9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €
Alles ist durchgeplant, alles muss funktionieren: Britt-Maries Leben folgte schon immer einer klaren Ordnung. Es anderen recht zu machen war ihr Lebenssinn, und doch steht sie plötzlich ganz allein da. Der Zufall verschlägt sie nach Borg, einen völlig abgehängten Ort mitten im Nichts, in dem außer dem Dorfladen und dem Widerstandsgeist einiger Jugendlicher gar nichts mehr zu funktionieren scheint. Nach kurzem Zögern tut Britt-Marie, was sie tun muss: Sie räumt auf – nicht ohne nebenbei auch ein bisschen heilsames Borg-Chaos ins eigene Leben zu lassen ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 496
Britt-Marie hasst jede Form von Chaos. Von der perfekt aufgeräumten Besteckschublade bis zum tadellos gebügelten Hemd ihres meist abwesenden Mannes – bisher hatte alles in ihrem Leben seinen richtigen Platz. Dann jedoch erklärt genau jener Mann, um den sich Britt-Marie jahrzehntelang hauptberuflich gekümmert hat, sie für sozial inkompetent und verlässt sie für eine jüngere Frau – und Britt-Maries Leben droht im verhassten Chaos zu versinken.
Beschäftigungs- und wohnungslos macht sie sich auf die Suche nach einer neuen Aufgabe – und wird vom Arbeitsamt nach Borg geschickt, in eine unscheinbare Provinzstadt mitten im Nichts, die überwiegend von einer seltsamen Mischung aus Kleinkriminellen, Säufern und Faulenzern bewohnt wird. Hier soll sie sich als Aushilfshausmeisterin um ein altes Freizeitzentrum kümmern, das nicht nur abbruchreif ist, sondern auch der einzige Treffpunkt der äußerst untalentierten örtlichen Kinderfußballmannschaft. Sofort versucht Britt-Marie auf ihre etwas penetrante Art Ordnung zu schaffen – und wird dabei wider Willen in die alltäglichen Machenschaften, Hoffnungen und Träume ihrer unberechenbaren Mitbürger hineingezogen. Kann sie in dieser kleinen Stadt der Außenseiter einen Ort finden, an den sie wirklich gehört?
Weitere Informationen zu Fredrik Backman finden Sie am Ende des Buches.
Fredrik Backman
Roman
Aus dem Schwedischenvon Stefanie Werner
Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel
»Britt-Marie var här« bei Partners in Stories, Stockholm.
Erstmals auf Deutsch erschienen im Jahr 2016.
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Neuausgabe Dezember 2022
Copyright © der Originalausgabe 2014 by Fredrik Backman
Copyright © dieser Ausgabe 2022 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Published by agreement with Salomonsson Agency
Copyright © der deutschen Übersetzung 2016 by S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 2022
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München, nach einer Idee von Alan Dingman
Umschlagmotiv: Shutterstock Images LLC
Th · Herstellung: ik
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-29945-3V001
www.goldmann-verlag.de
Für meine Mutter, die immer dafür gesorgt hat, dass ich Essen im Bauch und Bücher im Regal hatte.
»Man liebt Fußball, weil er so etwas Instinktives hat. Wenn einem auf der Straße ein Ball vor die Füße rollt, dann schießt man. Denn man liebt Fußball genauso, wie man sich verliebt. Man weiß einfach nicht, wie man sich dagegen wehren soll.«
Messer. Gabeln. Löffel.
Genau in dieser Reihenfolge.
Britt-Marie gehört sicher nicht zu denen, die andere verurteilen, bestimmt nicht, doch welcher zivilisierte Mensch käme auf die Idee, das Besteck in der Küchenschublade in einer anderen Reihenfolge zu sortieren? Britt-Marie verurteilt niemanden, bestimmt nicht, aber wir sind doch schließlich keine Tiere!
Es ist ein Montag im Januar. Britt-Marie sitzt vor einem kleinen Schreibtisch in einem kleinen Büro im Arbeitsamt. Das hat natürlich nichts mit Besteck zu tun, doch es ist ein Zeichen dafür, dass alles schiefgelaufen ist. Das Besteck soll einfach ganz normal in der Schublade liegen, denn das Leben soll auch einfach nur normal sein. Normale Leben sind vorzeigbar, da putzt man die Küche, man hat seinen Balkon und kümmert sich um die Kinder. Und das macht viel mehr Arbeit, als man denkt. Also, der Balkon.
In normalen Leben sitzt man wirklich nicht im Arbeitsamt.
Die junge Frau, die hier arbeitet, trägt eine Kurzhaarfrisur wie ein Mann. Nicht dass dagegen etwas einzuwenden wäre, selbstverständlich nicht. Britt-Marie hat keine Vorurteile. Vermutlich ist das gerade modern, ja sicherlich. Die junge Frau zeigt auf ein Formular und lächelt, als habe sie es eilig.
»Tragen Sie hier bitte Ihren Namen, Ihre Personalausweisnummer und Ihren Wohnort ein!«
Britt-Marie muss registriert werden. Als wäre sie kriminell. Als wäre sie gekommen, um der Jobvermittlung die Arbeit zu stehlen.
»Milch und Zucker?«, fragt die junge Frau im nächsten Moment und reicht ihr einen Kaffee in einem Plastikbecher.
Britt-Marie verurteilt niemanden, das tut sie wirklich nicht, aber wer macht denn so etwas? Kaffee in Plastikbechern! Befinden wir uns im Krieg? Britt-Marie würde die junge Frau gern fragen, doch da sie von Kent immer ermahnt wird, sich etwas »sozialer« zu verhalten, lächelt sie stattdessen diplomatisch und wartet darauf, einen Untersetzer angeboten zu bekommen.
Kent ist Britt-Maries Mann. Er ist Unternehmer. Unglaublich, wirklich unglaublich erfolgreich. Macht Geschäfte mit Deutschland und ist sehr, sehr sozialkompetent. Die junge Frau hält ihr zwei Einwegverpackungen mit Milch hin, solche, die man nicht im Kühlschrank aufbewahren muss. Dann schiebt sie ihr einen Plastikbecher voller Plastiklöffel herüber. Britt-Marie könnte nicht entsetzter dreinschauen, wenn sie ihr eine Giftschlange hingelegt hätte.
»Weder Milch noch Zucker?«, fragt die junge Frau verständnislos.
Britt-Marie schüttelt den Kopf und streicht mit ihrer Hand über den Schreibtisch, als sei er voller unsichtbarer Krümel. Überall liegen Unterlagen, kreuz und quer. Zum Aufräumen hat die junge Frau natürlich keine Zeit, sie ist wahrscheinlich zu sehr mit ihrer Karriere beschäftigt, denkt Britt-Marie.
»Okay, tragen Sie hier einfach Ihre Anschrift ein!«, lächelt die junge Frau und zeigt auf das Formular.
Britt-Marie heftet ihren Blick auf ihren Schoß und streicht unsichtbare Krümel von ihrem Rock. Sie sehnt sich nach Hause zu ihrem Besteckkasten. Nach ihrem ganz normalen Leben. Sie sehnt sich nach Kent, denn Kent füllt bei ihnen immer die Formulare aus.
Als die junge Frau so aussieht, als wolle sie gleich wieder den Mund öffnen, kommt Britt-Marie ihr deshalb zuvor:
»Darf ich Sie bitten, mir etwas zu reichen, worauf ich die Kaffeetasse abstellen kann?«
Das sagt sie mit diesem bestimmten Tonfall, den Britt-Marie immer dann benutzt, wenn sie all ihre innere Güte aufbringen muss, um so ein Ding »Tasse« zu nennen, obwohl es sich um einen Plastikbecher handelt.
»Was?«, entfährt es der jungen Frau auf der anderen Seite des Schreibtisches, als könne man Tassen einfach überall abstellen.
Britt-Marie lächelt so sozial wie möglich.
»Sie haben vergessen, mir einen Untersetzer zu geben. Wissen Sie, ich will doch auf Ihrem Tisch keinen Abdruck hinterlassen.«
Die junge Frau auf der anderen Seite des Schreibtisches sieht nicht so aus, als würde sie begreifen, was für einen Untersetzer spräche. Oder für Porzellan. Oder, stellt Britt-Marie anhand der Frisur der jungen Dame fest, für Spiegel.
»Ach was, das macht nichts, stellen Sie ihn einfach ab«, sagt die junge Frau unbekümmert und zeigt auf eine freie Stelle auf ihrem Schreibtisch.
Als ob das Leben so einfach wäre. Als ob es egal wäre, ob man einen Untersetzer benutzt oder ob man seinen Besteckkasten richtig sortiert. Die junge Frau klopft mit ihrem Stift auf das Formular, auf die Zeile, wo »Wohnort« steht. Britt-Marie atmet äußerst geduldig aus, wirklich, ein Seufzen ist das nicht.
»Man stellt doch wohl keine heißen Kaffeetassen direkt auf den Tisch? Das hinterlässt Abdrücke, wissen Sie.«
Die junge Frau betrachtet die Schreibtischoberfläche, die so aussieht, als hätten Kleinkinder versucht, Kartoffeln davon zu essen. Mit Heugabeln. Im Dunkeln.
»Ach was, das ist völlig egal, der Tisch ist sowieso schon so abgenutzt und zerkratzt!«, antwortet sie lächelnd.
Britt-Marie schreit innerlich.
»Sie haben sicher nicht in Erwägung gezogen, dass es daran liegen könnte, dass Sie keine Untersetzer benutzen«, stellt sie fest.
Das sagt sie selbstverständlich sehr fürsorglich. Kein bisschen »passiv-aggressiv«, wie sie es von Kents Kindern einmal gehört hat, als die dachten, sie bekomme es nicht mit. Britt-Marie ist wirklich nicht passiv-aggressiv. Sie ist fürsorglich. Als sie von Kents Kindern hörte, sie sei passiv-aggressiv, war sie in den Wochen danach besonders fürsorglich.
