Knistern an Bord, 3 in 1 - Tina Keller - E-Book

Knistern an Bord, 3 in 1 E-Book

Tina Keller

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Beschreibung

3 humorvolle Romane im Sammelband: (K)Ein Mord an Bord / Fake Love on Board / Walking on Sunshine Urlaubsfeeling und nach einigen Irrungen und Wirrungen die große Liebe _____________________________________________________________________________________________________________________________________________________________

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

Zwei Jahre später

1 ♥ Holly

2 ♥ Holly

3 ♥ Holly

4 ♥ Holly

5 ♥ Holly

6 ♥ Holly

7 ♥ Holly

8 ♥ Holly

9 ♥ Holly

10 ♥ Holly

11 ♥ Holly

12 ♥ Holly

13 ♥ Holly

14 ♥ Holly

15 ♥ Holly

16 ♥ Holly

17 ♥ Holly

18 ♥ Ben

19 ♥ Ben

20 ♥ Holly

21 ♥ Holly

22 ♥ Ben

23 ♥ Holly

24 ♥ Ben

25 ♥ Holly

26 ♥ Holly

27 ♥ Ben

28 ♥ Holly

29 ♥ Holly

30 ♥ Holly

31 ♥ Holly

32 ♥ Ben

33 ♥ Holly

34 ♥ Holly

35 ♥ Holly

Noch ein Jahr später ….

Kapitel 1

Lena

Kapitel 2

Lena

Kapitel 3

Lena

Kapitel 4

Lena

Kapitel 5

Lena

Kapitel 6

Lena

Kapitel 7

Lena

Kapitel 8

Lena

Kapitel 9

Lena

Kapitel 10

Lena

Kapitel 11

Lena

Kapitel 12

Luke

Kapitel 13

Luke

Kapitel 14

Lena

Kapitel 15

Luke

Kapitel 16

Lena

Kapitel 17

Lena

Kapitel 18

Lena

Kapitel 19

Luke

Kapitel 20

Lena

Kapitel 21

Lena

Kapitel 22

Lena

Kapitel 23

Luke

Epilog – 1 Jahr später

Lena

Impressum

Originalausgabe August 2024

Knistern an Bord

Sammelband, 3 in 1

Tina Keller, Berlin, Deutschland

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder andere Verwertung

nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

Covergestaltung unter Verwendung

von DALL-E, © 2024, Tina Keller

Tina Keller

c/o Internet Marketing

und Publikations-Service

Frank W. Werneburg

Philipp-Kühner-Str. 2

99817 Eisenach

[email protected]

Tina Keller

(K)EIN MORD

AN BORD

Verliebt, verpeilt

und voll verdächtig

Lustiger Urlaubsroman

Auf der MS Traumschiff Deluxe ist die Hölle los! Burkhard, ein pensionierter Elvis Presley Imitator mit Hang zu Dramatik, ist fest davon überzeugt, auf hoher See einen Mord beobachtet zu haben.

Während er wild entschlossen ist, den vermeintlichen Mörder zu überführen, stolpert er von einer Katastrophe zur nächsten – und treibt Passagiere sowie Crew an den Rand des Wahnsinns.

Seine vorlaute Nichte Barbara und der verfressene Cousin Dieter unterstützen ihn dabei auf ihre ganz eigene Art und Weise. Als Burkhard seinen Hauptverdächtigen, den charmanten Bordunterhalter Alex, ins Visier nimmt, gerät die Situation endgültig außer Kontrolle.

Denn Burkhards Nichte Lisa findet großen Gefallen an Alex und lässt sich von ihrem tobenden Onkel keineswegs davon abhalten, die eine oder andere amouröse Stunde mit ihm zu verbringen.

Wird Burkhard den wahren Täter finden – oder ist seine einzige Errungenschaft am Ende der Pokal zum Chaoten des Monats?

Begleite Burkhard und seine schräge Familie auf einer Kreuzfahrt, die alles andere als ruhig verläuft – voller Missverständnisse, skurriler Zwischenfälle und amouröser Verwirrungen.

„(K)ein Mord an Bord“ ist eine turbulente Komödie auf hoher See, die beweist, dass selbst in den ungewöhnlichsten Situationen die wahre Liebe lauern kann – und vieles nicht so ist, wie es anfangs erscheint.

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Formularende

Kapitel 1

Ich habe soeben beschlossen, dass du uns bei unserer nächsten Kreuzfahrt begleiten wirst“, eröffnet mir meine Cousine Barbara und grinst mich verschmitzt an.

„So, hast du“, schmunzele ich und vertiefe mich in die Speisekarte. „Und ich habe da gar nicht mitzureden, nehme ich an?“

„Nein, natürlich nicht“, schmettert Barbara mich ab. „Du weißt doch, dass ich immer der Bestimmer bin. Du hast gar nichts zu sagen – genauso, wie alle anderen auch.“

„Typisch du“, seufze ich kann mich wie immer nicht zwischen all den leckeren Essens-Angeboten entscheiden.

„So warst du schon als Kind. Immer wurde nur das gespielt, was du spielen wolltest. Und wer nicht mitspielen wollte, musste eben abhauen. Yvonne aus der Nachbarschaft hast du jedes Mal zum Weinen gebracht.“

„Yvonne war eine Heulsuse und ein Weichei, und das hat sich auch nicht geändert“, winkt Barbara ab. „Die ist eine totale Diva geworden. Ihr Kind ist bis spätnachmittags in der Schule und danach meistens bei ihren Eltern. Sie hat eine Putzfrau und lässt sich ihre Einkäufe liefern. Trotzdem jammert sie die ganze Zeit herum, wieviel sie zu tun hat. Wenn ihr Mann abends völlig geschafft von der Arbeit nach Hause kommt, muss er den Haushalt schmeißen – und der Idiot macht das auch noch klaglos. Madame liegt den ganzen Tag faul auf der Couch, lackiert sich die Fingernägel und guckt Fernsehen. Ich wusste schon damals, dass sie sich so entwickeln würde. Wahrscheinlich bin ich jetzt auch noch schuld daran. Weil sie sich damals mir unterordnen musste, unterdrückt sie heute ihren Mann. Ach, sie ist einfach ein alter Giftzwerg.“

Ich muss lachen. Wie immer nimmt Barbara kein Blatt vor den Mund, aber genau das mag ich an ihr.

„Na gut, dann füge ich mich in mein Schicksal“, erwidere ich vergnügt. „Es gibt Schlimmeres, als mit dir eine Kreuzfahrt zu machen. Wohin geht es denn? Und wann stechen wir in See? Und wer ist überhaupt ‚wir‘?“

„Es geht in drei Monaten nach Island“, teilt Barbara mir meine bisher unbekannten Urlaubspläne mit. „Dabei ist die übliche Mischpoke – mein trinkfreudiger Onkel Burkhard und mein verfressener Cousin Dieter. Für beide ist eine Kreuzfahrt natürlich die reinste Offenbarung. Burkhard kann mit seiner dämlichen Saufkarte Tag und Nacht so viel trinken, bis er besoffen unter dem Tisch liegt. Dieter kann fünf Gänge in sich hinein schaufeln und danach noch ins Buffet-Restaurant gehen. Für die beiden ist es das Paradies, für alle anderen Mitreisenden ziemlich peinlich. Aber es macht trotzdem immer viel Spaß.“

„Kann ich mir vorstellen“, erwidere ich.

„Wir haben so viel auf diesen Kreuzfahrten erlebt“, schwärmt Barbara. „Es ist unglaublich, wo wir schon überall waren und was wir alles gesehen haben. Du wirst es bestimmt nicht bereuen, wenn du mitkommst.“

„Daran habe ich keinerlei Zweifel. Nach Island wollte ich sowieso immer schon mal“, verkünde ich. „Das ist wirklich ein faszinierendes Land mit den Wasserfällen, Geysiren, Vulkanen, Gletschern – und nicht zuletzt den niedlichen Papageientauchern und natürlich den Walen. Ich muss unbedingt in die Blaue Lagune! Dorthin gibt es doch sicher Ausflüge, oder?“

„Klar“, nickt Barbara. „Ausflüge werden in Massen angeboten. Wenn du jeden Tag einen buchst, sind sie teurer als die Kreuzfahrt. Wir haben oft alles auf eigene Faust gemacht. Aber manchmal sind wir ganz schön reingefallen, haben uns total abgehetzt und trotzdem nichts gesehen, zum Beispiel in Barcelona. Da muss man abwägen.“

„Okay, ich bin dabei“, entschließe ich mich spontan. „Ich habe seit der Trennung von Jonas keinen Urlaub mehr gemacht und könnte einen Tapetenwechsel gut gebrauchen.“

Barbara schüttelt den Kopf.Formularbeginn

„Sowas wie mit Jonas habe ich echt noch nie gehört“, sagt sie mitfühlend. „Haut zu einem Termin ab und kommt einfach nicht wieder. Wie kann man nur so feige sein nach fünf Jahren Beziehung? Er hätte wenigstens Bescheid sagen können.“

„Dieser Konfrontation wollte er aus dem Weg gehen“, erkläre ich. „Aber erinnere mich bloß nicht daran. Ich habe genug gelitten.“

Man liest oft von dem sprichwörtlichen Mann, der Zigaretten holen wollte und nie wieder auftaucht. So ähnlich war es bei Jonas. Er ist an einem Montagnachmittag zu einem Geschäftstermin verschwunden und einfach nicht zurück nach Hause gekommen. Nie wieder. Ich habe natürlich erst im Nachhinein festgestellt, dass er sämtliche Klamotten mitgenommen hatte. Es war alles von langer Hand geplant und er hatte sogar seinen Job gekündigt.

