Blue Mondays - Emily Dubberley - E-Book

Blue Mondays E-Book

Emily Dubberley

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Beschreibung

Stell dir vor, es ist Montagmorgen. Grau und regnerisch, du bist auf dem Weg zur Arbeit, die U-Bahn ist viel zu voll, die neuen Schuhe zwicken, du willst einfach nur wieder ins Wochenende. Doch dann: Du begegnest IHM — ein sinnliches, nie dagewesenes Verlangen entzündet sich in dir. Die Alltagsroutine scheint außer Kraft gesetzt, die Anziehung ist stärker. Was würde passieren, wenn du ihm folgen würdest? Dir bleiben fünf Sekunden, um zu entscheiden, bevor sich die U-Bahn-Türen wieder schließen.

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Das Buch

Stell dir vor, es ist Montagmorgen. Grau und regnerisch, du bist auf dem Weg zur Arbeit, die U-Bahn ist viel zu voll, die neuen Schuhe zwicken, du willst einfach nur wieder ins Wochenende. Doch dann: Du begegnest IHM — ein sinnliches, nie dagewesenes Verlangen entzündet sich in dir. Die Alltagsroutine scheint außer Kraft gesetzt, die Anziehung ist stärker. Was würde passieren, wenn du ihm folgen würdest? Dir bleiben fünf Sekunden, um zu entscheiden, bevor sich die U-Bahn-Türen wieder schließen.

Die Autorin

Emily Dubberley schreibt über Erotik, Liebe und Beziehungen. Sie gründete www.cliterati.co.uk, eine erotische Website für Frauen, außerdem die Zeitschriften Scarlet und Lover's Guide. Sie hat in Cosmopolitan, Grazia, FHM, Men's Health, The Guardian, The Star und Glamour publiziert. Emily Dubberley lebt in London.

Emily Dubberley

Blue Mondays

Erotischer Roman

Aus dem Englischen von Sybille Uplegger

Ullstein

Die englische Original-Taschenbuchausgabe ist erschienen bei Hodder & Stoughton, 2014. Titel der englischen Ausgabe: Blue Mondays

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ISBN 978-3-8437-1287-3

© 2016 © der deutschsprachigen Ausgabe 2016 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Titelabbildung: © MoonLight / getty images

E-Book: L42 AG, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Erstes Kapitel

Der Riemen der Laptoptasche schnitt schmerzhaft in Lucys Schulter. Sie versuchte, die Tasche zurechtzurücken, aber die U-Bahn war so voll, dass sie nicht an den Riemen herankam, ohne gleichzeitig ihren Kaffee zu verschütten. Ihr anderer Arm war eingeklemmt zwischen ihrem Körper und einer nach allen Regeln der Kunst zurechtgemachten Frau in einem makellosen cremeweißen Mantel, die Lucy nun einen missbilligenden Blick zuwarf. Lucy lächelte entschuldigend, rollte die Schultern und verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen in der Hoffnung, auf diese Weise den verdrehten Taschenriemen, der genau auf der weichen Stelle zwischen Schulter und Nacken saß, in eine andere Position zu bringen – vergeblich. Sie schloss die Augen und versuchte, an etwas Schönes zu denken: nur noch sechs Stationen. Zum Glück lenkten ihre geschundenen Füße sie ein bisschen von den Schmerzen in der Schulter ab; die Highheels, in die sie sich am Wochenende verliebt hatte, waren auf den ersten Blick wunderschön gewesen, doch in ihnen zu laufen war die reinste Tortur. Den Realitätscheck hatten sie also nicht bestanden. In diesem Punkt ähnelten sie durchaus den Männern, mit denen sie in letzter Zeit ausgegangen war. Sie merkte erst, dass sie laut geseufzt hatte, als der Mann, der ihr am nächsten saß, fragend hochblickte.

Lucy gähnte: Sie war am Morgen kaum aus dem Bett gekommen, und im Regen zur U-Bahn-Station laufen zu müssen hatte ihre ohnehin bescheidene Montagmorgenlaune nur noch mieser gemacht. Beim Kampf mit dem Regenschirm hatte sie sich eine Laufmasche zugezogen – obwohl man der Fairness halber sagen musste, dass der Regenschirm noch schlechter weggekommen war. Und natürlich war die halbe Stunde, die sie mit dem Föhnen ihrer Haare zugebracht hatte, absolute Zeitverschwendung gewesen; jetzt hingen sie ihr in haarsprayverklebten Strähnen am Kopf. Weil ich es mir wert bin, dachte sie, als ihr Blick auf ihr Spiegelbild im Fenster des U-Bahn-Wagens fiel.

Wie auch immer. Zurück zu den schönen Gedanken – zum Beispiel daran, dass sie das ganze Wochenende über den Berichten gesessen hatte, die ihr von ihrer Chefin Anna aufgebrummt worden waren und die sie gestern spätabends endlich abgeschickt hatte. Deshalb stand heute Vormittag nichts weiter an, als Presse-Clippings zu erstellen; alle anderen auf ihrer Etage würden in einem Meeting sitzen. Lucy war durchaus bewusst, dass es sich dabei um eine reine Aushilfstätigkeit handelte, aber sie hatte Spaß daran, Zeitungen und Illustrierte durchzublättern und sie nach für die Agentur relevanten Artikeln zu durchforsten. So konnte sie entspannt in die Arbeitswoche starten und außerdem Infos über die neueste Mode sowie Nachrichten aus Kultur, von Prominenten und aktuelle Trends aufschnappen, um ihre Kollegen auf dem Laufenden zu halten – auch wenn die, wie durch eine Art Hipster-Osmose, immer schon vorher über alles Bescheid zu wissen schienen. Unbeholfen zupfte Lucy an ihrem mintgrünen Bleistiftrock, der vorne einen ziemlich gewagten Schlitz hatte: In sämtlichen Magazinen wurde behauptet, Pastelltöne seien in dieser Saison ein Muss, trotzdem war sie nicht sicher, ob ihr das Kostüm wirklich stand. Nun, sie würde es bald herausfinden – Anna hielt mit ihrer Meinung nie hinter dem Berg, unabhängig davon, ob man sie hören wollte oder nicht. Ein Ruck ging durch den Wagen, und Lucy biss sich auf die Lippe, als der Taschenriemen auf ihrer Schulter verrutschte und ihre Muskeln sich erneut schmerzhaft verkrampften.

Die U-Bahn hielt an der Victoria Station, die Türen gingen auf, und ein Strom von Pendlern ergoss sich auf den überfüllten Bahnsteig. In dem winzigen Zeitfenster, bevor neue Passagiere in den Wagen drängten, konnte Lucy endlich frei durchatmen, ohne sich Sorgen machen zu müssen, einem Mitfahrer den Platz wegzunehmen. Hastig wechselte sie die Tasche auf die andere Schulter – eine Wohltat – und versuchte, sich zu einem der frei gewordenen Sitzplätze durchzuschieben. Dummerweise stand die Zurechtgemachte im cremefarbenen Mantel genau im Weg und rührte sich keinen Zentimeter von der Stelle, als wäre Lucy überhaupt nicht vorhanden. Als Lucy sich, den Kaffeebecher eng an die Brust gepresst, an ihr vorbeischlängeln wollte, stieß die Frau sie versehentlich mit dem Ellbogen an. Brauner Schaum schoss aus der Öffnung im Becherdeckel und spritzte auf Lucys helle Kostümjacke. Lucy knirschte mit den Zähnen. Ihre Wangen brannten, und sie nuschelte eine Entschuldigung, obwohl die Frau nicht einen Tropfen Kaffee abbekommen hatte und noch genauso makellos aussah wie vorher. Trotzdem strafte die Frau Lucy erneut mit einem säuerlichen Blick – nur um sich gleich darauf den Platz zu schnappen, auf den Lucy es abgesehen hatte.

