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"Boss on Board" ist eine sommerliche Adaption von "Bad Boss for Xmas". Alina tritt mit ihrer besten Freundin und deren schräger Verwandtschaft eine Kreuzfahrt durch Nordeuropa an. Bei ihrer Ankunft begegnet sie dem attraktivsten Mann, den sie jemals gesehen hat und ist sofort hin und weg. Wie lustig, dass er denselben Namen trägt wie der verhasste Boss ihrer Firma. Alina kennt dieses Ekel zwar nicht persönlich, aber er schikaniert sie trotzdem ständig herum und hat ihr als Einziger der Firma eine Gratifikation verweigert. Was für ein Arsch! Alina fällt aus allen Wolken, als sie herausfindet, dass ihr Traummann Nicolas auf dem Schiff und der böse Boss nicht nur zufällig denselben Namen tragen, sondern ein und dieselbe Person sind. Was nun? Alina findet den heißen Kerl unwiderstehlich, aber gleichzeitig hasst sie den Bad Boss in ihm. Wie soll sie sich jetzt nur verhalten?
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
„Eine Kreuzfahrt? Ist das nicht eher was für Rentner?“ Skeptisch blicke ich meine beste Freundin Barbara an.
Barbara schüttelt energisch den Kopf.
„Nein, natürlich nicht. Du weißt doch, dass ich schon zwei Mal mitgefahren bin und einen Heidenspaß hatte. Und diesmal kommst du mit, das habe ich längst beschlossen.“
Wir grinsen uns an. Wenn Barbara sich etwas in den Kopf gesetzt hat, ruht sie nicht eher, bis sie es auch bekommen hat.
„Okay, an sich hätte ich schon mal wieder Urlaub nötig“, sage ich schon halb überredet, während Barbara vor Freude in die Hände klatscht.
„Wohin geht es denn?“
„Es ist eine ganz tolle und seltene Route“, berichtet Barbara aufgeregt und faltet ein Blatt Papier auseinander.
„Darum will ich ja auch unbedingt mitfahren. Los geht es am 16. Juni in Hamburg. Den nächsten Tag verbringen wir auf See. Dann folgen: Portland, Falmouth, Saint-Malo, Rouen, Seetag, London, Antwerpen, Seetag, Schluss. Es sind insgesamt zwölf Tage. Normalerweise kostet die Reise 2.500 Euro, aber da sie die letzten Kabinen kurz vorher noch loswerden wollen, werfen sie die für die Hälfte raus, sogar inklusive Getränkepaket. Das ist echt ein Super-Sonderangebot.“
„Hm“, mache ich und nehme Barbara den Zettel aus der Hand. Die Route hört sich in der Tat nicht schlecht an.
„Ich muss aber erst mal fragen, ob ich so kurzfristig Urlaub bekommen kann“, gebe ich zu bedenken.
„Immerhin geht die Reise schon nächste Woche los.“
Ich arbeite seit zwei Jahren in einer großen Firma, der eine ganze Reihe von Hotels gehört und bin dort im Schreibbüro tätig. Ich tippe und korrigiere aber nicht nur, sondern versende auch Prospekte und andere Materialien. Mir macht mein Job viel Spaß – besonders, weil meine Kolleginnen allesamt supernett sind und ich mich blendend mit ihnen verstehe. Nur mit dem obersten Boss habe ich so meine gewissen Probleme, obwohl ich ihn nicht mal persönlich kenne.
„Ja, tu das“, sagt Barbara. „Je eher, desto besser. Hättest du eigentlich was dagegen, wenn mein Onkel und mein Cousin mitkommen würden? Du weißt schon – mein Onkel Burkhard, der gern das eine oder andere Gläschen trinkt und am liebsten Frauen hinterher läuft, die halb so alt sind wie er. Und Dieter ist glücklich, wenn er den ganzen Tag lang essen kann, was auf einem Kreuzfahrtschiff kein Problem ist.“
Wir lachen beide.
„Hört sich nach einer charmanten Reisebegleitung an“, finde ich. „Klar können sie mitkommen. Das macht sicher sehr viel Spaß mit ihnen.“
„Worauf du dich verlassen kannst“, kichert Barbara. „Ach, übrigens, ehe ich es vergesse: Es ist als Single-Kreuzfahrt ausgeschrieben, aber das stört dich doch nicht, oder? Schließlich bist du ja Single.“
Überrascht sehe ich meine Freundin an.
„Ja, ich schon“, bestätige ich. „Aber du nicht. Hast du vergessen, dass du schon eine ganze Weile mit Steve zusammen bist?“
Barbara lacht.
„Nein, natürlich nicht. Aber mir ist ja nicht auf die Stirn tätowiert, dass ich vergeben bin. Ich will diese Kreuzfahrt nun mal unbedingt machen – und es gibt sie blöderweise nur als Single-Reise. Total bescheuert, echt. Steve kann zu diesem Termin sowieso nicht mitfahren, weil er auf Tour ist.“
„Da sind nur Singles an Bord?“, stöhne ich. „Oh Gott, bestimmt werden da dauernd irgendwelche blöden Spiele veranstaltet, bei denen man sich kennenlernen soll. Und beim Essen checkt man sich heimlich ab und hält verstohlen nach einem geeigneten Opfer Ausschau. Also, ehrlich, Babs – ich weiß nicht, ob ich das so toll finde. Da fahren bestimmt nur irgendwelche übriggebliebene, frustrierte Leute mit, die niemanden finden.“
„Ach, Quatsch“, wischt Barbara meinen Einwand resolut vom Tisch. „Nun sei mal nicht so voreingenommen. Außerdem sitzen wir zu viert am Tisch, da wird es schon niemand wagen, dich anzusprechen. Wir könnten uns ja erst auf dem Schiff kennengelernt haben. Keine Sorge, wir beschützen dich schon.“
Ja, davon bin ich fest überzeugt.
☼☼☼
Eine Woche später geht es los. Zum Glück hat die Personalabteilung nichts dagegen einzuwenden gehabt, dass ich kurzfristig Urlaub nehme. Ich stehe voller Vorfreude auf dem Bahngleis am Südkreuz und warte auf Barbara und ihre Verwandten. Ich bin schon total gespannt, wie Burkhard und Dieter in Wirklichkeit sind. Ein bisschen kenne ich sie immerhin aus Barbaras amüsanten Schilderungen.
