Brennpunkt Balkan - Christian Wehrschütz - E-Book

Brennpunkt Balkan E-Book

Christian Wehrschütz

4,3

Beschreibung

Christian Wehrschütz ist davon überzeugt, dass der Balkan der entscheidende Testfall für die EU ist und bleiben wird. Die Union wird beweisen müssen, dass sie ihren „Hinterhof“ befrieden kann, wenn sie ein wirklicher außenpolitischer Faktor in der Welt sein will. Doch die seit Jahren herrschende Krise in der Euro-Zone hat sich auch auf die Attraktivität der EU am Balkan ausgewirkt, was sich nicht nur an der steigenden Zahl dahingehend kritischer Karikaturen zeigt. Doch dieser Region fehlt geografisch und wirtschaftlich jede rationale Alternative zum EUBeitritt. Dieses Ziel haben aber erst Slowenien und Kroatien erreicht, beide Länder leben in und mit einer Krise, und vor allem im Falle Kroatiens dürfte der Beitrittsschock massiv werden. Christian Wehrschütz schreibt mit dem Wissen und der Erfahrung des langjährigen Korrespondenten, der die Mühen der EU-Annäherung und deren Probleme am Balkan kennt. Das betrifft die Aussöhnung zwischen den Völkern ebenso wie die sozialen, wirtschaftlichen und demografischen Gruppen, von den Herausforderungen, die diese „Nach-Kriegs-Region“ zu bewältigen hat. Doch der Autor schildert auch viele positive Entwicklungen, die den Balkan- Klischees widersprechen.

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Christian Wehrschütz

BrennpunktBalkan

Blutige Vergangenheit Ungewisse Zukunft

Der besten Cupcake-Köchin und der besten Hoteldirektorin der Welt, meinen Töchtern Immanuela und Michaela sowie meiner Frau Sissy, die in den vielen Jahren meiner Tätigkeit auf dem Balkan trotz ihres Berufes immer für die Familie dagewesen ist.

Inhalt

Cover

Titel

Widmung

ANSTELLE EINES VORWORTS

DER W(R)ESTBALKAN UND DIE EU Hängepartie statt dynamische Annäherung

SLOWENIEN 2008–2013 Vom Musterschüler zum Sorgenkind

KROATIEN Der lange Marsch in die EU als Vorbild für den Balkan

VUKOVAR Heldenstadt zwischen Krieg und Krise

MONTENEGRO Der Kampf um die Unabhängigkeit

ALEKSANDAR VUČIĆ Ein neuer Zoran Djindjić?

SERBIEN UND DER KOSOVO Der dornenreiche Weg zu Normalisierung und Aussöhnung

SKOPJE 2014 Mazedonien zwischen Minimundus und Las Vegas

„U IME NARODA“ Kommunistische Repression in Serbien und Jugoslawien

20 JAHRE HAAGER TRIBUNAL Versuch einer vorläufigen Bilanz

SERBEN UND RUSSEN Eine einseitige Liebe?

VON SÜLEYMAN BIS ERDOĞAN Die „Rückkehr“ der Osmanen auf den Balkan

BELENE Eine Stadt hofft auf ein Atomkraftwerk

„BAUER SUCHT FRAU“ Albanisch-serbische Heiratsg’schichten

ALBANIEN Eine österreichische Schule als Kulturschock

MYTHOS SKANDERBEG Vom „Athleta Christi“ zum Nationalhelden aller Albaner

SKUTARI Der Kampf der katholischen Kirche gegen die Blutrache

ZOLTÁN DANI Der Mann, der den „unsichtbaren“ Jagdbomber vom Himmel holte

ANHANG

Glossar

Anmerkungen

Personenregister

Nachwort

Außenpolitik von innen gesehen

Bildnachweis

Impressum

ANSTELLE EINES VORWORTS

Grüße von Freunden(in alphabetischer Reihenfolge)

Ivica Dačić

Mein Freund Christian – ich denke, dass ich ihn so nennen kann angesichts der Jahre, die er Serbien gewidmet hat, und angesichts des Verständnisses, mit dem er die hiesigen Ereignisse verfolgt – hat mich gebeten, ein paar Zeilen als Einleitung zu seinem Buch zu schreiben. Ich habe selbstverständlich keinen einzigen Augenblick gezögert, dieser Bitte nachzukommen und etwas für einen Autor zu tun, der sich so oft bemüht hat, uns gerade dort zu helfen, wo für uns die Hilfe am notwendigsten war: im Westen, in Europa. Dort hat man – auch dank seiner Berichte – nach vielen Jahren begonnen, unserem Land gegenüber eine andere Haltung einzunehmen. Ich habe das Gefühl, Serbiens Bedürfnisse und Visionen werden nun besser verstanden, sodass unser Wunsch, Teil der modernen europäischen Familie zu werden, zumindest ins Auge gefasst wird.

