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Melodie Michelberger

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Beschreibung

Frauen sollen dem Schönheitsideal entsprechen, aber nicht zu individuell sein. Wer dem Ideal nicht entspricht, soll sich wenigstens selbst lieben. Der Druck auf Frauen ist so hoch wie nie, und wie seit Jahrhunderten bestimmt der männliche Blick, welche Frauenkörper attraktiv sind. Haben wir verlernt, unsere Körper zu akzeptieren und dankbar für das zu sein, was sie täglich leisten? Melodie Michelberger fragt, wem es nützt, dass sich Millionen Frauen nicht hübsch genug fühlen. Sie weiß, wie Feminismus uns hilft, gegen das traditionelle Schönheitsideal zu rebellieren – denn es ist Zeit für ein diverses Bild von Schönheit und die Akzeptanz verschiedener Körperformen.

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Melodie Michelberger

Body Politics

Über dieses Buch

Frauen sollen dem Schönheitsideal entsprechen, aber nicht zu individuell sein. Wer dem Ideal nicht entspricht, soll sich wenigstens selbst lieben. Der Druck auf Frauen ist so hoch wie nie, und wie seit Jahrhunderten bestimmt der männliche Blick, welche Frauenkörper attraktiv sind. Haben wir verlernt, unsere Körper zu akzeptieren und dankbar für das zu sein, was sie täglich leisten? Melodie Michelberger fragt, wem es nützt, dass sich Millionen Frauen nicht hübsch genug fühlen. Sie weiß, wie Feminismus uns hilft, gegen das traditionelle Schönheitsideal zu rebellieren – denn es ist Zeit für ein diverses Bild von Schönheit und die Akzeptanz verschiedener Körperformen.

Vita

Melodie Michelberger, geb. 1976, hat viele Jahre als Redakteurin für Gala und Brigitte und als PR-Expertin für verschiedene Modelabels gearbeitet. Sie engagiert sich auf vielfältige Weise gegen Ungerechtigkeit und für Vielfalt, u.a. auf Instagram (@melodie_michelberger) – mit einem überwältigend positiven Feedback. Sie lebt mit ihrem Sohn in Hamburg.

Für Dich. Und für mich.

Du kannst deinen Körper nicht in eine Form hassen, die du lieben wirst.

Ijeoma Oluo

IDer schönste Rock der Welt

Wir sehen keine Schönheit in allem, was wir sind, weil uns beigebracht wurde, als Erstes alles zu sehen, was wir nicht sind.

Megan Jayne Crabbe

«Mama, den will ich haben! Das ist der schönste Rock auf der ganzen Welt!» – Ich muss ungefähr sieben oder acht Jahre gewesen sein, als ein Rock mein Herz im Sturm eroberte. Er hatte stufige Volants und ein bildhübsches Muster aus winzigen Blümchen in allen Farben des Regenbogens. Er hing da wie eine kunterbunte Wolke, aber zum Anziehen! Noch heute, 35 Jahre später, sehe ich ihn genau vor mir. Ich entdeckte ihn bei meinem Streifzug durch einen dieser weitläufigen Modemärkte, wie sie auf dem Land in den Achtzigern so typisch waren. Während meine Mutter ihre Erledigungen machte, war ich gefühlt ewig durch die Gänge gezogen, vorbei an jeder Menge unscheinbarer, farbloser Kleidungsstücke. Und auf einmal erblickte ich diesen wunderschönen Traum aus mehreren Lagen Stoff. Vorsichtig nahm ich den Kleiderbügel vom Ständer und hielt den bauschigen Rock vor meinen Körper. Es war mein Rock, das wusste ich sofort! Der Stoff raschelte, wie er eben rascheln muss, wenn er richtig gut ist. Mit roten Wangen, den Rock fest an mich gepresst, rannte ich durch den Laden auf der Suche nach meiner Mutter. Ich fand sie in der Änderungsschneiderei: «Mama, Mama, schau mal, dieser wunderschöne Rock! Darf ich den haben, bitte, bitte? Ich MUSS ihn haben!» Meine Mutter musterte zuerst mich, dann den Rock. Streng blickte sie mich an: «Melanie, der trägt doch total auf. Volants kannst du nicht tragen, dein Hintern ist dafür zu dick.»[*] Seufzend drehte sie sich wieder zur Schneiderin. Ihre Worte trafen mich wie ein Blitz. Ich schlich zurück zur Kinderabteilung und hängte den Rock schweren Herzens zurück. Ich war enttäuscht und wütend, aber ich hörte auf meine Mutter und verzichtete. Auf der Fahrt nach Hause kullerten mir die Tränen übers Gesicht, der Rock ging mir nicht aus dem Kopf. Wie schön wäre es, wenn er jetzt bei mir wäre, wenn ich ihn direkt morgen in der Schule anziehen könnte! Wie viel bunter und spaßiger mein Leben dann wäre! Der Kommentar meiner Mutter hallte in meinem Kopf nach: «Das kannst du nicht tragen, dein Hintern ist dafür zu dick.» Mein Hintern sollte also der Grund sein, warum ich den Rock nicht tragen durfte? Mehr noch: gar nicht tragen konnte? Wieso sollte mein Körper nicht zu einem Rock passen, den ICH doch so schön fand? Das ergab in meinem kindlichen Kopf keinen Sinn. Oh, was habe ich diesem Blumenrock nachgetrauert. Auch meiner Patentante und Oma jammerte ich tagelang die Ohren davon voll. Bis sich meine Tante schließlich erbarmte, mit mir in den Modemarkt fuhr und mir diesen Wunsch erfüllte. Die gesamte Fahrt nach Hause presste ich meinen Schatz in der Plastiktüte freudestrahlend an mich. Doch obwohl ich den Rock heiß und innig liebte und ihn viele, viele Male trug, ging ein Gefühl nie weg: dass ich ihn eigentlich gar nicht tragen dürfte.