„Hey, Alina, hier sind wir!“, höre ich Barbaras Stimme und drehe mich um.
Ja, da sind sie. Unverkennbar. Ich lache laut los, denn alle drei haben Mickymaus-Ohren auf dem Kopf, die lustig hin und her wackeln. Das war bestimmt Barbaras Idee, denn sie hat immer nur Blödsinn im Kopf. Der ganze Bahnsteig dreht sich nach ihnen um und fängt an zu lachen. Barbara ist immer ein Garant für gute Laune.
„Hallo, ihr Mickymäuse“, begrüße ich die drei und falle Barbara um den Hals. Danach gebe ich einem älteren Herrn die Hand, der sich mir als Burkhard vorstellt. Er ist sehr modern und jugendlich angezogen: eine blaue Jeans mit Nieten und Löchern, dazu eine schwarze Lederjacke im Bikerstil. Barbara hat mir verraten, dass er schon über 70 ist, aber ich würde ihn glatt auf Anfang 60 schätzen. Er hat strahlende, blaue Augen, schneeweiße Zähne und ist total braun gebrannt. Er strahlt mich an, tätschelt meinen Arm und mein Herz fliegt ihm sofort zu. Was für ein sympathischer Mann! Mit dem werde ich mich bestimmt gut verstehen.
Die dritte Mickymaus ist ziemlich rundlich und im Gegensatz zu Burkhard eher unmodern gekleidet. Dieter trägt eine braune Jacke und eine beige Bundfaltenhose und ist nicht ganz so überschwänglich wie Burkhard. Trotzdem macht auch er einen sehr netten Eindruck.
Barbara ist wie üblich in bunten, schrillen Klamotten unterwegs, und ihre langen, roten Haare flattern ihr um den Kopf. Wie immer ist sie ein Blickfang, was natürlich auch an ihrer lauten, burschikosen Art liegt. Barbara ist weder zu übersehen noch zu überhören.
„Unser Zug hat eine halbe Stunde Verspätung, guckt mal auf die Tafel!“ Sie seufzt abgrundtief.
„Ich möchte es nur ein einziges Mal erleben, dass der Zug pünktlich kommt. Was steht da? Wir sollen die geänderte Wagenreihung beachten? Was soll denn das bedeuten?“
„Na, dass die Wagen des Zuges eine andere Reihenfolge haben als ursprünglich vorgesehen“, erkläre ich.
Barbara runzelt die Stirn.
„Das ist ja ganz toll“, meckert sie los. „Das bedeutet also, wenn ich Pech habe, stehe ich ganz am Anfang das Bahnsteigs und der Wagen, in dem ich einen Platz reserviert habe, ist am anderen Ende. Dann kann ich entweder hechelnd mit meinem Koffer den ganzen Bahnsteig entlang laufen oder – was noch viel schlimmer ist – mich mit meinem Koffer durch die viel zu engen Zugabteile drängen. Na, das fängt ja wirklich gut an.“
„Am besten, wir stellen uns in die Mitte“, schlägt Dieter vor. „Dann müssen wir vielleicht nicht ganz so weit laufen.“
„Ich kann gern deinen Koffer tragen“, bietet Burkhard hilfsbereit an. Barbara hat mir schon erzählt, dass ihr Onkel gerne den Diener spielt und hübschen, jungen Damen einen Gefallen tut.
Barbara schüttelt den Kopf, wobei ihre Mickymaus Ohren hin und her hüpfen.
„Nee, lass mal, mein Koffer hat vier Rollen, das geht schon. Du bist auch nicht mehr der Jüngste, das will ich dir nicht zumuten.“
Eine steile Falte erscheint zwischen Burkhards Augenbrauen, und ich vermute, er fasst es nicht unbedingt als Kompliment auf, dass Barbara ihn soeben auf sein Alter hingewiesen hat.
„Ich kann sehr gut einen Koffer tragen, notfalls auch zwei“, erwidert er hitzig. „Gestern war ich noch im Fitnessstudio gewesen, da habe ich fünfzig Kilo gestemmt. Da ist ein Koffer gar nichts.“
„Du gehst ins Fitnessstudio?“, fragt Dieter und sieht ehrlich überrascht aus. „Seit wann das denn? Und warum?“
„Warum geht man wohl ins Fitnessstudio?“
Burkhard sieht Dieter strafend an.
„Natürlich geht man in ein Fitnessstudio, um fit zu sein. Das sagt doch schon der Name. Und warum will man fit sein? Damit man sich besser fühlt und einem die Dinge besser von der Hand gehen. Darüber solltest du auch mal nachdenken. Komm doch mal mit.“
„Dieter will nicht fit sein, sondern fett“, sagt Barbara ungerührt und knufft Dieter in seine rundliche Taille.
Ich sehe sie verdutzt an. Das war jetzt aber wirklich hart. Ob Dieter jetzt beleidigt ist? Doch Dieter grinst nur.
„Charmant wie eh und je“, lässt er sich nicht die Laune verderben.
„Aber Cousine Barbara hat schon recht. Ich möchte mein Leben genießen und dazu gehört für mich nun mal Essen. Da nehme ich es gern in Kauf, dass ich ein bisschen mollig bin.“
„Ein bisschen mollig ist gut“, sagt Barbara frech. „Du hast wohl einen Knick in der Optik.“
„Den hast eher du, sonst würdest du nicht so nah an die Gleise herangehen“, weist Burkhard sie zurecht und zieht sie ein Stück nach hinten. „Das ist gefährlich, Mädchen.“
„Wieso, der Zug kommt doch erst in einer halben Stunde“, erinnert Barbara ihn. „Soll ich noch schnell was zu essen holen?“
„Auf gar keinen Fall.“ Burkhard schüttelt energisch den Kopf. „Wir sind gleich auf dem Schiff, und da gibt es alles umsonst. Warum sollen wir jetzt noch Geld ausgeben? Das wäre die totale Verschwendung.“
„Das finde ich auch“, stimmt Dieter zu. „Nein, wir halten durch. Außerdem habe ich mir natürlich Schnittchen mitgenommen. Ich will schließlich nicht verhungern.“
Nach einer Dreiviertelstunde fährt der Zug schließlich ein und wir versuchen herauszukriegen, wo sich unser Wagen befindet, was uns aber leider nicht gelingt. Natürlich ist es genauso, wie wir schon befürchtet haben: Die Leute stehen mit ihren großen Koffern in den engen Gängen herum und keiner kommt vorwärts.
