Bloody Ice - Nina Krumschmidt - E-Book

Bloody Ice E-Book

Nina Krumschmidt

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Beschreibung

Seitdem die Finsternis die Sonne verdunkelt und Kälte das Land mit Eis überzogen hat, herrscht ewige Nacht und mit ihr die Eiskönigin, die mit eiserner Hand regiert. Doch die Finsternis durchdringt nicht alle Ecken. Tief im Zentrum des Schneevolkes regt sich eine kleine Flamme der Hoffnung. Nach dem Mord an der Eiskönigin droht das Reich des Schneevolkes in Chaos zu versinken. Chromar, der Stiefsohn der Eiskönigin, wird des Mordes beschuldigt und findet sich in einem Spiel aus Intrigen und Verrat wieder, dass nicht nur das Schicksal des Schneevolkes, sondern gleich die ganze Welt für immer verändern wird. Ist der Sohn des Eises der langersehnte Lichtbringer, der das Eis blutrot färben wird? Begleite Chromar auf seiner fantastischen Reise durch eine eisige Fantasy-Welt!

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Nina Krumschmidt

Harald Müller

Bloody Ice

Im Bann der Eiselfen

Bloody Ice

Im Bann der Eiselfen

Nina Krumschmidt

Harald Müller

Impressum

Texte:© Copyright by Harald Müller und Nina

Krumschmidt

Umschlag:© Copyright by Harald Müller und Nina

Krumschmidt

Verlag:Harald Müller und Nina Krumschmidt

[email protected]

ISBN:9783752602685

Seitdem die Finsternis die Sonne verdunkelt und Kälte das Land mit Eis überzogen hat, herrscht ewige Nacht und mit ihr die Eiskönigin, die mit eiserner Hand regiert.

Doch die Finsternis durchdringt nicht alle Ecken. Tief im Zentrum des Schneevolkes regt sich eine kleine Flamme der Hoffnung. Nach dem Mord an der Eiskönigin droht das Reich des Schneevolkes in Chaos zu versinken. Chromar, der Stiefsohn der Eiskönigin, wird des Mordes beschuldigt und findet sich in einem Spiel aus Intrigen und Verrat wieder, dass nicht nur das Schicksal des Schneevolkes, sondern gleich die ganze Welt für immer verändern wird. Ist der Sohn des Eises der langersehnte Lichtbringer, der das Eis blutrot färben wird?

Begleite Chromar auf seiner fantastischen Reise durch eine eisige Fantasy-Welt!

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Epilog

Glossar

Kreaturen

Personen

Die Eisbären-Reiter(oder Das Attentat)

Der Kristall

Über die Autoren

Prolog

Wenn du lange in einen Abgrund blickst,

blickt der Abgrund auch in dich hinein.

(Friedrich Wilhelm Nietzsche, 1844-1900, dt. Philosoph)

„Wisse, Prinz des Eises, dass zwischen den Jahren, als die Sonne noch schien, ein unbekanntes Zeitalter existierte, in dem auf der Welt prachtvolle Königreiche wie kostbare Tücher unter den Sternen ausgebreitet lagen. Dann kam die große Finsternis und verdunkelte die Sonne. Wie eine Sintflut brach die Kälte über die Welt herein und überzog das Land mit Eis und Schnee. Seitdem herrschen Eis und ewige Dunkelheit - und unser Volk.“

(Aus den Annalen des Schneevolkes)

Die Dunkelheit und Stille, die dem Morgengrauen voran gingen, hüllten den Eisturm wie ein unsichtbarer Mantel aus Unheil ein. Das Schicksal der Welt sollte sich an diesem Ort, in der südlichen Turmstadt Bailong, entscheiden. An der Außenseite des gigantischen Turms traten vier vermummte Gestalten aus einem geheimen Gang heraus und liefen hastig, ohne sich umzusehen, weiter zur Turmspitze hinauf. Die Vermummten sprachen nicht miteinander. Jeder wusste, was er zu tun hatte. Sie durften nicht versagen. Eng in ihre Umhänge gehüllt, hasteten sie die Wendeltreppe hinauf und verschwanden in einem weiteren Gang, der direkt zur Turmspitze führte. Sie waren lautlose Schatten, die mit den Schatten an der Wand verschmolzen.

