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Er war sechs Jahre. War der Unfall Lebensweg-bestimmend? Wie kann ein Mensch von sich behaupten, tot zu sein, der sein Leben durchzieht? Kuddel wirkt auf Eddy und Mo wie der nette Typ von nebenan. Ein Seefahrer außer Dienst mit vielen Geheimnissen, der die Flucht aufs Meer als Rettung beschreibt. Tragische Lebensumstände, Schutz-Verlust, das erste gefühlte Sterben in dem Alter, in dem man Schutz bei den Eltern sucht. Standen sie ihm nicht als Selbstwert-stärkende Objekte zur Verfügung? Die erste Faszination weicht tiefer Erschütterung beim Lesen von Teilen seiner Tagebücher. Einen Zugang zu ebnen zu Selbstzweifeln und Schicksalsschlägen, abgewehrt durch permanentes Verdrängen und empfundener Lebensmüdigkeit, ist die große Aufgabe von Eddy und Mo, die durch eine Diagnose und eine Kurzschlusshandlung ins Straucheln gerät. Wird Kuddel leben lernen? EDDY und MO Wer sind die zwei? Eddy (West Highland White Terrier) und Mo (Shih Tzu) kommen an ihre Grenzen bei jeder Mission. Aufgeben ist keine Option, weil sie wissen, dass das ehrlichste Lächeln von Menschen ausgeht, die gelitten haben.
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Seitenzahl: 199
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Hier schreibt Sabine Grassy, Jahrgang 1970, jahrzehntelange Mitarbeiterin in einer psychiatrischen Klinik, Buchautorin und Webdesignerin.
Ihre Zielgruppe sind Leser, die an dem Leben mit Hunden und an Schicksalsbewältigung interessiert sind.
Fantasievolle Geschichten, in denen ein Shih Tzu mit seinem West Highland White Terrier-Buddy zu ungewöhnlichen Mitteln greift, ›gefallenen‹ Menschen eine Pfote zu reichen, bis ein Licht erkennbar ist.
Angst vor dem Leben
Chemotherapie
Aufeinandertreffen
Kindskopf
Rückzug
Das ›Innere Kind‹
Offenheit
Leben?
Was bedeutet das?
Zweite Einschulung
In letzter Sekunde
Fragezeichen
Koffer
Tresor
Unvergessene Alina
Blick ins Tagebuch
Fiete
Atmen
Jetzt
Hauch von Esoterik?
Scheitern
Abstand
Versicherung
Unfaire Vorwürfe
Infame Lüge
Männertag
Flaschenpost
Spuren
Letzte Einträge?
Klappe es bitte nicht zu
Bucket List
Innere Leere
DANKSAGUNG
Herausgefordert durch Eddy und Mo, zwei Hunde, die mir verdammt viel bedeuten, erzähle ich die Geschichte eines Mannes, für den das Leben keine Herausforderung, sondern ein Riesenproblem darstellt.
Als Seefahrer Kuddel kennen mich meine Freunde, wobei das Thema ›Freunde‹ eines bleiben wird, mit dem ich bis zu meinem letzten Tag ein ernstes Problem haben werde.
Freundschaften, Beziehungen, Schule und Beruf.
Habe ich je funktioniert wie andere?
Schwer fällt es mir, dem kleinen neugierigen Mo – der Shih Tzu mit dem größten Wissensdurst – aus meinem Leben zu berichten.
Wie beschreibt man Gefühle?
Ich zeige sie nicht.
Keinem.
Wenn ich mich nicht für dumm halte, muss ich mich fragen, warum es mir schwerfällt.
Ich könnte Nähe schaffen, mich als der sympathische Kerl darstellen, der in mir wohnt.
Auf einem Schiff fiel es mir leichter und ich spüre, wie ich die Weite vermisse und das beruhigende Schaukeln.
Mo äußerte den Wunsch, mit mir – in Begleitung seiner Familie – zur See zu fahren.
Vorstellen kann ich mir das, wenn ich die Chemotherapie beende und mein Leben – zeitlich ungebunden – erneut planbar wird.
Sind das die Träume, für die man lebt?
