe und wurden nur durch diese schmalen Gassen getrennt. Mit etwas Schwung, leichtem Rückenwind und vom Bild der mich jagenden zornigen Yavanni vorm geistigen Auge stimuliert, gelang es mir, die Lücke zum nächsten Dach zu überwinden. Ich kam einen halben Meter oberhalb der Dachtraufe auf. Dann überquerte ich dieses Dach, machte einen kürzeren Sprung zum angrenzenden Gebäude und lief weiter. Unterwegs gelang es mir, die Jacke auszuziehen und sie auf links zu drehen, wobei ich das schwarze Leder gegen ein schreiend buntes Paisley-Muster tauschte, das ich eigens für solche Fälle ausgewählt hatte. Ich visierte ein Gebäude an, aus dessen Schornstein Rauch quoll, suchte seinen Holzstapel und machte mich an den Abstieg.
Die Yavanni waren nirgends zu sehen, als ich wieder die Hauptstraße betrat und mich unter die Gruppen flanierender Raumfahrer, Einheimischer, Koberer und Taschendiebe mischte.
Leider war auch der weißhaarige Mann nirgends zu sehen, dem ich eigentlich hatte folgen wollen.
Ich streifte noch für eine Stunde durch die Gegend, schaute in ein paar anderen Tavernen und Kneipen vorbei, in der Annahme, dass mein neuer Arbeitgeber vielleicht noch immer auf der Suche nach Besatzungsmitgliedern war. Aber ich sah ihn nirgends, zumal die Peripherie des Raumhafens auch viel zu groß war für eine Einmann-Suche. Außerdem schmerzte mein Bein durch den Tritt gegen den Windabweiser, und ich musste am Raumhafen sein, wenn er um fünf Uhr dreißig öffnete.
Die Vyssiluyas betreiben einen passablen automatischen Taxiservice in ihrem Teil der Peripherie, aber diese tausend commark, die man mir versprochen hatte, waren erst fällig, wenn ich mich in der Ikarus meldete; und der muskelbepackte Manager des etwas heruntergekommenen Hotels, in dem Ixil und ich logierten, wäre sehr unglücklich, wenn wir am Morgen nicht über das notwendige Kapital verfügten, um die Rechnung zu zahlen. Also kam ich zu dem Schluss, dass zwei Auseinandersetzungen mit großen Aliens innerhalb von zwölf Stunden genug seien, und ging zu Fuß zurück.
Die Schmerzen im Bein strahlten bis in den Kopf aus, als ich schließlich die letzte der vier Treppenfluchten erklommen hatte und den Schlüssel in den Schlitz neben der Tür steckte. Mit Visionen von einem weichen Bett, sanft pulsierenden vyssiluyanischen Entspannungslampen und einem Glas Scotch, die im Takt der Schmerzen hinter der Stirn einen Reigen vollführten, stieß ich die Tür auf und trat ein.
Das weiche Bett und der Scotch waren noch immer im Bereich des Möglichen. Aber die Lichter anscheinend nicht. Der Raum war stockfinster.
Die restliche Distanz in den Raum hinein bewältigte ich mit einem Hechtsprung, bei dem ich mit dem Gesicht auf dem Boden aufkam. Dabei riss ich meine Plasmapistole aus dem versteckten Holster unter der linken Achselhöhle. Ixil hätte eigentlich hier warten sollen; und ein dunkler Raum konnte nur bedeuten, dass jemand ihn ausgeschaltet hatte und nun auf der Lauer nach mir lag.
»Jordan?«, ertönte eine ruhige und sehr vertraute Kalixiri-Stimme im Raum. »Bist du das?«
Ich spürte, wie der Adrenalinschub sich in peinliche Verlegenheit verwandelte und durch das schmerzende Bein abfloss, wobei der Schmerz noch einmal verstärkt wurde. »Ich dachte mir schon, dass du noch auf bist«, sagte ich sarkastisch und widerstand dem Drang, mich in der blumigen Sprache zu artikulieren, die mir vor so vielen Jahren einen Platz auf dem Stuhl des Angeklagten vor dem Kriegsgericht eingebracht hatte.