 

Ich wuchs Anfang der achtziger Jahre in einem kleinen Dorf in Süddeutschland auf, das mir mit seinen Fachwerk-Bauernhöfen, adretten Einfamilienhäusern, Obstbaumwiesen und der freien Sicht auf die Hügel der Schwäbischen Alb immer wie ein Dorf aus dem Bilderbuch vorkam. Obwohl die Gemeinde damals nur knapp tausend Einwohner:innen zählte, gab es eine Postfiliale, ein Lebensmittelgeschäft, verschiedene Sportvereine, eine Freiwillige Feuerwehr, eine Grundschule und einen Kleintierzuchtverein.

Wir lebten in einem einfachen Anbau, der nie so richtig fertig wurde, auf dem Grundstück meiner Großeltern. Im Vergleich zu den schmucken Häusern in der Nachbarschaft war unser Zuhause eher unscheinbar und schlicht, aber ich habe es geliebt. Mein Kinderzimmer lag genau über der Küche meiner Oma, die in meiner Erinnerung immer irgendetwas in einem gusseisernen Topf auf dem alten Kohleofen kochte. Die wilden Felder und Streuobstwiesen am Ende meiner Straße waren der Eingang zu meinem eigenen, unerschöpflichen Abenteuerspielplatz. Ich verbrachte die Zeit nach der Schule vor allem dort draußen, pflückte Wiesenblumen, baute Hütten oder raste mit dem Rad über holprige Feldwege.

 

Kleider ließen mir schon als Grundschülerin das Herz höher schlagen. Aus gesammelten Stoffresten fertigte ich mit großer Hingabe ungewöhnliche Kostüme für meine Barbiepuppen und konnte Stunden damit verbringen, gewagte Kombinationen für mich selbst zusammenzustellen. So idyllisch das Leben in der schwäbischen Provinz war, es fehlte doch an Glanz und Zauber. Am liebsten trug ich weit schwingende Kleider und Röcke in leuchtenden Farben und plakativen Mustern. Ich mochte, wie sich die Stoffe um meine Beine schmiegten, wenn ich mich schnell drehte. Nicht nur einmal schauten mich meine Mitschüler:innen schief an, weil ich mitten im Winter mit einem Sommerkleid (ohne Strumpfhosen) auftauchte oder eine üppige Chiffonschleife auf dem Kopf trug. Es war mir egal, was sie dachten oder ob sie mich wegen meiner ausgefallenen Kombinationen auslachten. Ich hatte Spaß daran, nach Lust und Laune in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Schon in der Grundschule stand ich allein auf und machte mich für die Schule fertig, deswegen sah meine Mutter in der Regel nicht, in welchem Aufzug ich das Haus verließ. Nachmittags schimpfte sie dann natürlich, wenn ich im tiefsten Winter im dünnen Sommerkleidchen zurückkam. Aber nichts konnte mich davon abhalten, die Sachen anzuziehen, die mir in dem Moment Freude bereiteten.

 

Ich nutzte natürlich jede Gelegenheit, um mit meiner Mutter oder Tante in den nächstgelegenen größeren Ort zu fahren, in dem es ein paar Geschäfte gab. Wenn es mal wieder Zeit war, zum Einkaufen zu fahren – damals nannte man es nicht «Shopping» –, spürte ich eine kribbelnde Aufregung. Direkt an der Zufahrt zur Bundesstraße stand einer dieser gesichtslosen, Siebziger-Jahre-Flachbauten mit endlosen Fensterfronten und riesigem Parkplatz davor. Das war der große Modemarkt, auf den ich mich am meisten freute. Hinter den automatischen Glastüren lagen endlose Reihen von Kleiderständern voll mit Bekleidung für Jung und Alt und jeden Anlass, den man sich vorstellen konnte. In der Kinderabteilung gab es ein großzügiges Bällebad, das ich aber meistens ignorierte. Es machte viel mehr Spaß, auf der Suche nach den aufregenden Teilen durch die Gänge zu ziehen: Kleider mit phantasievollen Mustern, Hosenröcke mit weitem Bein, pastellfarbene Blusen mit Puffärmeln, funkelnde Abendkleider und Westen aus Samt. Weder die billige Auslegeware noch der von draußen hereinwehende Pommesgeruch, die engen Kabinen oder die unfreundlichen Mitarbeiter:innen konnten mir die Freude an diesem Besuch nehmen. Ich hätte stundenlang stöbern können und wollte am liebsten alles anprobieren. Nicht so meine Mutter; sie hatte selten Zeit oder Muße, dort länger als unbedingt notwendig zu bleiben. Für sie war es eine von vielen Erledigungen auf einer nicht enden wollenden Liste.

