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Spannend, kritisch, unterhaltsam – der Kriminalroman von SPIEGEL-Bestsellerautorin Nicola Förg
Diesen Krimi werden Sie nicht aus der Hand legen können: Mit Ermittlerin Irmi Mangold wird die harmlose Wohnungssuche zum lebensgefährlichen Unterfangen.
Schöner wohnen, schneller sterben: Ihren 12. Alpen-Krimi widmet Bestsellerautorin Nicola Förg einem brandaktuellen Thema: der Wohnungsnot. Irmi Mangold und ihr Partner Fridtjof Hase wollen sich eigentlich nur nach einem neuen Zuhause umsehen. Doch während die Kommissarin auf dem unerbittlichen Wohnungsmarkt höchstens mörderische Preise erwartet, hat sie nicht damit gerechnet, dass die Wohnungssuche auch tödlich enden kann.
Bei der Besichtigung eines Hofes kommt es zum Undenkbaren: Direkt neben Irmi Mangold wird ein Kaufinteressent erschossen. Mit Unterstützung ihres Kollegen Gerhard Weinzirl taucht die Kommissarin ein in die Abgründe des Immobilienmarktes und entdeckt eine skurrile und gefährliche Welt, in der sich alles um Geld, Gier und Besitz dreht. Die Recherchen führen die beiden Ermittler nach Berlin und bis in die Vergangenheit.
Können Häuser böse sein? Oder sind es immer nur die Menschen, die sie bewohnen oder besitzen wollen?
Erschreckend real: brandaktuelle Themen und jede Menge Lokalkolorit verpackt in einer atemberaubenden Geschichte
Die Journalistin Nicola Förg ist bekannt dafür, immer wieder aktuelle Bezüge zu Umwelt- oder Tierschutz in ihre Krimis einzubauen. Auch in diesem 12. Band ihrer Krimi-Reihe mischt sie gut recherchiertes, aktuelles Zeitgeschehen mit einem fesselnden Plot. Selbst die Corona-Pandemie wird in „Böse Häuser“ verwoben.
Bayerns beliebteste Kommissare ermitteln erstmals im Team im Bestseller des Jahres 2021
Fans kennen und lieben Irmi Mangold und Gerhard Weinzirl, die Kommissare aus den Büchern von Nicola Förg. In „Böse Häuser“, dem packend-humorigen Bestseller des Jahres 2021, lässt die Krimiautorin die beiden erstmals gemeinsam ermitteln. Doppelte Spannung, doppelter Lesespaß!
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Für Ines und Frau Frigg
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© Pendo Verlag in der Piper Verlag GmbH, München 2021
Redaktion: Dr. Annika Krummacher
Covergestaltung: U1berlin / Patrizia Di Stefano
Covermotiv: Patrizia Di Stefano; Getty Images (Sean Gladwell; Ed Freeman)
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Cover & Impressum
Zitat
Prolog
1
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9
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11
Epilog
Nachwort
I know not how it was – but, with the first glimpse of the building, a sense of insufferable gloom pervaded my spirit. I say insufferable; for the feeling was unrelieved by any of that half-pleasureable, because poetic, sentiment, with which the mind usually receives even the sternest natural images of the desolate or terrible.
Ich weiß nicht, wie es kam – aber ich wurde gleich beim ersten Anblick dieser Mauern von einem unerträglich trüben Gefühl befallen. Ich sage unerträglich, denn dies Gefühl wurde durch keine der poetischen und darum erleichternden Empfindungen gelindert, mit denen die Seele gewöhnlich selbst die finstersten Bilder des Trostlosen oder Schaurigen aufnimmt.
Edgar Allan Poe, Der Untergang des Hauses Usher
»Frau Reindl, was verschafft mir die Ehre an einem so wolkenverhangenen Samstag in den Iden des Februars?«
Kathi schnaubte. »Ich versuche, Irmi zu erreichen. Ist sie da?«
»Keine Ahnung«, entgegnete Fridtjof Hase. »Ich komme gerade von einer Skitour zurück. Moment …« Es dauerte ein paar Sekunden. »Das Auto ist weg. Haben Sie es schon auf ihrem Handy probiert?«
»Da geht nur die Mailbox ran.«
»Ja nun. Das übliche bayerische Funkloch. Irmi pflegt sich nicht bei mir abzumelden.«
»Bitte, Herr Hase, Irmi war gestern bei einer wichtigen Zeugin. Leider hat sie es vorgezogen, uns im Unklaren zu lassen. Sie wollte sich heute früh melden. Nun ist Mittag durch. Und den Weinzirl erreich ich auch nicht. Sein Handy läutet ewig. Eine Mailbox ist ihm wohl zu luxuriös. Scheiße!«
Der Hase schwieg sekundenlang. »Sie nehmen an, die beiden sind zusammen unterwegs?«
»Ja, und ich hab ein total schlechtes Gefühl! Ich weiß, Intuition ist eher Irmis Ding, aber da stimmt was nicht.«
»Treffen wir uns im Büro?«, schlug der Hase vor.
»Gerne.«
Fünfundzwanzig Minuten später, es war vierzehn Uhr geworden, trafen sie ein. Sie telefonierten etwas herum und erfuhren, dass Irmi weder bei Lissi noch bei ihrem Bruder war. Weinzirls Vermieterin meinte, dass er vor sechs Uhr morgens weggefahren sei, denn dann komme Sir Sebastian, sein Hund, nämlich immer im Lauf des Vormittags zu ihr.
»Wenn Weinzirls Handy an ist, dann können wir es mit Sicherheit leichter orten«, sagte der Hase. »Rufen Sie die Staatsanwaltschaft an? Ich setz mich schon mal an den PC.«
Kathi rauschte hinaus und war schnell zurück. »Ich hab das Okay. Das hätten wir aber auch ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft gemacht, oder?«
Der Hase nickte. Er beherrschte das Versenden einer sogenannten Stillen SMS und bekam auch flugs die GPS-Daten.
»Ich habe es bei Irmis Handy auch versucht, da bekomme ich aber nichts«, meinte er. »Was bedeutet, dass es gar nicht sendet. Sie wird kaum die SIM-Karte oder den Akku entfernt haben, oder? Das gefällt mir nicht.«
Kathi gab die Koordinaten ein und starrte auf die Karte am PC. »Das ist am Urisee in Tirol. Was macht der Weinzirl denn da?«
»Wir fahren hin, dann wissen wir es«, erwiderte der Hase mit beherrschter Stimme.
»Da gibt es ein Bordell«, sagte Kathi leise.
»Ich wage zu bezweifeln, dass er und Irmi dort auf eine Swingerparty gegangen sind«, meinte der Hase.
»Sehr witzig!«
Es war mutig oder vielleicht auch todesmutig vom Hasen, bei Kathi ins Auto einzusteigen. Sie bretterte aus Garmisch hinaus und durchs Außerfern.
