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Taryna, die bezaubernde Tochter eines armen englischen Vikars, posiert als kanadische Erbin um ihrer einsamen Schulfreundin Kit zu helfen. Es war eine unschuldige Verkleidung um die versnobte Stiefmutter von Kit zu besänftigen. So also wurde Taryna in die glitzernde Welt der Reichen und Schönen hineingezogen. Aber es war nicht alles so leicht und fröhlich, wie es zuerst den Anschein nahm. Warum hatte Kit's Vater Taryna eine geheime Mission aufgetragen? Und was wenn er die Wahrheit über sie herausfand? Noch bevor die Maskerade vorbei war, wurde Taryna der Spielball eines skrupellosen Finanziers und ihr unschuldiges Herz lernte die Bedeutung von leidenschaftlicher Liebe kennen!
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Seitenzahl: 301
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Barbara Cartland
Barbara Cartland E-Books Ltd.
Vorliegende Ausgabe ©2022
Copyright Cartland Promotions 1979
Gestaltung M-Y Books
www.m-ybooks.co.uk
»Taryna!« rief eine junge Stimme, dann flog die Tür auf, und ein junges Mädchen platzte schwungvoll ins Zimmer.
»Ich glaubte schon, nie im Leben mehr hierherzukommen!« rief es aus. »Ich hatte einen Unfall, und der Polizist brauchte Stunden dazu, die Einzelheiten aufzunehmen.«
Taryna sah von dem Koffer auf, den sie gerade packte.
»O nein, Kit, doch nicht schon wieder!«
Kits blonder Kopf nickte.
»Ja, schon wieder«, sagte sie. »Das ist nun das dritte Fahrrad in diesem Semester.«
Taryna lachte.
»Du bist wirklich unverbesserlich«, sagte sie. »Man müßte annehmen, daß sich in Zukunft jede Versicherungsgesellschaft weigert, für dich zu haften.«
»Man kann doch kaum etwas anderes erwarten bei siebentausend durch Cambridge quirlenden Studenten, nicht wahr?« fragte Kit. »Aber tatsächlich hatte der Lastwagenfahrer schuld.«
»Nicht du, selbstverständlich«, sagte Taryna mit neckendem Ernst.
»Nein, natürlich nicht«, erwiderte Kit leichthin, ließ ihre Jacke auf die Erde fallen und machte es sich in einem Sessel bequem.
»Laß uns nicht darüber sprechen«, sagte sie. »Es langweilt mich. Nächstes Jahr sollte ich doch wohl einen Wagen bekommen können.«
»Dann sei Gott uns allen gnädig«, rief Taryna aus.
»Während der Polizist an seinem Bleistift kaute und zu buchstabieren versuchte, machte ich mir Sorgen, dich womöglich zu verpassen«, fuhr Kit fort, den Stoßseufzer ihrer Freundin nicht beachtend. »Ich wußte, du hattest gesagt, daß du im Laufe des Nachmittags fährst.«
»Ich habe mich entschlossen, einen späteren Zug zu nehmen«, antwortete Taryna. »Gestern Abend bin ich nicht zum Packen gekommen.«
»Warst du auf einer Party?« erkundigte sich Kit.
Taryna schüttelte den Kopf.
»Nein, ich habe gearbeitet.«
»Am letzten Abend des Semesters!« rief Kit aus. »Wirklich, Taryna, du denkst auch nur an die Arbeit.«
»Das klingt ziemlich schrecklich«, sagte Taryna entschuldigend.
»Aber weißt du, während der Ferien werde ich wohl kaum Zeit zum Lernen finden.«
»Klingt interessant«, sagte Kit. »Was wirst du machen?«
»Machen?« erkundigte sich Taryna. »Nun, ich werde mir natürlich eine Stellung suchen.«
»Eine Stellung? Was für eine Stellung?«
Kit richtete sich auf und starrte die Freundin an.
Taryna sah nachdenklich aus.
»Ich weiß es wirklich nicht. Während der letzten Ferien war ich Verkäuferin in einem Geschäft. Ich habe ungefähr fünfzig Pfund pro Woche verdient, aber die Arbeit war schrecklich schwer, und eines der Mädchen hat mir gesagt, daß man als Kellnerin schon an Trinkgeld mehr verdient.«
»Aber du wirst diese Arbeit verabscheuen«, sagte Kit. »Kannst du dir vorstellen, gräßlichen Geschäftsreisenden Fleisch und Gemüse zu servieren, die mit ,Hallo, Fräulein' nach dir rufen?«
»Das würde mir nicht sehr viel ausmachen, wenn ich dabei gut verdiente«, antwortete Taryna.
»Ist es so wichtig - das Geld, meine ich?«
Taryna wandte sich ab und blickte durch das Fenster auf den Hof hinunter.
»Ja, es ist sehr wichtig«, sagte Taryna einen Augenblick später; sie sprach langsam, als würden ihr die Worte wider Willen erpreßt. »Mummy und Daddy haben sehr viele Opfer gebracht, um mich studieren zu lassen. Freilich, ich habe ein Stipendium bekommen, aber es ist nicht hoch genug, ich kann damit nicht meinen ganzen Lebensunterhalt bestreiten. Und wenn ich nicht studierte, würde ich ja schon etwas verdienen und sie jede Woche unterstützen können.«
»Aber, Taryna, dein Vater hat doch sicher ein Gehalt!«
»Aber selbstverständlich«, erwiderte Taryna. »Als Pfarrer im East End bei einer Gemeinde, die sehr arm ist und sehr schlecht dotiert ist, bleiben ihm ganze überwältigende dreitausend Pfund im Jahr, wenn er die Miete für das Pfarrhaus zahlt und die verschiedenen anderen Beträge abgezogen hat, die er aufbringen muß.«
Tarynas Stimme war plötzlich voller Bitterkeit, und die impulsive Kit sprang auf und lief auf die Freundin zu.