Die junge Frau vom Arbeitsamt sieht etwas angestrengt aus. Sie massiert ihre Augenbrauen.
»Ja … also, Sie heißen Britt Wieslander, nicht wahr?«
»Britt-Marie. Nur meine Schwester nennt mich Britt«, korrigiert Britt-Marie sie.
»Wenn Sie jetzt einfach … das Formular ausfüllen würden. Bitte«, drängt die junge Frau sie.
Britt-Marie schielt auf das Formular, das von ihr verlangt preiszugeben, wo sie wohnt und wer sie ist. Heutzutage verlangt man eine übertriebene Menge Papierkram, damit man ein Mensch sein darf, davon ist Britt-Marie überzeugt. Eine unsinnige Menge an Verwaltung, damit die Gesellschaft einen mitspielen lässt.
Am Ende trägt sie widerwillig ihren Namen, ihre Personalausweisnummer und die Telefonnummer ihres Handys ein. Die Zeile für den Wohnort lässt sie leer.
»Was haben Sie für eine Ausbildung, Frau Wieslander?«, fragt die junge Frau sie ab.
Britt-Marie hält ihre Handtasche ganz fest.
»Darf ich Sie darüber aufklären, dass meine Bildung hervorragend ist«, informiert sie sie.
»Aber haben Sie keine richtige Ausbildung?«, fragt die junge Frau nach.
Britt-Marie atmet stoßartig durch die Nase aus. Ein Schnauben ist das selbstverständlich nicht. So etwas tut Britt-Marie nicht.
»Darf ich Sie darüber aufklären, dass ich Unmengen von Kreuzworträtseln löse. Das kann man gewiss nicht ohne Bildung«, klärt Britt-Marie sie auf, weil sie sich angegriffen fühlt.
Britt-Marie nimmt einen ganz kleinen Schluck Kaffee. Er schmeckt nicht im Entferntesten wie Kents Kaffee. Kent kocht richtig guten Kaffee, das sagt jeder. Britt-Marie kümmert sich um die Untersetzer und Kent um den Kaffee. Genau so haben sie ihr Leben arrangiert.
»Oh«, sagt die junge Frau, lächelt aufmunternd und versucht es stattdessen andersherum:
»Und welche Berufserfahrung haben Sie?«
»Zuletzt war ich als Kellnerin angestellt. Ich habe ein außergewöhnlich gutes Zeugnis erhalten«, informiert Britt-Marie sie.
Die junge Frau sieht einen Moment lang ganz hoffnungsvoll aus. Doch das ist schnell vorbei.
»Und wann war das?«, fragt sie.
»1978«, antwortet Britt-Marie.
»Oh«, sagt die junge Frau und versucht, ihre spontane Reaktion hinter einem Lächeln zu verbergen, was ihr nicht besonders gut gelingt. Dann probiert sie es wieder:
»Seitdem haben Sie nicht gearbeitet?«
»Seitdem habe ich jeden Tag gearbeitet, ich habe meinem Mann geholfen, er hat eine Firma«, antwortet Britt-Marie beleidigt.
Die junge Frau schaut wieder hoffnungsvoller drein. Eigentlich könnte man meinen, sie müsste es jetzt besser wissen.
»Und was waren Ihre Aufgaben in seinem Unternehmen?«
»Ich habe mich um die Kinder gekümmert und dafür gesorgt, dass unser Zuhause vorzeigbar ist«, antwortet Britt-Marie.
Die junge Frau lächelt, um ihre Enttäuschung zu überspielen, so wie Menschen das tun, die den Unterschied zwischen »Wohnung« und »Zuhause« nicht kennen. Der Unterschied liegt nämlich in der Tatsache, dass man sich darum kümmert. Dass man dafür sorgt, dass es Untersetzer gibt und richtige Kaffeetassen und Betten, die am Morgen so ordentlich gemacht werden, dass Kent bei seinen Bekannten immer Witze darüber reißt und erzählt, dass man sich, wenn man auf dem Weg ins Schlafzimmer stolpert, »eher einen Beinbruch holt, wenn man auf dem Bettüberwurf landet statt auf dem Boden«. Britt-Marie hasst es, wenn er das sagt. Zivilisierte Menschen heben doch wohl sowieso die Füße, wenn sie das Schlafzimmer betreten. Ist das zu viel verlangt? Dass man sich wie ein Mensch benimmt?
Wenn Britt-Marie und Kent verreisen, lässt Britt-Marie zwanzig Minuten lang Backpulver auf der Matratze einwirken, bevor sie die Betten macht. Das Natron im Backpulver nimmt Schmutz und Feuchtigkeit auf und macht die Matratze wieder frisch. Natron ist für fast alles gut, das ist zumindest Britt-Maries Erfahrung. Kent jammert immer, dass sie spät dran seien, aber dann faltet sie die Hände auf Hüfthöhe und sagt: »Aber es ist doch klar, Kent, dass ich die Betten machen muss, bevor wir das Haus verlassen. Stell dir vor, uns passiert etwas!«
Genau das ist der Grund, warum Britt-Marie so ungern verreist. Der Tod. Gegen den kann nicht einmal Natron etwas ausrichten. Kent meint, sie übertreibe, und dann schreit Britt-Marie innerlich. Die Menschen sterben schließlich in einem fort, wenn sie auf Reisen sind, und was sollen dann die Leute denken, wenn der Vermieter die Wohnungstür aufbrechen muss und eine schmuddelige Matratze vorfindet? Dass Kent und Britt-Marie in ihrem eigenen Dreck gelebt haben?
Die junge Frau sieht auf ihre Uhr.
»Ooo … kay«, sagt sie.
Britt-Marie empfindet ihren Ton als etwas kritisierend.
»Die Kinder sind Zwillinge, und wir haben einen Balkon. Ein Balkon macht mehr Arbeit, als man denkt«, verteidigt sie sich deshalb.
Die junge Frau nickt vorsichtig.
»Wie alt sind Ihre Kinder?«
»Es sind Kents Kinder. Sie sind dreißig.«
Die junge Frau nickt langsamer.
»Dann wohnen sie nicht mehr zu Hause?«
»Selbstverständlich nicht.«
Die junge Frau kratzt sich in ihren Haaren, als würde sie dort etwas suchen.
»Und Sie sind 63?«
»Ja«, antwortet Britt-Marie, als sei das völlig unwesentlich.
Die junge Frau räuspert sich, als sei das doch ein wenig wesentlich.
»Tja, Frau Wieslander, ganz ehrlich. Mit der Finanzkrise und so, also, es gibt nicht gerade viele Jobs für Menschen in Ihrem … in Ihrer Situation.«
Die junge Frau klingt so, als sei das Wort »Situation« am Ende des Satzes nicht direkt ihre erste Wahl gewesen. Britt-Marie holt geduldig einmal tief Luft und lächelt, als hätte sie es nicht bemerkt.
»Kent sagt, dass die Finanzkrise überstanden ist. Er ist Unternehmer, müssen Sie wissen. Das heißt, er versteht etwas von den Dingen, die eventuell etwas außerhalb Ihres Fachgebiets liegen.«
Die junge Frau blinzelt unnötig oft. Sieht auf die Uhr.
»Gut, also ich … ich habe Sie ja nun registriert, und …«
Die junge Frau macht einen gestressten Eindruck. Das stresst Britt-Marie. Deshalb entscheidet sie sich ganz schnell, der jungen Frau ein Kompliment zu machen, um ihr Wohlwollen auszudrücken. Sie sieht sich im Zimmer nach etwas um, was sie positiv erwähnen könnte, und schließlich fällt ihr ein:
»Sie haben eine sehr moderne Frisur.«
Sie lächelt dabei so sozial wie möglich. Die Fingerkuppen der jungen Frau bewegen sich verlegen zum Haaransatz.
»Was? Oh, danke schön.«
»Es war sehr mutig von Ihnen, sich mit einer so hohen Stirn für einen so kurzen Haarschnitt zu entscheiden«, sagt Britt-Marie fürsorglich und nickt.
Daraufhin sieht die junge Frau ehrlich gesagt ein bisschen beleidigt aus, obwohl es ein Kompliment sein sollte. So ist es heute, wenn man versucht, den jungen Leuten etwas Nettes zu sagen. Die junge Frau erhebt sich.
»Danke für Ihren Besuch. Jetzt sind Sie bei uns registriert. Wir melden uns!«
Sie streckt die Hand aus, um sich zu verabschieden. Britt-Marie steht auf und drückt ihr den Plastikbecher mit dem Kaffee in die Hand.
»Und wann?«, will sie wissen.
»Na ja, das ist schwer zu sagen …«, erklärt die junge Frau.
Britt-Marie lächelt diplomatisch. Und wirklich kein bisschen vorwurfsvoll.
»Ich soll also einfach dasitzen und abwarten. Als hätte ich nichts Besseres zu tun. So haben Sie das doch gemeint, oder?«
Die junge Frau schluckt.
»Also, meine Kollegin wird mit Ihnen Kontakt aufnehmen wegen eines Bewerbungskurses, und …«
»Ich will keinen Kurs. Ich will eine Arbeit«, erklärt Britt-Marie.
»Ja, schon, aber es ist doch schwer vorauszusagen, wann etwas reinkommt«, setzt die junge Frau zu erklären an.
Britt-Marie zieht ein Notizbuch aus ihrer Handtasche.
»Können wir uns dann auf morgen einigen?«
»Was?«, erwidert die junge Frau.
»Kann morgen etwas reinkommen?«, fragt Britt-Marie.
Die junge Frau räuspert sich.
»Na ja, KÖNNEN kann es schon, oder vielmehr …«
Britt-Marie holt einen Bleistift aus ihrer Tasche, schaut grimmig erst auf den Stift, dann auf die junge Frau.