»Sie wissen schon, dass die Tiroler Kollegen gerne blitzen?«, bemerkte er.
»Natürlich, ich lebe hier!«
Im nächsten Moment stieg Kathi in die Eisen, der Gurt des Hasen rastete ein, und er klappte nach vorn wie ein Crashtest-Dummy.
»Hier zum Beispiel steht so ein Kasten«, kommentierte sie grinsend und gab wieder Gas.
Nach einer guten halben Stunde waren sie vor Ort. Das ehemalige Hotel, das nun in der Tat ein Saunaclub war, war etwas höher gelegen. Der Wanderparkplatz war zu dieser Jahreszeit fast leer. Sie stiegen aus und sahen sich etwas unschlüssig um. Kathi ging zum Urisee hinunter, der blau im Waldgürtel lag. Oder eher grüntürkis.
Am gegenüberliegenden Ufer stand ein Bus.
»Das ist Weinzirls Wagen!«, rief Kathi.
»Über den Feldweg am See entlang. Los!«
Sie hasteten wieder zum Auto, und Kathi raste um den See, bis sie Weinzirls VW-Bus erreicht hatten. Kathi zog ihre Waffe und näherte sich dem Wagen. Die Fahrerkabine war leer. Sie nickte dem Hasen zu, der in den Griff der Seitentür fasste. Sie ließ sich problemlos öffnen. »O Scheiße«, entfuhr es Kathi. Im Wagen lag ein Toter, aber eindeutig nicht Weinzirl. Der Mann im Wagen hatte eine Schussverletzung am Oberschenkel und einen Kopfschuss.
»Wo stecken Irmi und der Weinzirl?«, sagte Kathi ins Leere, denn der Hase war verschwunden. Wenig später war er wiederaufgetaucht. Er trug mittlerweile Handschuhe und hielt Kathi mit spitzen Fingern ein Handy entgegen.
»Schauen Sie mal, was unterm Beifahrersitz lag. Das haben wir vorhin geortet. Von den beiden Kollegen keine Spur. Was macht der Tote im VW-Bus? Frau Reindl, wir sollten uns beeilen. Ich fürchte, Ihr schlechtes Gefühl hat Sie nicht getrogen.«
Irmi sah den roten Punkt, oder besser: Etwas in ihrem Unterbewusstsein nahm ihn wahr. Sie war angestrengt vom Gespräch der Männer, vom stetig dahinplätschernden Vortrag dieses Herrn Kluge. Er störte sie zunehmend, denn sie wollte in sich hineinhorchen, in die Stille hineinspüren, schließlich ging es um nichts Geringeres als ihre Zukunft. Aber in diesem Wortgeprassel war das kaum möglich.
Der rote Punkt erinnerte sie an den Laserpointer für Katzen, den sie mal ausprobiert hatte. Die beiden Kater waren völlig aus dem Häuschen gewesen, dabei war so ein Laserpointer im Grunde ein fieses Spielzeug, denn man jagte und jagte und jagte und kam zu keinem Erfolg. Eine Beschreibung, die auch auf die vergangenen Wochen in Irmis Leben gepasst hätte. Sie und der Hase waren von Haus zu Haus, von Hof zu Hof gejagt.
Der rote Punkt bewegte sich hektisch, und Irmi blickte durchs offene Fenster in die Richtung, aus der er kommen musste. Im Graublau des Himmels nahm sie eine merkwürdig wischende Bewegung wahr. Irmi machte einen Schritt auf den Hasen zu, wollte etwas sagen. In dem Moment fiel ein Schuss. Der Mann neben ihr sackte zu einem laschen Bündel zusammen.
Irmi stürzte zu ihm. Sein Hemd war blutig, eine Kugel schien die Herzgegend getroffen zu haben. Auch der Hase war sofort da und versuchte, die Wunde zuzuhalten. Irmi stürmte nach draußen und rief den Notarzt. Das Wort »Schussverletzung« wurde vom Wind verzerrt und über den Auerberg getragen. Schnelle Wolken formierten sich und lösten sich wieder auf. Als Irmi wieder hineinging, schloss der Hase gerade die Augen des Mannes. Er sah auf, schüttelte den Kopf. Der Mann war binnen weniger Minuten verstorben.
»Weg vom Fenster«, sagte der Hase mit fester Stimme und schob die beiden anderen Männer in Richtung der offenen Küche, wo sie fassungslos und paralysiert stehen blieben. Irmi sah hinaus, der Februarhimmel spielte weiter Farbmalkasten in Hellgrau und Dunkelgrau. Ab und zu gaukelten unregelmäßige blaue Flecken vor, dass das Wetter noch schön werden könnte. Währenddessen kam die Wahrheit in aller Härte bei ihnen an: Soeben war einer aus ihrer Mitte erschossen worden. Mitten ins Herz.
Der Hase war neben Irmi getreten. »Du solltest Weilheim anrufen.«
»Mach ich gleich. Wo kam der Schuss her? Hier ist überall offenes Gelände. Keine Gebäude und nichts, wo man erhöht stehen könnte.«
Der Hase sah sich um. »Hast du irgendwas bemerkt? Ich meine, vor dem Schuss?«
»Da war ein roter Punkt am Himmel und eine Art Wischer, klingt blöde, ich weiß.«
»Nein, gar nicht. Ich würde nach dem ersten Augenschein auch sagen, der Schuss kam von schräg oben.«
»Ja gut, aber woher genau?«
»Drohne«, meinte der Hase lakonisch.
Irmi starrte ihn an. »Eine Drohne? Hier am Arsch der Welt gibt es einen Drohnenpiloten, der so versiert ist, dass er einen Mann erschießen kann. So kaltblütig?«
»Ich befürchte, ja.«
Eigentlich waren sie ganz privat hier gewesen, doch nun steckten sie mitten in einem Mordfall. Irmi hasste das Wort »eigentlich«. Denn eigentlich hätte das hier eine Besichtigung werden sollen. Die Besichtigung eines Bauernhofs hier am Auerberg.
Irmi und der Hase hatten schon bald feststellen müssen, dass es im Werdenfels, im Raum Murnau, einfach keine Immobilien mehr gab. Der Markt war leer gefegt. In diesen Zeiten, in denen Negativzinsen drohten, in denen es niemanden und nichts gab, dem man eine Geldanlage anvertraut hätte, und der Sparstrumpf oder das Geld im Eisenkastl auf dem Speicher auch keine hundertprozentige Option war, kauften die Leute Grund und Boden und alles, was ansatzweise ein Haus war.
Erschwerend kam hinzu, dass Irmi Platz haben wollte ums Haus. Ein paar Hektar sollten es schon sein. Lange Zeit war ihr nicht bewusst gewesen, in welchem Luxus sie bisher gelebt hatte. Ihre Heimat Schwaigen war ein Unikum, ein Juwel, ein Ort, der ein wenig aus der Zeit gefallen war. Der Asphaltweg endete vor dem Mangoldhof, wo Vögel in Wasserpfützen badeten und Rehe in samtiger Dämmerung aus dem Wald traten.
