Inhaltsverzeichnis
DAS BUCH
DER AUTOR
TEIL EINS – Die Verbannung
Kapitel 1 – Rekrut: 2403
Kapitel 2 – Krieger: 2406
Interludium
Kapitel 3 – Veteran: 2407
Interludium
Kapitel 4 – Loyalist: 2414
Kapitel 5 – Politiker: 2421
Kapitel 6 – Staatsmann: 2432
TEIL ZWEI – Siedler der fünf Welten
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
TEIL DREI – Planet der Abtrünnigen
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Kapitel 80
Kapitel 81
Kapitel 82
Kapitel 83
Kapitel 84
Kapitel 85
Copyright
DAS BUCH
Das Universum im 25. Jahrhundert: Der Menschheit ist endlich der Sprung ins All und der Aufbau extraterrestrischer Kolonien gelungen. Als man auf die außerirdische Zivilisation der Troft aufmerksam wird, ist es allerdings schon zu spät. Die Aliens zerstören die Kolonialplaneten der Menschen, so dass diesen nichts anderes übrigbleibt, als sich auf die Erde zurückzuziehen. Doch kampflos wollen sie der feindlichen Übermacht ihren Heimatplaneten nicht überlassen und stützen sich auf die letzte Hoffnung, die ihnen noch bleibt: die Erschaffung genetisch veränderter Elitesoldaten – den Cobras. Jonny Moreau ist einer von ihnen, und schon bald muss er erfahren, was es bedeutet, zu dieser Einheit zu gehören – und dass nicht alle Cobras das Wohl der Menschheit im Sinne haben …
Endlose Weiten und abenteuerliche Schlachten – endlich liegt die epische Space-Trilogie des Bestsellerautors Timothy Zahn in einem Band vor.
DER AUTOR
Timothy Zahn, 1951 in Chicago geboren, studierte Physik an der University of Illinois und veröffentlichte 1978 seine erste Science-Fiction-Geschichte. Seither hat er zahllose erfolgreiche Romane geschrieben, unter anderem für die STAR-WARS-Serie. Er lebt mit seiner Familie in Oregon.
TEIL EINS
Die Verbannung
1
Rekrut: 2403
Den ganzen Vormittag über hatten sie jene kämpferische Musik gebracht, die den Äther schon seit Wochen beherrschte, doch wer genau hinhörte, vernahm einen unerbittlichen Unterton, wie ihn die Musik seit den allerersten Anfängen der Invasion der Aliens nicht mehr gehabt hatte. Als die Musik dann plötzlich abbrach und die Lightshow-Muster auf der Bildwand vom Gesicht des Top-Nachrichtenmannes auf Horizon ersetzt wurden, schaltete Jonny Moreau sein Laserschweißgerät aus, beugte sich mit einem unguten Gefühl im Bauch vor und hörte zu.
Die Nachricht war so kurz und schlecht, wie Jonny befürchtet hatte. »Das Vereinte Militärische Oberkommando des Imperiums auf Asgard gibt bekannt, dass Invasionsstreitkräfte der Trofts vor vier Tagen Adirondack besetzt haben.« Über der rechten Schulter des Reporters erschien ein Kartenholo, auf dem siebzig weiße Flecke das Imperium der Menschen darstellten, links begrenzt von den rötlichen Farben des Troft-Imperiums, oben und rechts von den grünlichen der Minthisti. Zwei der weißen Flecken am äußersten linken Rand blinkten jetzt rot. »Berichten zufolge bauen die Truppen der StarForce des Imperiums ihre neuen Stellungen in der Nähe von Palm und Iberiand aus. Man erwartet, dass die bereits auf Adirondack gelandeten Bodentruppen die Guerilla-Aktivitäten gegen die Einheiten der Besatzer fortsetzen werden. Einen ausführlichen Bericht mit offiziellen Stellungnahmen des Zentralen Komitees und des Militärischen Oberkommandos können Sie in unserer Nachrichtensendung um sechs sehen.«
Musik und Lichtmuster setzten wieder ein, und als Jonny sich langsam aufrichtete, legte sich ihm eine Hand auf die Schulter. »Sie haben Adirondack, Dad«, sagte Jonny, ohne sich umzudrehen.
»Hab schon gehört«, meinte Pearce Moreau leise.
»Gerade mal drei Wochen haben sie dafür gebraucht.« Jonny zerdrückte fast den Laser, den er immer noch in der Hand hielt. »Drei Wochen.«
»Man kann den Verlauf eines Krieges nicht nach den ersten Gefechten hochrechnen«, sagte Pearce und nahm seinem Sohn den Laser aus der Hand. »Die Trofts werden noch lernen, dass es beträchtlich komplizierter ist, eine Welt zu beherrschen, als sie bloß einzunehmen. Und vergiss nicht, wir wurden schließlich überrascht. Sobald die StarForce ihre Reserven mobilisiert hat und sich im vollen Kriegszustand befindet, werden die Trofts schon sehen, dass man uns nicht so leicht zurückdrängen kann. Vielleicht verlieren wir noch Palm oder Iberiand, aber ich denke, dann ist Schluss.«
Jonny schüttelte den Kopf. Es hatte etwas Unwirkliches, über die Gefangennahme von Milliarden Menschen zu sprechen, als handelte es sich lediglich um Bauern in einem kosmischen Schachspiel. »Und was dann?«, fragte er mit mehr Bitterkeit in der Stimme, als sein Vater verdient hatte. »Wie werden wir die Trofts auf unseren Welten wieder los, ohne die Hälfte der dortigen Bevölkerung umzubringen? Was, wenn sie bei ihrem Abzug auf die Idee kommen, einen ›Verbrannte-Erde-Rückzug‹ zu veranstalten? Angenomm…«
»He, he«, unterbrach ihn Pearce, stellte sich vor ihn und sah ihm in die Augen. »Deine Aufregung entbehrt jeder Grundlage. Der Krieg dauert mal kaum drei Monate, und das Imperium ist längst noch nicht in Schwierigkeiten. Also vergiss das Ganze und mach dich wieder an die Arbeit, einverstanden? Die Motorhaube muss fertig sein, bevor du nach Hause gehst und deine Schularbeiten machst.« Er hielt ihm den Laserschweißer hin.
»Ja.« Jonny nahm das Werkzeug mit einem Seufzer entgegen und schob seine Schutzbrille wieder über die Augen. Er beugte sich über die halbfertige Schweißnaht und versuchte, die Invasion aus seinen Gedanken zu verbannen … und wenn sein Vater nicht noch eine letzte, abschließende Bemerkung gemacht hätte, wäre ihm das vielleicht sogar gelungen.
»Davon abgesehen«, meinte Pearce, bereits wieder auf dem Weg zurück zu seiner Werkbank, »was auch immer geschieht: Im ganzen Universum gibt es nichts, wogegen wir von hier aus etwas unternehmen könnten.«
Beim Abendessen an jenem Abend war Jonny sehr still, im Haus der Moreaus jedoch genügte eine mehr oder weniger schweigsame Person nicht, um den Lärmpegel entscheidend zu verringern. Wie üblich dominierte die siebenjährige Gwen die Unterhaltung, wechselte von Neuigkeiten aus der Schule und von Freunden zu Fragen über alle möglichen Themen hin und her, angefangen damit, wie die Wetterleute Tornados eindämmten, bis hin zu der Frage, wie Metzger die Rückenzacken aus dem Höckerbraten eines Breaff herausbekamen. Jame, fünf Jahre jünger als Jonny, steuerte das Allerneueste über Teenagerintrigen an der Highschool bei – ein Labyrinth aus Standesdünkeln und unausgesprochenen Regeln, mit dem Jame vertrauter war als Jonny zu seiner Zeit. Pearce und Irena dirigierten den gesamten verbalen Zirkus mit dem Geschick langer Übung, beantworteten Gwens Fragen mit elterlicher Langmut und achteten im Übrigen darauf, dass es zu möglichst wenig Reibereien kam. Sei es aus stillschweigender Übereinkunft oder mangelndem Interesse – den Krieg erwähnte niemand.
Jonny wartete, bis der Tisch abgeräumt wurde, bevor er, um Beiläufigkeit bemüht, seine Bitte äußerte. »Dad, könnte ich mir vielleicht heute Abend deinen Wagen borgen, um nach Horizon City zu fahren?«
»Was, heute Abend findet doch nicht etwa schon wieder ein Spiel statt, oder?«, fragte sein Vater stirnrunzelnd.
»Nein«, sagte Jonny. »Ich wollte mir da ein paar Sachen ansehen, das ist alles.«
»Sachen?«
Jonny spürte, wie sein Gesicht heiß wurde. Er wollte nicht lügen, wusste aber, dass alles andere als eine vollkommen wahrheitsgemäße Antwort automatisch ein großes Familienpalaver zur Folge hätte, und auf eine Auseinandersetzung war er noch nicht vorbereitet. »Ja. Einfach … ein paar Dinge, die ich mir mal ansehen will.«
»Wie zum Beispiel das Rekrutierungsbüro des Militärkommandos?«, erkundigte sich Pearce ruhig.
Das Hintergrundgeklapper von Tellern, die herumgetragen und aufgestapelt wurden, brach unvermittelt ab, und in der Stille hörte Jonny, wie seine Mutter zischend Atem holte. »Jonny?«, fragte sie.