Mein größter ist, meine Leidenschaft mit Eddy und Mo zu teilen.
Auf dem durchdachten Trip wäre alles anders.
Als eingefleischter Junggeselle gab es keine Frau, die auf mich gewartet und auf die ich mich gefreut habe.
Seit meinem Auszug aus dem Seniorenheim lebe ich unverhofft mit Jennifer zusammen und bin glücklich.
Ich gehe mit Tobi, ihrem Bruder, angeln und lache mit Marianne über die ›Mission‹ der zwei außergewöhnlichsten Hunde in der Residenz.
›Omama‹ begeistert die Idee, meinen Weg zu veröffentlichen.
Dieser war nicht leicht und wurde von Unfällen und Schicksalen durchkreuzt.
Mo muss mir dringend verraten, wie wir dieses Buch gestalten, da ich mich in der Rolle des Icherzählers nicht wohlfühle.
Ich.
Ich.
Ich.
Nicht anderes hört man von der einen Sorte Mensch.
Zählen möchte ich mich zu den ›Du-Typen‹.
Wichtig nehme ich mich nicht, einzig das, was mein Herz mir sagt.
Unterdessen habe ich die Storys über Eddy und Mo nachgelesen, wenn ich mich müde und erschöpft von meinen Behandlungen ins Bett zurückziehen musste, weil die Kraft der Beine nachließ.
Mutig, was sie bewegt haben.
Selbstloses Helfen, dass es das noch gibt.
Aufgefallen ist mir der Erzählduktus.
Mo ist der Redner.
In welcher Weise er mir helfen wird, ist mir noch unklar.
Meine Geschichte kann niemand verbreiten.
Hier kehrt es zurück, dieses verdammte ICH.
Morgen suche ich das Gespräch mit ihm und seinem Freund.
Ich muss mich entscheiden.
Lasse ich die Idee zum Buch sterben? Schleierhaft ist mir, wie es gelingen soll, es in einer Form zu gestalten, die mich herausnimmt.
Helfen meine Tagebuchaufzeichnungen?
Zu theoretisch erscheint mir die gedankliche Auseinandersetzung und ich lande hundertmal bei dem Wunsch einer letzten Seereise, um Jennifer Teile meiner Vergangenheit zu zeigen, was eine gute Vorbereitung voraussetzt.
Steche ich letztmalig in See?
Auf besondere Weise berührt mich dieser Gedanke.
Alles wird mir abverlangt.
Tage, an denen ich glaube, das schönste Leben zu führen, wechseln sich ab mit welchen, an denen ich innerlich zerbreche.
Gesundheitlich geht es mir schlecht, obwohl ich glücklicher bin als je zuvor an der Seite einer Frau, die mir ein Gefühl von ›alles ist gut‹ vermittelt.
Wer hat sich das ausgedacht, dass Körper und Psyche zusammengehören?
Müsste meine Seele nicht meine Hülle reparieren, bei allem Guten, was mir widerfährt?
Diese ständige Übelkeit macht mir zu schaffen.
Generell habe ich Angst einzuschlafen, weil ich mein Leben festhalten will und befürchte es nicht mehr in der Hand zu haben, die Augen zu öffnen. Es quält, weil ich anhaltend müde bin.
Die Prognosen sprechen für eine gute Heilungschance, woran ich mich klammere.
Lausig, was ich bis zur jetzigen Stunde von ›dieser Art Leben‹ erfahren habe.
Ich bin neugierig auf das, was den Unterschied ausmacht zu dem, was ich jahrzehntelang als einzige Option betrachtete.
Bin ich im Krankenhaus, denke ich an Mama.
Sie hat mit der gleichen Erkrankung so viel durchmachen müssen. Das Leben war nicht gnädig und sie hat mich viel mehr gebraucht, als ich ihr gegeben habe.
Womit habe ich verdient, dass die Familien von Jennifer und Eddy und Mo hinter mir stehen, mich unterstützen und für mich da sind, während ich das gleiche nicht für den wichtigsten Menschen in meinem Leben vollbracht habe?
Wie verzeiht man sich, dass man versagt hat?