»Oh, Taryna, es tut mir leid«, sagte sie und legte ihren Arm um Tarynas Schultern. »Ich sollte nicht solche Fragen stellen. Ich bin gedankenlos und verdorben - durch zu viel Geld verdorben. Wenn du mir nur erlaubtest, dir zu helfen!«
»Nun, Kit, ich denke, darüber haben wir uns schon einmal gezankt. Ich habe meinen Stolz, wie du selbst mir gesagt hast.«
Taryna lachte wieder, wandte sich vom Fenster ab und ging zu der Kommode, um mit dem Packen fortzufahren.
»Ich weiß«, sagte Kit nachdenklich, »in Beziehung auf dein Selbstbewußtsein bist du der langweiligste Mensch, den ich kenne; du würdest dir von niemandem ein Essen bezahlen lassen, sondern immer für dich selbst aufkommen, und du huldigst darüber hinaus noch all jenen ermüdenden, altmodischen Sitten, an die man heute nicht einmal mehr denkt.«
»Wir Grazebrooks denken noch daran«, meinte Taryna. »Wir sind alle sehr genau — Vater, Mutter, Donald, Edwina und ich. Wie du zu sagen pflegst, haben wir unseren Stolz.«
Kit stieß plötzlich einen Schrei aus. Er war so schrill und kam so unerwartet, daß Taryna die Freundin erstaunt anstarrte.
»Kit, was ist los? Hat dich etwas gestochen?«
»Nein, ich habe eine Idee«, sagte Kit beinahe atemlos. »Hör zu, Taryna! Oh, hör mir zu! Ich habe eine Stellung für dich.«
»Eine Stellung?« fragte Taryna.
»Ja! Und bitte, Taryna, versprich mir, daß du mich bis zum Ende anhören wirst! Es ist die beste Idee, die ich jemals hatte.«
»Was ist also?« fragte Taryna mißtrauisch.
»Hör zu, ich will ganz am Anfang beginnen«, sagte Kit. »Du weißt, wie schrecklich es bei mir zu Hause ist. Ich habe oft genug mit dir darüber gesprochen.«
»Ja, ich weiß, was du mir erzählt hast«, stimmte Taryna zu. »Aber ich konnte es nie ganz glauben.«
»Nun, ich versichere dir, daß es die Wahrheit ist, die nackte Wahrheit«, antwortete Kit. »Ich hasse meine Stiefmutter, und sie haßt mich. Vater hat immer zu viel zu tun, um sich über mich Sorgen zu machen, und, um ehrlich zu sein, mir graut vor dem Gedanken, nach Hause fahren zu müssen. Ich weiß nicht, was ich bis zum Semesterbeginn im Oktober mit mir anfangen soll. Ich bin nur nach Cambridge gekommen, um meinem Zuhause zu entrinnen.«
»Arme Kit«, lächelte Taryna mitleidig.
»Es hat keinen Sinn, mich zu bemitleiden. Ich muß damit fertig werden, du nicht«, sagte Kit. »Und ich habe eben daran gedacht, warum du mich eigentlich nicht begleiten solltest? Ich habe vor zwei Tagen einen Brief von meiner Stiefmutter bekommen, in dem sie schrieb, daß sie sehr beschäftigt sein werde, und daß es ein guter Gedanke wäre, wenn ich mir eine nette Freundin mitbrächte, die bei uns die Ferien verlebte. Verstehst du?«
»Ich weiß nicht, ob deine Stiefmutter mich nett fände«, sagte Taryna. »Aber wenn das eben eine Einladung war, die Ferien mit dir gemeinsam zu verbringen, dann danke ich dir auch schon, aber ich muß mich nach einer Stellung umsehen.«
»Aber das ist deine Stellung, begreifst du nicht? Ich zahle dir ein Gehalt, wenn du mit mir kommst. Oh bitte, Taryna, sei jetzt nicht langweilig. Ich meine es ernst. Es wird nicht nur eine Stellung für dich, sondern auch die Rettung für mich sein.«
»Sei nicht töricht, Kit! Suche dir eine nette Freundin und lade sie ein.«
»Aber ich habe außer dir keine Freundin, das weißt du.«
»Nun, es muß ja nicht gerade eine Freundin aus Cambridge sein«, sagte Taryna. »Wie ist es mit all den Leuten, die du in London kennst?«
»Das sind die Freunde meiner Stiefmutter, und die meisten dieser Mädchen sind hochnäsige Närrinnen. Ich hasse sie alle. Wenn du die Wahrheit wissen willst, so hab ich das Gefühl, daß sie auf mich herabsehen.«
»Kit, das ist albern!«
»Es ist wahr«, sagte Kit mit plötzlich ausbrechender Leidenschaft. »Glaubst du, ich sei so blöde, nicht zu wissen, was sie von uns denken? Wir sind Neureiche in den Augen dieser Leute. Oh, ich weiß, Vater kann sich alles kaufen, was er will - Häuser, Yachten, Autos, Flugzeuge. Aber Geld verschafft dir keinen Platz in der guten Gesellschaft - nicht in der wirklich guten Gesellschaft. Und wenn meine Stiefmutter schon eine Elefantenhaut hat, ich habe keine. Ich habe gehört, was die Leute sagten, habe wohl bemerkt, wie sie mich ansahen. Ich weiß, was sie empfanden.«
»Oh, Kit, so darfst du nicht reden! Ich bin überzeugt, daß das nicht stimmt. Du bist so hübsch, so fröhlich, du . . . du hast alles.«
»Alles!« schrie Kit. »Das sagst du! Du, die du eine Familie hast, die dich liebt, die sich um dich sorgt, dich gern bei sich hat. Ich hingegen, ich habe nichts anderes als Geld. Geld! Geld! Und das ist, kann ich dir sagen, ein gar kalter Gefährte - zu kalt zum Lieben und zum Küssen.«
»Was willst du eigentlich wirklich von mir?« rief Taryna aus.