Unter ihnen in der Tür war flüchtig ein weißes Gesicht im Schatten zu sehen, in dem ein Augenpaar boshaft funkelte. „Zieht in die Nacht, meine Sonnenkrieger!“, lachte die Stimme höhnisch. „Tötet die Eiskönigin!“

Die Gestalt wandte sich ab, schloss die Tür zum Außengang und verschwand. Sie selbst würde sich die Hände nicht schmutzig machen. Das überließ sie lieber anderen.Kalter Wind blies an den Eiswänden des Turms entlang. Die Gestalten traten aus dem Geheimgang ins Innere des Turms. Sie wollten zur Turmspitze, direkt ins Herz des Eisvolkes. Am höchsten Punkt auf der Turmspitze residierte die Aisu Joo, die Eiskönigin, die mit eiserner Hand über den Turm herrschte. Jetzt gerade schlief die Eiskönigin völlig arglos, ohne zu wissen, dass es wahrscheinlich ihr letzter Schlaf sein würde – ein ewiger Schlaf, aus dem es kein Erwachen mehr gab.

Die vier Meuchelmörder hatten bis jetzt leichtes Spiel gehabt. Sie fühlten sich wie Mäuse, die ausgezogen waren, um die Katze zu töten. Die Wächter der schwarzen Garde waren nicht auf ihren Posten, genau wie es ihr Meister vorausgesagt hatte. Alles lief nach Plan. Die Eiskönigin musste noch heute Nacht sterben, bevor der Tag anbrach. Es gab keine andere Möglichkeit. Die andauernde Finsternis musste enden. Um den Turm herum herrschte ewige Nacht. Die einzige Lichtquelle war die Turmspitze, die wie ein Leuchtfeuer eines Leuchtturms die Dunkelheit verdrängte. Insgesamt gab es vier Eistürme mit riesigen Kristallen, die das Licht der Sterne einschlossen und gefangen hielten. Wenn man aus dem Turm sah, konnte man die Lichtpunkte der anderen Türme vage als Schemen in der Dunkelheit erkennen. Die Türme waren die einzige Zuflucht in dieser grausamen Welt, über die die Eiselfen herrschten. Die Eiselfen waren die Gebieter der Türme und unterdrückten die anderen Völker. Wer sich vor der Kälte und den Dämonen im Eis schützen wollte, musste sich dem Willen der Eiselfen beugen. Denn um die Türme herum herrschten nicht nur Kälte und ewige Nacht, sondern auch magische Schneestürme, die einem das Leben rauben konnte. Wenn man in einen solchen Sturm geriet, erfror man einfach, wenn man Glück hatte. Wenn einen aber der Sturme selbst nicht umbrachte, waren es die Dämonen, die sich im Eis und in der Dunkelheit verbargen. Die Menschen und anderen Wesen waren in diesen Turmstädten gefangen. Niemanden blieb eine Wahl. Entweder lebte man unter der Herrschaft der Eiselfen oder es drohte einem der sichere Tod im ewigen Eis.

Die Turmstadt war kein goldener, sondern ein eisiger Käfig. Das Schneevolk war für seine Grausamkeit berüchtigt und gefürchtet. Für dieses grausame Volk gab es viele Namen. Aber nicht einer dieser Namen erfasste auch nur ihre wahre Natur, die in ihren dunklen Herzen wohnte. Heute war die Freiheit zum Greifen nahe. Die Eiskönigin würde sterben. Sie war der Kopf der Finsternis, des schwarzen Drachen. Wenn der Kopf abgeschlagen war, würde auch der Drache fallen. Die Sonne musste endlich wieder scheinen. Das Schneevolk musste die Ketten der Finsternis sprengen und zu seiner alten Kraft zurückfinden. Sie mussten das Licht der Sonne befreien, aus denen sie ursprünglich geboren wurden. Alle Völker verdienten die Freiheit. Die Ketten des Eises und der Dunkelheit mussten zerschlagen werden. Alles war von langer Hand geplant. Die fehlenden Wachen waren nur der Anfang, ein winziger Mosaikstein in einem ausgefeilten Mordkomplott. Auch von dem Geheimgang, durch den man von der Außenmauer der Turmstadt ungesehen zur Turmspitze gelangte, hatten nur wenige Eingeweihte Kenntnis.

Endlich erreichten die vier Vermummten das königliche Schlafgemach. Die Tür war nicht verschlossen. Ein weiterer Mosaikstein fügte sich in den Plan ein. Einer der Vermummten grinste. Nun musste alles schnell gehen. Sobald die Herrscherin erwachte, würde ein Dolch in ihrem Herzen stecken. Dann war es für ihre dunkle Magie zu spät. Die Gestalten blickten sich um. Die Fackeln warfen tanzende Schatten an die Eiswände. Leise öffnete ein Vermummter die Tür, die lautlos aufschwang.