»Dürfte ich Sie um Ihren Bleistiftanspitzer bitten?«, fragt sie höflich.
»Bleistiftanspitzer?«, wiederholt die junge Frau, als ob sich die Frage auf ein tausend Jahre altes, magisches Artefakt bezöge.
»Ich muss unseren Termin in meine Liste eintragen«, informiert Britt-Marie sie.
Manche Menschen verstehen den Sinn von Listen nicht, aber zu denen gehört Britt-Marie weiß Gott nicht. Sie hat so viele Listen, dass sie eine Extraliste führen muss, die alle Listen verzeichnet. Sonst könnte ja alles Mögliche passieren. Sie könnte sterben. Oder vergessen, Natron zu kaufen.
Die junge Frau hält ihr einen Kuli hin und murmelt etwas von »Ich habe morgen aber keine Zeit«, doch Britt-Marie ist viel zu sehr damit beschäftigt, den Kuli anzustarren, als dass sie zuhören könnte.
»Wir tragen doch nichts mit Tinte in eine Liste ein!«, ruft sie aus. Es gibt offenbar Menschen, die nicht verstehen, dass man in einer Liste doch um alles in der Welt radieren können muss.
Die junge Frau sieht aus, als ob sie sich wünschte, dass Britt-Marie ihr Büro verlässt.
»Ich habe nichts anderes. Aber wie auch immer, ich habe morgen keine Zeit, meine Kollegin meldet si …«
»So«, fällt Britt-Marie ihr ins Wort.
Britt-Marie sagt das oft. »So.« Nicht wie bei »So, so«, wenn man staunt, sondern eher wie bei »Aha« oder »Ach«, wenn man ziemlich enttäuscht von etwas ist. Wenn man zum Beispiel ein nasses Handtuch findet, das jemand im Badezimmer einfach auf den Boden geworfen hat. »So.« Sobald sie das gesagt hat, presst Britt-Marie die Lippen aufeinander, um klarzustellen, dass dieses »So« ihr letztes Wort in dieser Sache ist. Was es nur selten wirklich ist.
Die junge Frau zögert. Britt-Marie hält den Kuli, als würde er schmieren. Schlägt in ihrem Notizbuch die Seite auf, die die Überschrift Dienstag trägt, und ganz oben, noch über Putzen und Einkaufen, schreibt sie Rückmeldung vom Arbeitsamt.
Sie gibt den Kuli zurück. Die junge Frau lächelt hoffnungsvoll.
»Es war nett, Sie kennenzulernen! Wir lassen von uns hören«, sagt sie so, als ob keins von beidem wirklich zutreffe.
»So«, antwortet Britt-Marie und nickt.
Dann verlässt Britt-Marie das Arbeitsamt. Die junge Frau denkt sich natürlich, dass sie sich zum ersten und letzten Mal gesehen haben, weil sie nicht die geringste Ahnung hat, wie ernst Britt-Marie ihre Listen nimmt. Die junge Frau hat offenbar noch nie Britt-Maries Balkon gesehen. Das ist ein unglaublich, wirklich unglaublich repräsentativer Balkon.
Draußen ist Januar, Winterkälte in der Luft, aber kein Schnee auf der Erde, Temperaturen unter null, aber ohne Beweis dafür. Die schlimmste Jahreszeit für Balkonpflanzen. Nachdem sie das Arbeitsamt verlassen hat, geht Britt-Marie in einen Supermarkt, der nicht ihr normaler Supermarkt ist, und kauft alles, was auf ihrer Liste steht. Es macht ihr keinen Spaß, allein einzukaufen, denn sie schiebt nicht gern Einkaufswagen. Kent schiebt immer den Einkaufswagen, Britt-Marie geht nebenher und hält den Griff am Rand fest. Nicht weil sie versucht, Kent zu steuern, sondern weil sie es mag, Dinge festzuhalten, die er auch festhält. Das Gefühl, dass sie in dieselbe Richtung unterwegs sind.
Punkt sechs isst Britt-Marie ihr warmes Abendessen, kalt. Sie ist es gewohnt, die ganze Nacht wach zu sein und auf Kent zu warten, deshalb versucht sie, seine Portion in den Kühlschrank zu stellen. Aber der einzige Kühlschrank, den es hier gibt, ist voller kleiner Flaschen mit alkoholischen Getränken. Sie sinkt auf ein Bett, das nicht ihres ist, und knetet ihren Ringfinger, eine dumme Angewohnheit, wenn sie nervös ist. Vor ein paar Tagen hat sie noch auf ihrem eigenen Bett gesessen und an ihrem Ehering gedreht, nachdem sie die Matratze besonders gründlich mit Backpulver gereinigt hatte. Jetzt knetet sie den weißen Fleck an ihrem Finger, da, wo der Ehering gesessen hat.
Das Gebäude hat eine Adresse, doch es ist weder eine Wohnung noch ein Zuhause. Auf dem Boden stehen zwei große Blumenkästen aus Plastik, aber dieses Hotelzimmer hat gar keinen Balkon. Britt-Marie hat niemanden, auf den sie die ganze Nacht lang warten kann.
Doch sie tut es trotzdem.
Das Arbeitsamt öffnet um 9 Uhr. Britt-Marie wartet, bis es 9 . 02 Uhr ist, dann geht sie hinein, weil sie wirklich nicht den Eindruck erwecken will, sie sei kleinkariert.
»Sie wollten sich heute melden«, informiert sie die junge Frau, kein bisschen pedantisch, als diese die Bürotür öffnet.
Der Herrenhaarschnitt der jungen Frau sieht heute anders aus. Ihre Haare sind eher schräg als abstehend. Und nicht so, als sei das beabsichtigt, sondern eher eine Frage der Seite, auf der sie am Vorabend eingeschlafen ist. Eine praktische Frisur; die junge Frau hat sicher keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, dass ihre Frisur ihre Karriere behindern könnte. Nicht dass daran etwas auszusetzen wäre, selbstverständlich nicht. Britt-Marie verurteilt doch niemanden. Aber sie selbst hat ihre Haare so frisiert, wie man es tut, wenn es nicht egal ist.
»Was?«, ruft die junge Frau mit einem Gesichtsausdruck, der völlig frei von positiven Signalen ist.
Im Büro sitzen wildfremde Menschen. Mit Plastikbechern.
»Wer sind die denn?«, will Britt-Marie wissen.
»Ich habe einen Termin«, antwortet die junge Frau.
»So, das ist natürlich wichtig«, stellt Britt-Marie fest und streicht eine Falte in ihrem Rock glatt, die nur sie selbst sehen kann.
»Ja … also …«, beginnt die junge Frau zu erklären.
Britt-Marie nickt und behauptet wirklich unglaublich verständnisvoll und kein bisschen verurteilend:
»Und ich bin natürlich nicht wichtig.«
Die junge Frau richtet sich auf, als hätte ihre Kleidung soeben die Größe gewechselt.
»Also, ich habe Ihnen gestern doch gesagt, dass ich mich melde, wenn etwas reinkommt – ich habe nicht gesagt, dass das heute …«
Britt-Marie zieht ihr Notizbuch aus der Handtasche und zeigt belehrend auf ihren Eintrag.
»Ich habe es in die Liste eingetragen.«
Die Fingerkuppen der jungen Frau bewegen sich in Richtung Stirn, als versuchten sie, dort kleine unsichtbare Nägel herauszuziehen.
»Ich habe gesagt, es … könnte … heute sein.«
Britt-Marie lächelt in jeder Hinsicht wohlwollend.
»Ich hätte es wohl kaum auf meine Liste geschrieben, wenn Sie es nicht gesagt hätten, wissen Sie.«
Die junge Frau holt tief Luft.
»Ich habe eine Besprechung, ich muss …«
»Sie hätten vielleicht mehr Zeit, Arbeitsplätze zu finden, wenn Sie nicht den ganzen Tag in Sitzungen verbringen würden«, schlägt Britt-Marie fürsorglich vor.
Die junge Frau sieht auf die Uhr.
»Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen wirklich nicht helfen …«
Britt-Marie holt ganz außergewöhnlich geduldig tief Luft.
»Das müssen Sie aber. Es steht auf der Liste. Das ist Ihre Schuld, wissen Sie.«
Die Augen der jungen Frau werden ein wenig größer.
»Was?«
Britt-Marie hält ihre Handtasche mit beiden Händen vor sich, als wäre sie der Lenker eines Rollers.
»Sie haben mich gezwungen, den Termin mit Tinte einzutragen. Jetzt kann ich ihn nicht ausradieren.«
Die junge Frau räuspert sich.
»Es tut mir sehr leid, das war ein Missverständnis, aber ich muss jetzt zurück in meine Besprechung.«
Britt-Marie hält ihre Handtasche noch fester.
»So. Dann soll ich hier also sitzen und auf Sie warten, als hätte ich nichts Besseres zu tun, so stellen Sie sich das also vor.«
»Nein … ich meine, Sie …«, versucht die junge Frau zu erklären, doch Britt-Marie hat sich bereits auf einen der Stühle im Flur gesetzt.
Nachdem sie den Stuhl mit einem Taschentuch abgewischt hat, natürlich. Schließlich ist sie ein Mensch.
Die junge Frau schließt seufzend und mit geschlossenen Augen die Tür, nicht ganz unähnlich der Art und Weise, wie man die Kerzen auf einer Torte auspustet und sich dabei etwas ganz stark wünscht. Britt-Marie bleibt allein im Flur zurück. Sie nimmt Notiz davon, dass an der Tür zum Büro der jungen Frau zwei Aufkleber direkt unter dem Türgriff kleben. Auf einer Höhe, dass Kinder sie dorthin geklebt haben könnten. Auf ihnen sind Fußbälle abgebildet. Das erinnert sie an Kent, denn Kent liebt Fußball. Er liebt Fußball so, wie er nichts anderes im Leben liebt. Er liebt Fußball mehr, als er es liebt, den Leuten zu erzählen, wie viel die Dinge, die er besitzt, gekostet haben, und das liebt Kent weiß Gott wirklich sehr.
