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Brennpunkt Ukraine: Revolution auf dem Maidan, Krim-Krise, Ausrufung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk, erbitterte Kämpfe, der Abschuss der Passagiermaschine MH17, brüchige Waffenruhe und zähe Verhandlungen ... Die Ukraine ist heute mehr denn je ein gespaltenes Land – ein Land, das ORF-Journalist Christian Wehrschütz wie kein anderer kennt. In den Interviews, die dieses Buch versammelt, spricht er mit einflussreichen Politikern, politischen und militärischen Akteuren – auf Seite der ukrainischen Freiwilligen und der prorussischen Rebellen – sowie „ganz normalen“ Menschen. Es entsteht ein vielstimmiges Porträt der aktuellen Krise, das Bruchlinien, Hintergründe und mögliche Zukunftsszenarien hautnah, ungeschminkt und authentisch verdeutlicht. Zu Wort kommen unter anderen: - Leonid Krawtschuk, erster Präsident der Ukraine - Wiktor Juschtschenko, dritter Präsident der Ukraine - Pawlo Klimkin, Außenminister der Ukraine - Ina Kirsch, European Centre for a Modern Ukraine - Jack F. Matlock, ehemaliger US-Botschafter in Moskau - Dmytro Firtasch, ukrainischer Oligarch - Boris Litwinow, Parlamentschef der „Volksrepublik Donezk“ - Semen Sementschenko, Kampfverband „Bataillon Donbass“ - Margarete Seidler, Volkswehr Donbass - Bewohner von Slowjansk und Donezk
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Seitenzahl: 473
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Gewidmet meinen Töchtern
Immanuela und Michaela
sowie meiner Gattin Elisabeth.
Sie ließen mich in die Ukraine ziehen –
zu einer Zeit, als die Masse der
Journalisten die Befassung mit
diesem Land bestenfalls für ein
Rosenthema hielt.
Christian Wehrschütz
Brennpunkt
Ukraine
Gespräche über ein gespaltenes Land
Cover
Widmung
Titel
Vorwort von Christian Wehrschütz
OHNE RUSSLAND WIRD ES KEINE STABILITÄT IN EUROPA GEBEN
Gespräch mit Ina Kirsch
DIE EINHEIT DER UKRAINE MUSS IN DER ERSTEN INSTANZ VON UKRAINERN SELBST GESCHAFFEN WERDEN
Gespräch mit Jack F. Matlock
DIESER MAIDAN WAR EINE REVOLUTION
Gespräch mit Leonid Krawtschuk
DIE UKRAINE GEHT IHREN WEG
Gespräch mit Pawlo Klimkin
ALLEIN MIT WAFFEN WERDEN WIR DEN KRIEG NICHT GEWINNEN
Gespräch mit Wiktor Juschtschenko
ICH GLAUBE DARAN, DASS DIE UKRAINE EIN STARKER STAAT SEIN WIRD
Gespräch mit Dmytro Firtasch
ES IST KLAR, DASS WIR NICHT WEITER ZUR UKRAINE GEHÖREN WEREN
Gespräch mit Boris Litwinow
WIR WERDEN BIS ZUM LETZTEN KÄMPFEN, NATÜRLICH
Gespräch mit Margarete Seidler
FÜR MICH SIND PUTIN UND JANUKOWITSCH EINFACH ZWEI VERBRECHER!
Gespräch mit Semen Sementschenko
FRÜHER ODER SPÄTER WIRD DAS EIN ANHÄNGSEL RUSSLANDS SEIN
Gespräch mit einer Bewohnerin von Donezk
TOLERANZ IST IN VIELEN FRAGEN EINFACH UNVERZICHTBAR
Gespräch mit Elisaweta Pliascheschnik
HIERGEBLIEBEN BIN NUR ICH, SONST KEINER
Gespräch mit Tatjana F. Ischtschuk
DAS GEFÜHL DER LEERE EINER AUSGESTORBENEN STADT
Gespräch mit Tatjana Malji
BRENNPUNKT UKRAINE
Chronologie der Ereignisse
Editorische Notiz · Bildnachweis
Weitere Bücher
Impressum
Klappentext
Fußnoten
Mit Fahrer Igor in Donezk
Liebe Leserin! Lieber Leser!
