Bloody Business - Bettina Steinbrugger - E-Book

Bloody Business E-Book

Bettina Steinbrugger

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Beschreibung

Die meisten Start-up-Stories handeln entweder von grenzenlosem Erfolg oder aber von spektakulären Pleiten. Vor allem aber handeln die meisten von Männern. Dass es aber auch erfolgreiche, von Frauen gegründete Unternehmen abseits der Klischee-Start-up-Szene gibt, zeigt diese Gründungsgeschichte. Für lange Zeit schien es unmöglich, nachhaltige Periodenprodukte zu finden. Das wollten Bettina Steinbrugger und Annemarie Harant ändern und gründeten 2011 das Social Business »erdbeerwoche«. Seitdem bietet das »erdbeerwoche«-Team die entsprechenden Produkte im eigenen Shop an - und setzt sich für Bewusstseinsbildung rund um Menstruation und Nachhaltigkeit ein.

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Cover for EPUB

BETTINA STEINBRUGGER

BLOODY BUSINESS

DER WEG ZUM NACHHALTIGEN START-UP – TABUBRUCH INBEGRIFFEN

Campus Verlag

Frankfurt/New York

Über das Buch

Die meisten Start-up-Stories handeln entweder von grenzenlosem Erfolg oder aber von spektakulären Pleiten. Vor allem aber handeln die meisten von Männern. Dass es aber auch erfolgreiche, von Frauen gegründete Unternehmen abseits der Klischee-Start-up-Szene gibt, zeigt diese Gründungsgeschichte. Für lange Zeit schien es unmöglich, nachhaltige Periodenprodukte zu finden. Das wollten Bettina Steinbrugger und Annemarie Harant ändern und gründeten 2011 das Social Business »erdbeerwoche«. Seitdem bietet das »erdbeerwoche«-Team die entsprechenden Produkte im eigenen Shop an - und setzt sich für Bewusstseinsbildung rund um Menstruation und Nachhaltigkeit ein.

Vita

Bettina Steinbrugger, geboren 1984, beschäftigte sich schon während des Studiums intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit und co-gründete 2011 die »erdbeerwoche« – das erste Social Business zu nachhaltigen Periodenprodukten. Das Unternehmen gewann viele Preise und ist bis heute erfolgreich. Die Mission ist, das Thema Menstruation positiv zu besetzen und vor allem junge Menschen bei einem selbstbestimmten, gesunden und nachhaltigen Umgang mit dem Zyklus zu unterstützen.

Für Annemarie.

Danke für alles, was du in diese Welt gebracht hast.

Dein Strahlen wirkt weiter.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

INHALT

Impressum

INHALT

VORWORT

PROLOG

ALLEM ANFANG WOHNT EIN (ROTER) ZAUBER INNE

WARUM »ERDBEERWOCHE«?

UNTERNEHMENSGRÜNDUNG ODER: DRUM PRÜFE, WER SICH EWIG BINDET!

DIE LEIDEN DER JUNGEN GRÜNDERIN: VOM EIGENEN WEBSHOP BIS ZUR ERSTEN MITARBEITENDEN

PLÖTZLICH CHEFIN!

ALTE, WEISSE MÄNNER: EIN EWIGES SPANNUNGSFELD

DAS BUSINESS WÄCHST – DIE HERAUSFORDERUNGEN AUCH

DAS GESCHÄFTSMODELL VERÄNDERT SICH – UND WIR UNS AUCH

WIR GEWÖHNEN UNS DARAN, UNTERNEHMERINNEN ZU SEIN

EIN SOCIAL BUSINESS IN DER PANDEMIE

PLÖTZLICH IST ALLES ANDERS

FAZIT

1.

Mach es nicht allein

2.

Bleib hartnäckig

3.

Mach deine Schwächen zu Stärken

4.

Wirf den Perfektionismus über Bord

5.

Finde die Balance

6.

Entscheide dich: »Bloody Business« oder Social Business?

7.

Glaub an dich

DANKSAGUNG

VORWORT

Start-up-Stories gibt es viele. Die meisten handeln allerdings entweder von grenzenlosem Erfolg oder aber von spektakulären Pleiten. Vor allem aber handeln die meisten von Männern. Dass es aber auch erfolgreiche, von Frauen gegründete Unternehmen abseits der gehypten Start-up-Szene gibt, wird dieses Buch zeigen.

Es ist keine Anleitung für die perfekte Gründung, sondern soll eher aus dem Alltag einer Gründerin berichten – mit allen Höhen und Tiefen, die solch ein Schritt mit sich bringt. Ich habe kein Rezept für unendlichen Erfolg im beruflichen oder privaten Leben. Aber ich habe ein paar Learnings aus den letzten zwölf Jahren als Unternehmerin gezogen, die ich gerne teile, weil ich glaube, dass sie anderen nützlich sein können. Vielleicht nützlicher als so manche auf Hochglanz polierte Start-up-Success-Story.

Als ich begann, dieses Buch zu schreiben, saß ich mit meiner Geschäftspartnerin Annemarie in einem Wiener Kaffeehaus und wir sinnierten über den Sinn des Lebens und des Unternehmertums. Nun, da ich die letzten Zeilen schreibe, bin ich allein. Annemarie ist nicht mehr da und wird dieses Buch nie lesen können. Ganz im Gegensatz zu dir.

Dieses Buch ist für alle, die ihren eigenen Weg gehen wollen. Es soll zeigen, dass es sich lohnt, an die eigene Idee zu glauben – ganz egal, wie absurd andere sie vielleicht finden. Hoffentlich findest du die eine oder andere Inspiration oder Anekdote, die dir in deinem beruflichen oder privaten Leben hilft, den nächsten Schritt zu machen. Denn eines ist sicher: Das lohnt sich eigentlich immer.