Die Herrscherin lag im Bett und schlief den Schlaf, aus dem sie nie mehr erwachen würde. Am Kopfende des Bettes ragten Eiskristalle auf, die im schwachen Lichtschein pulsierten. Die Königin lag auf weißen Eisbären-Fellen, die teils ihren schlanken Körper verdeckten. Obwohl die Königin boshaft war, sah sie im Schlaf friedlich aus. Ihre Grausamkeit sah man ihr nicht an. Ihre makellose Haut war weiß wie Alabaster. Eine Strähne ihres pechschwarzen Haares hing ihr in ihrem ebenmäßigen Gesicht. Ihre Lider flattern leicht. Ihr Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig. Die Gestalten zogen ihre Dolche, an deren Knaufe sich stilisierte goldene Sonnen zeigten. Dann stach eine Gestalt direkt in das Herz der Königin, die kurz zuckte. Blut floss aus der Wunde und färbte die weißen Felldecken rot. Ein Teil des Blutes floss auf den Eisboden und färbte ihn rot. Der Dolch steckte bis zum Knauf im königlichenBrustkorb, der sich nun nicht mehr hob und senkte. Das Attentat war vollbracht. Die Eiskönigin lebte nicht mehr. Die Sonne würde schon bald wieder scheinen, die ewige Finsternis verdrängen und ein neues Zeitalter einleiten – das Zeitalter des Lichts.

Kapitel 1

Das Leben ist das allmähliche Erwachen eines Gefangenen, der von der Freiheit träumte.

(Otto Ernst, 1862-1926, dt. Schriftsteller)

Die Welt wandelt sich, sucht verzweifelt nach Halt, der Sand rieselt langsam zu Boden, und das Blut erkaltet. Nichts währt ewig, alles vergeht,wenn der finstere Staub der Zerstörung über die Welt weht.

Gleich ob Krieger, ob Königin, ob Königreich,

vor der Finsternis sind alle Opfer, sind alle gleich. Die einzige Frage ist, wer wird Erster sein, und wer Letzter. Begonnen hat die entscheidende Schlacht.

(Aus den Annalen der Sonnenkrieger)

Schwere Stiefel schlugen hart auf den Boden. Rüstungsteile schepperten laut und rissen ihn aus dem Schlaf. Der Lärm endete vor seiner Tür, die mit einem lauten Knarren aufschwang. Noch halb-schaftrunken richtete sich Chromar aus seinem Bett auf, „Verdammt nochmal, was geht hier vor sich? Was soll der ganze Krach?“ Sein Kopf dröhnte und pochte. Dutzende Eiszwerge schienen mit ihren Hämmern seinen Schädel zu bearbeiten. Der Wein hatte ihm letzte Nacht nicht gutgetan, dabei hielt sich Chromar für trinkfest. Viele am Hof hätten ihn als Säufer bezeichnet, was er aber nicht war. Zwar trank Chromar gerne einen über den Durst, aber er kannte seine Grenzen und wusste, wann er aufhören musste. Der Alkohol half ihm, nicht dem alltäglichen Wahnsinn am Hof zu verfallen. Die ewigen Ränkespiele am Hof laugten ihn mit der Zeit immer mehr aus. Er war der Hofintrigen müde. Da war der Wein eine willkommene Abwechslung, um dem Hofleben mit seinen zermürbenden Machtspielen kurzzeitig zu entfliehen.

Vor seinem Bett baute sich eine hochgewachsene Gestalt auf, Kargor, der Lotushexer und oberste Diener seiner Stiefmutter. Kargor war, wie alle eines Volkes weißhäutig. Seine ebenholzfarbenen Haare hatte er zu einem Zopf gebunden und trug das hellblaue Gewand der Lotushexer. „Oh, Prinz, entschuldigt unser unverschämtes Eindringen, aber es ist etwas Schreckliches passiert.“, säuselte Kargor. Erst jetzt bemerkte Chromar die schwarze Garde, die Krieger des schwarzen Drachen, die gleich hinter Kargor sein Gemach betraten. Sie trugen schwarze Eisenrüstungen. Ihre Gesichter waren durch Helme verdeckt, die Schädeln ähnelten. Sie waren in rote Umhänge mit Kapuzen gehüllt. Hinter ihren Schulterplatten ragten stilisierte metallene Flügel auf, die sie wie Engel des Todes erscheinen ließen.