Wenn es Meisterschaften im Fußball gibt, dann wird die Kreuzworträtselbeilage in Kents und Britt-Maries Tageszeitung durch eine Extrabeilage über die Meisterschaften ersetzt, und dann kriegt man aus Kent kein vernünftiges Wort mehr heraus. Wenn Britt-Marie ihn dann fragt, was er gern zum Mittagessen hätte, dann murmelt er nur, ohne den Blick vom Ball abzuwenden: »Ist mir egal.«
Das hat Britt-Marie dem Fußball nie verziehen. Weder dass er ihr Kent noch dass er ihr die Kreuzworträtselbeilage stiehlt.
Sie knetet die weiße Stelle an ihrem Ringfinger. Sie denkt an das letzte Mal, als sie in der Morgenzeitung statt des Kreuzworträtsels die Weltmeisterschaftsbeilage fand, denn sie las den Rest der Zeitung viermal, in der Hoffnung, irgendwo doch noch ein kleines verstecktes Kreuzworträtsel übersehen zu haben. Es gab keins, doch sie fand eine Nachricht über den Tod einer Frau in ihrem Alter. Die konnte Britt-Marie nicht vergessen. Darin stand, die Frau habe mehrere Wochen lang tot in ihrer Wohnung gelegen, bis die Nachbarn sich über den Gestank beschwerten. Britt-Marie geht diese Nachricht nicht aus dem Sinn, denn sie muss ständig daran denken, wie ärgerlich es wäre, wenn sich die Nachbarn über Gestank aus ihrer Wohnung beklagen müssten. Es hieß, es sei ein »natürlicher« Tod gewesen. Ein Nachbar berichtete, dass sogar »das Abendessen der Frau noch auf dem Tisch stand, als der Vermieter die Wohnung öffnete«. Britt-Marie fragte Kent, was er glaube, was die Frau gegessen habe. Sie fand die Vorstellung, mitten beim Abendessen zu sterben, besonders grässlich, als hätte es am Essen gelegen. Kent murmelte, das spiele doch wohl keine Rolle, und stellte den Ton des Fernsehers, auf dem sein Fußballspiel lief, lauter. Britt-Marie schrie innerlich.
Natürlich spielt das eine Rolle. Das Abendessen muss doch schließlich einen Sinn haben.
Es dauert eine halbe Stunde, dann geht die Tür zum Büro der jungen Frau wieder auf. Menschen kommen heraus. Die junge Frau verabschiedet sich enthusiastisch und lächelt, sie bleibt stehen, sieht Britt-Marie und wirkt ein bisschen weniger enthusiastisch.
»Ach, Sie sind ja noch da. Ja, wissen Sie, Frau Wieslander, es tut mir schrecklich leid, aber ich habe keine Zeit, um …«
Britt-Marie erhebt sich und streicht ein paar unsichtbare Fusseln von ihrem Rock.
»Das kann ich verstehen. Sie sind natürlich viel zu sehr mit Ihrer Karriere beschäftigt, um für jemanden wie mich Zeit zu haben.«
Britt-Marie spricht das Wort »Karriere« sehr rücksichtsvoll aus. Keine Spur kritisch. Die junge Frau scheint es natürlich trotzdem als Kritik aufzufassen, denn sie macht ein Gesicht wie einer von Britt-Maries Nachbarn, wenn sie versucht hat, rücksichtsvoll zu sein. Einmal hat dieser Nachbar sie »Meckerziege« genannt, nachdem Britt-Marie ganz rücksichtsvoll bei ihm geklingelt und ihn aus gegebenem Anlass über die Regeln in der Gemeinschaftswaschküche im Haus informiert hatte. Zum vierten Mal. Britt-Marie hat ihm das sehr übelgenommen. Nicht so sehr wegen der »Ziege«, das kann sie verknusen, doch Britt-Marie »meckert« schließlich nicht. Sie ist fürsorglich, das ist der feine Unterschied. Das hat sie dem Nachbarn dann auch jedes Mal, wenn sie sich wieder über den Weg liefen, gesagt, bis sie der Nachbar ein paar Monate später anschrie: »Jetzt kannst du verdammt nochmal endlich aufhören, darauf herumzureiten!« Das hat Britt-Marie sehr gekränkt, denn sie ist doch weiß Gott niemand, der auf Dingen herumreitet. »Bin ich so? Findest du, dass ich jemand bin, der auf den Dingen herumreitet, Kent? Findest du das? Reite ich auf Dingen herum, Kent?«, fragte sie Kent an diesem Abend. »Nee, nee, gar nicht«, murmelte Kent. »Das sage ich ja, genau das sage ich! Ich reite wirklich nicht auf Dingen herum!«, antwortete Britt-Marie und nickte. Und dann lag sie die ganze Nacht wach und regte sich darüber auf, dass Menschen durchs Haus liefen und völlig grundlos behaupteten, Britt-Marie sei so eine Person, die auf Dingen herumreitet.
»Es tut mir leid, aber …«, sagt die junge Frau ungeduldig, offenbar in der Absicht, Britt-Marie abzuschütteln.
»Und Sie amüsieren sich beim Fußball, das muss Ihnen ja viel Spaß machen«, unterbricht Britt-Marie sie deshalb und nickt zu den Aufklebern an der Tür.
Die junge Frau strahlt mit einem Mal.
»Ja! Sie auch?«
»Nein, wirklich nicht«, stellt Britt-Marie klar.
»Ach so …«, sagt die junge Frau.
»So«, sagt Britt-Marie.
Die junge Frau schielt auf ihre Armbanduhr und dann auf eine Uhr, die an der Wand hängt. Die Frau hat ganz offensichtlich vor, Britt-Marie loszuwerden, deshalb überlegt sich Britt-Marie, etwas Soziales zu sagen.
»Ihre Frisur sieht heute ganz anders aus«, merkt sie deshalb an.
»Was?«, fragt die junge Frau.
Britt-Marie lächelt fürsorglich.
»Sie ist anders als gestern. Immer noch modern. Ganz flexibel.« Dann schiebt sie schnell hinterher: »Nicht dass daran etwas auszusetzen wäre, selbstverständlich nicht.«
Britt-Marie verurteilt doch niemanden. Die junge Frau räuspert sich.
»Danke. Aber jetzt muss ich …«
»Sie sieht praktisch aus, Ihre Frisur«, nickt Britt-Marie anerkennend.
Eigentlich sieht sie vor allem kurz und struppig aus, so als ob jemand Orangensaft auf einen Knüpfteppich gekleckert hätte. Kent hat dauernd mit seinem Getränk gekleckert, wenn er Fußballspiele angeschaut und dabei Wodka mit Orangensaft getrunken hat, bis Britt-Marie irgendwann genug hatte und den Teppich ins Gästezimmer legte. Das ist jetzt dreizehn Jahre her, doch Britt-Marie muss immer noch oft daran denken. Britt-Maries Gedächtnis und Britt-Maries Teppiche haben einiges gemeinsam, sie lassen sich nicht leicht auswaschen.
Aber die Frisur darf natürlich so aussehen, wie sie will. Heute sieht sie ein bisschen danach aus, als würde man in einem Topf auf dem Balkon Dill ziehen. Daran ist selbstverständlich nichts auszusetzen. Britt-Marie hat wirklich überhaupt nichts gegen Dill.
Die junge Frau räuspert sich. Ihre Frisur verhält sich passiv.
»Ich habe leider keine Zeit.«
»Und wann haben Sie dann Zeit?«, möchte Britt-Marie wissen.
Die junge Frau atmet, als wäre sie ein schwergewichtiger Mann und nicht ein Leichtgewicht von Frau.
»Wie meinen Sie das?«
Britt-Marie hält ihr Notizbuch hoch und geht ihre Liste der Reihe nach durch.
»Ich habe um drei Uhr Zeit.«
»Ich bin heute den ganzen Tag ausgebucht, es geht ni …«, versucht die junge Frau wieder.
»Ich könnte auch um vier oder um fünf Uhr«, bietet Britt-Marie diplomatisch an.
»Wir schließen heute um fünf«, erklärt die junge Frau.
»Dann sagen wir eben fünf Uhr«, einigt sich Britt-Marie mit sich selbst und setzt schon an, mit ihrem frisch gespitzten Bleistift, der nun zwischen ihrem Zeigefinger und ihrem Daumen aufgetaucht ist, einen Eintrag in ihrer Liste vorzunehmen.
»Nein, ich sage doch, es geht nicht!«, protestiert die junge Frau.
»Haben Sie um fünf schon etwas vor?«, fragt Britt-Marie bemüht.
»Na ja … also wir … wir schließen da …«, fängt die junge Frau an zu erklären.
»Wir können wirklich nicht später als fünf Uhr sagen«, fährt Britt-Marie fort.
»Was?«, sagt die junge Frau.
Britt-Marie lächelt unglaublich, wirklich unglaublich geduldig.
»Ich will ja keinen Ärger machen. Überhaupt nicht. Aber wir befinden uns doch nicht im Krieg, nicht wahr, meine Liebe? Zivilisierte Menschen essen um sechs Uhr zu Abend, daher kann man einen Termin doch wohl allerspätestens auf fünf Uhr legen, finden Sie nicht auch?«
»Ja?«
»Wollten Sie sagen, wir sollten uns zum Essen treffen?«
»Nein … also … wie … was?«
Britt-Marie nickt, als ob das eine riesengroße Anstrengung wäre.
»Gut. Dann sollten Sie bitte daran denken, dass Sie nicht zu spät kommen. Sonst werden die Kartoffeln kalt.«
Dann schreibt Britt-Marie 18 Uhr Abendessen in ihre Liste.