Verwirrt hat mich allerdings der Untertitel des Buches, in dem von einer „unsicheren Zukunft“ des Balkans gesprochen wird. Es stimmt zwar, dass so mancher den Balkan – von dem einige sagen, dass das Wort eine Übersetzung aus dem Türkischen ist und „Land von Blut und Honig“ bedeutet – als Hinterhof Europas sieht, eine Art schwarzes Loch, das den gesamten Kontinent in Unruhen und Kriege hineinreißt. Doch wir, die wir hier leben, und Menschen wie Christian, die hierhergekommen sind, nicht, um zu verurteilen, sondern um zu verstehen, wir denken selbstverständlich über den Balkan in ganz anderen Kategorien. Wir versuchen, eine Perspektive für unser Land zu finden, die uns das Leben in einem Miteinander ermöglichen wird, ohne auf die Eigenständigkeit seiner Bewohner und deren Nachbarn verzichten zu müssen. Gerade deshalb glaube ich nicht, dass die Zukunft des Balkans ungewiss ist. Im Gegenteil: Sie liegt auf der Hand, und Serbien und alle anderen Länder der Region sind gerade dabei, nach Jahren der Unsicherheit nun einen gemeinsamen Weg zu finden. Ja, es ist richtig: Zu viel Blut wurde vergossen, zu viel Honig benötigte man, um die Wunden zu heilen. Doch diese Periode ist nun zu Ende, und wir konnten bereits viel Vertrauen aufbauen.

Daher glaube ich, dass auch dieses Buch, das Buch eines verständnisvollen Freundes dazu beitragen wird, dass Europa unsere Entschlossenheit erkennt und die Zukunft hier niemals mehr ungewiss sein wird.

Ivica Dačić, Premierminister Serbiens

Milo Djukanović

Der Balkan stand und steht immer wieder im Mittelpunkt der europäischen Geschichte. Dennoch gibt es wenige profunde Kenner der dortigen Verhältnisse. Christian Wehrschütz ist einer von ihnen.

Jahrhundertelang bildete Österreich, das Herkunftsland des Autors, geografisch und historisch eine Brücke zwischen den nordwest- und südosteuropäischen Kulturen. Seit Beginn dieses Jahrhunderts hat nun Wehrschütz durch seine publizistische Tätigkeit die österreichische, aber auch die europäische Öffentlichkeit über die politischen und wirtschaftlichen Prozesse nach der Zeit der Konflikte auf dem Westbalkan sachlich und professionell informiert. Und er hat auch dazu beigetragen, ein neues Verständnis für die Lage in dieser Region entstehen zu lassen. So war er Zeuge des montenegrinischen Referendums des Jahres 2006, das so mancher Beobachter als das größte demokratische Projekt in Europa seit dem Ende des Kalten Krieges bezeichnet. Im Montenegro sind wir sehr stolz darauf, dass unser Land das Erste in der Geschichte des Balkans war, das auf friedlichem und demokratischem Weg geschaffen wurde. Und heute, sieben Jahre später, verhandeln wir über die Mitgliedschaft in der EU und stehen an der Schwelle zum Nato-Beitritt.