Da waren ihre Kater, die vergeblich im Boden herumbuddelten, um die Maus zu erwischen, und angewidert ihre erdigen schwarzen Pfoten schüttelten. Da waren die Jungviecher auf der Weide, die himmelhoch buckeln konnten. Die Berge, die mit den Wolken flirteten. All diese Ausblicke, Seitenblicke, Seelenblicke. Der erste Kaffee im Morgenlicht auf dem Hausbankerl, ein Bier im Abendrot. Die Luft, von Moor und Wald gereinigt, konnte man auf der Zunge schmecken. All das war purer Luxus.
Als sie zusammen mit Fridtjof begonnen hatte, ganz unverbindlich Häuser anzusehen, hatte Irmi zum ersten Mal den Verlust ihrer Heimat gespürt. In der Dachterrassenwohnung im Haus des Hasen war das nur eine vage Ahnung gewesen, denn Irmi hatte sie immer nur als Übergangslösung gedacht. Aber nun sollte es ja ernst werden. War der Mangoldhof in Schwaigen endgültig Geschichte für sie?
Erst jetzt hatte Irmi nachgelesen, woher der Name der Ortschaft stammte. Die sogenannten Schwaigen wurden ursprünglich als Lehen vergeben. Auf solchen Höfen betrieb man Milchwirtschaft und musste jährlich eine bestimmte Anzahl von Käselaiben an den Grundherrn abgeben. Die uralte Siedlungsgeschichte, die verstreuten Höfe ihrer Heimatgemeinde, die Kraft der Berge und der Moorwiesen – all das hatte Irmi nie so bewusst wahrgenommen. Bis sie auf einmal vermisst hatte, was ihr Innerstes berührte und ausmachte. Der feinfühlige Fridtjof hatte vor ihr gespürt, dass sie Mangel litt: an Platz, an Stille, auch an Unaufgeräumtheit.
Aber einen Hof zu finden, der auch nur ansatzweise ein paar ihrer Kriterien erfüllt hätte, erschien ihnen mit jedem Besichtigungstermin utopischer. Deshalb hatte der Hase einen Gedanken aufgeworfen, der Irmi beim ersten Hören ungeheuerlich erschien: Allzu lange würden sie beide nicht mehr arbeiten und täglich nach Garmisch pendeln müssen. Daher war man doch räumlich gar nicht so festgelegt. Warum also nicht weiter westlich suchen, gar im Allgäu draußen? In Irmis Gehirn kam das nur schwerlich an. Sie würde mal nicht mehr arbeiten? Und womöglich Garmisch verlassen?
»Irmi, im Allgäu gibt es noch Einzelhöfe. Da ist die Siedlungsstruktur nämlich ganz anders als in Oberbayern. Während die Bayern in Dörfern siedelten, ist das Allgäu vom jahrhundertelangen Prozess der Vereinödung geprägt. Dabei wurden die Höfe mitsamt ihrer Parzelle aus den Ortschaften hinaus in die Flur verlegt, sodass der Bauer schließlich allein inmitten seiner Felder lebte. Meist mit einer kleinen Hofkapelle, denn in die Kirche musste ein guter Christenmensch ja immer noch gehen, aber die lag oft weit entfernt. Auf den Flachsanbau, der unrentabel wurde, als billige Baumwolle aus Übersee kam, folgte die Milchwirtschaft, und das Allgäu wurde zur Käseküche Deutschlands.«
»Käse ist natürlich eine gute Sache«, hatte Irmi etwas lahm gesagt.
Aber gleich da wohnen? Im Allgäu, bei den Schwaben draußen, das erschien Irmi schier blasphemisch. Sie hielt sich zwar für tolerant, aber ihr grauste ein wenig bei der Vorstellung, in einen Landstrich ziehen, wo die Leute »isch« statt ist sagten und »Katzabohla« für Kater, »it« statt nicht oder gar »Hennapfrupfa« für Gänsehaut. Dabei hatte der Hase natürlich recht: Sie besaßen beide nicht die Mittel, um bei den Acht-Millionen-aufwärts-Anwesen mitzubieten, die es am Staffelsee womöglich noch gegeben hätte. Nach oben waren die Preise offen. Himalayahoch gewissermaßen. Zwanzig Milliönchen am Starnberger See? Kein Problem. Beim Anwesen für achtundvierzig Millionen am Kochelsee war immerhin ein Hubschrauber samt Landekreuz inklusive.
Deshalb hatten sie begonnen, »einfach mal so«, eine Reise westwärts anzutreten und Höfe anzusehen. Sie wurden in den Anzeigen angepriesen als »seltene und einzigartige Gelegenheit«, »Paradies für Tierfreunde«, »traumhafte Liegenschaft«, »aussichtsreicher Reiterhof« oder als »Platz, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen«, wo allerdings auch Moder, Schimmel und der Holzwurm die Bewohner in den Schlaf sägten. Es waren Ruinen darunter, verbastelte Anwesen, Schattenlöcher, Höfe an Überlandstraßen und Überlandleitungen.
Ziemlich frustriert waren sie schließlich am Auerberg gelandet, und Irmi hatte noch gewitzelt, dass diese Immobilie ja immerhin noch in Oberbayern liege. Sie hatten den Makler Heinz Kluge konsultiert und sich beim derzeitigen Hofbesitzer getroffen, einem quereingestiegenen Biobauern namens Max Bach.
Diese beiden Herren standen nun zusammen mit Irmi und dem Hasen in der todschicken Designerküche. Von einem Augenblick zum anderen waren sie zu Überlebenden geworden. Der Tote auf dem Parkettboden war ein Mitinteressent für den Hof gewesen. Kluge hatte das Gesicht verzogen, als der Mann in seinem getunten Jeep vorgefahren war und ein »Grüß Gott« geschmettert hatte. Der Makler hatte die Contenance gewahrt, obwohl der Mann sich nicht an seine Planung für den Besichtigungstermin gehalten hatte, sondern einfach zwei Stunden zu früh gekommen war. Seine Beweggründe waren nur zu durchschaubar. Kluge hatte schon am Vortag zwei Besichtigungen durchgeführt, Irmi und der Hase waren die dritten Interessenten. Laut Kluge standen die Telefone nicht mehr still, seit er die Immobilie ins Netz gestellt hatte. Das Anwesen sei ein Filetstück, ein Gustostückerl, hatte der Makler versichert, und so etwas gelange nur höchst selten auf den Markt. Deshalb müsse man schnell zugreifen. Der Preis war auch der eines sehr feinen Filets, das obendrein mit Diamantsplittern paniert zu sein schien. Wahrscheinlich wollte der Mitinteressent ja nichts verpassen, falls ein anderer Bewerber gleich zusagen würde. Nach dem Motto: Gut, packen Sie das Haus ein, nehm ich, muss auch kein Geschenkband drum …
Längst kauften Menschen Wohnungen und Häuser, die noch gar nicht gebaut waren, und dabei durfte es wie beim Aufschnittkauf gern auch ein bisschen mehr sein. Irmi konnte das beim besten Willen nicht nachvollziehen. Sie wollte doch nicht irgendeine neutrale Neubauwohnung, selbst wenn sie noch so energieeffizient war. In einem solchen Haus ohne Geschichte lebte sie gerade, und genau das machte ihr Herz schwer. Das Haus gab ihr keine Antworten. Aus eigener Erfahrung wusste Irmi: Es gab gute und böse Häuser. Und dieses hier am Auerberg schickte sich gerade an, bitterböse zu werden.