Jetzt lebt er in Bayern bei einer Frau, die 20 Jahre älter ist als er, aber immerhin viel Geld hat. Dass er mich mit ihr schon über ein Jahr lang betrogen hat, habe ich erst viel später von einem Bekannten erfahren. So ganz bin ich immer noch nicht über diese Kiste hinweg. Darum wird mir ein bisschen Ablenkung guttun.

☼☼☼

Ich stehe vor einem gigantischen Kreuzfahrtschiff und kriege den Mund gar nicht mehr zu, so hin und weg bin ich von der atemberaubenden Größe.

„Es sieht gar nicht aus wie ein Schiff, sondern eher wie ein riesiges Hotel“, sage ich zu Barbara, die neben mir steht. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass sich dieser Koloss überhaupt bewegen kann.“

„Das Ding sieht aus wie Dieter als Schiff“, sagt Barbara flapsig. „Bei Dieter kann ich mir auch nie vorstellen, dass er sich bewegen kann, aber dann rollt er plötzlich doch durch die Gegend. Im Grunde watschelt er wie eine dicke Ente und wankt immer total nach links und rechts. Das sieht echt lustig aus.“

„Sei bloß froh, dass er das nicht hört“, entgegne ich lachend. „Wo ist er überhaupt?“

„Er holt sich eine Übersicht von allen Restaurants“, antwortet Barbara und verdreht ihre Augen. „Neuerdings gibt es dafür Flyer. Dieses Schiff ist besonders groß und hat über 20 Restaurants. Da verliert man schon mal den Überblick. Ich bin sicher, Dieter wird sie alle testen. Und Burkhard besorgt sich schon mal seine Sauf-Flat, damit er sofort nach dem Betreten des Schiffes loslegen kann.“

„So hat eben jeder seine eigene Ansicht von Freizeitgestaltung“, grinse ich und sehe einem Typen zu, der einen Selfiestick in der Hand hält und versucht, die perfekte Aufnahme vom Schiff und gleichzeitig sich selbst zu machen, was ihm aber nicht gelingt.

„Wie viele Leute passen eigentlich auf dieses Schiff?“, frage ich.

„Sechstausend“, gibt Barbara Auskunft. „Und zweitausend an Besatzung. Und stell dir vor, die schlafen auch an Bord.“

Verwundert sehe ich meine Cousine an.

„Wo sollen sie denn sonst schlafen?“, erkundige ich mich.

Barbara beginnt zu kichern.

„Das hat eine Frau wirklich mal gefragt“, prustet sie los. „Wir wollten gerade zu dieser dämlichen Sicherheitsübung aufbrechen, mit der sie die Passagiere immer am Ankunftstag ärgern müssen. Da fragt diese Dame doch glatt: ‚Schläft das Personal auch an Bord?‘ Ich habe ihr geantwortet, dass das Personal nachts neben dem Schiff herschwimmt. Also, manche Leute haben wirklich schwer einen an der Waffel.“ Formularbeginn

Ich muss grinsen. Offenbar denken einige Menschen gar nicht nach, bevor sie den Mund aufmachen. Aber die Vorstellung, dass das Personal neben dem Kreuzfahrtschiff herschwimmt, ist schon irgendwie lustig.

Barbara und ich stehen in einer ellenlangen Schlange und müssen eine Weile warten, bis wir endlich zu einem Counter gehen können. Dort wird ein Bild von uns gemacht und wir bekommen unseren Bordpass ausgehändigt. Formularende

„Den musst du ständig bei dir tragen“, weist Barbara mich an. „Am besten hängst du ihn dir an einer Kette um den Hals, damit du ihn immer griffbereit hast. Du brauchst ihn beim Ein- und Auschecken und wenn du etwas auf dem Schiff bezahlen willst.“

„Was muss ich denn bezahlen?“, will ich wissen. „Die Getränke sind doch inklusive, oder?“

Barbara nickt. „Softdrinks, Bier und Wein zu den Mahlzeiten sind im Preis enthalten. Aber es könnte ja sein, dass du dem Souvenirshop einen Besuch abstattest oder dir einen Cocktail gönnst. Das musst du logischerweise bezahlen.“

„Klar. Und warum kauft sich Burkhard eine Getränke-Flatrate?“, frage ich verwundert.

Barbara grinst mich schelmisch an.

„Weil sich der Schluckspecht nicht nur zu den Mahlzeiten volllaufen lassen will“, erklärt sie. „Außerdem will er sich den einen oder anderen Cocktail gönnen. Sowas ist nicht inkludiert. Burkhard kriegt den Hals ja nie voll.“

Ich muss lachen. Es ist legendär, dass Burkhard bei Familienfeiern meistens völlig blau ist und anfängt zu singen, gern mit irgendeiner Frau, die sich heftig sträubt. Burkhard kennt da nichts. Er hat auch schon auf dem Tisch getanzt, ist aber leider das eine oder andere Mal runtergefallen.

Unsere Familie ist wirklich ziemlich schräg. Aber gerade darum liebe ich sie über alles.

Kapitel 2

Die wollen die Passagiere wohl abzocken, aber nicht mit mir!“, hören wir Burkhards erzürnte Stimme und drehen uns um. Und nicht nur wir. Ich habe den Eindruck, dass sich eigentlich alle Passagiere nach Burkhard umdrehen. Und das hat seinen Grund.

Unser Onkel hat nämlich ein sehr spezielles Outfit für seine Anreise gewählt: Er trägt einen weißen, hautengen Jumpsuit, der über und über mit funkelnden Strasssteinen besetzt ist. Der tiefe V-Ausschnitt gibt eine beharrte, aber erstaunlich gut ausgebildete Brust frei. Um seine Taille hat Burkhard einen breiten Gürtel mit einem riesigen Kreuz geschnallt. Seine weißen, hohen Lederstiefel reichen fast bis zu den Knien.

Das absolute Highlight seines Looks ist allerdings seine Frisur. Burkhard hat es tatsächlich geschafft, die legendäre Tolle von Elvis perfekt nachzubilden. Sie ist voluminös und glänzend und thront majestätisch auf seinem Kopf, als wäre sie das Ergebnis stundenlanger, sorgfältiger Arbeit – was sie vermutlich auch ist. Oder es ist eine Perücke.

Eine große, goldene Sonnenbrille vervollständigt den coolen Look. Ebenso zahlreiche, auffällige Ringe sowie eine schwere, goldene Kette in Gitarrenform. Kurz gesagt: Der King of Rock’n’Roll ist auferstanden.

„Hallo, Elvis“, begrüßt ihn ein junger Typ und schlägt ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Darf ich ein Selfie mit dir machen?“

„Jetzt nicht“, schnauzt Burkhard ihn ungehalten an. „Ich habe anderes zu tun. Die wollen mich hier verdursten lassen! 30 Dollar wollen sie haben für die Getränke-Flat. Das kommt ja überhaupt nicht in Frage. Gut, dass ich meine Thermoskannen mitgenommen habe. Da werde ich mir morgens immer schön Wein einfüllen, damit ich durch den Tag komme.“

„Morgens gibt es keine alkoholischen Getränke“, verkündet der Typ. „Da musst du bis mittags warten, Elvis.“

„Wieso Dollar?“, hake ich nach. „Wird hier alles in Dollar abgerechnet?“

„Quatsch“, blafft Burkhard mich an. „Ich war nur gerade in meiner Rolle drin gewesen.“

„Du warst in deiner Rolle – und nicht ‚war gewesen‘“, korrigiert Barbara ihn kopfschüttelnd.

„Hä?“, macht der Typ. „Was war hier gewesen?“

„Halt du dich mal raus und verschwinde endlich“, will Barbara den neuen Fan in die Flucht schlagen. „Elvis gibt heute keine Autogramme und lässt auch keine Bilder mit sich machen.“

„Sind das eigentlich deine echten Haare?“, erkundige ich mich und will an seine Tolle fassen, doch Burkhard hebt drohend seine Hände hoch.

„Fass bloß nicht an die Perücke, sonst war es das gewesen“, kichert Barbara albern los. „Dann steht er plötzlich oben ohne da.“

„Immer noch besser als unten ohne“, finde ich. „Hast du schon deine Bordkarte? Aber die bekommst du doch gar nicht mit der Perücke und der Sonnenbrille, oder?“

„Das haben sie auch zu mir gesagt“, grollt Burkhard. „Ich soll meine ‚Verkleidung‘ ablegen und mich erst danach fotografieren lassen. Sonst darf ich nicht aufs Schiff.“

„Es sei denn, du rennst immer so rum“, grinst Barbara. „Warum tauchst du überhaupt in so einem schrägen Outfit auf? Du weißt doch, dass ein Foto gemacht wird. Wenn sie dich jetzt knipsen und das Bild beim Ein- und Auschecken vergleichen, erkennen sie dich überhaupt nicht wieder.“

„Man erkennt mich immer“, widerspricht Burkhard hoheitsvoll. „Mit und ohne Perücke, mit und ohne Brille. Auf jeden Fall werde ich nicht diese Getränke-Flat kaufen. Obwohl Elvis natürlich genug Geld hat. Aber ich lasse mich nicht abzocken.“

„Es gibt sage und schreibe 22 Restaurants auf dem Schiff!“, ruft eine etwas heisere Stimme und wir entdecken Dieter, der freudig mit einem Flyer herum wedelt.

Dieter ist nicht ganz so schick gekleidet wie Burkhard. Er trägt eine beige, knielange Hose und ein kariertes Hemd, das aussieht wie eine Tischdecke.

