Bodenrausch - Wilfried Bommert - E-Book

Bodenrausch E-Book

Wilfried Bommert

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Beschreibung

Seit der weltweiten Finanzkrise gelten Investitionen in Ackerflächen als besonders krisensicher. Waren es früher Staaten, die Länder kolonisierten, sind es heute Energie-, Rohstoff- oder Finanzkonzerne. Sie kaufen und pachten großflächig Land in Afrika, Asien, Osteuropa und Südamerika, was weltweit zu massiven Preiserhöhungen bei Nahrungsmitteln führt. Die Folge sind Hungersnöte, Aufstände in immer mehr Ländern, die zu einem Verlust der politischen Stabilität und zum Kollaps der Welternährung führen. Dieses Buch zeigt erstmals, wer die Akteure dieses Bodenrausches sind und wer seine Opfer. Und was jeder einzelne in seinem Konsum- und Essverhalten tun kann, um ihn zu stoppen. Denn wer Biosprit und volle Supermärkte aus industrieller Landwirtschaft braucht oder sein Geld in Agrar- und Boden-Fonds investiert, unterstützt die globale Jagd nach den Äckern der Welt.

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WILFRIED BOMMERT

mit Sabine Jacobs

BODENRAUSCH

Die globale Jagd nach den Äckern der Welt

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Copyright © 2012 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Marion Voigt, folio, Zirndorf Umschlaggestaltung: Pauline Schimmelpenninek Büro für Gestaltung, Berlin Umschlagmotiv: © missbehavior.de E-Book-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-8387-1766-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

INHALT
VorwegTEIL I: VON TÄTERN UND OPFERNHeißer als Gold. Die Jagd beginntLandlords im Aufbruch · Offshore-Paradiese · Wege aus dem globalen DilemmaLandgewinn. Die neuen Herren übernehmenZocker und Finanzkapital · Neuland für die Ölbarone · Staaten am Tropf · KlimagewinnlerBodenlos. Die Opfer der JagdEuropas Land in Bonzenhand · Agrarkonzerne in Osteuropa · Nordamerikas wilder Westen · Südamerika: Big Player Brasilien · »Brachland« Südostasien · Gerangel um AfrikaBodendealer. Wie Weltbank und Co. den Boom anheizenÖffnung für den Weltmarkt · Filetstücke der Weltagrarlandschaft · Millennium Challenge CorporationTEIL II: PEAK SOIL – DIE GRENZEN DES WACHSTUMSSchwund. Warum der Boden knapper wirdErosion durch Wind und Wasser · Das Salz der Erde · Städte, Straßen und Industrie · Kampf um Wasser · Mangel an DüngerFleisch, Fisch und Biosprit. Der Bodenhunger wächstMehr Getreide für den Trog · Zwischen Tank und TellerWeltbevölkerung. Wie viel Land braucht der Mensch?Sieben Frauen, 49 Kinder · Die Zukunft heißt Stadt · Der Geruch von MüllKlimawandel. Gefährlicher BrandbeschleunigerExtremwetter als Normalfall · Teuerung bei Lebensmitteln · Landunter im Delta · Demografische BrennpunkteTEIL III: VERLORENEN BODEN WIEDERGUTMACHENSchwarze Erde. Aus eigener HerstellungDas Geheimnis der Inkas · Europa im Biokohlezeitalter · EM-Bakterien als BodensaniererPuffer. Was die Nahrungskette bietetSchwindsucht zwischen Acker und Teller · Verfall vorprogrammiert · Tonne statt Teller · Das große FressenTEIL IV: DEM BODENRAUSCH DEN BODEN ENTZIEHENAbmahnen. Die Kontrolle wiedergewinnenGlobaler Paradigmenwechsel · Privateigentum auf schwankendem Grund · »Was mehr wird, wenn wir teilen«Das Ende der Jagd. Zurück auf sicheren BodenSzenario für 2020 · Das große Bremsmanöver · Die Stunde der ZivilgesellschaftAnmerkungen
VORWEG

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ereignet sich klammheimlich ein Paradigmenwechsel in der Weltlandwirtschaft. Das Bauerntum geht unter und an seine Stelle tritt die Herrschaft anonymer Kräfte. Die Kapital- und Energiemärkte bemächtigen sich des Bodens, der Grundlage der Welternährung. Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte, dass fremde Mächte nach dem Boden anderer Völker greifen. Früher waren es Staaten oder einzelne Kolonialgesellschaften, die Kriege um Land führten und sich im kolonialen Rausch ganze Kontinente und deren Kornkammern einverleibten. Heute ist es das globale Finanzkapital. Nach dem Crash der Finanzmärkte 2008 ist Boden eine der letzten Bastionen, um Werte und Renditen zu sichern – mit unabsehbaren Folgen für die Welternährung. Die Kapitalrendite entscheidet in Zukunft darüber, was auf den Äckern der Welt angebaut wird. Und die Spekulation an den Nahrungsmittelbörsen bestimmt, wie hoch die Preise für das tägliche Brot der Welt getrieben werden.

Seit 2007 kennt der Food Price Index der Welternährungsorganisation FAO nur noch eine Richtung, und die weist aufwärts. Nichts deutet darauf hin, dass sich diese Entwicklung wieder umkehren könnte. Im Gegenteil, seit die Industriestaaten mit Milliarden den Anbau von Biotreibstoff subventionieren, verschärft sich die Lage zusehends. Das Ende des Erdöls schürt die Gier. Damit sind die Weichen auf den Äckern der Welt neu gestellt. Die Märkte verlangen Industrieplantagen, die das schwindende Öl durch Biosprit und Biorohstoffe ersetzen. Die Welternährung verkümmert damit zu einer Restgröße, die nur dann bedient wird, wenn der Durst nach Treibstoff und der Hunger nach Rohstoffen der Industrie- und Schwellenländer gestillt sind. Dies jedoch dann zu Preisen, die für eine wachsende Mehrheit der Weltbevölkerung unerschwinglich sein werden.

Das Jahr 2011 beschert der Welt das zweite Allzeithoch für Lebensmittelpreise in nur drei Jahren. Die Hungeraufstände, die seit 2007 mehr als 25 Länder erschüttert haben, breiten sich aus. Auch wenn der Ruf nach Brot in Tunesien, Ägypten und Libyen nicht an vorderster Front zu hören war, so bildete er doch das Hintergrundgrollen für den Umsturz der Diktaturen. Wo die Menschen mehr als die Hälfte ihres Einkommens für ihr tägliches Brot ausgeben müssen, birgt jede weitere Preiserhöhung den Keim eines neuen Aufstands in sich. Der richtet sich zunächst zwar nur gegen die nationalen Regierungen, aber im Kern gegen eine Weltwirtschaftsordnung, die die Grundbedürfnisse der Menschheit aus dem Auge verloren hat.

Wenn den Kapitalinteressen, die seit 2007 den Boden und die Weltlandwirtschaft entdeckt haben, keine Zügel angelegt werden, dann droht auch hier, wie an den Kapitalmärkten, der Zusammenbruch, der Kollaps der Welternährung. Das verbindet die Hungeraufstände mit den Demonstranten, die sich 2011 zum ersten Mal unter dem Banner »Occupy Wallstreet« sammelten. Auch sie haben das Vertrauen in die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte verloren. Der Ruf nach einem Kurswechsel, nach einem Neuanfang wird lauter.

Der Zugriff des Finanzkapitals auf die Äcker der Welt muss abgewehrt werden. Nicht nur, weil er die Welternährung untergräbt, sondern auch, weil er das Weltklima weiter aufheizt und die Stabilität ganzer Weltregionen infrage stellt. Der Raubbau an Boden, Wasser, Artenvielfalt und Klima muss ein Ende finden. Diese Kehrtwende in der bisherigen Agrar- und Ernährungspolitik ist möglich, und es gibt bereits ein Heer von Vorreitern, die zeigen, welche Wege aus dem globalen Dilemma führen.

Doch diese gute Nachricht findet im Chaos der Weltwirtschaftskrise kein Gehör. Die Kraft der politischen Klasse wird von der Finanzkrise voll absorbiert. Die Lobby der Agrar- und Ernährungsindustrie versucht, ihr globales Modell und ihre Profite zu verteidigen. Staatskanzleien spielen auf Zeit. Sie fürchten vor allem eines, den Machtverlust. Doch der GAU, der größte anzunehmende Unfall, der Welternährung rückt näher. Er birgt nicht nur das Ende einer Epoche in sich, wie die Kernschmelze von Fukushima, die das Ende des nuklearen Zeitalters einläutete, sondern auch die Chance auf einen Neuanfang. Der wird, von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, bereits vorbereitet, nicht in der Politik, sondern in der Zivilgesellschaft rund um den Globus.

