Liebe ohne Likes - Offline am Meer - Tina Keller - E-Book

Liebe ohne Likes - Offline am Meer E-Book

Tina Keller

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Beschreibung

Cassie, eine stets vernetzte Influencerin aus Berlin, steht vor einem Rätsel, das selbst Google nicht lösen kann: Wie kuriert man ein Burnout? Auf Anraten ihrer Therapeutin tauscht sie die pulsierende Großstadt gegen die beschauliche Ruhe der Ostseeküste, um eine digitale Auszeit zu nehmen. In dem idyllischen Küstendorf Wellenried begegnet sie Jonas, einem Handwerker, der noch nie von Influencern gehört hat und dessen täglicher Begleiter eher ein Hammer als ein Smartphone ist. Für Cassie, die normalerweise jede Mahlzeit fotografiert, bevor sie sie isst, ist dieser Kulturunterschied ein echter Schock. Zwischen Strandwanderungen und Sonnenunter-gängen beginnt Cassie, die Welt durch Jonas' Augen zu sehen und entdeckt dabei nicht nur die Schönheit des Wesentlichen, sondern auch Gefühle, die tiefer gehen als die Bewunderung ihrer Follower. Doch kann eine Frau, die ihr halbes Leben online verbracht hat, wirklich glücklich werden in einer Welt, die nicht ständig geliked wird?

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Impressum

Originalausgabe September 2024

Liebe ohne Likes – Offline am Meer

© Copyright

Tina Keller, Berlin, Deutschland, 2024

Cover Gestaltung: Nancy Salchow

unter Verwendung#62174179 © i-picture, #118764766 © ilyaf Alle Grafiken unter Standard-Lizenz erworben bei Adobe Stock: https://stock.adobe.com/

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertung

nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

Tina Keller

c/o Internet Marketing

und Publikations-Service

Frank W. Werneburg

Philipp-Kühner-Str. 2

99817 Eisenach

[email protected]

Tina Keller

Liebe ohne Likes

Offline am Meer

Liebesroman

Cassie, eine stets vernetzte Influencerin aus Berlin, steht vor einem Rätsel, das selbst Google nicht lösen kann: Wie kuriert man ein Burnout?

Auf Anraten ihrer Therapeutin tauscht sie die pulsierende Großstadt gegen die beschauliche Ruhe der Ostseeküste, um eine digitale Auszeit zu nehmen.

In dem idyllischen Küstendorf Wellenried begegnet sie Jonas, einem Handwerker, der noch nie von Influencern gehört hat und dessen täglicher Begleiter eher ein Hammer als ein Smartphone ist.

Für Cassie, die normalerweise jede Mahlzeit fotografiert, bevor sie sie isst, ist dieser Kulturunterschied ein echter Schock.

Zwischen Strandwanderungen und Sonnenunter-gängen beginnt Cassie, die Welt durch Jonas' Augen zu sehen und entdeckt dabei nicht nur die Schönheit des Wesentlichen, sondern auch Gefühle, die tiefer gehen als die Bewunderung ihrer Follower.

Doch kann eine Frau, die ihr halbes Leben online verbracht hat, wirklich glücklich werden in einer Welt, die nicht ständig geliked wird?

Kapitel 1

Ich liebe meinen Job. Eigentlich ist es für mich kein Job, sondern es ist das, was ich am liebsten tue. Und dafür bekomme ich auch noch Geld! Sogar eine Menge Geld. Das ist doch kaum zu glauben, oder? Also, ich kann es manchmal immer noch nicht fassen. Auch nach all den Jahren nicht.

„Hallo, ihr Lieben“, begrüße ich meine Follower überschwänglich und strahle in die Kamera.

