9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €
Bootleg Springs - die erfolgreiche Reihe der Bestsellerautorinnen Claire Kingsley und Lucy Score.
June Tuckers Welt besteht aus Zahlen, Daten und Statistiken. Menschen hingegen sind für sie schon immer ein Rätsel gewesen. Im kleinen Bootleg Springs fühlt sie sich als Außenseiterin, die mit den Partys und Line-Dance Veranstaltungen so gar nichts anfangen kann. Nur bei George Thompson fühlt sie sich wohl und angekommen. Doch je mehr Zeit vergeht, umso größer wird Junes Angst, dass sie ihm nicht geben kann, was er braucht ...
George "GT" Thompson war auf dem Höhepunkt seine Football Karriere, als eine Verletzung all seine Träume zerstörte. Jetzt hofft er, in der Kleinstadt in West Virginia zur Ruhe zu kommen und sich über sein künftiges Leben klar zu werden. Nie hätte er damit gerechnet, sich zu verlieben. Doch June, die so ganz anders ist als er und all die anderen, fasziniert ihn. Als der Vermisstenfall von Bootleg Springs eine schreckliche Wendung nimmt, ist er an Junes Seite, um die Wahrheit herauszufinden. Aber wird ihre Freundschaft das überstehen oder scheitern sie an ihren Unterschieden?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 485
Liebe Leserin, lieber Leser,
Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.
Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.
Wir wünschen viel Vergnügen.
Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team
Bootleg Springs - die erfolgreiche Reihe der Bestsellerautorinnen Claire Kingsley und Lucy Score.
June Tuckers Welt besteht aus Zahlen, Daten und Statistiken. Menschen hingegen sind für sie schon immer ein Rätsel gewesen. Im kleinen Bootleg Springs fühlt sie sich als Außenseiterin, die mit den Partys und Line-Dance Veranstaltungen so gar nichts anfangen kann. Nur bei George Thompson fühlt sie sich wohl und angekommen. Doch je mehr Zeit vergeht, umso größer wird Junes Angst, dass sie ihm nicht geben kann, was er braucht ...
George "GT" Thompson war auf dem Höhepunkt seine Football Karriere, als eine Verletzung all seine Träume zerstörte. Jetzt hofft er, in der Kleinstadt in West Virginia zur Ruhe zu kommen und sich über sein künftiges Leben klar zu werden. Nie hätte er damit gerechnet, sich zu verlieben. Doch June, die so ganz anders ist als er und all die anderen, fasziniert ihn. Als der Vermisstenfall von Bootleg Springs eine schreckliche Wendung nimmt, ist er an Junes Seite, um die Wahrheit herauszufinden. Aber wird ihre Freundschaft das überstehen oder scheitern sie an ihren Unterschieden?
Claire Kingsley schreibt Liebesgeschichten mit starken, eigensinnigen Frauen, sexy Helden und großen Gefühlen. Ein Leben ohne Kaffee, E-Reader und neu erfundene Geschichten ist für sie nicht vorstellbar. Claire Kingsley lebt mit ihrer Familie im pazifischen Nordwesten der USA.
Lucy Score ist New York Times- und USA Today-Bestsellerautorin. Sie wuchs in einer buchverrückten Familie in Pennsylvania auf und studierte Journalismus. Wenn sie nicht gerade ihre herzzerreißenden Protagonist:innen begleitet, kann man Lucy auf ihrer Couch oder in der Küche ihres Hauses in Pennsylvania finden. Sie träumt davon, eines Tages auf einem Segelboot, in einer Wohnung am Meer oder auf einer tropischen Insel mit zuverlässigem Internet schreiben zu können.
Einmal im Monat informieren wir Sie über
die besten Neuerscheinungen aus unserem vielfältigen ProgrammLesungen und Veranstaltungen rund um unsere BücherNeuigkeiten über unsere AutorenVideos, Lese- und Hörprobenattraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehrFolgen Sie uns auf Facebook, um stets aktuelle Informationen über uns und unsere Autoren zu erhalten:
https://www.facebook.com/aufbau.verlag
Registrieren Sie sich jetzt unter:
http://www.aufbau-verlage.de/newsletter
Unter allen Neu-Anmeldungen verlosen wir
jeden Monat ein Novitäten-Buchpaket!
Claire Kingsley, Lucy Score
Bourbon Bliss
Aus dem Amerikanischen von Juna-Rose Hassel
Cover
Titel
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Titelinformationen
Grußwort
Informationen zum Buch
Newsletter
Widmung
1: George
2: June
3: George
4: George
5: June
6: June
7: George
8: June
9: June
10: George
11: June
12: June
13: George
14: June
15: June
16: George
17: June
18: June
19: George
20: June
21: George
22: June
23: George
24: June
25: George
26: June
27: George
28: June
29: George
30: June
31: George
32: June
33: June
34: George
35: June
36: June
37: George
38: June
39: George
40: June
41: June
42: George
Epilog: June
Liebe Leserin, lieber Leser,
Danksagungen
Impressum
Lust auf more?
Für alle Mädels, die ein wenig schräg sind. Bleibt seltsam.
1
Die Schmerzen in meinem Knie waren stärker, als sie sein sollten.
Seit meinem Kreuzbandriss und der nachfolgenden Operation waren mehr als acht Wochen vergangen, es sollte eigentlich nicht mehr so wehtun. Anstatt im VIP-Raum des Bleu Martini – einem bei meinen Teamkollegen beliebten Club in Philly – umherzuschlendern, ruhte ich mich mit hochgelegtem Bein in einer luxuriösen Nische aus.
Die gedämpften Lichter tauchten den Raum in einen bläulichen Schein. Durch die Wände konnte ich die Musik des Clubs wummern hören, aber unsere Privatparty war ruhiger geworden. Die weichen R&B-Klänge hörten sich an wie Rex’ patentierte Sex-Playlist. So wie mein Teamkollege sein neuestes Groupie an die Wand drängte, war es wahrscheinlich wirklich seine Sex-Playlist.
Ich bewegte mein Bein ein wenig und bemühte mich, nicht sichtlich zusammenzuzucken. Wahrscheinlich sollte ich es lieber zu Hause mit Eis kühlen. Aber Rex hatte damit gedroht, mich heute Abend hierher zu zerren, wenn ich nicht käme. Und ich hatte nicht zugegeben, wie schlimm es wirklich war.
Mit meinem Agenten hatte ich bereits gesprochen. Und mit meinem Coach. Meine Teamkollegen hatten die Neuigkeiten noch nicht gehört. Meine Karriere als Profi-Footballer war offiziell zu Ende.
In mancherlei Hinsicht war das niederschmetternd. Football war das Einzige, womit ich mich wirklich auskannte. Ich spielte, seit ich fünf gewesen war.
Doch in dem Moment, als ich auf dem Spielfeld zu Boden gegangen war und mein Knie vor Schmerz schrie, hatte ich es gewusst. Es war mein zweiter Kreuzbandriss in fünf Jahren. Nach dem ersten war mir ein Comeback gelungen. Von zweien erholte man sich nicht. Nicht, wenn es dasselbe Knie und man selbst ein zweiunddreißigjähriger Receiver war. Auch wenn alle, von den Ärzten bis hin zu meinem Agenten, versucht hatten, das Beste daraus zu machen, hatte ich es gewusst. Das beendete meine Karriere. Ganz egal, wie viel ich trainierte – es würde mich nicht retten.
Deshalb war ich nicht überrascht gewesen, als mein Arzt sein abschließendes Urteil verkündete. Glücklich war ich nicht darüber. Aber überrascht auch nicht.
»Was geht, GT?« Deacon Phillips, Defensivspieler des Jahres, fünfmaliger Profi-Linebacker. Genau wie ich war er auch nicht mehr der Jüngste. Allerdings hatte er es ohne Verletzung durch die Saison geschafft.
Ich lehnte mich zurück, als würde ich nicht das Knie hochlegen, sondern mich einfach in einem Club entspannen. Als wäre ich zu cool für die ganze Action. »Ich genieße die Atmosphäre.«
»Bullshit.« Er stellte sein Bier auf den Tisch und rutschte zu mir in die Nische. »Verarsch mich nicht, Mann. Kommst du wieder zurück?«
Ich wandte den Blick ab. Den Jungs würde das nicht gefallen. Ich wusste, dass sie sich Hoffnungen machten. Mit mir hatten sie es bis ins Play-off geschafft, aber das erste Spiel verloren. Ein bitter enttäuschendes Ende einer Saison, die so perfekt begonnen hatte. Wir hatten alle gehofft, ich würde das durchziehen und wir könnten es nächstes Jahr noch mal versuchen.
»Nein, Mann. Nach dem hier komme ich nicht mehr zurück.«
»Shit«, murmelte Deacon. Er schüttelte den Kopf. »Können sie dir kein bionisches Bein verpassen oder so? Herrgott. Das war’s für dich? Echt jetzt?«
Ich nickte und ließ es sacken, während ich es laut aussprach. »Ja. Das war’s für mich. Kein Football mehr.«
»Ich habe es irgendwie kommen sehen, aber das ist echt brutal, Bro. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
»Spar dir die Mitleidsnummer. Ich hatte einen guten Lauf. Ihr werdet es auch ohne mich schaffen.«
Er schüttelte den Kopf, als würde er mir das nicht abnehmen.