Lucy arbeitete sich in Richtung des einzigen weiteren freien Sitzplatzes vor, aber die neuen Fahrgäste stiegen bereits zu, und eine schlanke Frau mit einem »Baby an Bord«-Anstecker nahm sofort Kurs auf den freien Platz. Dabei sah sie Lucy auffordernd an, woraufhin diese der Schwangeren den Vortritt ließ. Sie griff nach der Haltestange über ihrem Kopf, stellte die Laptoptasche auf den Boden zwischen ihre Füße und trank einen Schluck von ihrem lauwarmen Kaffee. Wenigstens tat der Riemen nicht mehr weh – und jetzt waren es nur noch fünf Stationen. Sie wackelte in ihren Schuhen mit den Zehen, bevor sie sich gelangweilt im Wagen umschaute.

Nun, da die Zurechtgemachte sich hingesetzt hatte, war Lucys unmittelbarer Nachbar ein Mann, der einen großen Picknickkorb am Arm trug. Lucy fragte sich, ob er auf dem Weg zu einem Date war. Doch dann hätte er seinem Äußeren sicherlich mehr Beachtung geschenkt – von der eher ungewöhnlichen Tageszeit einmal abgesehen. Zwar trug er ein weißes Hemd und Chinos, schien sich mit seiner Garderobe also durchaus Mühe gegeben zu haben, aber er hatte die Ärmel aufgekrempelt, seine Schuhe waren voller Schlamm, und seine verstrubbelten Haare legten die Vermutung nahe, dass er entweder in den Regen gekommen war oder vergessen hatte, sich zu kämmen. Er hatte Bartstoppeln im Gesicht, insofern schien Letzteres durchaus möglich – auch wenn sein feuchtes Hemd bewies, dass das Wetter zumindest eine Teilschuld an seinem Aussehen trug. Inmitten all der Sloane-Square-Anzugträger und Notting-Hill-Medienfritzen wirkte er wie ein Kuriosum – obwohl das nicht notwendigerweise etwas Schlechtes war. Er hatte breite Schultern und starke Arme. Man sah deutlich die Muskeln an dem Arm, in dem er den Korb hielt, und seine Hose spannte sich um seine Oberschenkel. Allerdings besaß er nicht die Statur eines Fitnessfreaks; eher sah er aus wie jemand, der viel Zeit im Freien verbrachte.

Lucys Blick wanderte über seinen Körper. Ihr fielen die blonden Brusthaare ins Auge, die oben aus dem Kragen seines Hemds herausschauten, das eng genug saß, um erkennen zu lassen, dass er nichts darunter trug. Es war albern, aber weil er da nur in einem Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln zwischen all den Männern in Jacketts und Mänteln stand, wirkte er irgendwie noch männlicher – wie jemand, den Belanglosigkeiten wie das Wetter gar nicht tangierten. Sie sah genauer hin, folgte den Konturen seiner Muskeln unter dem Hemd. Seine Brustwarzen zeichneten sich deutlich unter dem feuchten Stoff ab, woraufhin vor Lucys innerem Auge ein Bild auftauchte, das ihr an diesem Morgen das allererste echte Lächeln ins Gesicht zauberte. Als sie den Blick hob, merkte sie, dass der Mann sie unverwandt ansah. Zum zweiten Mal während der Bahnfahrt stieg ihr die Röte ins Gesicht, aber er schenkte ihr ein breites Lächeln, und sie konnte nicht anders, als zurückzulächeln – auch wenn ihre Wangen dabei noch ein bisschen heißer glühten.

Als die Bahn sich der Haltestelle Sloane Square näherte, nahm die Frau im cremefarbenen Mantel einen kleinen Spiegel aus ihrer Handtasche und überprüfte ihr Make-up. Sie tupfte einen unsichtbaren Schmierfleck weg, ehe sie einen Parfümzerstäuber herausholte und sich großzügig einnebelte. Ein süßlicher Geruch erfüllte die Luft, bei dem Lucy fast würgen musste. Sie rümpfte die Nase und versuchte, sich in die andere Richtung zu schieben – weg von dem Parfümgestank, hin zu dem Mann mit dem Picknickkorb. Die Frau, die von der Wirkung ihres Körperpflegerituals auf die übrigen Passagiere nichts zu bemerken schien, erhob sich und ging auf Lucy zu in Richtung Tür. Sie griff nach der Haltestange, wodurch ihr Handgelenk voller üppig mit Edelsteinen besetzter Armbänder sichtbar wurde. Erst jetzt erkannte Lucy, dass es sich bei ihrem cremefarbenen Mantel in Wahrheit um ein Cape handelte, durch dessen Schwingbewegung eine weitere Duftwolke freigesetzt wurde und den Umstehenden ins Gesicht wehte. Als die Türen der U-Bahn sich endlich öffneten und die Frau ausstieg, war Lucy unendlich dankbar. Durch die geöffnete Tür atmete sie ein paarmal tief die kalte, metallisch schmeckende Luft ein.

»Na, möchten Sie den frei gewordenen Platz, bevor Sie durch die Dämpfe noch ohnmächtig werden?«, sprach der Mann mit dem Korb sie unvermittelt an.

»Wie bitte?«

»Sie sehen so aus, als müssten Sie sich dringend setzen. Nicht, dass ich das nicht nachvollziehen könnte – meiner Meinung nach sollte dieses Zeug als chemischer Kampfstoff eingestuft werden. Oh – zu spät. So was Dummes.«

Lucy drehte sich um und sah gerade noch, wie ein Mann es sich auf dem frei gewordenen Platz bequem machte. Doch der Verlust ließ sich verschmerzen, zumal der Gesichtsausdruck des Mannes deutlich machte, dass der Parfümgeruch noch immer nicht verflogen war. Insofern hatte ihr Stehplatz durchaus seine Vorteile.

Sie lächelte den Fremden an. »Macht nichts, ich hab's nicht mehr weit. Aber sehr aufmerksam von Ihnen. Wollen Sie sich denn nicht setzen? Der sieht schwer aus.« Sie zeigte auf den Korb.

»Ich bin es gewohnt, ganz andere Sachen mit mir herumzutragen. Außerdem tue ich so etwas für mein Gleichgewicht.«

Lucy blinzelte ihn verständnislos an. Sie wusste nicht recht, was sie darauf erwidern sollte.

»Schauen Sie mich nicht so an. Locker in den Knien stehen, das ist das A und O. Man weiß nie, wann eine gute Balance mal wichtig werden könnte. Und warum soll ich ein Vermögen für Pilates-Stunden ausgeben, wenn die Londoner Untergrundbahn mir völlig umsonst das perfekte Training für meine Tiefenmuskulatur liefert?« Wie um seine Worte zu unterstreichen, blieb der Mann aufrecht stehen, als der Zug ruckend in den Bahnhof South Kensington einfuhr und Lucy sich an einer gläsernen Trennwand abstützen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

»Andererseits sollte man einem geschenkten Gaul auch nicht ins Maul schauen.« Der Mann deutete auf zwei Plätze, die gerade neben ihnen frei geworden waren, und Lucy setzte sich dankbar hin. Sie hätte sich zu gern die Schuhe ausgezogen, war aber nicht sicher, ob sie nachher wieder hineinkommen würde – konnten eingeschlafene Füße anschwellen?

Sie stellte die Laptoptasche zwischen ihre Beine und drehte sich zu dem Mann um. Als er sich ihr zuwandte, erhaschte sie zum ersten Mal seinen Duft. Er roch nach Natur – ein Hauch von frischgemähtem Gras mit einer satten, irgendwie wilden Herznote, die sein feuchtes Baumwollhemd noch um eine dunstige, jedoch keineswegs unangenehme Nuance ergänzte. Er hatte ein frisches zitroniges Aftershave aufgelegt, das allerdings von seinem natürlichen Eigengeruch überlagert wurde. Lucys Magen schlug einen Purzelbaum, und in ihrem Kopf herrschte auf einmal völlige Leere. Sie hatte keine Ahnung, wie sie das Gespräch mit ihm aufrechterhalten sollte. Noch nie hatte der bloße Duft eines Mannes sie so erregt. Abgesehen davon war er die reinste Erholung nach dem Geruchsterror von eben.