 

Der Moment, in dem meine Mutter meine Begeisterung für diesen knallbunten Rock mit ihrem unachtsamen Kommentar erstickte, ist so klar in meiner Erinnerung, weil er ein Vorher und ein Nachher markiert. Mir wurde schlagartig bewusst gemacht, dass es Kleidungsstücke gibt, die mir aufgrund meiner Figur nicht erlaubt waren. Ich hatte gelernt, dass mein Körper und bauschige Volants nicht zusammenpassen und dass es egal war, wie schön ich etwas fand. Mit dieser Lektion begann sich eine große Unsicherheit meinem Körper gegenüber einzuschleichen. Bis dahin war er kein Hindernis gewesen, ich konnte mit ihm alles machen: über Blumenwiesen rennen, Gummitwist spielen und durch Bäche waten. Aber auf einmal hatte ich keinen funktionierenden Körper mehr, sondern ein Problem. Mehr noch: Ich fühlte mich für meinen großen Hintern verantwortlich. Wer, wenn nicht ich selber sollte schuld daran sein, dass er nicht zu Volants passte – und daran, dass er so viel Raum einnahm in einer Welt, die keinen Platz für große Hintern und rundliche Körper hatte. Ich ahnte nicht, dass wir in einer Kultur leben, die es als Verpflichtung ansieht, dicke Körper zu kaschieren, aber ich begriff, dass mein Körper etwas ist, auf das ich keine Aufmerksamkeit lenken sollte. Sicher hatte ich vorher Kommentare gehört, auch hatte ich mich dicker als andere Mädchen gefühlt. Aber weil mir Kleidung so viel bedeutete und mir so viel Freude bereitete, traf es mich umso mehr, dass mir dieser Spaß aufgrund meiner Figur verwehrt werden sollte.

Meine Mutter hatte es wohl nicht absichtlich getan, vielleicht wollte sie mich vor negativen Kommentaren schützen. In den kommenden Jahren nistete sich das Schuldgefühl jedoch in meinem Kopf ein.

 

Dieses Erlebnis mit dem Rock ist mir so präsent, dass ich es oft in Interviews erzähle, um zu erklären, wann ich das erste Mal wusste, dass mein Körper falsch ist. Und mir war schnell klar, dass es die einleitende Geschichte in diesem Buch sein soll. Ich war überzeugt, dass ich aufgrund meiner Körperform Außenseiterin war, weil ich schon immer ein dickes Kind und Mädchen war.

 

Als ich an diesem Buch arbeitete – in meinem Kopf das Gefühl, dass es eigentlich fertig ist, weil ich doch wusste, was ich schreiben wollte –, geriet ich ins Stocken. Oft wusste ich nicht recht weiter und fragte mich, wie relevant das, was ich da aufschrieb, war. Meine Erinnerungen passten nicht zusammen, ergaben kein mir schlüssiges Bild. Woran lag das? Also setzte ich mich hin und schrieb erst mal eine «Chronologie meines Körpers». Dafür las ich in alten Tagebüchern, wühlte Kisten mit Fotos durch, fragte Freund:innen und Familie nach Details und Anekdoten. Eines Mittags saß ich mal wieder inmitten eines Haufens von Bildern, und auf einmal sah ich es: Vieles von dem, was ich bisher als wahr angenommen habe, war eigentlich anders. Ich habe lange geglaubt, dass meine Figur größer war, problematisch, und unbedingt verändert werden musste. Und wenn ich jetzt Fotos anschaue, muss ich feststellen: Das stimmt so nicht. Ich war mein ganzes Leben mehr oder weniger schlank, ich war kein pummeliges Kind, keine rundliche Jugendliche und auch nicht dick in meinen Zwanzigern. Trotzdem bestimmte die Idee, «zu viel» zu sein, mein Denken und mein Handeln. Jahrelang.