„Bis wir unsere reservierten Plätze erreicht haben, sind wir schon in Hamburg“, seufze ich. „Sollen wir nicht gleich hier stehen bleiben? Lohnt sich das überhaupt?“
„Ich stehe doch nicht zwei Stunden lang hier herum“, ereifert sich Barbara.
„Außerdem hat die Reservierung 4,50 € gekostet“, empört sich Burkhard. „Das wäre dann ja völlig umsonst gewesen.“
„Auf keinen Fall lasse ich jemanden auf meinem Sitz sitzen, für den ich die Reservierungsgebühr bezahlt habe“, erklärt Dieter. „Das kommt überhaupt nicht in die Tüte. Also los, auf in den Kampf.“
Und ein Kampf ist es wirklich, sich durch gefühlte hundert Wagen zu zwängen, vorbei an genervten Reisenden, die in die andere Richtung wollen. Es geht nur millimeterweise vorwärts und ich bin schweißgebadet, denn es ist überall unerträglich heiß. Leider habe ich nicht genug Platz, um meine Jacke auszuziehen.
„Nur noch drei Wagen“, ächzt Dieter vor mir. „Wir haben es gleich geschafft.“
Damit hat er ein bisschen übertrieben, denn wir brauchen noch ungefähr eine Viertelstunde, bis wir endlich bei unserem Wagen angekommen sind. Vorher können wir noch beobachten, wie ein Kind in eine Plastiktüte kotzt und sich die Tür zum Behinderten Klo öffnet, obwohl gerade jemand darauf sitzt und uns mit großen Augen erschrocken ansieht.
Barbara kennt natürlich wie immer keine Hemmungen und grüßt den Toilettenbesucher mit den Worten „Na, heute schon große Geschäfte erledigt?“
„So, hier wäre unser Wagen“, teilt Dieter uns schließlich mit. „Jetzt müssen wir nur noch unsere Plätze finden. Ah, da sind sie ja.“
Seine Miene verfinstert sich.
„Da hat sich doch tatsächlich jemand draufgesetzt, das habe ich mir gleich gedacht.“
Ich werfe einen Blick auf vier Jungs in schlabberigen Jeans, die sich auf unseren Sitzen herumlümmeln.
„Hallo, Leute, wir müssen euch leider aufscheuchen, das sind nämlich unsere Sitze“, erkläre ich und deute nach oben.
„Eigentlich kann man an der Anzeige ablesen, dass sie reserviert sind.“
„Sofern man lesen kann“, murmelt Dieter genervt.
„Ham wa gelesen“, versichert eines der Bürschchen. „Aber ihr seid ja nicht gekommen.“
„Jetzt sind wir ja da“, erinnere ich und trommele ungeduldig mit meinen Fingern auf meinem Koffer herum.
„Drei Mickeymäuse, haha“, lacht einer der Jungs mit einer Bierdose in der Hand und macht keinerlei Anstalten aufzustehen.
„Echt luschtisch.“
„Junger Mann, wir haben einen langen, langen Weg durch diese verfickten Abteile hinter uns“, erklärt Barbara unwirsch.
„Und wir würden die anderthalb Stunden bis Hamburg sehr gerne noch auf unseren Plätzen verbringen. Wenn ihr also jetzt vielleicht euren Arsch bewegen würdet, wäre das sehr hilfreich.“
„Jo, jo, ein alter Mann ist kein D-Zug“, kennt einer der Rüpel erstaunlicherweise einen Satz aus der Zeit meiner Großeltern, bewegt sich aber immer noch nicht. Der andere verstaut im Schneckentempo seine Kopfhörer in einem Rucksack und bindet sich dann genauso langsam die Schnürsenkel zu. Barbara verdreht die Augen.
„Kannst du mir mal sagen, warum die jungen Leute von heute solche Schlaftabletten sind?“, fragt sie mich, ohne ihre Stimme im Geringsten zu senken.
„Ist dir schon mal aufgefallen, dass die Youngsters für alles doppelt so lange brauchen wie ein wirklich alter Mensch mit Rollator?“
„Ja“, bestätige ich, denn das ist mir in der Tat schon sehr oft aufgefallen. Eigentlich sollte man meinen, die Jugend sei frisch und knackig, aber sie ist umständlich und lahm. Wie zum Beispiel diese vier Jungen mit den viel zu weiten Hosen, die sich wie in Zeitlupe bewegen, was mich echt nervös macht.
„Wird das heute noch was?“, frage ich aggressiv. „Könnt ihr euch nicht mal ein bisschen beeilen?“
„Wir müssen erst unsere Sachen zusammen suchen“, erklärt der eine mit der Bierdose in der Hand. „Kannste mal mein Bier halten?“
„Wenn es dadurch schneller geht“, seufze ich und halte nun auch noch eine Bierdose in der Hand.
Es dauert noch einige Minuten, bis die schläfrige Jugend von heute es endlich geschafft hat, unsere vier Plätze freizugeben und mit letzter Kraft den Gang entlang schlurft.
„Du liebe Güte, was soll aus unserem Land mal werden, wenn die Leute solche Schnarchnasen großziehen“, stöhnt Dieter und lässt sich entkräftet auf seinen hart erkämpften Platz nieder sinken.
„Da schläft man ja schon vom Zusehen ein.“
„Keinen Pepp mehr, diese Luschen“, charakterisiert Barbara unsensibel und wuchtet ihren Koffer auf die Ablage.
„Ich dachte schon, die schaffen es bis Hamburg gar nicht mehr.“
Burkhard lächelt mich freundlich an.
„So, jetzt machen wir es uns erst mal gemütlich“, beschließt er. „Möchte jemand etwas Wein haben?“
„Du bist nach wie vor ein Trunkenbold und Weiberheld“, lacht Barbara. „Na, los, dann reich mal rüber, Onkelchen.“
Nach einer lustigen, feuchtfröhlichen Fahrt – Burkhard hat eine umfangreiche Auswahl diverser Weinsorten mitgeschleppt und Dieter in Windeseile diverse belegte Brote verschlungen – kommen wir gegen Mittag in Hamburg an.
