Oma lässt grüßen und sagt, es tut ihr leid - Fredrik Backman - E-Book
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Oma lässt grüßen und sagt, es tut ihr leid E-Book

Fredrik Backman

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Beschreibung

An der Seite ihrer Oma erlebt die siebenjährige Elsa die aufregendsten Abenteuer – jeden Abend, wenn sie beide zusammen das Land-Fast-Noch-Wach mit seinen sechs Königreichen betreten. Die wirkliche Welt ist leider nicht ganz so lustig. Zum einen, weil die für ihr Alter sehr aufgeweckte und ein bisschen altkluge Elsa so oft bei ihren Mitmenschen aneckt. Zum anderen, weil sich auf einmal fast alles verändert und Elsa gar nichts mehr versteht. Zum Glück hat Oma vorgesorgt: Mithilfe einer geheimnisvollen Nachricht schickt sie Elsa auch jenseits der Märchenwelt auf die größte Suche ihres Lebens. Und macht ihr damit ein unglaubliches Geschenk ...

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Seitenzahl: 628

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Buch

Elsa ist sieben Jahre alt und etwas anders als andere Siebenjährige. Elsas Großmutter ist siebenundsiebzig Jahre alt und etwas verrückter als andere Großmütter – falls es zum Beispiel verrückt ist, vom Balkon aus mit Paintballgewehren auf Fremde zu feuern. Aber sie ist auch eine fantastische Oma und Elsas beste und einzige Freundin. Nachts flüchtet sich Elsa vor der nicht immer so schönen Wirklichkeit in die Geschichten ihrer Großmutter, in das Land-Fast-Noch-Wach und das Königreich Miamas, wo jeder anders ist und niemand normal sein muss.

Doch auch das schönste Königreich kann Elsa nicht vor der bitteren Realität beschützen: Eines Tages muss ihre Großmutter ins Krankenhaus – und kommt nicht mehr zurück. Alles, was Elsa von ihr bleibt, sind eine Reihe von geheimnisvollen Briefen und der Auftrag, diese zuzustellen. Beginn eines großen Abenteuers, das Elsa an die ungewöhnlichsten Orte und zu den ungewöhnlichsten Menschen und Wesen führen wird. Und das ihr am Ende die ganze zauberhafte Wahrheit über Omas Märchen und Königreiche und eine Großmutter wie keine andere enthüllen wird.

Weitere Informationen zu Fredrik Backman finden Sie am Ende des Buches.

Fredrik Backman

Oma lässt grüßen und sagt, es tut ihr leid

Roman

Aus dem Schwedischen von Stefanie Werner

Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel »Min mormor hälsar och säger förlåt« bei Bokförlaget Forum, Stockholm.

Erstmals auf Deutsch erschienen im Jahr 2015.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Neuausgabe Dezember 2022 

Copyright © der Originalausgabe 2013 by Fredrik Backman

Copyright © dieser Ausgabe 2022 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Published by agreement with Salomonsson Agency

Copyright © der deutschen Übersetzung 2015 by S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 2022 

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München, nach einer Idee von Alan Dingman

Umschlagmotiv: gettyimages/ Education Images (Kontributor), Nick Dolding

Th · Herstellung: ik

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-29948-4V001 

www.goldmann-verlag.de

Für den Affen und den Frosch.

Bis in zehntausend Märchenewigkeiten.

Kapitel 1 Tabak

Alle Siebenjährigen haben Superhelden verdient. So ist das einfach. Und wer anderer Meinung ist, der ist ein bisschen blöd im Kopf.

So drückt es Elsas Oma aus.

