Brennende Lügen - Rick Mofina - E-Book + Hörbuch

Brennende Lügen E-Book und Hörbuch

Rick Mofina

0,0

Der Titel, der als Synchrobook® erhältlich ist, ermöglicht es Ihnen, jederzeit zwischen den Formaten E-Book und Hörbuch zu wechseln.
Beschreibung

Ein entführtes Kind. Eine schwerverletzte Mutter. Ein ungelöster Mordfall. An einem ganz gewöhnlichen Morgen geht Maria Colson mit ihrem kleinen Sohn Dylan zum Einkaufen. Nur ein paar Sekunden lässt sie ihn aus den Augen – dann ist der Kinderwagen leer. Maria versucht noch, die Entführer zu stoppen, aber sie wird brutal auf die Straße gestoßen, und der Van verschwindet spurlos. Während Maria im Krankenhaus um ihr Leben kämpft und ihr Mann an ihrem Bett Wache hält, suchen FBI und Polizei fieberhaft nach dem kleinen Dylan. Reporter Jason Wade wittert eine große Story. Umso mehr, als er feststellt, dass es eine Verbindung gibt zwischen den Colsons und einem scheußlichen Mord an einer jungen Frau. Gemeinsam mit Mordermittlerin Grace Garner nimmt er die Spur der Täter auf. Beide wissen, dass ihnen die Zeit davonläuft … --- "Dieser Roman treibt die Spannung auf den Höhepunkt … und darüber hinaus. Muss man gelesen haben." - Kay Hooper "Alles, was ein großartiger Thriller braucht!" - Lee Child "Ein absolutes Muss für Thriller-Fans!" - Library Journal

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 355

Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS

Zeit:8 Std. 28 min

Sprecher:Frank Stieren
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Brennende Lügen

Rick Mofina

Brennende Lügen

Titel der Originalausgabe: Every Fear

Copyright der Originalausgabe © 2006 by Rick Mofina

Copyright © Skinnbok ehf, 2024

ISBN 978-9979-64-646-4

Der Autor

Der Kanadier Rick Mofina hat schon als Fünfzehnjähriger seine erste Kurzgeschichte an eine Zeitschrift verkauft. Nach seinem Studium (Journalismus und Englische Geschichte) berichtete er jahrelang als Reporter aus Kriegs- und Krisengebieten. Heute lebt und arbeitet er als Kommunikationsberater in Ottawa und schreibt „nebenbei“ seine erfolgreichen Thriller.

Ich widme dieses Buch

Stephen, Mary, Teresa und Amanda

Und der König fuhr fort: Holt mir ein Schwert! Man brachte es vor den König. Nun entschied er: Schneidet das lebende Kind entzwei, und gebt eine Hälfte der einen und eine Hälfte der anderen. Doch nun bat die Mutter des lebenden Kindes den König — es regte sich nämlich in ihr die mütterliche Liebe zu ihrem Kind. Bitte, Herr, gebt ihr das lebende Kind und tötet es nicht! Doch die andere rief: Es soll weder dir noch mir gehören. Zerteilt es!

Altes Testament,

Das erste Buch der Könige, 1:3

ERSTER TAG

1

In der Stunde vor Sonnenaufgang prallte eine Amsel gegen die Scheibe von Maria Colsons Schlafzimmerfenster, und sie wurde aus dem Schlaf gerissen. Der Vogel schlug hektisch mit den Flügeln gegen das Glas und verschwand.

Sie tastete nach ihrem Ehemann, doch Lee war nicht da. Um Mitternacht war er wegen eines Notfalls angerufen worden. Irgendwas mit einem Laster auf der Interstate 5 in der Nähe des Jackson Park. Seine Koteletten hatten ihre Haut berührt, als er sich zu einem Abschiedskuss von ihr über sie gebeugt hatte.

Sie dachte an den Vogel, doch es war verrückt, darüber nachzudenken. Alles ist in Ordnung, sagte sie sich. Im Mondlicht sah sie Dylans Kinderbettchen auf der anderen Seite des Flurs. Vielleicht sollte sie nach ihm sehen. Das mit dem Vogel wäre für ihre Großmutter ein schlechtes Omen gewesen. Aber sie war so erschöpft. Sie war den ganzen Tag auf den Beinen gewesen, und letzte Nacht hatte Dylan ihr keinen Schlaf gegönnt. Schließlich hörte sie, wie er sich im Schlaf bewegte, und sie atmete erleichtert auf.

Alles war gut, was interessierten sie die Geschichten ihrer Großmutter.

Sie fiel wieder in einen unruhigen Schlaf. In ihren Träumen verfolgte sie, was sie und Lee in den letzten Jahren an schmerzlichen Erfahrungen durchgemacht hatten. Immer diese irrationale Angst, dass etwas Schlimmes auf sie wartete.

Halt. Nie wieder. Bitte.

Als sie einschlief, träumte sie glücklicherweise von einem Strand in der Karibik. Warmes, azurfarbenes Wasser liebkoste ihre Füße, Palmen wiegten sich in der Brise. Dann wurde sie wach, weil ein Baby weinte. Dylan katapultierte sie in die Realität zurück. Sie stöhnte.

„Nicht doch, Schätzchen. Nur noch ein paar Minuten.“

Das Weinen wurde lauter.

„Schon gut, Süßer, ich komme ja.“

Sie quälte sich aus dem Bett, schleppte sich ins Bad, dann nach unten in die Küche und schließlich wieder nach oben in Dylans Zimmer. Sie nahm ihren Sohn in den Arm. Dann wechselte sie die Windeln, setzte sich in den Schaukelstuhl und fütterte ihn.

Sie küsste seine Finger und seinen Kopf.

Dylan war ihr Ein und Alles.

Während ihrer Jugend hatte sie sich eine Verletzung am Becken zugezogen, und die Ärzte hatten gesagt, wie könne nie Kinder bekommen. Aber sie hatte sich geweigert, ihnen zu glauben und die Hoffnung aufzugeben. Sie hatte Gott angefleht, ihr ein Baby zu schenken, mehr werde sie nie verlangen.

Und es hatte geklappt.

Nach mehreren Jahren. Alle waren überrascht.

Sie lächelte Dylan an. Ihr wurde warm ums Herz, als sie an ihn und an Lee dachte, an ihr gemeinsames Leben, auch wenn es nicht perfekt war. Dunkle Zeiten hatten die Ehe belastet. Es gab finanzielle Probleme. Doch nun hatte sich die Lage gebessert.

Lee arbeitete bei einem Abschleppdienst und verdiente etwas besser wegen der Überstunden, während sie ihre Arbeit aufgegeben hatte, zu Hause blieb und sich um Dylan kümmerte. Doch solange sie einander hatten, würden sie mit allem klarkommen.

Die Sonne war aufgegangen, und Dylan war wieder eingeschlafen.

Sie legte ihn in das Kinderbettchen, ging unter die Dusche und zog dann eine alte Jeans, ein Mariner-T-Shirt und weiße Sneaker an. In der Küche sah es nach ein paar hektischen Tagen mit Dylan chaotisch aus. Lee hatte sein Bestes getan, um ein bisschen Ordnung zu schaffen. Um den Rest würde sie sich später kümmern. Nachdem sie ein Glas Orangensaft getrunken hatte, aß sie ein Muffin und holte die Morgenzeitung aus dem Briefkasten.