Ich erinnere Mamas Worte bis heute, dass sie kämpfen werde, seien die Prognosen noch so vernichtend.
Sie hatte dieses Positive, was vielen abhandenkommt. Kraft zog sie aus ihrem Glauben und der abendlichen Abgabe von Sorgen durch Gebete.
Ich habe mitansehen müssen, wie durch eine Krankheit das Leben aus einem Menschen weicht.
Mehr und mehr – Stück um Stück – ging sie mir verloren.
Am Ende war es eine Erlösung, als sie einschlief, viel friedlicher, als sie anlässlich der ›Chemo-Hölle‹ befürchtete.
In mir starb der Teil, der die wenigsten Monate des Jahres an Land lebte.
Als das geschah, klammerte ich mich an den Rest von mir, zu dem ich noch Zugang hatte, bis meine Psyche es nicht mehr schaffte, diese Fassade von Autarkie aufrechtzuerhalten.
Depressionen zwangen mich in die Knie und zum ›Sprung aus dem Wasser‹, bildlich gesprochen; die Kraft zum erfolgreichen Bewegen wurde mir genommen.
Statt einer Besserung verschlechterte sich mein Zustand.
Grauenvoll düstere Szenarien mit Hinzutreten von Panikzuständen.
Den Abschied von dem wichtigsten Menschen in meinem Leben habe ich bis heute nicht vollzogen.
Verdrängen macht krank, diese Erkenntnis ist ein Grund, warum ich auf dem gleichen Pfad wie Mama wandere.
Sehe ich mir im sterilen Behandlungszimmer die Wände an, zähle ich diese kleinen Pickel, die eine Raufasertapete aufweist und frage mich, ob meine Mama das wie ich gemacht hat.
Hatte sie die gleichen Wahrnehmungen?
Was hat sie in bestimmten Momenten gedacht, wie ihre Schmerzen erlebt und weggesteckt?
Auf mich wirkte sie stark und unverwundbar.
Viel zu früh musste sie gehen und dass ich sie verloren habe, ist das Einzige, dass mich regelmäßig zum Weinen bringt.
Würde mir Jennifer verzeihen, dass es keine Frau wie meine Mama gibt?
In meinen Kindheitserinnerungen sehe ich sie unglücklich und an verschiedenen Lebensumständen zerbrechend.
Nach Ihren regelmäßigen Kirchengängen strich sie mir meine blonden Locken aus dem Gesicht und ließ mich wissen und spüren, dass ich ihr größter Schatz war.
Was hat mich abgehalten, bei ihr zu bleiben, statt mein Lebensdefizit durch eine Flucht zu kompensieren?
Hat sie gewusst und gefühlt, dass sie meine größte Stütze gewesen ist, unabhängig, wo auf der Welt ich mich aufgehalten habe?
Warum tun sich Menschen so schwer, Gefühle zu äußern?
Für ein ›hätte ich bloß‹ ist es zu spät.
Begehe ich weiter die gleichen Fehler, werde ich mein Leben nicht finden. Ich weiß nichts über den Weg, den ein jeder finden muss und mir macht Angst, wie unbeholfen ich bin, sobald Dinge nicht mehr planbar sind.
Ich werde mich öffnen müssen für diese komplette Lebensveränderung, die ich in Angriff genommen habe, ohne mir das zuzutrauen.
Wie ein Brennen auf der Brust spüre ich eine Bedrohung zu scheitern.
Bewusst wird mir, dass ich meine Haut ablegen muss, um andere an mich heranzulassen.
Sie kommt mir vor wie ein Lederpanzer, der mit einem unbekannten Balsam behandelt werden muss, den man fühlen, indes nicht berühren kann.
Diese Aufgabe wird nicht leicht werden.
Schaue ich auf die, die mein Leben derzeit bestimmen, habe ich heute einen besseren und stabilen Background.
Wenn nicht jetzt, verpasse ich die Chance, geboren zu werden.
Meine ›Chemiekeulen‹ sind nächste Woche abgeschlossen und ich vertraue auf den Erfolg, den mir meine Ärztin prophezeit hat.