„Da sind wir aber froh“, neckt Barbara ihn. „Wenigstens musst du jetzt nicht verhungern, was ja immer deine größte Angst ist.“

„Es gibt sogar einen Grill, der bis um drei Uhr morgens geöffnet hat“, begeistert sich Dieter. „Wenn sich nachts bei mir der kleine Hunger meldet, muss ich nicht in Panik verfallen. Denn leider gibt es keinen Kühlschrank auf der Kabine, in dem man seine Notration aufbewahren kann. Das macht mich schon ein bisschen unruhig.“

„Du hast wirklich Sorgen.“ Barbara tippt sich an die Stirn. „Auf einem Kreuzfahrtschiff kann man gar nicht verhungern. Du findest an jeder Ecke etwas zu essen.“

„Aber nichts zu trinken“, mosert Elvis ärgerlich. „Jedenfalls nicht zu akzeptablen Preisen.“

„Typisch deutsch“, sage ich und bewundere immer noch Burkhards geniale Haartolle. „Meckern, meckern, meckern. Seid doch froh, dass ihr euch so eine tolle Kreuzfahrt leisten könnt.“

„Bist du eigentlich gestern auf einem Kostümfest aufgetreten und hast dich nicht mehr umgezogen?“, will Barbara wissen. „Oder trittst du beim Seniorenkaffee in der Cafeteria auf?“

„Weder noch“, antwortet Burkhard und rückt seine Sonnenbrille zurecht. „Ich ziehe mich immer so an.“

„Du gehst in dieser Kluft zum Einkaufen zu Lidl?“, frage ich ihn. „Das glaubst du doch wohl selbst nicht.“

„Ich meine, zu besonderen Anlässen“, erklärt Burkhard. „Zum Beispiel beim Antritt einer Reise. Immerhin sehen mich 6.000 Menschen. Eigentlich hätte ich mir Flyer drucken lassen sollen. Die könnte ich jetzt verteilen. Ich habe nämlich einige Auftritte geplant, die ich demnächst absolvieren werde.“

Barbara stößt mich unsanft in die Seite.

„Sage ich doch: Seniorencafé im Altersheim“, frotzelt sie. „Da ist Burkhard noch der Sehende unter den Blinden. Immerhin kann er sich richtig jung fühlen, wenn die anderen an Krücken gehen oder im Rollstuhl sitzen.“

„Das ist schlimm genug, darüber macht man keine Witze“, schaltet Dieter sich ein und schüttelt mahnend den Kopf. „Aber so kennen wir Barbara: respektlos und immer einen unpassenden Spruch auf den Lippen. Ich frage mich, warum ich mit dir überhaupt in den Urlaub fahre.“

„Weil du ansonsten niemanden hast.“ Barbara zuckt mit den Schultern. „Und weil du mich im Grunde sehr gern hast und weißt, dass unter meiner harten Schale ein weicher Kern verborgen ist.“

Dieter zieht die Augenbrauen in die Höhe.

„Dieser Kern ist aber wirklich sehr verborgen. Hoffentlich geht es hier jetzt mal langsam weiter. Ich will endlich aufs Schiff und was essen. Aber die Restaurants haben alle noch geschlossen. Nur der Grill ist geöffnet. Da gibt es allerdings nur Currywurst und Burger.“

„Zum Überleben wird es reichen“, tröstet Barbara ihn. „Du kannst dir ja erstmal einen kleinen Snack gönnen und später richtig essen gehen. Ich schlage vor, du probierst heute mindestens drei Restaurants aus. Sonst schaffst du alle 22 gar nicht.“

„Die Restaurants, in denen man bezahlen muss, scheiden aus“, verkündet Dieter. „Und dann bleiben nur noch 15 übrig. Die schaffe ich locker.“

„Stimmt. Du gehst ja mindestens fünfmal am Tag essen“, erinnert Barbara sich. „Sag mal, wie kommst du in deinem Beruf als Steuerberater eigentlich zum Arbeiten, wenn du rund um die Uhr mit Essen beschäftigt bist?“

Dieter hält es nicht für nötig, darauf eine Antwort zu geben, sondern vertieft sich wieder in die Lektüre seines Flyers. Burkhard tritt an den nächsten freien Schalter und führt eine lange Konversation mit einem Crewmitglied, bevor er endlich seine Brille abnimmt und ein Foto gemacht wird.

„Jetzt musst du jeden Tag diese komische Haartolle tragen“, prustet Dieter los. „Sonst lassen sie dich nicht vom Schiff.“

„Null Problemo“, erwidert Burkhard und blickt verlangend einem jungen, hübschen Mädchen nach. „Ich werde mich hier als Sänger bewerben. Dann trete ich jeden Abend auf und kann die Kreuzfahrt umsonst machen. Und bestimmt kriege ich dann auch ein Getränkepaket dazu.“

„Das ist natürlich ein Anreiz“, finde ich und klopfe ihm auf den Rücken.

„Pass bloß auf, dass du mir nicht die Perlen runter klopfst“, fährt Burkhard mich an. „Die habe ich mühevoll in vielen Stunden drauf genäht.“

„Du hast die selbst genäht?“, frage ich erstaunt. „Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Du kannst doch gar nicht nähen.“

„Ich habe viele Talente, von denen du nicht die geringste Ahnung hast, mein Kind“, sagt Burkhard geheimnisvoll und zwinkert mir zu.

„Das wollen wir im Detail gar nicht wissen“, seufzt Barbara. „Hauptsache, wir können jetzt endlich aufs Schiff gehen. Dieter, hast du deine Bordkarte?“

Dieter nickt. „Klaro.“

„Dann lasst uns die MS Traumschiff Deluxe besteigen.“

Kapitel 3

Wow!“

Ich bin im wahrsten Sinne geblendet, als ich im Innern des riesigen Schiffs lande. Überall funkelt und blinkt es. In der Mitte des Saales befindet sich eine geschwungene Treppe, die in zwei Richtungen nach oben führt. Die Stufen sind mit Swarovski-Kristallen gefüllt, die bei jeder Bewegung im Licht funkeln. Säulen aus Marmor, ein Gewölbe mit Tausenden von Lämpchen, die aussehen wie ein Sternenhimmel, überall viel Gold und Silber – ich bin hin und weg. Es gibt gemütliche Sitzbereiche mit weichen Sofas und Sesseln, kleinen Tischen und eleganten Lampen. Weiter hinten kann ich sogar eine Bar entdecken. Auch Elvis ist sie natürlich nicht entgangen.

„Ich könnte jetzt so schön einen Cocktail trinken“, sagt er mürrisch und zupft an seiner Haartolle herum. „Aber nein, ich muss bis zum Abendessen warten, bis ich mir den billigen Wein und das dünne Bier genehmigen kann.“

„Du liebe Güte, dann gibst du eben 30 Euro pro Tag für diese dämliche Sauf-Flat aus“, stöhnt Barbara. „Ich habe keine Lust, mir eine Woche lang deine Jammerei anzuhören, dass du auf dem Trockenen sitzt.“

„Gönn dir ruhig mal etwas“, stimmt Dieter Barbara zu. „Wozu ist das Geld sonst da? Man soll sich ein schönes Leben damit machen, das ist der Sinn des Geldes.“

„Ob der Sinn darin besteht, den ganzen Tag volltrunken herumzuwanken, wage ich zu bezweifeln“, sagt Barbara spöttisch.

„Die 30 Euro rentieren sich locker“, prophezeit Dieter. „Ein paar Cocktails hier und einige Kaffeespezialitäten da… das ist überhaupt kein Problem.“

Wachsam sieht Burkhard Dieter an.

„Mir ist schon klar, was du von mir willst“, sagt er ungnädig. „Du willst auf meiner Getränkekarte mitsaufen. Du willst mich nur ausnutzen. Aber das kannst du knicken.“

Dieter verdreht die Augen.

„So ein Blödsinn. Ich habe es nur gut mit dir gemeint. Aber das wird heutzutage ja überhaupt nicht mehr geschätzt. Mach doch, was du willst. Mir doch egal.“

„Jetzt hört auf zu streiten“, schalte ich mich ein. „Lasst uns lieber zu unseren Kabinen gehen.“

„Die sind überall verstreut“, teilt Dieter uns mit. „Wir müssen uns trennen.“

Seit neuestem gibt es recht günstige Einzelkabinen und davon haben wir uns alle eine gegönnt. Bisher haben sich Dieter und Burkhard immer eine Doppelkabine geteilt, aber damit waren sie nicht mehr einverstanden. Jeder hat den anderen beschuldigt, so laut geschnarcht zu haben, dass er die ganze Nacht kein Auge zugetan hat.

Ich fahre mit dem gläsernen Aufzug auf Deck 11 und muss endlose Gänge entlanglaufen, bis ich vor meiner Kabine stehe. Aufgeregt halte ich meine Bordkarte an den Scanner und die Tür springt auf. Neugierig sehe ich mich um.

Die Kabine ist nicht besonders groß, aber äußerst gemütlich und gut durchdacht eingerichtet. Direkt vor mir befindet sich ein großes Bett mit einem bunten Baldachin.

Rechts vom Bett steht ein kleiner Schreibtisch mit einem Stuhl. Ein großer Spiegel darüber lässt den Raum größer erscheinen. Auf dem Schreibtisch steht ein Korb mit Obst und eine Flasche Wasser. Daneben entdecke ich die Informationsbroschüren über die Aktivitäten und Ausflüge, die auf uns warten.

Links vom Bett befindet sich der Eingang zum Badezimmer. Es ist zwar klein, aber funktional. Eine Dusche, ein Waschbecken, ein Regal und eine Toilette sind vorhanden – klein, aber mein. Die Handtücher sind ordentlich auf einem Regal gestapelt, und kleine Flaschen mit Pflegeprodukten stehen bereit.

Mein Blick wandert weiter zur Balkontür. Ich öffne die Glastür und trete hinaus. Der Balkon ist schmal, aber ausreichend, um zwei Stühle und einen kleinen Tisch zu beherbergen. Das ist auf jeden Fall das Highlight. Eine Einzelkabine mit Balkon! Diesen Luxus wollte ich mir auf meiner allerersten Kreuzfahrt auf jeden Fall gönnen.