Inzwischen waren ein Rettungswagen und der Notarzt aufgetaucht. Der Hase erläuterte leise, was geschehen war, und erwähnte, dass er und Irmi bei der Spurensicherung und der Kripo arbeiteten, allerdings gerade privat hier seien. Wenig später fuhr dann auch ein etwas in die Jahre gekommener VW-Bus auf den Hofplatz, gefolgt von einem Streifenwagen. Dem Bus entstieg Gerhard Weinzirl. In Jeans und einer gesteppten Outdoorjacke, unter der ein T-Shirt mit Snoopy-Aufdruck hervorspitzte. Er ging nicht allzu schnell, aber mit einem zugleich selbstbewussten und abwartenden Blick, der sofort herumschweifte und an Irmi hängen blieb. Dann am Hasen.
»Ja Irmi, was machst du denn hier? Und der Herr Hase? Wurdet ihr zuerst alarmiert?«
»Gerhard, griaß di, nein, ich hab dich angerufen, oder besser gesagt Weilheim. Wir waren nämlich dabei. Also vor Ort. Aber privat.«
Wie das klang!
Weinzirl runzelte seine typische Dackelfaltenstirn, fragte aber nicht weiter nach, was es mit diesem Privaten auf sich hatte. Das unterschied einen Gerhard Weinzirl ausnehmend und einnehmend von einer Kathi Reindl. Die wäre nun wie eine Furie auf Irmi niedergefahren und hätte sie mit einer ganzen Salve von neugierigen Fragen bombardiert.
Gerhard Weinzirl hingegen interessierte sich nur für den Todesfall und bat Irmi, ihm den Tathergang zu beschreiben, soweit sie ihn mitbekommen hatte.
»Ich bin so dämlich«, sagte sie, nachdem sie ihm einen kurzen Abriss der Ereignisse gegeben hatte. »Bei diesem roten Punkt hätte ich doch sofort wissen müssen, worum es geht. Und ich denke an Katzen und Laserpointer.«
»Das Gehirn verknüpft Dinge eben unterschiedlich, je nachdem, in welchem Zusammenhang man sie erlebt. Ich erkenne meine Postbotin auch nicht, wenn ich sie in Minirock und Trägertop im Supermarkt treffe«, erwiderte Weinzirl. »Was sie im Übrigen auch nicht tun sollte.«
»Was? Einkaufen?«, fragte Irmi lächelnd.
»Minirock tragen.«
Irmi grinste, obwohl die Umstände hier nicht gerade dazu einluden. Sie kannte den Kommissar flüchtig, so, wie man sich von Besprechungen eben kannte. Garmisch gehörte zur Kriminalpolizeiinspektion Weilheim, und Weinzirl war ein Kollege, den Irmi schätzte, weil er wenig Aufhebens von sich machte. Er wirkte immer etwas brummig, verplant und latent abwesend, doch dahinter verbarg sich ein wacher Geist, der durchaus querdenken konnte.
»Dann haben Sie wohl kein Besteck dabei, Herr Hase?«, folgerte Weinzirl.
»Nein, aber ich würde Margit und Hansi anfordern – mit komplettem Equipment. Wir sollten den Standort des Schützen finden können.« Der Hase tippte sich an einen imaginären Hut und ging hinaus.
Der Notarzt suchte Irmis Blick und zeigte auf den Toten. »Kann der weg?«
»Denke schon. Veranlassen Sie das, bitte? Und den Transfer in die Rechtsmedizin?« Irmi stockte. Sie hatte hier gar nichts zu entscheiden, aber Weinzirl nickte nur.
Dann wandte er sich zu den beiden Herren. »Gibt’s hier ein Büro oder so was?«
Der Hausbesitzer nickte.
»Würden Sie dann bitte mit dem Kollegen dort Platz nehmen und schon mal eine Aussage machen?« Gerhard Weinzirl nickte dem Streifenpolizisten zu. »Felix?«
»Yes, Sir.«
Weinzirl und Irmi sahen Bach und Kluge nach, die sich mit dem Kollegen ins Büro verzogen.
»Dieser Felix Steigenberger hat das Hirn eines Hamsters und die Antriebskraft eines Rohrkrepierers«, bemerkte Weinzirl.
Irmi lachte. »Wo steckt denn deine ebenso zackige wie hübsche Kollegin Evi?«
»Auf Reha. Da ist das Madl an Weihnachten daheim im Aischgrund und holt bei ihrem Karpfen züchtenden Onkel so ein Exemplar für die Feiertage. Und stell dir vor, da rutscht sie auf einer glitschigen Treppe aus und pulverisiert sich die Schulter. Alles hi. Ewig im Krankenhaus, mehrere OPs. Momentan ist sie auf Reha, auch in Franken droben. Jetzt ist schon April und kein Ende in Sicht.« Er stöhnte. »Und Melanie, die ja etwas mehr Hirn hätte als der Felix, ist in Mutterschutz.« Er überlegte kurz. »Immerhin hat sie einen gefunden, der sie schwängert.«
Irmi versuchte, jede Gesichtsentgleisung zu vermeiden.
»Was ist das eigentlich für eine Hütte hier?«, fragte Weinzirl unvermittelt. »Und weshalb genau bist du hier?«
»Ich suche eventuell einen Hof«, sagte Irmi zögerlich. »Mein Bruder hat doch geheiratet, ich bin ausgezogen und wohne momentan zur Miete, aber irgendwie brauch ich mehr Platz um mich rum.«
Spätestens jetzt wäre Kathi reingegrätscht und hätte nicht eher aufgegeben, bis Irmi gestanden hätte, dass sie zusammen mit dem Hasen ein Haus suchte. Doch Weinzirl wartete geduldig, bis Irmi fortfuhr.