„Wie geht es euch heute an diesem wundervollen, sonnigen Tag? Seid ihr gut drauf? Hey, ihr werdet gleich noch viel besser drauf sein, denn heute habe ich etwas ganz Besonderes für euch.“

Ich bin total begeistert, und das ist echt. Ich bin immer begeistert von meinen Produkten, sonst würde ich sie nicht vorstellen. Und wenn meine Follower dann genauso enthusiastisch sind, bin ich einfach nur noch glücklich. Das ist ein wahnsinniges Gefühl. Ich fühle mich total mit ihnen verbunden. Es ist, als wären sie alle hier bei mir.

Vor mir auf dem Tisch liegen meine neuesten Beauty-Produkte. Ich habe sie sorgfältig und liebevoll vor mir ausgebreitet, wie eine kleine Ausstellung. Natürlich stelle ich nicht alle Produkte vor, sondern nur die, die mir richtig gut gefallen. Nur das Beste für meine Follower.

Jedes Mal, wenn ich ein neues Produkt öffne, durchströmt mich dieses Kribbeln der Vorfreude.

Wie wird die Textur sein? Wie fühlt es sich an? Welche Farbe wird es haben? Dieser Moment, bevor ich etwas Neues entdecke, ist für mich magisch. Und dann probiere ich so lange durch, bis ich etwas gefunden habe, das mich zu hundert Prozent überzeugt.

Schon ploppen die ersten Kommentare auf.

„Cassie, du siehst heute wieder umwerfend aus.“

„Wie schön, dich wiederzusehen, Cassie. Du machst meinen Tag jedes Mal ein bisschen bunter und schöner.“

„Hey, Cassie. Ich habe schon sehnsüchtig auf dich gewartet. Du bist inzwischen wie eine Freundin für mich und ich kann es kaum erwarten, zu sehen, was du uns heute wieder schönes vorstellst.“

„Cassie, deine Produkte sind der Wahnsinn. Ich bin schon oft darauf angesprochen worden, dass ich jetzt viel besser aussehe. Du gibst dir wirklich viel Mühe. Danke dafür.“

In diesem Stil geht es munter weiter. Bei jedem Kommentar klopft mein Herz ein bisschen schneller. Es ist so schön, dass die Leute mich mögen und dass ich ihnen etwas gebe. Manche von ihnen kenne ich schon richtig gut und es fühlt sich an, als wären sie meine Freunde. Ich bereichere ihr Leben und sie freuen sich auf mich. Das ist einfach unbezahlbar.

„Ich freue mich riesig, dass ihr alle wieder da seid“, lächele ich in die Kamera. „Das bedeutet mir wirklich sehr viel. Wer wäre ich schon ohne euch? Wenn ihr nicht da wärt und mir so viel Support geben würdet, könnte ich das hier gar nicht machen. Und ich mache es wirklich gerne. Deshalb will ich euch jetzt wieder ein brandneues, supertolles Produkt vorstellen, nämlich das Highlighter-Set von Famous Glow.“

Ich schwenke einen kleinen Pinsel in die Kamera, als wäre er ein Zauberstab. Und in gewisser Weise ist er das auch. Diese kleinen Dinge, die das Leben ein bisschen heller und schöner machen, sind das, worum es in meinem Job geht. Und ich liebe es, diese Magie mit meinen Followern zu teilen.

Ich halte das Set in die Kamera und drehe es leicht, sodass das Licht auf den schimmernden Oberflächen tanzt.

„Also, meine Lieben, das hier ist das neue Highlighter-Set, auf das ich mich schon die ganze Woche gefreut habe. Schaut euch diese Farben an!“

Meine Finger öffnen vorsichtig die magnetische Verschlussklappe, und da liegen sie vor mir: drei perfekt arrangierte Farben, jede einzelne ein Versprechen von Glanz und Glamour.

Mit dem kleinen, weichen Pinsel, der in dem Set enthalten ist, streiche ich über den schimmernden Champagner-Ton.

„Ich fange mit dieser wunderschönen, neutralen Farbe an, die zu jedem Hauttyp passt.“

Ich tippe den Pinsel leicht gegen den Rand der Palette, um das überschüssige Puder abzuschütteln. Langsam streiche ich den Highlighter über die höchsten Punkte meiner Wangenknochen. Sofort verleiht der Schimmer meiner Haut einen sanften, leuchtenden Glanz.