Als sie die Titelseite des Seattle Mirror sah, schnappte sie nach Luft.

Das große Foto zeigte einen Feuerball. Am nördlichen Stadtrand war auf der Interstate 5 ein Tanklaster explodiert.

Dorthin wurde Lees Abschleppdienst gerufen.

Das Telefon klingelte, und ihr Herzschlag beschleunigte sich.

Im ersten Stock begann Dylan erneut zu weinen. Sie starrte auf das Foto, dann auf das Telefon. Auf dem Bild war Lees Abschleppwagen nicht zu erkennen.

O nein ...

In ihrem Kopf ging alles durcheinander. Sie zwang sich, den Hörer abzunehmen.

„Hi, Babe, ich bin’s“, hörte sie ihren Mann trotz der lauten Geräuschkulisse an dem Unfallort.

„Lee! Guter Gott, alles in Ordnung?“

„Warum sollte es nicht so sein?“

„Ich habe das Foto auf der Titelseite des Mirror gesehen.“

„Ja, die Explosion war schlimm. Auffahrunfälle, doch es wurde niemand verletzt.“

„Da bin ich froh.“

„Nachdem wir an dem Unfallort fertig waren, bin ich gleich zum Abschleppdienst gefahren. Wie sieht s zu Hause aus?“

„Es war eine seltsame Nacht. Ein Vogel ist gegen das Schlafzimmerfenster geprallt.“

„Ist die Scheibe kaputt?“

„Nein.“

„Wie geht’s Dylan?“

„Er hat die halbe Nacht geweint, und jetzt geht es schon wieder los. Wir brauchen Milch und Brot. Ich nehme ihn mit zum Einkaufen.“

„Hör zu, Lou hat mir heute Morgen erzählt, er meine es ernst damit, den Abschleppdienst zu verkaufen. Wenn du wieder Vollzeit in dem Supermarkt arbeiten würdest, bekommen wir vielleicht einen kleinen Kredit. Das könnte unsere Chance sein. Was denkst du?“

Schweigen.

„Maria?“

„Lass uns später darüber reden. Ich muss mich jetzt um Dylan kümmern.“

„Gib ihm einen Kuss von mir. Ich liebe dich.“

„Ich dich auch. Pass gut auf dich auf.“

Nachdem sie Dylan angezogen hatte, sagte sie: „Komm, mein Kleiner, wir gehen einkaufen.“

Ein paar Minuten später hatte sie Dylan in den Kinderwagen gepackt.

Das kleine, einstöckige Holzhaus der Colsons stand in Ballard, einem ruhigen alten Viertel im Nordwesten von Seattle, in der Nähe der Salmon Bay und von Ballard Locks. Die Geschichte des Stadtteils ging bis ins späte 19. Jahrhundert zurück, als hier zumeist Schiffsbauer skandinavischer Herkunft gelebt hatten.

Maria liebte dieses friedliche Viertel. Vogelgezwitscher, vom Puget Sound kam mit der leichten Brise, die durch die Blätter der Ahornbäume, der Platanen und Weiden strich. Zwei Häuser weiter hatte ein ehemaliger Colonel, dessen Blumenkästen immer so gepflegt aussahen, im Vorgarten die Flagge der Vereinigten Staaten gehisst.

In diesem verschlafenen Teil von Ballard passierte nicht viel, abgesehen davon, dass am Ende der Straße eine große Villa im Kolonialstil renoviert wurde. Die Wagen von Baufirmen standen vor der Tür des Lincoln House.

Als sie an einer Ecke die Straße überquerte, musste sie wieder daran denken, wie seltsam die Geschichte mit dem Vogel gewesen war. Lee am Ort des schweren Unfalls, das Foto auf der Titelseite des Mirror. Lee würde sie damit aufziehen, das sie an böse Omen glaubte.

Und er würde mit ihr darüber sprechen wollen, Lous Abschleppdienst zu übernehmen.

Was sollte sie dazu sagen? Während er sich nach einem eigenen Geschäft sehnte, träumte sie davon, zu Hause zu bleiben und ein zweites Kind zu bekommen. Auch darüber würden sie reden müssen.

„Denk an unsere Lage“, würde Lee sagen. Maria blickte in den Kinderwagen. Dylan wirkte schläfrig.

Ein paar Straßenecken weiter, als sie vor Kim’s Corner Store stand, schlief ihr Sohn fest.

Der Laden hatte große Fenster, und am Eingang musste sie den Kinderwagen zwei Stufen hinaufbugsieren.

Shannon, ein junges Ladenmädchen mit gepiercter Augenbraue und Kopfhörer, schaltete die Musik aus und beugte sich über Dylan.

„Was für ein kleiner Engel.“

„Die letzten paar Nächte war er eher ein kleiner Teufel. Ich habe kaum ein Auge zugetan.“

Als sie den Kinderwagen die Stufen hinaufschob, wurde Dylan wach und begann zu weinen. „Schon gut, schon gut.“

Sie machte kehrt, stellte den Wagen vor das Schaufenster und hob ihren Sohn heraus. Er weinte heftiger und wand sich in ihren Armen, bis sie ihn wieder in den Wagen legte. Erschöpfung überkam sie.

„Du bringst mich noch um, mein Kleiner.“

Shannon nahm den Kopfhörer ab. „Sie können ihn hier draußen lassen. Ich passe auf ihn auf.“

„Sehr freundlich. Macht es Ihnen wirklich nichts aus?“

„Nein, kein Problem.“

„Vielen Dank, ich muss nur schnell ein paar Sachen besorgen.“

Sie blickte die Straße hinauf und hinab. Bei Shannon war Dylan in Sicherheit. Sie hatte ihr das Baby schon häufiger anvertraut. Sie war so müde, es war so anstrengend gewesen mit Dylan während der letzten Tage. Schon ein paar friedliche Augenblicke waren ihr sehr willkommen.

Die Glöckchen über der Ladentür bimmelten.

Mrs Kim saß an der Kasse und lächelte sie an. Sie trug ihre Bifokalbrille und war mit einer Handarbeit beschäftigt.

„Hallo, Maria.“

„Guten Morgen, Mrs Kim.“

Die hölzernen Bodendielen ächzten, als Maria zu dem Kühlschrank im hinteren Teil des Ladens ging. Weiter weg hört sie ein Mobiltelefon klingeln. Es musste das von Shannon sein, denn in dem Geschäft waren außer ihr keine Kunden.

Bei der Milch achtete sie darauf, dass sie möglich frisch war, und dann ging sie zum Brotregal, wobei sie durch den Gang einen Blick aus dem Vorderfenster warf. Sie sah den Kinderwagen und die telefonierende Shannon. Sie wirkte aufgebracht.

Maria ging zu Mrs Kim, um zu bezahlen. Sie legte die Milch und das Brot auf die Ladentheke, öffnete ihr Portemonnaie und blickte erneut aus dem Fenster.

„Schläft das Baby?“, fragte Mrs Kim.