»Ich bin noch auf«, sagte er. »Komm her und schau dir das einmal an.«
Mit einem entsagungsvollen Seufzer sicherte ich die Plasmapistole und schob die Waffe wieder ins Holster. Bei Ixil konnte der Gegenstand des Interesses alles Mögliche sein - von einem entfernten Sternennebel, den er hinter dem Lichtermeer der Stadt ausgemacht hatte, bis hin zu einer interessanten, im Dunklen leuchtenden Spinne, die gerade übers Fenster krabbelte. »Bin gleich da«, grunzte ich. Ich stand schwerfällig auf, schloss die Tür mit einem Fußtritt und ging an der halben Wand entlang in den eigentlichen Wohnraum.
Für die meisten Leute wären Ixil und sein Ilk wohl ein ebensolcher visueller Alptraum gewesen wie die charmanten Yavanni-Burschen, die ich vor der Taverne zurückgelassen hatte. Er war ein typischer Kalix: grobschlächtig, breitschultrig und mit einem Gesicht, das schon mehr als einmal wenig schmeichelhaft mit dem eines zerknautschten Leguans verglichen worden war.
Und wo seine Silhouette sich nun gegen das Fenster abzeichnete, stellte ich fest, dass dieser spezielle Kalix definitiv asymmetrisch war. Eine dieser breiten Schultern - die rechte - schien sich aufzuwölben wie bei Hulk Hogan, während die andere viel flacher war. »Dir fehlt jemand«, bemerkte ich und tippte ihm auf die flache Schulter.
»Ich habe Pix aufs Dach hinaufgeschickt«, erwiderte Ixil mit dieser kultivierten Kalixiri-Stimme, die so gar nicht zum unansehnlichen Äußeren der Spezies passte. So gehörte es auch zu den letzten schlichten Vergnügen meines Lebens, die Reaktionen der Leute zu beobachten, die ihm zum ersten Mal leibhaftig begegneten, nachdem sie bisher nur über die Nur-Ton-Sternverbindung mit ihm gesprochen hatten.
»So, hast du«, sagte ich, ging um ihn herum und trat an seine rechte Seite. Dabei zuckte der Knubbel auf der Schulter und wölbte sich, und eine mit Schnurrhaaren besetzte Nase stocherte kurz in meinem Ohr herum. Manche dieser Reaktionen waren einfach unbeschreiblich.
Der Kalixiri-Name für diese Kreaturen war für den menschlichen Stimmapparat unaussprechlich, so dass ich sie einfach als Frettchen bezeichnete - denen die schlanken, pelzigen Wesen auch irgendwie ähnelten, obwohl sie kaum größer waren als Laborratten. In grauer Vorzeit hatten sie den Kalixiri-Jägern als Späher gedient; sie waren ihnen vorausgelaufen, um Beute zu erspähen, und waren dann mit diesen Informationen zu ihren Herren zurückgekehrt.
Was sie indes von Hunden oder grockners oder hundert anderen ähnlichen Jagdgefährten unterschied, war die einzigartige symbiontische Beziehung zwischen ihnen und ihren Kalixiri-Herren. Wenn Pax auf Ixils Schultern saß, grub er seine Klauen in die zähe Außenhaut, wodurch Pax’ Nervensystem direkt mit Ixils gekoppelt wurde. Ixil konnte ihm dann eine mentale Anweisung erteilen, die direkt in Pax’ Gehirn mit seiner beschränkten Kapazität heruntergeladen wurde; und wenn er dann zurückkehrte und sich ihm wieder anschloss, verlief der Download in die umgekehrte Richtung, so dass Ixil alles zu sehen, zu hören und zu riechen vermochte, was das Frettchen während der Zeit ihrer Trennung erlebt hatte.
Kalixiri-Jäger profitierten offensichtlich von diesem Arrangement. Für Ixil, einen Sternenschiff-Mechaniker, waren die Frettchen von unschätzbarem Wert für die Arbeit mit Kabeln und Röhren und für alle anderen Aktivitäten in engen Räumen und schmalen Schächten. Ich hatte mir schon oft gesagt, wenn mehr von seinen Leuten Interesse für mechanische und elektronische Arbeiten im Weltraum gezeigt hätten, dann hätten die Kalixiri diese Sparte vielleicht auch schon übernommen - so wie die Patth das Transportgewerbe dominierten.
»Und was erwartest du Interessantes auf dem Dach zu finden?«, fragte ich, kitzelte Pax noch einmal und fragte mich zum x-ten Mal, ob Ixil das gleiche Kribbeln auch über ihre neurale Verbindung verspürte. Er hatte noch nie eine diesbezügliche Bemerkung gemacht, aber vielleicht war das auch einfach nur typisch für Ixil.