 

Erst in den letzten fünf Jahren, nach einem großen Zusammenbruch und Burnout, gelang es mir, mich von dieser Idee schrittweise zu lösen. Und in diesen letzten fünf Jahren veränderte sich mein Körper dann zu dem, was er heute ist. Ich wurde größer, weicher und runder als je zuvor. Mit dem wachsenden Körper kam ein neues Gefühl der Sicherheit. Ich bin dankbar dafür, was mein Körper geleistet hat. Jetzt, wo er schwerer ist, voluminöser, bin ich ihm eine bessere Freundin als in all den Jahren zuvor. Früher wollte ich weniger sein, zarter, leichter. Aber jetzt genieße ich meine Größe und Stärke.

 

 

Als ich mit dem Schreiben anfing, standen auf den Seiten jede Menge Zahlen: Gewicht, Kleidergrößen, BMI, Cholesterinwerte, Kalorienangaben. Ich kann mich an keine Zeit in meinem Leben erinnern, in der diese Zahlen keine Rolle spielten. Ich erinnere mich an die exakten Kleidergrößen fast aller Kleidungsstücke und wie viel ich wann gewogen habe. Diese Zahlen benutzte ich als Messinstrumente für meinen Selbstwert. Sie brannten sich in mein Hirn ein und halfen meinem Gedächtnis, vermeintliche Ordnung in die vielen Gedanken zu bringen. Zahlen wird, wenn es um die Beschreibung von Körpern geht, sowieso eine ziemlich große Bedeutung beigemessen. Wir sehnen uns nach konkreten Angaben und präzisen Limits, an denen wir erkennen können, ob wir schon dünn oder noch immer zu viel sind. An ihnen hängt eine moralische Botschaft. Und das nervt mich. Aus diesem Grund habe ich irgendwann fast alle Zahlen aus diesem Text gelöscht. Ist es wirklich wichtig, zu wissen, welchen Bauchumfang ich wann hatte? Ist es relevant, was mein geringstes Gewicht war? Welche Kleidergröße ein Kleid hatte, in dem ich mich vor 20 Jahren «dick» fühlte? Egal wie leicht oder schwer ich war, ich habe mich «zu viel» gefühlt. Und das ist der entscheidende Punkt: Es war nur ein Gefühl, aber das bestimmte mein Leben – regulierte mein Essen, drängte mir Sport auf, dominierte mein Tagebuch, trieb mich in eine Essstörung und Magersucht.

Wie stark dieses Gefühl in mir wirkt, hätte ich vor der intensiven Beschäftigung mit dem Schreiben nicht geahnt. Natürlich wusste ich, dass ich nicht frei von Fettfeindlichkeit bin, aber war dann doch überrascht, welche Ausmaße das hat. Und welche Hindernisse mir das in den Weg stellt.

Rückblickend bin ich wütend und traurig, wie viel Geld, Energie und vor allem Lebenszeit die unsinnige Suche nach der «perfekten» Figur mir klaute. Der Wunsch, weniger zu sein, leichter und zarter, war auch der Wunsch, liebenswerter zu sein. Dabei steckte all diese Liebe, nach der ich mich so sehnte, schon immer in mir.

 

Ich war besessen davon, meinen Körper zu verkleinern, zu schrumpfen, zu formen, zu verschlanken und zu straffen. Ich wollte Fett verbrennen, meiner Figur schmeicheln, meinen Bauch glätten, Problemzonen kaschieren, Rundungen bekämpfen, die Waage besiegen, Kleidergrößen reduzieren, und alles in dem Glauben, damit die beste Version meiner selbst zu werden.

Aber warum? Woher kam dieses Gefühl? Wie entstand diese Fettfeindlichkeit, die ich gegen mich selber richtete? Und wieso konnte sie es sich in mir drin so gemütlich machen, ohne dass ich merkte, wie viel Platz sie einnahm?

 

Letzten Dezember fiel ich beim Schlittschuhfahren auf den Hinterkopf. Erst hielt ich es für einen harmlosen Ausrutscher, dann musste ich doch über eine Woche im Krankenhaus bleiben. Ich hatte vier Blutungen im Hirn, die beobachtet werden mussten, und mein Schädel war angebrochen. Die täglichen Kopfschmerzen zogen sich über die kommenden Monate, ständig war mir schwindelig, und konzentrieren konnte ich mich kaum. Dazu fühlte ich mich dauernd erschöpft und kraftlos. Am zweiten Tag im Krankenhaus stellte ich fest, dass ich nichts mehr schmecken und riechen konnte. Was ich erst auf das langweilige Krankenhausessen schob, war leider langfristig. Bei einer weiteren Untersuchung wurde festgestellt, dass einige Teile meines Gehirns nicht mehr durchblutet werden und der Riechnerv beim Unfall wahrscheinlich irreparabel durchtrennt wurde. Pizza schmeckte wie Pappe und Kaffee wie heißes Wasser. Das ist zum Glück mittlerweile ein wenig besser geworden, die Geschmacksknospen der Zunge springen mehr und mehr für die fehlende Sensibilität meines kaputten Riechnervs ein. Ich war mir vorher nicht bewusst, wie viel wir über die Nase schmecken – die Zunge nimmt salzig, bitter, sauer, süß und umami wahr, der Rest der Aromen, sei es floral, erdig oder getreidig, kommt über die Nase. Ich schmecke, ob etwas salzig oder süß ist, aber ob ich eine Banane oder eine Mango esse, merke ich nur an Farbe und Textur. Das hat meine ohnehin schon belastete Beziehung zum Essen nicht vereinfacht – man kann viel einfacher vergessen zu essen, wenn einem ebendieses nicht mal mehr schmeckt! Ich konzentriere mich also mehr auf Texturen, Farben und Temperaturen, kann endlich scharfes Essen genießen (das ist nämlich kein Geschmack, sondern leichtes Brennen) und versuche, mich zu freuen, dass ich zumindest süß und salzig wieder unterscheiden kann. Und vielleicht gibt mir das den Kick, mich noch einmal neu mit dem Thema Ernährung auseinanderzusetzen, die Freude am Kochen neu zu entdecken und die Dankbarkeit, dass ich mich gut ernähren kann, wieder zu fühlen.