„Irgendwo am Bahnhof soll der Transportbus stehen, mit dem unsere Koffer an Bord gebracht werden“, gibt Dieter Auskunft und blickt sich suchend um.
„Ich sehe nichts. Ihr etwa?“
„Gib mir noch einen letzten Schluck von dem köstlichen Roséwein“, fordert Barbara Burkhard auf, der sofort seine rote Thermoskanne zückt. Pfiffigerweise hat er den Wein nicht in Flaschen transportiert, sondern in diversen bunten Thermoskannen. Er glaubt, dass er auf diese Art und Weise unbehelligt durch die Kontrolle kommt.
„Aber gern.“ Burkhard strahlt. Er ist wirklich ein lieber, lustiger Geselle. Schade, dass nette Männer entweder zu alt oder schon vergeben sind.
„Da ist er!“, schreit Dieter plötzlich und rennt, sofern das sein Gewicht zulässt, auf einen blauen, kleinen Bus zu.
„Los, Leute, beeilt euch.“
„Das wird ja nicht der letzte Bus sein.“
Ungerührt bleibt Barbara stehen und nimmt einen kräftigen Schluck, bevor sie die Thermoskanne an mich weiter reicht.
„Gleich sind wir besoffen“, gluckst sie. „Und dazu noch diese Mickymaus Ohren. Ich bin gespannt, ob sie uns überhaupt aufs Schiff lassen.“
„Natürlich lassen sie uns aufs Schiff“, ist Burkhard zuversichtlich. „Und meine Thermoskannen auch. Das wäre ja noch schöner.“
„Diesmal hast du es gut getroffen“, findet Barbara. „Bier und Wein zu den Mahlzeiten sind im Preis enthalten. Wahrscheinlich saufen alle wie die Löcher.“
„Ich saufe nicht wie ein Loch“, entgegnet Burkhard etwas ärgerlich.
„Ich genieße dann und wann ein gutes Glas Wein, das ist alles.“
„Das glaubt er wahrscheinlich auch noch selbst“, raunt Barbara mir zu und lacht.
Wir schreiten auf den Transportbus zu, auf dem mit großen Buchstaben der Name der Reederei steht, mit der wir in See stechen und händigen einem freundlichen Herrn unsere Koffer aus.
„Und wie kommen wir jetzt zum Hafen?“, erkundigt Dieter sich.
„Wir haben den Shuttle Bus gebucht“, füge ich hinzu.
„Der Shuttle Bus wartet gleich um die Ecke auf Sie“, antwortet der nette Herr.
„Sie gehen einfach die Straße hier runter, dann über die Ampel dort, dann schräg nach rechts, danach die zweite Straße links, dann halten Sie sich rechts, dann noch mal über eine Ampel und schon sind Sie da.“
„Schon?“, echot Barbara. „Das hört sich nach einem Tagesausflug an.“
„Aber nein, Mickymaus.“
Der nette Mann berührt Barbaras Mickymausohren unzüchtig mit seinen Fingern und wackelt daran herum.
„Es sind höchstens fünf Minuten. Das schaffen Sie schon.“
„Das schaffen wir locker“, ist Burkhard überzeugt und nimmt einen kräftigen Schluck aus seiner grünen Thermoskanne.
„Wenn wir uns nicht verlaufen“, gebe ich zu bedenken. So ganz habe ich die Wegbeschreibung nämlich nicht verstanden bzw. sie schon wieder vergessen.
Doch tatsächlich, nach nicht einmal fünf Minuten sind wir an einer Bushaltestelle angelangt, an dem unser Shuttlebus steht.
„Herzlich willkommen“, strahlt uns eine wasserstoffblonde, grell geschminkte Frau in einer schicken schwarz-roten Uniform an und schüttelt uns forsch nacheinander die Hand.
„Das ist aber eine lustige Idee mit den Ohren“, freut sie sich. „Ich bin Marisa, eure Eventmanagerin. Schön, dass ihr hier seid. Verratet ihr mir eure Namen?“
Wir verraten Marisa unsere Namen und sie hakt diese auf einer Liste ab.
„Ihr könnt gern in den Bus einsteigen. Eure Koffer habt ihr abgegeben?“
„Ja“, bestätigen wir im Chor.
Ich will ihren Vorschlag gerade befolgen, als mein Fuß stockt und gleichzeitig auch mein Atem.
Ich kann nicht einsteigen. Ich bin wie festgenagelt und bekomme Schnappatmung. Wer zur Hölle ist das denn?
Ich kann es nicht anders sagen: Da steht mein absoluter Traummann! Er ist der umwerfendste und attraktivste Mann, den ich jemals gesehen habe: dunkle, fast schwarze Haare, eine athletische Figur und ein unglaublich schönes, markantes Gesicht. Ich bin so hypnotisiert, dass ich mich nicht mehr bewegen kann. Auch Barbara sieht völlig entrückt aus. Ist das vielleicht einer der Reiseleiter? Ich werde mich sofort erkundigen, welche Touren er übernimmt und alle buchen.
„Hallo“, sagt der schönste Mann unter der Sonne. Seine smaragdgrünen Augen funkeln und ich erstarre gerade zur Salzsäule. Marisa ebenfalls. Sie bringt nicht mal mehr ein „Hallo“ heraus, von ihrer sonstigen Begrüßungsformel ganz zu schweigen.
Er kratzt sich am Kopf.
„Bin ich hier richtig für die Nordeuropa-Kreuzfahrt? Ich habe gestern offenbar die letzte freie Kabine erwischt und freue mich riesig, dass ich mitfahren kann.“
Marisa starrt ihn noch immer wie betäubt an. Ich bin sowieso schon völlig benebelt. Er sieht nicht nur hammermäßig aus, sondern hat auch noch eine absolut irre, sexy Stimme.
Plötzlich wird mir klar, was seine Ansage bedeutet. Er ist ein Passagier! Er wird an dieser Kreuzfahrt teilnehmen! Ich habe fast zwei Wochen lang Zeit, ihn jeden Tag zu sehen und ihn vielleicht sogar kennenzulernen. Am liebsten würde ich in die Hände klatschen vor lauter Begeisterung.