Bis zum Aufatmen setze ich mich still und heimlich mit mir auseinander, um Eddy und Mo demnächst die perfekte Vorlage zu bieten, an meiner Seite zu kleinen ›Seehunden‹ zu werden.
Diese Wiedersehensfreude ist unbeschreiblich.
Irreal kommt es mir vor, Eddy und Mo in meinem neuen Zuhause zu empfangen, war ich vor Kurzem – wie sie – Mitglied einer Altenheimstudie.
Was einem passiert, das muss Leben sein.
Viel verändert hat sich in meinem Leben und nicht durch meine Krebsbehandlung.
War eine Partnerschaft früher undenkbar, blühe ich auf.
Sorgen und Probleme zu teilen, auf der anderen Seite schöne Momente, ist eine neue Erfahrung und ich frage mich, wie ich so lange habe verzichten können auf einen zweiten, der mich liebt, weil ich bin, wie ich bin.
»Wir haben Dich vermisst«.
Mo schaut mich zuckersüß an und ich ahne, wie schwer es sein wird, ihm zu eröffnen, dass ICH aus tiefstem Herzen meine Geschichte erzählen muss und will.
Da steht er, der kleine, außergewöhnliche Shih Tzu, der alle Erlebnisse der Außenwelt berichtet.
Ihm das streitig machen?
Ich laufe Gefahr, dass er sich ausklinkt.
Ohne die zwei will und werde ich meine Seele nicht auspacken.
»Ich Euch mehr. Können wir reden?«.
Entgegen meiner Befürchtung fühlt sich mein Lieblings-Shih Tzu weder degradiert noch übergangen.
Dessen ungeachtet rückt er von der Rolle des Icherzählers nicht ab.
»Du irritierst die Leser, wenn Du von meiner Geschichte berichtest, als wärst Du zur See gefahren. Bei jedem Gefühl, das zu beschreiben ist, musst Du mich aufwendig interviewen. Ihr hattet eine Alternativ-›Mission‹ ins Auge gefasst. Macht lieber die«.
Von vier Hundeaugen angesehen zu werden, als sei ich ein Tierquäler, beunruhigt mich.
Bis Eddy das Schweigen bricht.
»Hört zu, Ihr zwei Egozentriker. Geht es nicht einzig um Wahrheiten, traurige und freudige Momente, Hintergründe und Wegwechsel? Ich erinnere mich an Deine Tagebücher, Kuddel«.
»Die bekommt niemand zu lesen, Ihr nicht und kein weiterer«.
»Überzeugt Dich, dass die Niederschrift Deines bisherigen Lebens eine gute Idee ist, wenn Du den Menschen zensierte Erlebnisse mitteilst? Authentisch wäre es nicht. Was für Geheimnisse hütest Du in Deinen ›Schreibsel-Unterlagen‹?«.
Lange gucke ich Eddy nicht an, Blickkontakt fiel mir zeitlebens schwer.
Bis er auf mich zukommt und mir eine Pfote auf den Unterarm legt.
»Kuddel? Du brauchst dringend Hilfe. Auf uns wirkst Du versteinert, wenn es um Emotionen geht. Händige uns Deine Aufzeichnungen aus. Kannst Du nicht vertrauen? Wir würden nichts gegen Dich verwenden. Mo könnte – wie er es gewohnt ist – der Redner sein, während Du Sichtweisen im Hier und Jetzt einbringst, bestätigst, überdenkst und korrigierst«.
»Mir wird mulmig bei Deinem Vorschlag. Zu gravierend ändere ich mich, wenn ich von mir weggehe«.
»Die größte Veränderung, hat sie Dir viel abverlangt?«.
»Wovon sprichst Du?«.
»Erstmals lebst Du in einer Beziehung. DU, Kuddel, der jegliche Nähe vermied. Du lebst an Land und sage nicht, dass es Deiner Erkrankung geschuldet ist. Willst Du nach Genesung in das alte Leben zurück? Ohne Jennifer?«.
Langsam kommen Eddys Gedanken bei mir an.
Wie schafft er es, die Menschen zu durchschauen, als seien sie aus Glas?
Abgesehen, dass die erste Verliebtheit dem Alltag Platz machen wird, kann ich mir ein Leben ohne diese Frau, die grenzenloses Verständnis für meine Lebensdefizite aufbringt, nicht vorstellen.