PROLOG

Es war ein warmer Tag im Mai 2015, als wir den Zug am Wiener Hauptbahnhof bestiegen. In unserem Gepäck befanden sich nur unsere Laptops und Handys – schließlich sollte unser Ausflug nach Graz nur ein paar Stunden dauern. Wir waren auf dem Weg zu einem sogenannten Start-up-Pitch – lange bevor dieser Begriff durch sämtliche Fernsehsendungen und die sozialen Medien geisterte. So ganz wussten wir selbst nicht, was wir da eigentlich tun sollten. Wir hatten uns mit unserem Unternehmen erdbeerwoche mit ein paar Klicks für einen Jungunternehmerwettbewerb angemeldet, ohne uns genau darüber zu informieren, was wir dafür eigentlich leisten mussten. Der ausgeschriebene Gewinn hatte uns einfach angelacht: mehrere Tausend Euro in Form von Mediavolumen, also Gratis-Werbung für unser noch so junges Projekt. Da wir gerade knapp bei Kasse waren, kam dieser Wettbewerb wie gerufen – und kaum, dass wir uns versahen, waren wir als eines von zehn nominierten Start-ups zum großen Finale und Live-Pitch vor 2 000 Menschen geladen. Erstmals sollte unsere Idee einem größeren Publikum vorgestellt werden. Das einzige Problem dabei: Bei unserem »Produkt« handelte es sich nicht um ein hippes, neues Lifestyle-Getränk, sondern um eines der letzten Tabuthemen unserer Zeit: die weibliche Periode.

Wir hatten keine Zeit gehabt, unseren Pitch vorzubereiten, und wussten nur, dass der Kurzvortrag genau drei Minuten dauern sollte, keine Sekunde länger, und dass wir eine PowerPoint-Präsentation verwenden durften. Also saßen wir im Speisewagon des Schnellzugs 350 und grübelten darüber nach, wie wir das, was uns am Herzen lag – die Enttabuisierung der Menstruation und die Verbreitung nachhaltiger Periodenprodukte – in drei Minuten so rüberbringen konnten, dass erstens niemand aus dem Publikum schreiend den Saal verlässt, zweitens möglichst alle anwesenden Frauen sofort unsere Seite googeln und in unserem Onlineshop etwas bestellen und drittens wir diesen verdammten Pitch gewinnen und uns die Gratis-Werbung holen, die wir so dringend benötigten.

Das Erste hielten wir für möglich, Zweiteres für eher unwahrscheinlich und Letzteres für eigentlich undenkbar. Aber egal – meine Geschäftspartnerin Annemarie und ich liebten schon immer Herausforderungen.

In Windeseile stellten wir ein paar PowerPoint-Folien zusammen und übten danach unseren Drei-Minuten-Pitch. »Annemarie, in welchem Ordner liegt das Foto von unserem Model mit dem Tampon in der Hand?«, fragte ich meine Geschäftspartnerin. »Meinst du das mit den roten Blutflecken im Hintergrund oder das, wo ›Deine Regel – dein Planet‹ auf ihrem T-Shirt steht?«, hakte Annemarie nach, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt, über die wir da im Zug sprachen. Eigentlich war es das ja auch, aber dennoch: Wann immer die Worte »Menstruation«, »Tampon« oder »Regelblut« fielen, führte das zu rot anlaufenden Gesichtern und verstörten bis schmerzverzerrten Blicken der anderen Zuggäste – bis hin zum Kellner des Speisewagons, der sich beim Blick auf unseren Laptop gar nicht mehr konzentrieren konnte und stotternd für den Kaffee nur den halben Preis verlangte. Großzügigerweise bezahlten wir ihm trotzdem den vollen Betrag – schließlich waren wir gerade auf dem Weg, uns eine ganze Stange Geld abzuholen. »Stimmt so«, sagte Annemarie mit Gönnerstimme, als sie ihm 4 Euro für den Kaffee, der eigentlich eher den Begriff »Abwaschwasser« verdiente, in die Hand drückte. »Äh, danke – tschüss!« presste der Kellner hervor und verließ fluchtartig unseren Waggon.

In der Grazer Messehalle angekommen, verteilten wir erst einmal unsere Flyer auf allen Toiletten – nur für den Fall, dass wir ohne das Gratis-Werbebudget nach Hause gehen sollten. Schließlich fanden wir die Anmeldung zum Start-up-Pitch und ernteten wie immer, wenn wir unseren Firmennamen nannten, Gekicher und beschämte Blicke.

Waren wir im Zug noch recht ausgelassen, stellte sich langsam Nervosität ein. Gleich sollten wir auf diese Bühne gehen und 2 000 Menschen von der Idee der »erdbeerwoche« überzeugen. Wie würden sie reagieren? Würden sie uns mit Tomaten bewerfen? Oder mit Erdbeeren? Würden sie uns auslachen? Oder einfach nur stumm vor lauter Scham im Boden versinken? Wir wussten es nicht, aber es gab jetzt auch kein Zurück mehr. Der Techniker drückte uns zwei Mikrofone in die Hände und schubste uns unsanft Richtung Bühne: »Na los, ihr seid dran!« Umdrehen und davonlaufen? Kurz scannte ich noch die möglichen Fluchtwege, aber alle führten quer durch die Menge, also blieb nur ein Weg frei: der Weg in die Höhle der Löwen – und das lange, bevor das erfolgreiche, gleichnamige TV-Format ins Leben gerufen wurde.

Ich hörte noch, wie der Moderator unsere Namen nannte und dann verschwand. Plötzlich waren wir allein auf dem riesigen schwarzen Podest. Mein Part war der Auftakt – so hatten wir es bei unserer Schnellschussaktion im Zug festgelegt. Erwartungsvoll sah mich Annemarie an; gleichzeitig sah ich die überdimensionale Uhr, auf der bereits der Drei-Minuten-Countdown lief. Kurze Panik befiel mich: Was, wenn wir mit der Zeit nicht klarkämen oder einen totalen Blackout hätten?

Zum Grübeln blieb jetzt allerdings keine Zeit mehr, also nahm ich all meinen Mut zusammen und legte los: »Hier geht es eigentlich gar nicht um Erdbeeren.« Kurzes, verlegenes Schmunzeln auf manchen Gesichtern im Publikum. »Sondern um etwas viel Wichtigeres. Es geht um jede fünfte Frau in diesem Raum, die – statistisch gesehen – jetzt in diesem Moment ihre Periode hat.« Einige Lacher ertönten, die mich bestärkten, denn das hatten wir beabsichtigt: das Tabu gleich vorneweg mit einem überraschenden Fakt von der Bühne zu treten. Schon wesentlich selbstsicherer redete ich weiter, redete gefühlt um mein Leben. Noch 2 Minuten und 29 Sekunden. Ich bekam eine kurze Verschnaufpause, denn nun übernahm Annemarie das Wort. In dem Moment, als wir mit dem Satz »Es wird Zeit für eine neue Generation der Frauenhygiene!« schlossen, hörten wir den Gong, der das Ende der drei Minuten einläutete. Wir hatten es punktgenau geschafft – Gott sei Dank konnten wir beide schneller sprechen als denken.