»Nicht auf dem Dach.« Ixil hob einen kräftigen Arm. »Weiter weg. Dort drüben.«
Mit gerunzelter Stirn schaute ich auf die Stelle, die er bezeichnet hatte. In der Ferne, hinter den Gebäuden der Raumhafen-Peripherie und der eindrucksvolleren Stadt dahinter, wurden die Schleierwolken des Nachthimmels von einem sanften Glühen angestrahlt. Ich sah, wie drei Antriebsfeuer von diesem Abschnitt aufstiegen und dann horizontal in unterschiedlichen Richtungen verschwanden. »Interessant«, sagte ich und verfolgte einen der Funken. Es war in Anbetracht unsrer Entfernung und der räumlichen Perspektive schwer zu sagen, aber das Raumschiff schien erstaunlich langsam zu fliegen und obendrein noch einen Zickzack-Kurs zu beschreiben.
»Ich habe es vor vierzig Minuten bemerkt«, sagte Ixil. »Zuerst glaubte ich, es handele sich um den Widerschein einer neuen Siedlung, die ich bisher schlicht übersehen hatte. Als ich dann aber auf die Karte schaute, stellte ich fest, dass es in dieser Richtung nichts gibt außer einer Hügelkette und dem Niemandsland, das wir bei unserer Ankunft überflogen haben.«
»Ob es dort vielleicht brennt?«, fragte ich zweifelnd.
»Unwahrscheinlich«, meinte Ixil. »Das Glühen ist nur hellrot, und ich habe auch keinerlei Anzeichen von Rauch entdeckt. Ich frage mich aber, ob es sich vielleicht um eine Such- und Rettungsmission handelt.«
Am Fensterrahmen ertönte ein leises schabendes Geräusch, und mit einem leisen Niesen erschien Pix auf dem Fensterbrett. Ein Sprung auf Ixils Arm, eine huschende Bewegung - während er die Klauen als Steighilfe nutzte -, und er hatte sich wieder an seinen Platz auf Ixils Schulter gekuschelt.
Es ertönte ein leises kratzendes Geräusch wie von einem Fingernagel auf Leder, bei dem ich immer zusammenzuckte, und für einen Moment stand Ixil reglos da und verarbeitete die Erinnerungen, die er gerade aus dem kleinen Gehirn des Frettchens importierte. »Interessant«, sagte er. »Der Parallaxe nach zu urteilen scheint es doch wesentlich weiter draußen zu sein, als ich zunächst geglaubt hatte. Weit jenseits der Hügel, vielleicht zehn Kilometer draußen in der Wildnis.«
Was bedeutete, dass das Glühen auch viel heller war, als ich vermutet hatte. Aber was hatte jemand da draußen mitten im Niemandsland verloren?
Ich verspürte Beklemmung in der Brust, und der Schmerz im Bein war plötzlich vergessen. »Du weißt nicht zufällig«, fragte ich bemüht beiläufig, »wo genau diese archäologische Grabung stattfindet, die vom Cameron-Konzern finanziert wird, oder?«
»Irgendwo da draußen in dieser Wildnis«, antwortete Ixil. »Den genauen Ort kenne ich aber nicht.«
»Ich schon«, sagte ich. »Ich gehe jede Wette mit dir ein, dass er sich exakt in der Mitte dieses Glühens befindet.«
»Und was veranlasst dich zu dieser Annahme?«
»Dass Arno Cameron persönlich heute Abend in der Stadt war. Er hat mir einen Job angeboten.«
Ixil schaute mich mit seinem zerknautschten LeguanGesicht an. »Du beliebst zu scherzen.«
»Mitnichten«, versicherte ich ihm. »Er ist unter einem lächerlichen Tarnnamen aufgetreten - unter keinem geringeren als Alexander Borodin -, und er hatte sich das schwarze Haar schneeweiß färben lassen, wodurch er gut zwanzig Jahre älter gewirkt hat. Aber er war es trotzdem.« Ich tippte auf meinen Jackenkragen. »Er möchte, dass ich ihn morgen früh in einem Schiff namens Ikarus von hier wegbringe.«