Weiter hinter der Gruppe standen Trelor, der königliche Barde und Poet, dessen Gesicht durch seinen breikrempigen Hut verdeckt wurde.

„Kargor, mache es nicht so spannend! Komm zur Sache. Was ist denn geschehen?“ Chromar war genervt. Er hasste die Schwafeleien und ewig langen Reden am Hof. Die Leute am Hofe der Turmstadt Bailong kamen nie direkt zur Sache. Daher konnte Chromar den Barden, der immer große Reden hielt, nicht ausstehen. Chromar war ein Mann der Tat, der nie lange redete, sondern handelte. Einige Diener hielten ihn für ebenso jähzornig wie seine Stiefmutter.„Ihr wisst es also noch nicht?“ Kargor zog eine Braue hoch und sah auf Chromar herab, der sich den Kopf hielt. Das Pochen in seinem Kopf nahm zu. „Eure Stiefmutter, die Aisu Joo, wurde ermordet!“ Das Wort „Stiefmutter“ betonte der Lotushexer dabei besonders. Er dehnte es förmlich in die Länge und schien es zu genießen, den Tod seiner Stiefmutter zu verkünden. Er kostete diesen Augenblick förmlich aus.

Zuerst glaubte Chromar, dass er sich verhört hatte. Aber Kargors Gesichtsausdruck blieb ernst. Konnte das wirklich sein? Seine Stiefmutter ermordet? „Was? Wann soll das passiert sein? Heute Nacht etwa?“, hakte Chromar nach. Es war unmöglich, weil seine Stiefmutter die Eiskönigin und damit die mächtigste Frau im Turm war, die allein über die Finsternis gebot. Man konnte schon fast behaupten, dass sie göttergleich war. Nun sollte sie tot sein? Kargor nickte bestätigend. Die Eiskönigin war also tatsächlich tot. Unfassbar.

Chromar konnte jedoch keine große Trauer empfinden. da sie nicht seine leibliche Mutter war. Er hatte sich immer gefragt, warum sie ihn adoptiert hatte. Sie hatte ihn stets gut behandelt. Es hatte ihm an nichts gefehlt, nur an mütterlicher Liebe. Seine Stiefmutter hielt ihn all die Jahre wie einen Schoßhund an ihrer Seite. Er hatte sie Jahr für Jahr mehr für ihre Machtspiele und Grausamkeiten gehasst – und er war nicht der Einzige, der das tat. Über die Jahre hatte sich die Eiskönigin viele Feinde in der Turmstadt gemacht. Eines Tages hatte es soweit kommen müssen. Kargor blieb Chromars Erstaunen nicht verborgen.

„Wie ist es passiert?“ Unglauben lag in Chromars Stimme, die leicht zitterte. „Wir fanden Eure Stiefmutter mit einem Dolch in der Brust, ein Dolch mit einer stilisierten Sonne.“ Trelor lief im Zimmer umher, wie Chromar nebenbei bemerkte. „Eine stilisierte Sonne“, flüsterte Chromar nachdenklich.

Weitere Gestalten drängten in das Zimmer. Leto, der Anführer der schwarzen Garde, erschien, dicht gefolgt von weiteren schwarzen Rittern. Im Gegensatz zu den anderen Vertretern seines Volkes war Leto fett und ähnelte eher einem Troll. Ihm fehlten der elegante Körperbau und die elfische Schönheit, die seinem Volk zu Eigen war. Letos Glatze unterstrich diesen Eindruck noch. Was dann geschah, konnte Chromar später nicht mehr genau rekonstruieren. Die Ereignisse überschlugen sich. Alles geschah blitzschnell. Die schwarze Garde umstellte Chromars Bett. Plötzlich stand Trelor vor ihm und zog ein Dolch unter seinem Kissen hervor – ein Dolch mit einer stilisierten Sonne, an dessen Klinge noch Blut klebte. Der blutige Abdruck des Dolches an der Unterseite seines Kissens war deutlich sichtbar. Kaum hielt Trelor den Dolch in der Hand, bückte er sich, und zog als nächstes einen dunklen Umhang unter dem Bett hervor. „Was haben wir denn da?“, fragte der Barde theatralisch, „Was für ein Zufall. Hier ist ja nicht nur die Mordwaffe, sondern sogar noch mehr!“ Bevor Chromar irgendetwas erwidern konnte, hielt Trelor den Umhang in die Höhe, so dass alle Anwesenden ihn sehen konnten. Im Licht der Fackeln zeichneten sich dunkle Flecken ab. Wieder übertrieben theatralisch berührte Trelor einen dieser dunklen Flecke, der eine rote Spur auf seiner Hand hinterließ – Blut. „Habe ich es mir doch gedacht. Was ist bloß in Euch gefahren? Wie konntet Ihr nur, Prinz? Wie konntet Ihr nur eure geliebte Mutter umbringen?“ Der Barde räusperte sich gekünstelt. „Verzeihung, ich meinte Eure Stiefmutter, die Euch wie ihren eigenen Sohn großgezogen hat. Das hätte ich Euch nie zugetraut!“ Trelors Augen funkelten für einen Augenblick boshaft auf, dann spuckte er Chormar verächtlich vor das Bett. Chromar ballte wütend die Faust, während Kargor ihn wie einen skrupellosen Mörder ansah, den man auf frischer Tat ertappt hatte. Die schwarze Garde rückte näher, ihre Schatten fielen auf Chromar.