„Seht ihr das? Ist das nicht der absolute Hammer?“, jubele ich und drehe mein Gesicht leicht zur Seite, sodass das Licht den Effekt noch verstärkt.

„Dieser Champagner-Ton ist perfekt für einen subtilen Glow, der nicht zu aufdringlich ist, aber trotzdem alle Blicke auf sich zieht.“

Die Kommentare fliegen nur so über den Bildschirm, und meine Follower scheinen genauso begeistert zu sein wie ich. Ich lächele in die Kamera und fühle mich verbunden mit den Menschen da draußen. Sie sehen mir zu, sie feuern mich an und sie lieben das, was ich ihnen zeige. Das gibt mir jede Menge Selbstbestätigung.

„Okay, als nächstes werde ich den rosé-goldenen Ton ausprobieren“, verkünde ich.

Ich tauche den Pinsel in das zarte Rosa, das fast wie flüssiges Gold aussieht, und wiederhole den Vorgang, diesmal auf der anderen Seite meines Gesichts.

„Dieser Ton ist ein bisschen kräftiger, aber perfekt für abends oder besondere Anlässe.“

Der rosige Glanz legt sich auf meine Haut und sieht aus wie ein Hauch von Sonnenuntergang. Ich fahre mit dem Pinsel über die Nasenbrücke und das Lippenherz und setze gezielte Highlights, die mein Gesicht strahlen lassen.

„Auf dem Nasenrücken und direkt über den Lippenbogen sieht das auch toll aus. Es gibt dem Gesicht eine Extra-Portion Frische.“

Wieder drehe ich mein Gesicht und zeige den Effekt aus verschiedenen Winkeln.

„Last but not least: der bronzene Ton.“

Ich wechsele den Pinsel und greife zum letzten Farbton, der wie flüssiger Bernstein im Licht glitzert.

„Dieser Ton ist ideal für einen warmen, sonnengeküssten Look.“

Ich verteile den Highlighter auf den Stellen, wo die Sonne das Gesicht bräunen würde – an den Schläfen, entlang der Kieferlinie.

„Perfekt für den Sommer, wenn ihr das Gefühl von Strand und Sonne in euer Make-up bringen wollt.“

Ich halte mein Gesicht noch einmal ganz nah an die Kamera, damit alle den Effekt sehen können.

„So, ihr Lieben, das war das neue Highlighter-Set von Famous Glow. Ich liebe es einfach – die Textur, die Farben, und wie es auf der Haut aussieht. Es ist genau das, was man braucht, um seinem Look das gewisse Etwas zu verleihen.“

Ich kann die Begeisterung meiner Follower förmlich spüren. Was für ein Gefühl!

„Also, welches ist euer Favorit? Schreibt es mir in die Kommentare. Ich kann es kaum erwarten, eure Looks zu sehen.“

Sofort ploppen die Kommentare in Sekundenschnelle auf.

„Cassie, du strahlst wie eine Göttin. Dieser Champagner-Ton ist ein Muss.“

„OMG, ich brauche diesen Rosé-Highlighter sofort. Der Glanz ist einfach traumhaft.“

„Wie machst du das, dass es bei dir immer so perfekt aussieht? Ich bin verliebt in den Bronzeton.“

„Ich wusste gar nicht, dass man Highlighter so vielfältig einsetzen kann. Danke für die Tipps, Cassie. Du bist soooo toll.“

„Diese Farben sind der Hammer. Ich werde das Set direkt bestellen. Du siehst so super aus, Cassie.“

„Wow, der Glow ist einfach unglaublich. Ich liebe es, wie du das immer so mühelos hinbekommst. Du bist grandios.“

„Cassie, du hast es mal wieder geschafft – ich bin süchtig nach Famous Glow.“

„Ich hätte nie gedacht, dass Highlighter so viel ausmachen können. Danke, dass du uns das gezeigt hast.“