Ich holte tief Luft und sah mich um. Sah das Dutzend Typen an, mit denen ich die letzten paar Jahre gespielt hatte. Das Schlimmste daran war das Gefühl, sie im Stich zu lassen. Ganz zu schweigen von den Coaches und dem Personal. Sie hatten jede Menge Hoffnung in mich gesetzt – in mich und diese magischen Hände. So gut auch der Ball an ihnen kleben blieb, ohne Beine zum Laufen nutzten sie mir gar nichts. Ohne das Fahrgestell war ich nur irgendein langer Kerl mit riesigen Händen.
»Wissen es die anderen schon?«, fragte Deacon.
»Die Organisation weiß Bescheid. Es ist offiziell. Aber ich muss es den Jungs allmählich beibringen.«
»Shit.«
»Ja.« Viel mehr gab es dazu nicht zu sagen.
Er warf einen Blick über die Schulter, und mir war klar, wen er ansah. MacKenzie Lyons. Meine immer-mal-wieder und momentane Nicht-Freundin. Sie war vor etwa zehn Minuten gekommen, und bisher schien sie so zu tun, als würde sie mich nicht sehen. Ich fragte mich, ob sie gewusst hatte, dass ich hier war. Wir waren nie dahintergekommen, weshalb so viele Frauen zu wissen schienen, wo meine Teamkollegen und ich abhingen. Niemand hatte je für sich beansprucht, sie eingeladen zu haben, und doch waren immer Frauen da.
Ich wusste nicht so recht, ob ich MacKenzie heute Abend sehen wollte. War ja nicht unbedingt eine meiner glanzvollsten Stunden. Eigentlich eher ein Tiefpunkt. Wollte ich wirklich, dass sie das Ende meiner Karriere miterlebte?
Vielleicht würde ich es gut sein lassen und abhauen.
Als könnte sie sehen, dass ich kurz davor war, aufzustehen und zu gehen, unterbrach MacKenzie das Gespräch mit einer Frau, die ich nicht kannte, sah zu mir herüber und kam an meinen Tisch. Selbst ich musste zugeben, dass sie heiß aussah in diesem engen schwarzen Kleid und den hohen Absätzen.
»Glaub mir, Alter«, meinte Deacon, während er aufstand. »Du solltest sie bumsen, solange du noch kannst.«
»Deacon«, sagte MacKenzie, und er hob beim Weggehen sein Kinn in ihre Richtung.
Ich bedeutete ihr, sich zu setzen. Anmutig ließ sie sich neben mich gleiten. »Was macht das Knie?«
»Großartig«, log ich.
»Ja?« Ihr Gesicht hellte sich auf. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.« Zu Beginn der letzten Saison hatten wir – wieder mal – Schluss gemacht. Ich rechnete ihr hoch an, dass sie nach der Operation angerufen und gefragt hatte, ob ich etwas brauchte. In Anbetracht dessen, dass wir nicht mehr zusammen waren, wäre das nicht nötig gewesen, deshalb wusste ich diese Geste zu schätzen.
»Du kennst mich, ich schaffe das. Ich falle immer auf die Füße.«
»Ja, das tust du.« Sie stieß mich sanft an und knabberte an ihrer Unterlippe.
Es wäre gelogen gewesen, zu sagen, ich wäre nicht in Versuchung. Sie sah mich kokett und anzüglich an, was mir zeigte, dass sie heute Abend eine sichere Nummer wäre. Ich könnte die Hände an diesen gefügigen Schenkeln hinaufwandern lassen. Mich vorbeugen und mit den Lippen über die empfindsame Haut an ihrem Halsansatz streichen. Sie für mich heißmachen. Sie mit zu mir nach Hause nehmen.
Nichts war verkehrt an gutem Sex. Klang momentan genau richtig.
Doch danach würden die Komplikationen kommen. Die Fragen. Ich war eigentlich nicht der Typ für One-Night-Stands, und das wusste sie. Würde sie wieder mit mir zusammen sein wollen? Was würde sie von mir erwarten, wenn ich mich darauf einließe?
Ich kannte die Antwort auf diese Frage, und das reichte aus, damit ich die Hände bei mir behielt. Damit ich mich beherrschte, die obszöne Menge an Schenkel zu streicheln, die unter dem kurzen Rock hervorlugte. Sie würde teure Restaurantbesuche wollen. Geschenke, vorzugsweise Designerkram. Urlaube. Exklusive Orte, erste Klasse, Fünfsternehotels. Deshalb datete MacKenzie Sportler. Deshalb hatte sie mich gedatet.
Vor ihr hatte ich Schlimmere gedatet – Frauen, die schamlos und dreist waren in ihrem Streben nach dem schwer zu erreichenden Profi-Sportler-Freund. MacKenzie hatte wenigstens versucht, mir Zugang zu ihren Gefühlen zu gewähren. Es ging ihr nicht ausschließlich um das, was ich ihr kaufen konnte, oder um den Status, den sie erlangte, indem sie mit mir ausging. Doch es hatte nicht gereicht. Sie hatte immer mehr erwartet. Mehr Geld, mehr Geschenke, mehr Luxus.
Für viele der Jungs, mit denen ich spielte, war das okay. Sie waren glücklich, wenn sie ihre Freundinnen mit Diamanten und Designerhandtaschen überschütten, für ihre Luxusapartments und ihre teuren Autos bezahlen konnten. Für sie war es eine geschäftliche Transaktion. Sie boten einen gewissen Lifestyle, während die Frauen gewisse Annehmlichkeiten mit sich brachten. Ein heißes Date, mit dem man sich sehen lassen konnte. Versauten Sex hinter verschlossenen Türen – manchmal auch davor.
Das reichte mir nicht. Ich wollte mehr. Ich wollte Gefühle. Etwas Echtes. Die Jungs warfen mir meine angeblich hohen Standards vor. Aber es war nicht so, dass mir die Groupies und Möchtegernstarlets nicht heiß genug wären. Das Problem war, dass diese Frauen mich aus den völlig falschen Gründen begehrten. Sie wollten GT Thompson, den Profi-Receiver. Sie wollten nicht mich.
Ich hatte gedacht, MacKenzie wäre vielleicht anders. Hatte es inzwischen zweimal gedacht, und hatte mich beide Male geirrt. Ich würde es nicht noch mal versuchen, ganz egal, wie irrsinnig sie in diesem figurbetonten schwarzen Kleid aussah.
»Was ist los?«, gurrte sie. Sie trug heute Abend dick auf. Ich fragte mich, welches Spiel sie trieb. Mit den Fingernägeln strich sie sanft über mein Schienbein, über meine Hose. »Einsam?«
»Nee, alles gut«, log ich. Zum zweiten Mal heute Abend. »Ich entspanne mich nur.«
Ihre Finger blieben an meinem Bein, strichen auf und ab. Vertraut. Zu vertraut, aber ich wollte mich nicht bewegen, für den Fall, dass ich zusammenzuckte.
»Soll ich uns eine Flasche Champagner holen?«, fragte sie. »Um ein wenig zu feiern?«
»Was feiern wir?«
»Zweite Chancen?«
Ich zog die Augenbrauen nach oben. Wenn sie damit uns meinte, waren wir mit der zweiten Chance bereits durch. »Was für zweite Chancen? Und meinst du zweite … oder dritte?«
Ihre Mundwinkel sanken nach unten. »Ich meine die nächste Saison. Eine zweite Chance auf die Play-offs.«
Die Worte kamen heraus, bevor ich sie aufhalten konnte. »Ich bin raus, Mac. Für mich gibt es keine nächste Saison.«
Irgendein Gefühlsausdruck huschte ihr übers Gesicht. Schock. Vielleicht Entsetzen. War sie meinetwegen wirklich so mitgenommen?
»Was?«, fragte sie.
»Es wird kein Comeback geben. Kein Football mehr.«
»Das ist nicht dein Ernst«, sagte sie, wobei sich ihr Schock zu einem falschen Lächeln auflöste, bei dem ihre grellroten Lippen die strahlend weißen Zähne preisgaben. »Natürlich kommst du wieder zurück. Du fällst immer auf die Füße.«
»Dieses Mal nicht.«
Ihr Rücken wurde gerade, und sie rückte weg. »Setzt du dich zur Ruhe?«
Ich nickte. Mehr gab es nicht hinzuzufügen.
Sie wölbte nun nicht mehr den Rücken, sodass ihre Möpse und ihr zugegebenermaßen fantastischer Hintern betont wurden. Sie hatte ein fieses Resting Bitch Face, das nun voll zum Einsatz kam. Keine Sanftheit mehr. Kein Mitgefühl.
»Das war mir nicht klar.« Sie stand auf, drückte die kleine, mit Pailletten besetzte Clutch an sich. »Tut mir leid, das zu hören.«
»Beschissen gelaufen«, sagte ich und breitete die Arme wieder weit aus. Ich spielte immer noch die Rolle des Kerls, der zu entspannt war, als dass ihn irgendetwas aus der Fassung bringen könnte.