Als der Gong verhallt war, herrschte plötzlich Totenstille im gesamten Saal, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Ich merkte, wie wieder die Anfangspanik in mir aufstieg: »Oh je, jetzt bewerfen sie uns wirklich gleich mit Tomaten!« Aber auch mein unerschöpflicher Pragmatismus meldete sich zu Wort: »Glücklicherweise habe ich eine rote Jacke an, da sieht man die Flecken nicht so.«

Unschlüssig, ob wir stehen bleiben oder lieber gleich von der Bühne flüchten sollten, fiel unser Blick auf den Moderator, der uns anerkennend zunickte. Doch keine Tomaten? Und dann gab es plötzlich einen tosenden Applaus. Erleichterung machte sich auf unseren bis dahin noch immer unter Anspannung stehenden Gesichtern breit. Wir haben es hinter uns gebracht und konnten in Ruhe das Ergebnis abwarten.

So ganz verschwand das Adrenalin in meinen Adern aber auch in den folgenden zwei Stunden nicht, in denen die Jury beratschlagte. Auf eine gewisse Weise hatte ich im wahrsten Sinne des Wortes »Blut geleckt«: Mich beschlich das Gefühl, dass dies nicht unser letzter Auftritt vor einem großen Publikum gewesen sein sollte, und dass das hier möglicherweise erst der Anfang von etwas Größerem war.

Mit klopfendem Herzen standen wir also am Bühnenrand, als die drei Gewinner verkündet wurden. Insgeheim hofften wir auf den dritten Platz, denn auch dieser war noch mit einem akzeptablen Trostpreis dotiert. Da fiel der Name des Drittplatzierten, an den ich mich heute nicht mehr erinnern kann. Sehr wohl erinnere ich mich aber an die Enttäuschung, die mich befiel, als ich begriff, dass es nicht unser Name war. Schade, das war’s wohl. Jubelnd lief der Bronze-Gewinner auf die Bühne und kurz darauf der Zweitplatzierte. Schon wollten wir umdrehen und den Saal verlassen, als wir plötzlich jemanden »erdbeerwoche« sagen hörten. Wie bitte? Verwirrt sahen wir uns um und blickten dem Techniker in die Augen, der uns abermals unsanft schubste: »Hey, ihr müsst auf die Bühne – ihr habt gewonnen!«

Wie in Trance stolperten Annemarie und ich die zwei Stufen hinauf und nahmen den Glaspokal entgegen. Da war er nochmal: der tosende Applaus von vorhin. Wir hatten es tatsächlich geschafft – und das nach Jahren der Hochs und Tiefs. Nachdem wir unzählige Hände geschüttelt und den Saal verlassen hatten, riefen wir sofort unsere beiden Lebensgefährten Matthias und Bernhard an: »Ihr glaubt es nicht, aber wir haben gewonnen!« »Was? Was habt ihr gewonnen?« Matthias zeigte sich verwirrt. Er war gerade in einem wichtigen Meeting und hatte schon wieder vergessen, warum wir eigentlich nach Graz gefahren waren. »Na diesen Start-up-Pitch!«, kreischte ich ins Telefon. »Wir kommen heute nicht mehr nach Wien!« Dieser Sieg musste gebührend an Ort und Stelle gefeiert werden. Unsere Männer fackelten nicht lange und setzten sich ins Auto. Pünktlich zur After-Show-Party des Events und noch bevor der erste Sektkorken knallte, standen sie vor uns.

Während wir feierten, dämmerte uns langsam, dass der Ausgang dieses Abenteuers wohl wegweisend für unsere weitere Karriere und für die Zukunft unserer noch so jungen Idee sein würde. Ob es der Einfluss des Alkohols war oder eine Eingebung von oben, weiß ich nicht, aber plötzlich wurde mir so klar wie noch nie, dass nichts mächtiger ist, als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.

ALLEM ANFANG WOHNT EIN (ROTER) ZAUBER INNE

Der Pitch fand knapp vier Jahre nach der Gründung der erdbeerwoche statt und fast genauso lange hatte es gedauert, bis aus einer vagen Idee ein richtiges Unternehmen wurde.

Die mit Abstand häufigste Frage, die wir seit der Gründung der erdbeerwoche gestellt bekommen haben, ist wohl: Wie kommt man dazu, ein Menstruations-Business zu gründen?

Natürlich könnte ich jetzt sagen: »Das wurde mir schon in die Wiege gelegt.« Oder: »Schon in meiner Kindheit träumte ich davon, mein eigenes Unternehmen zu haben.« Aber weder das eine noch das andere stimmt. Aufgewachsen im sonnigen Süden Österreichs fand sich so allerlei im Lehrplan meiner Schule, aber definitiv nicht das Thema Unternehmensgründung oder »Entrepreneurship«, wie es auf Neudeutsch heißt. Vielleicht gibt es andere Schultypen, die praxisorientierter sind, aber außer höchst theoretischen Kurvendiskussionen und philosophischen Exkursen wurde mir recht wenig über die gesellschaftliche und wirtschaftliche Realität mitgegeben. »Das stimmt aber so nicht!«, höre ich da meine Mutter Einspruch erheben, während ich diese Zeilen schreibe, denn als ehemalige Latein- und Philosophielehrerin ist meine Mutter eine große Liebhaberin des Altertums und überzeugt von seiner Relevanz für unsere aktuelle Zeit. Das mag sicher auch seine Berechtigung haben und tatsächlich faszinierten mich als Kind die blutigen Geschichten aus der griechischen und der römischen Mythologie, aber so richtig lebensnah waren sie dann doch nicht.