»Ich muss die Frage einfach stellen – was haben Sie mit dem Picknickkorb vor?«, brachte sie schließlich heraus. »Draußen ist ja nicht gerade Picknickwetter.«

»Kommt drauf an, wohin man unterwegs ist. Außerdem war das heute Morgen nur ein kurzer Schauer. Ich glaube, es wird noch ein wunderschöner Tag werden.«

»Sie sind aber optimistisch.«

»Lohnt es sich, etwas anderes zu sein?« Er schmunzelte. »Wenn man einen schlechten Tag hat, warum soll man sich auch noch darin suhlen? Man kann vielleicht nicht ändern, was einem widerfährt, aber man kann seine Einstellung dazu ändern. Nehmen wir die Frau mit dem Parfüm. Entweder man hält sie für gedankenlos und selbstbezogen, oder aber man sieht sie als eindrückliches Beispiel dafür, dass Geld im Leben nicht wichtig ist.«

»Wie meinen Sie das?«

»Na ja, sie war ganz eindeutig wohlhabend, trotzdem muss sie todunglücklich sein, sonst wäre sie kaum so arrogant und unfreundlich. Wenn Geld nicht glücklich macht, warum sollte man ihm dann nachjagen? Oder nehmen wir Sie: Sie stehen an einem Montagmorgen in der U-Bahn und zwingen sich, zur Arbeit zu fahren, obwohl Sie garantiert lieber noch im Bett liegen würden.« War es bloß Einbildung, oder zog er das Wort »Bett« ganz besonders in die Länge? »Was würde passieren, wenn Sie heute nicht zur Arbeit gingen?«, schob er hinterher.

»Also, Montage sind eigentlich kein so gutes Beispiel. Da steht bei mir hauptsächlich Verwaltungskram an. Ablage und solche Sachen.«

Er zog eine Braue hoch. »Ein paar Unterlagen würden also unsortiert bleiben. Und …?«

Lucy überlegte einen Moment. Was machte es wirklich für einen Unterschied, ob sie zur Arbeit ging oder nicht? Tat sie dort irgendetwas Wichtiges? Als sie nach London gezogen war, um in der Event-Branche anzufangen, hatte sie davon geträumt, Benefizveranstaltungen zu organisieren. Sie wollte den Menschen Freude bringen und gleichzeitig Gutes bewirken – Glamour im Kampf für das Gemeinwohl. Als sie ihre Stelle bei BAM! angetreten hatte, hatte Anna ihr versichert, dass das Thema »Gesellschaftliche Verantwortung« in der Agentur eine wichtige Rolle spiele. Aber abgesehen davon, dass sie einmal die Social-Media-Kampagne für eine Wohltätigkeitsveranstaltung gemanagt hatten, die zufällig von einem von Annas persönlichen Lieblingspromis ausgerichtet wurde, hatte Lucy in den vier Jahren, die sie nun schon bei BAM! arbeitete, nicht viel soziales Engagement gesehen. Sie hatte immer widersprochen, wenn es hieß, Leute in der Werbung hätten keine Seele, doch je länger sie für die Agentur arbeitete, desto öfter hegte sie den Verdacht, dass das Klischee stimmte.

»Sie machen es schon wieder.«

»Was?«

»Grübeln. Sie sehen so aus, als lastete das Gewicht der ganzen Welt auf Ihren Schultern. Die Hälfte der Fahrt beißen Sie schon auf Ihrer Lippe herum, offensichtlich bedrückt Sie also etwas. Dabei hat die Frau mit dem Parfüm Ihnen doch den perfekten Anlass geliefert, Ihre Fesseln abzustreifen. Sie sollten sich ein bisschen locker machen. Einfach mal Spaß haben.«

Lucy merkte, wie sie aggressiv wurde – hielt er sie etwa für überspannt? »Ich glaube kaum, dass mein Vermieter seine Miete in ›Spaß‹ ausgezahlt bekommen möchte.«

»Da wäre ich mir nicht so sicher«, meinte der Mann und taxierte Lucys Körper von oben bis unten. Eigentlich hätte sie das aufdringlich und übergriffig finden müssen, doch stattdessen machte ihr Magen erneut einen Satz. »Ich wollte damit nur sagen: Begreifen Sie das Leben als Chance. Sie haben heute Morgen schon etwas Wichtiges gelernt.«

»Und zwar?«

»Abgesehen von meiner messerscharfen gesellschaftspolitischen Analyse? Dass schlechtes Parfüm ein ausgezeichneter Gesprächseinstieg sein kann, natürlich. Wann haben Sie sich das letzte Mal in der U-Bahn mit einem Fremden unterhalten?«

Lucy lächelte. »Da haben Sie recht. Und was ist Ihre Entschuldigung?«

»Ich bin nicht von hier«, sagte er in bewusst breiter, ländlicher Aussprache.

»Soll heißen, Sie sind mit den Londoner Gepflogenheiten nicht vertraut?«

»Richtig. Ich komme aus Cornwall – dort sind wir viel zugänglicher als die Leute in der Stadt.«

»Meine Schwester lebt in Cornwall, allerdings habe ich sie noch nie besucht, deswegen kann ich es nicht beurteilen. Aber ich glaube Ihnen einfach mal.«

»Cornwall ist wunderschön, aber nicht gerade der ideale Standort, wenn man sich mit einer Geschäftsidee selbständig machen will. Zu weit weg von London.«

»Aha, der Kapitalismuskritiker will also Geld verdienen?«

Der Mann schmunzelte. »Touché – aber mir geht es nicht um Geld. Sondern um Zeit. Ich habe fast zehn Jahre lang für andere gearbeitet, bis mir irgendwann klargeworden ist, dass ich meine ganze Lebenszeit darauf verwende, die Träume anderer zu verwirklichen. Also habe ich beschlossen, mich lieber meinem eigenen Traum zu widmen.«

»Welcher da wäre?«

»Gutes Essen und ein angenehmes Leben.«

»Sind Sie Koch?«

Er lachte. »Hätten Sie jemals einen kennengelernt, dann wüssten Sie, dass man als Koch kein angenehmes Leben hat. Nein – obwohl ich auf der Restaurantfachschule war. Aber ich habe ziemlich bald festgestellt, dass die Arbeitszeiten unzumutbar sind – es sei denn, es macht einem Spaß, nie ein Wochenende freizuhaben und seine sozialen Kontakte auf zwei Stunden am Nachmittag und einen kurzen Drink nach der Arbeit zu beschränken. Wenn man Glück hat.«

»Klingt fast so mies wie mein Job. Ich habe die letzten vier Wochenenden durchgearbeitet.«

»Das ist aber eine ganze Menge Verwaltungskram.«

»Ich mache ja nicht nur Verwaltungskram«, rechtfertigte sie sich. »Ich darf auch kreativ arbeiten.«

»Was war die letzte kreative Sache, die Sie gemacht haben?«

Lucy dachte an ihre aktuelle Kampagne: eine Supermarkt-Werbeaktion für Hundezahnbürsten. Dogsbody war einer der wenigen unglamourösen Kunden der Agentur – und bislang der einzige, für dessen Account sie Verantwortung übernehmen durfte, statt bloß ihren Kollegen zuzuarbeiten. »Ich habe eine Kampagne entwickelt, die zu einem zwanzigprozentigen Anstieg im Absatz von Mundhygieneprodukten für Hunde geführt hat.« Noch während sie dies sagte, kam sie sich unfassbar albern vor.

»Zahnfäule bei Hunden – sehr wichtiges Thema. Wenn Sie nicht zur Arbeit gehen, sind irgendwann sämtliche Zahnarztstühle im ganzen Land von Vierbeinern besetzt. Niemand könnte sich mehr einen Weisheitszahn ziehen lassen. Tausende Menschen wären schlecht gelaunt wegen unbehandelter Karies. Ich nehme alles zurück – selbstverständlich müssen Sie Tag und Nacht schuften, sonst gerät das Wohl der Nation in Gefahr. Wenn ich das nächste Mal von einem Hund mit gesunden Zähnen gebissen werde, werde ich es Ihnen danken.«

Obwohl er sich über sie lustig machte, konnte Lucy es ihm nicht übelnehmen, weil er dabei auf so spitzbübische Weise die Augen zusammenkniff.