Wie wir den Boden wieder zur Grundlage der Welternährung machen können, das ist die Herausforderung des 21. Jahrhunderts und ein zentrales Anliegen dieses Buches.

TEIL I

Von Tätern und Opfern

Heißer als Gold. Die Jagd beginnt

»Wie Gold, nur heißer«, so schätzt der kanadische Investmentbanker Chris Mayer die zukünftige Bedeutung des Bodens ein. Von seinem Büro in Vancouver aus kann er weit ins Land sehen. Was früher bestenfalls einen Farmer interessiert hätte, bewegt heute auch die Finanzwelt.1

Chris Mayer schreibt für das Fachblatt Capital & Crisis. Hohe Kapitalrenditen sind seine Stärke. Seinen Anhängern verschaffte er schon Renditen von 114 Prozent. Das spricht für sein Urteilsvermögen beim richtigen Anlegen von Kapital in der Krise. Chris Mayer empfiehlt Boden als Retter vor den Krisen, die uns noch ins Haus stehen. Die Finanzkrise, die längst nicht überwunden ist, die Ernährungskrise, die sich mit jedem Tag weiter aufschaukelt, die Krise der Ölmärkte, deren Vorräte ihrem Ende entgegengehen, und schließlich die Weltklimakrise, auf deren Höhepunkt wir zusteuern. Vier Krisen, vier verheißungsvolle Chancen für die Anleger.

Im Boden liegt zu Beginn des 21. Jahrhunderts mehr Profit als auf den Goldfeldern, behaupten die Fundamentalisten der Finanzmärkte. Das heizt die Spekulation weltweit an. Schürt Visionen von den ganz großen Geschäften auf den landreichen Kontinenten. In Südamerika – vor allem in Brasilien –, Afrika, Südostasien und Osteuropa liegen die »Bodenbanken« der Welt und die »Ölfelder« der Zukunft. Dass es Opfer geben wird bei der Jagd auf die Äcker der Welt, schlägt in der Kalkulation der Investmentbanker nicht zu Buche. Dass Existenzen vernichtet, Familien entwurzelt werden, ganze Landstriche verelenden und die politische Stabilität ganzer Erdteile untergraben werden könnte, ist nicht ihr Geschäft.2

Aber das ist Thema dieses Buches. Es beschreibt im ersten Teil eine Welt, die den Boden unter den Füßen verliert und damit zunehmend aus der Balance gerät. Die Bühne, auf der die Tragödie vom Bodenrausch spielt, ist global. Diese Einführung zeichnet zunächst das große Bild der Zusammenhänge und Hintergründe, sie soll das einordnen, was uns in den weiteren Kapiteln beschäftigen wird: Wohin führt dieser globale Bodenrausch? Wer sind die Profiteure, wer die Leidtragenden? Was treibt den Boom an, und was könnte ihn ausbremsen? Welche Chancen eröffnet die Wissenschaft, um verlorenen Boden wiedergutzumachen? Welche Spielräume bleiben der Politik, um den Boden vor dem Diktat der Kapitalmärkte zu retten? Wie kann sich die Zivilgesellschaft gegen den Angriff auf die Basis ihrer Ernährung wehren? Kann der Boden weiterhin Privatsache bleiben, wenn er zum Spielball von Renditejägern wird?

Mittlerweile haben sich Tausende in den Markt eingeklinkt, Millionen von Hektar Land sind auf dem Weg in neue Hände, Milliarden von Dollar liegen bereit, um die Konten zu wechseln, schätzungsweise 40 Prozent der Ackerflächen der Welt stehen zum Verkauf. Ein Bodenrausch ohne Beispiel steht an – mit dramatischen Folgen für die Weltgemeinschaft.

LANDLORDS IM AUFBRUCH

Begonnen hat der Run auf den Boden in den Jahren 2007/2008. Die Preise für Reis, Weizen, Mais und Speiseöl schossen innerhalb weniger Wochen bis um das Dreifache in die Höhe. Der Ölpreis durchschlug die magische Grenze von 140 US-Dollar pro Barrel. Zeitgleich brachen die Finanzmärkte zusammen. Seither entwickelt sich der Boden von einem Stück Dreck zu einer der begehrtesten Sicherheiten der Welt.

Von 2008 an nahmen innerhalb von 24 Monaten Finanz-, Rohstoff- und Agrarkonzerne eine Fläche von der Größe Frankreichs in Besitz.3 Nach Schätzungen der Weltbank stand 2010 mehr als ein Drittel des Weltbodenvorrats auf der Einkaufsliste einer neuen Kaste von Kolonialherren, und das ist erst der Beginn des Booms. Die Hilfs- und Entwicklungsorganisation Oxfam konstatierte 2011, dass ein Gebiet von der Größe Westeuropas bereits den Besitzer gewechselt hat. Seither formieren sich ganze Jagdgesellschaften und stecken ihre Reviere ab. Besonders begehrt ist der Boden dort, wo er noch preiswert ist, beispielsweise in Afrika, aber nicht nur da. Auch im alten Europa blasen sie zum Aufbruch, auch Deutschland bleibt vom Bodenrausch nicht unberührt.

Selbst im bodenständigen Ostfriesland klagen Bauern über Banker, die sich über die friesische Krume hermachen. Anlagekapital auf der Pirsch nach angeschlagenen Höfen, nach Bauern, die mit ihrem Einkommen schon seit Jahren nicht mehr über die Runden kommen. Die Opfer der europäischen Tiefpreispolitik sind leicht zu erkennen an heruntergekommenen Ställen, abgewirtschafteten Maschinen und baufälligen Wohnhäusern, die sich an den letzten Anstrich nicht mehr erinnern können. Wenn es hier klingelt, geht es um Geschäfte, zu denen die wenigsten Nein sagen können. Das entscheidende Wort heißt »Überschuldung«, was droht, ist Zwangsversteigerung. Die Jagdfreunde kennen Notare, Notare kennen Grundbücher und können im Zweifel jetzt und gleich einen Termin frei machen zum Vertragsabschluss.

Wem das zu mühsam ist, wer nicht direkt investieren will, der wählt den diskreten Weg über Fonds und Beteiligungen. Hier wächst der Markt schnell. Deutsche Banken und Versicherungen spielen in der ersten Liga, nicht nur auf deutschem Boden.

Der Trend zum goldenen Boden setzt sich außerhalb der deutschen Grenzen fort, massiver und in noch viel größeren Dimensionen. Die deutsche Menschenrechtsorganisation FIAN deckte 2010 auf, dass mehr als 13 deutsche Fonds die Landwirtschaft zu ihrem Zielgebiet erklärt haben. Fast alle sind in den Krisenjahren 2007/2008 und später aus dem Boden der deutschen Finanzlandschaft geschossen. Sie haben 2010 1,5 Millionen Hektar Land in Afrika und Lateinamerika gekauft oder gepachtet, auch in Hungerstaaten wie Äthiopien oder der Demokratischen Republik Kongo.4 Die Geldgeber kommen überwiegend aus Europa.

Das Gefälle bei den Bodenpreisen beflügelt aber auch Investmentbanker aus anderen Teilen der Welt: zum Beispiel die indische Agrarholding Karuturi Global. Sie wirbt neue Anleger mit einer Rendite von 30 Prozent.5 Das ist ein schrilles Signal, ein Menetekel für die kommende Knappheit an Boden weltweit. Dabei liegt Karuturi Global noch am unteren Rand des Möglichen. Makler auf dem Londoner und New Yorker Parkett haben mehr zu bieten und überschlagen sich in ihren Gewinnprognosen.

Neben den Bankern sucht eine weitere Gruppe von Investoren nach Bodenhaftung: die Energiewirtschaft. Was sie treibt, ist das Ende des Rohöls, was sie interessiert, ist die lukrative Aussicht, die entstehende Lücke mit Agrosprit, Agrodiesel und Agrogas zu füllen.

Die Ölfeld-Stimmung hat das platte Land zwischen Rhein und Oder, Donau und Elbe längst erfasst. Hoch subventionierte Gasfabriken wachsen am Rande der Felder in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Auch die Großen der Branche wie E.ON sind mit von der Partie. Gegen die Energiefabriken im Grünen formiert sich zwar Widerstand, aber bislang ohne großen Erfolg.

In anderen Regionen der Republik wachsen Solarmodule auf Äckern und Weiden. Vor allem im Süden, wo die Sonne mehr hergibt, versucht die Solarwirtschaft seit 2008, die Landwirtschaft auszubooten. Zum Beispiel in der Gemeinde Feldkirchen bei Straubing. Hier fühlen sich die Bürger von einem 180 Hektar großen Solarpark bedrängt, der auf dem Land des Fürstenhauses Thurn und Taxis entstehen soll.