»Ich möchte, daß du mit mir nach Hause fährst. Ich zahle dir, was du willst, wenn du nur mitkommst!«
»Aber ich könnte kein Geld von dir nehmen!« rief Taryna.
»Warum nicht?« fragte Kit gespannt. »Du nimmst es von anderen Leuten. Ist mein Geld vergiftet, oder ist sonst etwas damit los, weil du es nicht berühren willst?« 'l
»Oh, Kit, Kit, sprich nicht so mit mir!«
»Entschuldige Taryna, aber Geld hat mich immer daran gehindert, das zu bekommen, was ich mir im Leben wirklich gewünscht habe, und jetzt macht wieder das Geld mir einen Strich durch die Rechnung.«
Plötzlich brach Kit in Tränen aus. Sie liefen ihr über die Wangen und quollen ihr aus den Augen wie ein Strom, der über die Ufer tritt.
»Oh, nicht, nicht!« bat Taryna. »Höre auf zu weinen, Kit! Ich tue alles, was du willst, wenn du nur aufhörst, so schrecklich zu weinen. Ich kann es nicht ertragen.«
Die Tränen hörten auf zu fließen, und mit einer etwas rauhen und zerbrochen klingenden Stimme sagte Kit: »Versprichst du es? Versprichst du, mit mir zu fahren?«
»Ich werde es versuchen ... nein, ich verspreche es«, sagte Taryna, rasch, denn es schien, als wolle Kit wieder anfangen zu schluchzen.
Es war, als käme die Sonne zwischen dunklen Wolken hervor. Beinahe sofort erschien auf Kits roten Lippen ein Lächeln, und obwohl ihre Wimpern noch naß waren, begannen ihre Augen schon zu funkeln. Mit einer energischen Geste putzte sie sich die kleine Stupsnase.
»Du hast es versprochen«, sagte sie triumphierend.
»Ja, ich weiß«, antwortete Taryna reuevoll. »Ich fahre mit dir und bleibe bei dir, aber dein Geld nehme ich nicht an.«
»Du mußt es nehmen!« rief Kit. »Wenn du es nicht nimmst, werde ich es dazu verwenden, dir eine Diamantbrosche oder etwas anderes genauso Unnützes zu kaufen, etwas, mit dem du absolut nichts anfangen kannst.«
»Nun schön«, gab Taryna resigniert nach. »Zahl mir fünfzig Pfund pro Woche, und ich bleibe drei Wochen bei dir. Danach werde ich mich nach einer Stellung umsehen.«
»Ich werde dich nicht lassen«, sagte Kit. »Wenn du erst einmal siehst, was du alles zu tun hast, dann wirst du verstehen, daß du gar nicht gehen kannst.«
»Nun, wir werden sehen«, erwiderte Taryna. »Aber denke daran, daß ich dein Geld nicht wirklich will.«
»Du willst es nicht, aber dein Vater und deine Mutter brauchen es, und auch Donald und Edwina — das kannst du nicht abstreiten.«
»Nein, das kann ich nicht«, sagte Taryna. »Also schön, Kit, du hast gewonnen. Aber ich fürchte, deine Stiefmutter wird nicht gerade erfreut sein, mich zu sehen.«
»Warte einen Augenblick, ich habe eine Idee!«, rief Kit. »Eine wirklich wunderbare Idee! Ich werde meiner Stiefmutter erzählen, daß du jemand von großer Bedeutung bist, jemand, den ich ihrer Ansicht nach kennenlernen sollte, um in die richtigen Kreise zu kommen. Na, Taryna, schau nur nicht so mißbilligend drein, ich kenne Irene, und du kennst sie nicht. Sie ist der größte Snob, der jemals auf Erden wandelte.«
»In diesem Fall wird sie kaum sehr beeindruckt sein, wenn ich mich als Tochter eines um sein tägliches Brot kämpfenden Pfarrers entpuppe«, lächelte Taryna.
»Sie wird nicht erfahren, daß er ein um sein tägliches Brot kämpfender Pfarrer ist, nicht, wenn du es ihr nicht erzählst«, antwortete Kit. »Nach allem ist Grazebrook ein sehr schöner Name.«
Mit einer kleinen, ihr selbst nicht bewußten Bewegung hob Taryna das Kinn. »Es ist eine Familie, die viel zur Geschichte Englands beigetragen hat.«
»Nun, genau das, was wir brauchen«, sagte Kit triumphierend. »Wir werden ihr das erzählen, und wir werden ihr von deiner Großmutter erzählen, von der, deren Namen du trägst. Die Fürstin Taryna ... wie hieß sie doch?«
»Pawtoysky«, erwiderte Taryna. »Aber daran kann sie nichts sehr beeindrucken. Nach der Revolution konntest du zwei Weißrussen für einen Pfennig haben. Meine Großmutter kam nach England und versuchte, sich als Dienstmädchen zu verdingen, und das war sie auch, als mein Großvater sie kennenlernte.«
»Oh, laß diese Leichen doch bitte im Keller«, sagte Kit lachend. »Wir werden Irene erzählen, daß deine Großmutter eine Weißrussin und gute Freundin des Zaren war.«
»Ihr Vater war der Adjutant des Kaisers«, korrigierte Taryna.
»Es wird immer besser«, erkannte Kit an.
»Aber das macht mich noch nicht zu einem Mädchen der oberen Zehntausend«, sagte Taryna.
»O doch, das tut es«, behauptete Kit. »Ich werde ihr erzählen, daß du sehr reich bist, daß deine Familie in Kanada lebt - damit ist sie außer Reichweite, falls Irene den Wunsch haben sollte, sie kennenzulernen - und du bist nach Cambridge gekommen, um ein bißchen die Zeit totzuschlagen, ehe du in den Genuß deiner Dollarmillionen kommst.«
»Oh, wie lächerlich du bist!« Taryna lachte. »Als ob das irgend jemand glauben würde!«
»Warum sollten sie nicht?« sagte Kit. »Und Irene ist entsetzlich dumm.«
»Aber nicht einmal sie kann, sobald sie meine Kleider zu sehen bekommt, so dumm sein zu glauben, ich sei reich«, spottete Taryna.