»Natürlich.« Sie setzte erneut ein falsches Lächeln auf. »Schön, dich gesehen zu haben, GT. Pass auf dich auf.«
Ich hob das Kinn. »Du auch.«
Sie ging weg, ohne sich noch mal umzusehen. Es spielte keine Rolle, dass ihr Hintern in diesem Kleid einfach toll aussah. Ihr sinnlicher Hüftschwung bereitete mir Übelkeit, keine Erregung.
Ich war mir nicht sicher, weshalb es mir einen solchen Stich versetzte, von einer Frau abgewiesen zu werden, die ich nicht haben wollte, aber es war so. In der Sekunde, in der sie erfahren hatte, dass meine Karriere vorbei war, war sie weg gewesen. Total desinteressiert. Es sollte mich nicht überraschen. Aber ich hätte gedacht, dass sich MacKenzie wenigstens die Mühe machen würde, zu fragen, ob es mir gut damit ging. Sich vielleicht Sorgen um meine Zukunft machte. Fragte, was ich als Nächstes vorhatte.
Das hatte sie aber nicht. Und das hätte keine Rolle spielen sollen. Tat es aber.
Ich blickte zu meinen Teamkollegen – meinen Freunden. Zu den Mädchen, die sich todschick zurechtgemacht hatten mit ihren engen Kleidern und teuren Schuhen. Ich war von Schönheit umgeben. Attraktiven Menschen, hübschen Kleidern. Aber es war hohl, leer, bedeutungslos. Und ich begriff, dass ich bereit war, damit abzuschließen. Bereit, das Leben eines Profi-Athleten hinter mir zu lassen und einen neuen Weg einzuschlagen.
Mein Knie tat immer noch verdammt weh, und MacKenzies Zurückweisung schmerzte. Aber irgendwo da draußen wartete bestimmt mehr auf mich. Eine Welt, die mich für mehr zu schätzen wusste als dafür, ein Spiel zu spielen.
Und vielleicht wartete da draußen auch sie. Die Frau, die mehr in mir sah als nur den Kerl, der gut einen Ball fangen konnte.
2
Die Nachricht von Cassidy kam, als ich gerade meinen Arbeitstag beendete, ihre Nummer leuchtete auf meinem Handy auf. Ich beendete erst meine Tätigkeit, ehe ich sie las, trug noch ein paar Zahlen in die Tabelle ein, obwohl ich das Ergebnis bereits kannte. Bei mir ging es schneller, die Berechnungen im Kopf vorzunehmen, als die Datensätze und Tabellen anzulegen. Aber für meine Kunden war es notwendig, dass die Zahlen noch anderswo als in meinem Kopf existierten. Deshalb die Tabellen und Diagramme.
Als ich fertig war, speicherte ich alles und klappte den Laptop zu. Neunundachtzig Komma zwei Prozent der Zeit arbeitete ich im Homeoffice. Die übrigen zehn Komma acht Prozent verbrachte ich in Baltimore, wo mein Arbeitgeber saß. Ich war Aktuarin, und zwar eine sehr gut bezahlte. Zu Beginn meiner Karriere hatte ich für eine große Versicherungsfirma gearbeitet, war jedoch vor ein paar Jahren in die Consulting-Branche gewechselt. Das alles passte mir gut. Mir gefiel meine Arbeit – und ich war sehr kompetent darin –, aber in Bootleg Springs zu bleiben, war eine Priorität gewesen. Mein derzeitiges Arrangement ermöglichte mir das.
Auch wenn meine Schwester etwas anderes behauptete, blieb ich nicht in Bootleg, weil ich mich nicht in die große weite Welt hinauswagte. Ich blieb, weil mir das gut passte. Hier war es ruhig – meistens zumindest. Ich kannte jeden in der Stadt. Hatte eine Alltagsroutine. Meine Familie war hier. Ich sah keinen zwingenden Grund wegzugehen.
Ich nahm mein Telefon und las Cassidys Nachricht.
Cassidy: Mädelsabend, Juney! Wir gehen ins Lookout. Soll ich dich um 8 abholen?
Ich: Es ist Donnerstag.
Cassidy: Na und?
Ich: Wir gehen freitags aus.
Cassidy: Das weiß ich, aber es ist spontan. Scarlett und Leah Mae kommen auch. Das wird lustig.
Ich: Okay, aber du brauchst mich nicht abzuholen. Wir treffen uns dort.
Ich seufzte und legte mein Handy weg. Eigentlich war ich nicht besonders erpicht darauf, heute Abend auszugehen. Es war unter der Woche, was aber nicht bedeutete, dass es im Lookout weniger chaotisch wäre als an einem Freitag. Es wäre laut, und wahrscheinlich würde es zu einer Schlägerei kommen.
Aber ich machte meine jüngere Schwester gern glücklich. Nicht dass ich irgendeine Ahnung hätte, weshalb es Glücksgefühle bei meiner Schwester und ihren Freundinnen auslöste, wenn sie in einer lärmenden Bar alkoholische Getränke zu sich nahmen. Aber so war es, deshalb tat ich ihr den Gefallen.
Es gab vieles, was ich an Cassidy nicht verstand. Tatsächlich verstand ich in Bezug auf Menschen im Allgemeinen eine ganze Menge nicht. Das hatte ich vor langer Zeit akzeptiert. Ich versuchte nicht, mich anzupassen oder herauszufinden, weshalb Menschen mich verwirrten. Ich verstand sie nicht, hatte aber auch nicht den Antrieb, es zu versuchen.
Menschen waren seltsam. Sie sagten Dinge, die sie nicht so meinten, und taten Dinge, die in keinem Bezug standen zu dem, was sie sagten. Ich fand sie unberechenbar und deshalb unbequem.
Zahlen hingegen ergaben einen Sinn. Auf sie konnte man sich verlassen. Sie gehorchten den Regeln und waren vorhersehbar. Zum Beispiel konnte ich komplexe mathematische Gleichungen im Kopf lösen, begriff aber nicht, weshalb meine Schwester und Bowie es nicht schon vor Jahren geschafft hatten, eine romantische Beziehung anzufangen, wo ihre Gefühle füreinander doch für jedermann klar ersichtlich gewesen waren.
Zahlen ergaben einen Sinn. Menschen nicht.
Aber ich lebte nun mal in einer Welt, die von Menschen bevölkert war, und ich hatte herausgefunden, dass es den Leuten, die mir wichtig waren, gefiel, wenn ich Zeit mit ihnen verbrachte. Was manchmal bedeutete, dass ich mit meiner Schwester an einem Donnerstag einen Mädelsabend im Lookout machte.
Ich bereitete mein Abendessen zu und teilte es in zwei genau gleich große Portionen. Eine davon gab ich auf einen Teller, während ich die andere für morgen in den Kühlschrank stellte. Auch wenn ich in der Regel nur für eine Person – nämlich mich selbst – kochte, stand eine Reihe von Kochen-für-zwei-Kochbüchern auf dem Regal in der Küche. Wenn ich doppelt so viel kochte, wie ich brauchte, war das viel effizienter, weil ich dann nur halb so viele Mahlzeiten zubereiten musste.
»Hey, Juney.« Jonah kam die Treppe herunter und frottierte sich dabei die nassen Haare mit einem Handtuch. »Das riecht gut.«
Ich erstarrte. Hieß das, dass er auch etwas wollte? Oder kommentierte er einfach nur das angenehme Aroma meines Essens?
»Wahrscheinlich ruft die Kombination aus Basilikum und Knoblauch das Aroma hervor, das du magst«, erwiderte ich. Cassidy würde jetzt sagen, dass es höflich wäre, ihm etwas anzubieten. »Möchtest du vielleicht eine Portion?«
»Oh, nein danke«, entgegnete er. »Ich mache gerade Intervallfasten und esse erst wieder morgen.«
»Gut. Ich habe die zweite Portion ohnehin für mich gemacht, ich wollte sie morgen essen. Von daher passt das für uns beide.«
Er lächelte auf eine Art und Weise, bei der ich mich fragte, ob er sich amüsierte oder sich über mich ärgerte. Das zu unterscheiden, fiel mir schwer. »Ja, kann sein. Hast du heute Abend etwas vor?«
»Ja.«
»Okay. Ähm, was?«
»Mädelsabend im Lookout.«
»Klingt nett«, sagte er. »Ich muss morgen früh raus, deshalb bleibe ich zu Hause. Aber du kannst mich gern anrufen, falls ich dich abholen soll oder so.«
»Die Wahrscheinlichkeit, dass ich übermäßig dem Alkohol zuspreche, liegt bei ungefähr einem Prozent. Ich kann bestimmt noch selbst fahren. Aber danke für das Angebot.«
Wieder lächelte er. »Kein Problem.«
Jonah war mein allererster Mitbewohner. Seitdem ich bei meinen Eltern und meiner Schwester ausgezogen war, hatte ich allein gewohnt. Selbst als ich aufs College gegangen war, hatte ich allein gelebt. Ich teilte mir nicht gern meinen Wohnraum mit anderen. Eine andere Person bedeutete, dass jemand Dinge von ihrem angestammten Platz entfernte, Unordnung verursachte und, was am schlimmsten war, nicht begriff, weshalb Football am Sonntag so überaus wichtig war.