„Ja“, antwortet Marisa verträumt. „Äh … Name?“
Ihr hat es offenbar komplett die Sprache verschlagen.
„Ich heiße Nicolas Sander“, sagt der schöne Mann und lächelt gewinnend.
Sein Lächeln haut mich um. Der ganze Mann haut mich um. Am liebsten würde ich auf ihn zuspringen und …
Moment mal! Nicolas Sander? Das ist ja lustig. Es heißt genauso wie der oberste Boss der Firma, für die ich arbeite. Was für ein Zufall!
„Nicolas Sander“, haucht Marisa und blättert in ihrer Liste. „Nicolas Sander aus Berlin.“
Und dann kommt er auch noch aus Berlin! Das ist ja gleich noch ein Zufall. Also, Dinge gibt es, die gibt es eigentlich gar nicht.
Wir steigen endlich in den Bus ein und nehmen in der Mitte Platz.
„Was für ein Hammertyp“, findet Barbara und presst ihr Gesicht gegen die Fensterscheibe.
„Na, den würde ich auch nicht gerade von der Bettkante stoßen. Natürlich nur, wenn ich Steve nicht hätte. Das ist ja eine echte Sahneschnitte. Was macht der denn hier? Der sucht doch nicht ernsthaft Anschluss auf einer Single-Kreuzfahrt?“
Da hat sie recht. Ich kann mir auch nicht erklären, warum ein dermaßen attraktiver Mann ausgerechnet an einer Single-Kreuzfahrt teilnimmt. Die Frauen laufen ihm sicher in Heerscharen nach.
Nach wenigen Minuten steigt Nicolas in den Bus und ein verführerischer Duft weht mir entgegen, als er an mir vorbei geht. Ich schließe die Augen und atme gierig seinen Duft ein. Himmel, riecht der Mann gut! Ich lehne mich zurück und überlege, ob es schwierig sein wird, ihn unter vierhundert Leuten wiederzufinden. Aber wenn ich mich die ganze Zeit im Restaurant aufhalte, müsste es möglich sein, ihn zu treffen, denn irgendwann muss er auch mal essen. Oder ich quartiere mich im Fitnessstudio ein, denn so trainiert, wie er aussieht, verbringt er dort sicher auch die eine oder andere Stunde.
„Von dem Duft kriegt man echt Hitzewallungen“, grinst Barbara. „Dreh dich mal um. Der halbe Bus hyperventiliert schon. Ich bin jetzt schon gespannt, wie er es schaffen wird, sich die Weiber vom Hals zu halten.“
Ich drehe mich um und kann unschwer erkennen, wie Nicolas‘ Anwesenheit die Frauen durcheinander gebracht hat. Sie haben verklärte Augen und gerötete Wangen und sind jetzt schon völlig high. Ich kann sie gut verstehen, denn mir geht es genauso.
„Weißt du, was echt witzig ist?“, wende ich mich an Barbara. „Der Typ hat denselben Namen wie mein oberster Boss und wohnt auch in Berlin. Komisch, oder?“
Barbara lacht laut auf.
„Hey, vielleicht ist das dein oberster Boss.“
„Ganz bestimmt nicht.“ Vergnügt schaue ich aus dem Fenster.
„Der sieht garantiert nicht so heiß aus, oder?“, hakt Barbara nach.
Ich zucke mit den Schultern.
„Keine Ahnung.“
„Du weißt nicht, wie der Inhaber der Firma aussieht, für die du arbeitest?“, fragt Barbara fassungslos. „Aber das weiß man doch!“
Ich schüttele den Kopf.
„Das hat mich nie interessiert. Am Anfang habe ich mal ein Foto von ihm gesehen, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Außerdem will ich auch gar nicht wissen, wie er aussieht. Ich hasse ihn nämlich.“
„Dann würde mich sein Aussehen erst recht interessieren“, erklärt Barbara. „Man muss schließlich wissen, wen man hasst. Und wieso hasst du ihn?“
Ich hole tief Luft.
„Manchmal gibt seine Sekretärin einiges an Korrespondenz in unser Schreibbüro, wenn sie es selbst nicht mehr schafft. Meistens sind das ellenlange Verträge, in denen er herumgeschmiert hat. Man kann es wirklich kaum entziffern. Und wenn ich das dann alles in stundenlanger, mühsamer Arbeit endlich eingearbeitet habe, kannst du dir sicher sein, dass zwei Tage später das Dokument zurück kommt und alles wieder völlig anders ist. Und dann fange ich wieder komplett von vorne an. Der Typ scheint der totale Chaot zu sein.“
„Naja, sowas gibt es“, erwidert Barbara achselzuckend. „Aber das kann dir eigentlich egal sein, so lange du deinen Job gut erledigst, oder?“
„Aber genau das findet er offenbar nicht“, erkläre ich. „Stell dir vor, ich bin die einzige von allen Mitarbeitern, die dieses Jahr keine Prämie bekommt. Die einzige! Ich habe überall herum gefragt und sogar mit Ina aus der Personalabteilung gesprochen. Sie durfte mir das zwar eigentlich nicht sagen, hat mir aber vorgestern unter dem Siegel der Verschwiegenheit verraten, dass ich tatsächlich die einzige von allen vierhundert Angestellten bundesweit bin, die dieses Jahr im Sommer keine Sonderzahlung bekommt.“
Mir steigen Tränen in die Augen. Das ist so demütigend, so entwürdigend. Dieser Arsch hat mich mit dieser Aktion so sehr herabgestuft und mich zur schlechtesten Mitarbeiterin der ganzen Firma gekürt. Das werde ich ihm niemals verzeihen.
Barbara sieht mich betroffen an.
„Und nicht nur das“, fahre ich mit zitternder Stimme fort. „Ich bekomme auch als Einzige keine Gehaltserhöhung. Normalerweise wird das Gehalt immer zum 1. Juli angehoben. So ist es auch dieses Jahr. Nur bei mir nicht. Ich bekomme nichts.“
Barbaras Gesicht wird noch betretener.