»Und was machen Sie so immens Wichtiges? Sie sind meiner Frage ausgewichen.«

»Bin ich nicht – die Sache mit den Hundezähnen hat mich nur kurzzeitig abgelenkt. Ich leite ein Lebensmittel-Netzwerk.«

»Ein Netzwerk? Im Fernsehen?« Attraktiv genug für einen Fernsehmoderator war er allemal.

»Um Gottes willen, nein. Ich bin kein Fan von Fernsehköchen – denen sind ihre Egos wichtiger als ihre Mägen. Nein, ich meine einen Vertrieb für regionale Lebensmittel. Ich arbeite mit Produzenten aus dem gesamten Südwesten zusammen. Unser Ziel ist es, das Gute, was die Region zu bieten hat, einer breiten Käuferschicht zugänglich zu machen.«

»Dann sind Sie also auch im Marketing?«

»Nicht wirklich, obwohl ich mit verschiedenen Aktionsbündnissen und Gruppen zusammenarbeite – Eigenanbau-Initiativen, städtischen Tafeln und so weiter. Mein Geschäft hat im Wesentlichen zwei Standbeine: einen Onlineshop, in dem der Kunde all die verschiedenen Lebensmittel von einer einzigen Website beziehen kann, und einen kleinen Zulieferdienst für Restaurants, der lokale Erzeuger stärken soll – daher auch der Picknickkorb.«

»Und was ist drin?«

»Tja, wo soll ich anfangen? Käse, Fleisch, Marmeladen, eingelegtes Gemüse – und etwas, das mir hoffentlich diesen Monat die Miete sichern wird.«

»Was denn?«, fragte Lucy, während ihr Magen knurrte. Sie bereute es, nicht gefrühstückt zu haben.

»Wenn ich es Ihnen sagen würde, müsste ich Sie danach leider umbringen. Aber was soll's – Sie haben ein ehrliches Gesicht, ich riskiere es.«

Er öffnete den Korb und nahm eine Papiertüte heraus. Als er sie ihr hinhielt, lugte Lucy nervös hinein.

»Pilze?«

»Nicht irgendwelche Pilze. Morcheln. Die kosten momentan pro Kilo etwa doppelt so viel wie Rinderfilet.«

»Aber warum wollen Sie mich töten, nur weil ich ein paar Pilze gesehen habe?«

»Was glauben Sie denn? Aus Angst, Sie könnten mir nach Hause folgen und ausspionieren, wo ich sie gefunden habe. Auf den Hügeln wächst jede Menge Geld.«

Nächste Station: High Street Kensington.

Lucy spürte einen Stich der Enttäuschung, als der Mann aufstand. »Hier muss ich raus«, verkündete er. »War schön, Sie kennengelernt zu haben. Genießen Sie den Rest des Tages. Und nicht vergessen: Finger weg von meinen Pilzen.«

Lucys Blick folgte ihm, als er sich den Korb unter den Arm klemmte und ausstieg. Der Zug war jetzt nicht mehr so voll, also bückte sie sich, hob ihre Laptoptasche auf und stellte sie neben sich auf den Sitz. Dabei fiel ihr eine Geldbörse ins Auge, die genau dort lag, wo eben noch ihr pilzbegeisterter Begleiter gesessen hatte. Schon erklang der Warnton der sich schließenden Türen. Ohne nachzudenken, schnappte sich Lucy die Geldbörse, hechtete mit wild hin- und herschwingender Laptoptasche auf den Ausstieg zu und schaffte es gerade noch auf den Bahnsteig, ehe sich die Türen schlossen und der Zug anfuhr.

Der Mann war nirgends zu sehen. Mit seinem schweren Picknickkorb konnte er doch nicht so schnell verschwunden sein? Sie folgte dem Strom der Menschen und blickte von rechts nach links, aber erst oben an der Treppe entdeckte sie ihn wieder, wie er durch den Eingangsbereich mit den Fahrkartenautomaten ging und den Drehkreuzen zustrebte. Sie wollte gerade nach ihm rufen, als ihr klar wurde, dass sie sich einander gar nicht vorgestellt hatten. Hastig klappte sie das Portemonnaie auf und suchte nach einer Karte – Ben Turner.

»Ben!«, rief sie. Der Mann stutzte ganz kurz, blieb aber nicht stehen. Lucy fummelte ihre Monatskarte aus der Tasche und hielt sie vor das Lesegerät am Drehkreuz. Dann durchquerte sie rasch die Schalterhalle und die kleine Ladenzeile dahinter, bis sie oben am Ausgang auf der Straße ankam – gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Ben in eine Seitenstraße abbog. Sie rannte los und verfluchte ihre Schuhe bei jedem schmerzhaften Schritt. Als sie die Kreuzung erreicht hatte, verschwand er eben in einem Gebäude am Ende der Straße. Lucy war zu weit entfernt, um ihn durch Rufen auf sich aufmerksam zu machen, also rannte sie weiter, verlangsamte das Tempo jedoch ein wenig, als sie spürte, dass sich an ihren Fersen bereits Blasen bildeten. Vor dem Gebäude angekommen, spähte Lucy durch die Glastür hinein und sah einen Empfangstresen – es musste sich um irgendeinen Bürokomplex handeln. Sie ging hinein.

»Entschuldigung, ich habe hier etwas für Ben Turner – den Mann, der kurz vor mir reingekommen ist. Können Sie mir sagen, wo ich ihn finde?«

»Ich schaue rasch nach, Miss.« Der Mann hinter dem Tresen tippte etwas in seinen Computer. »Tut mir leid, das System ist abgestürzt. Ich muss einen Neustart machen, das dauert einen kleinen Moment.« Er tippte weiter.

Während Lucy wartete, fiel ihr plötzlich siedend heiß ein, dass sie zu spät zur Arbeit kommen würde. Dem Himmel sei Dank für das Morgenmeeting – es würde ihre Kollegen bis zum Mittag beschäftigen, und solange sie brav an ihrem Platz saß und in Magazinen blätterte, wenn die anderen herauskamen, würden alle davon ausgehen, dass sie die ganze Zeit dort gesessen hatte. Mit Rosie vom Empfang war sie befreundet, sie würde sie nicht verraten. Da sie nichts Besseres zu tun hatte, ließ Lucy den Blick umherschweifen. Er fiel auf die Topfpflanze in der Ecke, die ausgelegten Illustrierten, das Gästebuch. Dort sprang ihr ein bekannter Name ins Auge.

»Hier steht, Ben Turner hat einen Termin im Babylon. Das ist der Mann, den ich suche.«

»Wenn Sie noch schnell das hier ausfüllen würden.«

»Ich bin doch gleich wieder weg.«

»Vorschriften, Miss.«

Lucy kritzelte ihren Namen auf eine kleine Karte und wartete, während der Mann am Empfang sie umständlich in eine Plastikhülle steckte, die an einem Schlüsselband hing. Dann händigte er sie ihr aus, und sie steuerte auf den Fahrstuhl zu.

»Sie müssen in den siebten Stock«, rief er ihr nach.

Auf der Fahrt nach oben fragte sich Lucy, was sie eigentlich hier machte. Gut, der Typ hatte sein Portemonnaie liegen lassen. Aber warum hatte sie es nicht einfach an der nächsten Station abgegeben, so wie andere Menschen es gemacht hätten? Nein, sie musste unbedingt die Heldin spielen. Ihre Mutter sagte ihr andauernd, sie solle aufhören, immer allen anderen helfen zu wollen, und zur Abwechslung lieber mal an sich denken. Andererseits sah dieser Ben wirklich umwerfend aus, insofern dachte sie hierbei auch an sich. Wenn ihre Mutter ihn hätte sehen können, hätte sie Lucy bestimmt verstanden.

Der Fahrstuhl machte Ping, und Lucy betrat ein weiteres Foyer. Auch hier gab es einen Empfangstresen, allerdings war weit und breit kein Angestellter in Sicht. Sie ging den Flur hinunter, an einer Reihe Kleiderhaken vorbei, und fand sich kurz darauf in einem leeren Restaurant wieder.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte ein Mann, der hinter der Bar Gläser abtrocknete.