„Ja, während der letzten beiden Tage hat er genug Theater gemacht.“

Wieder bimmelten die Glöckchen. Shannon, noch immer telefonierend, ging nach hinten. „Das stimmt so einfach nicht. Ich habe den Brief in meiner Tasche. Ich hole ihn und ...“

Maria blickte auf dem Kinderwagen auf der anderen Seite der Scheibe. Fast hätte sie ihn berühren können. Es war alles in Ordnung, und in ein paar Augenblicken wäre sie hier fertig.

Maria bemerkte das Drehgestell mit den aktuellen Taschenbüchern neben der Kasse und sah nicht den großen Schatten vor dem Schaufenster. Sie brauchte etwas zu lesen. Einen Thriller. Vielleicht würde sie mit Dylan in den Park gehen. Das Drehgestell quietschte, als sie die Titel studierte. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Mrs Kim nach draußen blickte. Die Miene der alten Frau wirkte verstört, und Maria folgte ihrem Blick. Fast wäre ihr das Herz stehen geblieben.

Der Kinderwagen war verschwunden.

Der Adrenalinstoß setzte ein, und innerhalb eines Augenblicks war sie auf der Straße. Ihre Sinne waren aufs Äußerste angespannt. Der Kinderwagen rollte gerade über die Bordsteinkante. Sie sah noch Dylans weiche Baumwolldecke, und kurz darauf hörte sie mit einem dumpfen Geräusch die Tür eines Lieferwagens zuschlagen. Dann sprang der Motor an, und ihre Finger klammerten sich an einem Griff und einem Spiegel fest, als der Wagen losfuhr.

Sie warf sich auf die Motorhaube und hämmerte mit der Faust gegen die Windschutzscheibe. Finger umklammerten Dylans kleinen Arm und seine Hand. Sie hörte die Schreie ihres Sohnes, während sie verzweifelt versuchte, die Scheibe einzuschlagen.

Der Lieferwagen machte einen Satz. Bremsen kreischten, der Fahrer versuchte sie abzuschütteln. Dann drehte sich alles vor ihren Augen, und sie schlug auf der Straße auf. Sie sah Sterne und hörte den Wagen wegfahren. Als sie wieder sehen konnte, erblickte sie den umgekippten Kinderwagen, dessen Räder sich noch immer drehten. Warmes Blut sickerte in ihre Augen.

Bevor alles schwarz wurde, dachte sie noch an Dylan, an den Abschiedskuss ihres Mannes und die Amsel, die gegen die Scheibe des Schlafzimmerfensters geprallt war.

2

Jason Wade ging in der verwaisten Redaktion zu seinem Schreibtisch.

Willkommen in der Tretmühle.

Seine Frühschicht beim Seattle Mirror begann immer mit den Frequenzscannern. Der Polizeifunk hielt ihn auf dem Laufenden darüber, was gerade in Seattle passierte.

Er musste das Gequake verfolgen und entscheiden, was unwichtig war und was vielleicht das erste Anzeichen einer Story, von der die ganze Stadt reden würde. Es war eine Aufgabe, die er mittlerweile ganz gut meisterte. Es blieb ihm ja auch nichts anderes übrig. Als Polizeireporter war er abhängig von den Frequenzscannern und vom Polizeifunk.

Bis jetzt schien nichts Spektakuläres passiert zu sein.

Dann kam der Moment der Wahrheit: Er musste sehen, wie der Mirror sich im Vergleich zur Konkurrenz schlug. Ein Coup brachte ein Lob, das am nächsten Tag wieder vergessen war, doch wenn ein anderer einem bei einer Story zuvorkam, war das eine Niederlage.

Herausgeber und Chefredakteure kannten kein Erbarmen.

Er verglich die letzten Ausgaben der Times und des Post-Intelligencer mit jener des Mirror.

Alle brachten dieselben Themen. Ein Mädchen, das bei einer Party in der Nähe der Universität von einem Balkon gefallen war. Zu viel Alkohol. Die Drogenrazzia in der Nähe von Scola Beach, bei der ein paar Schüsse gefallen waren. Keine Verletzten. Die Messerstecherei in einer Bar in Burien. Das Opfer würde überleben. Der Tanklaster, der auf der Interstate 5 in der Nähe von Jackson Park in Brand geraten war. Alles Kleinkram.

Er entspannte sich ein bisschen und griff nach dem Becher mit Kaffee, den er sich unterwegs besorgt hatte. Vielleicht hatte er die Möglichkeit, an seinen längeren Artikeln weiterzuarbeiten.

Einer galt dem bevorstehenden Jahrestag einer Schießerei, ein anderer dem Thema Terrorismus in Kanada. Und dann war da noch ein alter Fall, über den er zufällig gestolpert war, als er im Archiv nach etwas anderem suchte. Er wollte weiter nachdenken, doch ihm fehlte immer die Zeit dafür.

Etwas an dem Foto des Tanklasters stach ihm ins Auge. Darunter stand „exklusiv für den Mirror“, was darauf hindeutete, dass das Foto von einem Freelancer geschossen worden war. Also war keiner der fest angestellten Fotografen vor Ort gewesen, was besagte, dass die Kollegen von der Nachtschicht geschlafen hatten.

Das war nicht gut.

Als er gerade in seinen E-Mails nachschauen wollte, was seine Kollegin ihm über die Vorfälle der Nachtschicht mitzuteilen hatte, hörte er über den Polizeifunk die Stimme einer Einsatzleiterin, die von einem Verkehrsunfall berichtete. So etwas war meistens keine große Sache, doch ihm fiel die angespannte Stimme der Frau auf.

„Die Anruferin hat geweint. Moment. Wir haben die Leitung verloren und versuchen, sie wiederherzustellen.“

„Seventy-six?“

„Seventy-six hier. Ten-four.“

„Bleiben Sie dran.“

Er stellte zwei Scanner auf die nordwestliche Frequenz ein und schaute aus dem Fenster. Der Mirror residierte in einem Gebäude an der Ecke Harrison Street und 4th Avenue, ein paar Blocks nördlich des Zentrums. Die Redaktion war im sechsten Stock, die westliche Wand ganz aus Glas. Er sah die Schiffe in der Elliott Bay. Mittlerweile machte er den Job seit einem Jahr, doch die meisten sahen ihn immer noch als Anfänger. Es war lange her, seit er zuletzt eine gute Story gelandet hatte. Und auch, seit sich etwas Positives in seinem Leben ereignet hatte.

Er blickte auf das mit Perlen besetzte Armband an seinem Handgelenk und dachte an Valerie, die es auf dem Pike Place Market für ihn gekauft hatte, vor langer Zeit. Dann schaute er auf das Foto von Karen Harding an seiner Pinnwand. Er fragte sich, was diese beiden Frauen machten, die er einst gekannt hatte.

Die Dinge entwickeln sich nicht immer so, wie man es sich vorstellt, dachte er, bevor er wieder nach der Mail von Astrid Grant suchte, der Polizeireporterin von der Nachtschicht. Seltsam, ihre feindselige Einstellung ihm gegenüber hatte sich nicht geändert; doch das war ihr Problem.