Zurück in der Kabine entdecke ich den Kleiderschrank. Er ist klein, bietet aber genug Platz für meine Kleidung und Schuhe. Ich hänge einige meiner Lieblingsstücke auf und verstaue den Rest ordentlich.

Alles in allem bin ich begeistert von meiner Kabine. Sie mag klein sein, aber sie hat alles, was ich brauche. Die Aussicht vom Balkon ist atemberaubend und ich freue mich schon darauf, die nächsten Tage hier zu verbringen.

Als nächstes muss ich die Sicherheitsübung absolvieren, die neuerdings per Video abgehalten wird. Ein Comic-Männchen erklärt mir, wie man die Rettungsweste richtig anlegt, aber es ist nicht so einfach, wie es aussieht. Ich schaffe es jedenfalls nicht und stranguliere mich fast. Außerdem sitzt die Weste schief und fühlt sich unbequem an. Irgendwas muss ich nicht richtig verstanden haben.

Nach einigen Minuten des Ringens mit der Weste, die sich anfühlt, als würde sie ein Eigenleben führen, mache ich mich frustriert auf den Weg. Jetzt muss ich zu einem Crewmitglied gehen und bestätigen, dass ich die Übung absolviert habe – in dieser missglückten Weste. Es wäre allerdings hilfreich, wenn ich es vorher schaffen würde, sie richtig anzuziehen.

Einige andere Passagiere werfen mir belustigte Blicke zu. Schließlich erbarmt sich ein älterer Mann und hilft mir. Ich verstehe zwar nicht, was er eigentlich macht, aber immerhin sitzt die Rettungsweste jetzt perfekt. Wenn das Schiff wirklich untergehen sollte, muss er auf jeden Fall vorher zu mir kommen und mir diese verdammte Weste anlegen. Ich bedanke mich überschwänglich und marschiere zur Rezeption, wo schon ein Crewmitglied auf mich wartet.

„Guten Tag“, sage ich etwas atemlos. „Ich wollte bestätigen, dass ich die Sicherheitsübung gemacht habe.“

„Wunderbar“, sagt die junge Frau und zückt ein Tablet. „Wie lautet Ihre Kabinennummer?“

„11.258“, antworte ich, und sie tippt etwas ein.

„Alles klar, Frau Bergmann. Vielen Dank. Sie können die Rettungsweste jetzt wieder ablegen.“

Auch das ist leichter gesagt als getan, aber schließlich schaffe ich es mit hochrotem Kopf und komme mir ziemlich dämlich vor. Sollte das Schiff unerwartet untergehen, habe ich schlechte Chancen und kann nur versuchen, mich in ein Rettungsboot zu flüchten. Das mit der Sicherheitsweste klappt im Notfall wohl nicht.

☼☼☼

Natürlich können wir Dieter nicht allein lassen und begleiten ihn auf dem Weg zum Grill. Je näher wir dem Grill kommen, desto schneller kann Dieter plötzlich laufen. Man kann förmlich sehen, wie ihm das Wasser im Munde zusammenläuft.

Burkhard grüßt als Elvis huldvoll nach rechts und links und ist jetzt auch in der Stimmung, ein paar Selfies machen zu lassen.

Dieter stürmt an die Essensausgabe und gibt atemlos seine Bestellung auf.

„Vier Hamburger, drei Mal Pommes und zwei Portionen Chicken Wings“, ruft er mit leuchtenden Augen. „Das geht hier ja schnell, oder?“

„Zwei Minuten“, versichert der junge Mann hinter der Theke und nickt Dieter aufmunternd zu.

„Dieter, das ist nicht dein Ernst, oder?“ Barbara stemmt die Hände in die Hüften. „Das ist keine Fütterungsstation für Elefanten.“

Burkhard nickt zustimmend und zieht an seinem glitzernden Elvis-Kragen.

„Mann, das ist kein Las Vegas Buffet. Selbst der King würde sagen, das ist zu viel.“

Dieter winkt ab. „Ruhe jetzt. Ich habe Hunger.“

Barbara schnaubt. „Hunger? Das sieht aus, als ob du dich auf einen All-you-can-eat-Wettbewerb vorbereiten würdest. Lass es mal ein bisschen langsamer angehen, bevor du noch platzt.“

„Ich habe dich nicht gebeten, mein Essverhalten zu kommentieren“, blafft Dieter ungehalten. „Ich hätte euch gar nicht mitnehmen sollen. Warum seid ihr überhaupt mitgekommen? Nur, damit ihr mich niedermachen könnt?“

„Stell dir vor, wir haben auch Hunger“, teile ich Dieter mit. „Oder willst du alles allein aufessen, so dass für uns nichts mehr übrigbleibt?“

Dieter murmelt etwas in seinen nicht vorhandenen Bart und sieht dem jungen Mann ungeduldig dabei zu, wie er ein Tablett voll häuft. Offenbar geht es ihm nicht schnell genug.

„Wir sollten uns allerdings nicht satt essen“, schlägt Barbara vor. „Das sind hier nicht unbedingt die kulinarischen Genüsse. Hebt euch euren Hunger lieber für ein richtiges Restaurant auf.“

„Hier gibt es nicht mal die Getränke dazu“, wettert Burkhard los. „Die muss man allen Ernstes auch noch bezahlen! So eine Unverschämtheit! Hätte ich bloß das Getränkepaket gebucht.“

„Das kannst du ja immer noch tun“, beruhige ich ihn. Ich hoffe, das macht er auch, sonst quengelt er die ganze Zeit herum – und das wäre nicht auszuhalten.

Formularbeginn

Formularende

Kapitel 4

Nachdem Dieter sein umfangreiches Menü in Rekordzeit verschlungen hat, beschließen wir, uns das Schiff anzusehen. Es gibt hier wirklich alles. Barbara und mich interessieren besonders die Boutiquen und Souvenirshops.

„Alles Quatsch, das guckt ihr euch nie wieder an“, prophezeit Dieter. „Meine neue Regel lautet: Sammele Erlebnisse und nicht Dinge.“

„Deine Erlebnisse bestehen vorwiegend aus Futtern“, gluckst Barbara. „So ein buntes Leben führst du nun auch wieder nicht.“

„Das kannst du überhaupt nicht beurteilen“, schnauzt Dieter. „Zum Glück wohnen wir nicht zusammen.“

Burkhard zieht einen Seemannshut aus einem Regal, aber leider kann er ihn wegen seiner kunstvollen Haartolle nicht aufsetzen.

„Ich kaufe mir ein aufblasbares Schiff“, beschließe ich. „Damit kann ich zu Hause in der Badewanne sitzen und mich an die Kreuzfahrt erinnern.“

„Das ist auf jeden Fall eine sinnvolle Anschaffung“, lobt Barbara mich und wir lachen.

Gleich nebenan gibt es eine Kunstgalerie, in der Gemälde und Skulpturen ausgestellt sind. Mir gefällt ein Bild am besten, auf dem Brigitte Bardot abgebildet ist, hinter ihr ein paar Sehenswürdigkeiten von London. Aber leider kostet das Bild dreitausend Euro und übersteigt damit bei weitem meine finanziellen Verhältnisse.

Unsere nächste Station ist die Bibliothek, ein gemütlicher Raum mit Regalen voller Bücher und bequemen Lesesesseln. Große Fenster bieten einen herrlichen Blick auf das Meer, und die Atmosphäre ist ruhig und entspannend. Hier werde ich mich an den Seetagen ganz sicher aufhalten.

Dann gibt es noch ein Spiele-Zimmer, das mit Billardtischen, Tischtennisplatten und Brettspielen ausgestattet ist. Und natürlich befinden sich überall die verschiedensten Restaurants, die jetzt noch geschlossen sind. Dieter kann sich ein sehnsüchtiges Seufzen nicht verkneifen. Wir passieren ein italienisches Restaurant mit rot-weiß karierten Tischdecken und einem Holzofen, in dem Pizzen gebacken werden. Daneben befindet sich ein Sushi-Restaurant mit minimalistischer Einrichtung und frischen Zutaten.

Wir kommen an einer Bar vorbei, die in ein tiefes Blau getaucht ist. Die Lichter sind gedimmt, und sanfte Klänge von Jazzmusik erfüllen den Raum. Der Barmann mixt geschickt Cocktails, die in verschiedenen Farben leuchten. Ich kann Burkhards Verlangen förmlich spüren, doch er bleibt standhaft und wir gehen weiter.

Weiter oben befindet sich ein Fitnessbereich, der mit modernsten Sport-Geräten ausgestattet ist. Große Fenster bieten einen atemberaubenden Blick auf das Meer. Ich kann mir vorstellen, wie motivierend es sein muss, hier zu trainieren. Dieter interessiert dieser Raum natürlich überhaupt nicht, während Burkhard die Geräte eingehend inspiziert. Dabei erfahre ich, dass Burkhard zwei- bis dreimal in der Woche in ein Fitnessstudio geht.

Direkt neben dem Fitnessstudio liegt der Spa-Bereich und der Duft von ätherischen Ölen empfängt uns. Die gedämpfte Beleuchtung und die eleganten Möbel schaffen eine beruhigende Atmosphäre.

„Ich könnte eine Massage buchen“, überlegt sich Dieter, und auch Burkhard ist begeistert von dieser Vorstellung.