Die junge Frau ruft Britt-Marie etwas hinterher, aber Britt-Marie ist bereits gegangen, denn sie hat wirklich keine Zeit, hier den ganzen Tag herumzustehen und diese Dinge rauf und runter zu diskutieren.
Es ist 9 . 35 Uhr.
Um Punkt elf klopft es wieder an der Tür.
Britt-Marie steht draußen und sieht besorgt aus.
»Haben Sie irgendwelche Allergien?«, fragt sie.
»Was?«, antwortet die junge Frau.
»Gibt es etwas, was Sie nicht vertragen?«, erläutert Britt-Marie mit dieser stoischen Ruhe, die man sich zulegen muss, wenn man mit jemandem Konversation betreiben will, der auf jede ganz plausible Frage nur mit »Was?« antwortet.
»Ich bin … Vegetarierin«, bringt die junge Frau hervor.
Britt-Marie zieht ihren Notizblock heraus.
»So.«
Die junge Frau atmet durch die Nase.
»Aber … ich habe doch versucht, Ihnen zu erklären, dass ich mich heute Abend nicht mit Ihnen treffen KANN …«
»Essen Sie denn Fisch?«, unterbricht Britt-Marie sie.
»Ja … schon, Fisch esse ich, aber wie ich schon sa …«
»Fisch ist nicht vegetarisch, Fisch ist Fleisch. Fischfleisch«, belehrt Britt-Marie sie.
Die junge Frau hält ihre Fingerspitzen über ihre Augenlider, wie man es tut, wenn man sich daran gewöhnt hat, auf komplexe Fragen einfache Antworten zu geben, weil komplexe Antworten nur bewirken, dass die Leute meinen, man solle sich einfacher ausdrücken.
»Ich esse kein rotes Fleisch. Aber in der Regel verstehen die Leute das besser, wenn ich einfach sage, ich sei Vegetarier.«
Britt-Marie scheint über diesen Sachverhalt nachzudenken.
»Essen Sie Lachs?«, fragt sie als Nächstes und fügt fürsorglich hinzu: »Das ist ein Fisch. Müssen Sie wissen.«
»Ja. Ich esse Lachs«, gibt die junge Frau zu.
Britt-Marie bürstet unsichtbare Krümel von ihrem Rock. Zieht eine Falte grade, die es gar nicht gibt.
»Lachs hat rotes Fleisch.«
Möglicherweise hat die junge Frau vor, etwas darauf zu erwidern, doch da ist Britt-Marie schon auf und davon.
Britt-Maries Lachs ist hervorragend, denn Lachs ist der einzige Fisch, den Kent mag. Jeden Nachmittag um fünf Uhr ruft sie ihn an, um zu fragen, ob er rechtzeitig zum Essen um sechs Uhr zu Hause sein wird. Er antwortet fast immer, nein, da er ein Meeting mit Deutschland habe, aber er kann auch noch so spät heimkommen, sein Essen steht warm auf dem Tisch.
»So. Dir schmeckt es also nicht?«, fragt Britt-Marie immer, nachdem Kent ein paar Bissen gegessen hat, ohne dabei irgendwie anklagend zu klingen.
»Dochdochdoch! Sehr lecker, wirklich sehr!«, brummt Kent dann immer, ohne von den Sportseiten der Tageszeitung aufzuschauen. Er liest sie erst abends. Britt-Marie schreit deswegen innerlich.
»Wenn es dir schmeckt, wäre es sehr nett, wenn du das sagen würdest«, erwidert sie dann immer und bürstet unsichtbare Krümel vom Tischtuch in ihre hohle Hand. »Mein Gott, Britt-Marie, ich habe doch gesagt, dass es lecker ist!«, entgegnet Kent daraufhin immer völlig verständnislos, während er schon wieder an seinem Handy herumdrückt. Britt-Marie steht dann immer auf und kippt die unsichtbaren Krümel in die Spüle. Dann räumt sie die Geschirrspülmaschine aus und sortiert das Besteck.
Kent stellt seinen Teller immer auf der Arbeitsplatte ab, dann schaut er sich im Bildschirmtext die Fußballergebnisse an und geht schlafen. Britt-Marie hebt sein Oberhemd vom Schlafzimmerboden auf und steckt es in die Waschmaschine. Dann stellt sie die Maschine an und putzt und verstaut seinen Rasierapparat im Badezimmer in einer anderen Schublade. Kent behauptet morgens immer, dass sie seinen Rasierapparat »versteckt« habe, er steht da und schreit »Briiitt-Mariiie!«, weil er ihn nicht finden kann, aber sie versteckt ihn gar nicht. Sie räumt um. Das ist ein Unterschied. Manchmal räumt sie Dinge um, weil es nötig ist, und manchmal, weil sie hören will, wie er am Morgen danach ihren Namen brüllt. Denn sie liebt es, wenn er ihren Namen brüllt.
Dann geht der Tag vorbei, und Kent kommt spät nach Hause, isst und liest die Fußballergebnisse im Bildschirmtext nach und geht schlafen. Britt-Marie wäscht sein Hemd. Sie wünschte, er würde es nur ein einziges Mal selbst in den Wäschekorb legen. Sie wünschte, er würde nur ein einziges Mal sagen, dass das Essen lecker sei, ohne dass sie nachfragen muss. Abendessen muss doch einen Sinn haben.
»Das war aber lecker.« Dann hat es Sinn.
Es ist 16 . 55 Uhr. Britt-Marie steht allein auf der Straße vor dem Arbeitsamt, weil es unhöflich wäre, zu einer Verabredung zu früh zu kommen. Der Wind fährt ihr leicht durchs Haar. Da vermisst sie ihren Balkon so sehr, dass sie die Augen zukneifen muss, bis ihr die Schläfen weh tun. Sie arbeitet immer nachts auf ihrem Balkon, wenn sie wach ist und auf Kent wartet. Er sagt immer, dass sie nicht aufbleiben und warten soll. Sie tut es trotzdem jedes Mal. Dann sieht sie sein Auto vom Balkon aus, wenn er in die Straße biegt, und sobald er die Tür öffnet, steht sein Essen aufgewärmt auf dem Tisch. Wenn er in ihrem Ehebett eingeschlafen ist, hebt sie sein Oberhemd vom Schlafzimmerboden auf und steckt es in die Waschmaschine. Wenn der Kragen schmutzig ist, behandelt sie ihn vorher mit Natron und Essig. Am nächsten Morgen steht sie früh auf, macht ihre Haare und putzt die Küche, dann streut sie Natron in die Blumenkästen auf dem Balkon und putzt alle Fenster mit Faxin. Das ist Britt-Maries Fensterputzmittel. Es ist sogar noch besser als Natron.
Es gibt Menschen, die behaupten, man müsse die Fenster nicht jeden Tag putzen, aber wenn Britt-Marie die Fenster geputzt hat, wacht Kent auf, und wenn Kent aufwacht, beginnt der Tag. Britt-Marie kann sich wirklich überhaupt nicht vorstellen, den Tag mit schmutzigen Fenstern zu beginnen.
Die Fenster im Hotelzimmer, in dem Britt-Marie jetzt wohnt, sind so sauber, dass sie die Gardinen zuziehen musste, bevor sie einkaufen gegangen ist, um nicht zu riskieren, dass Vögel direkt in die Scheibe fliegen. Das wäre furchtbar, denkt Britt-Marie, denn dann wären die Fenster ja wieder dreckig, und sie hat ihre letzte Flasche Faxin gerade leer gemacht. Sie fühlt sich nur wie ein halber Mensch, wenn sie nicht mindestens eine volle Flasche Faxin als Reserve im Schrank stehen hat. Da kann ja sonst was passieren.
Sie hatte Faxin kaufen gleich auf ihre Liste geschrieben. Und sogar überlegt, ob sie ein Ausrufezeichen dahintersetzen sollte, um den Ernst der Lage zu markieren. Doch sie konnte sich beherrschen. Dann ging sie in einen Supermarkt, in dem sie sonst nie einkauft, in dem sie sich überhaupt nicht auskennt. Also fragte sie einen jungen Verkäufer nach Faxin. Er kannte es gar nicht. Als Britt-Marie innerlich schrie und äußerlich erklärte, das sei ihr Fensterputzmittel, zuckte er nur mit den Schultern und schlug ihr vor, ein anderes Fensterputzmittel zu kaufen. Da wurde Britt-Marie so böse, dass sie ihre Liste herausholte und das Ausrufezeichen doch noch hinsetzte.
Der Einkaufswagen geriet so ins Trudeln, dass sie sich damit selbst über den Fuß fuhr. Sie schloss kurz die Augen, biss sich auf die Wange und vermisste Kent. Dann entdeckte sie Lachs im Sonderangebot und packte außerdem Kartoffeln und Gemüse in den Wagen. Aus einem kleinen Regal, über dem Büromaterial stand, nahm sie einen Bleistift und zwei Anspitzer und legte sie dazu.
»Haben Sie eine Kundenkarte?«, fragte der junge Mann, als Britt-Marie an die Kasse kam.
»Eine was?«, fragte Britt-Marie misstrauisch.
»Das Sonderangebot beim Lachs gilt nur, wenn man eine Kundenkarte hat«, erklärte er.
Britt-Marie lächelte geduldig.
»Das hier ist nicht mein üblicher Supermarkt, wissen Sie. In meinem üblichen Supermarkt hat mein Mann eine Kundenkarte.«
Der junge Mann hielt ihr einen Prospekt hin.
»Sie können die Kundenkarte ganz schnell beantragen. Sie müssen nur Ihren Namen und Ihre Adresse eintragen und …«
»Ganz bestimmt nicht!«, antwortete Britt-Marie.