»Ich suche Ben Turner.«

»Hier gibt's keinen, der so heißt. Oder ist er wegen eines Termins hier?«

»Er ist …« Lucy versuchte, sich zu erinnern. »Lebensmittellieferant.«

»Ah, der Mann mit dem Picknickkorb?«

»Genau der.«

»Der ist draußen mit dem Koch. Folgen Sie mir.«

Als Lucy durch die Tür ins Freie trat, brauchte sie ein paar Sekunden, bis sie den Mund wieder zubekam. Marokkanische Laternen und verschnörkelte Spaliere schmückten einen geometrisch angelegten Garten mit Pavillons und üppig bepflanzten Blumenbeeten, der sich über das gesamte Dach erstreckte. Sie hatte das Gefühl, gar nicht mehr in London zu sein, sondern in einem luxuriösen Urlaubsresort – oder in einem Märchen aus »Tausendundeine Nacht«. Wie um den spektakulären Anblick zu unterstreichen, brach genau in diesem Augenblick die Sonne durch die Wolken. Ihr Licht umspielte die zarten Chiffonvorhänge, die mehrere Sitznischen vor unerwünschten Blicken abschirmten. Irgendwann merkte Lucy, dass sie sprachlos vor Bewunderung dastand, und bedankte sich bei dem Barkeeper, der auf eine überdachte Terrasse wies, ehe er wieder im Gebäude verschwand. »Falls Sie mich brauchen, ich bin an der Bar«, sagte er noch.

Als Lucy den geschmackvoll angelegten Garten durchquerte und sich der Terrasse näherte, erspähte sie einen muskulösen Unterarm auf der hohen Rückenlehne eines von ihr abgewandten Stuhls. Daneben stand auf einem niedrigen Tischchen ein Picknickkorb.

»Ben?«

Der Mann, zu dem der Arm gehörte, stand auf, drehte sich um und runzelte verdutzt die Stirn.

»Vielleicht habe ich mir zu Recht Sorgen um meine Pilze gemacht, wenn Sie mir von der U-Bahn-Station bis hierher gefolgt sind – und auch noch meinen Namen kennen.«

»Sie haben Ihr Portemonnaie liegen lassen«, sagte Lucy und hielt es in die Höhe.

»Das darf doch nicht wahr sein. Und ich habe es gar nicht gemerkt! Sie sind meine Lebensretterin.«

Spontan umarmte er sie. Lucy war völlig überrumpelt und stand stocksteif da, weil sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte.

»Keine Ursache. Also. War schön, Sie noch mal wiedergesehen zu haben.« Sobald er sie losgelassen hatte, wandte sie sich etwas verlegen zum Gehen. Sein Duft rief exakt dieselbe Reaktion bei ihr hervor wie zuvor in der U-Bahn, und das war ziemlich beunruhigend.

Ben streckte die Hand aus und berührte sie sacht mit den Fingerspitzen am Arm. »Nicht so schnell, Sonnenschein. Sie haben mir gerade meinen Geldbeutel zurückgebracht. Wie wäre es da mit einem kleinen Finderlohn? Außerdem haben Sie mir nicht mal Ihren Namen verraten.«

»Lucy. Und ein weiser Mann hat mal gesagt, dass man mit Geld kein Glück kaufen kann.«

»Wer sagt denn, dass ich Ihnen Geld anbieten will?«

Unwillkürlich stellte Lucy sich vor, was sich unter Bens Hemd verbarg, und musste nach Luft schnappen.

»Das nun auch wieder nicht – Sie haben aber eine schmutzige Fantasie«, sagte Ben. »Und man kann in Ihnen lesen wie in einem Buch. Gefällt mir.«

Er grinste diebisch und mit so viel Charme, dass Lucy nicht beleidigt sein konnte.

»Nein, vielmehr dachte ich mir, ich könnte Sie zum Frühstück einladen. Ich habe einen Korb voller Essen, da liegt es doch nahe, Ihnen etwas davon anzubieten. Ich muss nur noch ein paar Sachen mit Stefan besprechen – Stefan ist der Chefkoch hier –, damit er seine Bestellung aufgeben kann. Er musste zurück in die Küche, um zu sehen, wie weit die Vorbereitungen fürs Mittagessen sind, müsste aber gleich wieder da sein.«

»Ich komme jetzt schon zu spät zur Arbeit.«

»Eben. Außerdem: Erwähnten Sie nicht vorhin, dass Ihnen ein prickelnder Vormittag voller Verwaltungskram bevorsteht? Wie wäre es, wenn Sie stattdessen die Lehre der Frau mit dem Parfüm ernst nehmen und sich ein kostenloses Frühstück inmitten dieser wunderschönen marokkanischen Pracht gönnen? Oder von mir aus auch in einem Tudor-Garten oder einer englischen Parklandschaft – die befinden sich nämlich gleich um die Ecke. Alles, was Sie tun müssen, ist, einen Vormittag lang Ihrem Dasein als Lohnsklavin den Rücken zu kehren. Machen Sie das Beste aus dem Sonnenschein – der nächste Regen kommt noch früh genug.«

Lucy wusste allmählich nicht mehr, wie ihr geschah. In einem Moment stand sie in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit, und im nächsten befand sie sich in einem idyllischen Dachgarten zusammen mit einem unfassbar attraktiven Mann, der irgendwie ein verkappter Sozialist zu sein schien. Trotzdem, ein Frühstück – das klang verlockend. Sie hatte zu Hause nur Zeit für einen Kaffee gehabt, und als Ben seinen Picknickkorb öffnete und sie einlud, einen Blick hineinzuwerfen, fand sie den Inhalt sehr, sehr appetitlich.

»Ich habe frisches Bauernbrot, Croissants, Schafmilchjoghurt mit Quitten- und Himbeerkompott, Ziegenkäse, eichelgeräucherten Schinken, eine Konfitüre aus Walderdbeeren, die Sie umhauen wird – und das ist erst der Anfang. Also, was soll es sein? Ein Vormittag voller Papierkram oder ein Frühstück im Dachgarten, das einer Königin würdig wäre? Ich kann sogar noch ein paar Flamingos oben drauflegen, um Ihnen die Sache so richtig schmackhaft zu machen.«

»Es gibt Flamingos hier?«

»Lucy. Würde ich Sie anlügen?«

»Vielleicht.«

»Das kränkt mich. Über so was Wichtiges wie Flamingos würde ich niemals die Unwahrheit sagen. Also?«

Lucy sah auf ihr Handy. Halb zehn, keine verpassten Anrufe. Sie konnte ein gemütliches Frühstück genießen und es trotzdem vor Ende des Meetings in die Agentur schaffen.

»Danke für die Einladung. Ich nehme sie sehr gern an.«

»Warten Sie's nur ab. Ich garantiere Ihnen, die Sachen hier sind das Beste, was Sie jemals in den Mund genommen haben«, sagte Ben und schaute unschuldig auf den Picknickkorb, als Lucy ihn forschend musterte, um zu ergründen, ob er mit ihr flirtete. »Geben Sie mir noch eine Minute Zeit, ich muss schnell noch etwas mit Stefan klären und ihm Bescheid sagen. Kaffee?«

Lucy nickte und sah Ben nach, wie er davonging. Von hinten war sein Anblick genauso überzeugend wie von vorn: kräftige Oberschenkel und darüber ein knackiger Hintern. Sie merkte, wie sie unbewusst die Finger bewegte, als würde sie hineinkneifen, und zügelte ihre Fantasien. Obwohl dieser Hintern geradezu danach schrie, kräftig angepackt zu werden. Um sich abzulenken, wandte sie ihre Aufmerksamkeit dem Handy zu und öffnete ihr E-Mail-Konto. Sie war froh, dass nichts Dringendes anlag. Vielleicht waren Montage doch gar nicht so schrecklich. Als Nächstes rief sie die Seite der Huffington Post auf und begann, die Nachrichten des Tages zu überfliegen.