Kit legte die Finger auf den Mund.
»Daran habe ich überhaupt nicht gedacht! Wie idiotisch von mir! Du hast ganz recht. Irene und dieses hochnäsige Frauenzimmer, ihre Zofe, werden an den Etiketten deiner Kleider herum zu schnüffeln beginnen, sobald du das Haus betreten hast.«
»Na also, da siehst du es«, sagte Taryna.
»Nein, warte! Ich habe eine andere Idee«, sagte Kit. »Ich werde Irene erzählen, daß du dich nach Kanada einschiffen wolltest und dein Gepäck schon vorausgeschickt hättest, und daß ich dich im letzten Augenblick am Zug nach Liverpool erwischt und überredet hätte, mit mir zu kommen.«
»Und inwiefern soll das helfen?« fragte Taryna sarkastisch. »Das Kleid, das ich trage, hat vor drei Jahren genau fünf Pfund zehn Schilling gekostet, nicht einmal deine Stiefmutter könnte glauben, es sei von Hardy Amies.«
»Das Kleid, das du tragen wirst, wird bei Hardy Amies gekauft worden sein, weil ich selbst es dort gekauft habe«, erwiderte Kit.
»Jetzt, Kit...«, begann Taryna, aber Kit unterbrach.
»Begreifst du denn nicht, daß du meine Kleider tragen mußt, wenn deine gerade über den Ozean schwimmen? Wir haben genau dieselbe Größe, und zufällig hab ich einige neue Sachen, die Irene noch nie gesehen hat, und so eine Art Wochenendkoffer mit dem Nötigsten darin, was man eben so für ein oder zwei Nächte braucht. Oh, Taryna! Es ist alles so leicht. Ich habe alles überlegt, und es hat keinen Sinn, Einwände zu machen.«
»Nun, ich habe aber durchaus die Absicht, Einwände zu machen«, rief Taryna laut. »Ich werde deine Stiefmutter nicht betrügen. Ich werde nicht lügen.«
»Bitte, bitte«, bat Kit. »Mir zu Gefallen, nur um mir die Dinge zu erleichtern. Wenn ich heimkomme und sage, ich habe eine Freundin aus Cambridge mitgebracht, werden sie sofort zu fragen beginnen, wer du bist und woher du kommst. Und dann wird Irene an ihrer Nase hinuntergucken und sie rümpfen und dich schrecklich herablassend behandeln. Und sobald sie mich allein zu fassen kriegt, wird sie mir vorhalten, es sei herausgeworfenes Geld, mich hierhergeschickt zu haben, wenn ich nicht imstande sei, mir die richtige Art Freundin zu suchen - die Art, mit der sie und Vater mich gern beisammen sahen.« Kit breitete die Arme aus. »Taryna, bewahre mich davor! Während der letzten Ferien bekam ich so viel darüber zu hören, daß mir davon ganz elend wurde. Ich schwor, nie wieder nach Hause zu fahren. Aber ich weiß nicht, wohin ich sonst gehen könnte.«
Kits blaue Augen füllten sich wieder mit Tränen, und als Taryna nichts sagte, fuhr sie fort: »Als meine Mutter noch lebte, war alles ganz anders. Auch Vater war damals anders - viel zugänglicher, viel freundlicher. Obwohl ich mich vor ihm fürchtete, habe ich ihn geliebt. Nichts war wichtig, solange Mummy nur da war.«
Sie seufzte tief.
»Und dann«, fuhr sie fort, »dann änderte sich alles mit ihrem Tod. Vater arbeitete und arbeitete und wurde reicher und reicher, und ich wurde Tag für Tag alleingelassen, Tag für Tag und Woche für Woche nur der Dienerschaft überlassen. Ich hatte Kindermädchen, Gouvernanten, Hauslehrer, Sportlehrer, aber keiner half mir aus meiner Einsamkeit heraus, und keiner konnte mich vergessen lassen, daß mit dem Tod meiner Mutter mein Leben leer geworden war, weil ich das Einzige, das mir etwas bedeutet hatte, nicht mehr besaß.«
Tränen liefen Kit über die Wangen, doch ohne sie zu beachten, sprach sie weiter: »Das ist bitter, nicht wahr? Du möchtest mit deiner Familie beisammen sein und kannst es dir nicht leisten. Ich kann mir alles kaufen, was man für Geld bekommt, aber ich kann mir meine Mutter nicht zurückkaufen, denn, ganz gleich, wo sie sich befindet, an jenem Ort hat Geld keinen Wert.«
Taryna nahm Kit in die Arme.
»Ich fahre mit dir«, sagte sie tröstend. »Vielleicht ist es albern und selbstsüchtig von mir, Skrupel zu haben. Ich will alles tun, was du willst. Du mußt versuchen, glücklich zu sein, Kit. Deine Mutter würde darunter leiden, wenn sie dich so unglücklich sähe, da es in der Welt doch so viel Glück gibt, wenn man nur versteht, es zu finden.«
Kit umarmte Taryna und trocknete sich dann die Augen.
»Jetzt müssen wir Pläne machen«, sagte sie praktisch.
Ich wollte, ich wäre nicht mitgefahren! hatte Taryna beinahe laut gesagt, als der Wagen von der Straße abbog, durch ein von Pförtnerhäuschen flankiertes Tor fuhr und dann zu dem Haus weiterrollte, das sie in der Ferne sehen konnte.
Kits Bitten hatten sie mit fortgerissen. Jetzt sah sie ein, wie närrisch sie gewesen war, auf diesen wilden Plan einzugehen. Aber es war zu spät. Das Haus war schon in Sicht — ein langes, niedriges, blendend weißes Haus, und viel größer, als Taryna jemals vermutet hatte.