Astrid war ein Vertrag angeboten worden, nachdem sie bei dem letztjährigen Praktikantenprogramm den zweiten Platz belegt hatte. Deshalb war sie noch immer verbittert. Sie war die Tochter eines hohen Tiers aus der Chefetage eines Hollywood-Studios und daran gewöhnt, zu bekommen, was sie wollte. Nach dem Abschluss an der University of California in Los Angeles war sie nach Seattle gekommen in der Erwartung, als Beste unter den Praktikanten abzuschneiden und die Festanstellung zu bekommen. Sie war talentiert und sehr schön, stand aber in dem Ruf, sich an die Storys von Kollegen dranzuhängen, um als Co-Autorin genannt zu werden.

Jason war ein Einzelgänger, der auf eigene Faust arbeitete.

Aufgewachsen war er in einem Arbeiterviertel zwischen dem Westufer des Duwamish River und dem Highway 509, in der Nähe des Boeing Field und der Werften. Seit er dort in jungen Jahren als Zeitungsbote den Mirror ausgetragen hatte, war es sein großer Wunsch gewesen, später Journalist zu werden.

Und es war nicht einfach gewesen, diesen Traum zu verwirklichen.

Sein Vater war ein trockener Alkoholiker, der in einer Brauerei gearbeitet hatte. Jason hatte dort einen Job als Gabelstaplerfahrer gehabt, um sein Studium am Community College zu finanzieren. Er kannte Cops und verkaufte als Freelancer die ersten Artikel über Kriminalität an Seattles große Tageszeitungen.

Beeindruckt von seinem Eifer, hatte ihm ein Redaktionsleiter vom Mirror in letzter Minute den letzten freien Platz des Praktikantenprogramms angeboten. Das war seine Chance gewesen. Die Konkurrenz, zu der auch Astrid zählte, kam ausnahmslos von Eliteuniversitäten und hatte erste Berufserfahrungen bei großen Zeitungen gesammelt. Sechs Praktikanten rangelten um eine Festanstellung, und Jason gewann aufgrund einer großen Exklusivstory. Seitdem hatte er einen Vollzeitjob beim Mirror.

Und doch hätte es fast nicht geklappt, und zwar wegen seines Vaters. Bis auf den heutigen Tag weigerte der sich, darüber, zu reden, warum er seinerzeit gezwungen gewesen war, seinen Job bei der Polizei von Seattle aufzugeben. Es hatte ihn seine Ehe gekostet, und fast hätte er Jason mit in den Abgrund gerissen, weil seine Trinkerei ihre Beziehung unerträglich belastete.

Der peinliche Höhepunkt war dann im letzten Jahr gekommen, als sein alter Herr auf der Suche nach seinem Sohn betrunken in der Redaktion auftauchte. Die Scham über diesen Vorfall hatte den Alten dazu gebracht, sich einzugestehen, dass er ein Problem hatte.

Er gab den Alkohol auf und suchte professionelle Hilfe.

Jetzt hatte er ein Jahr keinen Tropfen mehr angerührt und schlug sich großartig. Jason war stolz auf ihn. Er war ein anderer Mensch geworden. Er hatte in der Brauerei gekündigt und sich nach ein paar Kursen den Traum erfüllt, Privatdetektiv zu werden. Eine Detektei, die von einem alten Kumpel aus Polizisten tagen geleitet wurde, hatte ihn eingestellt.

Er wandte sich wieder der Gegenwart zu. Keine Mail von Astrid. Seltsam. Sie hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie den Job als Polizeireporterin hasste, ihn aber bisher immer wissen lassen, was während der Nachtschicht passiert war. Bis auf dieses Mal. Etwas stimmte nicht.

Er lauschte wieder dem Polizeifunk.

„An alle Streifenwagen im Bereich Ballard, wir haben möglicherweise eine durch einen Unfall verletzte Fußgängerin. Bleiben Sie dran wegen der Bestätigung.“

„Seventy-six, hast du den Notarzt bestellt? Ten-four.“

Er wollte gerade sein Notizbuch aufschlagen, als ihm auf Astrids Schreibtisch deren Tasche auffiel.

Merkwürdig.

Ihre Schicht endete um zwei Uhr morgens. Hatte sie die Tasche vergessen? Er schaute sich in der Redaktion um. Computer, mit Zeitungen, Berichten und Essenresten übersäte Schreibtische. Verwaist. Um diese Uhrzeit war hier niemand.

Auch keine Menschenseele von den anderen Ressorts — Lokales, Wirtschaft, Sport, Unterhaltung, Lifestyle.

Die Tür zum verglasten Büro seines Chefs flog auf. Astrid Grant stürmte zu ihrem Schreibtisch, zog Schubladen auf und packte ihre Sachen so hektisch in ihre Tasche, als würde das Gebäude in Flammen stehen.

„Was ist los?“, fragte er.

Ihr Gesicht und ihre Augen waren gerötet.

„Ich bin gefeuert.“

„Was? Warum?“

„Frag den Idioten.“ Sie zeigte auf das Büro des Chefredakteurs des Lokalteils. „Dieser verdammte Unfall mit dem Tanklaster. Ich hab die Schnauze voll von dieser Stadt, wo es ständig regnet. Ich gehe zurück nach L.A.“

Sie schnappte sich ihre Tasche und eilte davon. Er wollte ihr folgen, doch der Polizeifunk hielt ihn auf.

„An alle Streifenwagen im Bereich Ballard. Update. Bei der verletzten Fußgängerin könnte es sich auch um das Opfer eines Mordversuchs handeln. Vielleicht war es kein Unfall. Der Fahrer ist flüchtig. Seventy-six, wann sind Sie vor Ort?“

„In höchstens zehn Minuten. Können Sie die Adresse wiederholen?“

Die Einsatzleiterin tat es, und Jason schrieb mit. Mordversuch mit Fahrerflucht? Das konnte interessant werden. Astrid verschwand in der Kabine eines Aufzugs.

„Wade!“, rief Fritz Spangler, der neue Chefredakteur des Lokal teils.

Er leitete die größte Abteilung des Mirror und war Herr über fast hundert Menschen. Spangler kam aus Seattle und hatte seine Karriere beim Post-Intelligencer begonnen, bevor er zu den Daily News in New York City wechselte. Dort hatte er sich hochgearbeitet, bis er das Angebot vom Mirror bekam.

Seit seiner Rückkehr nach Seattle arbeitete er daran, etwas gegen die sinkende Auflage zu tun. Dabei setzte er auf harte Fakten und Exklusivstorys.

Den letzten Pulitzerpreis hatte der Mirror in den frühen Neunzigerjahren gewonnen. Selbst Jasons Exklusivstory aus dem letzten Jahr war nicht dafür nominiert worden. Für Spangler war diese große Story Schnee von gestern, der niemanden mehr interessierte.

Ihm war nie etwas gut genug, kein Journalist erfüllte jemals seine Anforderungen. Vor vier Monaten, als Spangler eintraf, hatten dreißig Reporter für den Lokalteil gearbeitet. Jetzt hieß es, Spangler habe die Anweisung, ihre Zahl auf zweiundzwanzig zu reduzieren.