Dieses Buch ist das Ergebnis eines Kompromisses, den der Styria-Verlag und ich als Autor gefunden haben: Der Verlag wollte aufgrund der Aktualität des Themas noch im Herbst ein Buch über die Ukraine herausbringen. Ich selbst wollte die Veröffentlichung auf den Herbst kommenden Jahres verschieben, weil ich mich wegen der permanenten Berichterstattung für den ORF aus der Ukraine außer Stande sah, ein Buch zu schreiben, das in Form und Qualität den beiden Werken entspricht, die ich über den Balkan veröffentlicht habe. Außerdem lehne ich Schnellschüsse von Journalisten und Publizisten ab, die in eine Krisenregion kommen und dann ihre Erlebnisse in einer inhaltlich eher oberflächlichen Form auf den Markt bringen. Diese Gefahr besteht bei mir im Falle der Ukraine jedoch nicht, obwohl natürlich durch meine Tätigkeit als ORF-Korrespondent am Balkan zwischen meiner Rückkehr nach Kiew im Jänner 2014 und meinem bis dahin letzten Aufenthalt in der Ukraine eine Lücke von vierzehn Jahren klafft. Denn ganz habe ich dieses Land nie aus den Augen verloren, und ich habe mir auch in Belgrad die Kenntnisse der ukrainischen und der russischen Sprache bewahrt, die ich während meiner immer wieder wochenlangen Aufenthalte im Land zwischen April 1992 und Dezember 1998 erworben hatte. In der nunmehrigen Krisenregion Donezk absolvierte ich im Sommer 1992 meinen ersten Russischkurs im Ausland, in der Westukraine (u.a. Tschernowitz) war ich 1993 und 1994. Darüber hinaus erhielt ich vom Bundesheer im Sommer 1994 die Möglichkeit, in mehr als drei Monaten die Ausbildung zum Militärdolmetscher für Russisch und Ukrainisch abzuschließen, und absolvierte im Jahre 1996 an der österreichischen Botschaft in Kiew eine freiwillige Waffenübung in der Dauer von einem Monat als Mitarbeiter des Militärattachés. Schließlich nahm ich noch von Ende Juni bis Mitte August 1997 an der „Ukrainian Summer School“ an der renommierten Harvard Universität in den USA teil. Hinzu kamen viele Fachpublikationen über die Ukraine in den Jahren 1992 bis 1998 – gerade zu den Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland sowie den Beziehungen beider Länder zu EU und NATO.
Ein besser auf die Ukraine und auf ein Buch vorbereiteter Journalist wird im deutschen Kulturraum nicht leicht zu finden sein. Aber auch diese Grundkenntnisse änderten nichts daran, dass ich mich zeitlich außer Stande sah, zwanzig Kapitel zu schreiben, um das Land in vielen Facetten zu beleuchten. Doch das Argument des Verlages wog schwer, dass die Ukraine jetzt aktuell sei und niemand wissen könne, wie groß das Interesse in einem Jahr sein werde. Die Berichterstattung in fast allen Medien leidet aus vielen Gründen an einem Mangel an Kontinuität; wie sehr haben Libyen und Ägypten noch vor ein, zwei Jahren dominiert, wie gering sind im Verhältnis dazu nun die Berichte über diese Länder. Der neue Krisenherd verdrängt den alten, weil Sendezeit in elektronischen Medien und der Platz in Zeitungen natürlich ebenso begrenzt sind wie die Zahl der Journalisten. Gerade die Ukraine hat seit ihrer Unabhängigkeit im August 1991 in der Regel ein mediales Schattendasein geführt, sieht man von der de facto gescheiterten „Orangenen Revolution“ des Jahres 2004, dem 20. Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und der Fußball-EM des Jahres 2012 ab. Die Vernachlässigung des, von Russland abgesehen, flächenmäßig größten Landes in Europa habe ich stets für falsch gehalten. Auch das war schließlich ein guter Grund, doch ein Buch über die Ukraine herauszubringen. Abgesehen von meiner Einleitung hier ist das Werk in Form von Interviews gestaltet. Sie beleuchten nicht nur historische und aktuelle politische Entwicklungen der Ukraine, sondern beschreiben darüber hinaus das Leben von Menschen, die mir bei meiner Berichterstattung begegnet sind und mir – wie die Familie der Verkäuferin aus der Stadt Torez – geholfen haben, aus gefährlichen Situationen heil herauszukommen.