Er seufzte und wappnete sich für die Diskussion, die jetzt unausweichlich war. »Ich hätte mich nicht freiwillig gemeldet, ohne vorher mit euch allen zu reden«, beteuerte er. »Ich wollte mir bloß ein paar Informationen besorgen – über den Ablauf, die Anforderungen und so weiter.«
»Jonny, der Krieg ist sehr weit weg«, setzte Irena an.
»Ich weiß, Mum«, stimmte Jonny ihr zu. »Aber dort draußen sterben Menschen!«
»Umso mehr ein Grund, hierzubleiben.«
»Nicht nur Soldaten, auch Zivilisten«, insistierte er hartnäckig. »Ich denke einfach – na ja, Dad meinte heute, ich könnte nichts tun, um zu helfen.« Er richtete seine Aufmerksamkeit auf Pearce. »Vielleicht wirklich nicht, aber vielleicht sollte ich mich von solchen Allgemeinplätzen nicht so schnell entmutigen lassen.«
Ein Lächeln zuckte kurz über Pearces Lippen, ohne sich auf den Rest seines Gesichts auszubreiten. »Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, als sich der Kern deiner Argumente noch mit ›weil ich es sage, basta‹ zusammenfassen ließ.«
»Muss am College liegen«, murmelte Jame von der Küchentür her. »Soweit ich weiß, bringen sie ihm zwischen den Diskussionsstunden auch bei, wie man Computer repariert.«
Jonny, den der offenkundige Ablenkungsversuch nervte, warf seinem Bruder einen verärgerten Blick zu. Irena jedoch hatte nicht vor, sich ablenken zu lassen. »Wo wir gerade dabei sind, was ist mit dem College?«, fragte sie. »Du hast noch ein Jahr vor dir, bevor du deinen Abschluss machst. So lange willst du doch wenigstens bleiben, oder?«
Jonny schüttelte den Kopf. »Ich wüsste nicht, wie ich das schaffen soll. Ein ganzes Jahr – sieh dir doch an, was die Trofts in nur drei Monaten angerichtet haben.«
»Aber deine Ausbildung ist wichtiger al…«
»Na gut, Jonny«, schnitt Pearce seiner Frau ruhig das Wort ab. »Wenn du unbedingt willst, fahr nach Horizon City und sprich mit den Leuten vom Rekrutierungsbüro.«
»Pearce!« Irena sah ihn fassungslos an.
Pearce schüttelte ernst den Kopf. »Wir dürfen ihm nicht im Weg stehen«, erklärte er ihr. »Er hat sich doch schon so gut wie entschieden. Er ist jetzt erwachsen, also hat er das Recht auf seine eigenen Entscheidungen und muss die Verantwortung für sie übernehmen.« Pearce richtete seinen Blick auf Jonny. »Geh zu den Werbern, aber versprich mir, dass du noch einmal mit uns sprichst, bevor du deine endgültige Entscheidung triffst. Abgemacht?«
»Abgemacht.« Jonny nickte und spürte dabei, wie seine innere Anspannung nachließ. Sich freiwillig für einen Kriegseinsatz zu melden war eine Sache: Es machte einem Angst, aber auf eine distanzierte und fast abstrakte Weise. Den Kampf um die Unterstützung seiner Familie hatte er sich viel schwieriger vorgestellt, und der Sieg war möglicherweise mit einem Preis verbunden, über den er nicht nachdenken wollte. »Ich bin in ein paar Stunden zurück«, sagte er und ging eilig zur Tür.
Das Anwerbungsbüro des Vereinten Militärischen Oberkommandos befand sich seit über drei Jahrzehnten im selben Gebäude der Stadtverwaltung, und als Jonny sich ihm näherte, kam ihm der Gedanke, dass er vermutlich den gleichen Weg einschlug wie sein Vater bei seinem eigenen Diensteintritt vor mittlerweile achtundzwanzig Jahren. Damals waren die Minthisti der Feind gewesen, und Pearce Moreau hatte vom Torpedodeck eines Schlachtschiffs der StarForce aus gekämpft.
Dieser Krieg jedoch war anders. Zwar hatte Jonny immer schon den Zauber der StarForce bewundert, sich aber bereits für eine weniger prächtige – vielleicht aber effektivere – Stellung entschieden.
»Die Armee, ja?«, wiederholte die Werberin, zog eine Braue hoch und musterte Jonny von hinter ihrem Schreibtisch. »Verzeihen Sie meine Verwunderung, aber für die Armee meldet sich nur selten jemand freiwillig. Die meisten Jungs in Ihrem Alter wollen lieber mit der StarForce oder den Kampfflugzeugen herumfliegen. Dürfte ich vielleicht nach dem Grund fragen?«
Jonny nickte und versuchte, sich nicht von der leicht herablassenden Art der Werberin beeindrucken zu lassen.
Durchaus möglich, dass dies zum Vorstellungsgespräch gehörte und darauf abzielte, einen ersten Annäherungswert an die Reizschwelle des Bewerbers zu erhalten. »Meiner Ansicht nach verlieren wir weitere Planeten an die Trofts, wenn sie die StarForce mit ihrem Vorstoß weiter zurückdrängen. Wodurch die Zivilisten dort ihnen ziemlich ausgeliefert wären … es sei denn, die Armee hat Guerillaeinheiten vor Ort, die den Widerstand organisieren. Das ist die Art von Aufgabe, die ich mir vorstelle.«
Die Anwerberin nickte nachdenklich. »Sie möchten also Guerillakämpfer werden?«
»Ich möchte den Menschen helfen«, verbesserte Jonny sie.
»Hm.« Sie wandte sich ihrem Terminal zu, tippte Jonnys Namen und ID-Code ein und zog erneut eine Braue hoch, als sie die angezeigten Informationen überflog. »Beeindruckend«, sagte sie, ohne dass Jonny eine Spur von Sarkasmus herausgehört hätte. »Hochrangige Schul- und Collegeausbildung, Persönlichkeitsindex … Wären Sie an einer Offizierslaufbahn interessiert?«
Jonny zuckte mit den Achseln. »Nicht unbedingt, wenn ich so aber am meisten bewirken kann, warum nicht. Es macht mir aber nichts aus, ein einfacher Soldat zu sein, wenn Sie das meinen.«
Sie betrachtete einen Augenblick lang sein Gesicht. »Aha. Ich werde Ihnen was sagen, Moreau.« Sie tippte mit den Fingern auf irgendwelche Tasten und drehte die Bildwand so, dass er sie sehen konnte. »Meiner Kenntnis nach existieren zurzeit noch keine genauen Pläne für die Bildung eines Guerillanetzes auf den bedrohten Planeten. Wenn das jedoch geschehen sollte – es handelt sich zugegebenermaßen um einen sinnvollen Zug -, dann werden vermutlich eine oder mehrere dieser Spezialeinheiten die Angriffsspitze bilden.«
Jonny betrachtete die Liste. Alpha Kommando, Interrorum, Marines, Rangers – bekannte, angesehene Einheiten. »Wie kann ich mich für eine davon verpflichten?«
»Gar nicht. Sie treten in die Armee ein und absolvieren einen Haufen Tests – und wenn Sie dann die Eigenschaften aufweisen, die dort gefragt sind, ergeht eine Einladung an Sie.«
»Und wenn nicht, bleibe ich in der Armee?«
»Ja. Vorausgesetzt, Sie verpatzen die Grundausbildung nicht.«
Jonny blickte sich im Raum um. Die bunten holografischen Poster mit ihren Sternenschiffen, den Atmosphärejägern, Raketenpanzern, den grünen, blauen und schwarzen Uniformen sprangen ihm geradezu entgegen. »Vielen Dank für Ihre Mühe«, sagte er und spielte mit der Info-MagCard, die man ihm gegeben hatte. »Ich bin zurück, sobald ich mich entschieden habe.«
Er hatte erwartet, dass das Haus bei seiner Rückkehr dunkel wäre, doch seine Eltern und Jame warteten schweigend im Wohnzimmer auf ihn. Die Diskussion dauerte bis tief in die Nacht, und als sie zu Ende war, hatte Jonny sowohl sich selbst als auch seine Leute von dem überzeugt, was er tun musste.
Am nächsten Abend nach dem Essen fuhren alle gemeinsam nach Horizon City und sahen zu, wie Jonny die erforderlichen Formulare unterschrieb.