Das ist der Weg, den heute alle Länder des Westbalkans gehen. Die Zukunft unserer Region wird dann gesichert sein, wenn sie europäisch ist. Daher werden wir noch deutlicher unser gemeinsames Interesse gegenüber unseren europäischen Partnern hervorheben. Die Verwirklichung eines vereinten Europas und die Fortsetzung der Politik der EU-Erweiterung werden in der klaren Teilung der Rollen und der Verantwortung in diesem Prozess verdeutlicht. Wir erwarten, dass uns die Europäische Union hilft, ihre Standards zu erreichen, damit unser Land und unsere Region nicht nur formell zu einem Bestandteil der europäischen Zivilisation des 21.Jahrhunderts gemacht werden. Freilich dürfen wir bei all unseren Bemühungen als Politiker niemals den Auftrag unserer Mitbürger vergessen, die uns ihr Vertrauen geschenkt haben, damit wir sie auf gutem Weg zu diesem Ziel führen. Deshalb muss die Verbesserung des Lebensstandards der Menschen unseres Landes das Rückgrat der nationalen, der regionalen wie auch unserer Europapolitik sein. Unser Erfolg wird wohl daran gemessen werden, wie sehr wir uns dem Aufbau einer demokratischen Gesellschaft und eines Rechtstaates nach europäischen Standards widmen. Die Mitgliedschaft in der EU steht quasi als Belohnung am Ende dieser Bemühungen. Ob das in fünf, sieben oder erst in elf Jahren sein wird, ist weniger wichtig. Das Entscheidende ist, dass wir sicher sind, unsere Probleme zu lösen. Die EU wird uns nicht nur mit ihren Forderungen, sondern auch mit ihren sinnvollen Vorgaben dabei helfen, die konkreten politischen und gesellschaftlichen Grundlagen müssen wir freilich selbst schaffen. Daher liegt die europäische Zukunft des Westbalkans einzig in unseren Händen. Denn ein vereintes Europa wird nur dann Bestand haben können, wenn dieses Friedens- und Wirtschaftsprojekt tatsächlich auf dem gesamten europäischen Territorium verwirklicht sein wird.

Ich und wir alle in Montenegro sind davon überzeugt, dass ein Buch wie das vorliegende deutlich macht, dass wir auf dem Westbalkan die Fähigkeiten besitzen, eine gemeinsame europäische Zukunft aufzubauen..

Milo Djukanović, Premierminister Montenegros

Dardan Gashi

Als langjähriger und profunder Kenner der Balkanländer hat Christian Wehrschütz den Blick auf die Region beibehalten, als sich andere Journalisten längst abgewandt haben. Wehrschütz zeichnen Beharrlichkeit und der unbedingte Wunsch aus, den nicht immer einfach zu durchdringenden politischen Entwicklungen der Balkanländer auf den Grund zu gehen. Dass er bereit war, die Sprachen der Länder zu lernen, ist nur ein Beweis mehr, dass Wehrschütz in seiner journalistischen Arbeit dafür lebt, unvoreingenommen, kritisch, mit der nötigen Distanz und dennoch offen an seine Geschichten heranzugehen. Was Österreicher heute über den Balkan wissen, verdanken sie zu einem nicht unwesentlichen Teil dem ORF-Korrespondenten Christian Wehrschütz.

Dardan Gashi, Umweltminister des Kosovo

Stanislav Hočevar

Blutige Vergangenheit, ungewisse Zukunft“ – man kann auch einfach so über den Balkan schreiben. Aber was bedeutet dieser Begriff und seit wann ist er in Verwendung? Wer immer über diesen Teil Europas herrschte, hatte eine eigene Vorstellung von ihm. So nannten die Römer die Berge im heutigen Bulgarien „Mons Hemus“, die Osmanen denselben Berg „Balkan“ und der Okzident des 18.Jahrhunderts schließlich die gesamte Region „Balkan“. Doch wer kann schon sagen, worin die Namensgebung begründet war? Ich glaube, dass weder die Römer oder die Slawen noch die Osmanen oder gar der europäische Westen Herrscher über Südosteuropa waren oder sind, sondern Gott, der ewige Schöpfer. Eigentlich kam ich nie auf den Gedanken, auf den Balkan leben zu wollen, als mich Anfang März 2000 der Apostolische Nuntius in Laibach fragte: „Wann gehst du nach Belgrad?“ In meiner salesianischen Unbekümmertheit überhörte ich die Frage, doch als sie der Abgesandte des Papstes wiederholte, wurde es für mich ernst. Nun lebe ich in Belgrad, einer Stadt, die im Lauf der Geschichte oft ihren Namen ändern musste, die aber ihre komplexe Geschichte widerspiegeln. Nachdem ich mich mit ihr zu beschäftigen begann, begegnete ich bald Christian Wehrschütz, der mit ebenso viel Ausdauer wie Neugier nur noch mehr Fragen an mich richtete, je mehr Antworten ich gab. Ihm geht es um den historischen, sozialen, aber auch existenziellen Hintergrund, auf dem wir unsere Zukunft aufbauen können. Obwohl er sämtliche Sprachen der Region spricht, bleibt sein Blick jener von außen, manchmal auch einer von „oben“, eben jener aus der Sicht eines Alpenländers. Durch diese Art der journalistischen Arbeit fällt mehr Licht auf uns und verdrängt damit die Dunkelheit, die zu lang auf dem Balkan lastete. Alle Leser seien deshalb aufgefordert, die „Morgenröte“ des Balkans zu entdecken. Denn die optimistische Sicht auf die Zukunft erleuchtet auch die dunkelsten Wege. Deshalb schrieb ich diese von reiner Hoffnung getragenen Worte.