Fürsorglich natürlich. Keine Spur wütend. Aber irgendwo muss doch eine Grenze sein. Soll man sich wie ein Terrorist mit Namen und Adresse registrieren lassen, nur weil man Lachs kaufen will? Britt-Marie hat wirklich nicht vor, jemanden mit Lachs in die Luft zu sprengen. Sie will den Fisch im Ofen zubereiten und mit Kartoffeln und grünen Bohnen auf den Tisch bringen. Eben wie ein Mensch.
»Aber wissen Sie, sorry, dann müssen Sie den vollen Preis für den Lachs bezahlen«, sagte der junge Mann.
»So«, sagte Britt-Marie.
»Wenn Sie nicht genug Geld dabeihaben, dann kann ich Ihnen …«
Britt-Marie riss die Augen auf. Sie wollte vor Verzweiflung die Stimme heben, doch sie brach.
»Mein lieber Freund, ich habe reichlich Geld dabei. Wirklich reichlich«, versuchte sie zu schreien und danach ihre Geldbörse auf das Band zu knallen, doch es wurde mehr ein Flüstern und eine eher stille Geste.
Der junge Mann zuckte mit den Schultern und kassierte. Britt-Marie hätte ihm gern erzählt, dass ihr Mann Unternehmer ist, dass sie sich wirklich bis ans Ende ihres Lebens Lachs zum Normalpreis leisten können. Doch der junge Mann bediente bereits den nächsten Kunden.
Als ob sie überhaupt keine Rolle spiele.
Punkt 17 Uhr klopft Britt-Marie an die Tür des Büros der jungen Frau. Die junge Frau hat beim Öffnen bereits ihren Mantel an.
»So. Sie sind jetzt natürlich auf dem Weg hinaus«, stellt Britt-Marie fest.
Die junge Frau macht ein Gesicht, als fühle sie sich angeklagt.
»Na ja … wir schließen jetzt … wie ich Ihnen gesagt habe, müssen wi …«
»Und wann kommen Sie zurück?«, fragt Britt-Marie.
»Was?«, sagt die junge Frau.
»Ich muss schließlich wissen, wann ich die Kartoffeln aufsetzen soll«, antwortet Britt-Marie.
»Die Kartoffeln?«, fragt die junge Frau.
»Kartoffeln sind vegetarisch«, ruft Britt-Marie aus, als müsste nun sie sich angeklagt fühlen.
Die junge Frau reibt sich die Augenlider mit den Handrücken.
»Ja, ja, okay. Es tut mir leid, Frau Wieslander. Aber wie ich schon versucht habe zu erklären, habe ich also kein …«
»Das ist für Sie«, sagt Britt-Marie und hält ihr zuerst den Bleistift vor die Nase.
Als die junge Frau ihn erstaunt nimmt, reicht Britt-Marie ihr auch die Anspitzer, einen blauen und einen rosafarbenen. Der Reihe nach nickt sie in ihre Richtung, und dann nickt sie in jeder Hinsicht völlig vorurteilsfrei zur Herrenfrisur der jungen Frau.
»Ja, heutzutage weiß man ja nicht genau, welche Sorte Sie bevorzugen. Da habe ich von beiden Farben einen gekauft.«
Die junge Frau sieht etwas verunsichert darüber aus, was Britt-Marie damit wohl meint.
»D … anke. Danke schön.«
»Und jetzt zeigen Sie mir bitte die Küche, wenn es nicht zu viele Umstände macht, denn sonst wird es knapp mit der Zeit für die Kartoffeln«, erklärt Britt-Marie fürsorglich.
Die junge Frau sieht einen Moment lang so aus, als wolle sie ausrufen, »die Küche?«, doch im letzten Moment schluckt sie den Impuls herunter und scheint schließlich zu dem Schluss zu kommen, dass Protest den ganzen Prozess nur unnötig in die Länge ziehen und nicht angenehmer machen wird, so wie kleine Kinder irgendwann einsehen, dass kein Weg an der Badewanne vorbeiführt. Also holt sie einmal so tief Luft, dass die Knöpfe an ihrem Mantel klappern, und gibt auf.
»Aber ich … also, na gut … okay, Mist. Die Personalküche befindet sich hier!«, seufzt sie und nimmt Britt-Marie die Einkaufstüte ab.
Britt-Marie geht hinterher und will offenbar die Freundlichkeit der jungen Frau mit einer Art Kompliment vergelten.
»Sie haben einen schicken Mantel an«, sagt sie schließlich.
Überrascht fährt die junge Frau mit der Hand über den Stoff.
»Danke«, entgegnet sie und lächelt aufrichtig.
Britt-Marie nickt.
»Sie sind ganz schön mutig, dass Sie um diese Jahreszeit Rot tragen.«
Die junge Frau atmet durch die Nase. Britt-Marie bürstet unsichtbare Krümel von ihrem Rock.
»Wo sind die Töpfe?«, fragt sie, als sie die Küche betreten.
Die junge Frau zieht mit einer nun sehr begrenzten Menge an Geduld eine Schublade auf. In der einen Hälfte befinden sich die Küchengeräte, wild durcheinander. In der anderen befindet sich ein Plastikfach für Besteck. Ein einziges Fach. Messer, Gabeln, Löffel. Alles durcheinander.
Der Gesichtsausdruck der jungen Frau wechselt von Verärgerung zu einer Miene, die ernsthafte Besorgnis verrät.
»Sie … hallo! Geht es Ihnen nicht gut?«, fragt sie Britt-Marie.
Britt-Marie hat sich unterdessen auf einen Stuhl gesetzt und sieht aus, als würde sie im nächsten Moment ohnmächtig werden.
»Barbaren«, flüstert sie und beißt sich auf die Lippe.
Die junge Frau lässt sich langsam auf dem Platz gegenüber nieder. Sieht unschlüssig aus. Ihr Blick heftet sich an Britt-Maries linke Hand. Britt-Maries Fingerspitzen kneten hart an dem weißen Fleck auf ihrer Haut, der wie eine Wunde nach der Amputation eines Körperteils aussieht. Als sie bemerkt, dass die junge Frau es sieht, versteckt sie ihre Hand unter ihrer Handtasche, als wäre sie unter der Dusche ausspioniert worden.
Die junge Frau hebt vorsichtig die Augenbrauen.
»Darf ich fragen … entschuldigen Sie, aber … also, was machen Sie eigentlich hier, Frau Wieslander?«
»Ich suche eine Arbeitsstelle«, antwortet Britt-Marie und sucht in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch, mit dem sie den Tisch abwischen kann.
Die junge Frau beugt sich etwas unbeholfen vor und zurück über den Tisch und versucht eher erfolglos, ganz entspannt auszusehen.
»Bei allem Respekt, Frau Wieslander, Sie haben seit vierzig Jahren keine Arbeitsstelle gehabt. Warum ist es dann jetzt so wichtig?«
»Ich habe vierzig Jahre lang eine Arbeitsstelle gehabt. Ich habe mich um unser Zuhause gekümmert. Deshalb ist es jetzt wichtig«, antwortet Britt-Marie und bürstet Krümel vom Tisch, die gar nicht da sind.
Als die junge Frau nicht sofort darauf antwortet, fügt sie hinzu:
»Ich habe in der Zeitung gelesen, dass eine Frau wochenlang tot in ihrer Wohnung gelegen hat, wissen Sie. Da stand, sie sei eines ›natürlichen‹ Todes gestorben. Ihr Abendessen hat noch auf dem Tisch gestanden. Das ist nicht natürlich. Keiner hat gewusst, dass sie gestorben ist, bis die Nachbarn sich an dem Geruch gestört haben.«
Die junge Frau kratzt sich irritiert in den Haaren.
»Okay … Sie wollen … also Sie wollen einen Job haben, um …«, setzt sie an.
Britt-Marie atmet mit Engelsgeduld aus. Ein ungeduldiges Seufzen ist das absolut nicht.
»Sie hatte keine Kinder und keinen Mann und keine Arbeit. Niemand wusste, dass es sie gab. Wenn man eine Arbeitsstelle hat, fällt jemandem auf, wenn man nicht da ist.«
Die junge Frau, die noch an ihrem Arbeitsplatz ist, obwohl ihr Arbeitstag längst vorbei ist, sieht die Frau, die der Grund dafür ist, sehr lange an. Britt-Marie sitzt aufrecht vor ihr, so wie sie immer auf dem Stuhl auf ihrem Balkon gesessen hat, wenn sie auf Kent gewartet hat. Sie wollte nie schlafen gehen, wenn Kent nicht zu Hause war, denn sie wollte nicht einschlafen, wenn niemand wusste, dass sie da war.
Britt-Marie beißt sich auf die Lippe. Knetet den weißen Fleck. »So. Sie finden das sicher absurd. Ich bin mir natürlich darüber bewusst, dass Konversation nicht direkt zu meinen Stärken gehört. Mein Mann sagt, ich sei sozial inkompetent.«
Die letzten Worte sind nur ein Flüstern. Die junge Frau schluckt und sieht auf Britt-Maries Finger, wo der Ring fehlt.
»Was ist mit Ihrem Mann passiert?«
»Er hat einen Herzinfarkt erlitten.«
Die Augenlider der jungen Frau sinken verschämt nach unten und öffnen sich dann wieder voller Mitgefühl.
»Das tut mir leid. Ich wusste nicht, dass er tot ist.«
»Ist er auch nicht«, flüstert Britt-Marie.
»Ach so, ich dach …«, setzt die junge Frau an.
Britt-Marie unterbricht sie, indem sie vom Tisch aufsteht und anfängt, das Besteck zu sortieren, als hätte es ein Verbrechen begangen.