»Wir haben … ich hab mir schon einiges angesehen. Der Besuch hier war ein Besichtigungstermin. Der Mann mit dem Pferdeschwanz ist der Besitzer, der grauhaarige ist der Makler. Der Tote war ein Mitinteressent.«
»Verstehe.« Weinzirl sah sich um. »Das ist aber eher eine Luxusimmobilie als ein Bauernhof?«
»Ich war auch etwas überrascht. Im Exposé war die Rede von einem ›mit viel Liebe und Blick fürs Detail renovierten Anwesen‹. Und es hieß, dass man gleich einziehen könnte. Was zugegebenermaßen einen gewissen Charme hätte. Du ahnst ja nicht, wie viele Ruinen wir … ähm … ich in den letzten Wochen gesehen habe.«
»Liebe ist relativ«, meinte Weinzirl.
Der Kollege traf es auf den Punkt. Für Irmi hatte Liebe etwas mit Wärme zu tun. Doch dieses Haus war kalt. Im Eingangsbereich lagen Steinplatten, die sicher sehr teuer gewesen waren. Ansonsten dunkles Parkett. Das Bad in dunklem Grau, mit einem Steinwaschtisch wie in einem Magazin für Innenarchitektur. Max Bach hatte das Dach angehoben, wodurch das Haus mehr Raumhöhe hatte. Außerdem hatte er wohl viele Wände rausreißen lassen. Die Südfassade war fast komplett aufgebrochen, man hatte eine gewaltige Glasfront geschaffen. Ein paar Stahlträger, blutrot lackiert, trugen nun die gesamte Last. Auch auf der Nordseite des riesigen Wohn-Ess-Bereichs gab es große Fenster – durch eines davon war das Geschoss gekommen.
»Ein New-York-Loft am Auerberg, wie?«, bemerkte Weinzirl.
»Ja, aber was mir noch bizarrer vorkommt, sind die technischen Gimmicks. Fast ein Overkill mit Fotovoltaikanlage, Solarzellen und Wärmepumpe. Überall gibt es Fußbodenheizung – sogar im Stadel. Überleg mal, ein 500-Quadratmeter-Stadel mit Fußbodenheizung, was für ein Luxus!«
»Wie die Gehwege in Helsinki im Winter«, entgegnete Weinzirl.
Irmi war weder in Helsinki gewesen noch im schicken amerikanischen Skiort Beaver Creek, wo es ebenfalls beheizte Gehwege gab. Nach Beaver Creek wollte sie auch gar nicht hin, denn sie hasste Trump, Schickimickis und Skifahren. In genau der Reihenfolge. Nach Helsinki wäre sie schon eher gereist.
»Aber das Ganze soll doch eine Landwirtschaft sein?«, fuhr Weinzirl fort.
»Ja, das war es auch. Dieser Bach hat Ziegenkäse produziert und diverse Wurstwaren. Es gibt hier ein EU-zertifiziertes Schlachthaus, eine Käseküche und Kühlräume. Honig hat er auch verkauft. Und das Ganze ist ein Biohof gewesen.«
»Gewesen? Warum verkauft der denn?«
»Das können wir ihn nachher genauer fragen. Ich weiß vom Makler nur, dass der Mann ein Deutschkanadier ist, ein Quereinsteiger, der jetzt zurück nach Kanada gehen und dort in noch größerem Stil Biolandwirtschaft betreiben will. Deshalb will er schnell verkaufen, er hat seinen Tierbestand auch schon aufgelöst. So weit meine Infos.«
»Aha.« Weinzirl ließ den Blick erneut schweifen. »Mei Oma hätt g’staunt.«
Irmi lachte. »Mei Mama aa.«
»Au.«
»Au?«
»Mei Mama au, würde man hier sagen. Wenn du hierherziehen willst, müsstest du dich schon anpassen.« Weinzirl grinste.
»Enttäusch mich nicht! Ich dachte, das wäre noch Oberbayern?« Irmi gab sich theatralisch.
»Was die offiziellen Grenzziehungen betrifft, ja – sprachlich niemals!« Er sah sich nochmals um und schüttelte den Kopf. »Bauernhof – das sind für mich tiefe Decken und kleine Doppelfenster mit Eisblumen im Winter. Ein Kachelofen, wo Socken hängen, Gummistiefel im Gang. Stragula als Bodenbelag in der Küche …«
»… und Prilblumen an den Fliesen«, ergänzte Irmi lächelnd.
»Eben! Lass uns mal die Herren befragen, bevor Felix die in den Wahnsinn treibt.«
Besagter Felix kam auch soeben angeschlurft und meinte: »Die Männer wollen nicht mehr warten. Die wollen den Chef sehen.«
»Wir kommen.«
»Und ich?«
»Am besten, du spielst dir an den Füßen oder gehst mal an die Luft.«
Woraufhin sich Felix nach draußen verzog.
Irmi grinste, doch Weinzirl schüttelte unwirsch den Kopf. »Er ist eine Strafe Gottes«, brummte er. Dann sah er Irmi sehr intensiv an. »Irmi, du denkst schon auch, was ich denke?«
»Ja, auch wenn es mir nicht gefällt.«
»Aber wir können das nicht ausschließen.«
Schon nach den ersten Schrecksekunden war Irmi die Idee gekommen, dass auch jemand anders aus der Gruppe gemeint gewesen sein könnte. Der Makler? Oder der Hausbesitzer? Womöglich hatte der Anschlag auch ihr gegolten, und sie war nur rechtzeitig zur Seite getreten. Oder der Täter hatte den Hasen im Visier gehabt. Dieser Gedanke machte Irmi noch mehr Angst. Sie wollte auf gar keinen Fall Panik aufsteigen lassen, doch sie spürte selbst, dass Weinzirl beunruhigt war.
»Ich denke, wir betrachten erst mal das Offensichtliche«, schlug er vor. »Wer war der Tote? Wer hätte ihm nach dem Leben trachten wollen? Wer mit einer Drohne mordet, ist ein Profi. Der trifft doch nicht den Falschen.«
Irmi sah ihn dankbar an. Weinzirl hatte recht: Wer solchen Aufwand betrieb, der hatte nicht mal eben spontan einen Menschen aus dem Leben geschossen. Und in der kurzen Zeit, in der sie den Mitinteressenten erlebt hatte, war ihr der mehr als unsympathisch gewesen.
Irmi und Weinzirl gingen in das kleine Büro hinüber, wo Bach gerade an einer sehr spacig aussehenden Chrom-Kaffeemaschine Espresso zapfte.
»Auch einen?«
»Gern«, sagte Irmi, und auch Weinzirl nickte.
»Herr Bach«, sagte er dann, nachdem er seinen Espresso bekommen hatte, »Sie verkaufen dieses Haus, und der Herr Kluge ist Ihr Makler. Ist das so weit richtig?«
»Ich habe bereits zum zweiten Mal …«, hob Kluge an.
Doch Weinzirl fuhr ihm in die Parade. »Wissen S’ was, Sie nehmen Ihr Tässchen und warten draußen. Und wir plaudern mit dem Herrn Bach.«
Der Makler trollte sich mit einem kleinen Schnauben.