Der Unfall lehrte mich, einige andere Muster zu erkennen – ich musste genau hinhören, was mein Körper braucht und will, musste mir selber die beste Freundin sein. Das gelang mir am Anfang kaum, ich wollte unbedingt die Pläne, die ich vor dem Unfall gemacht hatte, durchziehen und tat das zum großen Teil auch. Das Buch zu schreiben, gehörte dazu. Als das nicht direkt klappte, war ich frustriert und wollte am liebsten aufgeben. Wie soll man Hunderte Seiten schreiben, wenn nach zwei Sätzen die Augen flattern und der Kopf hämmert? Wie soll ich mein Leben recherchieren, wenn ich fünfzehn Stunden am Tag schlafe?

Anstatt enttäuscht zu sein, weil ich meine eigenen hohen Erwartungen nicht erfülle, musste ich lernen, Dinge so hinzunehmen, wie sie sind. Und akzeptieren, dass alles in kontinuierlicher Bewegung ist, nichts je abgeschlossen und noch weniger perfekt. Ich will mich mit dieser Idee anfreunden, mit mir selber anfreunden, und dieses Buch ist ein Schritt in diese Richtung.

 

Dafür will ich mir und euch den Weg, den ich gegangen bin, beschreiben und mir selber erklären, wie ich aus meiner toxischen Selbstbetrachtung hinausgetreten bin. Diese Reise ist nicht zu Ende, kann wahrscheinlich nie zu Ende sein, aber ich bin bemüht, sie mir einfacher zu machen. Dafür tauche ich in meine Geschichte ein, erzähle mir Erinnerungen neu und sortiere alte Gedanken. Ich verbinde sie mit dem, was ich seither gelernt habe, und hoffe so, zu einem neuen Blick auf mich selbst zu kommen.

 

Warum mache ich das? Weil ich weiß, dass es vielen so geht wie mir. Dass wir alle unter diesem Stigma leiden, egal welche Körperform wir haben.

Ich kann und will nicht ignorieren, dass meine Perspektive eingeschränkt ist. Nicht nur bin ich weiß, cis, hetero und habe keine sichtbare Behinderung, meine Körperform gibt mir Privilegien, die jene mit größeren Körpern nicht mehr genießen: Ich kann in der Innenstadt Kleidung finden und mich problemlos auf Stühle oder Flugzeugsitze setzen. Auch bekomme ich außerhalb von Social Media selten herablassende Kommentare oder abschätzige Blicke. Man nennt das «small fatty» oder «acceptable fat». Für viele bin ich nur ein bisschen dick und gehe gerade noch als akzeptabel durch.

 

Nicht nur deswegen habe ich drei Schwarze[*] Menschen, BodyMary, Christelle Nkwendja-Ngnoubamdjum und SchwarzRund, eingeladen, ihre Perspektive zu teilen. Meine Selbstermächtigung fußt auf der Arbeit anderer Fettaktivist:innen. Ich hätte meine eigene Fettfeindlichkeit nie abgebaut, wäre ich nicht auf ihre positiven Bilder und Texte gestoßen. Ihr Optimismus hat mein wackeliges Konstrukt aus Selbsthass und falscher Moral ins Schwanken gebracht. Ohne dieses Netzwerk und die inspirierenden Gedanken und Worte anderer wäre ich heute nicht an dem Punkt, an dem ich glücklicherweise bin.

IIEine Geschichte meines Körpers

Bitte vergiss nicht: Ich bin mein Körper. Wenn mein Körper kleiner wird, bin es immer noch ich. Wenn mein Körper größer wird, bin es immer noch ich. Es gibt in mir keine dünne Frau, die auf Freilegung wartet. Ich bin eins.