Die Furcht geht um, dass Energie- und Rohstoffkonzerne mit ihren prall gefüllten Kassen über Land ziehen könnten und in den Hinterzimmern verrauchter Bauernschenken das Geschäft mit dem Land der Bauern machen. Pachten oder kaufen ist gar nicht mehr die Frage, die die Nachbarn bewegt. Sie fragen sich, wo sie in Zukunft bleiben sollen. Existenzangst geht um.

Wie die Gas- und Stromfabrikanten verlangen auch die Agrospritfabriken ihren Anteil an den Bodenreserven der Welt. Die Ölfelder der Zukunft liegen an Land, denn die Tiefen der Meere sind ein unsicheres Terrain. Das hat 2010 die Explosion der Deepwater Horizon im Golf von Mexiko gezeigt. Die Zeiten des leichten Öl-Gewinns gehen zu Ende, und je klarer das wird, desto gieriger suchen die Konzerne nach neuen Quellen. Agrosprit, also Ethanol aus Mais und Zuckerrohr oder Diesel aus tropischen Palmenwäldern oder heimischem Raps, rückt auf der Liste ihrer Begehrlichkeiten immer weiter nach oben. Der Run auf neue »Öl-Felder« wächst. Mehr als die Hälfte der Landnahme weltweit geht auf Rechnung der Agrospritindustrie. Und die steigenden Preise an den Energiemärkten treiben die Suche nach oberirdischen Energiefeldern weiter voran.6

Der Gürtel der zukünftigen Ölfelder lässt sich heute schon erkennen, er zieht sich einmal rund um den Globus. Je näher am Äquator, desto größer die Sonnenausbeute und desto größer die Energiegewinne. Brasilien entwickelt sich zur Tankstelle der USA, und Afrika und Südostasien werden zur Raffinerie für Europa, solange China und Indien noch in den automobilen Anfängen stecken.

Neben der Energielobby meldet sich neuerdings eine weitere Instanz zu Wort, die ebenfalls ihre Zukunft auf dem Acker sucht: Industrien, die vom Erdöl als Rohstoff abhängen, etwa die Kunststoffindustrie. Allein in Deutschland werden jährlich 20 Millionen Tonnen Plastik in Form gegossen, vom Fensterrahmen bis zum Putzeimer, ohne Kunststoff bräche die Zivilisation der Industriestaaten zusammen. Auch die chemische Industrie drängt auf ihren Anteil am Kuchen der nachwachsenden Rohstoffe, und auch ihr Hunger wird wachsen.7

Fast geräuschlos hat sich diesem Trio der Landaufkäufer aus Finanzwirtschaft, Energie- und Chemischer Industrie eine vierte Kraft angeschlossen: der bisher als unverdächtig eingestufte Markt für Klimagase. Seine Akteure haben die Land- und Forstwirtschaft für sich entdeckt und suchen Neuland, um über Pflanzen Treibhausgase einzusammeln. Boden und Wald sollen als Helfer im Kampf gegen den Klimawandel eine bedeutende Rolle spielen. Spekulanten wittern darin einen neuen Wachstumsmarkt. Denn wer Boden besitzt, kann die Fähigkeit von Pflanzen, das Klimagas CO2 in Blättern, Wurzeln und Stämmen zu binden, in Geld umwandeln. Er besitzt damit eine natürliche Bank für Klimagase, auf der er Klimazertifikate bunkern kann. Wertpapiere, die bei der Klimabörse in Geldwert umgewandelt werden können. Und der Wert steigt umso schneller, je höher die Latte der globalen Klimaziele hängt.

Der amerikanische Bauernverband versucht zurzeit, diese Idee in die holpernde Klimadebatte der USA einzuspeisen, und entfesselt damit einen zusätzlichen Run auf die Äcker des Mittleren Westens. Auch in Afrika, Asien und Südamerika ergattern findige Unternehmer mit fragwürdigen Aufforstungsaktionen Klimazertifikate und nähren damit ebenfalls den weltweiten Bodenrausch.

OFFSHORE-PARADIESE

Beim Kampf um lukrative Anbauflächen bleiben die genannten Marktteilnehmer nicht unter sich. Verschärft wird die Konkurrenz durch Länder, für die die Frage des Bodens eine Frage des Überlebens ist. Seit der Ernährungskrise 2008 versuchen die Politiker in den Getreidedefizit-Staaten, neues Land für die Volksernährung zu finden, jedenfalls die Staaten, die es sich leisten können. Zu den größten Käufern am Weltbodenmarkt gehört China. Das Land kann für seine Menschen nur noch ein Minimum an Boden bieten, und auch das ist in Gefahr durch die boomenden Städte, die ausufernde Industrie und die sich vom Norden her ausbreitenden Wüsten.

Nicht viel besser ist die Situation in Indien. Das Land kämpft mit Wassermangel und Überbevölkerung. Bis zur Mitte des Jahrhunderts muss es 700 Millionen Menschen zusätzlich ernähren. Was auf Indien noch zukommt, ist in Japan schon Alltag. Dort hat die Landwirtschaft zwischen Bergen und Meer kaum Platz, um die eigene Bevölkerung zu ernähren. Von 1965 bis 1998 stiegen die Nahrungsimporte von 27 auf 60 Prozent des nationalen Verzehrs.8 Nur ein Bruchteil dessen, was in japanischen Supermärkten über die Kasse gezogen wird, stammt von japanischen Bauern. Das Industrieland Japan hängt damit mehr als jeder andere Industriestaat am Tropf der Weltagrarmärkte, der nukleare Supergau von Fukushima wird diese Lage noch einmal erheblich verschärfen.

Nicht anders ergeht es Südkorea. Die Importlücke des Industrielands wächst. Die Ursache liegt auch hier in einer Landwirtschaft, die sich der Industrialisierung widersetzt. Die Bauern wirtschaften auf Kleinsthöfen, noch nicht einmal so groß wie ein Fußballfeld. Maschinen lassen sich dort kaum einsetzen. Die Ernten reichen für die Bauerndörfer, aber keineswegs für die Versorgung der schnell wachsenden Städte.

Zu denen, die auf die Weltmärkte angewiesen sind, kommen die Golfstaaten, in denen die Wüste kaum Ackerbau zulässt. Das Wasser fehlt, außer im Fall von Schafen, Ziegen und Kamelen liegt die Viehzucht brach. Selbst Ägypten gelingt es nicht, aus dem Schwemmland des Nils genügend Weizen für die eigene Bevölkerung zu produzieren. Der Importbedarf liegt bei mehr als 50 Prozent. Trotz hoher Staatsverschuldung kauft das Land am Nil Neuland, um nicht weiter in die Abhängigkeit vom unberechenbaren Weltmarkt zu geraten.

Sowohl China als auch Indien, Japan ebenso wie Südkorea, die Ölstaaten und die Mittelmeeranrainer – alle versuchen, in Zukunft den Weltmarkt zu umgehen und ihr Getreide, ihren Zucker, ihre Speiseöle und im wachsenden Umfang auch ihre Agrotreibstoffe auf eigenen Äckern in anderen Ländern »offshore« zu ernten. Wo wird dieser fortschreitende Hunger auf Land gestillt werden, wo liegen die Zentren des Bodenrausches zu Beginn des 21. Jahrhunderts?

Die Jagd auf die Äcker der Welt findet nicht ohne Strategie und Planung statt. Wie bei der Suche nach Gold und Öl bereiten Prospektoren den Weg. Sie durchforsten Kataster und Satellitenbilder, Wasser und fruchtbarer Boden sind ihre Zielgebiete. Juristen prüfen die Rechtslandschaften mit dem Fokus auf Staaten, die kein individuelles Recht auf Boden kennen oder aber mit korrupten Gerichten geschlagen sind, die verhindern, dass einheimische Bauern ihr Recht auf Land durchsetzen können. Oder aber sie werden von einer politischen Klasse regiert, die das Land ihres Volkes gekapert hat und darüber verfügt, ohne Achtung vor den Rechten der Menschen.

Im Fadenkreuz dieser Landsucher stehen »failed states«, gescheiterte Staaten. Sie finden sich in Afrika, aber auch in Südamerika, Südostasien und auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion. Besonders gut läuft das Geschäft mit dem Boden dort, wo der Atem der alten Kolonien noch weht, wo das derzeitige Führungspersonal keine Skrupel kennt, wo Korruption und Raffgier regieren.