Stanislav Hočevar, Erzbischof von Belgrad

Ivo Josipović

Dieses Buch ist das Werk eines hervorragenden Balkankenners, eines erfahrenen Journalisten, der sehr sorgsam und außerordentlich professionell die politischen Ereignisse in der Region verfolgt. Mit seinem großen Wissen hat es Christian Wehrschütz bewerkstelligt, die gesellschaftlichen Phänomene in den Ländern des ehemaligen jugoslawischen Raums so zu beschreiben, dass deren Bild in der Öffentlichkeit gerade gerückt werden konnte. Aber er ist nicht nur Chronist der Ereignisse, sondern auch Vermittler für ein neues Verständnis. Heute über den Balkan zu schreiben ist nicht einfach, denn es handelt sich um eine Region, die in ihrer geschichtlichen und kulturellen Komplexität, ja durch den konfliktbelasteten Umgang miteinander, schwer fassbar ist. Denn sie hat zwei Gesichter: Da ist zum einen der Wille zu Frieden, Zusammenarbeit und Toleranz. Andererseits können sämtliche Bemühungen um Konsens sehr schnell in Intoleranz und Konfliktbereitschaft umschlagen – nicht nur zwischen Staaten, sondern auch zwischen den einzelnen Völkern selbst. Hier ein Verständnis dafür aufzubauen, dass der Balkan kein Ort der Verdammung, sondern europäischer Hoffnungsträger ist, fällt auch uns selbst nicht immer leicht. Umso mehr sind wir dem Autor dafür dankbar, dass dieses Buch zweifellos dazu beitragen wird, dem Leser das Wesen des Balkans näherzubringen.

Von uns selbst hängt es ab, wie sich die Zukunft unserer Region gestalten wird. Wir müssen heute jene Grundlagen schaffen, die den folgenden Generationen den Weg zur europäischen Einigung ebnen. Wir möchten, dass der gesamte Balkan so rasch wie möglich in die Europäische Union und in die euroatlantische Integration eingeschlossen wird, denn das betrachten wir als Garantie des Friedens, der Sicherheit, des Wohlstands und der Freiheit. Eine verantwortungsvolle und auf Zusammenarbeit gerichtete Politik ist der größte Beitrag zur Stabilität nicht nur auf dem Balkan, sondern auch in ganz Europa.

Ich beglückwünsche den Autor zu diesem Buch und danke ihm für seine gewissenhafte Beschreibung des Lebens auf dem Balkan.

Ivo Josipović, Präsident Kroatiens

Jadranka Kosor

Es ist mir eine Ehre und auch eine Freude, ein paar Worte zum neuen Buch von Christian Wehrschütz beisteuern zu dürfen. Manchmal habe ich nämlich den Eindruck, dass er Kroatien besser kennt als so mancher Kroate, was wieder einmal beweist, dass die Sicht von außen für das eigene Verständnis wohl sehr wichtig ist. Das ist besonders dann der Fall, wenn es um eine objektive Darstellung der Verhältnisse geht.

Wehrschütz ist ein Kenner meines Landes und natürlich kennt er auch dessen Politiker. Wir haben uns im Kontext der kroatischen EU-Beitrittsverhandlungen als Journalist und Politikerin kennengelernt, und ich denke, dass der Autor dieses Buches ohne Pathos und Einseitigkeit jene Kraftanstrengung widergegeben hat, die notwendig war, um Kroatien zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu führen und ein neues Kapitel der immer schwierigen kroatischen Geschichte aufschlagen zu können.

Auch unser letztes Gespräch vor der Feier über den Beitritt am 1.Juli fand zu diesem Thema statt. Ich sagte bei dieser Gelegenheit, dass die EU zwar nicht perfekt, aber für diesen Teil der Welt, der so durch Kriege und Konflikte erschöpft ist, tatsächlich der einzige Weg zu Frieden, Stabilität sowie gegenseitigem Respekt und internationaler Anerkennung sei. Ich persönlich habe diesen Kraftakt als die letzte Schlacht der Operation „Oluja“ gesehen, der großen Militäraktion, mit der das Land befreit wurde. Wir haben aber mit unserem EU-Beitritt gezeigt, dass sich Reformen und schwere Arbeit auszahlen. Auf dem Weg nach Europa können wir nun unseren Nachbarn helfen.