Die Vorsichtigen hüten sich vor ihren Feinden. Die Weisen hüten sich sogar vor ihren Freunden.

(Lehre des Schneevolkes)

Die Fackel in der Zelle warf tanzende Schatten auf die Wände. Durch die Gitter fiel kaum Licht. Seit die Finsternis die Sonne verdeckte, herrschte absolute Dunkelheit. Die Türme waren die einzige Lichtquelle. Nicht einmal das Licht der Sterne und Monde konnte durch die Dunkelheit dringen. Die Eistürme sicherten seinem Volk die Herrschaft, denn sie spendeten Licht und Wärme. Das Licht war so stark, dass rings um die Türme Zwielicht herrschte. Außerhalb der Türme herrschten Finsternis und Schneestürme.

Es gab insgesamt vier größere Turmstädte. Die Leuchtkristalle an den Turmspitzen konnten das Licht auch bündeln, so dass Lichtstraßen zwischen zwei Türmen entstanden, die sein Volk nach Belieben erschaffen konnte. Das Schneevolk kontrollierte auf diese Weise die Welt. Vor dem Zeitalter der Finsternis gab es das Zeitalter der Sonnenelfen, um das sich viele Mythen rankten. Nur wenig Gelehrte wussten noch etwas über dieses sagenumwobene und vergessene Zeitalter. Nur noch sehr wenige Personen hatten Zugang zu den alten Schriften, die seit der Zeit der ewigen Finsternis verboten waren. Chromar kannte ein paar dieser weisen Gelehrten, die eisern schwiegen oder zum Schweigen verdammt waren. Abtrünnige Sonnenelfen beschworen damals die Finsternis herauf. Die wahren Sonnenelfen wurden daraufhin geknechtet und verschwanden vom Antlitz der Welt. Sein Volk herrschte mit eiserner Hand. Niemand konnte seinem Volk die Herrschaft streitig machen. Aber die Finsternis forderte auch einen Preis, den sein Volk zahlen musste – den Blutdurst. Das Schneevolk war ein Volk der Blutsauger, der Vampire. Sie mussten sich vom Blut anderer Völker ernähren, um selbst in der eisigen Kälte zu überleben. Die anderen Völker mussten ihr Blut geben, den Blutzoll, um in den Turmstädten zu leben. Der Blutdurst ging nicht auf andere Völker über, sondern blieb beim Schneevolk. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Vampiren verwandelten die Eiselfen keine anderen Wesen zu Vampiren. Einige Vertreter seines Volkes bissen andere Wesen oder tranken das Blut aus Flaschen, in denen das Blut der Wesen gesammelt wurde. Chromar war der Blutdurst zuwider. Im Gegensatz zu vielen anderen Elfen trank er nur, wenn er unbedingt musste und nicht aus purem Vergnügen. Die letzte Blutmahlzeit lag schon länger zurück. Er bemerkte, wie er zunehmend unruhig wurde. Er wurde rastlos, aber war das ein Wunder? Kargor hatte ihn in eine Zelle im Gefängnistrakt werfen lassen, wo er nun wartete. Wie viel Zeit vergangen war, konnte Chromar nicht einschätzen. Schließlich gab es kein Tageslicht, an dem er sich orientieren konnte. Die Kristallkugeln der Türme leuchteten einmal stärker und einmal schwächer. Das schwächer werdende Licht läutete die Nacht ein, so dass es trotz der Finsternis einen Tag-Nacht Zyklus gab. Aber Chromar musste bereits Stunden eingesperrt sein. Vor seiner Zellentür standen zwei Gardisten der schwarzen Drachen. Die Enge und der Blutdurst trieben Chromar an den Rand der Verzweiflung. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Wie kam nur der Dolch unter sein Kissen? An den letzten Abend konnte sich Chromar kaum erinnern. Er hatte Wein getrunken, war dann müde geworden und schließlich ins Bett gefallen. Gewöhnlich machte ihm Wein nichts aus, aber dieser Wein war anders gewesen. Er hatte niemals einen Dolch mit Sonnengriff besessen. Man hatte ihm den Mord in die Schuhe geschoben. Daran zweifelte Chromar keinen Augenblick. Er war das Opfer einer perfiden Intrige.