»Morgen ist also der große Tag.«
Jonny blickte kurz vom Packen auf und sah seinem Bruder in die Augen. Jame lümmelte auf seinem Bett und schaffte es, halbwegs gelassen zu wirken. Doch sein ruheloses Herumspielen mit dem Zipfel einer Decke verriet, wie angespannt er innerlich war. »So ist es.« Jonny nickte. »Hafen von Horizon City, Skylark Linie 407 bis Aerie, Militärtransporter nach Asgard. Gibt doch nichts Besseres als Reisen, wenn man das Universum kennenlernen will.«
Jame lächelte schwach. »Eines Tages werde ich hoffentlich auch mal bis nach New Persius kommen. Ganze hundertzwanzig Kilometer weit. Schon irgendwas von den Tests gehört?«
»Nur dass meine Kopfschmerzen angeblich in ein paar Stunden verschwinden sollen.« Die letzten drei Tage waren glatter Mord, ein Test nach dem anderen von morgens sieben bis abends um neun. Allgemeinwissen, militärische und politische Kenntnisse, Psychotest, Einstellung, körperliche Fitness, biochemischer Test – einfach alles. »Es hieß, normalerweise würden diese Tests über einen Zeitraum von zwei Wochen abgehalten«, fügte er hinzu – eine Information, die man ihm erst mitgeteilt hatte, als alles vorbei war. Zum Glück wahrscheinlich. »Ich glaube, die Armee hat es eilig, neue Rekruten auszubilden und einzusetzen.«
»Aha. Und … hast du dich schon verabschiedet und so? Ist alles klar hier?«
Jonny warf ein weiteres Paar Socken in seinen Koffer und setzte sich neben ihn aufs Bett. »Jame, ich bin zu müde und hab keine Lust, um den heißen Brei herumzureden. Was hast du auf der Seele?«
Jame seufzte. »Na ja, um ganz offen zu sein … Alyse Carne ist ein bisschen sauer, weil du diese Sache nicht mit ihr besprochen hast, sondern einfach losgezogen bist und es getan hast.«
Jonny runzelte die Stirn und durchforschte sein Gedächtnis. Ja, er hatte Alyse seit Beginn der Tests nicht mehr gesehen, aber als sie das letzte Mal zusammen gewesen waren, schien alles in Ordnung gewesen zu sein. »Also, wenn es stimmt, dann hat sie mir nichts davon gesagt. Wer hat dir das erzählt?«
»Mona Biehl«, antwortete Jame. »Und natürlich hätte Alyse es dir nicht ins Gesicht gesagt – jetzt ist es zu spät, du kannst nichts mehr ändern.«
»Und warum erzählst du es mir dann?«
»Weil ich finde, du solltest dir ein bisschen Mühe geben und sie heute Abend besuchen. Und ihr zeigen, dass du sie noch magst, bevor du losziehst, um die Menschheit zu retten.«
Irgendetwas in der Stimme seines Bruders ließ Jonny aufmerken. Die beabsichtigte Erwiderung blieb ihm in der Kehle stecken. »Du findest das nicht richtig, was ich tue, hab ich Recht?«, fragte er leise.
Jame schüttelte den Kopf. »Nein, das stimmt nicht. Ich habe bloß Angst, du gehst in diese Sache rein, ohne zu wissen, worauf du dich einlässt.«
»Ich bin einundzwanzig, Jame!«
»Und hast dein ganzes Leben in einer mittelgroßen Stadt auf einer Welt im Siedlungsgrenzgebiet gelebt. Sieh den Tatsachen ins Gesicht, Jonny – hier kommst du gut zurecht, aber jetzt willst du es gleich mit drei Unbekannten gleichzeitig aufnehmen: mit der Gesellschaft im Zentrum des Imperiums, der Armee und dem Krieg. Das sind drei ziemlich mächtige Gegner.«
Jonny seufzte. Hätte ihm das jemand anderes gesagt, wäre es ein Grund gewesen, heftig zu widersprechen, doch Jame besaß eine Menschenkenntnis, auf die Jonny schon lange vertraute. »Die einzige Alternative dazu, sich diesen Unbekannten zu stellen, wäre, den Rest des Lebens hier in diesem Zimmer hocken zu bleiben«, wandte er ein.
»Ich weiß – und ich habe auch keine guten Ratschläge für dich.« Jame fuchtelte hilflos mit den Händen. »Wahrscheinlich wollte ich mich bloß vergewissern, dass du mit offenen Augen von hier fortgehst.«
»Ja, danke.« Jonny ließ den Blick langsam durch das Zimmer wandern und sah Dinge, die er schon seit Jahren nicht mehr bemerkt hatte. Jetzt, fast eine Woche nach seinem Entschluss, dämmerte ihm allmählich, dass er all das hier verließ.
Möglicherweise für immer.
»Du meinst also, Alyse will mich sehen, ja?«, fragte er und blickte Jame wieder an.
Sein Bruder nickte. »Sie würde sich bestimmt besser fühlen, klar. Außerdem …« Er zögerte. »Es klingt vielleicht blöd, aber ich glaube, je mehr dich hier mit Cedar Lake verbindet, desto leichter wird es dir da draußen fallen, dich an deine moralischen Grundsätze zu halten.«
Jonny schnaubte. »Du meinst, draußen in den dekadenten weiten Welten? Komm schon, Jame, du glaubst doch nicht im Ernst, dass Weltoffenheit Verdorbenheit zur Folge hat?«
»Natürlich nicht. Aber unter Garantie wird irgendjemand dich überzeugen wollen, dass man ein gewisses Maß an Verdorbenheit braucht, um weltoffen zu sein.«
Jonny winkte ab, zum Zeichen, dass er sich geschlagen gab. »Also gut, das war’s. Ich hab dich schon einmal gewarnt: Wenn du mit klugen Sprüchen anfängst, steige ich aus der Diskussion aus.« Im Aufstehen griff er sich einen Arm voll Hemden aus der Kommode und ließ sie neben seinen Koffer fallen. »Hier – mach dich zur Abwechslung mal nützlich, ja? Pack die Hemden und meine MP3s für mich ein, wenn du nichts dagegen hast.«
»Klar.« Jame stand auf und lächelte Jonny schief an. »Lass dir Zeit. Auf dem Weg nach Asgard wirst du noch reichlich Gelegenheit haben, Schlaf nachzuholen.«
Jonny schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf. »Was ich an diesem Ort hier ganz bestimmt nicht vermissen werde, ist der persönliche Berater in allen Lebenslagen, der mit mir unter einem Dach wohnt.«
Das stimmte natürlich nicht … und das wussten beide.
Der Abschied am Flughafen von Horizon City am darauffolgenden Morgen war so schmerzlich, wie Jonny es erwartet hatte, und daher empfand er fast so etwas wie bittersüße Erleichterung, als er die Stadt unter dem Boden-Orbit-Shuttle wegsinken sah, das ihn zu dem wartenden Linienschiff brachte. Nie zuvor hatte er vor einer so langen Trennung von der Familie, den Freunden und seinem Zuhause gestanden, und als der blaue Himmel draußen vor dem Sichtfenster allmählich dunkler und dann schwarz wurde, fragte er sich, ob Jame Recht damit gehabt hatte, dass zu viele Schocks zu dicht aufeinanderfolgten. Trotzdem … in gewisser Weise schien es einfacher, alles in seinem Leben auf einmal zu verändern, als viele kleine Einzelstücke zusammenzupappen. Das alte Gleichnis vom neuen Wein in alten Schläuchen kam ihm kurz in den Sinn, dessen Quintessenz, wie er sich erinnerte, darin bestand, dass ein zu festgefahrener Mensch unmöglich etwas akzeptieren konnte, was außerhalb seiner früheren Erfahrung lag.
Über ihm tauchten jetzt die ersten Sterne auf, und Jonny musste lächeln, als er sie sah. Auf Horizon hatte er ein angenehmes Leben geführt, aber mit seinen einundzwanzig Jahren hatte er nicht die Absicht, seine Bande zu fest zu knüpfen. Zum ersten Mal seit seinem Eintritt ins Militär überkam ihn ein Gefühl der Heiterkeit. Jame, der zu Hause festsaß, mochte Jonnys bevorstehende Erfahrungen als unangenehme Schockerlebnisse sehen … Jonny dagegen wollte sie als großes Abenteuer betrachten.
Und nachdem sich diese Haltung fest in seine Vorstellungen eingegraben hatte, widmete er seine ganze Aufmerksamkeit dem Aussichtsfenster und konnte es kaum abwarten, den ersten Blick auf ein richtiges interstellares Raumschiff zu werfen.
Skylark 407 war ein kommerzielles Linienschiff. Der größte Teil der dreihundert Passagiere bestand aus Geschäftsreisenden und Touristen. Eine Handvoll jedoch waren frische Rekruten wie Jonny, und als das Schiff während der nächsten Tage in Rajput, Zimbwe und Blue Haven haltmachte, nahm deren Zahl rapide zu. Als sie schließlich Aerie erreichten, wurde ein volles Drittel der Passagiere in den riesigen Militärtransporter hinübergeschafft, der dort im Orbit stand. Jonnys Gruppe war offenbar der letzte Schub, der eintraf, und sie waren kaum an Bord, als das Schiff in den Hyperraum hinüberwechselte. Irgendjemand hatte es offenbar eilig.
Für Jonny waren die nächsten fünf Tage eine Zeit unbeholfener – und nicht völlig erfolgreicher – kultureller Angleichung. Eingepfercht in die Gemeinschaftsräume, mit noch weniger Privatleben als auf dem Linienschiff, zeigten die Rekruten eine verstörend große Vielfalt an Einstellungen, Gewohnheiten und Akzenten, und sich mit all dem vertraut zu machen wurde schwieriger, als Jonny erwartet hatte. Viele der anderen empfanden das offenbar ebenso, und einen Tag nach ihrer Ankunft bemerkte Jonny, dass seine vormaligen Schiffskameraden dem Beispiel derer folgten, die vor ihnen eingetroffen waren, und sich zu kleinen, vergleichsweise homogenen Gruppen zusammenfanden. Jonny unternahm ein paar halbherzige Versuche, die gesellschaftlichen Unterschiede zu überbrücken, gab es aber schließlich auf und verbrachte den Rest der Reise mit anderen aus dem Kontingent von Horizon. Das Imperium der Menschen war kulturell längst nicht so einheitlich, wie er immer geglaubt hatte, und er musste sich schließlich mit der berechtigten Erwartung trösten, dass die Armee sicher längst wusste, wie diese Barrieren zu überbrücken waren. Mit dem Eintreffen in den Ausbildungslagern würde sich das alles ändern, das wusste er, und sie alle wären dann schlicht Soldaten.
In gewisser Weise hatte er damit Recht … auf andere Weise jedoch sollte er sich gewaltig irren.