Ich bin Christian Wehrschütz auch dankbar für das Verständnis für meine persönliche Lage, die mir die Politik eingebracht hat. Auch das zeichnet ihn als guten Journalisten aus, was freilich alles über die Qualität des vorliegenden Buches, aussagt: Ein immens wichtiger Lesestoff und eine wertvolle Quelle für (künftige) Historiker, weil hier ein aufmerksamer Zeitzeuge wichtige Details der Gegenwart auch für die Zukunft aufgezeichnet hat.

Jadranka Kosor, Premierministerin Kroatiens von 2009 bis 2011

Borut Pahor

Das vorliegende Buch führt in einen außerordentlich interessanten und vielfältigen Landstrich, der bis in den Gegenwart stets eine wichtige Rolle zur Bildung der Identität Europas gespielt hat. Wegen ihrer geografischen Lage wurde diese Region, die von der EU die Bezeichnung „Westbalkan“ erhalten hat, durch kulturelle und gesellschaftliche Einflüsse aus Mitteleuropa, aber auch durch die prägende Denkweise des Nahen Ostens bestimmt, verlief doch im Lauf der Geschichte durch ihre Mitte die Grenze zweier Weltmächte. Diese Grenze beeinflusste den Charakter des gesamten Gebiets und kennzeichnete vor allem die kulturellen Merkmale seiner Bewohner. Die erwähnte Vielfalt war aber auch mehrfach der Grund für Konflikte, was bei den heutigen Bewohnern tiefe Narben hinterlassen hat, für deren Heilung noch viel Zeit nötig sein wird.

Persönlich bin ich ein großer Befürworter des europäischen Engagements auf dem Westbalkan, weil dieser Teil Europas nur mit Hilfe der EU auch politisch in die Obhut der europäischen Völker zurückkehren wird. Daher werde ich auch stets für die europäische Zukunft des Westbalkans eintreten. Aus diesem Grund habe ich gemeinsam mit dem kroatischen Präsidenten Ivo Josipović den sogenannten Brdo-Prozess wiederbelebt, der das Ziel hat, den Dialog zwischen den Präsidenten des Westbalkans und der EU über die drängendsten Fragen zu stärken. Ich denke, dass jetzt die Zeit ist, mit der Lösung aller offenen Fragen zu beginnen, damit sich die Balkanstaaten von der Last der Vergangenheit befreien können. Dann wird es viel leichter sein, die gemeinsame europäische Zukunft mitzugestalten. Ich bin überzeugt, dass Europa nur dann erfolgreich sein wird, wenn es alle Völker umfasst, die kulturell und historisch dessen integralen Bestandteil bilden – und dazu zählen ohne Zweifel die Völker des Westbalkans.

Borut Pahor, Präsident Sloweniens

Vesna Pusić

Der Balkan hat leider immer noch ein schlechtes Image. Ich glaube aber, dass wir auf dem besten Weg sind, das zu ändern. Dazu ist es aber wichtig, die Region wirklich gut zu kennen, um Vorurteile abzubauen, ja sie zum Verschwinden zu bringen. Das vorliegende Buch von Christian Wehrschütz ist daher ein wichtiger Beitrag zu einem besseren Verständnis dessen, was sich auf dem Balkan ereignet und ereignet hat. Denn der Blick des Autors ist nicht nur auf die Vergangenheit gerichtet, sondern gibt auch einen Einblick in aktuelle Ereignisse, die zeigen, dass eine Entwicklung möglich ist, wenn man sich ein klares Ziel steckt, hinter dem die Gesellschaft auch steht.

Das vereinte Europa ist eines dieser Ziele, weil es Sicherheit und Ordnung in jedem Bereich von Staat und Gesellschaft bietet, wobei ich betonen möchte, dass die gemeinsame Perspektive aller Staaten des Balkans ein Garant für dessen Stabilität ist.