„Ich buche eine vierhändige Massage von zwei hübschen Thailänderinnen“, erklärt Burkhard mit glänzenden Augen. „Dabei kann ich mich so richtig entspannen.“

„Da musst du Geizhals aber tief in die Tasche greifen“, macht Barbara ihm klar. „Unter zweihundert Euro läuft gar nichts.“

„Ich werde diesen Urlaub in vollen Zügen genießen“, nimmt Burkhard sich vor. „Und dazu gehört für mich auch eine schöne Massage. Und ihr habt recht – ich werde jetzt gleich zur Rezeption gehen und das Getränkepaket buchen. Es macht keinen Spaß, auf dem Trockenen zu sitzen. Das ist doch kein Leben. Das ist doch kein Urlaub.“

„Habe ich es dir nicht gesagt?“, grinst Barbara mich an. „Der eine ist fresssüchtig und der andere Alkoholiker. Wir haben mit unserer Reisebegleitung wirklich das große Los gezogen.“

„Wir sind eine sehr charmante Reisebegleitung“, stellt Burkhard klar und wedelt drohend mit seinem Finger. „Und wenn du das anders sehen würdest, würdest du nicht dauernd mit uns wegfahren, oder?“

„Es gibt eben keine Alternative“, erwidert Barbara trocken. „Aber nein, ihr seid schon in Ordnung.“

„Da sind wir ja beruhigt“, grummelt Dieter, lacht aber dabei.

Unser Rundgang endet an einem Aussichtspunkt auf dem obersten Deck, wo uns eine frische Brise entgegenweht. Die Weite des Meeres breitet sich vor uns aus, ein schier endloses Blau, das am Horizont mit dem Himmel verschmilzt. Ich atme tief ein und genieße den salzigen Duft.

Die Pools glitzern im Sonnenlicht, und die Liegestühle laden zum Entspannen ein. Einige Gäste schwimmen oder sonnen sich, während Kinder lachend in den flachen Bereichen planschen. Es herrscht eine fröhliche, unbeschwerte Stimmung, die ansteckend ist. Ich freue mich, dass ich hier sein kann und strahle meine Verwandten an.

„Es ist toll hier“, sage ich begeistert. „Man kann alles machen und hat so viele Möglichkeiten! Und dann noch Island, dieses wunderschöne Land. Ich bin froh, dass du mich zu dieser Reise überredet hast, Barbarella.“

„Gern geschehen“, sagt Barbarella und verbeugt sich vor mir. „Ich wollte einfach nicht mit diesem schrägen Gestalten namens Burkhard und Dieter allein sein. Bisher hat sich zum Glück immer eine Cousine oder Freundin bereit erklärt, uns zu begleiten.“

Dieter beginnt schallend zu lachen.

„Wenn jemand eine schräge Gestalt ist, dann ja wohl du“, teilt er Barbara mit. „Mit deinen roten Haaren siehst du aus wie ein Feuermelder. Oder eher wie eine Hexe. Das trifft es auch irgendwie besser.“

Barbara streckt ihrem Cousin undamenhaft die Zunge heraus.

„Wie du aussiehst, sage ich jetzt lieber nicht“, übt sie sich ausnahmsweise in vornehmer Zurückhaltung.

Wir begeben uns an die Rezeption und Burkhard ersteht mit leuchtenden Augen sein Getränke-Paket.

„Jetzt geht es aber so richtig los!“, ruft er euphorisch und steuert sofort die nächste Bar an. „Ich hätte gern einen Orgasmus.“

Barbara grölt unbeherrscht los.

„Hoffentlich hält der Name nicht, was er verspricht“, feixt sie.

„Burkhard!“, zische ich. „Bist du verrückt geworden? Das kannst du doch hier nicht so laut herausschreien! Außerdem ist das in dieser Situation wohl auch ein bisschen unpassend.“

Burkhard lächelt mich nachsichtig an.

„Meine liebe Lisa, ‚Orgasmus‘ ist die Bezeichnung für einen Cocktail, der aus Amaretto, Likör, Kaffee und Baileys besteht. Was denkst du eigentlich von mir? Ich würde doch niemals in der Öffentlichkeit herum posaunen, dass ich… also wirklich, Mädchen! Kennst du deinen Onkel so schlecht?“

„Ich habe den Eindruck, ich kenne dich gar nicht, Elvis“, grinse ich. „Willst du jetzt eigentlich die ganze Zeit so herumlaufen und Selfies machen lassen? Vielleicht solltest du dich wirklich mal erkundigen, ob du hier auftreten kannst.“

„Kann ich und werde ich“, informiert Burkhard uns. „Es findet nämlich wieder ein Talentwettbewerb statt. Selbstverständlich werde ich daran teilnehmen. Einmal habe ich ihn ja schon gewonnen. Ich bin nun mal der Beste. Ich sehe nicht nur so aus wie Elvis, sondern ich singe auch so.“

„Letztens war deine Stimme ziemlich in Mitleidenschaft gezogen“, kichert Barbara. „Du hast dich angehört wie eine krächzende Krähe. Und bewegt hast du dich, als hättest du einen Hüftschaden.“

„Papperlapapp“, winkt Burkhard ab. „Man kann mich vom King of Rock’n‘Roll stimmlich überhaupt nicht unterscheiden. Ich singe genauso wie er. Vielleicht sogar noch besser.“

Dieter tippt sich an die Stirn.

„Du leidest an gnadenloser Selbstüberschätzung“, charakterisiert er Burkhard. „Ein bisschen Bescheidenheit wäre angebracht.“

„Aber wieso denn?“, fragt Burkhard unschuldig. „Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter komm ick ohne ihr.“

„Das lassen wir mal so stehen“, finde ich.

In diesem Moment überreicht der Kellner Burkhard einen riesigen Cocktail mit einem bunten Schirmchen.

„Viel Spaß mit Ihrem ‚Orgasmus‘“, wünscht er Burkhard süffisant grinsend.

„Werde ich haben“, gibt Burkhard liebenswürdig zurück. „Vielleicht nicht so viel Spaß wie mit einem echten, aber immerhin.“

Ich kann nur mit dem Kopf schütteln, muss aber auch lachen. Unsere Familie mag zwar schräg sein, aber eins ist sie ganz bestimmt nicht: langweilig. Und das ist wirklich sehr erfrischend.

Kapitel 5

Natürlich bleibt es nicht bei einem einzigen Cocktail. Burkhard ist so euphorisch, dass er alles in rauen Mengen trinken kann, dass er sich einen Cocktail nach dem nächsten bestellt. Und das alles noch vor dem Essen.

Als die Restaurants endlich öffnen, stürzen wir sofort los und beladen unsere Tabletts mit allerlei kulinarischen Köstlichkeiten. Es ist zwar voll im Buffet-Restaurant, aber merkwürdigerweise empfinde ich es nicht als unangenehm. Ich freue mich, dass wir einen wunderbaren Blick aus den gigantischen Fenstern haben und lasse es mir schmecken. Ich finde es toll, dass es alles gibt, was das Herz begehrt und ich sozusagen die Qual der Wahl habe.

Bei Dieter ist das nicht der Fall. Er isst einfach alles, was das Buffet hergibt und schleppt ein Tablett nach dem nächsten an. Er ist richtiggehend berauscht.

Auch Burkhard ist berauscht, im wahrsten Sinne des Wortes. Vor ihm stehen diverse leere Cocktailgläser und seine Laune ist in der letzten Stunde beträchtlich gestiegen. Barbara und ich sind mit dem Angebot an Wein- und Erfrischungsgetränken vollauf zufrieden. Allerdings nippen wir ab und zu auch ein bisschen an Burkhards umfangreicher Spirituosen-Sammlung.

„Heididei, was für eine schöne Kreuzfahrt“, lallt Burkhard und pfeift einem Crew-Mitglied nach. „Das macht so richtig Spaß! Herr Ober, ich hätte gern noch einen… einen… wie hieß der zweitletzte Cocktail nochmal?“

„Waldemar“, witzelt Barbara und betrachtet die vielen Gläser, die Burkhard sorgfältig aufgereiht hat.

„Findest du nicht, dass es jetzt genug ist?“

Burkhard schüttelt heftig den Kopf.

„Es ist nie genug“, beginnt er zu singen. „Wir machen jetzt einen kleinen Ausflug. Haben alle einen Cuba Libre in der Hand… ja, genau! So hieß der Cocktail! Wie konnte ich das nur vergessen! Hey, Herr Kellner da hinten, einen Cuba Libre, bitte!“

„Ich würde eher einen Kaffee empfehlen“, seufzt Barbara. „Ich sehe dich schon heute Nacht ins Bett pinkeln.“

„Gut, dass ich mir mit dieser Schnapsdrossel keine Kabine mehr teilen muss“, freut sich Dieter und beißt herzhaft in einen Burger.

„Ich bin keine Schnapsdrossel“, weist Burkhard empört von sich. „Ich habe heute überhaupt keinen Schnaps getrunken.“

„Was glaubst du denn, was in den Cocktails drin ist?“, gibt Dieter zurück. „Bestimmt nicht nur Mineralwasser und Fruchtsäfte.“

„Ich suche jetzt erstmal die Lokalität für kleine Schnapsdrosseln auf“, verabschiedet Burkhard sich. „Bis später dann.“

„Hoffentlich geht das nicht die ganze Zeit so“, stöhnt Barbara, als Burkhard verschwunden ist. „Mensch Dieter, musstest du ihn unbedingt dazu animieren, dass er sich diese dämliche Sauf-Karte besorgt? Du weißt doch genau, wie das immer ausgeht. Burkhard ist völlig besoffen und quatscht ständig junge Frauen an.“

Dieter zuckt mit den Achseln.

„Lass ihn doch. Man ist schließlich nur einmal alt. Wer weiß, wie viele Jahre der arme Burkhard noch hat. Die sollte er wenigstens genießen dürfen.“

„Burkhard wird bestimmt 120“, lacht Barbara. „Er ist einfach unverwüstlich. Naja, gut, wenn du meinst. Jeder hat eben seine Laster. Obwohl… ich habe eigentlich keins, wenn ich mir das so richtig überlege. Oder fällt euch eins ein?“

„Du machst die Menschen um dich herum gnadenlos fertig“, meint Dieter. „Und das ist viel schlimmer, als sich zu betrinken.“

„So ein Quatsch“, widerspricht Barbara. „Ich trage lediglich zur allgemeinen Erheiterung bei. Das musst du zugeben, Dieterle. Du hast immer viel Spaß mit mir.“

„Ich würde eher sagen, du hast viel Spaß auf Kosten anderer“, korrigiert Dieter seine Cousine.