»Okay, gibt es irgendwas, was Sie noch nicht probiert haben?«

Lucy stöhnte. »Ich kann nicht mehr. Bitte. Es ist alles wahnsinnig lecker, aber wenn ich noch einen einzigen Bissen essen muss, platze ich.«

Sie schaute auf ihren Teller. Außer ein paar Mandelblättchen von den Buttercroissants, mit denen sie das Frühstück begonnen hatten, war nichts mehr übrig. Den Croissants war das knusprige, nach Hefe duftende Brot mit Käse gefolgt: fetter Buttercup, cremiger Old Sussex, würziger Sussex Charmer und ein delikat mit Kräutern abgeschmeckter Ziegenkäse. Dazu frischer Wabenhonig und Stachelbeermarmelade, Rosengelee und Konfitüre aus Walderdbeeren. Das alles hatte sie mit einer Tasse Kaffee hinuntergespült, den Ben besorgt hatte, gefolgt von einem Direktsaft aus Äpfeln und Birnen. Jetzt genoss sie gerade ein Glas Holunderblütensekt.

»Ich bin noch nicht so weit, ihn im großen Stil zu verkaufen, aber es ist ganz nützlich, immer eine Flasche dabeizuhaben«, erklärte Ben ihr.

»Ich kann gut verstehen, warum. Er schmeckt köstlich. Enthält er viel Alkohol?«

»Nicht mehr als normaler Sekt. Aber er ist um einiges gefährlicher.«

»Wieso?«

»Weil er so süffig ist.« Ben deutete auf Lucys Glas, und sie stellte fest, dass sie es ausgetrunken hatte, ohne es zu merken.

»Nachschub?«

»Besser nicht, ehrlich – ich will nicht zu spät und betrunken in der Agentur aufkreuzen.«

»Dann tun Sie's nicht«, schlug Ben vor.

»Sie sagen es. Ich sollte mich jetzt lieber auf den Weg machen.«

»Nein. Ich meinte, dann lassen Sie doch die Arbeit. Machen Sie blau. Sie haben gestern bis spätabends gearbeitet. Rufen Sie an, sagen Sie, es geht Ihnen nicht gut, und nehmen Sie sich den Tag frei.«

»Um was zu tun?«

»Na das, worauf Sie Lust haben.«

»Zum Beispiel Flamingos anschauen?« Lucy erinnerte sich an das Versprechen, das Ben ihr vor dem Frühstück gegeben hatte.

»Zum Beispiel Flamingos anschauen, wenn das nötig ist, um Sie von meiner Idee zu überzeugen. Ich bin ein Mann, der zu seinem Wort steht.«

Er griff nach ihrer Hand, die fast in seiner verschwand. Es war ein schönes Gefühl, eine Art Geborgenheit.

Ben führte sie durch einen mit Ranken bewachsenen Torbogen. »Das hier ist der Tudor-Garten, den mag ich am liebsten. Aber Sie wollten die Flamingos sehen, also muss der Rundgang warten.«

Während sie weitergingen, spürte Lucy ihre Hand intensiver als jeden anderen Teil ihres Körpers. Bens starke Finger hielten ihre sicher umschlossen, und am liebsten hätte sie die Finger mit seinen verschränkt und ihn an sich gezogen – erst recht, als ihr erneut sein Duft in die Nase stieg.

Je mehr Zeit sie mit ihm verbrachte, desto verführerischer fand sie ihn. Während des Frühstücks hatte er sie mit Anekdoten aus seiner Zeit als Koch unterhalten, und sie hatte gelacht wie seit Jahren nicht mehr; außerdem war seine Leidenschaft für gutes Essen ansteckend. Während sie sich durch den Inhalt des Picknickkorbs aßen, verriet er ihr, wie es den Herstellern gelang, dass ihr Käse besonders cremig wurde, welche Rosensorten das Gelee so aromatisch machten, und noch zahlreiche andere kleine Geheimnisse, dank derer sie die Lebensmittel besonders zu schätzen lernte. Alles schmeckte himmlisch und war Welten entfernt von den in Plastik eingeschweißten Hörnchen, die sie normalerweise zum Frühstück aß.

Als Ben mit ihr auf eine rote Buckelbrücke zusteuerte, die über einen Teich führte, streichelte sein Daumen zart die Innenseite ihres Handgelenks. Lucys Magen geriet ins Taumeln, und in ihrem Bauch breitete sich eine kribbelnde Wärme aus – wie konnte es sein, dass manche Männer einen mit nichts als der Berührung eines Fingers scharf machten, während andere einen auszogen und jede Stellung des Kamasutra durchexerzierten, ohne dass es irgendeine Wirkung zeigte? Sie dachte an David: Er hatte sich wirklich angestrengt – er hielt sich für einen guten Liebhaber –, trotzdem hatte er nie solche Gefühle in ihr wachgerufen wie Ben jetzt gerade. Lag es an Bens Geruch? An der Art, wie er tief in ihre Seele hineinzuschauen schien, wenn ihre Blicke sich trafen, so dass sie sich fühlte, als wäre sie die interessanteste – und begehrenswerteste – Frau der Welt? An seinem Körper? Was auch immer es war, während Ben ihr etwas über die Gärten erzählte – »Hier dreht sich alles um Nachhaltigkeit; sämtliche Küchenabfälle wandern in den Wurmkomposter.« –, merkte Lucy, wie ihr Verlangen auf geradezu alarmierende Weise anstieg. Ich kann nicht glauben, dass ich geil auf einen Mann bin, der über Würmer redet, dachte sie bei sich. Sie schielte zu Ben hinüber und war sofort fasziniert von seinen Lippen – sie waren voll und perfekt geschwungen. Wie sie sich wohl anfühlen würden, wenn er sie küsste?

In der Mitte der Brücke blieb Ben stehen. Er ließ Lucys Hand los und berührte stattdessen sanft ihren Rücken.

»Wie versprochen: Flamingos«, verkündete er und deutete mit dem Finger nach vorn.

Und tatsächlich: Im Teich standen, umgeben von einem Teppich aus Frühlingsblumen, Krokussen und Anemonen, vier hellrosa Vögel – mitten auf dem Dach. Einer von ihnen ruhte lässig auf einem Bein, während ein anderer gerade den Hals ins Wasser tauchte. Als er den Kopf hob, perlten die Tropfen von seinem Schnabel ab und funkelten im Sonnenlicht.

»Und Sie haben an mir gezweifelt.«

»Sie sind wunderschön.«

»Da sind sie nicht die Einzigen«, sagte Ben und legte ganz selbstverständlich den Arm um Lucys Taille. Erneut spürte sie, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg – und als Bens Fingerspitzen über die Wölbung ihrer Hüfte strichen und sie seine Wärme auf der Haut spürte, breitete sich die Hitze auch auf andere Stellen ihres Körpers aus. Ihr wurde unbehaglich zumute – eine derart heftige Reaktion kannte sie nicht von sich. Sie versuchte, sich wieder auf ihr Gespräch zu konzentrieren.

»Wie kommt es, dass hier Flamingos gehalten werden?«

Ben zuckte die Achseln. »Das weiß ich auch nicht genau – ich glaube, es gibt sie seit den Siebzigern. Stefan hat mir erzählt, dass hier früher einige legendäre Partys gefeiert wurden – Jagger, Marc Brown, Bowie – richtige Stars, nicht diese Reality-Promis von heute. Wahrscheinlich sollten die Flamingos für zusätzlichen Glamour sorgen. Jemand hat mir mal gesagt, dass man zweihundertfünfzig Pfund Bußgeld zahlen muss, wenn man einen der Vögel vom Dach wirft. Wobei ich keine Ahnung habe, wie jemand auf so eine Idee kommen könnte.«

»Können sie denn nicht fliegen?« Sie stellte sich vor, wie betrunkene Partygäste die Flamingos quer durch den Garten scheuchten und die Bewohner von Kensington am nächsten Morgen rosafarbene Vögel orientierungslos in den Straßen herumstaksen sahen.