Zu diesen Ländern gehören Uganda und Kenia, ebenso wie Tansania, Mosambik, Sambia, Nigeria, Liberia, ganz besonders aber der Kongo. In der Tradition ihrer Kolonialherren schneiden die herrschenden Cliquen immer neues Land aus dem Volksvermögen, auch wenn die eigene Bevölkerung hungert, wie in Äthiopien, im Sudan und in Kenia. Das Geld fließt auf Konten internationaler Steuerparadiese und nicht in die nationale Kasse, und wenn, dann ist es eher Kleingeld, weniger als 10 Dollar für die Fläche eines Fußballplatzes. In Europa liegt die Pacht für Vergleichbares bei 400 Euro und mehr.

Die Flucht der Reichen in die landwirtschaftlichen »Offshore-Paradiese« wird der Welt als ein Ausweichen auf ungenutztes Land verkauft, doch das ist falsch. Genauso wie die Rechtfertigung, dass das Geld aus dem Ausland in vielen Ländern die einzige Chance sei, um die einheimische Landwirtschaft aus dem Steinzeitalter zu führen. Die Befreier kommen nicht ohne Eigennutz. Im Gegenteil, der eigentliche Motor für ihr Investment heißt Profit.

Gefördert und gestützt werden die Bodengeschäfte nicht nur von geschäftstüchtigen Regimes, sondern auch von den internationalen Instituten. Allen voran geht die Weltbank.

Im Herbst 2010 legte die Weltbank eine Karte der neu vermessenen Welt vor. Die Weltkarte der käuflichen Böden. Nach außen wird diese Vermessung der Welt als eine Aktion im Interesse der jeweiligen Länder und Regierungen deklariert. Tatsächlich ist es ein Wegweiser für alle, die auf der Suche nach profitablem »Neuland« sind.

Gemeinsam mit ihren Töchtern International Finance Corporation (IFC) und Foreign Investment Advisory Service (FIAS) schnürt die Weltbank attraktive Rundum-sorglos-Pakete für finanzstarke Investoren, mit teilweise bizarren Folgen: In Pakistan beispielsweise sichert die Regierung den Saudis in einem Landpachtvertrag militärischen Beistand gegen die eigene Bevölkerung zu, für den Fall, dass es wegen der Getreidetransporte vorbei an den Hütten der Armen zu Ausschreitungen kommen sollte.

Das weckt Erinnerungen: Das koloniale Erbe vergangener Jahrhunderte von Christoph Kolumbus bis zur United Fruit Company erlebt im Bodenrausch des 21. Jahrhunderts seine Wiedergeburt. Nur – heute geht es nicht mehr um Gold oder Luxusfrüchte. Es geht um die Basis der Welternährung und um Energie, um Felder also, auf denen es keinen Spielraum gibt. Auch ohne die neuen Spekulanten ist der Boden, die Grundlage unserer Ernährung, schon knapp und er wird laufend knapper. Das zeigt den Ernst der Lage, aber noch nicht ihre ganze Brisanz.

Die wird erst deutlich, wenn wir den Gesundheitsstatus des Bodens und seine wachsende Belastung in den Blick nehmen, und darum geht es im zweiten Teil dieses Buches.

Olivier De Schutter, der UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Nahrung, spricht am 28. Dezember 2009 vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York. Es geht um den weltweiten Bodenrausch. Die Delegierten verlangen Regeln, doch De Schutter versucht, sie auf die Ursachen des Problems zu stoßen. »Der Run auf das Land, vor allem in den Entwicklungsländern, ist das Ergebnis unserer eigenen Fehler. Wir haben in der Vergangenheit versäumt, in die Landwirtschaft zu investieren, insbesondere südlich der Sahara. Wir haben es versäumt, eine Landwirtschaft zu fördern, die den Boden nicht zerstört und die Wasservorräte nicht erschöpft.«9 Was Olivier De Schutter der Versammlung zum Jahreswechsel 2009 ins Stammbuch schreibt, beklagen Bodenforscher und Gewässerkundler schon seit Langem. Die Fundamente der Welternährung bröckeln.

Der Boden, den wir für eine solide und unzerstörbare Materie halten, ist in Wirklichkeit ein sensibler Organismus. Ein Organismus, dem offensichtlich die Methoden der modernen Landwirtschaft bisher nicht gut bekommen sind. Seine Kraft, die Bodenfruchtbarkeit, schwindet weltweit. Verantwortlich dafür ist ein Bündel von Ursachen. Aber die Schuld liegt nicht zuletzt im System der industriellen Landwirtschaft, ihrem gigantischen Maschinenpark, ihrem uferlosen Dünger- und Chemieeinsatz und ihren nimmersatten Viehherden. 50 Jahre moderne Landwirtschaft hinterlassen Millionen Hektar von entblößtem, ausgelaugtem und versalzenem Boden. Der Verlust beträgt mehr als ein Drittel des fruchtbaren Bodens der Welt.

Die zweite Fehlentscheidung im System liegt in der künstlichen Bewässerung. Ihre Quellen versiegen. Besonders dort, wo das Grundwasser angezapft wird, geht es schneller zur Neige als bisher angenommen. Die Hochleistungslandwirtschaft pumpt in den regenarmen Gebieten der Welt einen Grundwasserhorizont nach dem anderen ab. Das Ringen um die wertvollen Tropfen vollzieht sich vor allem dort, wo die großen Städte wachsen. Die Ausweichstrategie der Wasserbauer heißt: tiefer bohren. Aber auch dies führt auf lange Sicht nur ins Trockene, wie in China oder Indien, wo die Pumpstationen um Neu-Delhi mittlerweile aus einer Tiefe von mehr als 200 Metern fördern – bis der Strom versiegt.

Für 50 Prozent des globalen Wasserreservoirs meldet die Welternährungsorganisation »Wasserstress«, und das gilt auch für die großen Flüsse der Welt wie Ganges, Mekong, Euphrat, Tigris oder Nil. Durch chronischen Wassermangel drohen immer mehr ehemals grüne und fruchtbare Landstriche immer stärker zu verwüsten.

Als weiterer Krisenfaktor auf dem Bodenmarkt kommen die Treibstoffe der modernen Landwirtschaft ins Spiel. Ohne sie könnten die Farmen, von Kanada bis Australien, von Südamerika bis Nordeuropa, ihre Rekordernten gar nicht einfahren. Es geht um Diesel und künstlichen Dünger. Ohne dessen Komponenten Stickstoff, Kalium und Phospat wäre die industrielle Landwirtschaft nie aufgeblüht und ohne Diesel hätten sich ihre Erzeugnisse nie in Bewegung setzen lassen. Und genau das ist auch die Achillesferse dieser Wirtschaftsform. Wenn die Nachrichten von den Rohstoffmärkten zutreffen, ist der Peak, also die größtmögliche Fördermenge, offenbar bei allem erreicht, vielleicht schon überschritten.

Das sortiert die Kriterien und die Begehrlichkeiten auf dem Bodenmarkt neu. Zu den Filetstücken gehören in Zukunft Gebiete wie die Börde- und Schwarzerde-Landschaften der Welt.

Verschärft wird die Lage durch den Klimawandel. Er wirkt als Brandbeschleuniger, denn er schränkt das Angebot an fruchtbarem Boden weiter ein. Was Dürre- und Hitzewellen anrichten, hat uns der Sommer 2010 gelehrt. In Russland verdorrten die Getreidefelder bei wochenlang herrschenden Temperaturen von über 40 Grad Celsius. Aus dem drittgrößten Getreideexporteur der Welt wurde über Nacht ein Land, das um die eigene Versorgung bangen musste. Aber das war nur eine Seite des Klimadramas im Sommer 2010, die andere zeigte sich in Pakistan. Fast zeitgleich verschluckte eine nie dagewesene Flutwelle die pakistanische Jahresernte. Damit nicht genug. Ende des Jahres 2010 versank der australische Staat Queensland in sintflutartigen Regenfällen.

Drei Katastrophen in einem Jahr markieren die Richtung, die Klimaforscher seit 2007 vorhersagen und die weiteren fruchtbaren Böden der Welt ihre Ertragssicherheit nimmt.

Auf der einen Seite schwinden Anbauflächen, erhöht sich der Wasserstress, gehen Dünger- und Ölreserven zu Ende, entzieht der Klimawandel ganzen Regionen ihre Erntesicherheit – auf der anderen Seite aber steigt die Nachfrage nach dem, was auf den Äckern der Welt wächst. Wenn es nach der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen FAO geht, dann müssten die Ernten weltweit in den nächsten 40 Jahren verdoppelt werden, um die wachsende Zahl der Weltbürger zu ernähren und ihre wachsende Lust auf Fleisch zu befriedigen. Doch dieser Zuwachs lässt sich kaum noch über biologisch-technischen Fortschritt erreichen. Was bleibt, ist nur der Rückgriff auf »Neuland«. Woraus sich noch mehr Stress für den Weltbodenmarkt ergibt.