Freunde hatten in meinem Leben keinen Platz.
Es ist eine neue Erfahrung, auf ›Omama‹, Tobi, Eddy und Mo nicht verzichten zu wollen, vielmehr mich unterzuordnen, mich zu arrangieren und ein Nein in zwischenmenschlichen Belangen auszubalancieren.
Meine versteckten Tagebücher wären geeignet für einen außergewöhnlichen Therapieprozess, ohne sich auf eine Couch zu legen und sich angestrengt ›auf Kommando‹ an Vergangenes zu erinnern.
»Mo? Es wäre mir eine Ehre, wenn Du meine Geschichte erzählst. Eine Bedingung zu stellen, verkneife ich mir nicht«.
Der Kleine springt auf, wedelt mit seiner Rute und teilt mit, dass er alle Einschränkungen akzeptiert.
Ich, der ›verkrachte Kuddel‹, schließe ein Bündnis, auf das ich mich vorbereite und das mich fordern und desgleichen begeistern wird.
Vorne weg dominiert die Freude, dass ich die nächsten Monate nicht um die Gesellschaft meiner herzallerliebsten ›Pfoten-Tiger‹ bangen muss.
Ich bin es Mo, und ich bin zurück.
Aus dem Beginn der Tagebuch-Aufzeichnungen werde ich nicht schlau.
Fehlt nicht was, dass unter Umständen entscheidend ist, wenn es mit den ersten Tagen auf dem Wasser startet?
Viele Kinder haben sofort eine Antwort parat auf die Frage, was sie später beruflich machen wollen, anstandslos zu verzeihen, wenn sich das im Laufe der Jahre ändert.
Ob Kuddel während des Schulbesuches sein Leben auf See früher als gedacht plante?
Was hat ihn veranlasst zu gehen und seine Familie zurückzulassen?
Wenn es eine Mama gab, kann der Vater nicht weit sein. Hat er Geschwister?
»Wir wissen nichts über Kuddel«, wende ich mich nachdenklich an meinen Freund.
»Seefahrer und Punkt«.
»Lese Dich rein in seine Erinnerungsbücher, Mo. Anschließend kennst Du sein Leben«.
»Das glaubst Du nicht im Ernst? Momentaufnahmen seiner Gefühle als Anamnese? Unterhaltsam waren die ersten Seiten. Sagen sie was Essenzielles über ihn als Mensch aus? Wer war er vorher?«.
Eddy meint, er sei kein anderer gewesen.
Wenn doch?
Mir wird bewusst, dass die Einleitung von ihm kommen muss, was voraussetzt, dass er vergisst, wie ungern er darüber spricht.
Sensibel bin ich im Umgang mit verletzten Seelen.
Beherbergt er eine derartige?
Es ist denkbar, dass er sich mit großem Selbstvertrauen für ein einsameres Leben entschieden hat und nicht angeben mag mit seiner Überlegenheit, die wir einordneten, als wolle er was vergessen.
Ich liebe Menschen, die Schatten auf ihrem Herzen tragen, weil sie auf mich echter wirken.
Die tiefgründigsten Gespräche kommen auf diese Art zustande und sie weckten bei mir in der Vergangenheit das Gefühl von Verbundenheit.
»Eddy? Ich muss wissen, wie Kuddel als Kind war. Ist er lieblos aufgewachsen? Haben sie ihn behütet? Wo steckt sein Vater? War er Seefahrer und hat seinem Sohn diese Gene vererbt? So ein ›Familiending‹«.
»Fragen hilft ›K(n)uddelding‹. Ich habe seit Längerem Sehnsucht nach ›Omama‹. Komm«.
Schneller springe ich selten auf; jetzt kann ich nicht abwarten, in Kuddels Leben zu stochern, vorsichtig und neugierig.
Sensationsgeil bin ich nicht, dementgegen interessiert an den Menschen, denen ich in meinem Herzen einen Platz einräume.
Diesen Vertrauensvorschuss hat er erhalten und ich hoffe, dass ich ihn von ihm zurückbekomme und er sich mir anvertraut.