»Man hat ihnen die Schwungfedern gekappt, damit sie nicht wegfliegen können. Es ist zwar schön hier oben, aber irgendwie tun mir die Tiere leid – sie leben mitten in der Stadt, ständig Partys, und die ganze Zeit müssen sie Small Talk über sich ergehen lassen. Für mich wäre das nichts.«

Schon wieder musste Lucy an David denken. Er hatte immer darauf bestanden, sich auf allen »wichtigen« Partys zu zeigen. Anfangs war das okay gewesen, aber sobald er ihr den diamantenen Verlobungsring an den Finger gesteckt hatte, war der Druck auf sie immer größer geworden. David schien davon auszugehen, dass der Ring ihm das Recht gab, über sie zu bestimmen. »Als verlobte Frau solltest du dich eleganter kleiden.« »Ich finde es nicht gut, wenn du mehr als ein Glas Wein trinkst – die Leute bekommen den falschen Eindruck.« »Warum hast du dich so intensiv mit dem Kerl da unterhalten?« Sie verbrachte immer weniger Zeit mit ihren eigenen Freunden und immer mehr mit seinen, weil sie sich in seine Welt integrieren wollte. Sie hatte versucht, die Frau zu werden, die er haben wollte, doch am Ende hatte sie kapituliert und sich eingestehen müssen, dass sie sich niemals so sehr verändern konnte, dass sie seinen Vorstellungen genügte. Erst jetzt, ein Jahr später, besann sie sich langsam wieder darauf, wer sie gewesen war, bevor sie ihn kennengelernt hatte.

Ben nahm den Arm weg und ergriff wieder ihre Hand. Es war, als hätte er ihren Stimmungsumschwung gespürt.

»Genug von den Flamingos?«

Lucy nickte. David war der Letzte, an den sie jetzt denken wollte – sie hatte schon mehr als genug Lebenszeit an ihn verschwendet. Warum sollte sie sich von ihm den Morgen verderben lassen – einen Morgen, der im Begriff war, zum romantischsten ihres Lebens zu werden?

Ben kehrte mit Lucy in den Tudor-Garten zurück und malte mit dem Daumen gedankenverloren kleine Kreise in ihre Handfläche, wodurch Lucy auf eine völlig neue erogene Zone aufmerksam wurde – oder zumindest eine, die ihr bisher unbekannt gewesen war. Im Gegensatz zu den anderen Gärten war der Tudor-Garten lauschig und intim. Er war von hohen Steinmauern eingefasst, deren Anblick Lucy an alte Klostergärten erinnerte.

»Sie sollten mal im Sommer hier sein«, sagte Ben, der nichts von seiner Wirkung auf sie zu ahnen schien. »Es duftet herrlich, wenn der Lavendel und die Rosen in voller Blüte stehen. Aber Gärten im Frühling haben auch etwas ganz Besonderes. Man sieht die ersten Triebe rauskommen und weiß, dass nach dem Winter langsam alles wieder erwacht. Man hat das Gefühl, als würde das Leben von vorn beginnen. Das ist der eigentliche Jahresanfang, nicht Neujahr. So empfinde ich es wenigstens.«

Lucy schaute sich um. Tatsächlich: An dem Blauregen, der eine Wand emporkletterte, zeigten sich zartgrüne Blattknospen, und auf den Beeten reckten die ersten Pflänzchen zaghaft ihre Triebe aus der Erde. Das braune Laub und die abgefallenen Zweige am Boden hoben dieses neue Leben nur noch hervor. »So habe ich das bis jetzt noch nie gesehen. Aber ich verstehe, was Sie meinen«, antwortete sie. »Als Kind habe ich unheimlich gern im Garten gearbeitet, aber jetzt habe ich keinen mehr, und Zimmerpflanzen ducken sich vor Angst, wenn ich mich nähere. Ich habe es sogar mal geschafft, einen Kaktus eingehen zu lassen, seitdem traue ich mich nicht mehr, mir Zimmerpflanzen zu kaufen.«

»Zimmerpflanzen sind auch nicht dasselbe wie ein Garten. Es ist einfach ein unbeschreibliches Gefühl, die Erde zwischen den Fingern zu spüren, Saatgut auszubringen, zu beobachten, wie sich mit jedem Tag alles verändert – und Dinge zu essen, die man selbst angebaut hat. Sie könnten es mit einem Gewächshaus fürs Fenster probieren, vielleicht gelingt es Ihnen damit, Ihre Furcht vor Pflanzenmord zu überwinden. Sie werden staunen, wie viel Obst und Gemüse man in der Wohnung ziehen kann.«

»Vielleicht«, meinte Lucy unsicher. »Ich glaube, Ihnen ist nicht klar, wie wenig Talent ich für so was habe.«

Er schüttelte belustigt den Kopf. »Vielleicht sabotieren Sie sich auch nur selbst, weil Sie Angst vor dem Scheitern haben. Wenn etwas nicht gedeiht, macht das doch nichts – man kann jederzeit was Neues pflanzen. Das ist alles Teil der Lernerfahrung. Ich wette, es würde Ihnen mehr Spaß machen, als Sie denken – betrachten Sie es als etwas, das Ihnen Freude machen soll, nicht etwas, das um jeden Preis gelingen muss.«

Ben grinste Lucy an, und eine ganz neue Begeisterung flammte in ihr auf. Vielleicht hatte er ja recht.

Sie schlenderten noch eine Weile in einträchtigem Schweigen durch den Garten, wobei Lucys Körper mit jedem Schritt empfindsamer wurde. Ihre Haut begann in Erwartung von Bens Berührung zu kribbeln. Er musste doch merken, was für einen Effekt er auf sie hatte – und trotzdem unternahm er nichts. Als er ihr ein Fenster in der Mauer zeigte und sich hinter sie stellte, während sie den Blick über London schweifen ließ, legte er ihr sanft eine Hand auf die Schulter, und sie musste mit aller Gewalt dem Drang widerstehen, ihn an sich zu ziehen. Sie wollte sich mit dem Rücken an seine starke Brust lehnen und spüren, wie seine Erektion sich gegen sie presste. Sie setzten sich auf eine Bank, um von dort aus die Aussicht zu genießen, und sein Schenkel berührte ihren. Am liebsten hätte sie ihm die Hand aufs Bein gelegt, um seine festen, starken Muskeln zu fühlen. Und als er den Arm hob und ein paar Blätter zur Seite schob, um ihr eine winzige, in der Mauer wachsende Blume zu zeigen, rutschte ihm das Hemd hoch und gab für einen Moment den Blick auf seinen durchtrainierten Bauch frei. Sie musste die Fäuste in den Taschen vergraben, so stark war das Bedürfnis, ihn zu berühren. Es war eine regelrechte Erleichterung, als er den Arm wieder sinken ließ.

»Ich kenne diesen Ort, seit Stefan hier als Koch angefangen hat. Der Tudor-Garten war für mich immer der schönste Teil der Anlage. Was meinen Sie?«, fragte Ben.

»Er ist wunderschön – aber im anderen Garten gibt es die Flamingos. Die sind schwer zu toppen.«

»Andererseits hat auch der Tudor-Garten gewisse Vorzüge.«

Ben führte Lucy durch einen weiteren Torbogen. Jetzt befanden sie sich in einem komplett von Mauern umgebenen Teil des Gartens. Vom Gebäude aus waren sie nicht mehr zu sehen.

»Und die wären?«, fragte sie.

Bens Finger berührten ihr Handgelenk – diesmal ganz bewusst – und zeichneten zarte Muster auf ihre Haut, während er sich vor sie hinstellte und ihr in die Augen sah. Er stand schweigend da und betrachtete sie eindringlich, als versuchte er, ihre Gedanken zu lesen. Sein Blick war so forschend, dass Lucy unbehaglich zumute wurde – doch zugleich hatte die Situation etwas Intimes, Erregendes, so dass ihr Körper eine Woge von Adrenalin ausschüttete und ihre Brustwarzen sich unter der Bluse aufrichteten. Ben trat näher und legte ihr die andere Hand an die Hüfte.

