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Nach 40 Jahren auf dem Bau ist Klaus Schäfer körperlich am Ende. Sein Rücken ist kaputt und er kann nicht mehr. Als er die Kündigung erhält, ist er erleichtert, dass endlich alles vorbei ist. Doch die Agentur für Arbeit macht ihm einen Strich durch die Rechnung. Er wird zu einem Umzugsunternehmen geschickt, bei dem er als Möbelpacker aushelfen soll. Nachdem das Umzugsunternehmen ihn aufgrund seiner körperlichen Eingeschränktheit abgelehnt hat, ist er dankbar. Doch er hat genug von körperlicher Arbeit. Er sucht seinen Arzt auf, der ihn zu Kur schickt. Doch anstatt die Anweisungen der Ärzte bei der Kur zu befolgen, richtet er mit voller Absicht nur noch mehr Schaden an. Doch nicht nur körperlich, auch psychisch ist er am Ende. Er ist verzweifelt, möchte sein Leben beenden. Hilfesuchend wendet er sich an die Psychologin vor Ort, die ihm nahelegt, sich in seinem Heimatort psychische Hilfe zu suchen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten tut er das auch. Sein Kampf um sein Leben begann mit einem Rückruf einer Psychotherapeutin. Voller Ungewissheit und nur sehr zögerlich klopfte er an die Tür der Praxis. Obwohl er sich dort sehr wohl fühlte, war es für den introvertierten Klaus nur sehr schwer, sich in den ersten Sitzungen zu öffnen. Er sprach nur, wenn er gefragt wurde, und dann auch nur das nötigste. Seine Psychotherapeutin war sehr geduldig mit Klaus und redete ihm gut zu. So gelang es ihr, zu ihm vorzudringen. Er fing an zu erzählen, warum er sich das Leben nehmen wollte. Als seine Psychotherapeutin ihn eines Tages nach seiner Kindheit fragte und vermutete, dass der Auslöser für sein Verhalten dort zu finden sei, wies Klaus dies energisch zurück. Für ihn konnte der Grund für sein Handeln nicht so viele Jahre in der Vergangenheit liegen. Er konnte und wollte das nicht als Ausrede gelten lassen. Trotz seiner Uneinsichtigkeit, begann er von seiner Kindheit und darüber hinaus zu erzählen…
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Seitenzahl: 184
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Klaus Schäfer
© 2018 Klaus Schäfer
Verlag und Druck: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7469-1617-0
Hardcover:
978-3-7469-1619-4
e-Book:
978-3-7469-1618-7
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Das, was Sie jetzt zu lesen bekommen, habe ich nur meiner Therapeutin Sabine Baumann zu verdanken.
Sie sagte bei einer Therapiestunde nebenbei, über meine Geschichte könne man ja ein Buch schreiben. Da ich diesen Gedanken sofort aufnahm, entstand diese Geschichte, dieses Buch, Manuskript, dieser Bericht, diese Aufzeichnungen oder wie immer Sie es nennen wollen. Die frühesten dauerhaften Erinnerungen bei Kindern setzen, so Hirnforscher, zwischen dem Ende des zweiten und dem Ende des dritten Lebensjahres ein. Im Schnitt beginnen die ersten dauerhaften Erinnerungen mit dreieinhalb Jahren. Wenn dann doch die ersten vier Lebensjahre für das Kind rückblickend im Nebel verschwinden, hat das für die Eltern auch etwas Gutes: Sie können umso länger Geschichten von früher erzählen, während das groß gewordene Kind schweigt und nickt. Es kann ja nicht widersprechen. Quelle:
www.spiegel.de/Gesundheit Psychologie/Körpersprache
Eigentlich hatte ich gar keine Erinnerungen an meine Kindheit. Sie waren einfach weg oder verdrängt. Es ist denke ich normal, dass man sich mit 56 Jahren nicht mehr an seine Kindheit erinnern kann oder will. So dachte ich zumindest ...
Doch ich wurde eines Besseren belehrt. Es kam der Tag, an dem ich mich in psychologische Behandlung begab. Ich habe eine gewisse Zeit gebraucht, um überhaupt bereit für die Behandlung zu sein. Was ich nie im Leben vermutet hätte, war, dass ich mich an alles zurückerinnern konnte, jedenfalls bis zum fünften Lebensjahr. Das war eine Geschichte, die ich nie verstanden hatte. Aber lesen Sie selbst und machen Sie sich ein Bild von dem, was Sie gleich erfahren werden …
Alle Namen und Orte wurden geändert.