Und schließlich ist da noch der Durst auf Agrosprit. Auf dem Weg zum Ende des Erdölzeitalters opfert Europa ein Fünftel der Getreideernte seiner Pkw- und Lkw-Flotte, die USA verspritten heute schon ein Drittel ihrer Maisfelder. Die Umwandlung vom Acker zum Ölfeld treibt die Preise, der steigende Ölpreis bestimmt das Niveau und heizt die Konkurrenz um den Boden weiter an. Damit schließt sich der Teufelskreis.

Ein Dilemma ohne Ausweg? Wie kann der globale Bodenrausch gestoppt werden? Darum geht es im dritten Teil dieses Buches.

WEGE AUS DEM GLOBALEN DILEMMA

Wenn Angebot und Nachfrage zu einer neuen Balance finden könnten, würde das, zumindest theoretisch, den Bodenmarkt entlasten? Ist eine Annäherung der auseinanderstrebenden Kurven von Ernte, Tank und Teller überhaupt noch denkbar, geschweige denn möglich?

Die Vertreter des »Business as usual«, die sogenannten Realisten, verweisen auf ihre Pläne – Blaupausen, die auf Großtechnik und das große Geld setzen. Sie kümmern sich nicht mehr um verlorenes Terrain, sondern gießen Neuland in Beton. So wie in Dubai am Rande der Sahara, wo nach den Plänen eines australischen Architekturbüros künftig Getreide- und Obstplantagen hoch oben auf einem gigantischen Dach über der Stadt gedeihen sollen.

Auch die agrarwissenschaftliche Fakultät der Universität Stuttgart-Hohenheim kultiviert Visionen von Hochhäusern aus Stahl und Beton mit Etagen voller Getreide, Gemüse, Kleinvieh, Kühe und Schweine. Sie könnten in Zukunft das Rückgrat der Nahversorgung ganzer Megastädte bilden und das Umland entlasten.

Doch wer so Neuland schafft, hat offensichtlich jede Hoffnung auf die Regeneration des Bodens – es geht immerhin um mehr als ein Drittel der Ackerfläche der Welt – aufgegeben und die Selbsterhaltungskräfte der Natur, die Erfahrungen unserer Vorfahren abgeschrieben. Dabei gibt es Wege aus dem globalen Dilemma, nur – sie werden bisher von der Politik und der Lobby der industriellen Landwirtschaft ignoriert.

Durchaus lohnend ist ein Blick in die Geschichte der Bodenbearbeitung. Wertvolles Wissen früherer Generationen ist heute in Vergessenheit geraten. Schon die Inkas verstanden, was Bodenfruchtbarkeit bedeutet, wie sie sich erzeugen und bewahren lässt. Sie konnten den Stoff, aus dem das Leben wächst, selbst herstellen, ohne Milliarden zu investieren. Auf Terra Preta bauten die Völker Amazoniens zur Zeit der Inkas ihr Reich. Hier wuchsen üppige Ernten, die behandelten Böden kamen mit tropischen Regenfällen ebenso gut zurecht wie mit Hitze und Dürre. Sie konnten Überschwemmungen ableiten, aber auch Wasser speichern, wenn Trockenheit drohte. Mit dem Ende ihres Reiches geriet ihr Geheimnis um die Terra Preta in Vergessenheit. Doch in jüngster Zeit kommen ihre Erkenntnisse wieder zum Tragen.

Noch sind es kleine Projekte, aber das Rezept der Terra Preta hat Potenzial, ebenso wie eine Bodensanierung, die auf die Kraft des Mikrokosmos im Boden zurückgreift: auf Bakterien. Die Idee stammt aus Japan.

Professor Teruo Higa hat an seinem Institut einen Cocktail aus Bakterien entwickelt, die auch in Bier, Brot, Joghurt und Käse zu Hause sind. Diese Effektiven Mikroorganismen (EM) vollbringen wahre Wunder. Ganze Ökosysteme, die aus der Balance gekippt sind, können mit ihrer Hilfe wiederbelebt und stabilisiert werden.

Nur eines gelang ihnen bislang nicht, Gehör bei den Vertretern der »traditionellen« Agrarwissenschaft und der großen Agrarkonzerne zu finden.

Mit Holzkohle und Bakterien verlorenen Boden zu retten, das ist die Ultima Ratio, das letzte Mittel der Bodenmedizin. Vorbeugen wäre wirkungsvoller, dafür stehen die Ideen einer neuen ökologischen Landwirtschaft. Kritiker bezweifeln ihre Zukunftsfähigkeit wegen zu geringer Erträge. Tatsächlich kennen wir aber heute bereits Beispiele, wie man zugleich effizient und bodenfreundlich wirtschaften kann.

Neben Sanierung und Vorsorge gibt es weitere Hebel, um dem Problem der Bodenknappheit zu begegnen. Allein das Missmanagement bei allen Gliedern unserer Nahrungskette verschlingt mehr als die Hälfte der Ernten. Den Beweis liefern die Abfallcontainer unserer Supermärkte. Brot in ganzen Laiben, Würste am Stück und Käse, originalverpackt, ruhen da neben Joghurt, Bananen und Schweinebraten, in Folie eingeschweißt. Opfer von auslaufenden Verfallsdaten, Verbraucherdünkel und Frischewahn.

In den Entwicklungsländern sieht es trotz Hunger und Not nicht besser aus. Wegen maroder und korrupter Strukturen geht hier der größte Teil der Ernte zwischen Feld und Lager verloren. Auch hier gibt es Vorschläge, wie man dem Übel begegnen kann, doch auch hier scheitern sie an einer Mauer von Nichtwissen und Nichtwollen.

Eine Entspannung des Bodenmarktes ist von dieser Seite also auch nicht in Sicht, stattdessen setzen die Bundesregierung wie auch die anderen Industriestaaten auf Symptombekämpfung und vertrauen auf Selbstverpflichtungen. Unter der Führung Japans schrieben sie einen Knigge in Sachen Benehmen auf dem Bodenmarkt.10 Doch was nutzt ein freiwilliger Benimmkodex, wenn es für die einen um Milliardengewinne und für die anderen ums nackte Überleben geht?

Spätestens nach den Brotaufständen 2011 sollte klar sein, dass die Bodenfrage auch eine Frage nach Krieg und Frieden ist. Kann es vor diesem Hintergrund überhaupt ein uneingeschränktes Recht auf privaten Boden geben? Und welchen Gewinn hat eine Gesellschaft, die den Boden als Allgemeingut ehrt? Könnte ihr Gewinn am Ende den der privaten Landbesitzer sogar übersteigen? Die US-amerikanische Umweltökonomin Elinor Ostrom stellt diese provokante Frage. Für ihr Werk erhielt Elinor Ostrom den Wirtschaftsnobelpreis 2009; sie legte den Grundstein für eine neue Diskussion über ein Bodenrecht, das dem »Run« auf die Äcker der Welt ein Ende bereiten könnte.

Bisher steht das private Eigentum an Boden nicht in Zweifel, doch der Druck an den Nahrungsmittel- und Bodenmärkten wächst und mit ihm die politische Instabilität ganzer Erdteile. Einen Vorgeschmack haben wir am 9. Januar 2011 und danach bekommen: In Tunesien kam es zum Aufstand, auch aus Algerien wurden Unruhen gemeldet, gleiche Bilder kurz darauf vom Tahrir-Platz in Kairo. Der Zündfunke sprang über, von den explodierenden Preisen auf den Weltmärkten auf die explosiven sozialen Verhältnisse Nordafrikas, und der Brand droht sich von dort aus fortzusetzen, weit über den afrikanischen Kontinent hinaus.

Alarm auch in Rom, im Zentrum für Welternährung. Der Preisindex der FAO für Lebensmittel stieg um den Jahreswechsel 2010/2011 binnen Wochen auf 221 Punkte und damit auf den Höchstwert der Krise 2008, als alles begann. Die FAO sprach von einer unkalkulierbaren Lage und vertröstete auf bessere Ernten im Jahr 2011. Doch die Hoffnung erfüllte sich nicht. Russland hatte sich von der Trockenheit 2010 noch nicht erholt, da kämpfte China mit einer katastrophalen Dürre; Australien stand noch unter dem Schock der Überschwemmungen, da versanken die Äcker Japans in den Schlammmassen eines Jahrhundert-Tsunamis und im radioaktiven Fallout nach dem Supergau von Fukushima. Der Weltmarkt für Weizen, Öl, Zucker und Mais gerät weiter unter Druck und die Preise bleiben in Bewegung. Die Gier wächst und damit die Begehrlichkeit auf die Äcker der Welt.