Wir treffen auf ihn bei der Gartenarbeit.
»Hey, Du bist dem Tod von der Schippe gesprungen, denk an Ruhepausen«.
Sieht Eddy hierin eine adäquate Begrüßung?
»Ich buddele aus. Meinst Du, es ist Frauenarbeit, falls ich dem Kampf erliege?«.
Da ist er, dieser Scheiß-Humor, den Eddy und Kuddel teilen.
»Aufgeben ist nicht. Mo benötigt Informationen, ob Du ein Kind warst«, lacht der ›Fell-Comedian‹.
»Nicht das noch. Auf den letzten Metern lerne ich die anstrengende Seite Deines ›Shih‹ kennen. Kontinuierlich fragte ich mich, aus welchem Grund Hildchen gegangen ist. Danke für die Antwort«.
Es reicht.
Ohne Zwischenstation – mit Vollbremsung!
Falls Du unsere letzte ›Mission‹ in einer Seniorenresidenz nicht begleitet hast, fasse ich kurz für Dich zusammen, dass ich ein Riesenproblem mit dem Tod und Abschied habe.
Hildchen war mir in kürzester Zeit megawichtig.
Als sie einschlief, nicht aus Müdigkeit, sondern für alle Zeit, ging ein Stück von mir mit ihr.
Aus heiterem Himmel, ich hatte nicht durchatmen können, kämpfte Kuddel um ihr Zimmer im Heim, das ich vehement verteidigte, und ich riet ihm zu gehen, sollte mein Hildchen entgegen vieler Beteuerungen zurückkehren.
Dass der Abschied von ihr endgültig war, realisierte ich im Laufe der Zeit.
Nicht ICH war der Grund, wie es Kuddel darstellt, dass sie sich wünschte, nicht mehr zu erwachen.
Schäbig von ihm, mich in voller Absicht treffen zu wollen.
Weinend drehe ich mich um und höre seine Stimme.
»Hey warte, Mo. Es tut mir leid. Ich bin ein Kindskopf und merke schlecht, wann ich Grenzen überschreite. Ich weiß, wie wichtig sie Dir war. Weine nicht, sei lieber böse auf mich«.
»Ist gut«, schluchze ich. »Kindskopf ist ein Stichwort. Wie warst Du als Kind?«.
»Klein«.
»Kannst Du ernst sein?«.
»Schwer. Es ist meine Art, nicht zu verzweifeln. Zeitlebens vergötterte ich die Rolle eines Clowns, die ich einnahm. Andere bespaßen und zum Lachen bringen, während ich hinter meiner Maske weine. Über meine Kindheit rede ich nicht, weil ich mich erinnern müsste. Alles ist fest verschlossen, den Zugang habe ich mir in Eigenregie verwehrt«.
Jetzt ist es Kuddel, dessen Augen sich mit Tränen füllen.
Diese Traurigkeit verrät viel mehr als jedes Tagebuch.
Es muss in seinem Leben was Schreckliches passiert sein, das er vergessen möchte und muss.
»Ich bin ein noch besserer Zuhörer als Redner. Den Zeitpunkt bestimmst Du. Eddy und ich müssen dringend los. Ich habe Dich lieb, Kuddel, mein Knuddel«.
Mein Buddy ist überrascht über meine schnelle Verabschiedung und noch mehr über den Grund, den ich genannt habe.
Außer Reichweite will der begriffsstutzige Terrier wissen, seit wann wir unsere Frauchen zu ihren Jobs begleiten müssen und vor allem dürfen.
»Mir fiel spontan nichts Besseres ein. Kuddel musste für sich sein. So was spüre ich«.
Tief in mir regt sich die Überzeugung, dass er von sich aus beginnt zu sprechen, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist.
Wer hat sich den Ausdruck Rückzug ausgedacht?
Mittlerweile kann ich mit dem Begriff was anfangen, weil Eddy diesen Zustand für sich benötigt, für mich bleibt es ein Zwangs-Phänomen der Menschen und hat in der Welt der Hunde nichts verloren.
Sich einen Freiraum zu schaffen und für sich zu sein – zum Innehalten und regenerieren?