»Ich fürchte mich«, flüsterte sie Kit zu, damit der Chauffeur nicht hören konnte, was sie sagte.
»Unsinn!« antwortete Kit. »Es wird lustig werden.«
Das Haus, Earlywood genannt, war in italienischem Stil erbaut, mit Säulen, Balkons vor den Fenstern des ersten Stockwerks und einem flachen Dach. Gleichzeitig aber war es so riesig, daß es dem Beschauer eher Scheu als Bewunderung einflößte. Weil das Haus weiß angeworfen und die darum herumliegenden Anlagen nur um ihres Effekts willen angelegt worden waren, hatte Taryna das Gefühl, vor einem Plakat und nicht vor etwas Wirklichem zu stehen, man konnte dieses Haus unter keinen Umständen als »Heim« bezeichnen.
Ein livrierter Diener kam die Treppe heruntergeeilt, um die Wagentüren zu öffnen.
»Komm«, sagte Kit ungeduldig.
Sie sprang aus dem Wagen, und Taryna folgte ihr. Dann kam sie in eine große, quadratische Halle, in der alles zu glänzen schien und von der sie einen beinahe erschreckenden Eindruck gewann.
»Ist mein Vater zu Hause, Morris?« hörte sie Kit den Butler fragen.
»Mr. Newbury ist in London, Miss Kit. Madam ist unten beim Schwimmbassin.«
»Hat sie meine Nachricht bekommen, in der ich ihr ausrichten ließ, daß Miss Grazebrook mich begleiten würde?« fragte Kit.
»Ja, Miss Kit. Ich habe ihr die Nachricht selbst gebracht. Sie sagte, wir sollten Miss Grazebrook das Fliederzimmer geben, weil es in der Nähe Ihres Zimmers liegt.«.
»Das ist schon in Ordnung«, sagte Kit. »Komm, Taryna!«
Sie ging Taryna in ein langgestrecktes Zimmer voraus, das die halbe Länge des Hauses einzunehmen schien. Es war wunderschön, wirkte aber eine Spur zu luxuriös, eine Spur zu kostbar. Der Brokat auf den Sofas war zu teuer, die Seide der Vorhänge zu schwer, die Kissen mit so kostbarer Stickerei verziert, daß alles miteinander viel besser in ein Museum gepaßt hätte als in ein Wohnhaus. Die Möbel und Gemälde machten denselben Eindruck.
Kit beobachtete Taryna, während sie ihre neue Umgebung musterte.
»Vater sagt, Antiquitäten sind eine Kapitalanlage«, sagte sie ein wenig später.
Ihre Stimme war von Bitterkeit erfüllt, und Taryna wich ihrem Blick aus. Sie konnte nicht begreifen, daß jemand sein Heim im Hinblick darauf einrichtete, daß die Einrichtung mit der Zeit im Wert stiege.
»Laß uns zum Schwimmbecken hinuntergehen«, sagte Kit nachdenklich, »damit Irene sieht, wie schick du bist. Anschließend werden wir uns etwas Leichtes und Bequemes anziehen. Ich habe oben ein schrecklich hübsches Baumwollkleid, das sie noch nie gesehen hat.«
Taryna umklammerte plötzlich eine Stuhllehne.
»Laß mich gehen, Kit«, bat sie. »Es war nett, hierherzukommen, und es hat Spaß gemacht, das Ganze zu planen, aber jetzt kriege ich kalte Füße. Ich möchte nach Bermondsey ins Pfarrhaus zurück und den abgetretenen Teppich auf der Treppe sehen, möchte die verblaßten Decken, die abblätternde Farbe sehen und wissen, daß ich zu Hause bin. Ich möchte ich selbst sein. Ich komme mir weder reich noch bedeutend vor.«
»Schau dich doch einmal an!« sagte Kit.
Sie legte Taryna den Arm um die Schultern und zog sie vor einen jener langen Queen-Anne-Spiegel, die zwischen den französischen Fenstern eingelassen waren.
Und Taryna betrachtete sich. Sie sah ein feines kleines Gesicht mit zarten Zügen und einem spitzen Kinn. Das war das Bild, das ihr täglich aus dem Spiegel entgegengesehen hatte und soweit in Ordnung, der Rest aber gehörte offensichtlich jemand anderem. Das Kostüm aus rotem federleichtem Tweed - mit einer Bluse, Handschuhen und Handtasche, die im Farbton haargenau zu den Samtknöpfen paßten - verwandelte ihre Gestalt in die einer Frau, die einem Modemagazin entstiegen war.
»Gottes Gnade über uns, das bin ich ja gar nicht mehr!« rief Taryna entgeistert, und Kit lachte.
»Die schöne und reiche Miss Grazebrook!« sagte sie. »Nimmst du wirklich an, jemand könnte das noch bezweifeln, wenn er dich sieht?«
Wenn Taryna ehrlich sein wollte, konnte sie nicht widersprechen.
»Komm mit«, sagte Kit. »Wir müssen Irene gebührend beeindrucken.«
Wortlos, weil sie das Gefühl hatte, nicht länger widersprechen zu dürfen, folgte Taryna ihr hinaus auf die Terrasse, die vor dem Fenster lag. Von da aus führten Stufen in einen Garten, der mit einer unvorstellbaren Blütenpracht prunkte — da gab es Rosen in jeder nur denkbaren Farbe, lange Blumenrabatten leuchteten so bunt, daß es einem den Atem nahm, und der Duft war ebenso berauschend wie der Sonnenschein selbst.
»Ich habe noch nie etwas so Schönes gesehen«, sagte Taryna.
»Vater hat keine Kosten gescheut«, sagte Kit, und wieder klang ihre Stimme hart wie Metall.
Sie gingen über Pfade, die sich zwischen blühenden Hecken dahin schlängelten, durch einen Garten mit geschickt angelegten Wasserspielen und kamen dann endlich zum Schwimmbassin.