Es war der 22. Dezember 2016, ich wurde zum Gutachter bestellt. Aber dieses Mal hatte die Rentenversicherung den Termin für mich festgelegt. Sie wollte sichergehen, dass ich wirklich Schmerzen und Depressionen hatte. Den Gutachter der Krankenkasse hatte ich „überlebt“. Also wollte die Rentenversicherung sicherstellen, dass das Gutachten mit dem der Krankenkasse übereinstimmt. Es könnte ja sein, dass ich gar nicht krank war, sondern nur zu faul zum Arbeiten. Jedenfalls hatte ich den Termin um 10:25 Uhr. Und da ich noch von der „alten“ Schule bin und weiß, was eine deutsche Tugend wie zum Beispiel Pünktlichkeit ist, war ich eine halbe Stunde früher gekommen. Ich kann es nicht leiden, auf den letzten Drücker zu erscheinen, wenn ich Termine habe. Es waren noch zwei oder drei andere Patienten da, die vor mir an der Reihe waren. Im Warteraum herrschte eine Stille, die schon etwas seltsam war. Und ich dachte, die, die hier sitzen, müssten sich auch mustern lassen. Na ja, dann war ich jedenfalls nicht der Einzige, sagte ich mir. Ich hatte ein ängstliches Gefühl, weil ich nicht wusste, was hier auf mich zukam. Ich nutzte die Zeit, die ich warten musste, und machte mir Gedanken, wie ich zum Gutachter gekommen war und vor allem, aus welchem Grund. Ich schaute aus dem Fenster und ließ die letzten zwei Jahre noch einmal Revue passieren.
Es war der 9. November 2015 und das Wartezimmer war überfüllt. Ich kam gerade vom Arbeitsamt und hatte meine Kündigung zum 1. Dezember 2015, die ich vom Arbeitgeber erhalten hatte, termingerecht abgegeben. Jetzt saß ich beim Arzt wegen meiner Probleme mit dem Rücken, die ich nicht erst seit gestern hatte, sondern schon jahrelang. Doch ich hatte sie entweder verdrängt oder bekämpft. Da ich noch die letzten drei Wochen bis zum 1. Dezember 2015 durchhalten wollte, holte ich mir wieder einmal Spritzen ab. Denn ich sah jetzt Licht und hätte bis März 2016 Ruhe. In dieser Zeit konnte ich mich wie jedes Jahr auskurieren, so dachte ich jedenfalls. Aber dieses Mal war alles anders, ich wollte eigentlich nicht wieder auf den Bau zurück. Ich hatte es satt, immer herumzukriechen und die verdammten Schmerzen zu bekämpfen. Da kam mir die Kündigung dieses Mal gerade recht. Ich war schon „Stammkunde“, wenn es um die Spritzen ging. Der Arzt hatte wie die anderen Male zuvor direkt in den Schmerz hineingespritzt und nicht in die Wirbelsäule. „Soll ich Sie nicht krankschreiben, Herr Schäfer? Denn wie das blühende Leben sehen Sie nicht gerade aus.“ „Ich habe ja nur noch drei Wochen, Herr Doktor“, erwiderte ich. „Und außerdem habe ich meinem Chef versprochen, die Baustelle abzuschließen. Wissen Sie was, Herr Doktor, ich habe mich das ganze Jahr mehr oder weniger durchgebissen, da werde ich doch die drei Wochen auch noch ‚überleben‘.“ „Gut, das ist Ihre Entscheidung, Herr Schäfer.“ Ich wusste, er meinte es nur gut, aber ich hatte nun einmal zugesagt, die Baustelle zu beenden. Er hatte mich auch schon jedes Mal zuvor gewarnt, dass ich einen Gang runterschalten sollte bei der Arbeit. Was natürlich leichter gesagt war als getan. Ich hatte mir gedacht, dass er zwar ein sehr guter Arzt war, dass stand außer Frage. Aber wie der Bau funktionierte, das konnte er nun wirklich nicht einschätzen. Hm, dachte ich, wie schaltet man auf dem Bau einen Gang runter? Hier wird heute nur noch unter Druck gearbeitet, um die Termine einzuhalten. Ohne Überstunden geht das gar nicht mehr. Da stellte ich mir vor, wie ich zum Chef gehen und ihm sagen würde, dass mein Arzt gesagt hatte, ich solle einen Gang runterschalten bei der Arbeit. Um meinen Rücken zu schonen. Ich schätze mal, mein Chef hätte mir geantwortet: „Natürlich, Klaus, machen wir, der Termin ist nicht so wichtig wie du. Und damit es dir auch gut geht, backe ich dir noch einen Pflaumenkuchen ohne Kerne.“ Also zum Chef zu gehen, würde keine Verbesserung bringen. Er hätte mir nur zwei Alternativen aufgezählt: Entweder ich suche mir eine neue Arbeit, um meinen Rücken zu schonen, oder ich ziehe weiter mit und habe noch einen Job. Nun dürfen Sie, als Leser, einmal raten, was man macht, wenn man schon 56 Jahre alt ist. Richtig, natürlich nichts, und so quälte ich mich weiter auf dem Bau herum. Die drei Wochen würde ich auch noch überleben, wegen der Aussicht auf Ruhe danach, die ich hatte …
Ich konnte mir also überlegen, was ich dann machen wollte. Klar hätte ich im Frühjahr wieder anfangen können, das wäre kein Problem gewesen.