Die erste Silbe steht für Rückführung?
Und Zug?
Ich verbinde hiermit Stress, Zeitdruck und Menschenmassen.
Ein Transport in das eigene Innenleben?
Auf der Webseite eines großen Unternehmens wird diese Leistung nicht angeboten.
Ich wollte es buchen, um mich in die Lage zu versetzen, dass ich mitreden kann.
Zwei Schritte nach vorn und drei zurück, das bewegt mich, obwohl ich ins Stocken gerate und nicht vorankomme.
Ergo ein Zug zurück, bis man sich vom Außen löst?
»Mo? Diesen Gesichtsausdruck kenne ich. Was brennt Dir unterm Dach?«.
Hier brennt nach Buddhas Theorien rein gar nichts.
»Lernt man Rückzug? Wenn nicht, passiert er einem?«.
»Nicht traurig sein. Kuddel wird sich melden. Du musst in Betracht ziehen, dass er ein Freund für uns bleibt, wenn er sich gegen ein ›Ausziehen‹ entscheidet«.
»Er soll bei Jennifer und ›Omama‹ wohnen bleiben«.
»Ich rede nicht von Auszug. Manchen Menschen gelingt es nicht, wenn sie es sich auch wünschen, über das zu sprechen, was sie erlebt haben und was sie geprägt hat. ›Seelisch nackig machen‹, das meine ich mit Ausziehen. Ehe Du nachfragst, nein, es hat nichts mit seiner Kleidung zu tun«.
Er kennt mich gut.
Drängt Eddy das Bedürfnis nach Rückzug, gibt er diesen auf, sobald ihm ein Licht erscheint.
Ansonsten helfe ich nach.
Von Kuddel gibt es seit vier Wochen kein Lebenszeichen.
Über Ecken haben wir erfahren, dass er gesundheitliche Fortschritte macht.
Hinzu kommt, dass er sich nicht vor Jennifer auf ein Schiff geflüchtet hat.
Habe ich einen Fehler gemacht, indem ich mir wünschte, in sein Leben einzutauchen?
Die Geschichten um ihn fesseln mich.
War es dem ungeachtet unklug, dass wir uns nicht den Kriminalfällen widmen, die ohne unser Zutun ungelöst bleiben?
Er riet uns zum Aufdecken von Tötungsdelikten und ich werde das Gefühl nicht los, dass er mir Dinge verheimlicht.
An manchen Abenden liege ich in meinem Körbchen und lese, was Kuddel auf einigen seiner Stationen erlebte.
Spannend und bewegend, auf der einen Seite nicht einzigartig, auf der anderen von besonderer Tiefe.
Ohne zu erfahren, was sich in seiner Kindheit ereignete, passt einiges nicht zusammen.
»Eddy? Es muss ihm was Schreckliches widerfahren sein«.
»An Bord? Höre ich zu, wie er von seinem früheren Leben schwärmt, ist das schwer vorstellbar«.
»Früher meine ich. Als er noch klein war und keinen Gedanken an Zukunft verschwendet hat«.
»Frühkindliches Trauma?«.
»Quatsch, nichts Geträumtes, real Erlebtes«.
»Seelische Erschütterung mit nachhaltiger Prägung«.
»Was willst Du?«.
»Traumata entstehen durch Erlebnisse, die unvorhergesehen auf einen einstürzen und die man zu bewältigen nicht in der Lage ist«.
»Als er noch Kind war?«.
»Vorstellbar wäre es. Es muss einen Grund geben, warum es ihm schwerfällt, sich zu öffnen. Die Seefahrt, war sie ein Ausweg? Wenn ja, aus welcher Situation? Langsam beginne ich neugierig zu werden, Mo«.
Nichts spricht gegen einen Besuch bei ›Omama‹.
Ich bitte unsere ›Mamas‹, dass sie einen Kuchen backen und uns begleiten.
Es kann – rein zufällig und ungeplant – passieren, dass wir bei unserem Spontan-Besuch auf Kuddel treffen.
Meiner größten Angst, er könnte uns gezielt aus dem Weg gehen, räume ich keinen Platz ein.