Apropos Blut: Vielleicht war mir als Frau ein gewisses Faible für Blut doch irgendwie in die Wiege gelegt. Dabei ist die Geschichte meiner ersten Regel eigentlich recht unspektakulär:

Es war ein Freitag – ob es der 13. war, kann ich nicht mehr sagen, aber ich war jedenfalls gerade 13 Jahre alt. Wie jeden Morgen unter der Woche klingelte mich der Wecker unsanft aus dem Bett. Ich torkelte schlaftrunken ins Bad und setzte mich mit halbgeschlossenen Augen auf die Toilette, um meine Blase zu erleichtern. Da fiel mein verschlafener Blick auf meine Unterhose und plötzlich war ich hellwach. Da war er – ganz eindeutig – ein großer roter Blutfleck! Natürlich wusste ich sofort, was los war, denn als jüngste von drei Schwestern war ich schon lange mehr als aufgeklärt und sehnte mich bereits danach, endlich auch zu bluten, so wie meine großen Schwestern. Als ich den Blutfleck in meiner Hose entdeckte, rief ich lauthals: »Mutti, wo bist du? Komm schnell!« Den Gefühlsmix aus Aufregung, Freude, Stolz und auch ein wenig Angst, was nun auf mich zukommen würde, musste ich mit jemandem teilen.

Wir hatten grundsätzlich ein sehr offenes Verhältnis in unserer Familie, Nacktheit galt bei uns als etwas Natürliches, und daher wurden Badezimmertüren auch nur selten abgeschlossen. Auf mein Schreien hin stürzte meine Mutter also ins Badezimmer. Noch bevor sie ganz bei mir war, rief ich ihr schon entgegen: »Ich habe die Regel bekommen!« Daraufhin breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus und sie umarmte mich gratulierend (was sich etwas schwierig gestaltete, da ich ja noch immer mit heruntergelassener Hose auf der Toilette saß).

Nun durfte ich endlich eine Binde aus dem Schrank meiner Schwestern stibitzen. Allerdings bemerkte ich schnell, dass am Bindentragen nichts glamourös war. Tampons waren für mich mit 13 keine Option und Bio-Binden kannte ich zu diesem Zeitpunkt leider noch nicht. Also musste ich mir dieses klebrige, mit Plastik überzogene Riesending in die Unterhose stopfen und fühlte mich in meine Windelkindheit zurückversetzt. Noch dazu setzten bald starke Bauchkrämpfe ein. Das sollte nun also die tolle Regel sein, von der die älteren Mädchen immer hinter vorgehaltener Hand sprachen?

Noch lange begleitete mich die Periode auf eher negative Weise – mit unangenehmen Monatshygieneartikeln und allmonatlichen Schmerzen. Dass sich das Ganze viel später zum Positiven wenden sollte, als ich mit Mitte 20 gemeinsam mit Annemarie die erdbeerwoche gründete, um gesunde, nachhaltige Periodenprodukte für alle Menstruierenden zugänglich zu machen, konnte ich mit 13 natürlich noch nicht ahnen.

Blut war also schon länger Thema in meinem Leben und trotzdem setzte ich mich mit dem Menstruationsthema erst mit Mitte Zwanzig wirklich auseinander. Dabei kamen sowohl Annemarie als auch ich über Umwege zu diesem Thema – nämlich über den Umwelt- und Nachhaltigkeitsbereich.

Nach dem Abi bzw. dem österreichischen Äquivalent – der Matura – hatte ich Französisch und Spanisch studiert – ein klassisch »brotloses« Studium, wie mein Vater immer wieder betonte, den meine Studienzeit das eine oder andere Haar auf dem Kopf kostete. Sprachen hatten mich schon immer fasziniert und auf den Mund gefallen war ich auch nicht. Warum also nicht das studieren, was mir Spaß macht, dachte ich mir – für langweilige Betriebswirtschaft und fade Bürojobs ist später im Leben noch immer genug Zeit. Ein Thema, das sich mir immer wieder aufdrängte, obwohl es eigentlich nichts mit meinem Studium zu tun hatte, war Nachhaltigkeit.

Als Teil einer sehr reiselustigen, fünfköpfigen Familie brachten mich meine Eltern schon früh in die entlegensten Ecken der Welt: Von der Türkei über den Grand Canyon bis Hawaii durfte ich schon als Kind viel kennenlernen und machte trotzdem fast überall die gleiche, traurige Entdeckung: Egal, wie abgelegen der Ort, wie idyllisch der Strand war – irgendjemand war meist schon vor uns da gewesen und hatte etwas zurückgelassen, was nicht nur wir, sondern noch viele Generationen nach uns zu Gesicht bekommen sollten: Plastikmüll. Das stimmte mich immer melancholisch und nachdenklich. Ich fragte mich, ob denn die Eltern dieser Menschen, die da so achtlos ihren Müll wegwarfen, ihnen im Kindesalter nicht beigebracht hatten, dass man so etwas nicht macht, weil es der Umwelt nicht guttut. Jemand musste ihnen das sagen, denn sobald sie wüssten, wie umweltschädlich das ist, würden sie es auch nicht mehr tun – davon war ich jedenfalls als Kind zutiefst überzeugt. Und wann immer jemand vor mir ein Taschentuch, eine Zigarettenpackung oder eine Plastikflasche achtlos wegwarf, machte ich die Person lautstark darauf aufmerksam. Etwas Missionarisches hatte ich also schon in mir, obwohl Religion in unserer Familie nie eine große Rolle spielte. Das sah bei Annemarie, meiner späteren Co-Gründerin der erdbeerwoche, schon anders aus.

Sie wuchs als Tochter einer Religionslehrerin im bayerischen Bad Reichenhall an der Grenze zu Österreich auf und hatte das ethisch Korrekte und die Nachhaltigkeit quasi schon mit der Muttermilch aufgesogen. Die Wohnung, in der sie aufwuchs, glich einer Reformhausfiliale und ihr Lieblingsessen war schon als Zehnjährige nicht Schnitzel mit Pommes, sondern Quinoa mit zuckerfreiem Bio-Ketchup. Verständlich, dass sie als pubertierende Jugendliche dann erstmal gegen das Nachhaltigkeitsregime rebellierte – ausgerechnet zu der Zeit, als sie ihre erste Periode bekam.