Die Gesprächspartner dieses Buches sind sowohl bewusst gewählt als auch das Ergebnis eines Zufalls oder Schicksals. Bewusst gewählt habe ich natürlich die historischen und politischen Persönlichkeiten: Dazu zählen der erste ukrainische Präsident Leonid Krawtschuk, der dritte Präsident der Ukraine Wiktor Juschtschenko, der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin, der letzte Botschafter der USA in der Sowjetunion, Jack F. Matlock, der ein monumentales Werk über den Zerfall der Sowjetunion geschrieben hat, Ina Kirsch zum Thema EU sowie die politischen und militärischen Akteure auf der Seite der ukrainischen Freiwilligen und der prorussischen Rebellen. Die „normalen“ Menschen sind in ihrer sozialen und geographischen Streuung bewusst gewählt, die konkreten Gesprächspartner aber eben das Ergebnis des Zufalls oder Schicksals, das uns in der Ukraine zusammengeführt hat. Nur ein proukrainischer Interviewpartner in Donezk bestand aus Sicherheitsgründen auf Anonymität, sodass weder ein Bild veröffentlicht noch ein Name genannt wird. Mein Hauptziel war es, allen Personen ein guter Zuhörer zu sein, ihren Lebensweg und ihre konkreten Lebensumstände zu verstehen, um sie dem Leser deutlich machen zu können. Über den Lebensweg der Menschen, hoffe ich, wird die Leserin auch ihr Wissen über die Ukraine vertiefen können. Natürlich habe ich die Meinungen und Äußerungen aller Gesprächspartner so wiedergegeben, wie sie gefallen sind; das gilt auch für Haltungen, von denen ich glaube, dass sie falsch sind, denn es geht nicht um meine Ansichten, sondern um die der Gesprächspartner. Korrigiert haben wir nur Fehler, die etwa Angaben zu Jahreszahlen betroffen haben.
Dieses Buch ist nicht DAS Ukraine-Buch, das ich ursprünglich schreiben wollte. Themen wie der Massenmord Stalins an drei bis sechs Millionen Ukrainern durch eine künstlich herbeigeführte Hungersnot („Holodomor“) konnten ebenso wenig in einem eigenen Kapitel behandelt werden wie eine Reportage aus Tschernowitz, das in der Monarchie den Beinamen „Klein-Wien“ trug und in dem die letzte Universität der Habsburgermonarchie gegründet wurde. Auch über Taras Schewtschenko, den Nationaldichter der patriotischen Ukraine, konnte ich nicht schreiben, dessen 200. Geburtstag im Jahre 2014 gefeiert wurde. Im Gegensatz zum albanischen Volk – durch den (völlig aus seinem historischen Kontext entrückten) Nationalhelden Skanderbeg – fehlt den Ukrainern insgesamt eine historische Persönlichkeit oder ein historisches Ereignis, das für die Bevölkerung in allen Landesteilen identitätsstiftend wirken könnte. Auch die Schilderung meiner persönlichen Erlebnisse in diesem Jahr, von der Rückkehr nach Kiew auf den Maidan, die anschließende Berichterstattung über die Abtrennung der Halbinsel Krim und meine Eindrücke und Erlebnisse in der Ostukraine auf meinen Fahrten durch das Kriegsgebiet zwischen Donezk und Lugansk sind aufgeschoben, aber, so hoffe ich, nicht aufgehoben. Dennoch wird, so meine ich, in vielen der Gespräche auch davon einiges zu lesen sein – in der Dialogsituation der Interviews ergaben sich zahlreiche spannende Aspekte, die diesem Buch seine Berechtigung geben. Eine ausführliche Erörterung dieser und anderer Themen wird einem allfälligen weiteren Buch über die Ukraine vorbehalten bleiben, sollte ich weiter dieses Land betreuen können und Interesse bei Verlag und Publikum vorhanden sein. So hoffe ich natürlich, dass das Buch Anklang bei den Leserinnen und Lesern finden sowie das Verständnis für die Ukraine vertiefen und das Interesse an ihr verstärken wird.