Das Foyer für die Registration war ein Raum, so groß wie die Konzerthalle in Horizon City, und er war fast buchstäblich mit Menschen vollgepackt. Am anderen Ende, hinter der Linie, wo Sergeanten an Computerterminals saßen, verwandelte sich die träge fließende Menge unvermittelt in einen reißenden Strom, dort, wo die Rekruten zu den ihnen zugeteilten Orientierungstreffen eilten. Jonny ließ sich treiben, blind gegen den Strom, der zu beiden Seiten an ihm vorbeistrich, und betrachtete seine eigene Karte stirnrunzelnd und mit einem Gefühl der Überraschung, das rasch in Enttäuschung umschlug.
JONNY MOREAU
HORIZON: HN-89927-238-2825p
ZUGEWIESENER RAUM: AA-315 FREYR COMPLEX
EINHEIT: COBRAS
VORBESPRECHUNG: C-662 FREYR COMPLEX
15:30 h
Cobras. Während des Transports hatte man eine große Auswahl militärischen Informationsmaterials einsehen können, und Jonny hatte mehrere Stunden damit zugebracht, so viel wie möglich über die Spezialeinheiten der Armee zu lesen. Nirgendwo war eine mit dem Namen Cobra auch nur erwähnt worden.
Cobras. Welches Aufgabengebiet mochte eine Einheit haben, die man nach einer Giftschlange von der Erde benannt hatte? Dekontaminationsprozeduren vielleicht, oder vielleicht irgendetwas, das mit Tretminen zu tun hatte? Was auch immer es war, seine hochgeschraubten Erwartungen der letzten Wochen würden sich nicht erfüllen.
Jemand rammte ihn von hinten und schlug ihm fast die Karte aus der Hand. »Geh mir, zum Phrij nochmal, aus dem Weg«, fauchte ihn ein hagerer Kerl an und drängte sich an ihm vorbei. Weder Fluch noch Akzent waren Jonny vertraut. »Wenn du Infoschleifen drehen willst, dann, zum Phrij nochmal, nicht hier!«
»Entschuldigung«, murmelte Jonny, als der Mann im Menschenstrom untertauchte. Er biss die Zähne aufeinander, beschleunigte seinen Schritt und blickte hoch zu den leuchtenden Wegweisern, die die Wände säumten. Was immer diese Cobra-Einheit war, vermutlich tat er gut daran, sich zu beeilen und den Raum zu finden, in dem das Treffen abgehalten wurde. Die Ortszeituhren zeigten bereits 15:12 an, und wahrscheinlich fand kein Offizier der Armee Gefallen an Unpünktlichkeit.
Raum C-662 war ein erster Hinweis darauf, dass er vielleicht voreilig falsche Schlüsse gezogen hatte. Anstelle des Auditoriums von Bataillonsgröße, das er erwartet hatte, bot der Raum kaum ausreichend Platz für die gut vierzig Männer, die dort saßen. Zwei Männer in rot-schwarz rautierten Uniformjacken standen der Gruppe auf einem niedrigen Podest gegenüber, und als sich Jonny auf einen der unbesetzten Stühle setzte, machte der Jüngere der beiden Jonny auf sich aufmerksam. »Name?«
»Jonny Moreau, Sir«, erklärte ihm Jonny mit einem raschen Blick auf die Uhr an der Wand. Aber es war erst 15:28, und der andere nickte bloß und machte einen Vermerk auf dem ComBoard auf seinem Schoß. Jonny sah sich verstohlen im Raum um und verbrachte die beiden nächsten Minuten damit, auf seinen Herzschlag zu lauschen und seiner Phantasie freien Lauf zu lassen.
Exakt um 15:30 erhob sich der Ältere der beiden uniformierten Männer. »Guten Tag, Gentlemen«, sagte er mit einem Nicken. »Ich bin C-2 Rand Mendro, Kommandant einer Cobra-Einheit, und ich möchte Sie auf Asgard willkommen heißen. Wir machen hier aus Männern und Frauen Soldaten – sowie Flieger, Seeleute, StarForce-Truppen und Angehörige ein paar weiterer Spezialeinheiten. Hier im Freyr Complex sind wir ausnahmslos Soldaten und Sie fünfundvierzig Rekruten haben die Ehre, für die neueste und – meiner Meinung nach – beste Elitetruppe ausgewählt worden zu sein, die das Imperium zu bieten hat. Vorausgesetzt, Sie wollen bei uns mitmachen.« Sein Blick machte die Runde, schien einen nach dem anderen zu mustern. »Wenn, dann handeln Sie sich damit den gefährlichsten Auftrag ein, den wir zu bieten haben: Sie werden in die von den Trofts besetzten Welten gehen und den Feind in einen Guerillakrieg verwickeln.«
Er hielt inne, und Jonny spürte, wie sich sein Magen zusammenballte. Eine Eliteeinheit – wie er es sich gewünscht hatte! Und die Möglichkeit, der Zivilbevölkerung beizustehen – was er sich ebenfalls gewünscht hatte. Aber dort abgesetzt zu werden, wo die Trofts bereits das Sagen hatten, klang eher nach einem Selbstmordkommando als nach Militärdienst. Nach der leisen Unruhe im Raum zu urteilen, stand er mit seiner Ansicht nicht allein da.
»Natürlich«, fuhr Mendro fort, »heißt das nicht gerade, dass wir Sie mitten im All mit einem Lasergewehr in der einen und einem Funkgerät in der anderen Hand aussetzen. Wenn Sie sich entschließen, Soldat zu werden, erhalten Sie eine der umfassendsten Ausbildungen und das Beste an erstklassigen Waffensystemen, das zurzeit erhältlich ist.« Er gab dem Mann, der neben ihm saß, ein Zeichen. »C-3 Shri Bai wird der Chefausbilder dieser Einheit sein. Er wird Ihnen jetzt eine kleine Demonstration der Fähigkeiten liefern, die Sie als Cobras haben werden.«
Bai legte sein ComBoard zur Seite, erhob sich – und schoss mitten in der Bewegung zur Decke.
Überrascht sah Jonny nur eine verschwommene Bewegung, als Bai sprang – doch der doppelte Donnerschlag von oben und hinten waren die übelkeiterregenden Anzeichen eines raketengestützten Sprunges, der auf fürchterliche Weise schiefgegangen war. Innerlich machte er sich auf den Anblick von Bais zerschundenem Körper gefasst …
Doch Bai stand seelenruhig neben der Tür, hatte den Anflug eines Lächelns im Gesicht und ließ den Blick über eine Reihe von verdutzten Gesichtern schweifen. »Sie werden sicherlich alle wissen«, sagte er, »dass sowohl der Einsatz einer Rucksackdüse als auch der von Muskelverstärkern des Exoskeletts auf so begrenztem Raum töricht wäre. Nicht wahr? Sehen Sie also noch einmal genau hin.«
Er beugte die Knie um ein paar Grad und stand mit einem weiteren Doppelschlag wieder auf dem Podium. »Also gut«, meinte er. »Wer hat gesehen, was ich gemacht habe?«
Schweigen. Dann ging eine Hand zögernd in die Höhe. »Sie haben sich von der Decke abgestoßen, glaube ich«, sagte der Rekrut ein wenig unsicher. »Äh … und die meiste Wucht mit den Schultern abgefangen?«
»Mit anderen Worten, Sie haben es nicht richtig gesehen«, meinte Bai und nickte. »Tatsächlich habe ich mich auf halbem Weg um hundertachtzig Grad gedreht, den Aufprall mit den Füßen abgefangen und mich dann weitergedreht, so dass ich bei der Landung wieder aufrecht stand.«
Jonnys Mund fühlte sich trocken an. Die Decke war gerade mal fünf Meter hoch. Ein so kompliziertes Manöver auf so engem Raum …
»Das Entscheidende, mal abgesehen von der Kraft und der Präzision des Sprunges selbst«, sagte Mendro, »ist, dass selbst Sie, die wussten, was geschehen würde, Bais Bewegung nicht haben folgen können. Stellen Sie sich vor, wie das auf einen Raum voller Trofts wirkt, die nicht damit rechnen. Als Nächstes we…«
Er brach ab, als die Tür aufging und ein weiterer Rekrut eintrat. »Viljo?«, fragte Bai und nahm das ComBoard zu seinen Füßen auf.