„Das ist aber wirklich hart“, findet sie und drückt meine Hand. „Hast du mit ihm darüber gesprochen?“
„Nein, der große Boss ist sich viel zu fein, um mit einer kleinen Angestellten zu reden“, erwidere ich wütend.
„Ich habe mit seiner Sekretärin telefoniert. Sie hat mir bissig erklärt, ich würde doch sehen, dass die Dokumente, die ich bearbeite, voller roter Markierungen wären. Alles, was ich einarbeiten würde, käme mit vielen Änderungen zurück und ich sei ihr überhaupt keine Hilfe. Wer so schlecht arbeiten würde, bekäme eben keine Gratifikation und auch keine Gehaltserhöhung.“
Mir sitzt ein dicker Kloß im Hals. Wenn ich so schlecht arbeite, ist das nächste, was ich erhalte, die Kündigung, das ist völlig klar. Dabei fühle ich mich total ungerecht behandelt. Meiner Meinung nach mache ich alles richtig und er ist der Chaot, der ständig alles wieder ändert. Aber Selbstreflexion scheint nicht seine Stärke zu sein.
„Das tut mir ehrlich leid.“ Barbara tätschelt immer noch meine Hand.
„Stimmt das denn? Ich meine, hast du selbst den Eindruck, dass du schlecht arbeitest?“
Ich schüttele den Kopf.
„Nein, gar nicht. Alle anderen sind total zufrieden mit mir und loben mich in den höchsten Tönen. Ich weiß nicht, warum das bei ihm anders ist. Ich blicke durch die Dokumente oft gar nicht durch. Es ist echt eine Heidenarbeit, alles zu verbessern. Ich bin mir sicher, dass ich das gewissenhaft erledige. Ich verstehe nicht, warum es mit ganz anderen Änderungen wieder zurückkommt. Manchmal habe ich den Eindruck, er will mich nur ärgern. Aber das ist natürlich Quatsch. Warum sollte er das tun?“
Barbara schüttelt den Kopf.
„Das hört sich echt merkwürdig an. Du solltest wirklich mal mit ihm reden.“
Ich winke ab.
„Ich habe versucht, einen Termin bei ihm zu bekommen. Aber seine Sekretärin meinte, das sei nicht nötig und ich solle mich einfach mehr anstrengen. Er habe keine Zeit, um sich mit einer Tippse aus dem Schreibbüro zu unterhalten, sondern Wichtigeres zu tun.“
„Was für ein arroganter Schnösel“, findet Barbara. „Jetzt verstehe ich erst recht nicht, warum du nicht weißt, wie er aussieht. Gerade, wenn man mit jemandem im Clinch liegt, will man doch wissen, mit wem man es zu tun hat, oder?“
„Ich will es nicht wissen“, murmele ich und blicke aus dem Fenster.
„Ich aber“, entscheidet Barbara und zückt ihr Handy.
Nein, ich will nicht wissen, wer mir das alles antut. Wenn ich es nicht weiß, wird es für mich dadurch irgendwie irrealer. Ich weiß, das hört sich bescheuert an, aber es ist eben meine Art und Weise, damit umzugehen.
„Ich glaube, ich habe keine guten Nachrichten für dich“, sagt Barbara mit belegter Stimme.
Mein Herz fängt an, wie verrückt zu klopfen.
„Nicht?“, krächze ich.
„Nein.“ Barbara holt tief Luft. „Der verdammt heiß aussehende Typ, der ein paar Reihen hinter uns sitzt, ist dein Boss.“
Sie hält mir ihr Handy unter die Nase und ich schnappe nach Luft.
Nicolas Sander, 37, Inhaber der Luxus Hotelkette „Come back and stay“ und Selfmade Millionär steht unter einem Bild, auf dem unverkennbar er abgebildet ist. Mein absoluter Traummann ist in Wirklichkeit mein Albtraum Boss! Ich glaube, ich werde gleich ohnmächtig.
„Das kann einfach nicht wahr sein“, stöhne ich. „Das gibt es doch gar nicht. So einen beschissenen Zufall kann es einfach nicht geben!“
„Ich fürchte, den gibt es tatsächlich“, sagt Barbara. „Ich kann es auch nicht glauben. Ich meine, warum geht er ausgerechnet auf diese Kreuzfahrt? Hat es ihn gereizt, dass es eine Single Kreuzfahrt ist, auf der er alle Frauen flachlegen kann? Denn das könnte er mühelos. Da würde keine einzige nein sagen.“
„Vielleicht ist es gar nicht so ein großer Zufall“, murmele ich.
„Es ist die einzige Kreuzfahrt mit dieser Route. Es gibt in den nächsten zwei Jahren überhaupt keine andere. Wenn du unbedingt diese Strecke fahren willst, hast du nur diese eine Möglichkeit.“
Mir schießen Tränen in die Augen. Dieser Arsch verdirbt mir meinen ganzen Urlaub!
Nach zwanzig Minuten kommen wir am Hafen an. Wir steigen aus dem Bus und ich bemühe mich, nicht Ausschau nach dem Arsch zu halten. Unsere Rucksäcke, Taschen und Jacken werden durchleuchtet und wir erhalten eine Art Scheckkarte, die von nun an unsere Bordkarte sein wird. Mit dieser Bordkarte können wir die Tür zu unserer Kabine öffnen, alles an Bord bezahlen, das Schiff verlassen und es wieder betreten.
Als erstes will ich natürlich meine Kabine begutachten und bin ganz aufgeregt. Schließlich bin ich noch nie mit einem Kreuzfahrtschiff gefahren.
„Erwarte nicht zu viel“, sagt Barbara. „Das Schiff ist ein kleines Schiff und hat winzige Innen- und Außenkabinen. Aber es ist klar, dass sie für eine so spezielle Kreuzfahrt nicht tausende von Leuten zusammen kriegen.“
Wir laufen ein paar Flure entlang, bis wir vor unseren Kabinen stehen. Barbara und ich haben zwei Kabinen bekommen, die nur durch eine Verbindungstür voneinander getrennt sind. Ich finde das toll, denn so können wir uns abends oder nachts noch unterhalten. Neugierig stecke ich meine Bordkarte in den Schlitz und die Tür springt auf.