»Kluge wollte sagen«, erklärte Max Bach, »dass er mir das Haus vor Jahren verkauft hat. Eine ziemlich marode Hütte. Ich habe viel in die Modernisierung investiert.«
»Und angesichts dessen, was Sie da alles hineingesteckt haben, wundert es mich, dass Sie sie nun schon wieder verkaufen.«
»Schon ist relativ. In Kanada kaufen wir ein Mobile Home, leben ein Jahr darin, verkaufen wieder, ziehen in ein Haus mit Basement in einer anderen Provinz, leben da ein paar Jahre, verkaufen wieder, kaufen eine Ranch und verkleinern uns dann im Alter erneut. Wohnen ist da nicht so deutsch, mit Scholle und Besitz, den man für die Kinder schafft. Nichts ist so stetig wie der Wandel.« Er klang dabei ziemlich emotionslos. Irgendetwas an dem Mann störte Irmi.
»Und warum sind Sie nach Deutschland gekommen? Aus einem wandelbaren Land voller Möglichkeiten?«, fragte Weinzirl.
Irmi nippte an ihrem Espresso und grinste in sich hinein. Bei Kathi hätte derselbe Satz höchst provokant, ja sogar aggressiv geklungen. Weinzirl hingegen schien die Kunst zu beherrschen, sich dümmer zu stellen, als er war.
»Meine bayerischen Eltern sind 1960 nach Kanada ausgewandert. Damals war ich drei Jahre alt. Mein Vater hat eine gut gehende Kette von Bavarian Bakerys aufgebaut, die inzwischen meine Schwester leitet.«
»Und Backen war nicht so Ihr Ding?«
»Nein, ich habe Ingenieurwesen und Bioengineering studiert, hab in England promoviert, war dann an der Uni, aber dieser ganze universitäre Betrieb, die befristeten Verträge und die Studenten, die sich für nichts begeistern lassen – das hat mich mehr und mehr frustriert, und ich wollte mit Bioanbau meinem Leben einen neuen Sinn geben.«
»Und warum keine Farm in Kanada?«
»Damals kam es mir so vor, als wäre Kanada schon viel zu amerikanisch. Ein Regiment von Highways und Private Property, der Terror von Fast Food und Walmart. Also bin ich back to the roots, in die Heimat meiner Vorfahren. Ich hatte die Vision eines autarken Lebens und hab mir dazu den Hof gekauft. Und das realisiert, was ich nach wie vor für erstrebenswert erachte: unabhängig werden von Energiekonzernen, unabhängig vom Preisterror der Supermarktmogule.«
»Das klingt nach einem wahren Lebenskonzept«, bemerkte Irmi. »Warum wollen Sie das jetzt aufgeben?«
»Im Prinzip, weil ich zu erfolgreich geworden bin. Die Nachfrage nach regionalen Bioprodukten übersteigt bei Weitem das, was ich produzieren kann. Und hier verkauft ja niemand Land. Die Bauern sitzen dick und stur auf der Scholle wie dauerbrütende Strauße. Und wenn Landwirtschaftsgrund auf den Markt kommt, dann loben sie zehn Euro für den Quadratmeter aus! Für Wiesen minderer Qualität!« Er schnaubte. »Ich habe hier ein zurückgezogenes Leben geführt, man ist hier auch nicht besonders willkommen in den Dörfern.« Er sah Irmi an. »Sie vielleicht eher, zumindest sind Sie aus der Gegend. Garmisch hat hier wohl einen besseren Klang.«
Ja, das waren die typischen Klagen der Zuagroasten, sie fänden keinen Anschluss. Aber war das verwunderlich? Da kauften »Ausländer« zu überteuerten Preisen, gaben vor, die landwirtschaftliche Weisheit mit großen Strohgabeln gefressen zu haben, und sahen wie Max Bach auf die konventionellen Landwirte herab. Wussten als Quereinsteiger alles besser.
Auch Irmi war sich nicht sicher, ob sie hier reüssieren würde. Als Werdenfelserin war sie am Auerberg ebenso exotisch wie ein Kanadier. Hier durfte man bestimmt nur aus dem Kosmos zwischen Stötten und Bernbeuren stammen. Es sei denn, man ging zur Feuerwehr oder in den Pfarrgemeinderat. Doch würde der Hase Feuerwehrler werden wollen und sie Kuchen backen?
»Danke für Ihre Auskünfte«, sagte Weinzirl. »Und viel Glück mit dem Verkauf. Sie sind ja noch im Lande, falls Fragen aufkämen?«
»Sicher. Ich nehme an, Sie wollen jetzt noch mit Herrn Kluge reden?«
»Richtig.«
»Ich sag ihm Bescheid.« Max Bach ging hinaus, Irmi und Weinzirl schwiegen. Wenig später stand Kluge im Raum.
»Setzen Sie sich«, sagte Irmi.
»Wissen Sie, Frau Mangold, ich habe in meinem Leben rund dreihundert Höfe verkauft. Ich könnte Ihnen Dinge erzählen. Aber so was ist mir noch nie passiert!«
»Das hoff ich doch!«, sagte Weinzirl.
Der Makler zwinkerte etwas irritiert.
»Herr Kluge, Sie haben das Haus seinerzeit an Herrn Bach verkauft«, fuhr Weinzirl fort. »Und nun verkauft er wieder?«
»Das ist doch ein schöner Vertrauensbeweis, dass er mich erneut konsultiert. Sehen Sie, die Verkäufer sitzen ja oft diesen überregionalen Maklerunternehmen auf! Bei denen macht eine Hausfrau eine Schulung von drei Tagen, und schon ist sie Maklerin. Die versprechen das Blaue vom Himmel! Ganz schlimm, diese Quereinsteiger, das sage ich Ihnen! Seriöse Makler wie ich hingegen haben Erfahrung, jahrzehntelange Erfahrung. Die können Sie nicht mit Gold aufwiegen. Es geht ja nicht nur darum, ein paar nette Bildchen zu machen und ins Internet zu stellen! Gerade bei diesen Höfen reden wir von Behördengängen – Grundbücher, Abstandsflächen, Anbauten, sind da altrechtliche Dienstbarkeiten? Das ist wichtig! Wie ist die Lage bei den Pachtflächen? Ich konsultiere das Wasserwirtschaftsamt, die Naturschutzbehörde, den Bürgermeister – ja, was glauben Sie denn, was das für eine Arbeit ist? Das sieht der Laie doch gar nicht, der glaubt, der Makler sperre nur ein Haus auf. Das werden Sie, werte Frau Mangold, auch schon bemerkt haben, was da für Nullen am Markt unterwegs sind!«
»Ja, Herr Kluge, aber …«
Kluge war ein Mann, dem ein winziges Zeitintervall reichte, um Luft zu holen, bevor er weiterdeklamierte.