„Das Set ist einfach perfekt für den Sommer. Ich habe meinen neuen Lieblingslook gefunden.“

„Cassie, du bist die Beste. Deine Haut strahlt so wunderschön – ich muss diesen Look einfach haben.“

Als ich die Kommentare lese, wird mir ganz warm ums Herz. Es fühlt sich an, als würde eine Welle des Glücks über mich hinweg schwappen. Jeder Kommentar ist wie ein kleiner Funken, der in mir aufleuchtet und mir zeigt, dass das, was ich tue, einen Unterschied macht. Ich kann spüren, wie meine Follower mitfiebern und die Produkte ausprobieren wollen, die ich ihnen gerade gezeigt habe.

Es ist diese Verbindung, die ich so sehr liebe. Zu wissen, dass ich nicht nur in eine Kamera spreche, sondern dass da draußen echte Menschen sind, die sich genauso für diese Dinge begeistern wie ich. Es ist, als ob wir alle zusammen in einem Raum wären und uns gegenseitig Tipps geben.

Und dann diese Momente, in denen ich merke, dass ich jemanden inspiriert habe. Wenn jemand schreibt, dass er etwas Neues ausprobieren will, weil ich es ihm gezeigt habe. Das gibt mir das Gefühl, dass ich etwas bewirken und Menschen helfen kann, sich selbst schöner und selbstbewusster zu fühlen.

Der Kommentar „Cassie, du strahlst wie eine Göttin“ bringt mich zum Lachen. Es ist ein bisschen verrückt, aber es ist auch schön, wie viel Freude ich verbreiten kann. Es ist nicht nur Make-up. Ich gebe anderen Menschen ein gutes Gefühl – und genau das ist es, was mir so viel bedeutet.

Ich fühle mich richtig aufgeladen und bin voller Energie und Motivation. Wenn ich sehe, wie viel Freude ich in andere Leben bringe, bin ich einfach nur noch glücklich. Diese positiven Reaktionen sind der Grund, warum ich meinen Job liebe. Sie sind der Beweis dafür, dass sich all die Mühe lohnt.

Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.

♣♣♣

Wenn ich zurückdenke, kann ich kaum glauben, wie weit ich gekommen bin. Vor drei Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich einmal in einem Studio voller Lichter, Kameras und Make-up-Produkte sitzen würde. Damals arbeitete ich als Sekretärin in einem Büro und fand es einfach nur öde. Den ganzen Tag saß ich an meinem Schreibtisch und musste springen, wenn mein Boss etwas wollte. Das nervte mich total. Ich hasste es, mich herum kommandieren zu lassen. Ich wollte etwas Eigenständiges machen, selbst etwas kreieren. Aber was?

Eines Tages saß ich in meinem winzigen Apartment, das so vollgestopft mit Beauty-Produkten war, dass es eher einer Drogerie als einer Wohnung glich. Ich hatte immer schon eine Schwäche für Make-up und Kosmetik gehabt – diese kleinen Wundermittel, die es einem ermöglichen, sich selbst jeden Tag neu zu erfinden. Warum sollte ich nicht einfach mal darüber ein Video machen? Es steckte kein großer Plan dahinter – nur der Wunsch, etwas Kreatives zu tun, das mir Spaß machte.

Die ersten Videos sahen sich nur ein paar Freunde an, aber ich blieb dran. Jeden Tag nahm ich ein Video auf und schickte es in die Welt hinaus. Und ganz langsam baute ich mir eine kleine, aber treue Fangemeinde auf. Es war aufregend, zu sehen, wie die Anzahl meiner Follower wuchs. Die Kommentare wurden mehr und mehr, die Likes und Shares nahmen zu. Und dann, nach Monaten harter Arbeit, kam die erste Kooperationsanfrage. Ein kleiner Beauty-Shop wollte, dass ich seine Produkte testete und sie vorstellte. Ich bekam ein paar hundert Euro dafür und platzte fast vor Stolz. Für mich war es ein untrügliches Zeichen, dass ich auf dem richtigen Weg war.