Spangler sprach wenig. Er trug Hemden mit Button-down-Kragen und lockerte nie seine Krawatte. Sein Blick wirkte ständig genervt, so auch jetzt, als er vor Jasons Schreibtisch auftauchte. Er verlor kein Wort darüber, dass er Astrid gefeuert hatte, und lauschte dem Polizeifunk.

„An alle Einheiten in Ballard. Die Sache mit der verletzten Frau und der Fahrerflucht war möglicherweise ein Mordversuch. Eine Mutter mit ihrem Baby ...“

Spangler warf Jason einen Blick zu.

„Warum sind bist du noch hier?“

„Weil das gerade erst gemeldet wurde.“

„Du solltest längst dort sein.“

„Ich kümmere mich darum.“

Jason steckte sein Notizbuch und das Mobiltelefon ein. Er wies auf die Pinnwand, an der seine alte Exklusivstory über Karen Harding hing.

„Nur damit Sie es wissen, ich bin nicht Astrid. Ich weiß, wie ich meine Arbeit tun muss.“

„Dann verschwinde und beweise es. Wir brauchen mal wieder einen richtigen Coup.“

Spangler sollte wissen, dass er keine Angst vor ihm hatte.

„Seventy-six?“, fragte die Einsatzleiterin.

Über Funk hörte man schreiende Polizisten und das Heulen von Sirenen.

„Laut Auskunft des Notarztes sind die Verletzungen des Opfers lebensbedrohlich! Es ist wirklich schlimm. Vielleicht schafft sie es nicht lebend bis ins Krankenhaus. Benachrichtigen Sie besser die Mordkommission!“

3

Grace Garner von der Mordkommission des Seattle Police Department saß in einem Chevrolet Malibu und trank Himbeertee.

Der Wagen, äußerlich nicht als Polizeiauto erkennbar, parkte vor einer Kindertagesstätte. In dem Haus daneben lag die Wohnung eines Mannes, auf den sie wartete. Er war ein möglicher Zeuge in einem Fall, der eigentlich schon zu den Akten gelegt war.

Die Kinder waren wunderbar.

Würde sie jemals selbst eines haben? Wahrscheinlich nicht. Und warum nicht? Weil sie allein war. Das war ihr Leben, das sich ergeben hatte nach dem Vorfall an jenem Tag.

Obwohl sie es sich selten eingestand, führte sie ihre Einsamkeit auf den Tag zurück, als Roger Briscoe mit einer unheimlichen, höhnischen Miene zum Englischunterricht erschienen war. Mr Lorton, der Lehrer, hatte gerade zwei Worte — Joseph Conrad — auf die Tafel geschrieben. Er blickte die Schüler an und verkündete: „Heute beginnen wir mit Herz der Finsternis. Conrad war ein Meister darin ...“

Ein Schuss. Mr Lortons Kopf wurde zurückgerissen, und er stürzte zu Boden. Vor ihm stand Roger Briscoe, mit einer Pistole in der Hand, die im Geschirrschrank seiner Mutter versteckt gewesen war, hinter der Soßenschüssel und einer Flasche Jack Daniels.

„Heute nicht, Lorton.“ Briscoe richtete die Waffe auf seine Klassenkameraden. „Heute lernt ihr etwas über meinen Schmerz. Hört gut zu, ihr Ungeziefer.“

Schreie.

Stühle und Tische wurden umgeworfen, als alle zur Tür stürmten. Irgendjemand löste Feueralarm aus. Ohrenbetäubendes Klingeln, ein zweiter Schuss. „Stehen bleiben!“, schrie Roger Briscoe. „Heute bin ich Gott!“

Mädchen schluchzten, Jungen fluchten. Alle suchten Deckung, alle außer Grace Garner. Sie war ganz ruhig und hatte keine Angst, als sie Briscoe gegenübertrat und ihm direkt in die Augen blickte.

„Lass die Waffe fallen, Roger.“

„Nein.“

„Bitte. Warum tust du das?“

„Du weißt warum, Grace.“

„Bitte, Roger. Tu nicht noch jemandem etwas an.“

„Vergiss es. Ich will alle umlegen.“ Er richtete die Waffe auf sie. „Auch dich.“

Zwei Mitglieder der Ringermannschaft, kleine, flinke Jungen, stürzten sich auf Briscoe, schlugen ihm die Pistole aus der Hand und hielten ihn fest, bis die Sirenen der Streifenwagen ertönten.

Nie würde sie Mr Lortons weit aufgerissene Augen vergessen, die leblos an die Decke starrten.

Als er aufgebahrt wurde, waren sie geschlossen.

Die Schule, die Stadt und das Seattle Police Department zeichneten sie und die beiden Jungen wegen ihrer Tapferkeit aus. Weil sie verhindert hatten, dass bei dieser Tragödie noch mehr Menschen ums Leben kamen. Zu der Zeit hatte sie beschlossen, Polizistin zu werden.

Nach dem College, das sie mit Bestnoten abgeschlossen hatte, dachte sie darüber nach, sich beim FBI zu bewerben, doch schließlich hatte sie sich für das Seattle Police Department entschieden. Angefangen hatte sie als Streifenpolizistin, und sie wurde ausgezeichnet, weil sie einen flüchtigen Kriminellen festgenommen hatte, der bei einem Banküberfall einen Schalterbeamten verwundet hatte. Bei der Weiterbildung hatte sie auch immer mit Bestnoten abgeschnitten, und dann hatte man ihr vor ein paar Monaten den Job bei der Mordkommission angeboten, was einigen männlichen Kollegen der alten Schule gar nicht gefiel.

Sie war die einzige Frau bei der Mordkommission, und diese Machos machten ihr das Leben schwer mit ihren dummen Bemerkungen über Frauen im Allgemeinen und Polizistinnen im Besonderen.

Das war ihre Lebensgeschichte bis jetzt.

Eine hochintelligente, einsame Polizistin, für die es nur ihre Arbeit gab. Aber vielleicht wollte sie jetzt einfach nicht länger allein sein. Du wirst nicht jünger, dachte sie, als sie die süßen Kinder vor der Kita sah.

Schluss mit dem Selbstmitleid.

„In Gedanken wieder mal woanders?“, fragte Detective Perelli, der neben ihr auf dem Beifahrersitz saß.

„Entschuldige, Dom. Was hast du gesagt?“

„Dass es für mich nicht so aussieht, als würde unser Typ noch auftauchen. Ich schlage vor, wir warten noch zehn oder fünfzehn Minuten und fahren dann zurück. Wir haben im Büro Papierkram zu erledigen.“

„Du sagst es.“

„Ach übrigens, wie ich höre, hat Jake vom Einbruchsdezernat zwei Karten für das Spiel am Sonntag. Rechne mit meinem Anruf.“

„Hör auf, dich immer um mich kümmern zu wollen.“

„Ich kann nicht anders. Wenn ich schon sehe, wie du diese Kinder anschaust ... Als hättest du das Gefühl, dass das Leben an dir vorbeigeht.“

„Was?“

Er trank einen Schluck kalten schwarzen Kaffee.