Es war das größte und blaueste private Schwimmbecken, das Taryna jemals gesehen hatte. Vor einem Pavillon, der nach Hollywood zu gehören schien, standen Liegen, auf denen man ein Sonnenbad nehmen und sich nach dem Schwimmen trocknen lassen konnte.
Ein Plattenspieler berieselte den Garten mit sanfter Musik. Zwei kühle Drinks vor sich her tragend, kam ein Mann aus dem Pavillon und ging zu der Frau, die auf einer Liege in der Sonne lag; in den Gläsern klirrte das Eis.
»Hallo, Irene!« ließ Kit ihre Stimme vernehmen, und die Frau blickte auf.
Sie war schön, daran gab es keinen Zweifel.
Träge richtete sie sich auf. In ihrem blassen Gesicht waren die Lippen sehr rot; der Nagellack auf ihren Zehen hatte dieselbe Farbe.
»Also bist du wieder da«, sagte sie mit einer Stimme, die ihrer Schönheit merkwürdig widersprach. Es war eine häßliche Stimme, und trotz der affektierten Art, mit der sie die Worte aussprach, klang sie irgendwie unangenehm.
Sie gleicht einer schönen Katze, dachte Taryna plötzlich, während sie Kit auf dem Weg folgte, der um das Schwimmbecken herumführte.
»Ja, hier sind wir«, sagte Kit. »Und das ist meine Freundin Taryna Grazebrook.«
Irene streckte die Hand aus. Trotz des Sonnenscheins waren die Finger kalt.
»Ich bin so froh, daß Sie gekommen sind, um mit Kit die Ferien zu verbringen«, sagte Irene herablassend. »Ich hatte Kits Nachricht erhalten, in der sie mir ausrichten ließ, daß Sie eigentlich nach Kanada zurückkehren wollten, und sie hatte Sie überredet, hierzubleiben.«
»Es ist sehr freundlich von Ihnen, mich einzuladen«, sagte Taryna ein wenig schüchtern.
»Je mehr, desto besser! Das ist das Motto dieses Hauses«, sagte eine Stimme hinter ihnen.
Taryna fuhr zusammen. Sie hatte den Mann vergessen, den sie vor kurzem mit den Drinks in der Hand gesehen hatte. Jetzt sah sie ihn an.
Seine Haut war von einem warmen Goldbraun. Er sah aus, als habe er Stunden und Stunden damit verbracht, in der Sonne zu liegen. Seine Augen waren dunkel mit einem Funkeln dann, sein Mund war sehr fest und sein Kinn eckig.
Er ist hübsch, dachte Taryna instinktiv, und dann erinnerte sie sich an das, was Kit ihr einmal über die eitlen Nichtstuer im Gefolge ihrer Stiefmutter gesagt hatte, und sie wurde von einem Gefühl plötzlichen Mißtrauens überschwemmt, das beinahe Widerwillen war.
»Dein Drink«, sagte Michael Tarrant und stellte das Glas beinahe zeremoniell vor Irene hin. »Wollt ihr Mädchen auch etwas?«
»Natürlich«, erwiderte Kit. »Ich möchte einen wirklich gut gemixten Cocktail, und Taryna auch. Aber zuerst werden wir uns umziehen.«
»Kit hat mir mitgeteilt, Ihr Vater sei ein sehr wichtiger Mann in Kanada«, sagte Irene.
Taryna spürte, daß sie errötete.
»Ich weiß nicht, was Sie mit sehr wichtig bezeichnen«, antwortete sie.
»Aber natürlich ist er sehr bedeutend«, sagte Kit. »Taryna ist so schrecklich bescheiden. Aber wenn ihr nicht gerade alle zuhört, verspreche ich dir, mit Taryna das alte kindische Spiel ,Mein Vater ist reicher als deiner' zu spielen, und dann wird Taryna immer gewinnen. Es ist nicht fair.«
»Du wirst es Walter erzählen müssen, um ihm eins zu versetzen«, sagte Irene affektiert. »Ein kleiner Wettbewerb würde ihm guttun.«
»Aus welchem Teil Kanadas kommen Sie?« fragte Michael Tarrant.
»Es ist Ihnen nicht gestattet, Fragen zu stellen, solange Sie meiner Freundin nicht vorgestellt wurden«, erklärte Kit. »Darf ich bekannt machen - Mr. Tarrant - Taryna Grazebrook. Taryna - Michael.«
»Guten Tag«, sagte Michael mit amüsierter Stimme und reichte ihr die Hand.
Taryna nahm sie. Die Berührung spendete ihr merkwürdigerweise Wärme und Trost. Ohne daß sie etwas dazu tat, fühlte sie ihre Angst ein wenig schwinden. Dennoch begann ihr Herz heftig zu schlagen, als Irene ihr eine weitere Frage stellte.
»Wollten Sie mit der Empress of Britain fahren?«
»Natürlich, in der königlichen Suite«, antwortete Kit statt ihrer. »Deshalb ist ja auch ihr ganzes Gepäck schon in Liverpool. Aber das macht nichts. Sie hat dieselbe Größe wie ich, und wir tauschen oft unsere Kleider.«
»Wenn deine so in Unordnung sind wie gewöhnlich, wenn du aus Cambridge nach Hause kommst, dann tut Miss Grazebrook mir leid«, sagte Irene abfällig.
»Nun, auf alle Fälle gehe ich jetzt, um ihr irgend etwas Kühles auszusuchen«, erwiderte Kit. »Denken Sie daran, die Cocktails für uns vorzubereiten. Wenn wir zurückkommen, werden wir sehr durstig sein.«
»Ich werde es nicht vergessen«, antwortete Michael Tarrant.
Taryna wandte sich rasch ab. Sie hatte das Gefühl, er versuche, nett zu sein, aber sie hatte nicht den Wunsch, auf seine Nettigkeit einzugehen. Und doch war sie sich lebhaft der Tatsache bewußt, daß seine Augen ihr folgten, als sie mit Kit um das Schwimmbecken herum zum Haus zurückging.