Lindy West (Shrill)

«Etwas Übergewicht» notierte der Kinderarzt im Januar 1977, ein paar Monate nach meiner Geburt, in mein gelbes Untersuchungsheft direkt neben «Gesamteindruck und Entwicklungsstand». Ich habe das Heft noch, es war Teil eines Pakets mit Memorabilia, das mir meine Mutter zum dreißigsten Geburtstag schenkte. Das Diagramm auf der Rückseite des Heftes stellt meine körperliche Entwicklung graphisch dar. Die Kreuze, die mein Körpergewicht markieren, sind alle in dem Bereich, neben dem «auffällig schwer» steht. Von den Fotos in meinem Babyalbum strahlt mich meine Miniversion in einem ärmellosen Strampler aus orangenem Frottee mit großen blauen Augen an. «Du warst gut im Futter», erzählte meine Tante, und mein Opa sagte wohl gern: «Die Melanie, die sperrt immer den Schnabel auf.» Ob ich tatsächlich oft Hunger hatte oder aus anderen Gründen den Mund aufmachte, ist nicht überliefert.

Später wurde ich beim Dorfarzt vermessen und gewogen. In seiner Praxis stand eine von diesen wuchtigen Standwaagen. Die Anzeigetafel war beinahe auf Höhe meines Gesichts, so las ich die Zahl sogar vor der Arzthelferin laut ab. Darauf war ich auch ein bisschen stolz, denn Zahlen konnte ich schon früh verstehen. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, kommt es mir komisch vor, dass ich mich an diese Waage und die Zahlen darauf so gut erinnern kann. Wieso prägte sich mir das derart ein? Ich erinnere, dass ich mich sogar regelrecht darauf freute, dort zu erfahren, wie groß und schwer ich war. Nach der Untersuchung neben meiner Mutter zu sitzen, während die mit dem Arzt über meinen Körper sprach, war mir aber furchtbar unangenehm. «Starkes Hohlkreuz, kugeliger Bauch, Fehlstellung.» An diese Worte erinnere ich mich noch genauso wie an die Zahlen. «Streck doch deinen Bauch nicht so raus», mahnte meine Mutter mich oft. Also zog ich meinen Bauch ein und kontrollierte im Spiegel, bei welcher Körperhaltung er sich am wenigsten nach vorne wölbte.

 

Eine der frühesten Erinnerungen daran, wie sehr ich mich für meinen Bauch schämte, steht heute auf meinem Schreibtisch: Es ist ein Foto mit original Kodak-Farbbild-Stempel von 1982. Ich war fünf Jahre alt, fast sechs, als die Erzieherinnen im Kindergarten uns zu Beginn des Vorschuljahres fotografierten. Eigentlich habe ich die gleiche Frisur wie heute, mein Pony ist etwas schiefer, weil mir meine Mutter die Haare schnitt. Mit einer weißen Unterhose bekleidet, sitze ich auf einer Holzstufe im Garten. Mein Lächeln wirkt eher zaghaft und zeigt eine große Zahnlücke. Die Beine sind überkreuzt, dabei halte ich das rechte aber einige Zentimeter über dem Knie, entspannt sieht das nicht aus. Ich weiß, warum ich das tat – ich wollte mit dieser umständlichen Aktion meinen Bauch verdecken, der sollte auf dem Foto nicht sichtbar sein. «Babyspeck» nannte mein Vater meine rundliche Körpermitte.

 

Die Grundschulzeit machte mir überhaupt keinen Spaß. Auf dem Weg zur Schule vergaß ich vor lauter Tagträumen oft die Zeit und erschien viel zu spät zum Unterricht, was jeweils einen Eintrag ins rote Klassenbuch gab. Ich hatte große Mühe, mich an die Regeln und Vorschriften zu halten. Im Unterricht langweilte ich mich und begann lieber Gespräche mit meinen Sitznachbar:innen. Ich hatte viele Fragen und Interessen, allerdings hatten die meistens nichts mit dem Thema zu tun. Schnell bekam ich den Ruf der «Unruhestifterin», musste zur Strafe oft in einer staubigen Ecke des Klassenzimmers stehen oder wurde vor die Tür geschickt. «Melanies Stimmungen schwanken» steht in meinem Zeugnis der ersten Klasse. Ich verbrachte viele, sehr einsame Stunden auf dem Flur meiner Dorfschule. Einmal wollte ich nicht mehr vor der geschlossenen Tür warten und vor lauter Langeweile die Blätter der Grünlilie auf dem Fensterbrett gegenüber zählen und lief kurzentschlossen durchs ganze Dorf nach Hause. Natürlich bekam ich mächtig Ärger, als der Schulleiter Stunden später bei uns klingelte und meiner Mutter mit mahnenden Worten von meinem Verschwinden berichtete. Ich hörte ihn, weil mein Zimmer über unserer Haustür lag und ich mich dort im Schrank versteckte.