„Seit zehn Monaten arbeiten wir jetzt zusammen, und du weißt alles über mich. Achtzehn Jahre bei der Polizei, davon die letzten acht bei der Mordkommission. Verheiratet, drei Kinder, eine Hypothek und Rückenschmerzen. Deshalb bin ich manchmal ein ziemlicher Dreckskerl.“

„Was willst du sagen?“

„Du öffnest dich mir gegenüber nie, obwohl es eigentlich so sein sollte.“

„Sei nicht so neugierig, Dominic.“

„Wie alt bist du, siebenundzwanzig oder achtundzwanzig?“

„Warum ist das wichtig?“

„Niemand schafft es in so jungen Jahren in die Mordkommission. Du bist anders. Weißt du, was die Jungs vom Einbruchsdezernat über dich gesagt haben, als du von ihnen zu uns gewechselt bist?“

„Interessiert mich nicht.“

„Dass du eine traurige junge Frau bist und dass wir einen Mann für sich suchen sollten, der dich glücklich macht. Sieh dir Jake an vom Dezernat für Internetkriminalität. Er ist ein kleiner Computerfreak, und doch ist er jetzt mit ... Aua!“

Sie hatte ihm den Ellbogen in die Rippen gestoßen, damit er endlich aufhörte.

Ihr Mobiltelefon klingelte.

„Garner.“

„Boulder hier. In Ballard wurde eine Frau angefahren. Fahrerflucht. Vielleicht sogar ein Mordversuch. Der Notarzt sagt, dass sie es vielleicht nicht überleben wird. Fahrt zu dem Krankenhaus in Ballard und seht, ob sie noch eine Aussage machen kann. Dann fahrt ihr zu Schaeffer und Berman, die am Ort des Unfalls oder am Tatort auf euch warten. Ich melde mich, wenn ich ihren Namen und Details über die Familie habe.“

„Okay.“ Sie ließ den Motor an.

„Noch etwas, Grace. Das FBI wird sich auch mit dem Fall befassen.“

„Das FBI? Warum?“

„Wer immer sie angefahren hat, er hat auch ihren kleinen Jungen entführt.“

Die Aussage eines sterbenden Verbrechensopfers konnte gut dazu beitragen, einen Fall zu knacken. Grace wusste das. Vor ein paar Monaten war bei einem bewaffneten Raubüberfall in der Nähe des Flughafens auf einen Sicherheitsbeamten geschossen worden. Bevor er starb, hatte er die Gürtelschnalle des Täters beschrieben, was zu dessen Verhaftung geführt hatte.

Während der Fahrt nach Ballard telefonierte Perelli, um weitere Informationen über das Opfer zu bekommen. Eine Viertelstunde nach Boulders erstem Anruf bog Grace von der Barnes Avenue auf den Parkplatz des Krankenhauses ab. In der Notaufnahme sagte ihnen die Schwester am Empfang, wohin Maria Colson gebracht worden war. Auf dem Weg dorthin begegneten Grace und Perelli zwei Krankenschwestern, die ein Bett in einen großen Aufzug rollten.

„Besuche sind nicht gestattet“, sagte die ältere Schwester.

Grace zeigte ihre Dienstmarke. „Wir müssen so schnell wie möglich mit Mrs Colson reden.“

„Machen Sie Witze? Sie ist bewusstlos und hat eine schwere Kopfverletzung. Wir bringen sie gerade in den OP.“

Grace musterte die junge Mutter, die noch dieselbe Kleidung trug wie bei dem Einkauf mit ihrem kleinen Sohn in dem Eckladen, wo sie Milch und Brot besorgen wollte. Weiße Sneaker, eine verwaschene Jeans, mittlerweile genauso zerrissen wie das blutverschmierte T-Shirt mit dem Emblem der Mariners. Sie bekam eine Infusion und trug eine transparente Sauerstoffmaske. Das Gesicht war übersät mit Hautabschürfungen.

„Wie schlimm ist es?“, fragte Perelli.

„Es sieht nicht gut aus.“

„Wie lange wird die Operation dauern?“

„Schwer zu sagen. Bestimmt ein paar Stunden.“

„Hat sie etwas darüber gesagt, was passiert ist?“

„Nein, sie war die ganze Zeit bewusstlos.“

„Und im Krankenwagen?“

„Fragen Sie die Rettungssanitäter. Sie sind noch hier.“

Grace und Perelli fanden sie in der Cafeteria. „Sie war in einem schlechten Zustand, als wir eintrafen“, sagte einer von ihnen. „Sie war nicht ansprechbar. Manchmal reden sie noch in der Notaufnahme, aber meistens ist es unverständlich, weil sie unter Schock stehen.“

Grace und Perelli kehrten in die Notaufnahme zurück und befragten einige Pfleger, die Maria stabilisiert und für die Operation vorbereitet hatten. Niemand von den Pflegern erinnerte sich, dass sie etwas gesagt hatte. Aber eine Schwester konnte etwas sagen.

„Ich habe gehört, dass sie etwas vor sich hin gemurmelt hat.“

Grace zog einen Stift und ihr Notizbuch hervor.

„›Warum nehmen sie mir mein Baby weg?‹, glaube ich verstanden zu haben.“

„Sie?“, wiederholte Grace. „Sind Sie sicher, dass sie die Mehrzahl benutzt hat?“

„Ja, die Patientin hat ›sie‹ gesagt.“

„Nicht vielleicht doch ›er‹?“, hakte Grace nach. Sie musste sich absolut sicher sein.

„Nein.“

„Ist Ihnen noch etwas aufgefallen?“

Am Empfang versuchten zwei Schwestern einen aufgebrachten Mann zu beruhigen.

„Maria! Wo ist meine Frau?“

„Wir kümmern uns um sie, Mr Colson“, versicherte eine der Schwestern.

Seine dunkelblaue Arbeitshose war fleckig, das Flanellhemd steckte nicht im Hosenbund. Sein unrasiertes Gesicht war von tiefen Sorgenfalten durchzogen. Die Augen waren rot gerändert.

Grace ergriff den Arm des Mannes. „Ich bin Detective Garner, Mr Colson, und das ist mein Kollege Detective Perelli. Die Ärzte kümmern sich um ihre Frau und tun, was sie können.“

„Ich muss Dylan sehen. Ist er verletzt? Wo ist mein Sohn?“

„Dann hat es Ihnen noch niemand gesagt?“, fragte Grace.

„Was?“, fragte Colson schwer atmend. „Ich wurde von der Sekretärin des Abschleppdienstes während der Arbeit angerufen. Sie sagte, Maria und Dylan hätten einen Unfall gehabt und seien in dieses Krankenhaus gebracht worden. Würde mir bitte jemand erzählen, was eigentlich los ist?“

Grace tauschte Blicke mit Perelli und den beiden Schwestern aus.

„Kommen Sie mit.“

4

Jason bog vom Parkplatz des Mirror ab und schlug den kürzesten Weg zum Ort des Vorfalls ein.

Erst die Elliott Avenue zur 15th Street, dann in nördlicher Richtung über die Brücke nach Shillshole, und schon würde er da sein. Er fuhr einen roten Ford Falcon, Baujahr 1969, und scherte sich nicht um das Tempolimit.

Spangler schätzte das Können der Journalisten im Ressort Lokales falsch ein. Verglichen mit Reportern aus New York waren sie für ihn sämtlich nur Bauerntölpel.