Der Sieg hat bekanntlich viele Väter, die Niederlage ist ein Waisenkind. Für mögliche inhaltliche Fehler bin ich verantwortlich, für die hoffentlich wenigen Druckfehler der Verlag. Ohne Hilfe, Unterstützung und Verständnis wäre dieses Buch nicht zustande gekommen. Mein Dank dafür gilt in erster Linie meiner Familie, der ich dieses Werk gewidmet habe. Meine Töchter Immanuela und Michaela sowie meine Frau Elisabeth haben nicht nur im Jahr 2014 wieder einmal ihren Vater und Ehemann kaum persönlich gesehen; sie haben mich auch in den Jahren 1992 bis 1998 insgesamt monatelang entbehren müssen, als ich mich mit der Ukraine ebenfalls intensiv befasste – ein Interesse, das in diesen Jahren bei der überwiegenden Mehrheit der Journalisten kaum auf Verständnis stieß. Verständnis dafür hatte jedenfalls das Bundesheer, das mir in seiner damaligen Form wirklich viele Möglichkeiten bot, mein Interesse an der Ukraine zu befriedigen. Von allen Organisationen, bei denen ich mich je engagiert habe, hat mich das Bundesheer am meisten für den Einsatz entlohnt. Mein erworbenes Wissen über Einsatzplanung und über Waffensysteme, mit denen in der Ostukraine gekämpft wird, hat mir bis heute sehr genützt. Als Major der Miliz erfüllt es mich mit tiefer Sorge, wenn ich die Agonie des Heeres mit ansehen muss, das grundlegende Aufgaben nicht mehr erfüllen kann. Noch viel betrüblicher ist es, dass die politische Elite Österreichs offensichtlich kein Verständnis für grundlegende sicherheitspolitische Fragen aufbringt oder aufbringen will und dass der Masse der Bevölkerung das Schicksal des Heeres offensichtlich nicht wichtig genug ist, um Wahlausgänge zu beeinflussen. Doch wer für die (Rest-)Neutralität Österreichs ist, muss akzeptieren, dass Neutralität etwas kostet. Mir schein es zweifelhaft, ob in Österreich die Bevölkerung massenhaft für das Heer spenden würde, wie das in der Ukraine der Fall ist, wo es von Medikamenten über Lebensmittel bis hin zu Splitterschutzwesten an allem fehlt, was Soldaten für den Einsatz brauchen. In den Einsatz geschickt hat mich der ORF, dem ich für diese Möglichkeit ebenso dankbar bin wie dem Styria-Verlag für die Zusammenarbeit an diesem Buch. Erwähnen möchte ich noch drei Kollegen im ORF, Arno Pindeus und Gudrun Gutt im Fernsehen sowie Hartmut Fiedler im Radio. Mit ihnen war die Zusammenarbeit in den kritischen Wochen und Monaten auf der Krim und in der Ostukraine besonders intensiv. Sie waren immer da, wenn es schwierige Einsätze zu erörtern und technische Probleme zu bewältigen gab. Zu danken habe ich auch meinem Fahrer Igor und meinem Kameramann und Cutter Wasilij, die über alle finanziellen Abgeltungen hinaus Einsatzfreude und Risikobereitschaft gezeigt haben. Ohne sie wären die Beiträge nicht möglich gewesen, die wir für den ORF gestaltet und die auch dieses Buch beeinflusst haben.
Das letzte und entscheidende Wort haben natürlich die Leserinnen und Leser, von denen ich mir auch rege Kommentare und konstruktive Kritik via Facebook oder E-Mail erhoffe.
Christian Wehrschütz
Donezk, Anfang September 2014
INA KIRSCH ist Managing Director des ECFMU (European Centre for a Modern Ukraine). Die Organisation hat ihren Sitz in Brüssel, agiert international und versteht sich als Anwältin für die Verbesserung der Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU.
CHRISTIAN WEHRSCHÜTZ:Liebe Frau Kirsch, meine erste Frage betrifft einige persönliche Daten. Erzählen Sie am Beginn ein bisschen über Ihren Lebensweg. Wo sind Sie geboren, wo aufgewachsen, wo haben Sie Russisch gelernt?
INA KIRSCH: Geboren wurde ich im fernen Osten Russlands. Ich bin die Tochter einer russischen Journalistin und eines deutschen Vaters, seines Zeichens Schriftsteller. Ich bin dann gleich nach meiner Geburt in die ehemalige DDR gezogen, dort aufgewachsen und habe dementsprechend auch Russisch gelernt.