»Ja, Sir.« Der Neuankömmling nickte. »Entschuldigen Sie die Verspätung, Sir – die Leute bei der Anmeldung waren etwas langsam.«
»Ach ja?« Bai schwenkte das ComBoard. »Hier steht, Sie waren um 14:50 an der Reihe. Das war – Augenblick – vierzig Minuten vor Moreau, der sieben Minuten vor Ihnen hier war. Nun?«
Viljos Gesicht wurde knallrot. »Ich … vermutlich habe ich mich ein wenig verlaufen, Sir.«
»Bei all den Hinweisen, die im gesamten Komplex angebracht sind? Nicht zu reden vom Armeepersonal, das überall herumläuft. Nun?«
Viljo sah allmählich aus wie ein gehetztes Tier. »Ich … ich habe mir noch die Ausstellungsstücke im Eingangsbereich angesehen, Sir. Ich dachte, dieser Raum wäre näher, als er es tatsächlich ist.«
»Verstehe.« Bai warf ihm einen langen frostigen Blick zu. »An seiner Pünktlichkeit, Viljo, erkennt man den guten Soldaten – und falls Sie die Absicht haben, ein Cobra zu werden, wird Pünktlichkeit absolut unabdingbar sein. Aber noch wichtiger sind Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit Ihren Kameraden gegenüber. Konkret heißt das: Wenn Sie Mist bauen, sollten Sie verdammt nochmal nicht versuchen, einem anderen die Schuld zuzuschieben. Haben Sie das verstanden?«
»Jawohl, Sir.«
»Also gut. Und jetzt kommen Sie hier herauf. Ich brauche einen Assistenten für die nächste Demonstration.«
Sichtlich schluckend löste Viljo sich von der Stelle, wo er wie festgeklebt gestanden hatte, und bahnte sich zwischen den Stühlen hindurch einen Weg zum Podium. »Was ich Ihnen vor einer Minute gezeigt habe«, sagte Bai, jetzt wieder an den ganzen Raum gewandt, »war im Wesentlichen nichts weiter als ein Partytrick, wenn auch mit ein paar offenkundigen militärischen Einsatzmöglichkeiten. Was jetzt folgt, wird Ihnen vermutlich praxisbezogener vorkommen.«
Aus seiner Uniformjacke zog er zwei Metallscheiben von jeweils zehn Zentimetern Durchmesser, die in der Mitte einen kleinen schwarzen Einsatz hatten. »Halten Sie die eine in der linken Hand seitlich von sich«, wies Bai Viljo an, »und auf mein Kommando werfen Sie die andere hinten in den Raum.«
Mendro hatte sich inzwischen in eine der hinteren Ecken des Raumes gestellt. Bai trat ein paar Schritte zur Seite, überprüfte die Positionen und ging leicht in die Knie. »Also gut: jetzt.«
Viljo warf die Scheibe im Bogen Richtung Tür. Hinter sich spürte Jonny, wie Mendro sprang und sie fing, und einen Augenblick später schoss die Scheibe zu Bai zurück. Mit einer geschmeidigen Bewegung, die wiederum zu schnell war, um sie zu verfolgen, ließ sich Bai zur Seite fallen, aus der Wurfbahn der Scheibe heraus … und während er sich abrollte und in die Hocke hochkam, schossen zwei Nadeln aus Licht in entgegengesetzter Richtung aus seinen ausgestreckten Händen hervor. Viljos überraschter Aufschrei ging fast unter, als die Metallscheibe scheppernd an die Wand prallte.
»Gut«, meinte Bai knapp, stand auf und ging die erste Scheibe holen. »Viljo, zeigen Sie ihnen Ihre.«
Selbst aus seiner Entfernung konnte Jonny das kleine Loch knapp neben der Mitte des schwarzen Einsatzes erkennen. »Eindrucksvoll, was?«, meinte Bai, trat zurück aufs Podium und präsentierte die andere Zielscheibe. »Natürlich kann man nicht immer davon ausgehen, dass der Feind stillhält.«
Der Schuss war längst nicht so sauber gewesen. Nur ganz am äußersten Rand des Schwarzen war die Markierung durch den Laser zu erkennen, und als das Licht richtig darauffiel, konnte Jonny sehen, dass das angrenzende Metall unter der Hitze Falten geworfen hatte. Trotzdem, die Vorführung war eindrucksvoll – vor allem, da Jonny keine Ahnung hatte, wo Bai seine Waffen versteckt hatte.
Oder wo sie jetzt waren.
»Das gibt Ihnen eine Vorstellung von den Fähigkeiten der Cobras«, sagte Mendro, kehrte in den vorderen Teil des Raumes zurück und entließ Viljo, der sich einen Platz suchte. »Jetzt möchte ich Ihnen ein paar der Dinge zeigen, die daran beteiligt sind.« Er nahm das ComBoard, gab einen Befehl ein, und neben ihm erschien das lebensgroße Abbild eines Mannes. »Äußerlich ist ein Cobra von einem Normalbürger praktisch nicht zu unterscheiden. Von innen aber …« Der Umriss des Holos verblasste zu einem blauen Skelett, über das wie zufällig eigenartig geformte weiße Flecken verteilt waren. »Das Blau symbolisiert eine Keramikschicht, die sämtliche größeren und die meisten kleineren Knochen so gut wie unzerbrechlich macht. Das sowie eine Bänderverstärkung an wichtigen Stellen hat C-3 Bai in die Lage versetzt, diese Deckensprünge durchzuführen. Die nicht beschichteten Bereiche, die Sie hier sehen, ermöglichen es dem Knochenmark, auch weiterhin rote Blutzellen an das System abzugeben.« Ein weiterer Tastendruck auf dem ComBoard, und das bunt gescheckte Skelett erbleichte zu einem matten Grau, das einen Kontrast zu den kleinen gelben Ovalen bildete, die über das gesamte Hologramm verteilt an den Gelenken sichtbar wurden. »Servomotoren«, erklärte Mendro. »Die zweite Hilfe beim Deckensprung. Sie wirken als Kraftvervielfältiger, genau wie in den üblichen Exoskeletten und Kampfanzügen, nur dass diese hier besonders schwer zu entdecken sind. Als Kraftquelle dient ein kleines nukleares Wunderding …«, er zeigte auf einen asymmetrischen Gegenstand in Magennähe, »… das ich Ihnen nicht erklären werde, weil ich es selbst nicht verstehe. Es soll genügen, wenn ich sage, dass das Ding funktioniert, und zwar sehr gut.«
Jonny musste noch einmal an Bais unfassbare Sprünge denken und spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. Servos und Knochenbeschichtungen waren gut und schön, doch ein solcher Trick ließ sich wohl kaum über Nacht erlernen. Entweder dauerte diese Cobra-Ausbildung mindestens mehrere Monate, oder Bai war ein außergewöhnlich athletischer Mensch … und wenn Jonny eins sicher wusste, dann, dass man ihn selbst nicht wegen seiner sportlichen Natur für diese Gruppe ausgewählt hatte. Offenbar bereitete sich die Armee auf einen langen, ausgedehnten Konflikt vor.
Das Holo auf dem Podium hatte sich ein weiteres Mal verändert. Diesmal waren mehrere Abschnitte rot markiert. »Die Offensiv- und Defensivausrüstung eines Cobra«, erläuterte Mendro. »Kleine Laser in den Spitzen beider kleinen Finger, von denen einer auch die Abschusselektroden eines Bogenwerfer-Kondensators hier in der Bauchhöhle enthält. In der linken Hälfte befindet sich ein Antipanzerlaser, hier sitzen die Lautsprecher für zwei unterschiedliche Typen von Schallwaffen, und oben in der Nähe von Augen und Ohren sitzt ein Satz optischer und akustischer Verstärker. Ja – eine Frage?«
»Rekrut MacDonald, Sir«, sagte dieser militärisch korrekt, wobei seine Worte wegen des Akzents schwer verständlich waren. »Gleichen diese optischen Verstärker den Ziellinsen eines Kampfanzuges, wo man ein Entfernungs-/Reichweite-Diagramm vor die Augen projiziert bekommt?«
Mendro schüttelte den Kopf. »Für Aufgaben im mittleren und Langstreckenbereich ist das gut und schön, aber recht nutzlos bei der Art von Nahkampf, mit der Sie es zu tun bekommen werden. Was mich auf den eigentlichen Kern des gesamten Cobra-Projekts bringt.« Das Rot verblasste, und im Innern des Schädels erschien ein grüner, walnussgroßer Gegenstand unterhalb des Gehirns. Von dort gingen Dutzende feiner, sich schlängelnder Fäden aus, von denen die meisten parallel zur Wirbelsäule verliefen und sich verzweigten. Als Jonny dies betrachtete, fiel ihm plötzlich wieder ein Bild aus dem Biologieunterricht der vierten Klasse ein: ein Diagramm der Hauptbahnen des menschlichen Nervensystems …
»Dies«, sagte Mendro und wedelte mit dem Finger durch die grüne Walnuss, »ist ein Computer – wahrscheinlich der leistungsfähigste Computer dieser Größe, der je entwickelt wurde. Diese optischen Fasern …«, er zeigte auf das Geflecht aus Fäden, »… reichen zu sämtlichen Servos und Waffensystemen sowie einem Satz direkt in die Knochenbeschichtung implantierter kinästhetischer Sensoren. Ihre Ziellinsen, MacDonald, machen es noch immer erforderlich, dass Sie das eigentliche Zielen und Feuern selbst übernehmen. Dieser Nanocomputer lässt Ihnen die Wahl, die gesamte Operation vollautomatisch durchzuführen.«
Jonny blickte kurz zu MacDonald hinüber und sah, wie dieser nickte. Die Idee war gewiss nicht neu – computergesteuerte Waffensysteme waren auf interstellaren Raumschiffen und auf Atmosphärenjägern seit Jahrhunderten Standard -, aber dem einzelnen Soldaten diese Kontrollmöglichkeiten zu verschaffen war zweifellos ein technologischer Durchbruch.