Vesna Pusić, Außenministerin Kroatiens

Boris Tadić

Wenn ich über die politische Lage auf dem Balkan spreche, dann vor allem im Zusammenhang mit dem aktuellen Prozess der EU-Integration des Westbalkans. Die Balkanstaaten haben nun einen Punkt erreicht, an dem die EU-Integration dominiert, doch die Besonderheit ihrer Geschichte beeinflusst auch entscheidend ihren besonderen europäischen Weg. Damit sie die EU-Mitgliedschaft als ihr zentrales poltisches Ziel annehmen und dieser Prozess unumkehrbar werden kann, war es nötig, an einer Änderung des Bewusstseins zu arbeiten. Darunter verstehe ich die Annahme der politischen Kultur und des Systems der EU an sich. Es war notwendig, dass die Länder auf dem Balkan mit ihrem eigenen, einzigartigen Prozess der Aussöhnung begannen, ehe sie Teil des größten Friedensprojekts der Welt, der EU, werden können. Einer der größten politischen Erfolge meiner Amtszeit war das Erreichen des nationalen Konsenses über den EU-Beitritt als politisches Hauptziel. Solange Serbien trotz aller Schwierigkeiten, mit denen es konfrontiert ist, an diesem damals begonnenen Weg festhält und solange Serbien und der gesamte Westbalkan von diesem europäischen Weg nicht abgehen, sehe ich optimistisch in die Zukunft.

Nach all den Schwierigkeiten seit den 1990er Jahren steht nun Serbien an der Schwelle zum Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen. Damit Serbien und der Balkan ein Teil Europas werden können, ist es nötig, dass Europa ein Teil des Balkans wird. Das erfordert am Balkan eine Änderung der politischen Ziele und des politischen Bewusstseins, aber auch eine Änderung der Außenwahrnehmung des Balkans. Diese beiden Prozesse sind untrennbar und verlaufen parallel. Der Balkan muss an Europa angenähert werden, damit sich Europa ihm annähern kann. Dazu muss man sich aber der schwierigen Ausgangslage bewusst sein: Das Bild des Balkans in der EU und in der Welt war negativ, und die Beziehungen zwischen den Balkanstaaten standen unter extrem negativen Vorzeichen. Somit muss klar gemacht werden, wie viel soziale und politische Energie erforderlich war, um eine Veränderung herbeiführen zu können. Die Lösung, die ich als Präsident Serbiens sah, bestand vor allem in einer Politik der Aussöhnung auf dem Westbalkan, der damit von einer Konfliktregion zu einer Friedenszone wurde. Das war die Basis für alle anderen Prozesse. Heute blicken die Länder des Balkans nicht nur auf eine gemeinsame stürmische Geschichte, sondern auch auf gemeinsame politische Ziele. Daher ist es unumgänglich notwendig, alles zu tun, dass dieser Weg der Aussöhnung durch nichts gestört wird. Dabei hängt vieles von den Spitzenpolitikern der Balkanländer und ihren Beziehungen und Zielen zueinander und zu allen anderen Ländern Europas ab.

Damit die Balkan-Staaten zu einem wertvollen Teil der EU werden können, sind nicht nur grundlegende innenpolitische Veränderungen vonnöten, sondern auf der anderen Seite dieser Partnerschaft auch das Verständnis für die Besonderheiten der Volkscharaktere auf dem Balkan. Dabei ist die Rolle ausländischer Korrespondenten und ausländischer Medien entscheidend. Christian Wehrschütz ist ein Journalist, der es mit seinen Berichten aus Serbien und aus dem Balkan vermocht hat, das Wesen der Politik in dieser Region zu durchdringen und auf angemessene Weise ein objektives Bild nach außen zu tragen. Mit seinem professionellen Einsatz hat er dieses Bild nicht nur unter dem Aspekt eines Journalisten gezeichnet, der ein großer Kenner der hiesigen Gegebenheiten ist; vielmehr ist es ihm mit Hilfe seiner reichen Berufserfahrung in diesem Raum gelungen, an den Kern der politischen Ereignisse vorzudringen und sie in einen breiten Rahmen zu stellen. Derartige mediale Experten haben in vielerlei Hinsicht die Annäherung des Balkans an Europa erleichtert, und das gilt auch für Europas Annäherung an den Balkan.

Die Politik der Aussöhnung auf dem Westbalkan hängt unter anderem gerade vom erfolgreichen Aufbau derartiger Kommunikationskanäle ab. Journalisten wie Wehrschütz leisten dazu durch ihre journalistische Tätigkeit einen wichtigen Beitrag. Denn er zeigt mit seiner Arbeit den Willen, tief in unsere politische Wirklichkeit und in ihr Wesen einzudringen und sie nicht durch ein Prisma vorgefertigter Stereotype zu betrachten. Der Balkan muss sich nicht nur mit sich selbst aussöhnen, sondern auch mit der übrigen Welt. Daher ist die Rolle eines jeden Journalisten sehr wichtig, der an diesem Prozess teilnimmt. Christian Wehrschütz ist einer von ihnen. Er bringt Themen des Balkans der breiten Öffentlichkeit näher, verweist auf politische Fortschritte auf dem Balkan, aber auch darauf, welche Probleme noch immer ihrer Lösung harren. Durch seine Tätigkeit als Autor und Journalist trägt Christian Wehrschütz zweifellos dazu bei, dass der Balkan ein Teil Europas wird.