»Und was hast du ihm gesagt?«
»Bei dreitausend commark für den Flug? Ich habe natürlich ›Ja‹ gesagt.«
Pix nieste wieder. »Das ist jetzt aber eine dumme Situation«, sagte Ixil. Und dann fügte er hinzu, was als die Untertreibung der Woche durchgehen konnte: »Bruder John wird nicht erfreut sein.«
»Scherzkeks«, sagte ich verdrießlich. »Wann war Bruder John denn zum letzten Mal über irgendetwas erfreut, das wir getan haben?«
»Diese Fälle sind selten«, räumte Ixil ein. »Trotzdem bezweifle ich, dass wir ihn schon einmal richtig wütend erlebt haben.«
Leider hatte er damit Recht. Johnston Scotto Ryland - der »Bruder« ehrenhalber war reiner Sarkasmus von unserer Seite - war der ach so großzügige Wohltäter, der Ixil und mich vor drei Jahren vor dem schon kreisenden Pleitegeier gerettet hatte, indem er die Stormy Banks zu seiner Privatsammlung von Schmuggelschiffen hinzugefügt hatte. Waffen, Körperteile, illegale Drogen, gestohlene Kunst, gestohlene Elektronik und jede nur vorstellbare eklige Variante von Happy Glibber hatten wir wahrscheinlich schon befördert. Und nun sollten wir schon wieder einen Auftrag für ihn übernehmen, bei dem eine neue illegale kleine Fracht im Laderaum der Stormy Banks verstaut war.
Ja, Ixil hatte einfach Recht, verdammt! Bruder John hätte sich wohl nicht zu seiner gehobenen Position unter dem übelsten Schmugglergesindel der Spirale durchgeboxt, wenn er immer nur freundlich gelächelt und spontane einseitige Entscheidungen seiner Untergebenen mit einem Achselzucken quittiert hätte.
»Ich kläre das schon mit ihm«, versprach ich Ixil, obwohl ich mir im Moment noch nicht vorzustellen vermochte, wie ich das überhaupt bewerkstelligen sollte. »Es geht schließlich um drei Riesen. Wie hätte ich die ablehnen und gleichzeitig die Fassade aufrechterhalten sollen, dass wir verarmte freie Schiffer seien?«
Ixil reagierte nicht, aber die Frettchen auf seinen Schultern zuckten gleichzeitig. Manchmal war diese neurale Zwei-Wege-Verbindung wirklich praktisch - wenn man wusste, worauf man zu achten hatte. »Zumal es keinen Grund gibt, weshalb Bruder John wegen dieser Sache die Contenance verlieren müsste«, fuhr ich fort. »Du kannst die Stormy Banks allein den restlichen Weg nach Xathru fliegen. Dann kriegt er seinen Happy Glibber und die Waffen, und alle sind glücklich und zufrieden. Ich werde morgen einen Blick auf Camerons Flugroute werfen und dir dann eine Nachricht zukommen lassen, an welchem Ort auf Xathru du am besten zu uns stößt.«
»Die Vorschriften erfordern aber mindestens zwei Besatzungsmitglieder für ein Schiff der Steinbock-Klasse«, erinnerte er mich.
»Na schön«, sagte ich lakonisch. Es war schon spät, Beine und Kopf schmerzten, und ich war auch nicht in der Stimmung, mir die Litanei des Handelscodes anzuhören. Und schon gar nicht von demjenigen, der mich letztlich in diese missliche Lage gebracht hatte. »Da hätten wir einmal dich, und dann wären da noch Pix und Pax. Das macht drei. Die Einzelheiten kannst du morgen mit der Hafenmeisterei abklären.«
Sprach’s, stapfte aus dem Wohnbereich - wobei ich darauf achtete, nur mit dem guten Bein aufzustampfen - und ging ins Badezimmer, das zugleich als Ankleideraum diente. Als ich bettgehfertig war und wieder zu Ixil zurückkehrte, hatte ich mich schon wieder etwas beruhigt. »Gibt’s was Neues?«, fragte ich ihn.