Die Narbe unter Jasons Kinn war ein Beleg dafür, dass er als investigativer Journalist immer dicht an seinen Storys dranblieb, doch für Spangler bedeutete das gar nichts. Wahrscheinlich hatte er ihn ins Visier genommen, genau wie Astrid.

Zum Teufel damit.

Er überquerte die Ballard Bridge, die sich über die Salmon Bay spannte. Zu schade, Astrid hatte echt Pech gehabt, doch Tatsache blieb, dass ihr im Polizeifunk und vor Ort ständig etwas entgangen war. Sie hatte es nicht geschafft, wirklich interessante Neuigkeiten zu entdecken.

Gezielte Informationsbeschaffung war nicht jedermanns Sache.

Vor Kim’s Corner Store war die Straße mit gelbem Flatterband abgesperrt. Davor Polizei- und Übertragungswagen sowie eine wachsende Zahl von Neugierigen. Man hörte das Gequake aus Funkgeräten, ein Cop hatte das rötlich flackernde Alarmlicht nicht abgeschaltet.

Jason parkte ein Stück entfernt und machte sich auf zu den Reportern an der Absperrung. Dabei kam er an einem leeren Streifenwagen vorbei, dessen Tür offen stand. Die Polizei von Seattle nutzte Mobile Data Computers, und niemand sah, wie er sich bückte und einen Blick auf das Display warf.

Maria Jane Colson

104 Shale St.

Lee William Colson

104 Shale St.

Darunter stand noch etwas, doch die Schrift war zu klein, um sie lesen zu können. Er trat zwischen zwei Übertragungswagen und schrieb die Namen und die Adresse auf. Die Straße war ganz in der Nähe. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, lenkte ihn ein lauter Bariton ab.

„Wenn das nicht der legendäre Jason Wade ist“, sagte der gebräunte David Troy, erfahrener Polizeireporter vom Sender WKKR.

„Was genau ist passiert, Dave?“

„Nach dem, was ich gehört habe, wurde eine Mutter, die mit ihrem Baby einkaufen war, von einem Auto angefahren. Der Fahrer des Wagens ist flüchtig. Die Frau wird nicht durchkommen.“

„Ja, das habe ich auch gehört.“

„Wir warten darauf, dass die Detectives mit uns reden. Sie sind in dem Laden.“

„Kennst du den Namen der Mutter?“

„Noch nicht.“

Dann habe ich einen Vorsprung, dachte Jason befriedigt.

„Wie sieht’s mit Zeugen aus?“

„Bisher gibt es keine.“

„Sicher?“

„Ich bin mir sicher, dass du mir nicht zuvorkommen wirst. Wenn dein Blatt diese Story bringt, ist sie schon Schnee von gestern.“ Er schaute auf die Satellitenschüssel auf dem Übertragungswagen. „In fünf Minuten gehen wir auf Sendung. Sieh dir die Bilder an. Die sagen mehr als tausend Worte.“ Er zog einen Taschenspiegel hervor und überprüfte für den bevorstehenden Auftritt sein Aussehen.

Kameras richteten sich auf die Mitarbeiter der Spurensuche. Jason wartete auf der anderen Seite der Absperrung. Der umgekippte Kinderwagen, die Blutlache in der Nähe des Bordsteins, Rutschspuren auf dem Asphalt. Ist das da ein Scheibenwischer? Er versuchte sich vorzustellen, wie es sich abgespielt hatte. Neben den Kameraleuten der Sender waren auch Fotografen da, unter ihnen Nate Hodge vom Mirror, der ihm zunickte.

Jason hatte eine Idee. Er überquerte die Straße, betrat den Vorraum des Eisenwarengeschäfts Arnie’s Hardware und rief beim seiner Zeitung an.

„Kelly Swan, Seattle Mirror.“

„Hallo Kelly, hier ist Jason Wade. „Ich bin in Ballard wegen eines mysteriösen Verkehrsunfalls, der sich als Mordversuch herausstellen könnte. Ich brauche deine Hilfe.“

„Kein Problem, Jason.“

Er buchstabierte die Namen Maria Jane und Lee William Colson.

„Jag die Namen mal durch unser elektronisches Archiv. Mal sehen, ob was dabei herauskommt.“

„Bleib dran.“

Er hörte Kelly auf ihrer Tastatur tippen.

„Nichts über Lee William Colson. Halt, hier ist etwas über einen William Colson, doch das ist ein Baby.“

„Ein Baby? Klick das mal an.“

Während er wartete, schaute er in das Eisenwarengeschäft. Er glaubte einen Detective zu erkennen, der mit einem älteren Mann sprach. Worum geht’s da? Er würde sich später darum kümmern.

„Hör zu“, sagte Kelly. „Es stand nicht in der Werktagsausgabe, sondern in unserer Wochenzeitung. Keine Story, sondern nur ein paar Worte unter einem einige Wochen alten Foto von Maria Colson und ihrem Sohn Dylan, der sich auf einem Wohltätigkeitsbasar in Ballard Kinderspielzeug ansieht. Was für ein süßer kleiner Kerl.“

„Kannst du mir das Bild schicken?“

„Wird gleich erledigt.“

Nach dem Ende des Telefonats warf er einen Blick auf die Adresse der Colsons. Es war nicht weit weg, vielleicht drei oder vier Straßenecken entfernt. Er hatte eine Ahnung und wollte ihr nachgehen. Er rief den Fotografen des Mirror an.

„Hodge.“

„Hallo Nate, hier ist Jason. Ich muss weg, um etwas zu überprüfen. Ruf mich an, wenn die Polizei eine Stellungnahme abgibt.“

„Kein Problem.“ Er senkte die Stimme. „Hör zu, ein befreundeter Cop hat mir erzählt, es sehe so aus, als hätten sie das Kind entführt.“

„Was sagst du da?“

„Wer immer die Mutter angefahren hat, hat ihr Baby gekidnappt.“

Gekidnappt?

Sein Herzschlag beschleunigte sich. Hier ging es um mehr als Fahrerflucht. „Das könnte eine große Story werden. Sag Bescheid, wenn sich etwas tut.“

Kurz darauf konnte er sich das Foto auf dem Display seines Mobiltelefons anschauen. Maria Colson und ihr Sohn Dylan, beide lächelnd. Mutter und Kind. Was genau war geschehen? Bisher wusste er es nicht.

Als er um eine Ecke bog, sah er einen Streifenwagen vom Seattle Police Department vor dem einstöckigen Haus der Colsons stehen. Bingo. Andere Journalisten waren nicht vor Ort. Sehr gut. Er war fast da, als er eine Frau aus dem Vorgarten der Colsons kommen sah. Sie ging in seine Richtung.

„Entschuldigen Sie.“ Er trat ihr in den Weg, zeigte ihr einen Presseausweis und gab ihr seine Karte. „Jason Wade vom Seattle Mirror. Kann ich mit Ihnen reden?“

Sie sagte nichts, bis er auf seinem Handy das Foto aufrief und es ihr zeigte.

„Wissen Sie, wer das ist?“

Ihr traten Tränen in die Augen, und sie nickte. „Das ist Maria mit ihrem kleinen Sohn Dylan.“

„Colson?“

„Genau.“

„Sind Sie mit ihnen verwandt oder eine Freundin?“

Sie gab ihm das Handy zurück und zeigte auf ein Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. „Freundin.“

„Und Sie heißen?“

Sie zögerte.