Aber Jonah war ein angenehmer Mitbewohner. Er war zurückhaltend, sauber und kochte für sich selbst. Und niemals versuchte er, das Fernsehprogramm vorzuschreiben, wenn Spiele gesendet wurden. Wir hatten uns den Superbowl zusammen angesehen, auch wenn ich damals noch den Verlust meines Fantasie-Footballteams betrauert hatte.
Jonah ging seiner Wege, um zu tun, was immer Jonah so machte. Ich aß zu Abend und ließ mich dann mit einem Buch auf dem Sofa nieder. Cassidy, Scarlett und Leah Mae nutzten die Zeit zweifellos dafür, sich auf den bevorstehenden Abend vorzubereiten. Wenn es ums Ausgehen ging, schienen Frauen ein langwieriges Prozedere für erforderlich zu halten, bei dem Make‑up aufgetragen wurde und verschiedene Haarprodukte und Hitze erzeugende Geräte zum Einsatz kamen. Außerdem war stets ein großes Maß an Unentschlossenheit involviert, wenn es darum ging, zu entscheiden, was man anzog.
Garderobenentscheidungen lagen ganz einfache Berechnungen zugrunde. Man nahm die Gelegenheit, die Tageszeit, die zu erwartenden Teilnehmer und Teilnehmerinnen sowie den Ort. Dazu rechnete man die Jahreszeit und die herrschenden Wetterbedingungen mit ein.
Gelegenheit: spontaner Mädelsabend.
Tageszeit: Abend, an einem Werktag.
Zu erwartende Teilnehmer und Teilnehmerinnen: Cassidy, Scarlett, Leah Mae und verschiedene andere Einwohner von Bootleg Springs.
Ort: das Lookout.
Jahreszeit und herrschende Wetterbedingungen: Anfang Februar, kalt und trocken.
Ergebnis: Pullover, Jeans, dicke Socken, Stiefel.
Es hatte nur wenige Sekunden gedauert, um zu einem angemessenen Schluss zu kommen. Was den Rest der Styling-Aktion anging, sah ich keine Notwendigkeit darin, mein Erscheinungsbild durch Kosmetik aufzubessern oder viel Zeit und Mühe in mein Haar zu investieren. Es war ja nicht so, dass ich ins Lookout ging, um einen Partner anzulocken.
Die anderen Frauen in meinem Leben natürlich auch nicht. Sie hatten sich alle in festen Beziehungen niedergelassen. Was ihr Bedürfnis, so viel Zeit in ihr Äußeres zu investieren, umso verblüffender machte. Für wen warfen sie sich so in Schale, jetzt, wo sie keine Singles mehr waren?
Ich verstand die Menschen nicht.
Um neunzehn Uhr fünfundfünfzig stand ich auf und zog Stiefel und Jacke an. Zum Lookout war es nur eine kurze Autofahrt, und wenn vergangenes Verhalten als Indikator für künftiges herhalten konnte – und ich wusste, dass dies so war –, würden die anderen zwischen fünf und fünfzehn Minuten nach der verabredeten Zeit eintreffen. Mit anderen Worten: Ich hatte es nicht eilig.
Als ich um zwanzig Uhr zwei vor dem Lookout ankam, stand zu meiner Überraschung Cassidys Wagen schon auf dem Parkplatz.
Ich öffnete die Tür der Bar und wappnete mich für den Angriff auf meine Sinne. Im Lookout war es laut, Musik und Stimmengewirr drangen in die kalte Nacht heraus. Beim Eintreten hüllte mich warme Luft ein – etwa zwei Grad zu warm für meinen Geschmack.
Ich hielt inne und gönnte mir ein paar Sekunden, um in dieser neuen Umgebung mein Gleichgewicht wiederzufinden. Ich musste Dinge ausblenden, eine Barriere zwischen meinem Gehirn und den Sinneseindrücken errichten, die auf mich einprasselten. Als ich mich hinreichend isoliert fühlte, ging ich zu meiner Schwester und ihren Freundinnen, die an einem Tisch saßen.
»Juney!«, sagte Cassidy lächelnd. »Ich freue mich so, dass du mit uns ausgehst!«
Ich lächelte und umarmte sie steif.
Cassidy und ich sahen uns ziemlich ähnlich, beide hatten wir dunkelblondes Haar und grüne Augen. Die gleichen leicht sommersprossigen Himmelfahrtsnasen. Doch hier endete unsere Ähnlichkeit auch schon. Unsere Persönlichkeiten waren trotz unserer gemeinsamen Gene bemerkenswert unterschiedlich.
Von der Persönlichkeit her unterschied ich mich natürlich auch von allen anderen in Bootleg Springs beträchtlich, einschließlich meiner Verwandten.
Unsere Unterschiede beeinträchtigten jedoch unsere persönliche Beziehung nicht. Ich hatte schon immer ein positives Verhältnis zu Cassidy gepflegt und empfand große Zuneigung zu meiner Schwester. Wir waren nicht wie andere Geschwister. Selbst als Kinder hatten wir kaum gestritten oder herumgezickt. Wir passten aufeinander auf, jeder auf seine eigene Weise, und das wusste ich zu schätzen.
»Dein Pulli ist schön«, kommentierte Leah Mae meine Kleiderwahl.
»Danke. Draußen ist es kalt, deshalb erschien mir ein Pullover vernünftig.«
»Und süß ist er auch noch«, sagte sie.
Ich nickte. Leah Mae war sympathisch. Auf klassische Weise schön – groß und schlank, mit langen blonden Haaren und einer deutlich sichtbaren Lücke zwischen den Schneidezähnen. Sie war Model gewesen und hatte in einer Realityshow mitgewirkt, doch inzwischen war sie nach Bootleg Springs zurückgekehrt und mit Jameson Bodine zusammen. Sie schienen zueinander zu passen und glücklich zu sein in ihrer Beziehung. Das war gut. Jameson war mir von den Bodine-Männern am liebsten. Er redete nicht besonders viel, deshalb war es angenehm, Zeit mit ihm zu verbringen.
Irgendjemand hatte einmal gesagt, dass Jameson und ich eigentlich daten sollten. Ich verspürte nicht unbedingt den Wunsch, irgendjemanden zu daten, aber dieser Vorschlag hatte mich besonders überrascht. Ich war die Erste, die zugeben würde, dass ich menschliche Beziehungen nicht verstand. Doch wie es schien, benötigte eine funktionierende Beziehung, soweit ich wusste, ein gewisses Maß an Kommunikation. Zwei Menschen zusammenzubringen, die beide nicht besonders viel sprachen, erschien mir wie ein Rezept zum Scheitern.
Scarlett hatte sich bei ihrer abendlichen Garderobe ebenfalls für einen Pullover entschieden. Ihrer hing über die Schulter herab, so dass man ihren BH‑Träger sehen konnte. Ich wusste nicht, ob sie diese Entscheidung bewusst getroffen hatte oder der Pulli einfach nicht richtig passte. Scarlett war zierlich, und bestimmt waren Kleidungsstücke oft einfach zu groß für sie.
Sie griff sich an den Ausschnitt und zog ihn ein paarmal nach vorne, als wollte sie einen Luftzug verursachen. »Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber mir wird langsam heiß. Vielleicht ziehe ich meinen ja aus.«
»Hast du außer deinem BH sonst noch was drunter?«, fragte Cassidy.
Scarlett zog ihren Ausschnitt wieder nach vorn und spähte hinein, als hätte sie vergessen, was sie anhatte. »Aber ja. Ich werde hier nicht strippen, du Dummerchen.«
»Warum nicht?«, wollte Cassidy wissen. »Das wäre bestimmt witzig.«
»Was bist denn du heute Abend so übermütig?«, fragte Scarlett.
Cassidy zuckte mit den Schultern. »Ach was. Ich bin nur gut gelaunt. Will ein wenig Spaß haben.«
»Baby, Spaß ist mein zweiter Vorname«, sagte Scarlett. »Wir füllen dich jetzt hübsch ab, und dann kannst du nach Hause gehen und wilden betrunkenen Sex mit Bowie haben.«
Ich zog die Augenbrauen zusammen. »Trunkenheit führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Übelkeit und Erbrechen. Ich verstehe nicht, wie das zuträglich sein soll, wenn man Sex haben will, vor allem von der wilden Art.«
Cassidy klopfte mir auf die Schulter. »Da hast du nicht ganz unrecht, Juney. Aber manchmal ist es ganz lustig, ein wenig beschwipst zu sein.«
Das ging zwar leicht am Thema vorbei, aber das war egal. Ich setzte mich auf einen der freien Hocker und stellte meine Handtasche auf den Tisch.
Die Band begann einen neuen Song, und einige gingen nach vorne zu der winzigen Bühne, um zu tanzen. Das war total seltsam. Der Beat war zu langsam, um sich großartig zu bewegen. Sie standen beisammen, wiegten sich vor und zurück, hoben kaum die Füße. Ich hatte keine Ahnung, was an Tanzen im Allgemeinen so verlockend war, aber Stehblues war mir immer besonders unerklärlich.
Gibson Bodine klimperte auf seiner Gitarre und sang ins Mikrofon. Seine Bandkollegen, Hung und Corbin, begleiteten ihn. Es war eine bunt gemischte Gruppe von Männern. Gibson war groß und bärtig, sein Gesichtsausdruck nahm üblicherweise irgendeine Schattierung von finster an. Hung war ein grauhaariger Asiate, und Corbin sah aus, als würde er noch auf die Highschool gehören mit seiner glatten dunklen Haut und seinem dichten Haar.