Annemarie wollte schon früh erwachsen und eine Frau sein –  und das mit allen Problemen, die Mädchen in den gängigen Frauenzeitschriften der 1990er Jahre suggeriert wurden: Wie du den richtigen BH findest, wie du Jungs um den Finger wickelst oder ob du lieber Tampons oder Binden benutzen solltest. Annemarie war als Jugendliche ein absoluter Frauenzeitschriften-Junkie. Also wartete sie jeden Tag sehnsüchtig darauf, endlich das erhoffte Blut in der Unterhose zu finden, um einen weiteren Schritt in Richtung des ersehnten Status als Frau zu gelangen. Im November 1996 war es dann endlich so weit: Noch etwas verträumt ging sie in der Früh aufs Klo und sah etwas in ihrer Unterhose, das eher aussah wie ein dunkler Johannisbeersirupfleck als flüssiges Blut. Bewaffnet mit Klopapier stürmte sie in die Küche, wo ihre Mutter gerade das Pausenbrot schmierte, und hielt ihr halbpanisch das Stückchen Papier mit Blut unter die Nase. Dann folgte ein Ritt auf dem »Cotton-Pony« – der wahrscheinlich größten Binde, die sie je in ihrem Leben verwendet hatte.

So hatte mir Annemarie später, als wir uns bei unserem ersten richtigen Job nach dem Studium kennenlernten, von ihrer ersten Menstruation erzählt. Weder sie noch ich hatten in der Schule gelernt, was es außer abstrakten Hormonkurven und unaussprechlichen medizinischen Begriffen mit der weiblichen Periode wirklich auf sich hatte, und so hinterließ dieses Thema ein gewisses unbefriedigtes Vakuum bei uns beiden. Obwohl unsere Jugend sehr unterschiedlich war, hatten wir doch auch unsere Gemeinsamkeiten, wie wir später immer öfter feststellen sollten.

Nach meiner Sturm-und-Drang-Zeit, mehreren Auslandsaufenthalten und einigen gebrochenen Männerherzen, die ich an den unterschiedlichsten Ecken dieser Welt zurückließ, nahm ich nach Beendigung meines Studiums meinen ersten richtigen Job an und zog dafür von Graz in das mehr als fünfmal so große Wien. Annemarie war bereits vor mir in die Großstadt gezogen, denn die Liebe hatte sie schon während ihres Studiums nach Wien geführt. Dennoch sollte es noch einige Jahre dauern, bis sich unsere Wege kreuzten.

In der Großstadt (der einzigen in ganz Österreich übrigens) begann ich meine Karriere als Projektleiterin bei einer Unternehmensplattform für nachhaltige Entwicklung. Was genau das bedeutete, konnte ich bei meinem Arbeitsbeginn zwar noch nicht so ganz sagen, aber es hörte sich jedenfalls wahnsinnig wichtig und sinnstiftend an. In meiner Vorstellung half ich den großen Unternehmen des Landes (den »verirrten Schäfchen«) dabei, auf den richtigen, weil nachhaltigen und ökologischen Weg zu kommen. In der Praxis sah es dann allerdings etwas anders aus. Ich durfte einen Nachhaltigkeitspreis für Unternehmen organisieren, den dann aber Firmen wie ein großer Öl- und Gaskonzern gewannen, weil er seinen Mitarbeitenden einen Obstkorb und kostenlose Yogakurse ermöglichte. Hart am Boden der »echten« Arbeitswelt angekommen, dachte ich mir, dass es das ja wohl nicht sein könne.

In genau diesem Job lernte ich dann Annemarie kennen, die ebenfalls »frisch gefangen« von der Uni mit ihren idealisierten Welt- und Wirtschaftsvorstellungen in die Nachhaltigkeitsbranche kam. Immerhin hatte sie nicht nur ein »brotloses« Studium wie ich absolviert (das hatte sie zwar auch – nämlich Internationale Entwicklung), aber sie hatte nebenbei auch Betriebswirtschaftslehre studiert, was uns in der späteren Unternehmensgründungsphase aber leider auch nicht viel helfen sollte.

Ich saß gerade an meinem Schreibtisch im Büro der Nachhaltigkeitsorganisation, für die ich nun schon fast ein Jahr arbeitete, als Annemarie ihren ersten Arbeitstag begann. Schon von Weitem hörte ich ihre schweren Schritte auf dem Flur und rechnete mit dem Eintreten eines Sumoringers. Umso erstaunter war ich dann, als ich diese schlanke, junge Frau sah, die mit einer derartigen Entschlossenheit über das Parkett schritt. »Hallooooo, ich bin die Annemarie!«, rief sie fröhlich und streckte mir ihre Hand entgegen. Die typisch deutsche Betonung des »Hallos« auf der letzten Silbe war ihr selbst nach mehreren Jahren in Wien geblieben, aber die typisch österreichische Angewohnheit, vor Personennamen immer einen Artikel zu stellen, hatte sie bereits übernommen. Ich schüttelte ihre schmale Hand und wusste sofort: Mit Annemarie würde die Zusammenarbeit ein Riesenspaß werden.

Wir waren knapp zwei Jahre lang Arbeitskolleginnen und bald auch Freundinnen geworden, als Annemarie in die Nachhaltigkeitsberatung wechselte. Trotzdem blieben wir in Kontakt, da uns gerade das Nachhaltigkeitsthema verband.

Eigentlich mehr zufällig stießen wir eines Tages auf die Meldung eines Bio-Tamponherstellers, der über die Problematik konventioneller Tampons und Binden aufklärte. Dass diese Meldung unser Leben verändern und uns zu Unternehmerinnen machen würde, hätten wir zum damaligen Zeitpunkt noch nicht gedacht. Es handelte sich um eine ganz harmlose Pressemeldung, auf die Annemarie bei ihren zahllosen Recherchen über nachhaltige Produkte im Internet gestoßen war. Eine britische Firma, die sogenannte »Bio-Tampons« herstellte, warnte darin auf recht reißerische Art und Weise vor herkömmlichen Tampons und Binden: Anstelle von biologischen Materialien würde in diesen böser Zellstoff verarbeitet, für welchen auf teils illegale Weise ganze Wälder gerodet würden. Dabei schockierte uns nicht nur die Tatsache, dass Tampons eigentlich aus Bäumen bestanden (Wer hätte das gedacht?), sondern vor allem auch, dass bei der Tamponherstellung jede Menge Chemikalien zum Einsatz kommen. Allmonatlich zu menstruieren, hätte somit nicht nur negative Auswirkungen auf die Umwelt, sondern möglicherweise sogar auf die Gesundheit von uns Frauen. Im ersten Moment hielten wir diese Pressemitteilung für reine Panikmache und konnten beziehungsweise wollten nicht glauben, was wir da lasen. Trotzdem ließ uns das Ganze nicht los und so begannen wir, nachzuforschen.