Ich weiß, dass ich mich damals vor allem danach sehnte dazuzugehören. Ich benahm mich deshalb oft auffällig und wollte «mein eigenes Ding» machen. Nach dem Motto «Schaut mal, was ich alles kann, und wisst ihr eigentlich, warum Marienkäfer Punkte haben?». Vielleicht wollte ich deswegen unbedingt diesen kunterbunten Rüschenrock in der Schule anziehen. Ich wollte gesehen werden und mit meinen schönen Kleidern auffallen. Manchmal erfand ich Geschichten, um mich spannender zu machen.

 

Die Sommerferien verbrachte ich bei meiner «kleinen Oma» – so nannte sie jeder in meiner Familie – in Gamshurst, einem badischen Dorf an der französischen Grenze. Auf ihrem alten Bauernhof fühlte ich mich frei, weil ich von morgens bis abends tun und lassen konnte, was ich wollte. Meine Cousine und ich waren den ganzen Tag unbeaufsichtigt zwischen Hasenställen, Kartoffeläckern und Brombeersträuchern unterwegs. Am liebsten kletterten wir in der Scheune auf die Balken und sprangen unter lautem Gekreische ins trockene Heu.

Meine kleine Oma hatte eine geräumige Vorratskammer, in der immer selbstgebackenes Brot und frischer Kuchen auf einer Anrichte standen. Dahin gelangt man durch die Küche oder direkt aus der Scheune, deshalb bekam niemand mit, wenn wir nach dem Toben heimlich Apfelkuchen oder dick geschnittene Butterbrote mampften und uns Apfelsaft aus Fässern in Flaschen umfüllten. Omas Vorratskammer war unser Schlaraffenland, Ärger bekamen wir nie. Meine Mutter schimpfte jedes Mal mit meiner Oma, wenn sie mich dort am Ende der Sommerferien abholte: «Um Himmels willen! Warum ist Melanie so dick geworden? Du darfst sie nicht einfach alles essen lassen, was sie will!» Ich fühlte mich sofort schuldig, obwohl meine kleine Oma verschmitzt lächelte. «Lass das Mädele essen», sagte sie und wühlte in den Taschen ihrer Schürze nach einem Bonbon als Trost für mich. Im Vergleich zu meiner Mutter mochte sie dicke Bäuche und runde Gesichter.

 

Ich muss sieben oder acht gewesen sein, als meine Mutter und Tante mit dem Weight Watchers-Programm begannen. Ich war neidisch darauf, dass sie jede Woche zusammen in die nächstgrößere Stadt fuhren, um zu einem Geheimtreffen mit anderen Frauen zu gehen. Sie redeten ohnehin ständig von Diäten und vom Abnehmen, und jetzt waren sie Teil einer Gemeinschaft, in der alle das gleiche Ziel hatten! Das fand ich höchst spannend. Von jedem dieser Ausflüge brachten sie schicke Rezeptkärtchen und jede Menge Tratsch über die anderen Teilnehmer:innen zurück. Ich sog ihre Geschichten auf wie ein Schwamm und wollte alles über dieses einfache Punktesystem, in das sich jedes Lebensmittel einordnen ließ, erfahren. Stundenlang studierte ich die Rezepte und Tabellen und lernte die Zahlen auswendig. So begann ich, Lebensmittel in gut (wenig Punkte) und schlecht (viele Punkte) einzuteilen. Ganz selbstverständlich aß ich die gleichen Dinge wie meine Mutter, das Knäckebrot lag ohnehin im Regal, und der körnige Frischkäse stand im Kühlschrank. Wenn ich mich an die Punkte hielt, machte ich alles richtig. Oder?

 

Irgendwann fuhr ich in den Sommerferien nicht mehr zu meiner kleinen Oma. Laut meinem Tagebuch gab es Wichtigeres als Springturniere im Heuschober und Apfelkuchen aus der Vorratskammer: Jungs! Neben dem neu entfachten Interesse an meinen Mitschülern brachte die Pubertät vor allem mehr Unsicherheiten gegenüber meinem Körper mit sich. Ich schoss in die Höhe, in der fünften Klasse war ich sogar eines der größten Mädchen in der Klasse. Danach wuchs ich allerdings nicht mehr viel in der Länge, aber mein Körper veränderte sich weiter. Als ich das erste Mal entdeckte, dass ich Brüste bekomme, war ich so schockiert, dass ich weinte. Die Dehnungsstreifen an meinen Oberschenkeln machten mich fassungslos. Auch meine Periode verheimlichte ich über Jahre und kaufte mir Tampons und Binden von meinem Taschengeld oder klaute sie meiner Mutter. Mir waren all diese Entwicklungen sehr peinlich, und zwar gleich doppelt, weil ich nicht wusste, wie ich sie aufhalten sollte. Das Gefühl, dass sich mein Körper ohne meine Zustimmung verändert, war schrecklich. Mein Misstrauen wuchs, also kontrollierte ich mich unentwegt und fürchtete jede weitere Veränderung. Ich begann, meinen Körper wie eine Außenstehende zu betrachten. Als würde er mir nicht mehr gehören. Als sei er ein bedrohlicher Gegenspieler.