Cassidy brachte mir etwas zu trinken, und ich nippte schweigend daran. Die Mädels quatschten über die Männer – und die Katzen – in ihrem Leben, weshalb ich nicht viel zum Gespräch beitragen konnte. Aber das war nicht so schlimm. Nach einer Weile zog ich ein Buch aus der Handtasche und legte es zum Lesen auf den Tisch.
»Hey, was machst du da?«, fragte Cassidy und lenkte mich damit von meinem Buch ab.
Bowie Bodine legte den Arm um sie. »Ich habe dich vermisst.«
»Das ist ein Mädelsabend«, sagte sie, doch in ihren Worten lag keinerlei Überzeugung. Sogar ich merkte, dass sie froh war, ihn zu sehen.
Was ich seltsam fand in Anbetracht der Tatsache, dass sie zusammenlebten. Sie waren mitten in einer Renovierung, verwandelten ihr Doppelhaus in ein gemeinsames Haus. Bowie hatte Cassidy vermutlich vor weniger als zwei Stunden gesehen. Ich begriff nicht, wie das lang genug sein konnte, einen Menschen zu vermissen, aber ich driftete gedanklich von dieser Frage ab.
Alle außer mir waren überrascht, als kurz nach Bowie auch Jameson und Devlin auftauchten. Scarlett lachte und stieß Devlin spielerisch gegen die Brust, weil sie den Mädelsabend crashten, doch dann krallte sie die Finger in sein Hemd und küsste ihn ziemlich unanständig. Leah Mae tat nicht mal so, als würde sie sich nicht freuen, Jameson zu sehen. Sie schlang ihm die Arme um den Hals und zog ihn an sich.
Ich ertappte mich dabei, wie ich lächelte, während ich meine Schwester und ihre Freundinnen – unsere Freundinnen – beobachtete. Ich freute mich, sie glücklich zu sehen. Es erinnerte mich daran, wie ich mich in der Gegenwart meiner Eltern fühlte. Sie waren glücklich, deshalb freute ich mich für sie.
»Hey, Juney.« Jameson nahm gegenüber von mir Platz. »Gutes Buch?«
»Es verschafft einen analytischen Blick auf die Geschichte der Statistik im amerikanischen Profisport.«
»Klingt ganz nach deiner Kragenweite«, sagte er.
»Kann ich dir noch etwas zu trinken bringen?«, fragte mich Bowie. »Die Runde geht auf mich.«
Ich deutete auf meinen halb leeren Bourbon. »Nein danke. Ich habe bereits das Verhältnis zwischen Zeit und Bourbonkonsum ausgerechnet, um sicherzustellen, dass ich in der richtigen Verfassung bin, um selbst nach Hause zu fahren.«
Er lächelte. »Nun ja, mit der Mathematik will ich mich nicht anlegen.«
Drinks wurden herumgereicht, und meine Schwester und meine Freunde unterhielten sich lebhaft. Ich sah zu, fühlte mich außen vor. Das war nicht ihre Schuld. Sie hatten immer ihr Bestes getan, mich mit einzubeziehen. Es lag nicht mal daran, dass sie alle einen Partner hatten und ich der einsame Single am Tisch war. Diese Art von sozialer Trennung erlebte ich immer. Es war, als wäre ich eine Wissenschaftlerin im Labor. Ich beobachtete alles, aber von außen.
Den überwiegenden Teil der Zeit machte mir dieser Zustand nicht das Geringste aus. So war die Sachlage eben.
Doch heute Abend störte mich dieses Getrenntsein, das ich empfand. Ich wusste nur nicht so recht, warum.
Schließlich beschloss ich, mich, ohne unnötige Aufmerksamkeit zu erregen, davonzuschleichen. Anstatt mich in den Trost meines Zuhauses zu begeben, fuhr ich in die andere Richtung – zu meinen Eltern.
Meine Mutter und mein Vater lebten noch in dem Haus, in dem Cassidy und ich aufgewachsen waren. Seitdem ich ausgezogen war, hatte sich dort nicht viel geändert. Alles war inzwischen vielleicht ein wenig abgenutzter, auch wenn sie alles makellos instand hielten. Und es roch immer noch gleich – nach einer Mischung aus Zimt und Vanille, was mich stets an die Cookies erinnerte, die meine Mom so gern buk.
Ich trat wie immer, ohne zu klopfen, ein und fand meinen Dad dösend auf dem Sofa vor. Der Fernseher lief, warf einen flackernden Schein durch das dämmrige Zimmer.
Dads verschränkte Arme hoben und senkten sich beim Atmen, sein weißer Schnurrbart zuckte. Mit einem Klicken zog ich die Tür zu, und er schrak zusammen, sein tiefer Atemzug vibrierte in seiner Kehle wie ein lautes Schnarchen.
»Oh, Juney«, sagte er lächelnd. »Du hast mich bei einem Nickerchen ertappt.«
»Hattest du einen besonders anstrengenden Tag?«, fragte ich, während ich mich neben ihn auf die Couch setzte. »Du solltest aufpassen, dass du dich nicht überanstrengst.«
»Mir geht es gut. Was führt dich heute Abend hierher?«
Ich sah weg, das Licht des stumm geschalteten Fernsehers zog meinen Blick an. Ich wusste nicht so recht, wie ich diese Frage beantworten sollte. Ich hätte schnurstracks nach Hause fahren können. Zu Hause war es gemütlich. Es gefiel mir dort. Hätte Cassidy mich nicht darum gebeten, ins Lookout zu kommen, hätte ich den Abend vollkommen zufrieden daheim verbracht.
Stattdessen war ich ins Lookout gefahren, und etwas daran machte mich unruhig – auf eine Art und Weise, die ich nicht artikulieren konnte.
»Cassidy wollte einen Mädelsabend machen, deshalb war ich im Lookout. Die Männer waren wohl nicht glücklich darüber, dass ihre besseren Hälften den Abend ohne sie verbringen wollten.«
»Deshalb sind die Männer in euren Mädelsabend geplatzt, und es ist ein Doppeldate daraus geworden?«
»Ein dreifaches sogar. Leah Mae und Jameson waren auch da.«
»Ah, ja klar.« Er schwieg und taxierte mich aus leicht zusammengekniffenen Augen. »Fühlst du dich ein wenig ausgeschlossen?«
»Nein«, sagte ich, und das war nicht direkt gelogen. »Sie haben dafür gesorgt, dass ich mit einbezogen wurde.«
Dad lächelte. Er hatte das freundlichste, sanfteste Lächeln. »Da bin ich mir sicher. Aber das heißt nicht, dass du dich nicht trotzdem ein wenig abseits gefühlt hast.«
»Ja, wahrscheinlich. Aber das ist okay. In Anbetracht der Tatsache, dass ich die einsame Single-Frau der Gruppe war, ist das nicht weiter überraschend.«
Er nahm die Fernbedienung. »Sollen wir mal schauen, ob irgendwo ein Spiel läuft?«
Genau deshalb war ich hergekommen. Dad verstand mich. Ich lehnte mich zurück und faltete die Hände im Schoß. »Ja, das sollten wir.«
Dad tätschelte mir das Knie und wechselte den Kanal.
3
Die Sonne fiel durch die Bäume, während ich über den Highway brauste. Es war kalt draußen, und an einigen schattigen Abschnitten hatte ich gespürt, wie die Reifen auf glattem Eis rutschten. Ich musste vorsichtig sein. Auf dem Highway war ich nur an zwei, vielleicht auch drei Autos vorbeigekommen. Dieses Städtchen, in das ich fuhr – Bootleg Springs – lag mitten im Nichts. Meine Schwester Shelby hatte gesagt, dass es abgelegen ist, aber allmählich fragte ich mich, ob ich daran vorbeigefahren war.
Shelby war seit letztem November in Bootleg Springs. Ich wusste nicht so recht, was sie da draußen trieb. Meine jüngere Schwester hatte immer was am Köcheln. Ehrlich gesagt, hatte ich in den letzten zehn Jahren nicht besonders viel von Shelby gesehen. Wir waren über Messenger und Skype-Anrufe in Kontakt geblieben und hatten uns hin und wieder zu Feiertagen bei unseren Eltern unten in Charlotte getroffen. Und vor ein paar Jahren hatte ich nach Saisonende die ganze Familie mal mit auf eine Kreuzfahrt genommen.
Doch es war nicht nur ein Wiedersehen unter Geschwistern, das mich in die Berge West Virginias führte. Offenbar war dieser Ort auch für seine heißen Quellen berühmt. Manche Leute sprachen ihnen sogar heilende Eigenschaften zu. Als ich vor ein paar Tagen mit Shelby geplaudert hatte, hatte sie vorgeschlagen, dass ich hier rauskommen und eine Weile bleiben sollte. Sie hatte gesagt, das Städtchen sei hübsch, und zudem war ich an einem Punkt angelangt, an dem ich so ziemlich alles getan hätte, um mein Knie wiederherzustellen. Außerdem war es ja nicht so, dass ich etwas anderes vorgehabt hätte.