Tatsächlich bewahrheitete sich die eine oder andere Behauptung, aber mehr dazu später. Als nächtelange Recherchen noch dazu ergaben, dass es vom Bio-Apfel bis zum Bio-T-Shirt schon in fast jedem Bereich mehrere nachhaltige Alternativen gab, außer im Bereich der Menstruation, war uns schnell klar: Irgendjemand muss diese Nische füllen. Für mich kam diese Idee wie gerufen, denn ich hatte schon zu Beginn meines Studiums davon geträumt, mich irgendwann selbstständig zu machen. Mir gefiel die Vorstellung, meine eigene Chefin zu sein und meine Visionen umzusetzen. Dieses »irgendwann« lag für mich allerdings nicht in der nahen Zukunft.

Dennoch hatte ich zu diesem Zeitpunkt als Projektleiterin bei dem Corporate-Sustainability-Verein, bei dem ich noch immer angestellt war, gerade ein Motivationstief und lechzte nach einer neuen Herausforderung. Insofern entfachte der Gedanke, ein neues Thema anzugehen, in mir ein gewisses Feuer. Gleichzeitig beschäftigte sowohl Annemarie als auch mich die Frage, wie es denn sein kann, dass wir beide uns bis zu diesem Zeitpunkt (wir schrieben das Jahr 2010) noch nie Gedanken über die ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen von Menstruationsprodukten gemacht hatten.

Wir würden uns beide als klassische »Öko-Tanten« bezeichnen, die bei ihrem täglichen Einkauf recht penibel darauf achteten, was im Einkaufskorb landet und dass dies möglichst nachhaltig war. Ich erinnere mich an eine Situation im Supermarkt, als ich eine geschlagene halbe Stunde vor dem Kühlregal stand und mich einfach nicht für eine Butter entscheiden konnte, weil ich nicht wusste, ob die irische Bio-Butter nachhaltiger war als die heimische konventionelle oder als die pflanzliche Margarine, die jedoch Öle aus Übersee enthielt, oder … Irgendwann wurde mir kalt und ich dachte mir: »Wenn ich mich jetzt hier im Supermarkt erkälte, ist auch niemandem geholfen.« Unfähig, mich zu entscheiden, kaufte ich am Ende gar keine Butter und aß am nächsten Morgen etwas missmutig mein trockenes Frühstücksbrot.

Genau solche Gedanken waren mir allerdings vor dem Regal mit der Damenhygiene (auf diesen Begriff komme ich später noch zu sprechen) noch nie gekommen. Noch nie hatte ich mich bis zu dem damaligen Zeitpunkt gefragt, woher die Rohstoffe für diese Produkte kommen, wie ein Tampon oder eine Binde hergestellt wird und welche (möglicherweise bedenklichen) Stoffe diesen Produkten noch zugesetzt werden. Wie kam es also, dass wir zwei Öko-Tanten noch nie über dieses Thema nachgedacht hatten?

Auch nach Annemaries Jobwechsel riss unser Kontakt wie gesagt nicht ab – ganz im Gegenteil. Durch Zufall stellten wir fest, dass eine ehemalige Studienkollegin von Annemarie meine beste Freundin war, und so verbrachten wir immer wieder mal einen lustigen Abend miteinander. Während vieler nächtlicher und teils feucht-fröhlicher Gespräche mit Freundinnen und Bekannten stellten wir schnell fest, dass nicht nur wir noch nie über die Problematik konventioneller Periodenprodukte nachgedacht hatten. Eigentlich hatte niemand wirklich darüber nachgedacht. Viel spannender waren allerdings die Reaktionen, die wir hervorriefen, indem wir dieses Thema zur Sprache brachten. Vielen trieb es die Schamesröte ins Gesicht, manche begannen zu stottern, andere verweigerten schlicht das Gespräch und wechselten unvermittelt das Thema.

Bei der großen Mehrheit hatten wir allerdings ins Schwarze (oder besser: ins Rote) getroffen: Sie waren oft gar nicht mehr zu bremsen mit ihren Fragen und Kommentaren zu diesem Thema und wir merkten, dass wir hier etwas angestoßen hatten, was offensichtlich vielen Frauen unter den Nägeln brannte, aber nur die wenigsten wagten, es anzusprechen. Aus vielen Gesprächen formte sich eine noch vage Idee: Was wäre, wenn wir diese Lücke schließen könnten und ein Unternehmen für nachhaltige Periodenprodukte gründen würden?

Eines Abends saßen wir mit ein paar Freundinnen, die als Versuchskaninchen herhalten mussten, bei Annemarie im Wohnzimmer und erzählten ihnen von unserem Vorhaben. Während die einen noch eher verhalten und peinlich berührt schwiegen, platzte Karin1 regelrecht heraus: »Also mich juckt es wirklich jeden Monat kurz nach meiner Periode zwischen meinen Beinen. Mein Frauenarzt verschreibt mir jedes Mal eine Pilzcreme, aber irgendwie nutzt die nichts. Ich habe mir ja schon gedacht, dass das mit den Tampons zusammenhängen könnte, habe mich aber noch nie getraut, das anzusprechen.« Jetzt waren wir es, die peinlich berührt schwiegen. Mit so viel Offenheit hatten wir nicht gerechnet, merkten aber, dass wir mit unserem Zugang zum Thema bei einigen Frauen offene Türen einrannten. Noch oft sollten wir solche und ähnliche Erfahrungen hören.