Kapitel 2

Flucht ist keine Lösung – lediglich die zeitliche Verschiebung einer nötigen Entscheidung.

(Armin Jans, geb. 1965, dt. Theologe und Autor

Der Entflohene wird zurückkehren, sobald die Zeit gereift, und neue Hoffnung erkeimt.Auch wenn Jahre vergeh‘n, bleibt Vergangenes nicht ungescheh‘n.

Neue Wege, Bündnisse nehmen ihren Lauf, die einst geheim gehaltene Herkunft deckt die Wahrheit auf.

Zerrüttet wird die bestehende Welt, und daraus geboren ein neuer Held.

(Aus den Annalen der Sonnenkrieger)

Chromar war allein. Die beiden Gardisten der schwarzen Drachen, die zu seiner Bewachung abgestellt waren, hatten sich unerlaubt entfernt. Bestimmt hatten sie sich ihre tägliche Ration Blut trotz des Wachdienstes nicht entgehen lassen wollen. Ihm sollte es recht sein. Unruhig lief er in der engen Zelle auf und ab. Seine Gedanken kreisten ständig um den Wein. Irgendjemand musste ihm etwas in den verdammten Wein getan haben, dass seine Sinne benebelt hatte. Etwas, das stärker als Alkohol war.In Chromars Verstand arbeitete es fieberhaft. Wer in der Turmstadt Bailong hatte Zugriff auf derart betäubende Substanzen? Kargor, der Lotushexer? Niemand außer ihm kannte sich mit derartigen Substanzen aus. Hinter vorgehaltener Hand wurde der Hexer und Magier oft als Giftmischer bezeichnet. Stand Kargor hinter der Intrige? War der Lotushexer auch für die Ermordung seiner Stiefmutter, der Eiskönigin, verantwortlich? Kargor und Trelor, der königliche Barde und Poet? Wenn es so war, dann war es ein ausgemachter Komplott, und das Netz der Intrige war bereits bis in alle Winkel der Turmstadt gesponnen. Wem konnte er noch vertrauen? Niemanden. Er musste fliehen und die Turmstadt so schnell wie möglich verlassen. Wenn er länger hierbleiben würde, würde man ihn zweifelslos hinrichten lassen. Ein Mörder wurde immer hingerichtet. Ihm drohte der Tod. „Wie soll ich hier bloß herauskommen?“, seine Gedanken kreisten, bis ihm schwindelig wurde. Der zunehmende Blutdurst verstärkte den Schwindel noch und machte ihn schier rasend. Plötzlich waren Schritte zu hören, die ihn abrupt aus seinen Gedanken rissen. „Jemand näherte sich meiner Zelle.“, ging es ihm durch den Kopf, Waren das etwa die beiden Gardisten der schwarzen Drachen, die zurückkehrten. Angespannt spitze Chromar die Ohren. Nein, die Schritte waren dafür eindeutig zu leise.„Ein Eiszwerg! Mit einem Vertreter des Zwergenvolkes habe ich hier an diesem Ort überhaupt nicht gerechnet!“, rief er völlig erstaunt aus, als der Verursacher der Schrittlaute vor seiner Zelle stand. Die Beine des Zwerges waren an den Fußfesseln in Ketten gelegt und ermöglichten es dem Zwerg, mit kurzen Schritten langsam zu gehen, verhinderten jedoch eine Flucht.„Der Zwerg musste hier schon länger eingesperrt sein“, dachte sich Chromar bei dessen Anblick. Der Zwerg war ausgemergelt, was man an seinen eingefallenen Wangen sehen konnte. Sogar die Knochen unter seiner blassen Haut waren deutlich zu erkennen. Der erbärmliche Zustand konnte zweifelslos auch von der harten Arbeit in den Kristallminen herrühren.„Bist du Chromar?“, flüsterte der Zwerg und blickte hastig über die Schulter. „Ja, ich bin Chromar, was willst du von mir, Zwerg?“. Chromar war verwundert. „Woher kennt der Zwerg meinen Namen?“ Chormar war zwar als Kronprinz bekannt, aber nicht alle Untertanen kannten auch sein Gesicht. Seine Stiefmutter hatte ihn immer im Hintergrund gehalten.„Ich werde dich befreien und dir bei der Flucht helfen, Eisprinz. Im Gegenzug wirst du dafür sorgen, dass mein Volk aus der Knechtschaft der Eiselfen befreit wird!“, raunte der Zwerg und starrte Chromar durchdringend an.„Du weißt so gut wie ich, dass ich das nicht kann!“, Chromar sah den Zwerg verächtlich an.„Dein Volk ist dem Untergang geweiht, nur du kannst das verhindern und die Verschwörer aufhalten! Das Volk der Sonne existiert noch.“ Beschwörend redete der Zwerg auf Chromar ein und ließ sich nicht abwimmeln.