Er schaute noch immer aus dem Fenster, und die beiden Frettchen hockten auf seinen Schultern und folgten seinem Blick. »Es scheinen sich noch mehr Fluggeräte am Ort des Geschehens eingefunden zu haben«, sagte er. »Irgendetwas da draußen hat definitiv irgendjemandes Aufmerksamkeit erregt.«
»Aber ganz gewaltig«, pflichtete ich ihm bei, warf noch einen letzten Blick aus dem Fenster und ging zum Bett hinüber. »Ich frage mich, was Camerons Leute da draußen wohl ausgegraben haben.«
»Und wer sich dafür interessieren könnte«, fügte Ixil hinzu und wandte sich dann ebenfalls, wenn auch zögernd, vom Fenster ab. »Es wäre gut möglich, Jordan, dass unsere Überlegungen zu Bruder Johns Fracht sich schon erübrigt haben. Wenn du nachher zur Ikarus kommst, hat vielleicht schon jemand anders die Hand drauf.«
»Keine Chance«, sagte ich und zog das schmerzende Bein vorsichtig unter die Decken.
»Und wieso nicht?«
Ich legte mich auf ein klumpiges Kissen. Ein anderes klumpiges Kissen auf einem anderen lumpigen Raumhafen in einem Leben, das immer bescheidener zu werden schien. »Weil«, sagte ich mit einem Seufzer, »ich nicht annähernd so viel Glück haben werde.«
2
In der Richtung, wo die Sonne aufging, war der Himmel mit leuchtenden rosigen und gelben Tupfern übersät, als ich am nächsten Morgen um fünf Uhr dreißig auf dem Raumhafen eintraf. Eine große Menge von Raumfahrern, Menschen und Aliens gleichermaßen, drängte sich bereits vor den Toren; die meisten von ihnen konnten es kaum erwarten, zu ihren Schiffen zu gelangen und die nächste Etappe ihrer Reise anzutreten. Ein paar ganz Ungeduldige gaben die üblichen verächtlichen Kommentare über die Sitten und Gebräuche der Ihmisit ab; und die Torwächter der Ihmisit, die an den Gattern standen, ignorierten sie wie immer.
Natürlich befanden sich keine Patth in der wartenden Gruppe. In den letzten Jahren hatte es in den Raumhäfen etliche Vorfälle gegeben, die die Diplomaten beschönigend als »unerfreuliche Vorkommnisse« bezeichneten und aufgrund derer die meisten Hafenmeistereien den Patth-Schiffen ihre eigenen Flugsteige, Serviceeinrichtungen und Wartezonen zugewiesen hatten. Die Hafenmeistereien hassen es, sich mit dem Papierkram nach Körperverletzungen und Mordfällen herumzuschlagen, und Planetenregierungen sind noch weniger daran interessiert, den Sanktionen unterworfen zu werden, die die Patth regelmäßig wegen irgendwelcher Affronts gegen ihre Leute verhängen - ob diese nun real oder eingebildet waren.
Was die drei Patth, die ich gestern Abend in der Taverne unters gemeine Volk sich mischen gesehen hatte, bei näherer Überlegung zu einer Anomalie machte. Entweder waren sie jung und ungestüm gewesen, oder sie waren schon alt und hatten auf den Schutz der Obrigkeit vertraut - oder sie hatten einfach nur Durst gehabt. Streiflichtartig fragte ich mich, ob sie auf ihrem Heimweg wohl einen Unfall erlitten hatten.
Um fünf Uhr einunddreißig stieg der Rand der Sonne über den Horizont; und im selben Moment wurden die Tore geöffnet und schwangen auf. Ich schloss mich dem Strom der Individuen an, der durch die Tore strömte und überprüfte dabei noch einmal den Kragen, um mich zu vergewissern, dass der Chip, den Cameron mir gegeben hatte, auch noch an seinem Platz war. Cameron selbst hatte ich in der Menge nicht ausgemacht. Das bedeutete entweder, dass er an einem anderen Flugsteig wartete oder dass, wer auch immer letzte Nacht seine archäologische Grabungsstätte abgesucht hatte, ihn schon aufgesammelt hatte. Wie dem auch sei, ich hatte noch immer vor, die Ikarus aufzusuchen; und wenn auch nur aus dem Grund, um zu sehen, welche Spezies die Leitung über das Schiff hatte.
Eine schwere, aromatische Hand legte sich auf meine Schulter. »Captain Jordan McKell?«
Ich drehte mich um. Zwei Ihmis-Wächter hatten ihren Posten verlassen und standen hinter mir - eindrucksvoll und einschüchternd unter ihren Zeremonienhelmen. »Ich bin McKell«, bestätigte ich zurückhaltend.