Es hatte auch Vorteile, arbeitslos zu sein.
Es ging um eine Kurve, und ich gelangte auf einen längeren geraden Abschnitt. Ein Auto kam mir entgegen – ein herrlicher schwarzer Dodge Charger. Ein knallharter Wagen. Ich öffnete das Fenster ein wenig, um den Motor zu hören, wenn er vorbeifuhr. Das leise Dröhnen dieses kehligen Schnurrens drang schon an mein Ohr. Nichts ging über ein heißes Muscle-Car mit einem Fahrer, der wusste, wie er es zum Singen brachte.
Doch ehe ich das Brummen des Charger-Motors wirklich bewundern konnte, sprang direkt vor dem anderen Auto ein Reh über die Straße.
Der Charger geriet ins Schlingern, verfehlte das Tier knapp. Die Reifen mussten wohl auf eine vereiste Stelle geraten sein, denn das Auto beschrieb einen engen Kreis, kam von der Straße ab. Ich umklammerte das Steuer, während dies wie in Zeitlupe passierte, unfähig, irgendetwas zu tun. Der Fahrer versuchte gegenzusteuern, doch das Auto prallte mit einem lauten Knirschen gegen einen Baum.
Ich stieg auf die Bremse, vorsichtig, wegen des Eises, und zog quer über den leeren Highway. Sobald ich am Straßenrand sicher zum Stehen gekommen war, sprang ich aus dem Wagen und rannte hinüber, um nachzusehen, ob der Fahrer verletzt war.
Die Fahrertür wurde vom Baumstamm blockiert. Ich ging zur Beifahrerseite und riss die Tür auf.
Dann beugte ich mich vor, lehnte mich gegen das schwere Metall und spähte hinein. »Geht es Ihnen gut?«
Der Fahrer wirkte benommen. Er trug eine schwarze Strickmütze und eine dicke Jacke, sein Kiefer war von einem dunklen Bart bedeckt. Er hielt sich die Hand an die Stirn, aber ich sah kein Blut. Das schien ein gutes Zeichen zu sein.
»Was zum Teufel …?«, murmelte er.
»Geht’s dir gut, Mann? Brauchst du Hilfe beim Aussteigen?«
Er sah mich an und blinzelte ein paarmal, als würde er versuchen, dahinterzukommen, was da gerade passiert war. Eine Hand umklammerte immer noch mit weißen Knöcheln das Lenkrad.
Nachdem er seine Hand gelöst und seine Finger mehrmals gekrümmt hatte, nickte er. Ich streckte den Arm hinein und half ihm über den Sitz. Dann vergewisserte ich mich, dass er sicher auf den Füßen war, ehe ich seinen dicken Unterarm losließ.
Er legte die Hand auf den Wagen, wahrscheinlich um sich zu stützen. »Heilige Scheiße. Ich hab es nicht erwischt, oder?«
»Das Reh?«, fragte ich. »Nein, es ist weggerannt.«
Er nickte, noch immer sichtlich benommen.
»Bist du verletzt?«
»Ich glaube nicht. Hab mir den Kopf angeschlagen, aber nicht schlimm.«
»Ich weiß nicht, Mann, mit einer Kopfverletzung ist nicht zu spaßen. Glaub mir.«
Seine Augen wurden klarer, und er richtete sich auf. »Natürlich, ja. Oh, fuck, mein Auto.«
Nun, da ich einigermaßen sicher war, dass es dem Kerl gut ging, wandte ich meine Aufmerksamkeit dem Charger zu. Es wäre schon eine verdammte Schande gewesen, wenn seine Schönheit auch nur einen einzigen Kratzer abbekommen hätte, und das hier war weit schlimmer als ein Kratzer. Ich konnte die Ausmaße des Schadens von dieser Seite aus nicht sehen, aber schön war es bestimmt nicht.
»Kannst du vielleicht jemanden anrufen? Oder soll ich dich irgendwohin mitnehmen? Ich weiß ja nicht, wo du hinwolltest.«
»Fuck«, brummte er wieder. »Ja, ich ruf einen von meinen Brüdern an.«
»Klar. Ich warte noch, bis sicher ist, dass du hinkommst, wohin du willst.«
Zum ersten Mal sah er mir in die Augen, als wäre jetzt erst bei ihm angekommen, dass ich da war. »Danke, dass du angehalten hast. Das weiß ich wirklich zu schätzen.«
»Keine Ursache.« Ich streckte ihm die Hand hin. »GT Thompson.«
»Gibson Bodine.« Mit festem Griff nahm er meine Hand und schüttelte sie. »Wirklich, vielen Dank.«
»Schon gut. Sieht aus, als müsstest du abgeschleppt werden.«
»Ja, verdammt. Scheißreh.«
Ich trat beiseite und wartete, während Gibson ein paar Anrufe tätigte. Er ging neben seinem Wagen auf und ab, seine raue Stimme strotzte vor Frust. Ich hauchte in meine Hände, es war verdammt kalt hier draußen.
Als er fertig war, steckte er das Handy hinten in seine Jeans. »Mein Bruder ist auf dem Weg. Er lebt in der Stadt, deshalb kann er in ein paar Minuten hier sein. Der Abschleppwagen ist auch schon unterwegs.«
»Gut. Soll ich hierbleiben, bis sie da sind?«
»Nein, Mann, du kannst weiterfahren. Hier draußen ist es arschkalt.« Mit schmerzverzerrtem Gesicht sah er sein Auto an. »Danke, dass du angehalten hast.«
»Klar doch. Bist du sicher, dass alles okay ist?«
»Ja, ich bin nicht verletzt. Von ihm kann man das nicht sagen.« Er nickte zu seinem Charger hinüber. »Aber ich bringe das wieder in Ordnung.«
Ich verabschiedete mich von Gibson Bodine, ließ mir jedoch Zeit, als ich zurück zu meinem Wagen ging. Tat ein paar Minuten lang so, als würde ich auf mein Handy schauen, während ich die Heizung laufen ließ. Er hatte gesagt, dass alles okay war, aber ich wollte ihn nicht allein hier draußen lassen. Nur für alle Fälle.
Es dauerte nicht lange, da kam ein Auto angefahren und ein Typ stieg aus. Erst dann fuhr ich los und setzte meinen Weg nach Bootleg Springs fort.
Das kleine Haus, das ich gemietet hatte, stand gleich außerhalb der Stadt, am Ufer des unberührten Bergsees. Er war nicht zugefroren, vielmehr stieg Dampf von seiner Oberfläche auf, und mir fielen die heißen Quellen wieder ein. Wie es aussah, war das Seewasser so warm, dass es den ganzen kalten Winter hindurch flüssig blieb.
Der Himmel war blau, die Bäume von weißem Schnee bedeckt. Die Ruhe und der Friede hier würden mir guttun. Obwohl ich gerade Zeuge eines Autounfalls geworden war, spürte ich, wie ich mich entspannte, der Stress nachließ.
Das fühlte sich gut an. Schon jetzt gefiel es mir hier.
Meine Schwester vergeudete keine Zeit. Sobald ich angekommen war, wollte sie, dass wir uns trafen, deshalb fuhr ich, gleich nachdem ich meine Sachen ausgepackt hatte, in die Stadt. Bootleg Springs war der Inbegriff der Idylle. Saubere Straßen, viele frisch gestrichene Fassaden. Handgemalte Schilder wiesen auf Geschäfte wie das Yee Haw Yarn and Coffee, das Rusty Tool und das Moonshine Diner hin, wo ich Shelby treffen sollte.
Warme Luft, angereichert mit einer üppigen Mischung aus köstlichen Essensdüften, hüllte mich ein, als ich eintrat. Mir knurrte der Magen. Ich entdeckte Shelby hinten in einer Nische, sie strahlte über das ganze Gesicht.
Als ich näher kam, stand sie auf, und ich schloss sie in eine dicke Umarmung. Drückte sie fest. Sie war viel kleiner als ich, allerdings war ich auch eins fünfundneunzig groß, deshalb traf das auf die meisten Menschen zu. Ihr braunes Haar war hinten zusammengefasst, und sie trug einen hellgrauen Pulli und Jeans. Dafür, dass wir nicht blutsverwandt waren, sahen wir uns seltsam ähnlich. Meine Eltern hatten Shelby adoptiert, als sie noch ein Baby war.
»Hey, Schwesterherz«, sagte ich und rutschte gegenüber von ihr in die Nische. »Lange nicht gesehen.«
»Hey, GT. Du siehst großartig aus. Was macht das Knie?«
Ich streckte das Bein unter dem Tisch aus und strich mir über die Kniescheibe. »Ganz gut.«
»Du lügst.«
»Nein, ich lüge nicht. Alles gut. Könnte aber besser sein.«
Sie nickte. »Wie geht es dir mit … du weißt schon. Allem anderen.«
»Du meinst, mit dem Ende meiner Footballkarriere?«
»Ja, genau.«
»Ganz okay.« Ich hob abwehrend die Hände, ehe sie mir widersprechen konnte. »Shelby, ich schwöre. Ich habe es kommen sehen. Außerdem bin ich zu alt dafür, dauernd so schlimm zugerichtet zu werden. Ich kann froh sein, dass es nur das Knie ist.«
»Stimmt. Aber das ist ein ganz schönes Ding. Ich weiß, dass du davon gesprochen hast, dich aus dem Football zurückzuziehen, aber es muss schwer sein, dass dir diese Entscheidung aus der Hand genommen wurde.«
»Ich habe meinen Frieden damit gemacht.«
Sie lächelte. »Gut so.«
Die Kellnerin, eine Frau mit roter Beehive-Frisur und einem Namensschild, auf dem Clarabell stand, kam vorbei, um unsere Bestellung aufzunehmen. Shelby entschied sich für ein Truthahnsandwich. Ich orderte den Hackbraten und Kartoffelbrei. Mein Lieblingsgericht.