In Chromars Verstand arbeitete es hingegen ein weiteres Mal fieberhaft. Sollte er auf das Angebot des Zwerges eingehen? Und was hatte es mit dem ominösen Sonnenvolk auf sich?Sein Kopf schmerzte. Mittlerweile war der Blutdurst fast unerträglich. „Ja, schon gut. Einverstanden. Ich werde dein Volk aus der Knechtschaft befreien. Lass mich endlich hier heraus, Zwerg!“, drängte Chromar und gab schließlich nach. Was blieb ihm auch sonst anderes übrig? Der Zwerg war seine einzige Chance auf eine Flucht.

Hastig zog sich der Eiszwerg einen weißen Leinen-Handschuh über die linke Hand. Chromar sah ihn verwundert an. Was hatte der Zwerg vor? Nun holte der Zwergeinen kleinen Lederbeutel aus seinem Wams und entnahm daraus mit der bekleideten Hand eine Prise eines weißlichen Pulvers, das er vorsichtig auf die Gitterstäbe rieb. Nach kurzer Zeit begann sich das Metall zu zersetzen. Wie Säure fraß sich das Pulver durch die vereisten Metallstäbe. Als das Loch groß genug war, schlüpfte Chromar hindurch. Reiner Blutdurst funkelte in seinen Augen. Er musste trinken.

Ohne groß darüber nachzudenken und vom Blutdurst getrieben, stürzte er sich auf den Zwerg, bohrte seine Fangzähne in dessen Hals und saugte ihn aus. Er trank mehr Blut, als er eigentlich musste. Obwohl er schon satt war, gab er sich vollkommen dem Blutdurst hin. Er wusste, dass der Zwerg hier und jetzt sterben würde, aber es war ihm gleichgültig. „Das wirst du noch bereuen, Eiself!“, wisperte der Zwerg mit seinem letzten Atemzug, bevor das Leben aus ihm entwich. Wie eine leere Hülle sackte der leblose Zwerg in sich zusammen.

Nachdem er sich an dem Blut des Zwerges gelabt hatte, fühlte sich Chromar stark genug für seine Flucht aus der Turmstadt.

Als Stiefsohn der Eiskönigin kannte er die Turmstadt in und auswendig. Schließlich hatte er sein ganzes Leben hier verbracht und war nur selten in anderen Städten gewesen. Es gab keinen Geheimgang, den er nicht kannte. Er konnte nur hoffen, dass die Verschwörer die Eingänge nicht bewachen ließen. Zumindest einige unter ihnen mussten über die Geheimgänge Bescheid wissen. Anders hätten sie die Ermordung der Königin nicht durchführen können. Die Gemächer der Königin waren gut bewacht. Nicht einmal eine Fliege kam ungesehen in die Heiligtümer seiner Steifmutter. Vielleicht steckte sogar Leto, der Anführer der schwarzen Garde, mit den Verschwörern unter einer Decke, was Chromar ihm durchaus zutraute. Wie sonst hätten die Meuchelmörder seiner Stiefmutter, die Wachen der schwarzen Garde, die vor ihrer Tür positioniert waren, so einfach umgehen können? Wütend presste Chromar seine Lippen zusammen. Die Zeit der Rache würde noch kommen. Er würde die Wahrheit noch herausfinden und sich den Thron zurückerobern. Doch nun musste er die Turmstadt vorerst verlassen.