Sie kamen zum Haus.
»Komm mit, um dir mein Zimmer anzuschauen«, sagte Kit, »es ist wirklich sehr schön.«
Sie liefen die Treppe hinauf. Kits Schlafzimmer war exquisit. Es war in allen Schattierungen von Rot gehalten mit einem kleinen, mit nilgrünem Satin drapierten Himmelbett.
»Oh, Kit! Laß uns die Wahrheit sagen!« bat Taryna. »Mir gefiel der Ausdruck auf Mr. Tarrants Gesicht nicht, als er mich fragte, aus welchem Teil Kanadas ich käme.«
»Mach dir seinetwegen keine Sorgen«, erwiderte Kit. »Er ist nicht anders als die anderen zahmen Katzen, die Irene sich hält. Da ist Billy; er ist absolut und vollkommen blödsinnig und würde nicht wissen, wo er Kanada auf der Karte suchen sollte, wenn du ihn überraschend fragtest. Eric ist beinahe ebenso übel, ist aber ein bißchen in der Welt herumgekommen, als er bei der Armee war. Und natürlich gelingt es ihm, sich jedes Jahr nach Nassau einladen zu lassen. Irgendjemand zahlt ihm immer die Fahrt.«
»Eigentlich hätte ich nicht geglaubt, daß Mr. Tarrant auch so ist«, sagte Taryna.
»Nenn ihn Michael«, riet ihr Kit. »Ich mache mir nie die Mühe, auch ihre Nachnamen zu behalten. Sie sind ja nur zu Irenes Unterhaltung da und deshalb auch nur zu Vornamen berechtigt - falls du es natürlich nicht vorziehst, sie Darling zu rufen, wie Irene es tut.«
»Bist du nicht ein bißchen unfair?« fragte Taryna. »Deine Stiefmutter scheint ganz nett zu sein.«
»Nett!« Kit lachte ihr kleines, freudloses Lachen. »Du kennst sie noch nicht. Oh, sie wird sehr nett zu dir sein, solange sie glaubt, du seist bedeutend. Ich schickte ihr eine lange, komplizierte Nachricht per Telefon, und Miss Bailey, eine von den Sekretärinnen, hat alles mit stenografiert, und ich weiß, daß Irene alles Wort für Wort zu lesen bekam.«
»Ich wünschte, du hättest es nicht getan«, sagte Taryna.
»Jetzt ist es nicht mehr zu ändern«, sagte Kit triumphierend. »Jetzt laß uns einmal nachsehen, was du anziehen sollst.«
Eine Viertelstunde später kehrten sie zum Schwimmbad zurück. Taryna trug ein Kleid aus korallenroter Tussahseide.
Kit war in Blau. Sie trug ein Kleid, das ihrem blonden Haar viel besser stand, als es das korallenrote jemals vermocht hätte.
Beim Schwimmbassin angekommen, rief Kits junge Stimme über das Wasser: »Hier sind wir! Und wo ist mein Cocktail?«
Ihre Ankunft störte die beiden Menschen, die am Wasser saßen, nur allzu offensichtlich. Michaels Gesicht war dem Irenes sehr nahe gewesen. Es schien Taryna, als zuckten beide erschreckt zusammen, und dann fuhren sie rasch auseinander. Doch beinahe unmittelbar danach sprang Michael Tarrant elastisch auf.
»Sie sind auf dem Eis!« rief er. »Ich habe Ihnen etwas Funkelndes, Verführerisches und Anregendes gemixt.«
»Nach dieser Beschreibung muß es aber wirklich gut sein! « sagte Kit heiter.
»Michael mixt besser Cocktails als sonst jemand, den ich kenne«, sagte Irene, und es gelang ihr, die Bemerkung besitzergreifend und intim klingen zu lassen.
Sie ist in ihn verliebt, dachte Taryna, Kits Stiefmutter beobachtend.
Es bestand kein Zweifel, daß Irene Michael nachsah, wahrend er zum Pavillon ging, und daß ihre Augen auch auf dem Rückweg auf ihm hafteten.
Sie fand sie schön und wußte doch bei näherer Prüfung, daß dieses Wort Irene nicht wirklich gerecht zu werden vermochte. Sie war nämlich nicht wirklich schön, sondern machte lediglich den Eindruck, schön zu sein. Und doch war irgendein gewöhnlicher Zug in ihrem Gesicht, und außerdem fehlte ihm noch etwas.
Es war schwierig zu erkennen, was es war, denn man vergaß alles andere über dem atemberaubenden Eindruck, den sie machte. Alles an ihr war von vollendeter Eleganz.
»Jetzt versuchen Sie einmal das hier.«
Michael stand dicht neben Taryna, und sie blickte zu ihm auf. Sekundenlang trafen sich ihre Augen. Sie hatte den merkwürdigen Eindruck, als suche er etwas in ihrem Gesicht. Sie wußte nicht, was es war, aber sie hatte Angst. Sie schlug die Augen nieder, noch ehe er fort sah.
»Mmm! Das ist gut!« rief Kit. »Was ist es?«
»Passionsfrucht, Gin und eine geheime Ingredienz, die ich nicht verrate«, antwortete Michael. »Ich kann Ihnen nicht sagen, was es ist, weil ich daran denke, es patentieren zu lassen. Ich werde es ,Michaels Kuß' oder etwas ähnlich Widerliches nennen, und die Leute werden sich darum reißen.«
»Es könnte wirklich ein Erfolg werden«, sagte Irene.
»Wenn du es für mich in den Handel bringen würdest, würde es zweifellos die Welt auf den Kopf stellen«, antwortete Michael.
Unter ihren dunklen Wimpern hervor warf sie ihm einen Blick zu, der nur allzu deutlich sagte, daß sie bereit war, alles zu tun, um ihm zu helfen.