»Aber, nichts aber! Die Leute glauben, sie könnten von privat verkaufen. Ich bitte Sie! Gerade im hochpreisigen Sektor wollen Sie doch nicht die Schnäppchenjäger anziehen, mit einem guten Makler erzielen Sie immer den besseren Preis. Und wir Makler können eine Besichtigung ohne Emotionen leiten. Wenn der Eigentümer dabei ist, dann ist das ja immer schwierig. Oft sind Häuser Scheidungswaisen oder Folge eines tragischen Todesfalls! Ach! Und dann haben Sie mit Makler ja auch mehr Sicherheit. Schließlich könnte ja ein Frauenmörder zum Besichtigen kommen!«
»Na, in dem Fall war das ja wohl eher ein Männermörder«, knurrte Weinzirl.
Dieser Satz stoppte Kluge endlich. Irmis Amüsement wuchs.
»In diesem Fall war der Eigentümer vor Ort, Herr Kluge, und wir wissen, warum er verkaufen will, aber was haben Sie für einen Eindruck von Herrn Bach?«, erkundigte sie sich.
»Herr Bach ist ein sehr introvertierter Mann, in mancherlei Hinsicht ein Spinner, aber das ist ja relativ. Und er hat was aus dem Haus gemacht, meine Güte, nicht mehr wiederzuerkennen! Und natürlich freut es mich, wenn ich jetzt wieder …«
»… wenn Sie Provision kassieren können?«
»Wenn ich hilfreich sein kann. Der Beruf eines Maklers ist ja auch der eines Psychologen. Sie sind ganz dicht dran an den Gefühlen der Menschen. Wie der Friseur. Sie erfahren so manches. Auch was Sie gar nicht wissen wollen. Sie sind oft ein Fels in der Brandung. Die Menschen lehnen sich an, suchen Anschluss, wollen mit mir befreundet sein. Ja, es ist schön, hilfreich zu sein.«
Der Hof war mit 1,6 Millionen ausgelobt, da war man gerne mal hilfreich.
»Und der Mann, der zu Tode gekommen ist, wer war das?«
»Peter Unger, Inhaber eines Autohauses in Schongau. Luxuskarossen, die er verkauft und auch vermietet hat. Er war … war …«
»Ja?«
»Sehr interessiert. Eher schon offensiv. Wollte unbedingt den ersten Termin haben.«
»Also eine übergriffige Nervensäge«, fasste Weinzirl zusammen.
Irmi konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Weinzirl gefiel ihr mehr und mehr.
»Sehen Sie, solche Objekte kommen kaum mehr auf den Markt«, fuhr Kluge fort. »Alleinlage! Und dann der luxuriös-elegante Zustand. Stallungen. Und vier Hektar arrondierter Grund dabei. Arrondiert! Und ein Hektar Wald. Wer da zugreifen will, muss schnell sein.«
»Wer wusste denn, dass der Herr Unger heute zur Besichtigung kommen wollte?«
»Ich natürlich. Meine Auszubildende. Wahrscheinlich Ungers Familie. Woher soll ich wissen, wem er erzählt hat, dass er heute dieses Juwel besichtigen will?«
Aber genau das war doch der Knackpunkt. Sein Mörder – oder gar seine Mörderin? – musste ihm gefolgt sein oder auf anderem Weg erfahren haben, dass er vor Ort sein würde. Dieser Umstand beruhigte Irmi in gewisser Weise. Bis auf den Makler und den Hasen wusste niemand, dass sie heute hierherkommen wollte. Und Max Bach war immer da, den hätte man zu jedem anderen Zeitpunkt erlegen können.
In diesem Moment kam der Hase herein. »Darf ich kurz stören?«
Kluge stand auf. »Bitte sehr! Da kommen Sie rein privat her und wollen dieses zauberhafte Anwesen besichtigen, und dann passiert so etwas. Wie im Wilden Westen.«
»Da war man ja eher mit Pfeil und Bogen unterwegs«, murmelte Weinzirl.
Kluge zwinkerte kurz. »Dann eben wie im Krimi. Wie im Tatort. Ich glaube, ich werde in Zukunft keine Kriminalbeamten mehr zu Besichtigungen zulassen.«
Ob das ein Witz sein sollte?
»Danke für Ihre Einschätzung«, sagte Weinzirl.
Das verstand sogar Kluge und ging.
Der Hase grinste. »Was für einen brillanten Humor dieser Makler doch hat. Ach, und so ein Espresso wäre natürlich auch schön.«
»Ich würd Ihnen ja einen machen, aber das Ding erscheint mir wenig bedienungsfreundlich«, sagte Weinzirl. »Ich hab eine Maschine, die man auf die Herdplatte stellt. Die hab ich mal vor vielen Jahren am Gardasee gekauft. Bisschen verbeult, aber die tut’s auch.«
Der Hase lächelte. »Das hier ist eine La Marzocco, in Florenz handgefertigt. Wird so um die siebentausend Euro kosten.«
»Was? Für eine Kaffeemaschine?«
»Sie könnten auch eine Slayer aus Seattle kaufen, da ist man mit weit über zehntausend dabei«, meinte der Hase und entlockte der glänzenden Florentinerin Kaffee.
Er roch daran, dann nippte er. »Großartig, wirklich! Aber nun zum Schützen. Wir sind uns ziemlich sicher, dass er eine Drohne verwendet hat. Wir haben den Standort ermittelt, etwa fünfhundert Meter von hier. Das Gras ist niedergetreten, es gibt auch ein paar Reifenspuren, leider in einem von Traktorreifen zerfahrenen Bereich. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass sie von einem Fahrrad stammen.«
»Mit dem Radl zum Attentat?« Weinzirl verzog das Gesicht.
»Das müssen wir noch klären. Aber weitere fünfhundert Meter entfernt hat ein Auto gestanden, auch hier sind wir dran. Das kann natürlich auch der Jäger, ein Landwirt oder sonst wer gewesen sein.«
»Und das geht so mir nichts, dir nichts – mit einer Drohne zu schießen?«, fragte Irmi.
»So mir nichts, dir nichts – das würde ich verneinen. Aber die Drohnen sind in den letzten Jahren immer besser geworden, sie verfügen über Kollisionssensoren, über GPS, über Ultraschallsensoren. Es gibt verschiedene Flugoptionen: Bei ›Follow me‹ fliegt die Drohne einem frei wählbaren Objekt hinterher, und bei ›Touch and fly‹ berührt man einen Punkt auf dem Handydisplay, den die Drohne dann anfliegt. Das ist die schöne neue Welt der Luftspione.«
»Damit zu schießen ist aber schon eine andere Nummer!«, warf Irmi ein.