Bevor er sich auf dem Weg zum nächstgelegenen Geheimgang machte, entwendete Chromar seinem Opfer noch den Lederbeutel mit dem säuregleichen Pulver, indem eine schwarze, stilisierte Sonne eingebrannt war, Der Zwerg hatte sowieso keine Verwendung mehr dafür. Ihm allerdings, konnte das Pulver bei seiner Flucht und auch später noch nützlich sein. Eilig lief Chromar den Gang entlang.

Gleich hinter der nächsten Biegung musste sich der Eingang zum Geheimgang befinden, der von dem Gefangenentrakt durch einen unterirdischen Tunnel aus der Turmstadt hinausführte. Genau dies war sein Fluchtweg.Chromar verlangsamte seine Schritte. Direkt an die eisige Wand gepresst, schaute er vorsichtig um die Biegung. Die Luft war rein. Niemand war zu sehen. Schnell lief Chromar um die Biegung herum und blieb kurz darauf vor der rechten Gangseite stehen. Aus seinem Haarzopf entnahm er eine silberne Haarnadel. Die Haarnadel war nichts anderes als ein Schlüssel für die Geheimgänge der Turmstädte. Einen Schlüssel, denn er für andere verborgen, immer bei sich trug. Chromar steckte den Haarschmuck in einen kaum sichtbaren Schlitz in der Eiswand, worauf sich direkt vor ihm durch einen verborgenen Mechanismus ein Gang öffnete. Ohne zu zögern, verschwand er in den tunnelartigen Gang, dessen Eingang sich kurz darauf wieder schloss.

Chromar rannte den Tunnel entlang. Er durfte keine Zeit verlieren. Schon bald würden die Wachen seine Flucht bemerken und Alarm schlagen. Je größer sein Vorsprung war, desto besser. Er durfte den Verschwörern auf keinen Fall wieder in die Hände fallen. Chromar erschauderte kurz bei dem Gedanken an die Eisbären-Reiter, die darauf trainiert waren, entflohene Sklaven und Gefangene zu jagen. Die Eisbären konnten die Witterung ihrer Beute noch kilometerweit wahrnehmen. Die Reiter waren vortreffliche Bogenschützen, die nie ihr Ziel verfehlten und grundsätzlich keine Gefangenen machten. Sie ergötzten sich in boshafter Weise daran, ihre getroffenen Opfer von den Eisbären zerfleischen zu lassen. Die Intriganten würden garantiert die Eisbären-Reiter auf ihn hetzen. Dann hatte er nicht die geringste Chance. Bevor er den Geheimgang und die Turmstadt verließ, musste er irgendwie verhindern, dass die Eisbären seine Witterung aufnahmen. „Denk nach, verdammt!“, ermahnte sich Chromar selbst. Es musste doch eine Möglichkeit geben, seine möglichen Verfolger abzuhängen.

Da kam ihm der rettende Gedanke – der Yazhen. So könnte es tatsächlich funktionieren! Chromar fühlte Hoffnung in sich aufkeimen. Der Yazhen war ein breiter Eisfluss, der nicht vollständig zugefroren war. Riesige Eisschollen trieben auf ihm flussabwärts Richtung Süden. Wenn er es auf eine dieser Eisschollen schaffte, konnte er den Eisbären-Reitern womöglich entkommen. Die Strömung war zu stark, so dass die Eisbären samt Reiter ihn nicht schwimmend verfolgen konnten. Nur die Pfeile der Eisbären-Reiter konnten zum Problem werden, falls sie ihn einholten und vom Flussufer aus in Beschuss nahmen.Er würde sich dann wohl oder übel an der Unterseite einer Eisscholle festhalten müssen, um den Speeren und Pfeilen zu entgehen.

Chromar verlangsamte seinen Lauf. Er hatte das Ende des Tunnels bereits erreicht. Vor ihm lag der Ausgang. Sein Weg aus der Stadt hinaus. Chromar atmete noch einmal tief durch. Er hatte es tatsächlich schon bis hierhin geschafft. Mit der Haarnadel setzte er den Mechanismus in Gang, der den Ausgang freigab. Blitzschnell verschwand Chromar in der Dunkelheit, die außerhalb der Turmstadt herrschte.