Das war und ist die gängige Praxis auf dem Bau. Aber ich wollte nicht mehr. Wenn ich nur daran denke, was ich mir alles zugemutet hatte in den letzten Jahren. Um ehrlich zu sein, länger hätte ich es auch nicht mehr ausgehalten. Denn die Schmerzen wurden immer stärker und hatten schon jetzt die Oberhand. Ich nahm Tabletten und ging im Monat zwei Mal nach Feierabend zum Spritzen. Damit ich am nächsten Tag wieder einsatzbereit war. Wenn ich wusste, dass ich am nächsten Tag schwere Arbeiten zu verrichten hatte, nahm ich gleich früh nach dem Aufstehen zwei Tabletten auf Verdacht und steckte mir noch welche in die Tasche als Reserve. Es war schon so weit, dass die Tabletten gar nicht mehr richtig wirkten. Die Warnsignale meines Köpers, hatte ich ignoriert. Ich ging mit Schmerzen ins Bett, und bei jeder Bewegung die machte, meldet sich mein Körper. Der Schmerz zog sich schon bist in die Beine. Gesunder Schlaf war etwas anderes. So stand ich früh unausgeschlafen und mit Schmerzen wieder auf. Meine Stimmung war dem entsprechend ganz unter. Viel Freude am Leben hatte ich nicht mehr. Die einzige Ablenkung, war die Arbeit. Da ich nicht mehr als zwei Spritzen im Monat bekam, musste ich dem Schmerz etwas entgegensetzen. Und wie bekämpft man einen Schmerz? Richtig: mit Gegenschmerz. Ich legte mich so ins Zeug, dass ich noch mehr Schmerzen bekam. Das war die blödeste Idee, die ich je hatte. Ein normaler Mensch würde sagen, wenn’s nicht geht, dann geht es nicht. Das stimmt. Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich das auch manchmal gedacht. Das, was ich da machte, war nicht normal. Vielleicht war ich ja auch nicht normal, wer weiß das schon. Ich war schon als Kind anders als die anderen Kinder. Also arbeitete ich weiter wie ein „Ochse“, was nur noch mehr Schmerzen verursachte. 2015 war ich sogar drei Mal krankgeschrieben. Blöd, wie ich war, landeten die Krankenscheine nicht bei meinem Chef, wo sie hingehört hätten, sondern im Handschuhfach meines Baufahrzeuges. Ja, ich weiß, was Sie jetzt denken, selbst schuld. Stimmt ja auch, aber ich war nun einmal bei einem Kleinunternehmen angestellt, wo jeder Tag zählte und die Termine eingehalten werden mussten. Da ich auch noch der einzige Angestellte war, hätte das fatale Folgen wie eine Vertragsstrafe gehabt. Und der Chef hätte seinen Betrieb vielleicht aufgeben müssen wegen Insolvenz. Dass ich keinen Dank bekomme, wusste ich auch. Ich bin nun einmal so, ich helfe anderen, wo ich nur kann, nur mir selbst kann ich nicht helfen. Das war traurig, aber wahr. Wie gesagt, dieses Mal war ich froh, dass ich die Kündigung bekommen hatte. Ich hatte die Schnauze voll vom Bau, das schwere Heben und Tragen und das Herumkriechen mit den schweren Maschinen in den unmöglichsten Stellungen. Aber was sollte ich tun, etwas anderes hatte ich nicht gelernt. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn der Chef mir nicht gekündigt hätte? Meine drei letzten Wochen, die ich noch zu arbeiten hatte, waren nun auch vorbei und ich hatte wie versprochen die Baustelle beendet. Gott sei Dank, dachte ich, endlich Ruhe und ich kann mich schön auskurieren. Doch leider machte ich diese Rechnung ohne das Arbeitsamt. Ich hatte mich, wie schon erwähnt, drei Wochen vorher arbeitslos gemeldet. Am 30. November 2015 erhielt ich Post vom Arbeitsamt. Ich solle mich am 2. Dezember 2015 auf dem Amt melden. Bestimmt nur, um etwas abzugleichen, dachte ich, da auf meiner Kündigung stand, dass ich im März wiedereingestellt würde. Das Arbeitsamt hatte eine „gute“ Nachricht für mich, ich durfte am 4. Dezember 2015 schon wieder arbeiten, eine Umzugsfirma suchte Hilfskräfte. Das waren wetterunabhängige Arbeiten. Meine Betreuerin gab mir die Adresse, wo ich mich zu melden hatte. „Schön“, dachte ich, „wieder alles richtig gemacht.“ „Wissen Sie, Frau Weis, ich mache mir seit 1977 das Kreuz krumm auf dem Bau. Wenn ich in Gera auf einer Baustelle genau vor dem Supermarkt war, konnte ich sehen, wie junge Kerle gegen 10 Uhr ihr ‚Frühstück‘ einnahmen mit einer Flasche Bier in der Hand. Und wie oft habe ich mich geärgert, dass ich für solche Leute mitarbeiten musste. Ich schere jetzt nicht alle über einen Kamm, das möchte ich gleich klarstellen. Warum nehmen Sie nicht solche Leute in die Pflicht?“ Die junge Frau antwortete: „Sie sind gerade zwei Tage arbeitslos und können sofort einsteigen. Sie wissen, wo es langgeht. Die jungen Kerle, die Sie gesehen haben, haben wir schon abgeschrieben.“ Ich dachte, mich tritt ein Pferd, mit dieser Antwort habe ich nicht gerechnet. Na gut, dachte ich weiter, und fuhr noch am selben Tag zu der „Umzugsbude“, um mich davorzustellen. Obwohl mir das nicht in dem Kram passte. Warum gehst du nicht zum Arzt und lässt dich krankschreiben? dachte ich mir so. Aber nein, ich musste mit aller Gewalt dorthin. Ich hatte noch eine Ehre im Leib. Denn ich wollte nicht so dastehen wie die jungen Kerle vor dem Supermarkt. Um zum Schluss würde ich selbst wie ein Asozialer wirken. Selbst, wenn ich dort eingestellt würde, was wäre mit den Schmerzen? Das war die Frage. Und wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich doch gehofft, dass es nichts wird mit der Anstellung. Aber ich musste mich erst einmal dort melden wegen der Unterschrift. Damit hatte ich dann einen Nachweis, dass ich hier gewesen war. Ich fuhr beim Arbeitgeber auf den Hof. Er war leer, nur eine Person lief gerade vom Lager zum Büro. Als der Mann mich sah, wie ich aus dem Auto herauskroch, fragte er mich, was ich hier wolle. Ich sah ihn an und sagte ihm, dass mich das Arbeitsamt geschickt habe, weil sie hier noch Leute brauchten. Ich glaube, er musste die Aussage erst einmal verdauen und es verschlug ihm die Sprache. Aber dann wurde er sehr laut: „Sind die denn auf dem Arbeitsamt alle total verblödet? Schicken mir Leute, die schon halb tot sind. Die wissen doch, dass ich welche brauche, die anpacken können. Das hat jetzt nichts mit Ihnen zu tun. Und es ist auch nicht persönlich gemeint“, sagte er zu mir. „Geben Sie mir den Zettel, ich unterschreibe ihn. Dann haben Sie den Nachweis, dass Sie hier waren. Ich werde aber noch auf dem Amt anrufen. Und sorry, ich kann Sie nicht gebrauchen, so wie Sie herumkriechen.“ „Gott sei Dank“, dachte ich, „es hat nicht geklappt.“ Da ich jetzt auch die Schnauze voll hatte, wie Sie sich denken können, bin ich sofort zu meinem Arzt gefahren. Ich musste etwas länger warten, bis ich an der Reihe war. Ich berichtete, was das Arbeitsamt vorhatte.