»Was macht die kleine Marshmellow?«, fragte Shelby, nachdem Clarabell weggegangen war.
»Sie ist total süß wie immer«, sagte ich grinsend. Marshmellow beziehungsweise Mellow war mein Kaninchen – ein Farbenzwerg. Sie war klein, weich und blütenweiß. »Ich vermisse sie schon, aber Andrea kümmert sich um sie, während ich weg bin.«
»Ooh. Ich muss sie mal besuchen kommen.«
»Ja, unbedingt. Dass ich arbeitslos bin, macht das Ganze einfacher. Ich habe jede Menge Zeit.«
»Ich bin so erleichtert«, sagte sie. »Mom und Dad haben sich Sorgen um dich gemacht, aber du scheinst ja alles gut wegzustecken.«
»Ich tue mein Bestes«, erwiderte ich. »Aber jetzt musst du mir mehr über diese heißen Quellen erzählen.«
»Klar.« Sie zog ihr Handy heraus und fing an zu tippen. »Ich schicke dir am besten die Wegbeschreibung. Das ist einfacher, als wenn ich es dir erkläre.«
»Ist es schwer zu finden?«, fragte ich.
»Irgendwie schon, ja«, sagte sie. »Es gibt viele Stellen, an denen man baden kann, aber ich hab eine echt gute gefunden. Sie ist abgeschiedener. Ich war erst einmal da, und es war echt schön.«
Wir plauderten noch ein paar Minuten, dann kam Clarabell mit unserem Essen – und verdammt, war das lecker. Bodenständige Hausmannskost vom Feinsten. Da gefiel es mir hier gleich noch viel mehr. Ich ahnte schon, dass ich während meines Aufenthalts Stammkunde im Moonshine werden würde. Ich überlegte mir bereits, ab wann es angemessen wäre, ein weiteres Gericht zu bestellen. Als Nächstes wollte ich dieses Truthahnsandwich probieren.
Ich blickte auf, während wir aßen, und bemerkte ein paar Nischen weiter eine Frau. Sie hatte dunkelblondes Haar, das ihr achtlos über die Schulter hing. Kein Make‑up. Der Ärmel ihres marineblauen Pullis rutschte an ihrem Arm herunter, als sie sich eine Haarsträhne hinter das Ohr klemmte. In der einen Hand hielt sie ihr Handy, mit der anderen nahm sie gerade einen Stift. Ihr Blick huschte zwischen dem Handy und ihrem Notizbuch, in das sie sich etwas notierte, hin und her.
Sie war süß, aber auf eine Weise, die sonst nicht meinem Typ entsprach. Doch es war weniger ihre Erscheinung, die mich zweimal hinsehen ließ. Etwas an der Art, wie sie sich bewegte, erregte meine Aufmerksamkeit. Sie war präzise und genau, ihr Blick huschte hin und her, während sie Dinge in ihr Notizbuch schrieb. Ich ertappte mich dabei, wie ich sie beobachtete und mich fragte, was sie da wohl tat.
Und dann fing sie an zu sprechen.
Nicht mit mir. Sie saß allein und schien niemanden im Besonderen anzusprechen. Ich konnte nicht hören, was sie sagte – sie murmelte vor sich hin. Doch aus irgendwelchen Gründen fand ich das Ganze faszinierend.
»Weißt du, wer das ist?«, fragte ich Shelby und nickte in Richtung der murmelnden Frau.
»Oh, das ist June Tucker.«
»Kennst du sie?«, wollte ich wissen, während ich weiterhin June anstarrte. War ja klar, dass Shelby inzwischen jeden hier kannte.
»Nicht so richtig. Die Einheimischen heißen solche wie mich nicht direkt herzlich willkommen.« Sie klang kein bisschen verärgert darüber. »Aber ich bin ihr ab und zu über den Weg gelaufen.«
»Und bestimmt bist du ziemlich vielen über den Weg gelaufen.«
Sie kräuselte die Nase. »Sie ist anders.«
»In welcher Hinsicht?«
Shelby hob leicht die Schulter. »Die Leute sagen, sie ist ein wenig daneben. Sie interagiert nicht wie jeder andere. Aber gehört trotzdem dazu. Sie ist interessant.«
Wieder sah ich zu June hinüber. Sie schien eine lautlose Auseinandersetzung zu führen … mit sich selbst? Das wusste ich nicht so recht. Dem Handy in ihrer Hand nach könnte es sich auch um ein Telefongespräch handeln, aber aus dem Lautsprecher drang keine andere Stimme. Und ich entdeckte auch keine Ohrstöpsel oder ein Headset. Vielleicht redete sie tatsächlich mit sich selbst.
Sie schien … konzentriert. Als wäre ihr gar nicht bewusst, dass sie sich an einem öffentlichen Ort befand und die Leute es seltsam finden könnten, dass sie Selbstgespräche führte. Oder es war ihr einfach egal.
Jedenfalls fiel es mir schwer, den Blick von ihr abzuwenden.
»Erde an GT.« Shelby schnippte mit den Fingern vor meinem Gesicht. »Hör auf zu starren. Das ist schräg.«
Ich grinste sie an und zeigte mit der Gabel auf ihren halb vollen Teller. »Isst du das noch?«
»Alles für dich.« Sie schob den Rest ihrer Mahlzeit zu mir herüber.
Ich liebte es, mit meiner Schwester zu essen. Immer bekam ich ihre Reste.
»Nun, mein Timing ist nicht gerade großartig, jetzt, wo du gerade erst angekommen bist, aber ich fahre in ein paar Tagen zurück nach Pittsburgh.«
Ich legte die Gabel weg. »Was? Warum?«
»Ich soll dort ein paar Artikel für eine PR‑Firma schreiben«, erklärte sie. »Das ist zwar nicht meine Lieblingsbeschäftigung, aber es ist gut bezahlt, und ein wenig Extrageld kann ich gerade gut gebrauchen.«
Eine halbe Sekunde lang überlegte ich, Shelby Geld anzubieten. Aber ich wusste genau, was sie sagen würde, wenn ich das täte – wenn sie mir nicht gleich eine runterhauen würde. Ich wusste, sie würde sich von mir helfen lassen, wenn sie in echten Schwierigkeiten stecken würde, aber wenn nicht, würde sie es selber schaffen wollen. Das respektierte ich.
»Ach, Mist, aber du musst tun, was du tun musst«, sagte ich.
»Eben. Ich komme aber wieder zurück. Ich muss hier noch weiter recherchieren.« Sie legte ihre Serviette weg und erhob sich. »Ich gehe kurz auf die Toilette. Bin gleich wieder da.«
Shelbys Essen war genauso lecker wie meins. Wahrscheinlich sollte ich irgendwann aufhören, so viel zu essen, schließlich würde ich nicht in ein paar Monaten ins Trainingslager gehen und die überschüssigen Pfunde abnehmen, die ich in der Saisonpause zugelegt hatte. Aber nicht heute.
Aus dem Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr. Ich sah zu June hinüber, die gerade aufstand und aus ihrer Nische kam. Ihr Handy und ihren Notizblock hatte sie inzwischen wohl in ihre Handtasche gepackt, die ihr über der Schulter hing.
Sie sah auf, und unsere Blicke trafen sich. Anstatt wegzuschauen, wie es Fremde für gewöhnlich taten, starrten wir einander an. Ihre Miene war unmöglich zu deuten – beinahe ausdruckslos. Aber irgendetwas an ihr fesselte mich. Ich konnte die Augen nicht abwenden.
Vielleicht lag es daran, dass sie mich direkt anschaute. Kein Wimpernaufschlag, kein Versuch, kokett zu wirken. Ihr Blick wanderte von meinem Gesicht hinunter zu meinen Füßen, dann wieder nach oben. Sie schien mich nicht zu erkennen, aber sicher war ich mir da nicht. Keine Chance zu entschlüsseln, was sich hinter diesen hübschen grünen Augen abspielte.
Mit einem kaum merklichen Nicken – als hätte sie soeben ihre Beobachtungen für später abgespeichert – ging sie hinaus.
Ich sah ihr nach, war wie benommen, als hätte ich gerade einen harten Schlag abbekommen, bei dem ich fast k. o. gegangen wäre. Warum hatte sie mich so angesehen? War sie der Fan eines gegnerischen Teams und hasste mich? Wusste sie überhaupt, wer ich war?
Ich hatte keine Ahnung.
Doch plötzlich war Bootleg Springs noch sehr viel interessanter.