Es half nicht, dass meine Familie mehr und mehr kommentierte. Meine Mutter wies andere darauf hin, «dass die Melanie jetzt bald einen BH braucht». Als ob ich nicht anwesend sei. «Sie ist jetzt schon fast eine Frau», bemerkte eine Tante. Ich wollte aber keine Frau sein. Ganz beiläufig wurde beim Kaffeetrinken darüber gesprochen, dass «Melanie einen runden Hintern bekam». Als müsste man das diskutieren. Ich wollte, dass niemand mehr etwas über meinen Körper sagte. Sie sprachen über meinen Körper wie über eine Sache. Ich schämte mich in Grund und Boden, mehr noch als damals beim Dorfarzt.

Nicht nur über meinen Körper wurde gesprochen, sondern vor allem über andere Frauen. «Also die Meier-Ursula hat die Schwangerschaftskilos ja nie wegbekommen» oder «Habt ihr die Armbruster-Sonja gesehen? Die war vor der Hochzeit richtig schön schlank, und jetzt hat die einen Arsch wie ein Brauereigaul». So und so ähnlich plauderten sie bei frisch aufgebrühtem Filterkaffee und Blechkuchen («Aber bitte nur ein kleines Stückchen, sonst muss ich morgen FDH machen!») über die Körper von Nachbar:innen, Verwandten, Freund:innen und Frauen in Magazinen. Einfach nebenbei, als ginge es um den Haushalt oder neue Schuhe. Eine Flut von Körperkritik. Mit jeder neuen Welle wuchsen meine Selbstzweifel. Jeder negative Kommentar, jede Bemerkung über «ein paar Kilo zu viel», jedes Urteil über vermeintliche Makel hallten in mir doppelt und dreifach nach. Und ich konnte nicht anders, als das Gesagte auf mich zu beziehen. Wenn meine Familie schon so redete, was würden erst andere sagen? Das war der Nährboden für meinen Selbsthass.

In den Zeitschriften, die meine Tante mitbrachte, fand sich – zum Glück! – die Lösung: Diäten! Die «Super Schlanksuppe», das «Alles essen – trotzdem abnehmen»-Programm oder «Die wirklich neue Kartoffel-Quark-Diät»! Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Mutter oder Tante je die Wirkung in Frage stellten oder mich sonst in irgendeiner Art davor warnten. Ihre Körper mussten verbessert werden, also gingen sie auf Diät. Liebenswürdige Worte für sich selbst gab es nicht, Abwertungen dagegen zuhauf.

 

Ich muss um die zwölf Jahre alt gewesen sein, als ich beschloss, meinen ersten Obsttag einzulegen. Das hatte ich aus den Zeitschriften meiner Tante, die mir außerdem erklärte, «man kann so viel Obst essen, wie man will, und bekommt einen flachen Bauch». Mein kindliches Ich war von diesem Versprechen begeistert. Ich stellte mir Ananas, Kiwi, Wassermelone und Pfirsiche in appetitlichen Würfeln in einem meiner knallpinken Eisbecher vor. Die Obstschale auf unserem Esszimmertisch gab jedoch nur Äpfel und Birnen aus dem Garten her, die ich ungeschält im Ganzen mampfte. Nach einem halben Apfel-Birnen-Tag war mein Magen übersäuert, und ich bekam fürchterlichen Durchfall. Mein Bauch war flach, aber ich fühlte mich alles andere als großartig. Ich verstand das Ganze eher als herausforderndes Spiel, aber im Grunde war das meine erste Diät. Der Misserfolg hielt mich nicht davon ab, «die neue Reis-Diät» zu probieren. Was genau an der Reis-Diät «neu» war, weiß ich nicht mehr, es blieb meine erste und einzige. Es war fürchterlich öde, die dritte Schale Reis zu löffeln, während meine Geschwister und Eltern gemeinsam selbstgebackenes Brot, Salat und köstlichen Käse vom Bauernhof nebenan zum Abendbrot aßen. Ich sehe den Topf mit dem verkochten Reis noch vor mir. Bäh.

Jede neue Woche lieferte neue Magazine mit neuen Diäten: «Schlank-Tricks mit Tomaten», «Die beste 1-Tages-Diät» oder «Schlank-Wunder Eiweiß-Quark». Ich probierte alles aus, egal wie überzeugend es klang: Ich verzichtete abwechselnd auf Frühstück oder aufs Abendbrot, schlürfte übel nach Pups riechende Kohlsuppe, trank literweise Brennnesseltee. Kein Tipp war mir zu blöd. Aber ich kam nicht «in 4 Wochen zur Wunschfigur». Nach jeder Diät schämte ich mich, weil ich mich nie «schlank» fühlte und felsenfest davon überzeugt war, dass es an meiner Unfähigkeit lag. Ich war wohl einfach nicht bereit, wirklich «alles» zu geben.