Das motivierte uns, weiterzumachen und weiter zu bohren. Als Annemarie und ich mal wieder spätnachts mit unseren Laptops an meinem Küchentisch saßen und uns gedankenverloren durch die Tiefen des Internets klickten, fragte ich: »Wie kann es eigentlich sein, dass dieses Thema aus der öffentlichen Debatte völlig ausgeklammert zu sein scheint? Man findet praktisch keine Berichte oder Artikel dazu! Warum zum Teufel gibt es Hunderte Frauenzeitschriften, die sich lang und breit über das perfekte Rot eines Lippenstiftes auslassen können, aber niemand hinterfragt, was es mit den Produkten, die wir Frauen an der empfindlichsten Stelle unseres Körpers (oder sogar im Körper!) tragen, so auf sich hat?« Ich hatte mich so richtig in Rage geredet. Annemarie nickte zustimmend und tippte gleich noch wilder auf ihren Laptop ein, der nichts dafür konnte. Ohne es auszusprechen, war uns klar: Wir hatten hier eine Lücke entdeckt – eine Lücke, die es zu füllen galt.

Das war der Startpunkt für die Gründung der erdbeerwoche, die allerdings zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erdbeerwoche hieß.

Im Nachhinein ist es schwer zu sagen, wann dieser »eine Moment« da war, als mir klar wurde, dass aus der Beschäftigung mit diesem Thema mehr werden sollte als ein Zeitvertreib. Eigentlich war uns das auch die meiste Zeit, als wir uns bereits fieberhaft mit der Recherche nach ökologischen Periodenprodukten sowie nach einem passenden Firmennamen beschäftigten, nicht bewusst. Viel zu groß war zu Beginn unsere Angst, dass das, was uns nächtelang beschäftigte, vielleicht nur ein dummes Hirngespinst von uns beiden war. Dass andere uns dafür auslachen würden, dass wir unsere Zeit mit einem so vermeintlich lächerlichen Thema vergeuden und dass am Ende nichts daraus entstehen würde.

Diese Angst, zu versagen, beziehungsweise das Ganze letztlich nicht umzusetzen, brachte uns dazu, die Sache nach außen hin stets herunterzuspielen. Wenn uns andere fragten, was wir da taten, sagten wir oft: »Ach, das ist nur so ein Hobby.« Lange glaubten wir auch selbst, dass es sich dabei nur um ein Hobby handelte, das es definitiv nicht wert war, zu einer Vollzeitbeschäftigung ausgebaut zu werden, weil es mit Sicherheit niemals genug Geld einbringen würde, um uns beide zu ernähren. Also behielten wir in den Anfangsjahren unsere »Brotjobs« und trieben die erdbeerwoche zwar mit ganzem Herzen, aber nur mit halbem Zeit- und Energieeinsatz voran.

Es dauerte fast ein Jahr, bis ich meinem damaligen Chef von unserer Idee erzählte. Schon seit Längerem hatte ich ein schlechtes Gewissen, dass ich mich nach meiner »normalen« Arbeit noch einer anderen Arbeit hingab, die mir zwar kein Geld einbrachte, aber mich doch geistig und körperlich sehr forderte (vor allem in Bezug auf die immer kürzer werdenden Nächte). Also beschloss ich eines Tages, meinem Chef davon zu erzählen, bevor er es womöglich von jemand anderem erfuhr. Wir hatten ein sehr gutes und freundschaftliches Verhältnis, weshalb es mir umso wichtiger war, ihn in unsere Idee einzuweihen. Gleichzeitig fürchtete ich mich aber auch ein bisschen vor seiner Reaktion: Würde er bei dem Wort »Bio-Tampon« in schallendes Lachen ausbrechen? Bisher hatten wir kaum mit Männern über unsere Idee gesprochen – wenn man mal von unseren Lebensgefährten Bernhard und Matthias absah, die sich natürlich tagtäglich unsere Predigten über das Menstruationstabu und das Fehlen nachhaltiger Periodenprodukte anhören mussten.

An diesem besagten Tag schickte ich meinem Chef Roman also eine Gesprächsanfrage per E-Mail mit der Bitte, dass wir uns nicht in unserem Großraumbüro, sondern in einem Café zusammensetzen würden. Roman stimmte sofort zu, hatte er doch bei solchen Gesprächsanfragen sofort eine potenzielle Kündigung im Hinterkopf. Wir setzten uns also in ein traditionelles Kaffeehaus mitten in der Wiener Innenstadt. Durch das Fenster sahen wir die Fiaker vorbeikutschieren und Touristen Fotos machen. Nach einem kurzen Small Talk kam ich zur Sache: »Du, Roman, ich wollte etwas Spezielles mit dir besprechen. Annemarie und ich haben da so eine Idee, die wir nun schon seit einiger Zeit verfolgen. Wir haben festgestellt, dass es für Frauen kaum nachhaltige Alternativen für Produkte gibt, die sie jeden Monat brauchen.« Roman sah mich fragend an. Noch klingelte nichts bei ihm. Also fuhr ich fort und erklärte ihm die gesamte Problematik konventioneller Monatshygiene.

Als ich gerade so richtig in Fahrt war, unterbrach er mich und fragte: »Das klingt ja äußerst interessant, Bettina, aber was heißt das jetzt? Möchtest du kündigen?« Darüber hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht nachgedacht. Ich mochte meinen Job in der Nachhaltigkeitsbranche, aber meine neue Idee mochte ich auch. Bis jetzt hatte sich beides eigentlich ganz gut vereinbaren lassen. »Äh, nein eigentlich nicht!«, stammelte ich. »Ich wollte nur wissen, was du davon hältst und ob es für dich in Ordnung ist, wenn ich meine Idee neben der Arbeit weiterverfolge.« Ich merkte, wie Roman sichtlich aufatmete. »Na klar!«, sagte er schmunzelnd. »Klingt ja nach einer spannenden Sache, auch wenn ich wohl nicht direkt zur Zielgruppe gehöre und somit nicht direkt von eurem Projekt profitieren kann.«

Im Nachhinein betrachtet waren Annemarie und ich wohl zu risikoscheu und blieben deshalb noch für einige Jahre in unseren sicheren Jobs. Teilweise verunsicherten wir uns auch gegenseitig. Wenn eine den Gedanken aufbrachte, dass wir es doch auch wagen könnten, uns völlig selbstständig zu machen, brachte die andere sofort Gegenargumente ein. Das führte letztendlich dazu, dass wir zwar die Stunden in unseren Angestellten-Jobs reduzierten, aber trotzdem meist Wochen mit 60 Arbeitsstunden und mehr hatten. Wenn wir um 17 Uhr aus dem Büro gingen, war unser Arbeitstag nämlich noch lange nicht vorbei, denn dann trafen wir uns erst entweder im Kaffeehaus oder bei einer von uns zu Hause, um uns mit dem Thema Menstruation und nachhaltige Monatshygiene zu beschäftigen.