Von da an ging es steil bergauf. Mit jeder neuen Kooperation und jedem neuen Follower wuchs mein Selbstbewusstsein. Ich wurde besser und professioneller. Ich lernte, wie man das perfekte Video dreht und wie man sich bewegt, um gesehen zu werden.

Und ich liebte es. Jeder Tag war eine neue Herausforderung und eine Chance, zu zeigen, was ich konnte. Ich hatte das Gefühl, die Welt lag mir zu Füßen. Als ich meinen Bürojob kündigte, war das einer der schönsten Tage meines Lebens. Ich hatte es geschafft! Endlich war ich frei und konnte das tun, das mir am Herzen lag. Niemand scheuchte mich mehr herum. Ich war überglücklich.

Natürlich gibt es auch anstrengende Tage, an denen es mir schwerer fällt, in die Kamera zu strahlen. Aber diese Momente sind zum Glück selten. Meistens genieße ich das Spiel mit der Kamera, die Verbindung zu meinen Followern und die kreative Freiheit, die mir mein Job gibt.

Es ist der beste Job, den ich jemals hatte.

Kapitel 2

Mist. Heute will sich das Gefühl von Aufregung und Glück nicht so recht einstellen. Ehrlich gesagt würde ich gern eine Pause einlegen. Und morgen vielleicht auch. Immerhin betreibe ich diesen Kanal seit drei Jahren und habe noch nie Urlaub gemacht. Fast jeden Tag war ich online und habe neue Produkte präsentiert – oder eben nur mich.

Ich seufze und starre auf die Palette mit Lippenstiften, die vor mir liegt. Die Farben, die mir sonst so viel Freude bereiten, wirken seltsam blass. Ein dumpfes Gefühl der Müdigkeit kriecht in mir hoch und breitet sich wie ein schwerer Schleier aus. Normalerweise reicht der Gedanke an neue Follower und begeisterte Kommentare, um mich in Schwung zu bringen, aber heute spüre ich nichts davon.

Egal. The show must go on. Meine Follower warten schließlich auf mich. Also, los jetzt!

„Hallo, ihr Lieben“, begrüße ich meine Fans. „Heute dreht sich alles um Lippen und wie sie noch schöner werden. Ich habe hier die neuen Matt-Lipsticks von LuxColor für euch. Ich bin total gespannt, wie sie sich auftragen lassen.“

Wie immer ist meine Stimme fröhlich und energiegeladen, denn natürlich verkaufe ich auch Emotionen – und zwar ausschließlich positive.

Die Kommentare fließen wie gewohnt in einem steten Strom über den Bildschirm. Herzchen und Daumen tanzen vor meinen Augen.

Ich nehme den ersten Lippenstift und schwenke ihn in die Kamera.

„Schaut euch diese Farbe an. Sie ist unaufdringlich und doch wunderschön, einfach perfekt für den Alltag.“

Ich öffne die Hülle und setze den Lippenstift an meine Lippen. Dann trage ich ihn auf.

„Seht ihr, wie schön er sich verteilen lässt? Ein Traum für alle, die es gerne matt mögen. Die Konsistenz ist super geschmeidig und überhaupt nicht trocken.“

Ich lächele in die Kamera und bin zufrieden mit dem Ergebnis. Es läuft alles wie gewohnt.

BeautyQueen23: „OMG, Cassie, dieser Lippenstift sieht sooo gut an dir aus! Muss ich haben! Du machst mich noch arm, Girl.“

GlamGuru: „Die Farbe ist der Hammer! Und wie du den aufträgst, einfach perfekt. Hab schon bestellt, danke für den Tipp.“

LipstickLover: „Cassie, du siehst mal wieder umwerfend aus. Diese Farbe bringt deine Augen so richtig zum Strahlen. Kann’s kaum erwarten, den selbst auszuprobieren.“

Plötzlich sticht mir ein ungewöhnlicher Kommentar ins Auge, der so gar nicht zu den anderen Kommentaren passt.