»Ich benutze kein Parfüm, deshalb habe ich ihn immer gebeten, sein Oberhemd in die Waschmaschine zu legen. Und zwar gleich, wenn er nach Hause kommt. Das hat er nie getan. Aber er hat geschimpft, weil die Waschmaschine so laut war.«
Sie hält inne, um den Herd darauf hinzuweisen, dass seine Knöpfe in der falschen Reihenfolge angebracht sind. Er sieht aus, als würde er sich schämen. Britt-Marie fährt fort:
»Als er den Herzinfarkt hatte, hat sie mich aus dem Krankenhaus angerufen.«
Die junge Frau steht auf, um ihr zu helfen. Setzt sich aber wieder hin und beobachtet Britt-Marie sehr konzentriert, als sie ein Filetiermesser aus der Schublade zieht.
»Als Kents Kinder klein waren und jede zweite Woche bei uns wohnten, habe ich ihnen immer Märchen vorgelesen. Ich mochte ›Meister Schneiderlein‹ besonders gern. Kennen Sie das, mit dem Schneider und dem kleinen Mann? Die Kinder wollten immer, dass ich mir selbst Geschichten ausdenke, aber ich verstehe wirklich nicht, wozu das gut sein soll, wenn es schon fertige Geschichten gibt, die ein Fachmann geschrieben hat. Kent hat immer gesagt, es läge daran, dass ich keine Phantasie hätte, aber in Wirklichkeit habe ich eine blühende Phantasie!«
Die junge Frau gibt keine Antwort. Britt-Marie stellt den Ofen an. Legt den Lachs in eine Form. Bleibt stehen.
»Es verlangt schon eine außergewöhnlich lebendige Phantasie, so zu tun, als würde man es jahrelang nicht durchschauen, wenn man all seine Hemden wäscht und selbst nie Parfüm benutzt«, flüstert sie.
Die junge Frau steht wieder auf. Legt Britt-Marie unbeholfen die Hand auf die Schulter.
»Ich … Entschuldigung, ich …«, beginnt sie.
Sie verstummt, ohne dass sie unterbrochen wird. Britt-Marie faltet die Hände auf Hüfthöhe und wirft einen Blick in den Ofen.
»Ich möchte eine Arbeitsstelle haben, weil ich nämlich der Meinung bin, dass es sich nicht gehört, die Nachbarn mit schlechtem Geruch zu belästigen. Ich will, dass jemand weiß, dass ich hier bin.«
Dem gibt es nichts hinzuzufügen.
Als der Lachs fertig ist, sitzen sie am Tisch und essen, ohne sich anzusehen.
»Sie ist sehr hübsch. Jung. Ich verurteile ihn deswegen nicht, das tue ich wirklich nicht«, sagt Britt-Marie schließlich.
»Das ist bestimmt ’ne richtige Bitch!«, platzt die junge Frau in einem Anfall von spontanem Unterstützungswillen heraus.
»Was bedeutet das?«, fragt Britt-Marie und macht ein gekränktes Gesicht.
Die junge Frau räuspert sich.
»Das … ich meine … also. Das ist etwas Negatives.«
Britt-Marie sieht herunter auf ihren Teller.
»So. Nett von Ihnen.«
Es sieht aus, als wolle sie auch zu ihr etwas Nettes sagen, also bringt sie etwas mühevoll hervor:
»Sie … ja, ich finde: Sie haben heute schöne Haare.«
Die junge Frau lächelt.
»Danke!«
Britt-Marie nickt.
»Man sieht heute von Ihrer Stirn nicht ganz so viel wie gestern.«
Die junge Frau kratzt sich direkt unter dem Pony. Britt-Marie starrt auf ihren Teller und versucht, ihrem Wunsch zu widerstehen, zum Herd zu gehen und eine Portion für Kent zu holen. Die junge Frau sagt etwas. Britt-Marie sieht auf und murmelt: »Wie bitte?«
»Das Essen war sehr lecker«, wiederholt die junge Frau.
Ganz ohne dass Britt-Marie gefragt hätte.
Und so kommt es also, dass Britt-Marie eine Arbeitsstelle findet. Diese Arbeitsstelle liegt zufällig in Borg, also setzt sich Britt-Marie, zwei Tage nachdem sie die junge Frau vom Arbeitsamt zum Lachsessen eingeladen hat, in ihr Auto und fährt dorthin. Und deshalb müssen wir jetzt mal über Borg reden.
Borg ist eine kleine Gemeinde an einer Durchgangsstraße. Das ist eigentlich das Netteste, was einem zu Borg einfällt. Es ist kein Ort, von dem man sagen könnte, er sei einer unter Millionen, eher einer von Millionen. Es gibt dort einen Fußballplatz, der nicht mehr in Betrieb ist, und eine Schule, die nicht mehr in Betrieb ist, und eine Apotheke, einen Spirituosenladen, eine Krankenstation, ein Lebensmittelgeschäft und ein Einkaufszentrum, die alle nicht mehr in Betrieb sind, und eben eine Straße, die von Borg aus in zwei Richtungen führt.
Es gibt zwar ein Jugendzentrum, das nicht außer Betrieb ist, aber das liegt nur daran, dass man dazu noch nicht gekommen ist. Es dauert seine Zeit, eine ganze Gemeinde stillzulegen, das muss man sich klarmachen, und das heißt, das Jugendzentrum muss warten, bis es an der Reihe ist. Die einzigen Dinge, die in Borg ganz offensichtlich noch betrieben werden, sind Fußball und eine Pizzeria, weil das offenbar das Letzte ist, was sich die Menschen nehmen lassen.
Britt-Marie hat ihren ersten Kontakt mit der Pizzeria und dem Jugendzentrum, als sie an einem Tag im Januar mit ihrem weißen Auto auf dem Schotterparkplatz zwischen den beiden Gebäuden anhält. Ihr erster Kontakt mit dem Fußball besteht darin, dass sie ihn an den Kopf geknallt bekommt.
Das passiert, direkt nachdem ihr Wagen explodiert ist. Man könnte das vielleicht so zusammenfassen, dass Borgs und Britt-Maries erste Eindrücke voneinander nicht durchweg positiv sind.
Die Explosion selbst geschieht, wenn wir es jetzt mal ganz genau nehmen wollen, schon, als Britt-Marie auf den Parkplatz einbiegt. Es passiert auf der Beifahrerseite, das hört Britt-Marie ganz genau. »Kabumm« macht es, so würde Britt-Marie das Geräusch beschreiben. In angemessener Panik lässt sie sowohl Kupplung als auch Bremse los, woraufhin das Auto anfängt zu husten, als hätte man es beim Popcorn-Essen erschreckt, und nach einigen dramatischen Irrfahrten über die januargefrorenen Pfützen hält das Auto abrupt vor dem Gebäude, über dem in sporadisch funktionierenden, roten Neonbuchstaben der Schriftzug PIZZ R A leuchtet. Britt-Marie springt panisch aus dem Auto, völlig zu Recht in der Erwartung, dass es nach der Explosion nun zu brennen anfangen wird. Das tut es aber nicht. Britt-Marie steht nun ganz allein auf dem Parkplatz in so einer Stille, wie es sie nur in Dörfern, aber nie in Städten gibt. Das ist ein klein wenig ärgerlich. Sie zupft ihren Rock zurecht und hält ihre Handtasche ganz fest.
Ein Fußball rollt ganz gemächlich über den Schotter von Britt-Maries Auto weg und verschwindet hinter einem Gebäude, an dem JUGEN ZENTRUM steht. Kurz nachdem der Fußball um die Ecke gerollt ist, beginnt etwas zu donnern. Es klingt, als ob jemand Bettdecken im Trockner trocknet und statt Tennisbällen Steine dazugelegt hat. Das klingt im ersten Moment natürlich völlig abwegig, aber Britt-Marie hat in dem Haus, in dem Kent und sie wohnen, in der Gemeinschaftswaschküche schon allerhand erlebt. Heutzutage kommen die Leute auf die abwegigsten Ideen.
Britt-Marie holt ihre Liste aus der Handtasche. Ganz oben steht Nach Borg fahren. Den Punkt hakt sie ab. Der nächste Punkt lautet Schlüssel in der Post holen.
Sie holt das Handy heraus, das Kent ihr vor fünf Jahren besorgt hat, und benutzt es zum ersten Mal.
»Hallo?«, antwortet die junge Frau vom Arbeitsamt.
»Ist es heute üblich, dass man sich so am Telefon meldet?«, fragt Britt-Marie.
Fürsorglich. Nicht kritisierend.
»Was?«, sagt die junge Frau, noch ein paar Augenblicke lang in seligem Unwissen darüber, dass Britt-Marie mit dem Verlassen der Gefilde des Arbeitsamtes nicht notwendigerweise auch aus ihrem Leben verschwunden ist.
»Ich bin jetzt in diesem ›Borg‹. Hier donnert irgendetwas ganz furchtbar, und mein Auto ist explodiert. Wie weit ist es denn bis zur Post?«, fragt Britt-Marie.
»Frau Wieslander?«, fragt die junge Frau nach einer Bedenkzeit, in der die Hoffnung mitschwingt, dass die Antwort vielleicht auch »nein« heißen könnte.
»Sie sind ganz schlecht zu verstehen!«, informiert Britt-Marie sie.
»Explodiert?«, fragt die junge Frau.
»Irgendetwas stimmt mit dem Auto nicht. Es gab eine Explosion, ich habe es ganz deutlich gehört«, erklärt Britt-Marie.
»Sind Sie in Ordnung?«, fragt die junge Frau besorgt.
»Natürlich bin ich das! Aber was mache ich jetzt mit dem Wagen?«, antwortet und fragt Britt-Marie gleichzeitig.
»Aber … also … es ist ja Ihr Auto«, entgegnet die junge Frau.
»So«, stellt Britt-Marie fest.
Es ist eine Weile ganz still.
»Hallo?«, fragt Britt-Marie.
»Ja?«, antwortet die junge Frau.
»Ja!«, betont Britt-Marie.
»Ich verstehe nichts von Autos«, setzt die junge Frau an.