»Man ist ungestört. Sie scheinen mir nicht der exhibitionistische Typ zu sein, und ich möchte Sie nicht in Verlegenheit bringen. Werden Sie schnell verlegen?«

Lucys Selbstvertrauen wuchs, denn ihr wurde klar, dass Ben sie genauso sehr begehrte wie sie ihn. Sie kannte diesen Blick – nur hatte er bisher bei keinem anderen Mann solche Gefühle in ihr ausgelöst.

»Kommt drauf an, was Sie vorhaben.« Sie machte ebenfalls einen Schritt auf ihn zu und sah hoch.

»Das.« Ben neigte den Kopf, und seine Lippen berührten ihre, warm und fest. Er wartete, bis sie sich entspannt hatte, dann vertiefte er den Kuss, zog sie an sich und drang mit seiner Zunge in ihren Mund ein. Seine Lippen schienen die Bewegungen von Lucys Lippen zu spiegeln, und sie hatte weniger das Gefühl, geküsst zu werden, als vielmehr Teil eines Kusses zu werden. Unwillkürlich drängte sie sich an ihn und spürte gleich darauf seine Hände im Rücken. Seine Fingerspitzen liebkosten federleicht ihre Haut; dann streichelten sie ihren Nacken; dann strichen sie sanft über ihr Gesicht, während Ben ihr tief in die Augen sah, bevor er sie ein zweites Mal küsste.

Ein Stöhnen entrang sich Lucys Mund, als Ben sie noch näher an sich zog und sein Bein zwischen ihre schob, wo es eine beinahe unerträgliche Reibung verursachte. Seine Oberschenkelmuskeln waren hart und übten einen köstlichen Druck auf ihre Klit aus, der sich nicht ignorieren ließ. Im Augenblick versunken, rieb sie sich an ihm und spürte, wie er immer härter wurde. Ihre Zungen kollidierten, und sie sog seinen Duft tief ein, atmete ein und aus, bis alles in ihrem Kopf zu schwimmen begann – von seinem betörend maskulinen Aroma, durch den verführerischen Druck seiner Erektion. Ihr Atem wurde flacher, und immer wieder seufzte sie leise auf.

Bens Hände wanderten über ihren Rücken, verfingen sich in ihrem Haar, glitten dann nach unten zu ihrem Hintern und kneteten ihn. Er presste sie an sich, als wollte er, dass sie miteinander verschmolzen. Und die ganze Zeit spürte sie Bens Oberschenkel zwischen ihren Beinen, sogar als er sie in einem stürmischer werdenden Kuss nach hinten bog und sie mit einer Hand im Kreuz stützte, während sein Mund immer drängender und fordernder wurde. Ihre Zungen tanzten miteinander einen perfekt choreographierten Tanz, bis jede Faser ihres Körpers von dem Kuss vibrierte. Die Art, wie Ben sie im Arm hielt, verstärkte den Druck zwischen ihren Schenkeln noch, und sie spürte, wie sie mit jeder Bewegung seiner Zunge anschwoll und feuchter wurde.

Ben richtete sie wieder auf, ohne den Kuss zu unterbrechen, und Lucy kam ihm in rhythmischen Bewegungen entgegen, schneller und schneller, sie fiel immer tiefer und tiefer, bis sie ein verräterisches Ziehen spürte. Nein!, dachte sie, aber es war zu spät. Der Orgasmus hatte sich angekündigt, seit dem Augenblick, in dem sie Ben begegnet war, und dieser unerträgliche Erregungszustand würde erst nachlassen, wenn sie Erlösung gefunden hatte. Während sie kam, küsste sie Ben wild und erforschte gierig seinen Mund in der Hoffnung, ihn so von dem Beben ihres Körpers abzulenken. Ihre Pussy zuckte an seinem Schenkel, und sie konnte nur hoffen, dass man nachher durch den hellen Rock keinen feuchten Fleck sehen würde. Sie vergrub das Gesicht an seiner Schulter und widerstand dem Drang, ihn zu beißen, um nicht laut aufzuschreien, als die Lust sie wie eine gewaltige Welle überrollte. Oder wollte sie ihn markieren, als ihren Besitz? Schwer atmend löste sie sich von ihm.

Ben sah sie an. Seine Pupillen waren so groß, dass Lucy kaum noch seine Iris sehen konnte. Sie erwiderte seinen Blick. Ihre Wangen glühten, sie war unsicher, was sie jetzt tun sollte – und ob Ben wusste, was gerade eben passiert war. Sie konzentrierte sich darauf, ruhig zu atmen und langsam wieder in der Realität anzukommen.

»Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich dich geküsst habe?«, sagte Ben und rückte seinen immer noch steifen Schwanz zurecht. An seinem Verlangen nach ihr bestand jedenfalls kein Zweifel.

Lucy schmunzelte. »Ich bin definitiv froh, dass du einen abgeschiedenen Ort dafür ausgesucht hast.«

»Ben? Steckst du hier irgendwo?« Die Stimme war erschreckend nah, und Lucy begann hektisch, ihre Kleider zu richten, als wäre sie nackt erwischt worden, obwohl das einzig sichtbare Zeichen ihres Tuns – abgesehen von Bens Erektion – die leichte Röte ihrer Wangen und ihre vor Lust vergrößerten Pupillen waren.

Als Lucy den Blickkontakt zu Ben abgebrochen hatte, realisierte sie, dass sie ihm vermutlich immer weiter in die Augen gestarrt hätte, wären sie nicht gestört worden. Bis er irgendwann weggeschaut hätte. Es war, als könne sie den Menschen hinter der Fassade sehen – sein Blick war freimütig, fast herausfordernd –, und offensichtlich fühlte er sich genauso zu ihr hingezogen wie sie sich zu ihm. Angesichts seines unverhohlenen Begehrens zog sich erneut etwas in ihr zusammen. Sie sehnte sich danach, ihn in sich zu spüren.

Ben ging, nach außen hin völlig gelassen, auf den Tordurchgang zu.

»Stefan. Ich habe der reizenden Dame, die mir mein Portemonnaie zurückgebracht hat, nur gerade den Garten gezeigt. Ich hoffe, das geht in Ordnung.«

»Überhaupt kein Problem. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Der neue Beikoch ist ungefähr so nützlich wie eine Teekanne aus Schokolade. Scheißverdammte Personalagenturen. Verzeihen Sie die Ausdrucksweise.« Stefan nickte Lucy entschuldigend zu. Sie lächelte.

»Die Anlage ist wunderschön – vielen Dank, dass ich mich umsehen durfte.«

»Keine Ursache. Sie ist ohnehin öffentlich zugänglich. Nicht, dass ich unserem Big Ben jemals eine Bitte abschlagen könnte – also, wie läuft das Geschäft? Tut mir leid, dass ich mich vorhin nicht länger unterhalten konnte. Heute Vormittag geht irgendwie alles drunter und drüber. Das Gemüse wurde eine Stunde zu spät angeliefert, und deswegen hinken wir mit der Mise en place hinterher – auch ohne diesen Trottel, den die Agentur uns vorbeigeschickt hat.«

»Mein Beileid. Mir geht's so weit gut. Die Dinge in Brighton entwickeln sich nach Plan – das kulinarische Festival steht an, deswegen gibt es gerade jede Menge zu tun. Und der Garten kommt auch langsam, insofern werde ich diesen Monat einiges an Arbeit haben. Aber es macht Spaß.«

»Wie geht es Clare?«

Lucy sah, wie Bens Augen sich verdüsterten. Wer ist Clare?, fragte sie sich und spürte einen Stich in der Brust. Eifersüchtig nach einem einzigen Kuss – selbst wenn es der denkwürdigste Kuss ihres Lebens gewesen war? Sie musste sich wirklich zusammenreißen.

»Mal wieder auf einem ihrer Selbstbefreiungstrips – mit dem üblichen Verdächtigen.«

»So ein Mist. Ich sag dir, du bist besser dran, wenn du dich aus der Sache raushältst. Du tust schon viel zu viel für die Frau. Und wie sieht's bei deinen Eltern aus?«

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