»Kommen Sie bitte mit uns«, sagte der Ihmisit, dessen Hand noch immer auf meiner Schulter lag. »Hafenmeister Aymi-Mastr möchte sich gerne mit Ihnen unterhalten.«
»Sicher«, sagte ich betont beiläufig und mit pochendem Herzen, als sie eine Geste zur Seite machten und wir uns dann einen Weg durch den Strom der Fußgänger zum Gebäude der Hafenmeisterei von Meima bahnten, das sich nur zwanzig Meter entfernt gleich hinterm Zaun befand. Unsere Papiere waren in Ordnung, unsere Fracht verzollt, unsere Gebühren bezahlt. Ob irgendjemand schließlich doch eine von Bruder Johns Ladungen zur Stormy Banks zurückverfolgt hatte? Wenn ja, würden wir jetzt in schwere Erklärungsnot geraten.
Ich war noch nie zuvor in dieser Hafenmeisterei gewesen, aber ich hatte schon genug Zeit in Ihmis-Hotels und Tavernen zugebracht, um eine ziemlich gute Vorstellung davon zu haben, was mich erwartete. Und ich lag damit auch ziemlich richtig. Die dezente Beleuchtung, die heimelige Einrichtung und die lächelnden Gesichter waren wesentliche Stilelemente der Ihmis und dienten allein dem Zweck, dass die Besucher sich wohl fühlten.
Dem Vernehmen nach wurde diese freundliche Fassade so lange aufrechterhalten, bis sie einen plötzlich auf die Folterbank schnallten und die Daumenschrauben anzogen.
»Ach - Captain McKell«, rief eine tiefe Stimme, als ich durch den belebten Hauptraum zu einem großen und unaufgeräumten Schreibtisch in der Ecke geführt wurde. Hafenmeister Aymi-Mastr war ein typischer Vertreter der Spezies, mit froschartigen Glubschaugen, vier kurzen, insektenartigen Fühlern, die über diese Augen hervorragten und mit Rippenwülsten an den Seiten von Gesicht und Hals. Es war natürlich ein Weibchen; bei den Ihmisit verfügten im Allgemeinen nur die Weibchen über die erforderlichen organisatorischen Fähigkeiten, um einen solchen Zoo zu managen. »Schön, dass Sie vorbeischauen. Bitte setzen Sie sich.«
»Es ist mir ein Vergnügen, Direktorin«, sagte ich und setzte mich auf den Stuhl an der Seite des Schreibtischs. Dabei sah ich geflissentlich darüber hinweg, dass ich in dieser Angelegenheit ohnehin keine Wahl hatte. Einer der anderen Ihmisit stellte meine Tasche auf den Schreibtisch und durchwühlte sie; ich wollte mich schon darüber beschweren, ließ es dann aber bleiben. »Worum geht es denn eigentlich?«
»Um der Wahrheit die Ehre zu geben, Captain, ich bin mir darüber selbst nicht ganz im Klaren«, sagte sie, nahm ein Foto von einem Aktenstapel und gab es mir. »Ich habe von meinen Vorgesetzten die Anweisung erhalten, Sie wegen dieser Person zu befragen.«
Es war ein Bild von Arno Cameron.
»Das ist ein Mensch«, sagte ich hilfsbereit. Dann ging es ihnen also doch nicht um Bruder Johns Fracht. Nur dass ich in diesem Moment noch nicht wusste, ob das gut oder schlecht war. »Davon abgesehen glaube ich nicht, dass ich ihn jemals schon gesehen habe.«
»Wirklich«, sagte Aymi-Mastr und senkte die Tonhöhe ihrer Stimme melodramatisch ab. Dann lehnte sie sich auf dem Stuhl zurück und legte die Finger aufeinander - wie der melodramatische Ton eine nervige Angewohnheit, die viele Ihmisit von alten irdischen Kinofilmen aufgeschnappt hatten, die sie bis zum Exzess konsumierten. »Das ist sehr interessant. Vor allem deswegen, weil wir vor nicht einmal einer Viertelstunde von einem Zeugen gehört haben, dass Sie letzte Nacht in einer vyssiluyanischen Taverne mit ihm gesprochen hätten.«
Eine ganze Familie Kalixiri-Frettchen mit eiskalten Füßen lief mir plötzlich den Rücken rauf und runter. »Ich stelle die Integrität Ihres Zeugen nur ungern in Frage«, sagte ich gleichmütig und warf das Foto wieder auf den Schreibtisch. »Aber er irrt sich.«
Die Froschaugen verengten sich. »Der Zeuge hat aber ausdrücklich Ihren Namen genannt.«
»Dann war Ihr Zeuge entweder betrunken oder ein Trittbrettfahrer«, sagte ich und stand auf. Die Taverne war sehr gut besucht gewesen, und nach meinem großen Auftritt gegen die drei Yavanni würden sich mindestens ein Dutzend Personen an mich erinnern, von denen sich mindestens die Hälfte wohl auch an meine Unterhaltung mit Cameron erinnern würde. Ich musste bluffen, um mir einen Ausweg zu verschaffen, und zwar schnell, bevor sie noch tiefer bohrten.