Boris Tadić, Präsident Serbiens von 2004 bis 2012

Danilo Türk

Ich habe immer gern mit Journalisten gesprochen, die sich ihrem Themenkreis gründlich widmen. Ein Publizist, der die Achtung und das Vertrauen der Öffentlichkeit und damit auch der Politiker erwirbt, benötigt freilich ein grundlegendes Wissen und muss systematisch arbeiten können. Christian Wehrschütz ist einer dieser Journalisten. In der Zeit meines Präsidentenamtes in den Jahren 2007 bis 2012 bin ich ihm mehrmals begegnet und jedes Mal waren seine Fragen durchdacht, weshalb ich ihn auch immer wieder nach seiner Meinung fragte. In der Regel kam er meist am Ende einer Reise durch den Balkan nach Laibach. Und da brachte er seine Eindrücke und Überlegungen zu den diversen politischen Ereignissen mit, wie das beispielsweise anlässlich der Anerkennung des Kosovo der Fall war, über die wir am Beginn des Jahres 2008 gesprochen haben.

In das vorliegende Buch, das ich mit großem Interesse lesen werde, sind die langjährigen Erfahrungen des Autors eingeflossen und es veranschaulicht sehr plastisch den Weg der Balkanstaaten in ein vereintes Europa. Denn heute sind die Staaten des Westbalkans die am stärksten europäisch orientierten des gesamten Kontinents. Ihre Sehnsucht wird mit dieser Lektüre noch verständlicher. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Leser, der sich für den Balkan und seine Bewohner interessiert, einen perfekten Überblick über diesen schönen und interessanten, aber auch problematischen Teil Europas bekommt.

Danilo Türk, Präsident Sloweniens von 2007 bis 2012

Aleksandar Vučić

Als guter Journalist sollte man, wenn es nach dem Willen der internationalen Machthaber geht, im Orchester der Gegner Serbiens mitwirken. Doch der Autor dieses Buches zeigte sich als Meister seines Faches, der gegen die Pauken antiserbischer Gefühle auf einer Klaviatur der Objektivität so lange anspielte, bis ein Verständnis sowohl für unsere Fehler wie für unsere positiven Fortschritte in der Öffentlichkeit entstand. Wir hatten nicht viele Freunde unter ausländischen Journalisten in den vergangenen 20Jahren, doch Christian Wehrschütz kennt die Menschen und die Gegebenheiten in Serbien und auf dem Balkan so gut, dass wir ihn als Freund bezeichnen dürfen. Tatsächlich ist er einer der am besten unterrichteten Journalisten der Region des Balkans, der hartnäckig und unendlich starrköpfig als Journalist der alten Schule an seinen Berichten arbeitet, um der Wahrheit gerecht zu werden. Das kennzeichnet einen anständigen und guten Journalismus, der wichtig ist, nicht nur für Serbien, sondern für die gesamte Region. Das ist vor allem in einer Welt notwendig, wo der Journalismus ein großes Geschäft und Spielball der Mächte geworden ist, bei dem die Person nicht mehr gewürdigt wird.

Wehrschütz, dessen Leben voll von fantastischen Geschichten ist, kennt die Kultur, die Kunst, die Geschichte und die Besonderheit eines jeden Teils Serbiens und weiß von unserem Land meist oft mehr als wir selbst. Das führt letztlich auch dazu, dass wir ihn sogar fragen können, in welches Restaurant wir gehen und was wir dort essen sollen – wohin auch immer wir in Serbien fahren. Christian ist ein anständiger und guter Journalist. Davon gibt es nicht viele, weder in Serbien noch in der gesamten Region.