»In der Tat, allerdings kursiert auf YouTube ein Filmchen von einem Nutzer namens Hogwit, in dem ein fliegender Quadrokopter mit Pistole in einem Waldstück aus niedriger Höhe mehrere Schüsse abgibt. Das Fluggerät fängt den Rückstoß der Schüsse interessanterweise sehr fein ab, die Pistole scheint eine Halbautomatik zu sein. Ob das Video Fake ist, weiß ich nicht. Aber ein Bastler kann so etwas sicher bauen. Und perfide Realität ist die TIKAD-Drohne, die man mit einem Maschinengewehr oder einem Raketenwerfer bestücken kann. Drohnen kommen aus der Luft und töten feindliche Bodeneinheiten, damit die eigenen Truppen vorrücken können. Alles sauber, ganz elegant gelöst.«
»Das kommt vom Ami, oder?«, fragte Weinzirl.
»Ja. Duke Robotics ist eine US-Firma, deren Kopf ein ehemaliger Kommandant für Sondereinsätze des israelischen Geheimdienstes war.«
»Na toll«, kommentierte Irmi.
»Realität, würde ich das nennen.«
»Sie sagen also, auch ein Laie könnte so was basteln?«, hakte Weinzirl nach.
»Technisches Verständnis plus Waffenwissen. Das ist kein Hexenwerk. Wir müssen ja erst mal sehen, was das für ein Kaliber war. Aber ein israelitischer Einzelkämpfer muss es nicht gewesen sein.« Der Hase zuckte mit den Schultern. »Ich geh wieder zu meinen Leuten. Und du, Irmi, gibst Bescheid, wenn wir hier abreisen können, ja?«
Wieder keine Nachfragen des Kollegen Weinzirl zu ihrem Beziehungsstatus. Doch es kam ihr so vor, als ginge ein Ruck durch seinen Körper, bevor er sich direkt an sie wandte.
»Ich frag dich das jetzt einfach, bevor ich den offiziellen Weg einschlage, Irmi. Würdest du mich unterstützen? Ich würde dich dann abordnen lassen, ich brauch hier jemanden mit Herz und Verstand.«
Irmi überlegte nur kurz. Natürlich war sie bereit, dem Kollegen zu helfen. Immerhin war neben ihr gerade ein Mann erschossen worden. Das erschien ihr wie eine persönliche Kränkung. Und ein Versagen, denn sie hatte nichts verhindern können.
»Ja«, sagte sie. »Von meiner Seite aus ja. Wenn der Chef zustimmt.«
»Das regle ich.« Weinzirl reichte Irmi die Hand. »Danke dir.«
Diese Spontaneität hätte Irmi ihm gar nicht zugetraut. Weinzirl galt als eher unfreundlich. Sie wusste, dass er Anfang fünfzig war, unter Kollegen munkelte man, er sei der typische eingefleischte Junggeselle. Er war auf eine lausbubenhafte Art attraktiv und ein starker Charakter.
»Wie machen wir weiter?«
»Wir werden die Witwe informieren müssen. Ich denke, sie wird in diesem Autohaus sein. Wenn nicht, wissen die Mitarbeiter sicher, wo wir sie finden. Ich mach so was ja nur ungern.«
Irmi riss sich auch nicht unbedingt darum, solche Nachrichten zu überbringen.
»Dann fahren wir halt beide«, schlug Irmi vor. »Wieso war sie eigentlich bei der Hausbesichtigung nicht dabei? Da geht es doch um was.«
»Vielleicht wollte er sie überraschen? Schatzi, ich hab dir ein Häuschen gekauft? Oder er wollte gar nicht mit ihr da einziehen? Neue Frau, neuer Wohnort, neues Leben?«
»Und schon hätten wir ein Motiv«, bemerkte Irmi lächelnd.
»Sofern seine Frau eine bewaffnete Drohne führen kann. Wenn sie die erste Vorsitzende des Drohnenvereins Oberland e. V. ist, dann ist ja eh alles klar«, brummte Weinzirl.
Irmi musste lachen.
»Ich bin jetzt schon froh, dich im Boot zu haben. Du scheinst meinen Humor zu verstehen, Irmi. Die Evi hätte mich jetzt schon wieder geschimpft. Ich sei so peinlich, so unsensibel. All so was. Fahren wir?«
»Ja, ich müsste nur dem Fridtjof Bescheid sagen, dem Herrn Hase …«
»Ich kann dich nachher heimfahren. Kein Problem.«
Wenig später fuhren sie in Weinzirls Bus davon, talwärts.
»Kennst du dich hier aus?«, fragte Irmi nach einer Weile. »Ich hab schon völlig die Orientierung verloren. Lauter abgelegene Höfe und Weiler, überall kleine Sträßchen.«
»Der Auerberg ist ein ganz spezieller Berg. Ich hatte mal einen Fall, bei dem es um die Frage ging, warum die Römer diese Gegend besiedelt haben. Dabei habe ich quasi ein Archäologiestudium im Schnelldurchgang gemacht. Und bin hier so viel rumgekurvt, dass ich mit meiner Ortskenntnis jeden Partisanenkrieg überstehen würde.«
»Mehr Wege als Leute«, meinte Irmi nachdenklich.
»Ja, aber verschätz dich nicht. Am Auerberg lebt ein buntes Völkchen. Bei den ganzen Individualisten hier ist der Herr Bach gar nicht so exotisch. Hier gibt es Vertreter der Lebenshilfeszene, Spinner und Spiritualisten, aber auch Betreiber von Pferdehöfen, Ferienhausvermieter, einen Kaffeeröster, Samen für die Welt und sogar einen römernarrischen Ex-Lehrer mit Jazzmusikverstand.«
»Was sind Samen für die Welt?«, fragte Irmi grinsend.
»Nicht, was du denkst! Es geht dabei um Saatgut. Es gibt hier nämlich auch ganz normale handfeste Berufe.«
Der Bus neigte sich zur Seite, als Weinzirl ziemlich abrupt nach rechts abbog. Nach vielen Rechts-links-Kombinationen erreichten sie einen Weiler namens Riedhof und wenig später Bernbeuren.
»Bärabeira war gefühlt jahrelang wegen Kanalarbeiten gesperrt. Zwei Jahre bestimmt. Weil natürlich die billigste Firma den Zuschlag bekommen musste. Die billigste ist aber selten die beste. Die Welt ist verrückt«, sagte Weinzirl, und Irmi hatte dem nichts hinzuzufügen.
Auch in Burggen war sie noch nie gewesen, erst am Stadtrand von Schongau hatte sie die Orientierung wieder. Sie passierten ein Gewerbegebiet, das aussah wie überall in Deutschland. Der uniforme Terror von Takko, KiK, TEDi, NKD und anderen Ikonen des Schnäppchenwesens war von Füssen bis Flensburg identisch. Sie stoppten schließlich vor einem Autohaus und stiegen aus.
Ende der Leseprobe