»Setzen Sie sich wieder hin, Captain«, sagte Aymi-Mastr streng. »Wollen Sie mir etwa erzählen, dass Sie letzte Nacht nicht ausgegangen seien?«
»Natürlich bin ich ausgegangen«, sagte ich mit einem Anflug gespielter Empörung in der Stimme und setzte mich widerwillig wieder hin. »Sie glauben doch nicht, dass jemand länger als unbedingt nötig in einem dieser Wanzenkäfige von vyssiluyanischen Hotels zubringt, oder?«
Sie bedachte mich mit der Ihmis-Entsprechung eines schelmischen Grinsens, wodurch ihr Gesicht erst recht wie das eines Froschs anmutete. »Das hat etwas für sich«, räumte sie ein. »Haben Sie auch eine Taverne besucht?«
Ich zuckte die Achseln. »Natürlich habe ich in ein paar Tavernen vorbeigeschaut. Was sollte ein Raumfahrer auch sonst hier tun? Aber ich habe mit niemandem gesprochen.«
Sie seufzte theatralisch. »Das sagen Sie. Und genau das ist das Problem.« Sie nahm eine Akte und öffnete sie. »Ihr Wort gegen das eines nicht identifizierten und unbekannten Informanten. Wem sollen wir nun glauben?«
»Einen Moment - Sie wissen nicht einmal, wer das überhaupt ist?«, fragte ich unwirsch und spürte, wie der Schweiß sich unter meinem Kragen sammelte. In der Schrift der Ihmis war ich zwar nicht besonders bewandert, aber ich hatte immerhin gelernt, wie mein Name in den meisten wichtigen Schriften der Spirale geschrieben wurde. Das war meine Akte der Commonwealth-Handelskammer, die sie in den Händen hielt; und nichts von dem, was darin geschrieben stand, würde mich auch nur ansatzweise glaubwürdig erscheinen lassen. »Was für ein mieses Spiel ist das hier überhaupt?«
»Genau das versuchen wir herauszufinden«, sagte Aymi-Mastr, schaute mit gerunzelter Stirn auf die Akte und dann zu mir auf. »Dieses Foto wird Ihnen aber nicht gerecht. Wann wurde es denn gemacht?«
»Vor etwa sieben Jahren«, erklärte ich ihr. »Zu der Zeit, als ich meine Tätigkeit als freier Transportunternehmer begann.«
»Nein, das wird Ihnen gar nicht gerecht«, wiederholte sie und musterte mich gründlich. »Sie sollten sich ein aktuelles Foto besorgen.«
»Das werde ich«, versprach ich ihr; obwohl ich mir nichts vorzustellen vermochte, was im Moment noch weiter unten auf meiner Prioritätenliste gestanden hätte. Jemandem auf Bruder Johns Gehaltsliste gereichte es eher zum Vorteil, wenn man anders aussah als auf den amtlichen Lichtbildern. »Ich habe seitdem viel erlebt.«
»Das haben Sie wirklich«, pflichtete sie mir bei und blätterte die Akte durch. »Ehrlich gesagt, Captain, Ihre Akte spricht nicht dafür, dass wir Ihnen in dieser Sache Glauben schenken. Oder dass wir Ihnen überhaupt Glauben schenken.«
»Es besteht keine Veranlassung, beleidigend zu werden«, knurrte ich. »Zumal das alles schon lange her ist.«
»Fünf Jahre bei der Reserve der Erdwacht«, fuhr Aymi-Mastr fort. »Anscheinend eine ziemlich viel versprechende Karriere, mit der es in den letzten Jahren jedoch steil bergab ging. Sie wurden vor ein Kriegsgericht gestellt und wegen grober Insubordination unehrenhaft entlassen.«
»Er war ein Idiot«, murmelte ich. »Das wussten alle. Aber ich war der Einzige, der den Mumm hatte, es ihm auch ins Gesicht zu sagen.«
»Wie ich sehe, haben Sie dabei kein Blatt vor den Mund genommen«, sagte Aymi-Mastr und blätterte zur nächsten Seite. »Auch wenn ich nur einen Bruchteil dieser irdischen Wörter kenne, ist es doch eine beeindruckende Liste.« Sie blätterte zwei Seiten weiter - zweifellos die Höhepunkte der Kriegsgerichtsverhandlung - und hielt wieder inne. »Darauf folgte eine vierjährige Dienstzeit bei der irdischen Zollbehörde. Auch hier endete eine potenzielle Karriere wieder mit einer plötzlichen Entlassung. Diesmal wegen Bestechlichkeit.«
»Man hatte mir eine Falle gestellt«, wandte ich ein. Doch klang die Rechtfertigung selbst für meine eigenen Ohren nur halbherzig.