Er steht auf und schiebt sich wieder zum Buffet.

„Also echt, Dieter frisst das ganze Buffet allein auf“, sagt Barbara kopfschüttelnd. „Er könnte sich auch gleich die ganzen Schalen mitnehmen. Es ist unglaublich, was er alles in sich hineinstopft. Wo lässt er das nur?“

„Lass ihm doch seinen Spaß“, entgegne ich. „Das Angebot ist phänomenal. Man weiß gar nicht, was man zuerst essen soll.“

„Dieter isst so lange, bis er platzt“, prophezeit Barbara. „Manchmal mache ich mir um ihn ernsthafte Sorgen. Er will immer abnehmen, setzt das aber nie in die Tat um. Sicher ist es schwierig, aber er schleppt bestimmt 180 Kilo mit sich herum. Das ist nicht gesund. Und je älter er wird, desto kribbeliger wird es.“ Sie sieht plötzlich ganz ernst aus.

„Und mit Burkhard ist es auch nicht anders. Er säuft wie ein Loch. Auch das ist nicht gesund. Zum Glück macht er viel Sport, aber trotzdem. Wir müssen ein bisschen auf unsere Männer aufpassen.“

„Wo bleibt Burkhard eigentlich?“, frage ich. „Ist er ins Klo gefallen? Er ist schon eine ganze Weile weg. Sollen wir ihn mal suchen? Vielleicht ist er auf der Toilette bewusstlos zusammen gebrochen.“

„Stimmt, er ist wirklich schon ziemlich lange weg“, stimmt Barbara mir zu. „Komm, wir sagen Dieter kurz Bescheid und schauen nach, wo er geblieben ist.“

Gesagt, getan. Barbara und ich verlassen das Restaurant und müssen eine Weile suchen, bis wir die Herrentoiletten entdecken. Barbara hat wie immer keine Skrupel, geht einfach in die Örtlichkeiten hinein und sucht dort jede Kabine ab. Stirnrunzelnd kommt sie wieder heraus.

„Hier ist er nicht“, sagt sie verwundert. „Weder bewusstlos noch in einem anderen Zustand. Er ist einfach nicht da.“

„Vielleicht gibt es in der Nähe noch eine andere Toilette“, vermute ich. „Komm, wir gucken mal nach.“

Doch so sehr wir auch suchen, wir finden keine andere Toilette und kehren an den ersten Platz zurück. Barbara durchsucht nochmal sämtliche Kabinen und steht dann ratlos vor mir.

„Vielleicht hat er ein bisschen frische Luft geschnappt“, fällt mir ein. „Er war ziemlich betrunken. Möglicherweise ist er von selbst auf den Gedanken gekommen, dass er von der frischen Luft wieder einen klaren Kopf bekommt.“

„Oder er ist zur nächsten Bar gewankt“, sagt Barbara düster. „Obwohl er die Cocktails ja auch im Restaurant bekommen hat. Von daher würde das eigentlich keinen Sinn machen.“

Ratlos sehen wir uns an. Wo ist unser Onkel Burkhard? Wohin zum Teufel ist er verschwunden?

Die Glastür öffnet sich und Dieter steht auf der Schwelle.

„Burkhard ist weg“, verkünde ich. „Wir können ihn nirgendwo finden. Barbara hat ihn sogar schon in der Herrentoilette gesucht, aber da ist er auch nicht.“

„Das ist aber seltsam“, findet Dieter, dessen Mund in allen möglichen Farben verschmiert ist. „Vielleicht ist er zu seiner Kabine getrottet?“

„Aber das macht er doch nicht, ohne uns Bescheid zu geben“, wende ich ein.

„Wenn er uns vergessen hat, dann schon“, sagt Barbara. „Er hatte ganz schön gebechert. Vielleicht hat er alles um sich herum vergessen, und damit auch uns. Das ist doch möglich, oder? Burkhard hat schon so viel Mist gebracht, aber dass er spurlos verschwunden ist, hatten wir noch nicht. Was sollen wir denn jetzt machen?“

„Wir sehen in seiner Kabine nach“, schlägt Dieter vor. „Nummer 9.777. Gut, dass ich sie mir gemerkt habe. Also los, nichts wie hin.“

Wir müssen eine Weile auf den gläsernen Fahrstuhl warten, dann fahren wir zu Deck 9. An Burkhards Kabinentür klopfen wir laut und rufen seinen Namen, doch nichts rührt sich. Zum Glück können wir einen Steward ausfindig machen, der die Kabine öffnet. Aber Burkhard ist nicht da.

„Jetzt kriege ich langsam aber wirklich Angst“, sage ich und merke, wie mir die Sorge um Burkhard fast den Atem nimmt.

„Oh Gott, ihr glaubt doch nicht, dass…“

Ich verstumme und wage kaum, Barbara und Dieter anzusehen.

„Dass er volltrunken über Bord gegangen ist?“, vervollständigt Barbara meinen Satz und wird ganz blass. „Ehrlich gesagt ist mir dieser Gedanke auch schon gekommen. Ich meine, er war wirklich sternhagelvoll. Vielleicht wollte er ein bisschen Luft schnappen und dann…“

Sie schluckt und hat plötzlich Tränen in den Augen.

„Oh nein, nicht mein lieber Onkel Burkhard“, flüstert sie. „Bitte nicht. Warum haben wir nicht besser auf ihn aufgepasst? Wir haben doch gesehen, wie betrunken er war. Einer von uns hätte mitgehen müssen.“

„Zur Toilette?“, fragt Dieter pikiert. „Du meinst ernsthaft, ich hätte mit ihm aufs Klo gehen sollen?“

„Du siehst doch jetzt, was passiert ist!“, schreit Barbara unbeherrscht los. „Burkhard ist von Bord gegangen, weil du nicht mit ihm aufs Klo gehen wolltest! Du hast ihn auf dem Gewissen!“

„Jetzt bin ich natürlich schuld!“, brüllt Dieter. „Burkhard ist doch kein kleines Kind mehr, das sich nicht allein seine Hose runterziehen kann. Nein, ich bin nicht schuld. Das kannst du mir nicht in die Schuhe schieben.“

„Wir gehen nochmal hoch“, bestimme ich. „Vielleicht ist er wieder ins Restaurant zurückgekehrt. Ich glaube nicht, dass er über Bord gegangen ist. So leicht geht das nicht. Da musst du erstmal auf die Reling klettern – und das kriegt er in seinem Zustand gar nicht mehr hin. Er hat sich bestimmt nur verirrt. Das ist hier auch alles ein bisschen unübersichtlich und verwirrend. Bestimmt ist er im Restaurant und sucht uns.“

„Hoffentlich“, weint Barbara. „Ich würde es mir niemals verzeihen, wenn ihm etwas zugestoßen ist.“

Ich habe sie selten so aufgelöst gesehen. Egal, wie sehr sie immer frotzelt und Burkhard aufzieht – sie liebt ihren Onkel über alles. Genauso wie wir auch. Und deswegen werden wir ihn jetzt finden. Ihm darf einfach nicht passiert sein.

Und intuitiv spüre ich, dass das auch so ist. Ihm geht es – den Umständen entsprechend – gut.

Aber wo zum Teufel ist er?

Kapitel 6

Das erste, was wir sehen, als wir im Buffet-Restaurant eintreffen, ist – Burkhard! Er gestikuliert wild mit den Händen herum und schreit einem Offizier an, der ihn stirnrunzelnd betrachtet.

„Aber ich habe es mit eigenen Augen gesehen!“, brüllt Burkhard in ohrenbetäubender Lautstärke.

Leider hört er nicht mehr besonders gut, was er natürlich stets abstreitet.

„Mit meinen eigenen Augen!“, wiederholt er theatralisch.

„Womit willst du es denn sonst gesehen haben?“, mischt sich ein bärtiger Mann ein. „Das geht ja wohl nur mit den eigenen Augen. Oder hast du es mit den Augen von Elvis gesehen?“

„Ich will, dass man mich ernst nimmt!“, zetert Burkhard und ist schon ganz rot vor lauter Wut.

„Was ist passiert?“, will ich wissen, während Barbara ihrem Onkel schluchzend um den Hals fällt. Burkhard sieht sie irritiert an.

„Was ist denn mit dir los?“, will er mit schwerer Zunge wissen. „Ich habe jetzt keine Zeit für Zärtlichkeiten. Ich muss das unbedingt aufklären.“

„Was musst du unbedingt aufklären?“, will Dieter wissen, dem die Erleichterung ins Gesicht geschrieben steht.

„Ich habe einen Mord beobachtet!“, schreit Burkhard so laut, dass sämtliche Leute in ihren Bewegungen innehalten. „Es ist jemand über Bord gegangen! Mord an Bord! Ich habe es genau gesehen. Und niemand glaubt mir. Das ist ungeheuerlich.“

„Es wäre nett, wenn Sie Ihre Lautstärke etwas drosseln könnten“, sagt der Offizier. „Und es ist überhaupt nicht erwiesen, dass jemand über Bord gegangen ist.“

„Ich habe es aber gesehen!“, poltert Burkhard unbeherrscht los. „Mit meinen eigenen Augen. Ach, das sagte ich bereits. Womit auch sonst. Nein, das hast du da vorne gesagt. Aber was mischt du dich eigentlich ein? Ich möchte, dass Sie jetzt sofort ein Protokoll von meiner Aussage aufnehmen.“

Der Offizier seufzt.