Elsa ist sieben Jahre alt, allerdings fast acht. Im Sieben-Jahre-alt-Sein ist sie nicht besonders gut, das weiß sie auch. Sie weiß, dass sie anders ist. Der Rektor in der Schule sagt, dass sie sich »anpassen müsse«, um »mit den Gleichaltrigen besser auszukommen«, und Leute im Alter von Elsas Eltern meinen immer, sie sei »sehr reif für ihr Alter«. Elsa weiß, dass das nur ein anderer Ausdruck ist für »schrecklich vorlaut für ihr Alter«, denn sie sagen es immer, wenn sie sie gerade korrigiert hat, weil sie »Déjà vu« falsch aussprechen oder nicht zwischen »mich« und »mir« unterscheiden können. So wie Schlaumeier es in der Regel nicht können. Dann sagen sie »reif für ihr Alter«, die Schlauköpfe, und lächeln Elsas Eltern dabei angestrengt an. Als wäre es eine Behinderung, als würde Elsa sie damit kränken, dass sie nicht ganz dumm im Kopf ist, obwohl sie erst sieben ist. Das ist auch der Grund, warum sie keine Freunde hat außer Oma. Weil alle anderen Siebenjährigen in ihrer Schule genauso dumm im Kopf sind, wie es Siebenjährige nun mal sind. Aber Elsa ist anders. Oma sagt, das könne ihr egal sein. Denn alle Superhelden seien anders. Und wenn Superkräfte normal wären, dann hätte sie ja jeder.

Oma ist siebenundsiebzig Jahre alt. Allerdings fast achtundsiebzig. Und sie ist darin auch nicht besonders gut. Man sieht ihr an, dass sie alt ist, denn ihr Gesicht sieht aus wie Zeitungspapier in durchnässten Schuhen, aber es kommt nie jemand auf die Idee zu sagen, Oma sei reif für ihr Alter. »Fit« für ihr Alter, das sagen die Leute manchmal zu Elsas Mutter. Und dabei schauen sie in der Regel ziemlich besorgt oder ziemlich wütend drein, und dann seufzt Mama und fragt, wie hoch der Schaden diesmal sei. Zum Beispiel, wenn Oma findet, die Leute seien schließlich selbst schuld, wenn sie sich so verflucht unsolidarisch verhalten und in ihren Autos die Handbremse anziehen, wenn sie Renault rückwärts einparken muss. Oder wenn sie im Krankenhaus raucht und der Feueralarm losgeht und sie schreit: »Das ist doch ein Riesenmist, dass heutzutage alles so politisch korrekt sein muss!«, und dann das Sicherheitspersonal kommt und sie zwingt, ihre Zigarette auszudrücken. Oder wie damals, als sie den Schneemann gebaut, ihm echte Kleider angezogen und ihn auf dem Hof so unter den Balkon ihrer Nachbarn Britt-Marie und Kent gelegt hat, dass es aussah, als sei jemand vom Dach gestürzt. Oder als einmal diese ganz ordentlich gekleideten Männer mit Brille auf der Nase durchs ganze Wohngebiet liefen, an allen Türen klingelten und von Gott und Jesus und vom Himmel erzählen wollten und Oma mit offenem Morgenmantel auf ihrem Balkon stand und sie mit einem Paintballgewehr beschoss. Britt-Marie konnte sich nicht richtig entscheiden, ob sie sich mehr über die Sache mit dem Paintballgewehr aufregen sollte oder darüber, dass Oma nichts unter ihrem Morgenmantel trug, doch vorsichtshalber erstattete sie wegen beidem Anzeige.

Dann finden die Leute, dass Oma für ihr Alter ziemlich »fit« ist. Könnte man sagen.

Jetzt sagen sie, dass sie verrückt sei. Aber eigentlich ist sie ein Genie. Sie ist nur gleichzeitig ein bisschen durchgeknallt. Früher war sie Ärztin, sie bekam Preise, Journalisten schrieben Artikel über sie, und sie reiste an die schlimmsten Orte auf der ganzen Welt, von denen alle anderen nur zu fliehen versuchten. Überall auf der Welt rettete sie Leben und kämpfte gegen das Böse. Wie Superhelden das eben tun. Aber am Ende sagte ihr jemand, sie sei zu alt, um Leben zu retten, auch wenn Elsa eher den Verdacht hat, dass dieser Jemand eher »zu verrückt« gemeint hat. Und jetzt ist sie keine Ärztin mehr. Oma nennt diesen Jemand »die Gesellschaft« und sagt, es liege nur daran, dass heutzutage alles so verflucht politisch korrekt sein müsse und sie nun nicht mehr an den Leuten herumschnippeln solle. Und dass es vor allem darum gehe, dass die Gesellschaft so schrecklich pingelig mit dem Rauchverbot in den Operationssälen geworden sei, und wer könne unter solchen Bedingungen schon arbeiten? Wer?