Und wie kam es zur Geburt im fernen Osten Russlands? Wo war das genau?
In Chabarowsk. Meine Mutter war als Journalistin damals zuständig für eine entsprechende Regionalzeitung. Und mein Vater hat als Schriftsteller in der DDR eine Reise mit anderen Schriftstellerkollegen in die Region gemacht. Da haben sie sich kennengelernt.
Und wo haben Sie dann in der DDR gelebt?
In Halle, das ist in der Gegend von Leipzig, das Gebiet mit der größten Chemieindustrie in der ehemaligen DDR. Also wirklich Zentrum der Industrie im– wie wir damals gesagt haben– Arbeiter- und Bauernstaat.
Aber Halle an der Saale ist auch wegen seiner Komponisten bekannt.
Das ist wohl wahr. Herr Händel hat da gearbeitet und gelebt. Aber, also sagen wir in diese Zeit zurückblickend, in der DDR-Zeit gab es auch eine ganz große Gruppe von jungen Schriftstellern, die eben aus dieser Region kamen. Und um das Industriegebiet Leuna lebte auch ein großer Zirkel junger, nachher auch in Westdeutschland bekannter Journalisten, und sie haben in einem Schriftstellerzirkel gearbeitet.
Was war eigentlich Ihr Berufsweg? Welche Berufslaufbahn haben Sie eingeschlagen und wie begann dann überhaupt die Beschäftigung mit der Ukraine? Diese dürfte ja erst nach dem Fall der Mauer bzw. auch nach dem Zerfall der Sowjetunion 19911so richtig begonnen haben.
Ich bin 1987, also zwei Jahre vor dem Mauerfall, von einer Besuchsreise nach England in die DDR nicht zurückgekehrt. Ich habe dann in Berlin Osteuropastudien studiert und mit dem Fall der Mauer habe ich mich schon in Westberlin bei den Sozialdemokraten politisch engagiert. Dann bin ich wieder nach Ostberlin zurückgegangen, um beim Aufbau der dortigen Sozialdemokratie zu helfen. Das habe ich auch gemacht und bin 1991 für die Friedrich-Ebert-Stiftung und sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete nach Moskau gegangen, um dort die politischen Entwicklungen zu begleiten und zu berichten, um einen wahren Blick auf die Entwicklung der Parteienstrukturen zu bekommen. Und in dem Moment habe ich dann angefangen, mich vornehmlich mit der Parteienentwicklung in Russland, der Ukraine und Weißrussland zu beschäftigen.
Sie haben aber auch in Brüssel gearbeitet, glaube ich.
Ich bin dann, als ich zurückgekommen bin aus Moskau, 1994 nach Brüssel gezogen und habe angefangen, dort für Europaabgeordnete zu arbeiten, vornehmlich aber zunächst im Bereich Innenpolitik und Haushaltspolitik. Und ich bin später wieder zurückgekehrt zu den Ursprüngen in der Außenpolitik.
1994 ist ein gutes Stichwort, denn im Juni 1994 unterzeichneten die EU und die Ukraine auch dieses Partnerschafts- und Kooperationsabkommen. Es gab dann ein Interimsabkommen, um es in Kraft zu setzen. Endgültig in Kraft trat dieses Abkommen 1998.Man hat insgesamt den Eindruck, dass die Europäische Union bei der Frage „Was tun mit der Ukraine?“ lange keine wirkliche Strategie entwickelt hat. Das war nie ganz klar. Natürlich gab es auch andere Probleme, andere Prioritäten. Einerseits die Erweiterungsrunde 1995.Denn mit dem Fall der Berliner Mauer standen natürlich in weiterer Folge auch die Staaten Ost-Mitteleuropas im Vordergrund. Dann haben wir noch die Zerfallskriege im ehemaligen Jugoslawien, die parallel 1991 so richtig begonnen haben. Wann kam eigentlich der Impuls, dass man sagte, man entwickelt mit der Ukraine diese Idee, dass nicht nur Partnerschaftsabkommen, sondern auch weitergehende Abkommen, auch für Georgien, Moldawien, gelten sollen– was also die Annäherung, die Assoziierung der Ukraine und der anderen Staaten an die EU betrifft?
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