ShadowWatcher: „Erinnerst du dich noch an die Zeit, als du noch nicht für Klicks gelebt hast?“

Ich halte inne und mein Lächeln erstarrt. Wer schreibt denn sowas? Ich ignoriere den Kommentar und greife zum nächsten Lippenstift, einem kräftigen Rot.

„Dieser hier ist etwas gewagter, aber perfekt für einen dramatischen Look“, kündige ich an und trage den Lippenstift auf. Meine Gedanken sind bei dem seltsamen Kommentar. Warum hat er mich so getroffen? Wer könnte das geschrieben haben?

Da taucht derselbe Nutzername wieder auf.

ShadowWatcher: „Was ist aus der Cassie geworden, die sich noch für echte Dinge interessiert hat?“

Ein seltsames Gefühl kriecht in mir hoch, das sich vom Magen bis in meinen Kopf ausbreitet. Wer ist das? Warum schreibt das jemand? Ich zwinge mich, weiterzumachen, doch mein Kopf fühlt sich plötzlich schwer an. Ich ziehe den Lippenstift etwas unsauber nach, und das Ergebnis ist nicht so makellos wie sonst. Ich sehe wieder auf den Bildschirm, und da ist er erneut.

ShadowWatcher: „Du warst mal echt, Cassie. Jetzt bist du nur noch eine Hülle.“

Mein Atem stockt. Die Worte treffen mich mehr, als sie sollten. Es muss jemand sein, den ich von früher kenne. Jemand, der mir nahestand, bevor ich mein neues Leben angefangen habe. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen und ich merke, dass ich den Lippenstift zu fest in der Hand halte.

Ein weiterer Kommentar erscheint.

ShadowWatcher: „Was ist mit der Cassie passiert, die noch wusste, was wirklich wichtig ist?“

Ich greife mir den nächsten Lippenstift und spüre, wie Panik in mir aufsteigt. Die Kamera, das Licht, die Kommentare – alles verschwimmt vor meinen Augen.

ShadowWatcher: „Wirst du dafür bezahlt, um uns das Zeug aufzuschwatzen?“

Ein stechender Schmerz breitet sich in meiner Brust aus, und ich fühle, wie mein Atem flacher wird. Die Worte sind wie kleine Stiche, die an meiner Fassade kratzen. Aber ich lasse mich nicht unterkriegen. Ich mache weiter; auch, wenn es schwerer fällt, als es sollte.

Doch die Kommentare werden noch schlimmer.

ShadowWatcher: „Du bist nichts weiter als eine Marionette für die Industrie. Wo ist die echte Cassie?“

Ich kann das Zittern in meiner Hand nicht mehr verbergen. Ich sehe mein Gesicht auf dem Bildschirm. Mein Lächeln wirkt plötzlich gezwungen, fast starr. Warum berühren mich diese Worte so sehr? Es ist, als würde jemand direkt in mein Innerstes sehen und all meine Unsicherheiten aufdecken.

Ein weiterer Kommentar erscheint.

ShadowWatcher: „Bist du glücklich mit dem, was aus dir geworden ist? Oder hast du dich selbst schon längst verloren?“

Ich schlucke schwer und mein Magen zieht sich zusammen. Wer ist das? Wer sagt so etwas? Und warum fühlt es sich an, als hätte er recht? Ein seltsames Gefühl der Leere kriecht in mir hoch, aber ich kämpfe dagegen an. Ich bin stark, ich kann das.

Mit fester Stimme setze ich erneut an.

„Und für alle, die es noch intensiver mögen, habe ich hier ein dunkles Burgunderrot, das perfekt für den Abend ist.“

Aber ich kann mich nicht konzentrieren. Ich denke nur noch an die harten Worte, die mich verfolgen. Es ist, als ob die Luft im Raum plötzlich dünner geworden wäre.