Da ich mir nicht vorstellen konnte, zwei Wochen in absoluter Dunkelheit zu verbringen, habe ich mir eine Außenkabine gegönnt; das heißt, ich habe immerhin ein Fenster. Ein bisschen enttäuscht bin ich, dass sich vor dem kleinen Fenster ein etwa ein Meter langer Schacht befindet, sodass die Sicht relativ schlecht ist. Außerdem ist es in der Kabine generell ziemlich dunkel. Es gibt ein Doppelbett, zwei Nachtschränke, einen schmalen Schreibtisch mit einem Stuhl und im Flur einen Schrank. Alles sehr übersichtlich und spartanisch. Aber nun gut, viel Zeit werde ich hier wahrscheinlich ohnehin nicht verbringen. Das Bad ist winzig, hat aber alles, was man braucht – eine Toilette, ein Waschbecken und eine Dusche.
Die Verbindungstür öffnet sich und Barbaras Kopf erscheint.
„Na, wie gefällt es dir?“, erkundigt sie sich. „Luxus ist natürlich etwas anderes.“
„Das habe ich auch gerade gedacht“, muss ich zugeben. „Die Bilder, die du mir von deinen bisherigen Kreuzfahrten gezeigt hast, sahen jedenfalls viel besser aus.“
„Das waren Schiffe, auf denen viertausend Passagiere Platz hatten und nicht vierhundert“, erklärt Barbara.
„Die sind viel neuer und exklusiver. Dies hier ist ein kleines und ziemlich altes Schiff. Sollen wir unsere Koffer schon mal auspacken? Gleich findet wieder die allseits beliebte Sicherheitsübung statt. Das ist echt nervig, aber sie muss durchgeführt werden, bevor das Schiff den Hafen verlässt.“
„Was für eine Sicherheitsübung?“, erkundige ich mich.
„Im Grunde musst du nur diese orangefarbene Schwimmweste anziehen und zu einer bestimmten Stelle gehen, in der du auch im Notfall gehen müsstest“, erklärt Barbara.
„Das Blöde ist eben, dass man sich nach der Ankunft eigentlich erst mal ausruhen und etwas essen will. Aber nein, man muss stundenlang in diesen Westen rumstehen. Aber etwas zu essen gibt es im Moment sowieso nicht, ich habe schon nachgeschaut. Das Restaurant wird erst um 18 Uhr geöffnet.“ Barbara seufzt abgrundtief.
„Das ist auch echt ungewohnt. Auf den großen Schiffen gibt es mehrere Restaurants, eine Pizzastation und einen Grillimbiss. Irgendwo findest du immer etwas zu essen. Hier allerdings gibt es nur ein einziges Restaurant, und das hat feste Öffnungszeiten. Man kann nur morgens, mittags und abends zwei Stunden essen. In der übrigen Zeit ist das Restaurant geschlossen. Oh je, das ist keine gute Nachricht für den verfressenen Dieter. Das Tollste auf einer Kreuzfahrt war für ihn, dass er rund um die Uhr essen konnte. Ich fürchte, das wird empfindlich auf seine Laune schlagen.“
Wir packen unsere Koffer aus und ich räume meine Kleidung in den Wandschrank. Danach schiebe ich den Koffer unter das Bett. Kaum bin ich damit fertig, ertönt über einen Lautsprecher die Durchsage, dass sich alle Passagiere zur Sicherheitsübung begeben müssen, und zwar mit den Schwimmwesten. Ich öffne den Schrank, hole die orangefarbene Schwimmweste heraus und habe keine Ahnung, wohin ich jetzt gehen muss. Barbara weiß es auch nicht, aber an jeder Ecke stehen Angestellte der Reederei und weisen uns den Weg. Schließlich befinden wir uns draußen an Deck und warten – wenn mir auch nicht klar ist, worauf eigentlich.
„Wir warten auf diejenigen, die noch nicht da sind“, erklärt uns eine Frau. „Hoffentlich stehen wir nicht noch stundenlang hier. Beim letzten Mal war es eine geschlagene Stunde.“
Unauffällig lasse ich meinen Blick durch die Menge schweifen und halte Ausschau nach ihm, kann ihn aber nirgendwo entdecken. Ich bin echt total bescheuert: Ich halte Ausschau nach ihm, damit ich weiß, wo er steht, um dann eben nicht zu ihm hinzuschauen. Ich will ihn einfach nicht unverhofft sehen. Oder bin ich jetzt schon völlig paranoid?
„Hier sind wir!“, schreit plötzlich jemand und ich erkenne Dieter, der wie wild winkt. Ihn hatte ich zwar nicht gesucht, aber ich winke zurück.
„Noch hat er gute Laune“, grinst Barbara. „Er scheint nicht zu wissen, dass es nur ein einziges Restaurant gibt, das die meiste Zeit geschlossen ist.“
„Ja, das ist ein bisschen anders als auf den großen Schiffen“, mischt sich ein Mann mittleren Alters ein. „Auf den Kloppern kann man von früh bis spät essen, bis man platzt. Da muss man sich hier ein bisschen umgewöhnen.“
„Man muss nicht den ganzen Tag essen“, sagt die Frau wieder. „Es gibt sicher noch andere Beschäftigungen.“
Zum Beispiel, auf dem Deck zu stehen und zu warten, dass die Nachzügler endlich eintreffen. Barbara zeigt mir, wie ich die Schwimmweste, die ich mir umgehängt habe, richtig anziehe und schaltet zur allgemeinen Belustigung ihr Warnlicht ein. Dann probiert sie die Trillerpfeife aus. Neben ihr fahren erschrocken ein paar Leute zusammen.
„Ich muss für den Notfall testen, ob alles funktioniert“, sagt sie unschuldig und grinst.
Da, da ist er! Ich verrenke mir fast den Hals, um ihn besser sehen zu können, obwohl ich ihn eigentlich gar nicht sehen will. Groß und breitschultrig steht er da und wird von drei Damen umgarnt. Klar, er ist eindeutig der bestaussehende Mann auf dem ganzen Schiff. Wahrscheinlich wird er es ordentlich krachen lassen und jede Nacht eine andere abschleppen. Aber warum denke ich eigentlich darüber nach? Das tangiert mich doch extrem peripher!
„Da ist dein schöner, böser Boss“, erkennt auch Barbara und stupst mich in die Seite.