Und dann sagte Kit, noch ehe er antworten konnte, mit unnatürlich scharfer Stimme: »Wo ist Vater? Warum ist er nicht zu Hause?«
»Ich nehme an, er ist beschäftigt«, sagte Irene schleppend. »Letzten Endes beansprucht das Geldverdienen doch ziemlich viel Zeit.«
»Es scheint so«, antwortete Kit.
Sie warf Michael einen beinahe giftigen Blick zu, während sie sprach, und stand dann auf.
»Komm, Taryna, ich möchte dir den anderen Teil des Gartens zeigen!«
Sie ging und überließ es Taryna, ihr nachzukommen, wenn sie wollte. Es war offenkundig, daß Kit unhöflich war, aber Taryna entging das kleine, beinahe unmerkliche Schulterzucken Irenes keineswegs; auch die Art und Weise, in der sie die Augenbrauen hochzog, sagte Taryna, daß sie Michael Tarrant zu verstehen geben wollte, daß man sich mit solchen Ungehobeltheiten abfinden müsse, weil sie unvermeidlich seien.
Als sie außer Hörweite waren, fragte Taryna: »Warum hast du das getan?«
»Was getan?« fragte Kit.
»Warum hast du das gesagt? Es klang schrecklich.«
»Das wollte ich«, entgegnete Kit trotzig. »Glaubst du, ich sei so albern, nicht zu sehen, was los ist? Irene ist in Michael verliebt. Sie ist bereit, Vaters Geld hinauszuwerfen, und er ist bereit, es zu nehmen. Das macht mich krank.«
»Ich glaube, du kannst sie einfach nicht leiden«, sagte Taryna. »Du solltest dir nichts daraus machen, Kit. Es verbittert dich. Denk nicht an deine Stiefmutter. Akzeptiere sie einfach als notwendiges Übel und laß dich durch nichts verletzen, was sie sagt oder tut.«
»Aber es verletzt mich, verstehst du denn nicht? Es verletzt mich, und ich kann nichts dagegen tun«, erwiderte Kit, mit dem Fuß aufstampfend.
Taryna legte den Arm um Kit und drückte sie mitleidig an sich.
»Ich bin so froh, daß du mit mir hergekommen bist«, fuhr Kit fort. »Kannst du nicht verstehen, daß alles viel leichter sein wird, weil du hier bist? Wenn ich es allein ertragen muß, wenn ich niemanden habe, mit dem ich reden kann, dann kann ich es kaum aushalten.«
»Aber, du hast deinen . . .«, fing Taryna an, aber Kit unterbrach sie mit einem Schrei.
»Vater!« rief sie und lief quer durch den Garten.
Ein Mann kam die Treppe herunter, die vom Haus in den Garten führte. Er trug einen schwarzen Anzug, als sei er gerade erst aus dem Büro nach Hause gekommen. Er war klein, ziemlich untersetzt und grauhaarig, und Taryna gab es plötzlich einen enttäuschten Stich.
Irgendwie hatte sie sich vorgestellt, Kits Vater müsse ein gutaussehender Mann sein, ein Mann, der ausgezeichnet zu Irene paßte. Dieser Mann war mittleren Alters und häßlich. Doch was wichtiger war, sie hatte, als sie ihm näher kam, das sonderbare Gefühl, ihn nicht zu mögen. Sie konnte sich aber nicht vorstellen, warum.
»Vater, das ist Taryna«, sagte Kit eben.
Eine schwere Hand streckte sich Taryna entgegen.
»Ich bin sehr froh, eine Freundin meiner Tochter begrüßen zu dürfen«, sagte Mr. Newbury.
Irgend etwas in seiner Stimme, ein leichter Akzent, sehr leicht und dennoch nicht zu überhören, sagte Taryna, daß er kein Engländer war.
»Es ist so freundlich von Ihnen, mich einzuladen«, sagte Taryna rasch, versuchte zu lächeln und die unsichtbare Barriere zu übersteigen, die sie und den Mann ihr gegenüber zu trennen schien.
Seine Augen ruhten auf ihrem Gesicht. Sie waren kalt, dunkel und scharf. Sie hatte das Gefühl, er versuche, in ihr Inneres zu blicken, um von ihr mehr kennenzulernen als ihre Oberfläche.
»Kit erzählt uns sehr wenig über Cambridge«, sagte er. »Jetzt werden Sie uns sagen können, wie sie sich macht und was sie in der Welt der Gelehrsamkeit tut.«
»Ich glaube, sie arbeitet sehr tüchtig«, sagte Taryna rasch.
Kit lachte ein wenig schrill auf.
»Glaub ihr nicht! Ich tue nichts dergleichen, aber ich amüsiere mich. Ich bin viel lieber im Girton, als mich in London herumzutreiben, wie Irene es von mir wollte. Ich verabscheue Debütantinnenbälle, und ich hasse die jungen Männer, die daran teilnehmen, sogar noch mehr.«
Mr. Newbury lächelte und sah Taryna an.
»Gerät sie mir nach und liebt die Arbeit?« fragte er. »Oder lauft sie nur aus einer Welt fort, die sie nicht leiden kann und in der sie sich nicht wohl fühlt?«
Er ließ die Frage in der Luft schweben und ging in Richtung zum Schwimmbassin davon.
»Ich will Irene suchen!« rief er über die Schulter zurück.
»Sie ist am Wasser . . . mit Michael«, sagte Kit.
Sie fügte den Namen erst nach einer kleinen Pause hinzu. Ihr Vater sah sie mit einem leichten Lächeln an.
»Das habe ich erwartet«, sagte er und ging weiter.
Taryna sah ihm einen Augenblick lang nach und wandte sich dann Kit zu, die ihm gleichfalls mit den Augen folgte. In ihrem Gesicht war ein Ausdruck erschreckender Leere, ein plötzliches sehnsüchtiges Aufwerfen der Lippen zeigte, daß sie eine Enttäuschung erlebt hatte.