Aleksandar Vučić, Erster stellvertretender Ministerpräsident Serbiens

Nicht wenige Intellektuelle des Balkans fragen sich, ob ihr künftiger „Retter“ überleben wird: Karikatur von Jovo Skomac

DER W(R)ESTBALKAN UND DIE EU

Hängepartie statt dynamische Annäherung

Am 1.Juli 2013 trat Kroatien der Europäischen Union bei. Die Feiern am kleinen Ban-Jelačić-Platz im Zentrum von Agram ließen wegen der aufgebauten Bühnen nur wenig Raum, sodass die Zahl der Kroaten, die tatsächlich mitfeiern konnten, wahrlich überschaubar war. Doch den meisten war ohnehin nicht zum Feiern zumute, und von einer EU-Euphorie konnte wahrlich nicht die Rede sein. Das Fehlen einer Feierlaune kam nicht überraschend, hatte sich diese Stimmung doch bereits beim Referendum zum EU-Beitritt gezeigt, das am 22.Jänner 2012 stattfand. Dabei stimmten etwa zwei Drittel der teilnehmenden Bürger für die Mitgliedschaft in der EU. Mit 43Prozent war die Beteiligung an der Abstimmung jedoch gering, und zwar noch geringer als in Ungarn. Dort stimmten beim Referendum am 12.April 2003 nur knapp 46Prozent der Stimmberechtigten ab, wobei damals 84Prozent für den Beitritt votierten. Selbst wenn man die außerordentlich ungeordneten Wählerlisten in Kroatien in Rechnung stellt, so dürfte gerade einmal jeder zweite Kroate an der Abstimmung teilgenommen haben. Dagegen lag die Beteiligung im Nachbarland Slowenien bei 60Prozent und für die EU stimmten sogar 90Prozent der Slowenen.

Während die niedrige Beteiligung in Ungarn auch auf die bereits damals nicht rosige Wirtschaftslage zurückzuführen war, macht der Unterschied zwischen Slowenien und Kroatien die ungleichen Rahmenbedingungen deutlich, die zwischen den Jahren 2004 und 2012 liegen. Denn der kroatische EU-Beitritt fand unter bisher einzigartigen Vorzeichen statt, steckt doch nicht nur Kroatien, sondern auch die EU in einer tiefen Krise. Insbesondere die Euro-Zone hat ihre Probleme noch nicht überwunden. Dass die Mehrheit der Kroaten trotzdem für die EU stimmte, hatte vor allem drei Gründe: Erstens sahen die Bürger keine vernünftige Alternative zum Beitritt; zweitens war praktisch die gesamte politische Elite dafür, und drittens hofften die Kroaten auf einen Geldsegen aus Brüssel, um ihr Land – von der Mülldeponie bis hin zur Verwaltung – modernisieren zu können. Auf dem Weg Richtung EU war Kroatien ein Nachzügler. Das hängt mit der nationalistischen Politik von Staatsgründer Franjo Tudjman zusammen, der sein Land nicht nur in die Unabhängigkeit, sondern auch in die politische Isolation führte. Somit war Kroatien nach Griechenland (1981) das bisher einzige Land, das allein in die EU aufgenommen wurde. Die Verhandlungen dauerten fast sechs Jahre. Sie begannen wegen der mangelnden Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal mit einer Verspätung von sechs Monaten und waren durch den Grenzstreit mit Slowenien fast ein Jahr lang blockiert, obwohl auf technischer Ebene natürlich weiter gearbeitet wurde. Anders als bei der Erweiterung von 2004 galt für Kroatien das sogenannte „Benchmark-Verfahren“. So forderte die EU von Kroatien im Unterschied zu den bisherigen Beitrittsbedingungen für die Eröffnung und die Schließung eines jeden Verhandlungskapitels zumindest den Beginn der Umsetzung von Maßnahmen noch vor dem Beitritt – wie beispielsweise die Reform und die Entpolitisierung der Ernennung von Richtern und Staatsanwälten. Auch diese erstmals angewandte Form der Verhandlungen macht die kroatischen Erfahrungen für die anderen Beitrittswerber so wertvoll. Anders als im Fall Kroatiens wurden für Montenegro, dessen Beitrittsverhandlungen formell am 29.Juni 2012 begannen, nun die Kapitel 23 und 24 (Justiz und Grundrechte sowie Justiz, Freiheit und Sicherheit) sofort eröffnet. Das wird auch in künftigen Fällen so gehandhabt werden. Denn diese beiden Kapitel sind besonders schwierig und sensibel, und die Umsetzung der verhandelten Maßnahmen soll von einem regelmäßigen Monitoring der begleitet werden. Dieses Monitoring galt in abgeschwächter Form für Kroatien sogar bis zum Beitrittstermin.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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