Der Bodenrausch, der 2008 einsetzte, ist keine vorübergehende Episode der Weltgeschichte. In Wahrheit hat er gerade erst begonnen.

Landgewinn. Die neuen Herren übernehmen

Was am Horizont des 21. Jahrhunderts heraufzieht, ist nichts anderes als ein neues Kolonialzeitalter. Es stützt seine Ausbeutung nicht mehr auf Kanonen und Kavallerie, sondern auf eine Armada von Investment- und Hedgefonds, die bei Boden auf Gewinn setzen, und zwar auf zweistellige Renditen. Der Rausch wird angetrieben von Energiekonzernen, die für die Zukunft auf Land und Biosprit setzen, und getragen von finanzstarken, hungrigen Staaten, die ihre Bevölkerung nicht von der eigenen Scholle ernähren können; er wird gefördert von einer neuen Kaste von Kriegsgewinnlern, die sich ihre Fruchtfolge mit Klimazertifikaten vergolden lassen möchten.

Alle vier greifen seit 2008 nach den Äckern der Welt.

Mehr als 220 Millionen Hektar – 18-mal so viel wie die deutsche Ackerfläche, Land in der Größenordnung von Westeuropa – sollen seit Beginn des Jahrhunderts den Besitzer gewechselt haben, der größte Teil davon seit 2008, stellte die Hilfsorganisation Oxfam 2011 fest. Wie das Geschäft boomt, zeigt ein Vergleich: Für 2009 bezifferte die Weltbank den Umfang großflächiger Landgeschäfte auf 45 Millionen Hektar. In den zehn Jahren davor wurden im Schnitt nur 4 Millionen jährlich aufgekauft oder gepachtet.1

Seit 2009 haben mehr als 1200 Investoren, darunter 150 europäische Firmen, Verträge über Land geschlossen. Pro Abschluss im Durchschnitt 65000 Hektar – ein deutscher Bauer ackert auf weniger als 50 Hektar. Was dort vorgeht, hat mit dem Kampf gegen Hunger und Armut nichts mehr zu tun, resümiert Roman Herre von der Menschenrechtsorganisation FIAN: »Im Gegenteil, hier werden die Armen ihres letzten Gutes beraubt, das Land, von dem sie leben«.2

ZOCKER UND FINANZKAPITAL

Zu den eifrigsten Aufkäufern zählen nicht die, die die größte Lücke in ihrem heimischen Brotkorb haben, sondern die, die gar nicht an Brot interessiert sind: die Magnaten des Finanzkapitals, die Zocker im globalen Kasino, die großen Banken, Versicherer, Pensions- und Investmentfonds. Sie halten fast ein Drittel der Verträge auf Land, stellt die Weltbank fest. Aber in einem Viertel der untersuchten Fälle fehlt jede Aussage über die Absicht des Geschäfts. Die Dunkelziffer ist nicht abzuschätzen, es könnte auch wesentlich mehr Finanzkapital sein, das zu Beginn des 21. Jahrhundert in Boden investiert ist.

Die Weltbank selbst musste bei ihren Daten auf das zurückgreifen, was Zeitungen, Fernsehen und Rundfunk aufgedeckt haben. Ergebnisse eigener Recherchen, konkrete Zahlen über Transaktionen, deren Größe und Begleitumstände, konnte sie in ihrem Bericht »Rising Global Interest in Farmland« (2010) nicht vorlegen. Zu dicht war offensichtlich der Dschungel, in dem diese Geschäfte gedeihen, zu dick der Mantel des Schweigens, mit dem der globale Landrausch ge- und verdeckt wird. Dennoch geben uns die Zahlen eine Idee von der Größe der Geschäfte. Es konnten zwar nur 464 Projekte aus 81 Ländern ausgewertet werden, aber sie zeigen die Dimensionen, in denen der Boden seine Besitzer wechselt. Ein Drittel dieser Projekte erreichte ein Volumen von mehr als 200000 Hektar.

Landinvestoren nach Wirtschaftsbereich3

Afrika südlich der Sahara gehört zu den Hotspots auf dem Markt, gefolgt von Lateinamerika und Asien. Aber auch die USA, Kanada und Europa, besonders Osteuropa, stehen auf der Wunschliste der Käufer. Vorzugsweise finden die Deals jedoch in Staaten statt, die für ihre Korruption, Verschwiegenheit, Willkür und die Abwesenheit jeder Rechts- und Eigentumsordnung bekannt sind. Staaten, in denen der Hunger der eigenen Bevölkerung kein Hindernis darstellt, wenn es darum geht, die nationalen Bodenreserven zu verschieben.4

Das Geschäft mit dem Boden ist nicht nur der Spielplatz des großen Finanzkapitals, sondern auch das Eldorado zwielichtiger Gestalten, Spekulanten und Glücksritter. Einer von ihnen heißt Philippe Heilberg, ein ehemaliger Wallstreet-Mann. 2010 posiert er im Süden des Sudans für die Kamera der BBC, um seine Erfolge pressewirksam zu verkaufen.

Philippe Heilberg lächelt im Safari-Look, neben ihm hat sich sein Weggefährte aufgebaut, der Ex-Rebellengeneral Paulino Matip. Beide verbindet ein großes Geschäft, vielleicht das größte ihres Lebens. Im Hintergrund Strohdächer, Hütten eines afrikanischen Dorfs, die Landschaft des südlichen Sudans. Im Vordergrund die Kamera und Philippe Heilberg, der einem BBC-Reporter seine Welt erklärt: »Wer hier etwas erreichen will, muss dahin gehen, wo die Gewehre sind.«

Heilberg weiß, wovon er spricht. Mit seinem Unternehmen Jarch Capital hat er sich spezialisiert auf heikle Geschäfte mit hohem Gewinn. Ungeschminkt verkündet die Homepage die Heilberg’sche Firmenstrategie: »Das Unternehmen fasst Investmentmöglichkeiten in den Ländern Afrikas ins Auge, in denen Regierungswechsel anstehen oder anstehen könnten oder Grenzänderungen oder neue Länder aus bestehenden Staaten entstehen.«5

»Wenn du richtig liegst mit dem Gefühl, dass sich die Verhältnisse ändern, dann hast du schon eine gute Basis. Ich sehe ständig auf die Landkarte und halte Ausschau nach zukünftigen Werten«, erklärt Heilberg und fügt hinzu, dass er auch mit Rebellen aus Darfur, Dissidenten aus Äthiopien und Mitgliedern der brüchigen Regierung von Somaliland und anderen Kontakt halte.6

Dort, wo ein Staat bröckelt, die Regierung so wenig funktioniert wie die Verwaltung, dort liegt das Zielgebiet von Philippe Heilberg und seinem Team, das aus einflussreichen Spezialisten und ehemaligen Beratern der US-Regierung besteht. Darunter Joseph Wilson, der als Diplomat gelernt hat, wie man in Afrika Verbindungen knüpft, Gwyneth Todd, ehemaliger Berater für den Mittleren Osten und Nordafrika im Pentagon und unter Bill Clinton auch im Weißen Haus. Verbindungen zur CIA werden dem Unternehmen nachgesagt, zumindest wären sie nützlich für diese Art von Geschäft.

Mit seinem Deal im Südsudan ist Philippe Heilberg ein besonderer Coup gelungen. Nicht weniger als 800000 Hektar Land hat er dort im Februar 2009 an sich gebracht. Zusätzlich 1 Milliarde Dollar will er in den nächsten zehn Jahren investieren. Heilberg versteht sich als die Speerspitze Amerikas in der Region, die vorher von der US-Regierung gemieden wurde, weil Khartum verdächtig war, Terroristen zu unterstützen.

Jetzt, wo sich die Verhältnisse ändern und aus dem Süden ein eigener Staat geworden ist, gibt sich Heilberg als Vorreiter für die US-Wirtschaftsinteressen im Südsudan. Geholfen haben ihm seine guten Kontakte zu Paulino Matip, ein ebenfalls geschäftstüchtiger Mann. Seit 2007 gehörte er zur Befreiungsarmee des Südsudans.