„Was soll ich denn aufnehmen?“, fragt er. „Wer weiß, was Sie in Ihrem Zustand noch so alles gesehen haben. Sie sind ja wirklich nicht mehr ganz nüchtern.“

„Das tut überhaupt nichts zur Sache!“, grollt Burkhard. „Mein Zustand geht Sie einen feuchten Keller… äh… Kehricht an. Machen Sie mal lieber Ihre Arbeit und schreiben Sie ein Protokoll mit mir als Zeugen. Ich habe ganz genau gesehen, wie ein Mann eine Frau über Bord geworfen hat. Es war schrecklich, ganz furchtbar. Ich habe es gesehen! Sie können das doch nicht ignorieren! Sie können nicht einfach einen Mord ignorieren! Was ist das hier überhaupt für ein seltsames Schiff?“

Burkhard schwankt leicht, und Barbara und ich halten ihn fest.

„Rufen Sie sofort die Polizei“, verlangt Burkhard und stupst den Offizier mit seinem knochigen Finger in die Brust. „Ich will eine Aussage machen. Sie müssen mich zu Protokoll nehmen. Also, meine Aussage müssen Sie zu Protokoll nehmen. Vor allem müssen Sie sofort das Schiff anhalten und nach der Vermissten suchen. Vielleicht können Sie sie noch lebendig bergen. Höchste Eisenbahn ist geboten. Warum machen Sie denn nichts? Sie können doch nicht einfach weiterfahren und die Frau ertrinken lassen! Sind Sie eigentlich verrückt geworden?“

„Das müsste man eher dich fragen“, mischt sich eine dünne Frau ein und schüttelt missbilligend den Kopf. „Du hast dich total betrunken und irgendwelche Halluzinationen gehabt. Hier ist niemand über Bord gegangen. So ein Quatsch.“

„Am besten überprüfen Sie alle Paare, die angereist sind“, bestimmt Burkhard resolut. „Sie müssen prüfen, ob noch alle vollzählig vorhanden sind. Bei einem Paar wird die Frau fehlen. Und der Mann ist dann der Mörder. Das lässt sich sehr leicht aufklären. Alle Paare müssen jetzt sofort antreten. Alle. Machen Sie eine Durchsage.“

Der Offizier schüttelt den Kopf.

„Das machen wir ganz sicher nicht. Wir machen doch nicht so einen Aufstand, nur weil… naja. Nein, das machen wir auf gar keinen Fall.“

„Nur, weil eine Frau ermordet worden ist?“, ruft Burkhard erbost und zittert am ganzen Körper. Er ist kreidebleich und völlig außer sich.

„Ist das hier etwa die Regel? Geht hier ständig jemand über Bord? Wird hier dauernd jemand ermordet? Ist das hier das Todesschiff? Kreuzfahrt in den Tod?“

„Jetzt beruhig dich mal ein bisschen, Burkhard“, sagt Dieter und klopft seinem Onkel auf die Schulter. „Vielleicht glaubst du ja nur, dass du das gesehen hast.“

„Ich habe sogar den Mörder gesehen“, brüllt Burkhard. „Ich weiß genau, wie er ausgesehen hat. Machen Sie eine Zeichnung nach meinen Angaben! Ich werde Ihnen den Mann genau beschreiben. Oder ich gehe einfach überall herum. Alle Männer müssen antreten. Ich gucke mir jeden an – und dann kann ich Ihnen sagen, wer den Mord begangen hat.“

„Sie wollen sich dreitausend Männer ansehen und den richtigen erkennen?“ Der Offizier scheint Burkhards Worte anzuzweifeln. „Das glauben Sie doch wohl selbst nicht.“

„Doch, das glaube ich“, sagt Burkhard ärgerlich. „Wir müssen schnell handeln, das sagte ich doch bereits! Halten Sie endlich das Schiff an, zum Kuckuck nochmal! Noch hat die Frau eine Chance!“

„Guter Mann, es ist keine Frau über Bord gegangen“, sagt der Offizier. „Das ist nur in Ihrem beduselten… äh… das ist nur in Ihrem Kopf passiert. Am besten, Sie legen sich in Ihre Kabine und schlafen Ihren Rausch aus. Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Vielleicht haben Sie Ihren bösen Traum dann schon wieder vergessen.“

„Das war kein böser Traum gewesen!“

Burkhard stampft zornig mit dem Fuß auf und sieht aus wie Rumpelstilzchen.

„Warum glauben Sie mir eigentlich nicht? Warum zweifeln Sie an meinen Worten? Ich bin ein rechts laufender… äh… rechts schaffender… wie heißt das nochmal?“

„Rechtschaffender Bürger“, hilft Dieter ihm und wendet sich an den Offizier.

„Sie halten es für ausgeschlossen, dass mein Onkel tatsächlich beobachtet hat, dass jemand über Bord gegangen ist?“

Der Offizier schüttelt den Kopf.

„Das halte ich für ziemlich ausgeschlossen.“

„Mord an Bord! Mord an Bord!“, schreit Burkhard wie von Sinnen los und läuft schwankend durch das Restaurant. „Es ist jemand über Bord gegangen! So tut doch was! Wir können die arme Frau doch nicht einfach ertrinken lassen! Warum hilft ihr denn keiner? Mord an Bord!“

„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Ihren Bekannten jetzt auf seine Kabine bringen würden“, schlägt der Offizier sichtlich genervt vor. „Er macht hier seit einer Viertelstunde alle verrückt. Das geht nicht. Wenn er sich weiterhin so aufführt, muss er in seiner Kabine bleiben. Die anderen Passagiere dürfen nicht in Panik versetzt werden. Bitte versuchen Sie, den alten Mann zu beruhigen.“

„Das habe ich gehört!“, schreit Burkhard erbost. „Ich bin kein alter Mann! Nur, weil ich die 50 überschritten habe, bin ich noch lange nicht alt.“

„Die 50 hast du aber schon vor 30 Jahren überschritten“, mischt sich eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren ein. „Von daher bist du schon ziemlich alt.“

„Und du bist ziemlich frech“, schnauzt Barbara sie an, obwohl das gerade die Richtige sagt.

„Lass bloß meinen Onkel in Ruhe, sonst bekommst du es mit mir zu tun.“

„Wir bringen dich in deine Kabine“, schlage ich vor und will Burkhard wegziehen, doch der bleibt störrisch stehen.

„Ich gehe nirgendwo hin, bevor ich nicht ein Protokoll abgegeben habe“, erklärt er wütend. „Das macht man so bei einem Mord.“

„Vielleicht haben Sie eine besonders große Möwe gesehen“, vermutet eine füllige Frau in einem Blumenmuster-Kleid.

Burkhard tippt sich an die Stirn.

„Denken Sie eigentlich, ich wäre völlig bescheuert?“, giftet er. „Ich kann doch wohl eine Möwe von einer Frau unterscheiden! Also, wenn ich das nicht könnte, hätte ich nicht... Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Ich habe genau gesehen, wie eine Frau über Bord gegangen ist. Sie ist ins Meer geflogen. Und ich habe den Mann gesehen, der sie gestoßen hat. Er hat mich ganz erschrocken angeguckt und ist dann weggelaufen. Ich wollte hinter ihm herlaufen, bin aber gestolpert und hingefallen. Als ich mich wieder aufgerappelt hatte, war er weg gewesen. Aber ich habe ihn gesehen. Ich weiß ganz genau, wie er aussieht. Schicken Sie mir endlich jemanden, der eine Zeichnung macht.“

„Vielleicht können Sie ihn selbst zeichnen“, schlägt der Offizier feixend vor. „Und jetzt verlassen Sie bitte das Restaurant und gehen auf Ihre Kabine. Ich möchte Sie hier heute Abend nicht mehr sehen.“

Kapitel 7

Wenige Minuten später sitzt Burkhard zitternd auf dem Bett in seiner Kabine und versucht sich an einer Zeichnung. Da er allerdings nicht besonders begabt ist, kommt nicht mehr als ein Strichmännchen dabei heraus

„Sah der Mann irgendjemandem ähnlich?“, versuche ich es. „Vielleicht irgendeinem Schauspieler oder einem Filmstar, an dessen Aussehen man sich orientieren könnte?“

„Ich weiß genau, wie der Mann aussah“, murmelt Burkhard verbissen. „Aber ich kriege das jetzt irgendwie nicht aufs Papier. Ich brauche einen professionellen Zeichner, aber den wollen sie mir ja nicht zur Verfügung stellen. Ich verstehe einfach nicht, dass nichts unternommen wird. Ich habe einen Mord beobachtet und die tun alle so, als sei ich senil und betrunken. Das ist aber nicht so. Ich habe das wirklich gesehen. Ihr glaubt mir doch, oder?“

Seine blauen Augen füllen sich mit Tränen.

„Ihr glaubt doch nicht, dass ich senil und betrunken bin?“

„Natürlich nicht“, beeilen wir uns zu versichern.

„Wir können nicht einfach so herumsitzen“, beschließt Burkhard plötzlich und springt auf. „Wir müssen etwas unternehmen. Wo ist der Kapitän? Wir müssen ihn aufsuchen. Er muss sofort die Maschinen stoppen. Auf zur Kommandobrücke!“

„Du weißt doch gar nicht, wie du zur Kommandobrücke kommst“, versuche ich ihn aufzuhalten, doch Burkhard macht nur eine ärgerliche Handbewegung.

„Und selbst, wenn du sie finden solltest, wird man dich nicht reinlassen“, ergänzt Dieter. „Außerdem sind wir schon viel zu weit weg. Wenn wirklich eine Frau über Bord gegangen ist, ist sie längst ertrunken.“

Burkhard schlägt die Hände vors Gesicht.