Dabei war Mendro mit seinen Überraschungen noch nicht einmal am Ende. »Zusätzlich zur Feuerkontrolle«, sagte er, »verfügt der Computer über eine Anzahl vorprogrammierter Nahkampfreflexe – Reflexe, zu denen nicht nur Ausweichmanöver gehören, sondern auch solche Spielereien, wie wir sie vor ein paar Minuten vorgeführt haben. Nehmen Sie das alles zusammen …«, das Hologramm verwandelte sich in ein farbenfrohes Puzzle, als sämtliche Überlagerungen zurückkehrten, »… und Sie erhalten den tödlichsten Guerillakämpfer, den die Menschheit je hervorgebracht hat.«
Er ließ das Bild noch ein paar Sekunden stehen, bevor er es ausschaltete und das ComBoard auf einem der Stühle ablegte. »Als Cobras werden Sie in der ersten Reihe einer strategischen Gegenoffensive stehen, von der ich erwarte, dass sie die Trofts aus dem Gebiet des Imperiums verdrängen wird. Die militärischen Gefahren, mit denen Sie es zu tun bekommen werden, habe ich bereits erwähnt – zum gegenwärtigen Zeitpunkt können wir nicht einmal abschätzen, welche Verluste es geben wird. Ich kann Ihnen jedoch eins versichern: Sie werden hoch sein. Wir müssen Sie einer Vielzahl von Operationen unterziehen, und Operationen sind niemals angenehm. Darüber hinaus wird vieles von dem, was wir Ihnen einpflanzen, für immer dort bleiben. Die Beschichtungen zum Beispiel lassen sich nicht mehr entfernen, weshalb Sie zwangsläufig auch die Servos und den Nanocomputer behalten müssen. Auch werden zweifellos Probleme auftauchen, an die wir noch nicht gedacht haben, und da Sie zu den ersten Cobras gehören, werden Sie die gesamte Last aller Konstruktionsfehler auf sich nehmen müssen, die uns entgangen sind.«
Er hielt inne und sah sich im Raum um. »Nach alledem möchte ich Sie aber auch daran erinnern, dass Sie hier sind, weil wir Sie brauchen. Jeder Einzelne von Ihnen hat in den Bereichen Intelligenz, Mut und emotionale Stabilität Ergebnisse erzielt, die zeigen, dass Sie zum Cobra geeignet sind – und ich sage es Ihnen ganz offen, dort draußen gibt es nicht gerade verdammt viele davon. Je mehr von Ihnen bei uns anheuern, desto schneller können wir diesen Krieg der Trofts dorthin schieben, wo er hingehört – in ihre Rachenblasen.
So weit, so gut. Der Rest des Tages gehört Ihnen. Richten Sie sich in Ihren Zimmern ein, machen Sie sich mit dem Freyr Complex vertraut …«, er blickte kurz in Viljos Richtung, »… und werfen Sie vielleicht auch einen Blick in die Ausstellungsräume. Morgen Vormittag werden Sie hier erscheinen und mir Ihre Entscheidung mitteilen – wann immer jeder Einzelne dazu bereit ist.« Er ließ den Blick ein letztes Mal durch den Raum schweifen und nickte. »Bis dahin: Weggetreten!«
Jonny verbrachte den Tag, wie Mendro vorgeschlagen hatte, lernte seine Zimmergenossen kennen – es waren fünf – und machte einen Spaziergang durch die Gebäude und das Freigelände des Freyr Complex. Die Cobra-Gruppe schien ein ganzes Stockwerk der Kaserne für sich zu haben, und jedes Mal, wenn Jonny am Foyer vorüberkam, schien eine neue Gruppe von ihnen dort herumzusitzen und über das Für und Wider des Eintritts in die Armee zu diskutieren. Manchmal blieb er stehen und hörte zu, die meiste Zeit jedoch ging er einfach seines Wegs, denn tief im Innern wusste er, dass die bevorstehende Entscheidung nicht auf die leichte Schulter zu nehmen war … andererseits war Jonny in erster Linie deshalb hier, weil er den Menschen auf den besetzten Planeten helfen wollte. Er konnte schlecht einen Rückzieher machen, bloß weil das ein wenig mehr von ihm verlangte als erwartet.
Abgesehen davon – er war ehrlich genug, dies zuzugeben – erinnerte ihn das gesamte Cobrakonzept an die Heftchen mit den Superhelden und Serien, die ihn als Kind begeistert hatten, und die Gelegenheit, tatsächlich solche Kräfte zu erlangen, stellte selbst für den eher vernünftigen Collegestudenten, der er jetzt war, eine Verlockung dar.
Die Diskussionen auf ihrem Zimmer am Abend dauerten bis zum »Licht aus«, Jonny jedoch gelang es, abzuschalten und ein wenig früher einzuschlafen als die anderen. Beim Wecken war er der Einzige der sechs, der nicht über die scheußlich frühe Stunde murrte, sondern sich rasch anzog und in den Speisesaal hinunterging. Als er zurückkam, waren die anderen – bis auf Viljo, der noch im Bett lag – ebenfalls frühstücken gegangen. Oben in Raum C-662 stellte er fest, dass er als Dritter der Gruppe offiziell bei den Cobras eingetreten war. Mendro gratulierte ihm, gab ihm ein paar der, wie es schien, üblichen aufmunternden Worte mit auf den Weg und überreichte ihm einen wahrlich beängstigenden Operationsplan. Jonny machte sich mit einem nervösen Flattern im Bauch auf den Weg in den medizinischen Trakt. Dennoch hatte er das sichere Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Während der nächsten zwei Wochen wurde diese Gewissheit mehrere Male auf eine harte Zerreißprobe gestellt.
»Also gut, Cobras, aufgepasst!«
Bais Stimme grollte im Halbdunkel der Dämmerung auf Asgard wie Donner, und Jonny musste einen Übelkeitsanfall unterdrücken, den dieses Grollen und die frostige Luft in den Resten seines Magens hervorrief. Vom Zittern war ihm früher niemals schlecht geworden, allerdings hatte sein Körper auch noch nie einen derart massiven ärztlichen Eingriff über sich ergehen lassen müssen. Geblieben war wenig mehr als ein dumpfer Schmerz, der von seinen Augen bis hinunter zu den Zehen reichte, und da sich sein Körper anders nicht wehren konnte, hatte er sich auf diese Übelkeit versteift, um sein Missfallen kundzutun. Jonny stand nervös und unruhig mit den anderen fünfunddreißig Rekruten in einer Reihe und verspürte an den verschiedensten Stellen ein Drücken und Ziehen, überall dort, wo seine Organe gegen die neue Ausrüstung und die Verstärkungen in seiner Bauchhöhle protestierten. Noch einmal flackerte die Übelkeit auf, als er an all das Gerät in seinem Innern dachte – dann konzentrierte er sich wieder auf Bai.
»… hart für Sie, aber aus eigener Erfahrung kann ich Ihnen versichern, dass die nachoperativen Symptome in ein paar Tagen verschwunden sein werden. In der Zwischenzeit gibt es nichts, was Ihnen den Gebrauch Ihres neuen Körpers verbieten würde.
Ich weiß, Sie alle fragen sich, wieso Sie Ihre Computer um den Hals statt im Innern Ihres Schädels tragen. Nun, angeblich sind Sie ja alle ziemlich schlau, und während der letzten beiden Wochen hatten Sie nicht viel anderes zu tun, als über dergleichen Dinge nachzudenken. Möchte jemand seine Theorie darüber vorstellen?«
Jonny sah sich um, spürte, wie der weiche, kragenähnliche Computer sachte an seinem Hals scheuerte, sobald er den Kopf drehte. Er war ziemlich sicher, den Grund zu wissen, wollte aber nicht der Erste sein, der etwas sagte.
»Rekrut Noffke, Sir«, meldete sich Parr Noffke, einer von Jonnys Zimmergenossen, zu Wort. »Ist es deswegen, weil Sie nicht wollen, dass unsere Computer einsatzbereit sind, bevor wir Asgard verlassen haben?«
»Fast«, meinte Bai und nickte. »Moreau? Möchten Sie das vielleicht näher ausführen?«
Erschrocken blickte Jonny wieder zu Bai. »Äh … könnte es sein, weil Sie uns nur stufenweise Zugang zu unserer Ausrüstung – den Waffen und den anderen Möglichkeiten – geben wollen?«
»Sie müssen lernen, Ihre Antworten klarer zu formulieren, Moreau, aber im Großen und Ganzen haben Sie Recht«, sagte Bai. »Wenn der Computer endgültig implantiert ist, sind seine Programme festgelegt. Deshalb werden Sie diese programmierbaren also tragen, bis keine Gefahr mehr besteht, dass Sie sich selbst oder gegenseitig erschießen. Also schön: Lektion eins, das Körpergefühl. Ungefähr fünf Kilometer hinter mir steht der alte Beobachtungsturm des Geschützschießstands. Interweltsportler schaffen das in ungefähr zwölf Minuten, wir werden es in zehn laufen. Los.«
Er machte kehrt und hielt in schnellem Tempo auf den entfernten Turm zu, während die Rekruten einen ungeordneten Haufen in seinem Schlepptau bildeten. Jonny landete irgendwo in der Mitte und bemühte sich, seine Schritte im Takt zu halten, während er gegen das widersprüchliche Gefühl ankämpfte, gleichzeitig zu leicht und zu schwer zu sein. Fünf Kilometer waren doppelt so viel, wie er je zuvor in seinem Leben gelaufen war – egal in welchem Tempo -, und als er den Turm erreichte, ging sein Atem in kurzen Stößen, und die Anstrengung ließ ihm fast schwarz vor Augen werden.
Bai wartete bereits, als er stolpernd zum Stillstand kam. »Halten Sie den Atem an, und zählen Sie bis dreißig«, befahl ihm der Ausbilder knapp und trat sofort zur Seite, um den Befehl beim nächsten zu wiederholen. Seltsamerweise stellte Jonny fest, dass er es schaffte, und als die hinteren aufgeholt hatten, schienen sowohl seine Lungen als auch seine Augen wieder in Ordnung zu sein. »So, das war Lektion eins Punkt fünf«, knurrte Bai. »Ungefähr die Hälfte von Ihnen lässt zu, dass ihr Körper hyperventiliert, und das aus keinem besseren Grund als aus Gewohnheit. Bei dem Tempo, das Sie angeschlagen haben, hätten Ihre Servos Ihnen fünfzig bis siebzig Prozent der Arbeit abnehmen sollen. Mit der Zeit wird sich Ihr autonomes System darauf einstellen, bis dahin jedoch werden Sie ganz bewusst auf all diese kleinen Einzelheiten achten müssen.