„Und wie wir sehen, ist er sofort das Objekt der Begierde, was zu erwarten war. Die anderen Männer können ihm natürlich nicht das Wasser reichen. Also, wenn du ihm nicht begegnen willst, hast du gute Chancen. Er wird sowieso immer von einer Traube lüsterner Frauen umringt sein.“
Das sieht ganz so aus. Jetzt fingert eine Botox-Blondine an ihm herum und lacht affig, als sie versucht, seine Schwimmweste zu schließen, was ihr aber nicht gelingt. Aber Hauptsache, sie kann an ihm herum grapschen.
Moment mal, warum gucke ich mir das eigentlich an? Ich wollte doch nur herausfinden, wo er steht, um dann eben in eine andere Richtung zu blicken. Ich habe nicht vor, ihn zu beobachten. Im Gegenteil, ich will ihn ignorieren. Das werde ich jetzt auch tun, und zwar sofort! Schnell drehe ich meinen Kopf in eine andere Richtung. Himmel, ich hätte nie gedacht, dass es so anstrengend sein könnte, jemanden nicht zu beachten.
„Also, wenn der wollte, könnte er hier jede Nacht eine andere flachlegen“, meint Barbara. „Ob er deshalb diese Kreuzfahrt gebucht hat? Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass er keine andere Option gehabt hätte. So ein Mann ist doch auch im wahren Leben ständig umschwärmt.“
„Das ist mir völlig schnuppe“, fauche ich. „Von mir aus kann er mitten im Pool eine Orgie veranstalten. Ich hoffe nur, er ertrinkt dabei.“
„Aber wenn er nicht dein fieser Boss wäre, würdest du ihn als Mann schon anziehend finden, oder?“, grinst Barbara.
„Er ist aber mein fieser Boss“, erinnere ich sie. „Und darum finde ich ihn einfach nur mies und fies und böse und das allerletzte.“
Nach einer weiteren Viertelstunde sind offenbar endlich alle Passagiere anwesend und damit ist die Sicherheitsübung beendet.
„Ich hatte eigentlich gedacht, wir springen in diesen Schwimmwesten ins Wasser oder klettern in die Rettungsboote“, witzelt ein Mann und blickt Barbara interessiert an. Sie lächelt zurück.
„Ja, das wäre das mindeste gewesen.“
Auch die anderen Passagiere reden angeregt miteinander und knüpfen erste zarte Kontakte. Alle scheinen sehr aufgeschlossen und locker zu sein. Hey, vielleicht lerne ich sogar einen netten Mann kennen. Mein Bad Boss ist schließlich nicht der einzige Kerl auf dem Schiff.
„Eine schöne Atmosphäre“, sagt Barbara, als wir nebeneinander die Treppen hochlaufen.
„Sonst spricht niemand mit dem anderen. Das ist hier ganz anders. Das finde ich echt toll. Klar, jeder ist allein hier und will es nicht bleiben. Ich habe fast schon ein schlechtes Gewissen, dass ich mich als Single ausgebe. Stell dir mal vor, ich lerne einen Mann kennen, der an mir interessiert ist. Das ist doch blöd, wenn ich ihn die ganze Zeit belüge. Er macht sich womöglich Hoffnungen und lässt andere Chancen verstreichen. Aber wenn ich sage, dass ich einen Freund habe, fliege ich sofort von Bord.“
„Sag doch einfach, du stehst auf Frauen“, unterbreite ich Barbara einen kreativen Vorschlag. „Damit dürfte das Thema erledigt sein.“
„Hey, gar keine so schlechte Idee“, findet Barbara. „Was machen wir denn jetzt? Sollen wir Burkhard und Dieter anrufen und mit ihnen gemeinsam das Schiff erkunden? Obwohl – so viel zu erkunden gibt es nicht. Auf den anderen Schiffen sind wir stundenlang rumgerannt und haben uns immer wieder verlaufen. Das wird uns hier nicht passieren.“
„Bist du enttäuscht, dass das Schiff so klein ist?“, will ich wissen.
Barbara zuckt mit den Schultern.
„Ich weiß noch nicht, wie ich das finden soll. Es ist halt alles sehr übersichtlich, was auch von Vorteil sein kann. Das einzige, wovor ich ein bisschen Angst habe, ist der Seegang. Bei den riesigen Schiffen merkst du davon kaum etwas, aber bei den kleineren natürlich schon. Und noch dazu haben wir eine Kabine erwischt, die ziemlich weit unten liegt und ganz vorne ist. Da kann es schon mal mächtig schaukeln. Ich glaube nicht, dass ich seefest bin.“
„Ich habe Reisetabletten gegen Übelkeit mitgenommen“, versuche ich, Barbara zu beruhigen.
Barbara winkt ab.
„Wenn es richtig schaukelt, nützen die überhaupt nichts. Aber ich glaube, wenn es wirklich schlimm wird, kann man sich vom Arzt eine Spritze geben lassen.“
Nachdem wir Burkhard und Dieter über das Zimmertelefon angerufen haben, treffen wir uns in der sogenannten Lounge. Das ist ein gemütlicher Saal mit vielen Sesseln, einer kleinen Bühne und einer Bar. Die Idee hatten offenbar auch viele andere Passagiere, denn die meisten Sessel sind besetzt.
„Warum gehen wir nicht endlich was essen?“, erkundigt Dieter sich verständnislos. „Wie ihr euch denken könnt, habe ich einen Bärenhunger.“
Barbara legt ihm die Hand auf die Schulter.
„Didi, du musst jetzt ganz tapfer sein, denn ich habe keine guten Nachrichten für dich.“
Alarmiert blickt Dieter seine Cousine an.
„Wieso, was ist denn los?“
„Du kannst hier nicht rund um die Uhr essen, wie auf den anderen Schiffen“, sagt Barbara sanft.
„Es gibt nur ein einziges Restaurant und das ist nur morgens, mittags und abends jeweils für zwei Stunden geöffnet. Die übrige Zeit musst du leider auf deine kümmerlichen Reserven zurückgreifen.“
Dieters Augen werden groß und rund. Er starrt Barbara an, als habe sie ihm soeben eröffnet, an Bord sei eine Seuche ausgebrochen.