„Oh mein Gott“, heult er los. „Ich habe das alles gesehen und konnte es trotzdem nicht verhindern. Ich hätte ihr wenigstens einen Rettungsreifen zuwerfen sollen. Aber ich muss jetzt einfach was tun, versteht ihr das nicht?“

Er reißt die Kabinentür auf und stürmt los. Wir stürmen ihm hinterher.

„Burkhard, wo willst du denn hin?“, japst Dieter, der Mühe hat, mit dem wesentlich älteren Burkhard Schritt zu halten. Aber Burkhard ist eben bestens durchtrainiert, wenn er auch ein bisschen schwankt. Sein Elvis-Kostüm glitzert im Licht der Flure und er ignoriert die neugierigen Blicke der Passagiere, die sich wundern, dass Elvis mit seinem Tross so schnell und zielstrebig unterwegs ist.

„Du weißt gar nicht, wo sich die Brücke befindet. Und selbst wenn – du kommst nicht rein“, wiederholt Dieter, der völlig aus der Puste ist.

Doch Burkhard läuft zielstrebig weiter. Wir landen schließlich auf einem der unteren Decks, zu dem eigentlich nur die Besatzung Zutritt hat. Der Unterschied zu den prächtigen Passagierbereichen ist offensichtlich. Hier gibt es keine üppigen Teppiche oder glitzernden Kronleuchter. Stattdessen dominieren schlichte, praktische Materialien. Die Wände sind aus einfachem Metall und in einem unauffälligen Grau gestrichen. Überall herrscht eine geschäftige, aber dennoch organisierte Atmosphäre.

Das Deck ist eng und wirkt funktional. Entlang der Wände stehen Schränke und Regale, die mit allerlei Werkzeugen und Ausrüstungen gefüllt sind. Ein paar Crewmitglieder huschen an uns vorbei. Jeder scheint genau zu wissen, was zu tun ist. Die Luft ist erfüllt von einem leisen Summen und dem entfernten Brummen der Maschinen. An einer Wand hängt ein großes Schaltpanel, übersät mit Knöpfen und Anzeigen, die in verschiedenen Farben blinken. Daneben befindet sich ein Plan des Schiffes, auf dem die wichtigsten Notausgänge und Sicherheitsvorkehrungen markiert sind. Es ist ein faszinierender Anblick, der mich an die komplizierte Struktur erinnert, die nötig ist, um so ein riesiges Schiff zu betreiben.

In den Ecken stehen mehrere Stühle und ein paar Tische, die wenig komfortabel aussehen. Wahrscheinlich sind sie für die kurzen Pausen der Crew gedacht. Auf einem Tisch steht eine halbvolle Kaffeekanne neben einem Stapel von Dokumenten und einem alten Kartenspiel. Die Beleuchtung ist gedämpft und kommt hauptsächlich von Neonröhren, die an der Decke befestigt sind. Es herrscht ein industrielles Flair, das einen starken Kontrast zu den luxuriösen Bereichen der Passagiere bildet.

Trotz der schlichten Einrichtung fühle ich eine seltsame Ehrfurcht vor diesem Bereich. Hier wird die harte Arbeit geleistet, die sicherstellt, dass unsere Reise reibungslos und angenehm verläuft. Es ist eine Erinnerung daran, wie viel hinter den Kulissen passiert, um den Traum einer Kreuzfahrt wahrzumachen.

Plötzlich taucht ein Crewmitglied vor uns auf. Er sieht nicht gerade sehr erfreut aus und runzelt die Stirn. Bevor er etwas sagen kann, tritt Burkhard vor und hebt dramatisch die Hand, als wolle er einen Schwur ablegen.

„Ich habe einen Mord beobachtet!“, verkündet er laut, wobei er etwas lallt. Außerdem schwankt er leicht, was natürlich keinen guten Eindruck macht.

Hendrik, wie auf seinem Schild steht, blinzelt und schaut Burkhard an, als hätte er gerade behauptet, er sei der Kapitän höchstpersönlich.

„Mein Herr, das hier ist der Bereich für die Besatzung. Sie dürfen sich hier nicht aufhalten“, sagt er streng. „Bitte gehen Sie zurück in den Bereich der Passagiere.“

Burkhard lässt sich jedoch nicht abwimmeln.

„Ich schwöre, ich habe es gesehen! Ein Mann hat eine Frau über Bord geworfen!“

Seine Augen sind weit aufgerissen, und er gestikuliert wild mit den Armen, als würde er die Szene nachstellen.

Dieter stöhnt leise und murmelt etwas von „zu viel Rum“. Barbara verdreht die Augen und verschränkt die Arme vor der Brust. Hendrick seufzt tief und sieht aus, als würde er sehr gern woanders sein.

„Mein Herr, ich bin mir sicher, dass Sie sich irren. Aber wenn Sie darauf bestehen, kann ich den Sicherheitsdienst rufen.“

Jetzt ergreife ich das Wort, um die Situation ein bisschen zu entschärfen.

„Es tut mir leid, aber mein Onkel hat wohl etwas zu viel getrunken. Wir wollten einen kleinen Rundgang machen und haben uns verirrt.“

Ich lächele entschuldigend und hoffe, dass Hendrik Nachsicht übt.

Burkhard schaut mich empört an.

„Ich habe nicht viel getrunken! Na ja, vielleicht doch, aber ich vertrage auch viel. Außerdem ist das überhaupt nicht der Punkt! Wir müssen den Kapitän informieren!“

Er dreht sich um und marschiert los, wobei er über seine eigenen Füße stolpert und sich gerade noch fängt. Hendrik schüttelt entnervt den Kopf und greift nach seinem Funkgerät.

„Ich werde den Sicherheitsdienst benachrichtigen. Bitte folgen Sie mir.“

Wir laufen Hendrik durch endlose Gänge hinterher, bis wir uns schließlich in einem kleinen Raum wiederfinden, der das Büro des Sicherheitsdienstes darstellt. Burkhard nimmt auf einem Stuhl in der Mitte des Raumes Platz. Seine Miene ist ernst und entschlossen, während zwei Sicherheitsbeamte ihn skeptisch mustern. Wir anderen drei stehen lieber.

„Also, mein Herr“, beginnt der erste Sicherheitsbeamte, ein kräftiger Mann mit einem wachsamen Blick. „Sie behaupten, Sie hätten einen Mord beobachtet?“

Burkhard nickt eifrig.

„Ganz genau! Ich habe gesehen, wie ein Mann eine Frau über Bord geworfen hat. Es war...“

Er hält inne, als würde er die Details abrufen wollen. Aber so ganz gelingt ihm das offenbar nicht.

„Es war auf Deck… ähm…“

Er schaut sich hilfesuchend um, als ob die richtige Antwort irgendwo an der Wand geschrieben stünde.

Der zweite Sicherheitsbeamte, ein junger Mann mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck, hebt eine Augenbraue.

„Und zu welcher Uhrzeit war das?“

„Es war… ähm… kurz nach dem Abendessen. So gegen sieben oder acht. Nein... vielleicht neun? Aber ich schwöre, ich habe es gesehen!“

Burkhard versucht, überzeugend zu klingen, doch die Unsicherheit in seiner Stimme macht es schwer, ihn ernst zu nehmen.

„Ich fasse mal zusammen“, sagt der ältere Sicherheitsoffiziere und verdreht die Augen. „Sie wissen weder, auf welchem Deck Sie das scheinbare Verbrechen gesehen haben, noch, um welche Uhrzeit es passiert ist.“

„Da können wir helfen“, mische ich mich ein. „Wir waren auch dort. Es war im Buffet-Restaurant auf Deck 15 und es war zwischen 19 Uhr und 19:30 Uhr.“

„Genau“, stimmt Burkhard mir erleichtert zu. „Genauso war es gewesen. Mein Neffe… äh… meine Nichte hat das ganz richtig gesagt.“

Dankbar nickt er mir zu.

Der erste Sicherheitsbeamte beugt sich vor und schaut Burkhard direkt in die blauen Augen.

„Haben Sie sonst noch etwas Auffälliges gesehen?“

Burkhard überlegt kurz.

„Ja! Der Mann hatte eine Tätowierung am linken Oberschenkel. Quatsch, am linken Oberarm, meine ich natürlich. Und die arme Frau... sie trug... etwas Rotes.“ Er nickt eifrig, als ob das die Sache klären würde.

Barbara seufzt auf.

„Vielleicht war es der Weihnachtsmann.“

Die Sicherheitsbeamten tauschen einen Blick, der keinerlei Zweifel daran lässt, dass sie Burkhard für komplett unzurechnungsfähig halten.

„Ich weiß, was ich gesehen habe!“, sagt Burkhard erzürnt. „Rufen Sie den Kapitän. Er wird mir glauben!“

Der erste Beamte richtet sich auf.

„Wir werden den Vorfall untersuchen. Wir werden alle Kamera-Aufzeichnungen in der fraglichen Zeit auf Deck 15 durchsehen. Wir geben Ihnen dann Bescheid.“

„Wollen Sie nicht meine Personalien aufnehmen?“, erkundigt Burkhard sich erzürnt. „Ich habe den Eindruck, Sie nehmen das alles hier überhaupt nicht ernst.“

„Natürlich nehmen wir Sie ernst“, behauptet der jüngere Sicherheitsbeamte und grinst von einem Ohr zum anderen. „Vielleicht bringen die Kameras Licht ins Dunkel.“

„Ich heiße Bergmann“, stellt Burkhard sich hoheitsvoll vor. „Burkhard Bergmann. Meine Kabinennummer ist …“ Hilfesuchend sieht er uns an.

„9.777“, gebe ich Auskunft und nicke den beiden Beamten zu. „Es wäre wirklich nett, wenn Sie die Kamera-Aufzeichnungen durchsehen und uns Bescheid geben würden.“