„Nein, das geht nicht“, sagte er zu mir, „ich schreibe Sie erst einmal krank, das kann ich hundertprozentig vertreten. Sollten die Herrschaften etwas sagen wegen der Krankschreibung, so kann mich der medizinische Dienst vom Arbeitsamt anrufen. Und wissen Sie, was wir noch machen?“ Ich fragte: „Was?“ „Wir stellen jetzt einen Antrag für eine Kur. Wann hatten Sie denn die letzte, 2000? Auch wegen Rückenschmerzen. Na, das passt ja … Ich stelle Ihnen jetzt eine Überweisung zum Facharzt für Orthopädie aus.“ Gesagt, getan. Aufgrund dessen musste ich in die Röhre und wurde geröntgt. Kurz und gut, ich wurde von allen Seiten durchleuchtet. Der Tag der Auswertung kam und mir wurde Folgendes mitgeteilt: Erst die gute Nachricht, ich hatte keinen Bandscheibenvorfall.
„Kommen wir zur schlechten Nachricht“, sagte der Arzt, „Ihre Wirbelsäule ist im unteren Lendenbereich, sprich der Lendenwirbelsäule, für Ihr Alter schon dermaßen abgenutzt, dass eine Operation keine große Verbesserung bringen würde. Das Problem werden wir nur mit Spritzen, die direkt in die Wirbelsäule gehen, etwas beheben können, um den Schmerz zu mindern.“ Ich sollte nicht verwechseln, dass die Spritzen, die ich bekommen würde, die Bandscheiben nicht wieder auffüllen würden, sondern dass nur der Schmerz bekämpft werde, indem man die Nerven betäube. „Das weiß ich, Herr Wasser.“ Denn diese Spritzen hatte ich voriges Jahr im Mai auch bekommen. Nebenbei erzählte ich ihm, dass die Kur genehmigt worden war. Was zu seiner und meiner Überraschung doch recht schnell ging. Im Dezember war der Antrag eingereicht worden und Anfang Januar kam die Bestätigung. Die Kur sollte am 3. März 2016 begingen. „Gut“, sagte er, „warten wir die Kur ab und sehen wir dann weiter. Bis dahin sind Sie weiterhin krankgeschrieben.“ Also wartete ich, bis die Zeit gekommen war, um die Kur anzutreten. Als es so weit war, fuhr ich nach Bad Kösen zur Kur. Die Unterkunft war in Ordnung, ich hatte einen schönen Ausblick auf den Wald. Auch das Essen war sehr abwechslungsreich. Ich fühlte mich hier sehr wohl. Der Facharzt sah sich beim ersten Gespräch die Befunde an und untersuchte mich. Darauf aufbauend wurde mein persönlicher Kurplan erstellt. Tagsüber war ein strenges Programm abzuarbeiten. Es begann jeden Morgen um 8 Uhr und endete erst am späten Nachmittag. Anschließend konnten wir unsere Freizeit genießen. Ich bin ein Mensch, dem es schwerfällt, Kontakt zu anderen Menschen aufzubauen, weshalb ich meine Freizeit dort allein verbrachte. Ich hatte viel Zeit, um nicht zu sagen, zu viel Zeit … Seit 1984 hatte ich diese Rückenprobleme, bis zum heutigen Tag. Gerade am Wochenende begann ich nachzudenken: „Wenn die Kur zu Ende geht, was dann? Hole ich mir dann meine Spritzen ab und gehe wieder auf den Bau?“ Nee, das wollte ich mir nicht mehr antun. Die Spritzen wurden verteilt auf vier Wochen und würden für eine gewisse Zeit, vorausgesetzt, ich schaltete auf der Arbeit einen Gang runter, so ungefähr ein Dreivierteljahr halten. Beim letzten Mal, als ich die Spritzen bekam, im Mai 2014, hatte die Wirkung zwei oder drei Monate angehalten, dann musste ich wieder auf Tabletten umsteigen. Der Grund dafür ist einfach zu erklären: Ich machte genauso weiter, wie ich aufgehört hatte. Ich arbeitete wie ein Ochse. Ich hatte nicht vergessen, was 1994 passiert war, als nichts mehr ging. Ich hatte einen Sack Fertigbeton, der 40 Kilogramm wog, getragen. Nach fünf Metern klappte ich zusammen wie ein Schweizer Taschenmesser. Ich hatte mich so dermaßen verhoben, dass ich nur noch sterben wollte. Solche Schmerzen hatte ich bis dahin noch nicht gekannt. Meine Kollegen wollten mich wieder auf die Beine stellen, was aber nicht richtig klappte. So ging ich mit zwei Besen, die ich zum Abstützen nahm, zum Bauwagen. Ich sollte mich erst einmal erholen und dann nach Hause fahren und einen Arzt aufsuchen. Was ich natürlich machte. Ich bekam eine Spritze und der Arzt verschrieb mir Tabletten. Krankschreiben ließ ich mich nicht, denn es war Freitag und am Wochenende konnte ich mich ja auskurieren. Dann wäre ich am Montag wieder einigermaßen fit. Aber zurück zur Kur.