Die Anfänge waren von jeder Menge Selbstzweifel geprägt: Kann ich überhaupt ein Unternehmen führen? Kann ich mit der damit verbundenen Verantwortung umgehen und bin ich der Herausforderung gewachsen? Was, wenn ich nicht so viel verdiene wie in meinem aktuellen Angestelltenjob?

Diese und andere Fragen geisterten uns immer wieder durch den Kopf. Ob wir anders gedacht und gehandelt hätten, wenn wir Männer wären? Das ist schwer zu sagen. Man hört ja immer wieder davon, dass Männer risikofreudiger seien, schneller alles auf eine Karte setzten und sowieso immer von sich selbst überzeugt seien.

Obwohl sich unsere Mütter sicherlich bemüht haben, selbstbewusste und selbstbestimmte Frauen aus uns zu machen, hatten sie uns unbewusst etwas anderes vorgelebt. Beide waren Teilzeitlehrerinnen – wohl einer der sichersten und vor allem familienfreundlichsten Berufe, die es gibt. Auch wenn in mir mit dem Erwachsenwerden langsam der Wunsch größer wurde, etwas Eigenes zu schaffen (was auch immer das sein könnte), hatte ich mir lange nicht zugetraut, ein »richtiges« Unternehmen zu gründen.

Vielleicht waren es aber auch genau diese Selbstzweifel, die uns in den Anfängen dazu brachten, alles kritisch zu hinterfragen und von vielen Seiten zu beleuchten, und die uns letztendlich vor manchem Fehltritt bewahrten. In jedem Fall ist der Grat zwischen Selbstzweifel, Selbstbewusstsein und Selbstüberschätzung ein äußerst schmaler und die Balance dazwischen zu finden, war eine Aufgabe, der wir uns laufend stellen mussten.

Lange schwankten wir also gedanklich zwischen »Jetzt wagen wir es – wir kündigen unsere Jobs und machen uns selbstständig!« und »Lieber nicht – was, wenn es nicht funktioniert, unser Umfeld nicht mitspielt, wir Geld verlieren, keinen anderen Job mehr finden, dabei ausbrennen, uns zerstreiten …?«. Die Contra-Liste erschien uns nahezu endlos und dennoch war bei uns beiden ein innerer Antrieb vorhanden, der uns mit der erdbeerwoche weitermachen ließ. Gleichzeitig waren wir aber unfähig, einen Schlussstrich unter unser Angestelltendasein zu ziehen, und so waren wir gefangen in unseren zwei Jobs, die uns permanent an den Rand unserer Belastbarkeit und manchmal auch darüber hinaus brachten.

WARUM »ERDBEERWOCHE«?

Wir schrieben das Jahr 2011. Annemarie und ich waren noch immer sehr mit unseren Brotjobs im Nachhaltigkeitsbereich beschäftigt, aber unsere Freizeit verbrachten wir immer öfter gemeinsam vor unseren privaten Laptops, um Ordner für Ordner mit Fakten, Studienergebnissen und Presseartikeln aus der ganzen Welt rund um das Thema nachhaltige Monatshygiene zu füllen.

Wir lernten immer neue spannende Dinge wie etwa, dass 90 Prozent der konventionellen Tampons und Binden aus einem Zellstoff-Plastik-Gemisch bestehen. Dabei vermittelte mir die Werbung doch seit Jahrzehnten, dass ich meinen Intimbereich einmal im Monat in flauschig-weiche Baumwolle bette – teilweise sogar noch mit edler Seide überzogen (der sogenannte »silky touch«!). Und das sollen alles nur Marketing-Gags sein? Zu Beginn wollten wir es auch nicht glauben, aber schnell wurde uns klar: Die Tamponindustrie führt uns Frauen seit Jahrzehnten hinters Licht. Anstatt mit »weicher Seide« kommt die Durchschnittsvagina nämlich mit jeder Menge Kunststoff in Berührung – der wird benötigt, damit der darunterliegende Zellstoff nicht auseinanderfällt. Und ob wir es nun wahrhaben wollen oder nicht: Aufgrund genau dieser Plastikbestandteile benötigt ein herkömmlicher Tampon mehrere Hundert Jahre, um zu verrotten.

»Wie kann es sein, dass wir Menstruierenden so gar nicht darüber Bescheid wissen, was wir an oder in unserer Vagina tragen?«, fragte mich Annemarie wutentbrannt, als wir wieder einmal spätabends über unseren Rechnern brüteten. Die Antwort fand sie selbst recht schnell. »Sieh mal, Bettina, das ist interessant. Es gibt in der EU eine Gesetzeslücke, die bis heute existiert: Im Gegensatz zu vielen anderen Produkten wie Lebensmitteln, Kosmetik, Kleidung et cetera müssen die Materialien und Inhaltsstoffe, aus denen Monatshygieneprodukte bestehen, nicht auf der Verpackung ausgewiesen werden. Das hat folgenden Grund: Im Gegensatz zu den USA zählen Menstruationsprodukte in der EU nicht zu Gütern des medizinischen Bedarfs, sondern fallen unter die sogenannte Gebrauchsgüterrichtlinie. Das bedeutet, dass für Tampons und Binden die gleichen Vorgaben, aber auch die gleichen Schadstoffgrenzen gelten wie für Taschentücher, Möbel und Sportgeräte.« Nach dieser Offenbarung machte Annemarie eine kurze Kunstpause, in der ich nach Luft schnappte. Entrüstet warf ich ein: »Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass es sehr wohl einen Unterschied macht, ob ich mich für zwei Sekunden in ein Taschentuch schnäuze oder aber ein Produkt wie ein Tampon für mehrere Tage in meinem Körper direkt an meinen Vaginalschleimhäuten trage.« Scheinbar waren wir die Ersten, die sich über diese Gesetzeslücke so richtig echauffierten, denn im Internet konnten wir kaum bis gar keine Berichte zu dieser Thematik finden.