Britt-Marie atmet in jeder Hinsicht mit Engelsgeduld aus.
»Sie haben gesagt, ich kann Sie anrufen, wenn ich noch Fragen hätte«, erinnert sie sie.
Britt-Marie ist nicht der Meinung, man könne von ihr erwarten, dass sie sich selbst mit jedem Problem an Autos auskennt. Seit Kent und sie geheiratet haben, ist sie nur ein paarmal selbst gefahren, denn sie fährt nie ohne Kent, und Kent ist ein außerordentlich guter Fahrer.
»Ich meinte Fragen, die die … Arbeit selbst betreffen«, seufzt die junge Frau am anderen Ende.
»So. Das ist wohl das Einzige, was zählt. Die Karriere. Wenn ich bei einer Explosion sterbe, ist das natürlich völlig egal«, hält Britt-Marie fest.
»So habe ich das doch nicht gemeint«, murmelt die junge Frau.
»Natürlich ist es nur von Vorteil, wenn ich sterbe. Dann wird wieder eine Stelle frei. Ist gut für die Statistik«, sagt Britt-Marie in jeder Hinsicht sehr freundlich und ohne so zu klingen, als versinke sie in Selbstmitleid.
Natürlich weiß sie, wie das mit der Statistik ist. Heutzutage steht in der Zeitung so viel über Statistiken, dass kaum noch Platz für Kreuzworträtsel ist.
»Liebe Frau Wieslan …«, versucht die junge Frau auf sie einzureden.
»Sie sind sehr schlecht zu verstehen!«, sagt Britt-Marie fürsorglich, und dann legt sie auf.
Nun steht sie ganz allein da und beißt sich in die Wange. Ganz fest.
Etwas donnert auch auf der anderen Seite des Jugendzentrums. Es ist wie gesagt noch nicht außer Betrieb, aber es steht auf der Liste der Dinge, die geschlossen werden sollen, hat Britt-Marie gestern von der jungen Frau im Arbeitsamt erfahren. Bei der Sitzung des Gemeinderats im Dezember ist man dazu einfach nicht mehr gekommen, weil es so viele andere Dinge gab, die vorher stillgelegt werden mussten, dass die Gemeinderäte mit dem Punkt »Jugendzentrumsschließung« riskiert hätten, ihre jährliche Weihnachtsfeier verschieben zu müssen. Und da man die Weihnachtsfeier für unaufschiebbar hielt, verschob man stattdessen die Jugendzentrumsschließung auf die nächste Sitzung, die wiederum auf Ende Januar verschoben wurde, da einige der Mitglieder vorher noch Urlaub machten. Selbstverständlich hätte der in der Gemeinde für die Kommunikation Zuständige dies an die Personalabteilung weitergeben müssen, doch leider ging auch er in Urlaub und vergaß es, woraufhin dem Arbeitsamt Anfang Januar die Stelle des Jugendzentrum-Hausmeisters als frei gemeldet wurde, weil die Personalabteilung feststellte, dass es hier ein Gebäude ohne Hausmeister gab. So einfach war das und so kompliziert.
Wie auch immer ist die Stelle daher nicht nur ungewöhnlich schlecht bezahlt, sondern auch noch befristet, nämlich bis zum Beschluss der Schließung, der bei der Gemeinderatssitzung in drei Wochen erfolgen wird. Außerdem liegt das Jugendzentrum in Borg, einer Gemeinde, über die das Beste, was man sagen kann, ist, dass sie an einer Straße liegt. Die Anzahl der Bewerber auf diese Stelle war verständlicherweise übersichtlich.
Der Zufall wollte es nun, dass die junge Frau vom Arbeitsamt, die höchst unfreiwillig mit Britt-Marie vorgestern Lachs zu Abend gegessen hat, Britt-Marie versprach, ernsthaft zu versuchen, eine Arbeit für sie zu finden. Am nächsten Morgen um 9 . 02 Uhr klopfte Britt-Marie deshalb an die Bürotür der jungen Frau, um sich darüber zu informieren, wie weit sie damit gediehen sei. Die junge Frau tippte eine Weile auf ihrem Computer herum, seufzte laut und deutlich, wie man es vielleicht täte, wenn einem etwas Pyramidenförmiges in einem Nasenloch stecken geblieben wäre, und sagte: »Eine Stelle habe ich. Aber sie ist in einer Gemeinde mitten im Niemandsland und so schlecht bezahlt, dass Sie vermutlich weniger Geld hätten, als wenn Sie Entgeltersatzleistungen beantragen würden.«
»Ich beantrage keine Entgeltersatzleistung«, antwortete Britt-Marie, und dabei sprach sie »Entgeltersatzleistung« so aus, wie man normalerweise das Wort »Krankheit« aussprechen würde. Die junge Frau seufzte noch einmal und versuchte, ihr etwas von »Umschulungskursen« und »Maßnahmen« zu erzählen, die sie Britt-Marie stattdessen anbieten könne, aber Britt-Marie stellte klar, dass bei ihr wirklich keine Maßnahmen nötig seien.
»Aber liebe Frau Wieslander, das hier ist nur ein Job für drei Wochen, und Sie müssen dorthin umziehen in dieses … Borg«, versuchte die junge Frau ihr zu erklären, während sie auf der Landkarte in ihrem Computer nach Borg suchte.
»So«, antwortete Britt-Marie und rückte ihre Handtasche, die sie auf dem Schoß hielt, zurecht.
Die junge Frau fuhr sich nachdenklich mit den Fingerkuppen über die Stirn und fügte in sehr ernstem Ton hinzu: »Frau Wieslander, ich will jetzt nicht gemein sein, aber in Ihrem Alter würde ich Ihnen so einen Job ganz ehrlich nicht empfehlen.« Daraufhin nickte Britt-Marie, stand auf, strich eine Falte in ihrem Rock glatt und antwortete: »Ich will auch nicht gemein sein, aber mit Ihrer Stirn würde ich Ihnen ehrlich gesagt so eine Frisur nicht empfehlen.«
Da machte die junge Frau ein Gesicht, als würde sie meinen, dass Britt-Marie nun wirklich selbst schuld sei. Also drückte sie auf den »Print«-Knopf, und so kam es, wie es eben kam.
Jetzt ist Britt-Marie in Borg, und ihr Auto ist explodiert. Das ist in der Tat kein optimaler erster Tag in einem neuen Job, nein, wirklich nicht.
Nicht dass Britt-Marie viel kritisiert. Kein bisschen. Britt-Marie ist ja nicht der Mensch, der kritisiert.
Aber sie hat das Gefühl, dass es gut wäre, wenn Kent da wäre, das hat sie schon.
Drei Minuten nach ihrem Gespräch über die Explosion im Auto klingelt das Telefon bei der jungen Frau im Arbeitsamt erneut.
»Wo finde ich hier denn das Putzzeug?«, erkundigt sich Britt-Marie.
»Was?«, fragt die junge Frau.
»Sie haben gesagt, ich solle anrufen, wenn ich Fragen zur Arbeit hätte«, informiert sie Britt-Marie.
Die Stimme der jungen Frau klingt nun, als befände sie sich in einer Dose.
»Sie sind sehr schlecht zu verstehen, Frau Wieslander, haben Sie schlechten Empfang??«
Britt-Marie seufzt äußerst geduldig und wiederholt, so langsam sie kann:
»Sie haben gesagt, ich solle a-n-r-u-f-e-n, wenn ich Fragen zu der A-r-b-e-i-t hätte. Das ist eine Frage, die die Arbeit betrifft: Wo ist das Putzzeug?«
»Was? Keine Ahnung!«, antwortet die Stimme aus der Dose.
Britt-Marie wird jetzt nicht laut. Kein bisschen. Sie artikuliert nur überaus deutlich.
»Jetzt hören Sie mir mal zu, meine Liebe. Ich habe vor, dieses Postamt aufzusuchen, wo ich, wie Sie sagten, den Schlüssel für das Jugendzentrum erhalte, aber ich setze meinen Fuß nicht in das Jugendzentrum, bevor Sie mich darüber aufgeklärt haben, wo ich das Putzzeug finde!«
»Aber das weiß ich doch nicht!«, antwortet die Dosenstimme.
Britt-Marie macht eine verzweifelte Handbewegung, bei der sie beinahe das Handy fallen lässt.
»Ich stehe vor dem besagten Jugendzentrum in dieser Gemeinde, und die Fenster sind schrecklich dreckig. Wirklich ganz schrecklich. Leben die Leute in dieser Gemeinde etwa in ihrem eigenen Dreck?«
»Ich weiß es nicht!«, ruft die junge Frau aus.
»Und wer weiß es dann?«, ruft Britt-Marie.
»Das … also … weiß ich nicht. LIEBE FRAU WIESLANDER, SIE SIND KAUM ZU VERSTEH …«
Britt-Marie will das Gespräch schon beenden, indem sie die Glaubwürdigkeit des Arbeitsamtes in Frage stellt, da dort offenbar keiner etwas über die Stellen weiß, die man vermittelt, aber sie wird durch einen Fußball abgelenkt, der wieder auf den Parkplatz gekullert kommt. Britt-Marie mag ihn nicht. Das ist nicht persönlich gemeint, sie hat nicht beschlossen, genau diesen Fußball nicht zu mögen, vielmehr mag sie gar keinen Fußball. Völlig vorurteilsfrei.
Hinter dem Fußball sind zwei Kinder her. Sie sind äußerst schmutzig, alle drei. Die Kinder haben Jeans an, die am Oberschenkel zerrissen sind. Sie bekommen den Ball, schießen ihn in die entgegengesetzte Richtung und verschwinden wieder hinter dem Jugendzentrum. Eins der Kinder verliert das Gleichgewicht und stützt sich am Haus ab, dabei hinterlässt es einen schwarzen Handabdruck am Fensterrahmen.