4
Ich war mir nicht sicher, was ich von der Behauptung halten sollte, dass die heißen Quellen in irgendeiner Kleinstadt West Virginias über Heilkräfte verfügten. Doch als ich mich in das warme Wasser sinken ließ, fragte ich mich, ob nicht vielleicht doch etwas dran war. Ich tauchte langsam ein, ließ mir von der Wärme die angespannten Muskeln lockern.
Die Stille und Abgeschiedenheit waren ebenso entspannend wie das Wasser. Unter den Bäumen lag immer noch stellenweise Schnee, und die Luft war eisig auf meiner nackten Haut. Der Kontrast zwischen der kalten Luft und dem warmen Wasser fühlte sich großartig an. Die Quelle an sich war ein Becken aus klarem grünlich-blau wirkendem Wasser. An den Rändern wuchsen Pflanzen herein, als würden sie nach der Wärme und dem Wasser streben, und von der Oberfläche stieg Dampf auf.
Wie Shelby mich vorgewarnt hatte, war diese Stelle ganz schön schwer zu finden gewesen, aber außer mir war niemand hier. Ich machte es mir ein bisschen gemütlicher, legte den Kopf nach hinten und schloss die Augen.
O ja. Das war gut.
»Entschuldige mal. Du solltest gar nicht hier sein.«
Ich riss die Augen auf beim Klang der Frauenstimme. Es war June, die Frau, die ich gestern im Diner gesehen hatte. Ihr dunkelblondes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, und sie trug einen cremefarbenen Pullover, schwarze Leggins und flache Leinenschuhe. Sie starrte mich aus ihren durchdringenden grünen Augen, ohne zu blinzeln, an.
»Äh, was?« Toll gemacht, GT. Großartige Antwort.
Sie verschränkte die Arme, doch ihr Gesichtsausdruck änderte sich nicht. »Du stehst nicht auf der Liste.«
Ich blickte mich um, als würde ich irgendwo einen Türsteher mit einem Klemmbrett erwarten. »Auf welcher Liste?«
»Es gibt einen Anmeldebogen. Das ist mein Termin.«
»Ein Anmeldebogen, um in einer heißen Quelle zu sitzen?«
»Ja.« Sie blinzelte einmal.
Ungefähr da fiel mir ein, dass ich nackt war. Wahrscheinlich konnte sie mein Gehänge nicht sehen, aber wenn ich das Becken verließ und sie da stehen blieb, würde ich ihr eine ziemliche Show liefern. Unerklärlicherweise bahnte sich gerade eine Erektion an. Lag es an ihr? Wahrscheinlich verbarg sich unter diesem voluminösen Pulli ein schöner Körper, aber das war schwer zu sagen. Und es war nicht so, dass sie mit mir flirtete. Nicht im Geringsten. Ich glaube, ich hatte noch nie eine Frau erlebt, die so wenig flirtete. Deshalb hatte ich keine Ahnung, weshalb mein Schwanz eine Szene machen wollte.
Teilweise Erektion hin oder her, dieses Wasser fühlte sich fantastisch an. Eigentlich wollte ich nicht aus dem Becken. Vielleicht konnte ich sie dazu überreden, mir noch ein wenig Zeit zu lassen.
»Hör mal, das mit deinem Termin tut mir leid. Das hab ich ehrlich nicht gewusst. Ich bin nicht von hier, und niemand hat mir gesagt, dass es einen Anmeldebogen gibt. Meine Schwester meinte, ich soll die heißen Quellen ausprobieren, darum bin ich hier.« Ich grinste sie an und breitete die Arme aus.
»Das ändert nichts an der Tatsache, dass es mein Termin ist.«
»Da sind wir in einer ganz schönen Zwickmühle, nicht wahr?« Ich rieb mir den Kiefer. »Du wirst wohl einfach zu mir reinkommen müssen.« Das würde sie natürlich nicht tun, aber vielleicht würde sie anbieten, in einer Stunde wiederzukommen.
Sie stellte ihre Tasche ab und zog ihren Pulli aus. Ein weißes Tanktop kam darunter zum Vorschein. Mir klappte der Mund auf, während ich beobachtete, wie sie ihren Pulli zusammenlegte und in die Tasche steckte. Dann hakte sie die Daumen im Bund ihrer Leggings ein und fing an, sie herunterzuziehen.
»Was machst du da?«, fragte ich.
Vornübergebeugt hielt sie inne, die Hose halb unten. Sie sah mich an, ihre Mine hatte sich immer noch nicht verändert. »Ich komme rein.«
»Was?«
»Du hast gerade gesagt, ich soll zu dir reinkommen. Ich habe beschlossen, dass das eine akzeptable Lösung ist. Normalerweise bade ich lieber allein, aber dieses Mal werde ich eine Ausnahme machen.«
»Warum?« Das war eine seltsame Frage, aber das war das Erste, was mir durch den Kopf schoss.
Noch immer vornübergebeugt, legte sie den Kopf schief. »Du wusstest nichts von dem Anmeldebogen. Touristen finden diesen Ort normalerweise nur, wenn jemand sie herführt, und alle Bootlegger kennen die Regeln. Du wurdest also entweder schlecht informiert oder jemand hat dir eine Falle gestellt. Keins von beidem scheint mir Grund genug, dich wegzuschicken.«
»Meine Schwester hat mir davon erzählt, und ich glaube nicht, dass sie mir eine Falle gestellt hat. Nicht auf diese Art zumindest. Das ist eigentlich nicht ihr Stil.«
Sie zog ihre Leggings fertig aus und legte sie zusammen. Ich sah, wie sie von der Kälte Gänsehaut bekam. Mit einem leichten Frösteln zog sie sich das Tanktop aus und steckte es rasch in die Tasche.
Unter dem Pulli hatte sich tatsächlich ein heißer Körper verborgen. Ein sehr heißer Körper, der lediglich von einem schwarzen Bikini bedeckt war.
Inzwischen hatte ich mehr als nur eine halbe Erektion.
Ich rückte auf dem Sims, auf dem ich saß, ein wenig nach vorn und versuchte, tiefer ins Wasser zu sinken. Ich wollte mehr Abstand zwischen mein Gemächt und der Wasseroberfläche bringen, für den Fall, dass sie nach unten blickte. Sie kletterte in das Becken und setzte sich auf den Sims gegenüber von mir.
»Ich bin …«
»George Thompson«, sagte sie, ehe ich die Chance hatte, den Satz zu beenden.
Ich war daran gewöhnt, dass die Leute mich erkannten oder mich sogar in der Öffentlichkeit ansprachen. Ich hatte auf allem Möglichem Autogramme hinterlassen, von schmutzigen Servietten bis hin zu Frauenbrüsten. Doch aus irgendwelchen Gründen machte es mich sprachlos, dass diese seltsame junge Frau wusste, wer ich war.
Und sie hatte meinen vollen Namen benutzt. Niemand nannte mich George. Nicht mal meine Eltern. Seit Ewigkeiten war ich für alle nur GT. Doch wenn sie das sagte, gefiel mir das.
»June Tucker«, stellte sie sich vor.
Ich beugte mich vor und streckte ihr die Hand hin. »Schön, dich kennenzulernen, June.«
Ihr Blick flackerte kurz nach unten, und fast hätte ich die Hand wieder zurückgezogen. Doch sie bedachte mich mit einem geschäftsmäßigen Händeschütteln.
Sie griff über den Beckenrand und trocknete sich die Hände am Handtuch, ehe sie sich den Pferdeschwanz zurechtzog. Etwas an der Art, wie sie sich bewegte, faszinierte mich. Es war nicht direkt anmutig, aber ihre Bewegungen hatten eine Präzision an sich, die seltsam anziehend war.
»Dein Penis ist erigiert.«
Ich starrte sie ein paar Sekunden länger an, als ich sollte, dann blickte ich nach unten. Ich hatte tatsächlich eine Erektion und war mir dessen durchaus bewusst. Aber ich hätte nicht gedacht, dass ihr das auffallen würde. Und schon gar nicht hätte ich damit gerechnet, dass sie es auf diese Weise ansprechen würde.
»Ähm. Ja, das stimmt wohl.«
»Warum?«
»Na ja, das weiß ich auch nicht so genau.«
»Erwartest du eine Freundin, oder wolltest du dich gerade zu Ende befriedigen, und ich habe dich unterbrochen?«
»Ich … nein!«
»Ich frage nur, weil es typisch ist, dass Leute hierherkommen, um Verkehr zu haben. Das ist der eigentliche Grund, weshalb die Stadt einen Anmeldebogen eingeführt hat, ganz egal, was die Leute davon halten. Ich nehme an, dein derzeitiger Zustand sexueller Erregung ist meiner Ankunft hier vorausgegangen.«
Ich setzte mich ein wenig auf. Wenn sie mein Gehänge schon bemerkte und so unverblümt darüber sprach, bestand kein Grund, es verstecken zu wollen. Das Wasser war offenbar zu klar, um mir Deckung zu geben. Wenn es jemand anderes gewesen wäre, hätte ich angenommen, derjenige wollte mich vergraulen. Aber ihr Tonfall verriet keine Spur von Berechnung.
Das gefiel mir. »Nein, ich bin nicht hergekommen, um Sex mit jemandem zu haben. Oder um zu …«
»Masturbieren«, half sie mir aus.