ShadowWatcher: „Was ist aus der Cassie geworden, die wir kannten? Die sich nicht verkauft hat? Gibt es die noch?“

Mein Atem geht schneller und mein Herz schlägt unregelmäßig. Ich bin verwirrt, fast benommen, aber ich werde nicht aufgeben. Nicht hier, nicht jetzt. Ich lasse den letzten Lippenstift sinken und schaffe es, mein Lächeln aufrechtzuerhalten.

„Das war’s für heute, meine Lieben. Ich hoffe, euch hat die neue Kollektion gefallen. Morgen gibt es mehr. Dann stelle ich euch traumhafte Lidschatten vor, die eure Augen verzaubern. Bleibt dran.“

Der Bildschirm wird schwarz, und für einen Moment herrscht absolute Stille. Verdammter Mist, warum treffen mich diese blöden Kommentare so sehr? Weil ShadowWatcher recht hat? Bin ich oberflächlich geworden und nur noch auf Äußerlichkeiten fixiert? Und warum bin ich in den letzten Tagen eigentlich so müde?

Es ist nicht nur körperliche Müdigkeit, das spüre ich ganz deutlich. Es ist etwas Tieferes, das schon seit Wochen in mir schlummert und nun an die Oberfläche drängt. Ich fühle mich leer, als hätte ich meine Energie und Freude an die Kamera verkauft – und als sei jetzt nichts mehr für mich selbst übrig.

Drei Jahre, in denen ich alles gegeben habe, immer auf der Suche nach dem nächsten perfekten Produkt. Ich habe mich voller Begeisterung und Ehrgeiz hineingestürzt, und es hat sich gelohnt – zumindest dachte ich das. Aber jetzt? Jetzt frage ich mich, ob ich dabei nicht einen Teil von mir selbst verloren habe und ob dieser „Schattenwächter“ recht hat.

Ich seufze auf, als ich mich in meinem Stuhl zurücklehne und die Augen schließe. In meinem Kopf rauscht es, als würden all die Videos an mir vorbeiziehen und dabei ihren Glanz verlieren. Was bleibt von mir übrig, wenn man den Glamour und die perfekte Inszenierung wegnimmt?

Mein Kopf dröhnt, und ich spüre, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildet. Habe ich mich irgendwann selbst vergessen? Habe ich aufgehört, der Mensch Cassie zu sein? Bin ich nur noch die Influencerin Cassie? Die Person, die jeder in den sozialen Medien zu kennen glaubt, die aber in Wirklichkeit niemand kennt?

Ich öffne die Augen und blicke auf den Bildschirm. Und plötzlich wird mir klar: Ich will eine Pause vom Online-Leben.

Aber wie soll das gehen? Mein ganzes Leben, mein ganzes Ich ist inzwischen mit dem Internet verwoben. Jede Bewegung, jeder Gedanke, jede Inspiration wurde immer gleich in Content verwandelt. Das war mein Rhythmus, mein Atem. Und jetzt? Jetzt soll ich einfach so aussteigen?

Die sozialen Medien waren immer mein Ventil, mein Ort, um mich auszudrücken, um mich zu zeigen. Ich habe eine Gemeinschaft aufgebaut, die mich kennt, die mich unterstützt. Soll ich das wirklich aufs Spiel setzen? Die Idee, dass mein Leben ohne die ständigen Likes und Kommentare plötzlich leise und unsichtbar wird, jagt mir Angst ein.

Doch dann kommt dieses Flüstern in meinem Kopf, das sich in der letzten Zeit immer wieder meldet: Was, wenn genau diese Stille das ist, was ich brauche? Was, wenn dieses ewige Online-Sein mich mehr erschöpft, als ich es mir eingestehen will? Vielleicht habe ich mich zu sehr in dieser digitalen Welt verloren. Vielleicht habe ich vergessen, wie es ist, einfach nur ich zu sein, ohne das Publikum, ohne die Bühne.

Ich atme tief durch und schließe die Augen. Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, loszulassen. Vielleicht sollte ich das Risiko eingehen, meine Follower für eine Weile zu verlieren, um mich selbst wiederzufinden.

---ENDE DER LESEPROBE---