Sein Einfluss reichte weit und seine Voraussicht offenbar noch weiter. Rechtzeitig vor dem Deal mit Heilberg hatte er sich 400000 Hektar Land von der sudanesischen Firma Leac for Agriculture and Investment gesichert, die von Gabriel Matip geführt wird, dem ältesten Sohn des Generals. Danach nutzte er noch einmal seine Beziehungen, um weitere 400000 Hektar an sich zu bringen. Die gesamte Fläche von 800000 Hektar zog er an Land, um sie mit Philippe Heilberg in einem Joint Venture zu nutzen. Der lohnte es ihm 2007. Der General bekam einen Sitz im Aufsichtsrat der Jarch Management Group Ltd., den er 2009 an seinen Sohn weitergab.7

Im Unterschied zur frühen Variante des Kolonialismus kam Heilberg nicht mit Waffen, sondern auf besondere Einladung der herrschenden Elite. Wie viel für diese Einladung in die Taschen des ehemaligen Rebellengenerals Matip geflossen ist, wie viele Mittelsmänner davon profitierten, das bleibt im Dunkeln. Vorausschauende Diskretion sichert die Geschäfte. Auf der Korruptionsrangliste von Transparency International, gehörte der Sudan 2010 zu den korruptesten Staaten der Welt. Korrupte Regierungen halten die Tür auf für ausländische Investoren, ganz gleich, ob die eigene Bevölkerung hungert oder nicht.

Männer wie Heilberg stecken ihre Claims ab, nicht nur in Afrika, sondern auch in Asien, Südamerika und Osteuropa, mit Vorliebe dort, wo Bauern und Hirten keine sicheren Eigentumstitel besitzen. Vorbereitet werden solche Deals nicht auf dem staubigen Ackerboden vor Ort, sondern gerne in klimatisierten Konferenzsälen großer Hotels, wie beispielsweise im Waldorf Astoria in New York, wo sich zahlungskräftige Geldgeber eine verheißungsvolle Zukunft an die Wand projizieren lassen.

»Global AgInvesting« heißt die Veranstaltung, die Anfang Mai 2011 kapitalkräftige Investoren am Hudson River zusammenführt. Wer die Marmorstufen zum Empfang des Waldorf Astoria emporgestiegen ist, wer unter den riesigen Kronleuchtern an den überbordenden Blumengestecken vorbeischreitet und den Saal betritt, den empfangen gedämpftes Licht und gedämpfte Stimmen. Damen im schwarzen Businesskostüm, Herren mit Krawatten in gedeckten Farben bewegen sich über dicke Teppiche, die jede Aufregung verschlucken. Selbst die Spiegel wahren Diskretion. Wer hier eintritt, weiß sich unter Gleichen.

Hier wartet Geld auf Investment. Global AgInvesting weist den Weg. Und dies schon seit einigen Jahren mit wachsendem Erfolg, die Tagung 2011 ist ausverkauft. Teilnehmer aus 30 Staaten haben 5 Millionen Hektar Farmland aus den Hauptanbaugebieten der Welt im Gepäck – und Devisen. Viel Geld, das investiert werden will. Bei der Veranstaltung im Waldorf Astoria lässt sich viel lernen über Geografie, Strategie, über Ackerland und Agrobusiness, über Hedge-, Immobilien- und Waren-Fonds, über Anlagen in Südamerika – im Fokus Brasilien –, in Nordamerika, Australien, Osteuropa und Russland, Südostasien und Afrika. Ein Beamer wirft die Umrisse des Geschäftsfeldes auf eine übergroße Leinwand, die neue Weltkarte des neuen Kolonialismus. Im Halbdunkel leuchten die Aufmarschgebiete für das Finanzkapital.

Das größte Interesse gilt Afrika. Dort stehen Grund und Boden noch zu Schnäppchenpreisen im Angebot: 250 bis 500 Dollar in Sambia. In Amerika müsste man ein Vielfaches investieren, ohne dass sich der Ertrag noch steigern ließe. Aber in Sambia, so die Expertise eines Investmentfonds, reichten eine Handvoll Dünger und ein wenig Wasser vollkommen aus, um Erfolg zu ernten.

Im Verhältnis zum Ist-Zustand sei das Dreifache ohne Weiteres möglich; nach einer Kunstpause fügt ein Prophet aus der schönen neuen Agro-Investment-Welt hinzu, warum solle er es hier verschweigen, sogar das Zehnfache an Ernte und Gewinn sei drin, wenn man es richtig anfange. Die Augen des Publikums glänzen, die Gier ist entfacht. Global AgInvesting hat seinen Job getan, jetzt heißt es, Aufträge einsammeln und die nächste Veranstaltung vorbereiten. Schon im September 2011 trifft man sich in Genf unter einem Werbebanner, das keine Skrupel mehr zulässt. Auf einem abgeernteten Feld liegen Strohballen im XXL-Format. Beim genaueren Hinsehen zeigt sich, dass einer der Ballen aus zusammengerollten Dollarscheinen besteht, ein anderer aus Euronoten, meterdick und tonnenschwer. Jeder versteht sofort, worum es geht bei Global AgInvesting – darum, Geld zu ernten.8 An Zuschauern und Mitwissern hat hier keiner mehr Interesse, ein Reporter des deutschen Fernsehens wird freundlich, aber bestimmt des Hauses verwiesen. Die Herrschaften möchten ihre Deals unbeobachtet von der Öffentlichkeit machen.9

Die eifrigsten Investoren kommen aus Europa. 44 Prozent aller Anlagen, die weltweit in Bodenwerte fließen, stammen aus europäischen Geldhäusern, wie eine Studie der OECD 2010 enthüllt.10

Bis zu 25 Prozent Rendite versprechen die Fonds ihren Geldgebern und setzen dabei vor allem auf die steigenden Preise für Nahrungsmittel und Ackerland sowie auf das Mysterium »Alpha«. Dahinter steckt nichts anderes als eine Zusatzrendite. Sie ergibt sich vor allem aus dem kostensenkenden Effekt der Massenproduktion in den Agrarkonzernen, die weltweit als Ergebnis des globalen Bodenrausches entstehen. Auch die Deutsche Bank und Goldman Sachs lassen ihr geneigtes Publikum wissen, dass sie in Zukunft ihren Blick mehr auf den Boden richten werden. Realien und Zerealien, heißt ihre neue Anlagestrategie.11

Eine Studie im Auftrag der Menschenrechtsorganisation FIAN listet für Deutschland 2010 bereits mehr als 13 Agrarfonds mit einem Gesamtvolumen von 5 Milliarden Euro auf. Fast alle wurden in den Krisenjahren 2007/2008 oder später gegründet. Sie unterhalten Beteiligungen an Unternehmen, die sich wie Jarch Capital weltweit auf Landkauf spezialisiert haben, unter anderem auch in Hungerstaaten wie Äthiopien oder der Demokratischen Republik Kongo.

»Also, da wird mir schlecht. Da wird mir übel«, sagt André Gaufer, ein Investmenthändler, der eines aus Überzeugung ablehnt – Spekulation mit Nahrungsmitteln. »Denn schauen Sie, diese Finanzprodukte von den Banken und Fondsgesellschaften, die mit Grundnahrungsmitteln spekulieren, verursachen in der Endkonsequenz Hunger und Tod«, erklärt er im ZDF-Magazin Frontal 21 im Oktober 2011. Er kennt sich aus im Reich der Fonds, die mit Nahrungsmitteln Geld verdienen. Fast alle deutschen Geldhäuser haben ihre Hände mit im Spiel, auch Sparkassen, Volksbanken, die Commerzbank und die Allianz.12 Die Liste ist lang.