»Solche Ausreden klingen von Mal zu Mal lahmer«, sagte Aymi-Mastr. »Wie ich sehe, sind Sie damals gerade noch um eine Freiheitsstrafe herumgekommen. Aus dem Zusatz hier geht hervor, dass die Zollbehörde nur deshalb auf ein formelles Verfahren verzichtet hat, weil sie sich die Peinlichkeit Ihres Auftritts ersparen wollte.«
»Das war ihre Ausrede«, sagte ich. »Allerdings kam ihnen das auch gelegen, weil sie mich dadurch der Möglichkeit beraubten, mich zu rehabilitieren.«
»Dann verbrachten Sie noch ein halbes Jahr bei der kleinen Spedition ›Gebrüder Rolvaag‹«, fuhr sie fort und blätterte weitere Seiten um. »Und diesmal sind Sie wirklich handgreiflich geworden. Gegenüber dem jüngeren Mr. Rolvaag, wie ich sehe …«
»Sehen Sie, ich brauche keine vollständigen Quartals-Biografien«, unterbrach ich sie schroff. »Ich war schließlich selbst dort, falls Sie sich erinnern. Wenn Sie auf etwas Bestimmtes hinauswollen, kommen Sie endlich zum Punkt.«
Der Ihmisit, der stumm meine Tasche durchsucht hatte, schloss sie wieder und richtete sich auf. Er wechselte ein paar Worte mit Aymi-Mastr und verschwand; die Tasche ließ er zurück. Das wunderte mich nicht - denn sie enthielt nichts, woraus man mir einen Strick zu drehen vermocht hätte. Ich hoffte, dass Aymi-Mastr nicht allzu enttäuscht war. »Der Punkt ist der, dass Sie kaum das Prädikat eines aufrechten, gesetzestreuen Bürgers verdienen«, sagte Aymi-Mastr und richtete die Aufmerksamkeit wieder auf mich. »Nicht, dass ich Sie in ein bestimmtes Raster pressen möchte, aber Sie sind durchaus der Typ, der Beihilfe zu einem Mord leisten könnte.«
Das Wort fiel so unerwartet, dass ich eine Weile brauchte, um die Fassung wiederzuerlangen. Mord? »Mord?«, fragte ich langsam. »Dieser Mann hat jemanden getötet?«
»So steht es im Bericht«, sagte Aymi-Mastr und musterte mich gründlich. »Fällt es Ihnen denn so schwer, das zu glauben?«
»Offen gesagt, ja«, sagte ich und täuschte Verwirrung vor. Allzu schwer fiel mir dieses Täuschungsmanöver aber nicht. »Er macht auf diesem Bild doch einen so seriösen Eindruck. Was ist überhaupt geschehen? Wen hat er denn getötet?«
Titel der amerikanischen Originalausgabe
THE ICARUS HUNT
Deutsche Übersetzung von Martin Gilbert
Deutsche Erstausgabe 11/2010
Redaktion: Werner Bauer
Copyright © 1999 by Timothy Zahn Copyright © 2010 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels
eISBN 978-3-641-04634-7
www.heyne-magische-bestseller.de
Leseprobe

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