Zum Behandlungsplan, den ich hatte, gehörten Gymnastikübungen am Boden sowie im Wasser, Wanderungen im Wald, Nordic Walking, Vorlesungen sowie Sport in der „Muckibude“, einer Art Trainingsraum. Jeder hatte seinen eigenen Trainingsplan, konkret auf sich zugeschnitten. Zu meinem Plan gehörte, im Sitzen Gewichte zu bewegen. So trainierte ich den Muskelaufbau des gesamten Körpers durch gezielte, aufeinander abgestimmte Übungen. Dann war da noch das Laufband, ich musste Rad fahren und Übungen auf der Bodenmatte machen. Ein sehr straffes Programm. „Da hätte ich auch weiter arbeiten gehen können bei diesem Plan“, dachte ich mir. Die „Muckibude“ hatte ich in der Woche zwei Mal, jeweils 45 Minuten. In den vier Wochen, die ich dort war, wurde ich zwei Mal außer Gefecht gesetzt. Ich war an den Gewichten zugange. Das Gewicht, das ich zu drücken beziehungsweise zu ziehen hatte, lag bei 25 Kilogramm. Beim Ziehen hatte ich gleich wieder Schmerzen, also machte ich das, was auch auf der Arbeit funktionierte.
„Das müsste auch hier funktionieren“, dachte ich mir und legte noch einmal 15 Kilogramm nach. Ich wollte wieder einmal Schmerz mit Schmerz bekämpfen, was natürlich zu meiner großen Überraschung überhaupt nicht klappte. Und da krachte es wieder und ich lag auf dem Boden, mich vor Schmerzen windend. Nur gut, dachte ich, dass hier gleich Ärzte waren, die mir eine Spritze verpassen konnten. Und wie gesagt, ich wiederholte das Spielchen zwei Mal in vier Wochen. Das brachte mir etwas Ärger mit den Ärzten ein. Denn sie konnten nicht verstehen, dass ich den Schmerz mit Schmerz bekämpfte. Was sagte da der Herr Oberarzt zu mir: „Dümmer geht es wohl nicht!“ Und dann wurden diese Vorfälle in die Entlassungspapiere mit eingetragen. Ich saß wieder auf meinem Zimmer und dachte nach: „Willst du dich bis zum Schluss kaputtmachen?“ Jetzt hatte ich zum ersten Mal Angst, dass sie mich wieder auf den Bau schicken würden. Aber was sollte ich machen? Jetzt war Schluss damit. Ich vertiefte mich immer mehr in Gedanken zu mir selbst. Vielleicht sollte ich das „Licht“ ausmachen. Aber wie, das musste gut durchdacht sein, und es durfte nicht unvorbereitet geschehen. Mir wurde schon komisch zumute, wenn ich nur daran dachte. Und der Gedanke selbst fraß sich in meinen Kopf immer tiefer ein. Je mehr Schmerzen ich hatte bei meinem Trainingsplan, desto mehr verfestigte sich der Entschluss, es zu tun. Diesen Entschluss hatte ich schon einmal gehabt. 1998, aber dazu komme ich später noch. Was sollte mir jetzt noch passieren, ich hatte ja einen Plan, die letzte Hilfe sozusagen. Eigentlich sah ich ein, dass ich jetzt Hilfe brauchte, aber so richtig wollte ich gar keine, denn ich hatte ja meinen eigenen Hilfsplan. Sollte ich mir Hilfe holen bei der „Psychotante“, die hier im Haus tätig war? Und wenn ja, was sollte ich ihr erzählen? Also schob ich dieses Thema erst einmal vor mir her. Ich stand bestimmt bei der „Psychotante“ drei oder vier Mal vor der Tür und habe dann doch nicht angeklopft. Vielleicht aus Angst und weil ich nicht wusste, was mir da bevorstand. Beim fünften Versuch hatte ich dann doch geklopft. Aber wie würde sie reagieren? Würde sie denken, ich sei verblödet? Ich klopfte an ihrer Tür und sie bat mich herein. „Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte eine sehr schlanke blonde (die ich so um die 30 schätzte) junge Frau. „Guten Tag, ich bin Frau Sommer, Sie sind der