Zu den Investoren zählt auch die Deutsche Bank. Insgesamt soll sie in 35 Fonds mit einem Volumen von über 4 Milliarden Euro weltweit beim Wetten um die Nahrungsmittelmärkte mit dabei sein. Über ihre Fondsgesellschaft DWS hat sie etwa eine Viertelmilliarde Euro in Firmen investiert, die sich an Land Grabbing beteiligen.13

Der Speck, den die Werbestrategen für die Anleger auslegen, ist verlockend. »Die Agrarwirtschaft hat sich weltweit zu einem dynamischen Wachstumsmarkt entwickelt«, wirbt DWS Invest Global Agrarbusiness um Interessenten. Wer möchte nicht bei diesem Hype dabei sein? Jedenfalls solange es nach oben geht. Und das war in der Vergangenheit keine Frage. Von 2009 auf 2010 erwirtschaftete der Fonds ein sattes Plus von 23 Prozent. Auch in der Baisse 2010 blieb die Rendite bei plus 5,6 Prozent. Im langjährigen Durchschnitt von 2008 bis 2011 weist der Fondsbericht rund 13 Prozent Wachstum aus.14

Doch was sind das für Unternehmen, die ihren Aktionären solch satte Gewinne bescheren? Hinter den großen Namen verbergen sich mitunter skrupellose Geschäftemacher, die im Namen des Profits auch vor schweren Menschenrechtsverletzungen nicht haltmachen. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls Thomas Fritz, der die Beteiligungen der Investmenttöchter der Deutschen Bank unter die Lupe genommen und eine schwarze Liste erstellt hat.15

Sie beginnt mit dem Zuckergiganten Cosan, bei dem DWS Invest BRIC Plus laut Vermögensaufstellung zum Jahresende 2010 noch mit mehr als 30 Millionen Euro beteiligt war.16 Zuckerrohrfelder von mittlerweile 700000 Hektar Größe versorgen 23 konzerneigene Fabriken. Weitere 350000 Hektar stehen auf der Einkaufsliste des Managements. Nicht Haushaltszucker, sondern Biosprit ist der Markt, den Cosan im Auge hat. Am 6. Juni 2011 gab Royal Dutch Shell ein »Multi-Billion-Dollar«-Joint-Venture bekannt. Der Partner heißt Cosan. Von 12 Milliarden US-Dollar ist die Rede, ein neuer Agrospritkonzern nimmt Form an, allerdings ein Konzern, der rüder Methoden bezichtigt wird. Zum Geschäftsgebaren gehört die skrupellose Vertreibung der Ureinwohner. In diesem Falle der Guarani-Kaiowá, deren Land von der brasilianischen Indigenenbehörde FUNAI zuvor zu einem Schutzgebiet erklärt worden war. Aber in den Weiten Brasiliens gilt das Wort der Behörden wenig. Wer nicht weichen wollte, bekam die Macheten und Gewehre sogenannter Sicherheitsdienste zu spüren. »Unser Land wird immer kleiner. Die Plantagen töten unser Volk«, klagt der Bauer Ambrósio Vilhalva. Er gehört zum Volk der Guarani-Kaiowá und erlebte, was es heißt, wenn der Zuckergigant Cosan auf Expansionskurs geht.

Beobachter sprechen von Sklavenhaltung, der die Arbeiter von Cosan ausgesetzt seien. Seit Anfang 2010 muss sich Cosan dem Vorwurf stellen, dass in seiner Zuckerfabrik Junqueira im Bundesstaat São Paulo Zwangsarbeiter beim Zuckerrohrschneiden eingesetzt werden. Dabei wählt der Konzern offenbar ein klassisches Muster. Zunächst werden Arbeitsuchende von illegalen Arbeitsvermittlern mit großen Versprechungen angeworben. Doch bevor sie Lohn erhalten, werden sie selbst zu Kasse gebeten. Schon die Reise zur Plantage kostet einen Wucherpreis.

Der Wucher setzt sich fort – für Unterkunft, Verpflegung und Arbeitsgerät müssen die Arbeiter ebenfalls zahlen. Das Geld fließt in die Kasse der Zuckerbarone und übersteigt häufig den Lohn für die Knochenarbeit. So entsteht eine Art Schuldknechtschaft, von der allein Cosan profitiert.

Hinzu kommt, dass Arbeitsschutz in vielen Plantagen unbekannt ist, Unfälle gehören zur Tagesordnung. Der Konzern landete deshalb auf einer schwarze Liste des brasilianischen Arbeitsministeriums. Das deutsche Fondsmanagement focht das nicht an: Trotz Landnahme, Sklavenarbeit und fehlenden Arbeitsschutzes investierte DWS und profitierte von Cosans Geschäftsmethoden. Erst im Geschäftsjahr 2011 zog sich DWS zurück, wie die Vermögensaufstellung zum 30. Juni auswies. Allerdings nicht ohne doch noch einen Fuß in der Tür zu behalten – in Cosan Finance Ltd., einem Tochterunternehmen des Konzerns, bleibt DWS investiert.17

Und Cosan ist kein Einzelfall.

»Mit Wilmar International ließ DWS ihre Anlegerinnen und Anleger an einem weiteren Skandalunternehmen mitverdienen«, urteilte Thomas Fritz. Wilmar International war mit DWS Invest Chinese Equities finanziell verbunden.18 In Indonesien und Malaysia gehören dem Konzern 235000 Hektar Ölpalmen.

An der Börse in Singapur kennt die Aktie des Unternehmens nur eine Richtung, und die geht aufwärts. Die Preissprünge an den Weltlebensmittelmärkten beflügeln das Geschäft. Doch die satten Gewinne haben ihren Preis. Illegale Brandrodungen, Abholzung von Urwäldern, Missachtung traditioneller Landrechte, Bruch von Verträgen über Ersatzland, Übergriffe gegen Ureinwohner – die Liste der Vorwürfe ist lang. Die Dayak in der Provinz West Kalimantan auf Borneo und die Minangkabau in der Provinz Westsumatra gehörten zu den Opfern der Landnahme von Wilmar International.

Eine Untersuchung der Weltbank führte zu einem eindeutigen Urteil: Das Unternehmen habe massiv gegen Sozial- und Umweltstandards verstoßen. Die Anklagen von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen bewegten die Weltbank schließlich dazu, ihre Kredite bei Wilmar zu stornieren.19 Im März 2011 reagierte auch die Deutsche Bank. DWS entfernte alle Wilmar-Aktien aus ihrem Fonds.20

DWS Invest Global Agribusiness engagierte sich auch beim Agrarriesen Olam mit 15 Millionen US-Dollar. Das Unternehmen galt als weiteres Skandalunternehmen im Hause DWS. Der Konzern verdient sein Geld mit Handel. Palmöl und Kautschuk aus Westafrika, Mandeln aus Australien, Kaffee von laotischen Plantagen, Reis aus Nigeria und Mosambik; Erdnüsse und Soja kauft er in Argentinien, den Milchmarkt bedient er in Uruguay, und Holz schlägt er in Gabun und Mosambik.21

Durch einen Schachzug sicherte sich Olam ein Joint Venture mit der Republik Gabun. Es geht um Flächen von 300000 Hektar Größe für Ölpalmen und Kautschuk. Pachtfrei, einkommensteuerfrei für 16 Jahre, keine Mehrwertsteuern und Importzölle auf Maschinen, Treibstoff und Dünger. Was für die Republik Gabun bleibt, wissen nur jene, die diesen Deal geschlossen haben.

Das Unternehmen, das sich nach außen hin der Nachhaltigkeit verpflichtet, fiel durch seine Beteiligung an massiven Kettensägeneinsätzen im Kongobecken auf. Über 250000 Quadratkilometer Urwald wurden abgesägt, bis die Weltbank auf Druck von Umweltverbänden die Kredite strich.22

Trotz der zweifelhaften Geschäftspraktiken blieb die Fondsgesellschaft der Deutschen Bank (DWS) dem Konzern zunächst treu. Zum Jahresende 2010 strich sie ihn aus ihrem Portfolio.23

Noch als Chef der Deutschen Bank kündigte Josef Ackermann im September 2011 auf die Anschuldigungen, die Bank sei an den Spekulationen an den Nahrungsmittelmärkten mit beteiligt, hausinterne Untersuchungen und Konsequenzen an.24

Nicht nur Banken, Investmentberater und ihre Fonds wollen vom großen Rennen um die Äcker der Welt profitieren, auch die Ölwirtschaft sieht ihre Zukunft an Land. Sie gehört mit zu den Potentesten beim globalen Run auf die Äcker der Welt.

NEULAND FÜR DIE ÖLBARONE

Spätestens seit dem 20. April 2010, als im Golf von Mexiko die Ölplattform Deepwater Horizon des BP-Konzerns in die Luft flog und das ausströmende Rohöl den Golf, die Küste, die Rückzugsgebiete der Natur, die Touristenstrände und die Fischgründe verseucht und vergiftet hatte, spätestens da war klar, welche Risiken die Ölindustrie mittlerweile bereit ist einzugehen, um die letzten Tropfen ihres Rohstoffs zu erbeuten. Peak Oil, das Ende des Ölzeitalters, ist eingeläutet. Die Internationale Energieagentur (IEA) warnte schon 2007, dass der Welt in den nächsten zwei Jahrzehnten eine Rohöl-»Lücke« von 10 bis 15 Prozent bevorstehe. Eine neue Modellrechnung, das sogenannte Uppsala-Modell, verschärft die Warnung. Der Ölspiegel sinkt stärker als erwartet, und das Defizit droht früher als befürchtet.25 Am 10. Februar 2011 legte die IEA nach und verkündete, die anspringende Weltkonjunktur verschlinge weit mehr Öl als angenommen. Das wachsende Defizit zwischen Bohrloch und Zapfsäule bedeute nichts Gutes.