Eddy teilt die Freude über ein Wiedersehen.
In der letzten Zeit hat er sich mit Tobi angefreundet und die zwei führen ›Männergespräche‹, die mir nicht viel geben.
Gönnen zu können, was für ein schönes Gefühl.
Während mein Kumpel Tobi zu seinem alten Wohnsitz begleitet, um das Mobilheim umzugestalten, kuschele ich auf dem Schoß von ›Omama‹. In mir muss ein Mädchen stecken, ist die Meinung von Eddy, der sich schnell Streicheleien entzieht, mit der Begründung ein Rüde benötige diese Gefühlsduselei nicht.
Dieser Schubladendenker.
Problemlos haben unsere ›Mamas‹ durchschaut, dass Kuddel unsere Anlaufstelle ist, und sie bleiben mit uns vor einem Fischgeschäft stehen.
Tolle Idee.
Mit einer Tüte voller Krabben setzen wir unseren Weg fort und erreichen am Nachmittag nicht einzig ›Omama‹ und Tobi.
Jennifer stürmt auf uns zu.
»Kuddel wird sich freuen. Es wird Zeit, dass Ihr Euch wiederseht«.
»Warum hat er sich nicht gemeldet, Jenny?«, erkundige ich mich traurig bei ihr, um mehr über die Gründe zu erfahren.
»Er ist anders, Mo. Mehrere Male ermutigte ich ihn, dass er einen Schritt auf Euch zumacht. Seine Angst war größer«.
»Vor uns?«.
»Davor, Euren Erwartungen nicht gerecht zu werden. Hat er Euch gesagt, wie beeindruckt er nach dem Lesen Eurer Bücher war? Seitdem steht für ihn fest, dass er nicht diesen Menschen ähnelt, die frei von der Seele vor Euch ihr Leben ausbreiten«.
Eddy übernimmt die Antwort, indem er Jenny um den Gefallen bittet, mit ihrem Freund zu reden.
»Nicht über seine Geschichten. Sag ihm, dass Mo und ich gar nichts erwarten. Uns würden ein paar Anekdoten aus seinem Seefahrerleben reichen. Es gibt was an ihm, das uns reizt«.
»Euch auch?«, lacht Jenny. »Ich schau nach ihm. Er bastelt seit Tagen an seinen Modellschiffen, die einen Platz in der großen Vitrine bekommen. Mariannes Mittagsschlaf kürzen wir ab, was?«.
Sie verschwindet für einen kurzen Moment, in dem wir mit unseren Frauchen das Wohnzimmer bestaunen.
Hatte Jenny nicht zuvor ein Faible für die Schifffahrt, muss sie ihren und unseren Kuddel verdammt lieben.
Ein Steuerrad, umfunktioniert zur Minibar, fällt ins Auge neben zahlreichen Porträts rund um die Nautik.
»Ist das hier die Vitrine? Sie ist komplett leer!«. Eddy ist erstaunt, dass noch kein einziges Schiff dort steht. »Die Stellflächen müssen mit Leben gefüllt werden«.
»Wie Kuddel«.
»Fängst Du wieder an, Mo?«. Mein Freund wird ungehalten.
Unvermittelt will ich zum verbalen Gegenschlag ausholen, als der Grund unseres Hochschaukelns im Türrahmen lehnt.
Gut schaut er aus, viel erholter als vor einigen Wochen.
Sein breites Grinsen provoziert mich ohne jegliches Zutun.
»Das Lachen vergeht Dir«.
»Ach, sag bloß? Zuerst geschieht Dir das«, wird sein Lächeln noch fetter.
»Sagt man Dir nach, anstrengend zu sein, Mo?«.
Jetzt reicht es.
»Das sind Hater, die das behaupten. Zählst Du Dich dazu?«.
»Bis heute glaubte ich, keiner zu sein. Charakterisieren würde ich Dich – konträr zu mir – als eigenwillig, arrogant, unbelehrbar und anstrengend«.
Wütend bin ich und ich lasse mich nicht beschimpfen, weil er mich in seinem Leben nicht mehr erträgt und mich loswerden will.
Unfair, seine angewandte Methodik.