Also gut. Lektion zwei: springen. Wir beginnen mit senkrechten Sprüngen in unterschiedlicher Höhe, und Sie beginnen damit, dass Sie mir zusehen. Man hat Ihnen Ihre Kampfreflexe noch nicht einprogrammiert. Zwar können Sie sich nicht die Knöchel brechen, aber wenn Sie bei der Landung aus dem Gleichgewicht geraten und mit dem Kopf aufschlagen, wird das wehtun. Also passen Sie gut auf!«
Während der nächsten Stunde lernten sie, wie man sprang, wie man sich, falls erforderlich, mitten in der Luft ausrichtete – und wie man sicher fiel, wenn das mit dem Ausrichten nicht geklappt hatte. Danach richtete Bai ihr Augenmerk auf den Turm, der über ihnen aufragte, und sie lernten ein Dutzend verschiedene Arten, die Außenseite eines Gebäudes hinaufzuklettern. Als Bai zur Mittagspause rief, hatten sie alle die heikle Klettertour die Seite hoch und durch ein unverschlossenes Fenster auf der Beobachtungsplattform hinter sich gebracht, und auf Bais Befehl hin kehrten sie zum Essen in die Außenwand zurück und schlangen ihre Feldrationen hinunter, während sie sich, so gut es ging, zehn Meter über dem Boden festkrallten.
Den Nachmittag verbrachten sie damit, mit ihren Armservos zu üben, wobei das Wichtigste war, schwere Gegenstände so zu halten, dass die Belastung für Haut und Blutgefäße möglichst gering blieb. Das Problem war längst nicht so trivial, wie es auf den ersten Blick schien. Jonny kam mit ein paar blauen Flecken davon, andere dagegen hatten am Ende ernsthafte subkutane Blutungen oder schwere Hautabschürfungen. Die schlimmsten Fälle schickte Bai sofort ins Lazarett, der Rest fuhr mit dem Training fort, bis die Sonne dicht über dem Horizont stand. Ein weiterer flotter Fünfkilometerlauf brachte sie zurück zum Hauptgebäude des Komplexes; nach einem kurzen Abendessen trafen sie sich zum Unterricht in Guerillataktiken und -strategien ein weiteres Mal in C-662.
Dann endlich, wund an Körper und Geist, schickte man sie zurück auf ihre Zimmer.
Es war das erste Mal, dass Jonny seit Beginn seines zweiwöchigen Pensums in der Chirurgie auf seinem Zimmer war, doch es sah ungefähr so aus, wie er es in Erinnerung hatte. Er steuerte geradewegs auf seine Pritsche zu, ließ sich dankbar darauffallen und zuckte zusammen, als er den unerwartet lauten Protest der Sprungfedern vernahm. Das war natürlich reine Einbildung – so viel schwerer war er trotz all der neuen technischen Ausrüstung, die er mit sich herumschleppte, nicht geworden. Er streckte seine wunden Muskeln, erforschte behutsam die blauen Flecken auf seinen Armen und fragte sich, ob er weitere vier Wochen dieser Ausbildung überleben würde.
Seine fünf Zimmergenossen trafen ungefähr eine Minute nach ihm ein, betraten das Zimmer als Gruppe und waren offenkundig gerade dabei, ihre Aufzeichnungen über den Tag zu vergleichen. »… sag dir, alle Ausbilder der Armee benehmen sich wie Montageroboter«, sagte Cally Halloran gerade, als sie einer nach dem anderen durch die Tür hereinkamen. »Das gehört zum Abhärtungsprozess für Rekruten. Alles Psychologie, Leute. Reine Psychologie.«
»Zum Phrij mit der Psychologie«, meinte Parr Noffke, lehnte sich über das Ende seiner Koje und machte ein paar halbherzige Dehnübungen. »Dieser Unfug, dass wir unser Mittagessen in zehn Metern Höhe verspeisen sollen – das nennt ihr Abhärtung? Ich sag euch was, Bai mag es einfach, wenn uns der Arsch auf Grundeis geht.«
»Er hat bewiesen, dass du dich festhalten kannst, ohne deine gesamte Aufmerksamkeit auf deine Finger zu konzentrieren, oder nicht?«, konterte Imel Deutsch trocken.
»Wie ich gesagt habe, alles Psychologie.« Halloran nickte. »Psychologie.«
Noffke schnaubte und gab seine Übungen auf. »He, Druma, Rolon! Kommt rein und spielt mit. Uns bleibt gerade noch genügend Zeit für eine Runde King’s Bluff.«
»Einen Moment«, rief Druma aus dem Bad, in dem er und Rolon Viljo verschwunden waren. Jonny hatte die hellblauen Schnellheilverbände an Singhs Händen bemerkt, als er hereingekommen war, und vermutete, dass Viljo ihm half, sie zu wechseln.
»Du auch, Mr. Neunmalklug«, sagte Noffke und sah dabei in Jonnys Richtung. »Weißt du, wie man King’s Bluff spielt?«
Mr. Neunmalklug? »Ich kenne eine Variante des Spiels, aber vielleicht spielt man es nur bei uns so«, meinte Jonny.
»Gut, finden wir es also heraus«, sagte dieser achselzuckend, trat an den runden Tisch und nahm das Kartenspiel aus einer Mappe, die darauflag. »Kommt schon, auf Reginine gilt die Regel, dass man ein Kartenspiel nicht ablehnen kann, wenn es nicht um Geld geht.«
»Seit wann haben die Regeln von Reginine auf Asgard Gültigkeit?«, wollte Viljo wissen, als er aus dem Bad hereingeschlendert kam. »Wieso spielen wir nicht nach Erdregeln: Da spielt man immer um Geld.«
»Laut Aerieregeln spielt man um Grundbesitz«, erklärte Halloran von seiner Koje aus.
»In den Regeln auf Horizo…«, setzte Jonny an.
»Wir wollen nicht zu tief in die kulturellen Notstandsgebiete des Imperiums vordringen, was meint ihr?«, schnitt ihm Viljo das Wort ab.
»Vielleicht sollten wir einfach schlafen gehen«, meinte Singh, als er sich wieder zu der Gruppe gesellte. »Morgen haben wir bestimmt einen schweren Tag.«
»Kommt schon«, rief Deutsch und setzte sich zu Noffke an den Tisch. »Bei einem Spielchen kommen wir alle zur Ruhe. Außerdem sind es diese kleinen Dinge, die helfen, Menschen zu einem Team zu formen. Alles Psychologie, Cally. Richtig?«
Halloran musste lachen, wälzte sich aus dem Bett und kam auf die Füße. »Das ist nicht fair. Also gut, ich bin dabei. Los, Jonny, auf. Druma, Rolon – nach den Regeln von Reginine, wie der Mann sagt. Aber nur eine Runde.«
Wie sich herausstellte, war das Spiel, das Noffke erklärte, fast identisch mit dem King’s Bluff, wie Jonny es kannte, und er war einigermaßen zuversichtlich, als er das erste Blatt aufnahm. Für ihn war es bedeutungslos, ob er gewann, aber er wollte spielen, ohne irgendwelche dummen Fehler zu machen. Viljos Gerede über die kulturellen Notstandsgebiete des Imperiums hatten genau das auf den Punkt gebracht, weshalb er sich in dieser Gruppe unwohl fühlte: Mit Ausnahme von Deutsch stammten alle anderen von Welten, die älter waren und einen besseren Ruf hatten als Horizon – und Deutsch, als einziger Cobra-Rekrut von Adirondack, gewann offenbar allein dadurch an Prestige, dass er von einer der beiden Welten kam, die die Trofts erobert hatten. Die meisten anderen waren weniger herablassend als Viljo, aber ganz fehlte dieser Zug bei keinem. Wenn er bewies, dass er gut Karten spielte, war das vielleicht ein erster Schritt dahin, die Klischees aufzubrechen, die die Jungs vom Siedlungsgrenzgebiet im Allgemeinen und von Jonny im Besonderen im Kopf hatten.
Eigentlich war er nur ein mittelmäßig begabter Spieler, und vielleicht lag es daran, dass er nicht unbedingt aufs Gewinnen aus war, vielleicht auch an den kleinen Unterschieden in der Körpersprache, die seinen Bluffs eine unerwartete Wirksamkeit gaben … wie auch immer, am Ende wurde es die beste Runde, die er je gespielt hatte. Von sechs Spielen gewann er eins durch gute Karten, zwei weitere durch Bluff, und eines verlor er erst, als Noffke halsstarrig an einem Blatt festhielt, das von Rechts wegen sehr jung hätte sterben müssen. Viljo schlug eine zweite Runde vor – forderte sie geradezu -, doch Singh erinnerte sie an das Limit, auf das man sich geeinigt hatte. Das Spiel war zu Ende, und in stiller Unruhe machten sich alle zum Schlafengehen bereit.