„Ein Zeitungsartikel könnte dazu beitragen, herauszufinden, wer das getan hat.“

„Annette.“

„Nachname?“

„Tabor.“

Er zog sein Notizbuch hervor und schrieb den Namen auf.

„Ich habe nach Lee gesucht, doch er ist nicht da“, sagte sie.

„Lee?“

„Marias Ehemann. Der Polizist vor dem Haus glaubt, dass er zu dem Krankenhaus gefahren ist, zu dem sie Maria gebracht haben. Wenn er da gewesen wäre, hätte ich ein paar Dinge eingepackt für Maria, aber der Cop wollte mich nicht reinlassen.“

„Wissen Sie, was wirklich passiert ist?“

„Ich weiß nur, was Shannon mir erzählt hat.“

„Shannon?“

„Meine Tochter. Sie arbeitet in dem Laden. Die Detectives wollten sie nicht mit mir reden lassen, doch sie hat später angerufen. Sie hat nicht gesehen, wie sie Dylan verschleppt haben.“

„Wer? Wer hat Dylan entführt?“

„Keine Ahnung, aber sie müssen ihn finden! Hat die Polizei Ihnen etwas gesagt über Maria? Ist sie schwer verletzt?“

„Ich weiß bisher auch nichts Genaueres über sie.“

„Und über Dylan?“

„Auch nichts. Bisher sind die Cops sehr schmallippig.“

„Ich habe ein schlechtes Gefühl.“ Annette Tabor schaute auf das Haus der Colsons. „Guter Gott, warum Lee und Maria? Die beiden haben so viel durchgemacht. Und jetzt das!“

„Wovon reden Sie. Was haben sie durchgemacht?“

Annette Tabor schüttelte den Kopf. „Vergessen Sie’s, ich hätte nichts sagen sollen. Entschuldigen Sie, ich muss jetzt gehen.“

5

Von den Buntglasfenstern der Krankenhauskapelle blickten Engel auf Lee Colson hinab.

Grace Garner und Perelli sahen ihn auf einer der Eichenbänke sitzen. Der Mann schien völlig durcheinander zu sein.

Dr. Raj Binder, ein Harvard-Absolvent, trat mit einer Schwester in die Kapelle und sprach mit einer Empathie, als wäre er seit Jahren mit Colson befreundet.

„Mr Colson, Ihre Frau Maria wird oben gerade operiert.“

Colson schaute den Arzt an.

„Sie hat eine schwere Gehirnerschütterung. Sie ist mit dem Kopf auf die Bordsteinkante geschlagen, wodurch Nervenfasern durchtrennt wurden. Dazu kommt eine Gehirnblutung. Als sie eingeliefert wurde, war sie bewusstlos. Unsere besten Neurologen operieren sie. Das könnte ein paar Stunden dauern. Zurzeit kann niemand sagen, wie der Ausgang sein wird. Vielleicht wird sie wieder ganz gesund, ohne jeden Gedächtnisverlust, aber sie könnte auch periodisch an Amnesie leiden.“ Binder berührte Colsons Schulter. „Es ist aber auch möglich, dass sie nie wieder zu Bewusstsein kommt.“

„Besteht Lebensgefahr?“

„Leider ja.“

„Wer hat das getan ... Ich verstehe nicht ... Wo ist Dylan?“

Grace setzte sich neben ihm auf die Kirchenbank.

„Da ist noch etwas“, sagte sie.

„Noch etwas? Was zum Teufel ist passiert?“

„Ihr Sohn wurde entführt, Mr Colson.“

„Entführt? Was? Wer ...?“

„Soweit wir wissen, hat Ihre Frau den Kinderwagen vor Kim’s Corner Store bei einer Angestellten stehen lassen, während sie den Laden betrat, um ein paar Einkäufe zu machen. Die Angestellte, eine Teenagerin, hat dann den laden betreten, und während dieser Zeit hielt ein Fahrzeug, vermutlich ein Lieferwagen. Jemand stieg aus, schnappte sich Dylan und wollte mit ihm flüchten. Maria hat es aus dem Geschäft gesehen. Sie ist nach draußen gestürmt und hat versucht, den Wagen aufzuhalten, und da wurde sie angefahren. Wir werden jetzt Ihre Hilfe benötigen. Haben Sie irgendeine Ahnung, wer das getan haben könnte?“

„Nein. Nein!“

Es ist verrückt. Sie sind alle Idioten.

Colson musterte nacheinander Grace, Binder, Perelli und Cindy von der psychologischen Beratungsstelle. Gab es Anzeichen für Betrug, einen Fehler, einen grausamen Scherz? So etwas musste es sein, denn man sagte einem Mann nicht mal eben so, seine Frau liege im Sterben und sein Sohn sei entführt worden.

Doch als er ihre ernsten Gesichter sah, wusste er, dass es die Wahrheit war.

Als er sie zu akzeptieren begann, hatte er das Gefühl, sich nicht mehr auf den Beinen halten zu können, wenn er aufstehen würde. Er blickte sich in der Kapelle um wie ein Mann, der in der Falle saß.

In seinem Beruf hatte er Menschen geholfen, die mit einem Platten oder einer leeren Autobatterie liegen geblieben waren. Sie waren immer so dankbar, weil er sie gerettet hatte. Nun konnten sie weiterfahren auf dem Highway des Lebens.

Doch es gab auch Unfälle, wo er nicht mehr helfen konnte, weil es zu spät war. Leichen, zerquetscht zwischen Autowracks. Wenn die befreit waren, zog er die Wracks auf seinen Abschleppwagen. Manchmal klebte an ihnen noch Blut und Hautgewebe. Aber er verfügte über so etwas wie professionelle Distanz und konnte sich davon lösen, selbst wenn er die Habseligkeiten der Toten sah — Bierdosen, Brieftaschen, Mobiltelefone, Einkäufe, Geschenke, Jacken, Schuhe, Kindersitze, Spielzeuge ...

Seine größte Hoffnung — wie die aller Rettungssanitäter, Cops und Feuerwehrleute — war es, dass er nie selbst betroffen sein würde.

Solche Tragödien trafen nur die anderen, nicht einen selbst.

Also erzählen sie nur Unsinn. Es ist alles nicht wahr. Es ist nicht wahr, weil ich vor ein paar Stunden noch mit Maria gesprochen habe. Es ging ihr gut. Sie wollte mit Dylan einkaufen gehen, weil wir Milch und Brot brauchten. Das ist alles. Man bezahlt nicht mit dem Leben dafür, dass man Milch und Brot einkauft.

Also ist alles ein Irrtum.

Sie haben nichts bewiesen. Sie werden beweisen müssen, dass es wahr ist.

„Ich will Maria sehen!“ Colson stand auf und machte sich von Grace’ Griff frei, als die in festhalten wollte. „Ich will meinen Jungen sehen. Meine Frau und meinen Sohn, sofort!!“

„Immer mit der Ruhe, Colson.“

Binder bat ihn, sich wieder zu setzen.