Nachdem das Licht gelöscht war, ging Jonny das Spiel in Gedanken noch einmal durch und überlegte sich, ob irgendetwas in der Sprache oder dem Benehmen der anderen darauf hindeutete, dass die gesellschaftlichen Barrieren zumindest erste Risse bekommen hatten. Doch er war zu müde, kam nicht sonderlich weit und gab bald auf. Trotzdem, sie hätten ihn auch ganz vom Spiel ausschließen können, und sein letzter Gedanke, bevor er einschlief, galt der nächsten Woche, die sich vielleicht doch überleben ließ.
In den ersten beiden Trainingswochen wurde viel mit dem Servosystem geübt, mit der Aktivierung der optischen und akustischen Verstärker, und die Rekruten machten auch die ersten Erfahrungen mit Waffen. Die kleinen Laser, die man ihnen in die kleinen Finger eingebaut hatte, waren, wie man ihnen erklärte, hauptsächlich für den Einsatz bei Metallen konstruiert, erwiesen sich aber als ebenso effektiv im Nahkampf gegen Menschen. Bai betonte, dass man den Energieausstoß weit unterhalb der tödlichen Dosis belassen hatte, doch Jonny sah darin nur einen geringen Trost, als er an den leicht schmelzenden Zielscheiben übte. Wenn bis zu zweiundsiebzig Laser gleichzeitig auf dem Schießstand abgefeuert wurden, brauchte man nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was das unachtsame, servounterstützte Zucken eines Handgelenks anrichten konnte. Die halbautomatischen Zielhilfen machten es, wenn sie eingeschaltet wurden, nur noch schlimmer. Es war viel zu einfach, seinen Blick mit aktivierter variabler/visueller Zielerfassung umherschweifen zu lassen und am Ende auf ein völlig falsches Ziel zu feuern. Doch entweder Glück oder Bais Training verhinderten üble Verletzungen, und nachdem die letzte dieser Übungsstunden vorüber war, konnte Jonny inmitten dieses Lasergewitters stehen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Beinahe jedenfalls.
»Hört genau zu, Cobras, denn heute erhalten Sie zum ersten Mal Gelegenheit, abgeschossen zu werden«, verkündete Bai, dem der strömende Regen offensichtlich nichts ausmachte. Jonny stand in Grundstellung und versuchte, das Wetter ebenso gelassen zu ertragen, doch die Rinnsale, die sich unter seinen Kragen vorarbeiteten, waren viel zu kalt, als dass ihm das gelingen sollte.
»Hundert Meter hinter mir sehen Sie eine Mauer«, fuhr Bai fort. »Sie ist Teil eines Rechtecks, das einen Innenhof mit einem kleinen Gebäude darin umschließt. Längs des oberen Mauerrandes verläuft ein fotoelektrischer Strahl, der einen Verteidigungslaser darstellt, drinnen im Innenhof gibt es ein paar Roboter, die Wachtposten der Trofts darstellen. Ihr Ziel ist eine kleine rote Kiste im Innern des Gebäudes, die Sie – leise – an sich nehmen sollen, um dann mit ihr zu fliehen.«
»Großartig«, murmelte Jonny kaum hörbar. In seinem Magen machte sich bereits jetzt ein flaues Gefühl breit.
»Du kannst froh sein, dass wir nicht nach Reginine einmarschieren«, murmelte Noffke neben ihm. »Bei uns sind die Laser in die Mauer eingelassen und nach oben gerichtet, nicht quer.«
»Pssst!«
»Also, die Roboter sind nach den bestmöglichen Schätzungen des Sensor- und Reflexvermögens der Trofts programmiert«, erklärte Bai gerade, »und die Leute, die sie bedienen, sind die Besten. Also verlassen Sie sich nicht darauf, dass sie irgendwelche dummen Fehler machen. Sie sind mit Farbpatronen ausgerüstet, und wen sie treffen, der ist offiziell erledigt. Geraten Sie in den Lichtstrahl auf der Mauer, sind Sie ebenfalls erledigt. Wenn Sie zu viel Lärm machen – was die von uns aufgestellten Messgeräte bestimmen -, verlieren Sie nicht nur Punkte, sondern hetzen sich auch die ferngesteuerten Roboter auf den Hals und sind erledigt. Dazu kommt noch, dass es im Gebäude verschiedene automatische Waffen und intelligente Sprengladungen gibt, die Sie umgehen müssen – und fragen Sie erst gar nicht, um welche Art es sich handelt, denn das verrate ich Ihnen nicht. Noch Fragen? Nun? Also schön. Aldred, vorn Mitte, alle anderen rüber zu dem Zeltdach links von Ihnen.«
Einer nach dem anderen stellten sich die Rekruten neben Bai auf und liefen quer über das matschige Feld. Bai hatte vergessen zu erwähnen, dass ein Abschuss von einem Alarmsignal verkündet wurde, und als auf das Verschwinden eines Mannes nach dem anderen hinter der Mauer früher oder später dieses hämische Plärren folgte, bekam die leise Unterhaltung unter dem Schutzdach einen zunehmend nervösen Unterton. Als der achte Rekrut, der hinübergestiegen war – Deutsch, wie es der Zufall wollte -, wieder über der Mauer auftauchte, ohne den Alarm ausgelöst zu haben, war der kollektive Stoßseufzer ebenso vielsagend wie der ausufernde Beifall.
Nur zu bald war Jonny an der Reihe. »Also gut, Moreau, alles ist wieder eingestellt«, meinte Bai zu ihm. »Nicht vergessen, Sie werden nach Lautlosigkeit und Beobachtungsgabe beurteilt, nicht nach Geschwindigkeit. Lassen Sie sich Zeit, und denken Sie an all die Sachen, über die ich Ihnen an den letzten Abenden Vorträge gehalten habe, dann kommen Sie schon zurecht. Klar? Also los.«
Jonny rannte los, quer durch den Schlamm. Er lief vornübergebeugt, um allen hypothetischen optischen Sensoren ein kleineres Ziel zu bieten. Zehn Meter vor der Mauer wurde er langsamer und suchte jetzt gleichzeitig nach Stolperdrähten, nach an der Mauer angebrachten Sensoren und nach möglichen Kletterrouten. Er bemerkte keinerlei Gefahr, allerdings wies die Mauer auch keinen erkennbaren Halt auf. Vom Sockel aus ließ Jonny ein letztes Mal den Blick suchend über die Mauer schweifen. Dann ging er in die Knie, hoffte, dass seine Schätzung genau genug war, und sprang. Wenn überhaupt, verschätzte er sich nach oben, und seine Finger glitten am Scheitelpunkt seiner Sprungkurve mühelos über den oberen Mauerrand.
So weit, so gut. Von seinem neuen Aussichtspunkt aus konnte Jonny den fotoelektrischen Mechanismus erkennen und schloss daraus, dass er für das Überqueren der Mauer höchstens zwanzig Zentimeter Spielraum brauchte. Eine vergleichsweise einfache Aufgabe … vorausgesetzt, er hetzte sich dabei nicht die Pseudotrofts auf den Hals.
Mit einem Klicken seiner Backenzähne aktivierte er die akustischen Verstärker, klickte noch dreimal und fuhr sie zur Maximalleistung hoch. Das Prasseln des Regens wurde zunächst übersteuert verstärkt und pendelte sich bei einem dumpfen Grollen ein. Dahinter wurden schwächere Geräusche vernehmbar. Keines davon, entschied er, klang wie ein durch den Schlamm stapfender Fernlenkroboter. Er drückte sich in Gedanken die Daumen, schob seinen Kopf vorsichtig über die Mauer und schaltete sein Supergehör aus.
Das Gebäude im Innern war kleiner als erwartet: eine einstöckige Konstruktion, die vielleicht ein Zehntel der ummauerten Fläche einnahm. In seiner Nähe waren keine Wachen zu erkennen. Er wechselte die Blickrichtung und machte einen raschen Schwenk über den Rest des Innenhofes.
Nichts.
Entweder hatte er unfassbares Glück und alle anderen Wachen befanden sich im Augenblick auf der gegenüberliegenden Seite des Gebäudes, oder sie befanden sich alle drinnen und beobachteten ihn durch die dunklen Fenster. In beiden Fällen blieb ihm nicht viel mehr übrig, als die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Er brachte Beine und Oberkörper auf die Mauer und schob sich auf der anderen Seite über die Kante, wobei er die Arme an die Brust legte, um den Lichtbalken zu meiden. Dann sah er zum ersten Mal unter sich die Stelle, wo er landen würde …
… und das matte metallische Glänzen eines Fernlenkroboters, der dort stand.
Ein einziger Gedanke – das ist nicht fair! -, für mehr blieb ihm keine Zeit. Er schaltete seine Zielerfassung ein, brachte seine Hände mit einem Ruck in Feuerstellung und verpasste dem Roboter einen doppelten Laserstoß. Da er sich ganz auf das Feuern konzentrierte, geriet seine Landung kurz darauf unbeholfen bis zur Peinlichkeit. Wenigstens blieb ihm die Genugtuung, dass der Posten im selben Augenblick zu Boden ging wie er selbst.
Doch noch bestand kein Grund, sich auf die Schulter zu klopfen, und noch bevor er sein Gleichgewicht richtig wiedergefunden hatte, rannte Jonny auf das Gebäude zu. Wo immer sich die übrigen Fernlenkroboter befanden, bestimmt entdeckten sie ihren niedergeschossenen Kollegen sehr bald, und bis dahin musste er verschwunden sein. Er erreichte das Gebäude, stahl sich zur Ecke und warf rasch einen Blick um dieselbe. Niemand zu sehen, allerdings war da die Treppe, die zur Eingangstür führte. Er rannte wieder los und steuerte darauf zu.