Jetzt ist sie also meistens zu Hause und treibt Britt-Marie und Mama in den Wahnsinn. Britt-Marie ist Omas Nachbarin, Mama ist Elsas Mutter. Und eigentlich ist Britt-Marie auch die Nachbarin von Elsas Mutter, weil Elsas Mutter neben Elsas Oma wohnt. Und Elsa wohnt also auch neben ihrer Oma, weil Elsa bei ihrer Mama wohnt. Außer jedes zweite Wochenende, da wohnt sie bei ihrem Papa und Lisette. Und George wohnt natürlich auch neben Oma. Denn er wohnt mit Mama zusammen. Es ist ein bisschen kompliziert.

Aber wie auch immer, bleiben wir beim Thema: Leben retten und die Leute in den Wahnsinn treiben sind Omas Superkräfte. Was sie zu einem ziemlich dysfunktionalen Superhelden macht, kann man sagen. Elsa kennt das Wort, sie hat es auf Wikipedia nachgesehen. »Wikipedia« beschreiben Leute in Omas Alter als »Lexikon, aber im Internet!«, wenn sie es erklären sollen. »Lexikon« beschreibt Elsa als »Wikipedia, aber als Buch«, wenn sie es erklären soll. Und Elsa hat »dysfunktional« in beidem nachgeschaut, und das Wort bedeutet, dass etwas funktioniert, aber nicht genau so, wie es gedacht war. Das gehört zu den Dingen, die Elsa an Oma am liebsten mag.

Außer vielleicht natürlich gerade heute. Denn jetzt ist es zwei Uhr nachts, und Elsa ist hundemüde und möchte eigentlich nichts lieber als ins Bett, aber das geht nicht, weil Oma jetzt wieder einen Polizisten mit Kacke beworfen hat.

Es ist kompliziert, kann man sagen. Wie beim Facebook-Status.

Elsa schaut sich in dem kleinen Raum um und gähnt so erschöpft, dass es aussieht, als wolle sie ihren eigenen Kopf rückwärts verschlucken.

»Ich hab dir doch gesagt, dass du nicht über den Zaun klettern sollst«, brummt sie und schaut auf die Uhr.

Oma gibt keine Antwort. Elsa bindet ihren Gryffindor-Schal vom Hals und legt ihn auf ihren Schoß. Sie ist vor sieben, bald acht Jahren am zweiten Weihnachtstag geboren. Am selben Tag, an dem ein paar Forscher in Deutschland den Ausbruch von Gammastrahlung eines Magnetars über der Erde registrierten, den stärksten aller Zeiten. Elsa weiß natürlich nicht genau, was ein »Magnetar« ist, aber es ist eine Art Neutronenstern. Und es klingt ein bisschen wie »Megatron«, so heißt der Böse bei den Transformers, was Leute, die nicht genug gute Literatur lesen, in ihrer Dummheit als »was für Kinder« abtun. Eigentlich sind die Transformers Roboter, doch wenn man sie rein akademisch betrachtet, kann man sie eventuell zu den Superhelden zählen. Elsa ist sowohl von den Transformers als auch von Neutronensternen ganz begeistert, und sie stellt sich vor, dass ein »Ausbruch von Gammastrahlung« etwa so aussehen muss wie ihr iPhone, als Oma Fanta darüber verschüttet und dann versucht hat, es im Toaster zu trocknen. Und Oma sagt, dass Elsa an so einem Tag geboren sei, mache sie zu etwas ganz Besonderem.

Besonders zu sein ist die beste Art, anders zu sein.

Aber im Moment ist Oma damit beschäftigt, kleine Häufchen Tabak auf dem Holztisch vor sich aufzuschütten und in ausgefranste Blättchen zu rollen.

Elsa stöhnt.

»Ich habe gesagt: ›Ich habe dir gesagt, dass du nicht über den Zaun klettern sollst!‹ Wirklich!«, betont sie noch einmal.

Sie will eigentlich gar nicht unfreundlich sein. Sie ist nur ein bisschen verärgert. So verärgert, wie es nur müde Siebenjährige auf Polizeirevieren und Männer in den Vierzigern sind, wenn sie auf Flugzeuge warten, die Verspätung haben, und keiner ihnen genaue Informationen gibt.

Oma schnaubt und sucht in den Taschen ihres viel zu großen Mantels nach einem Feuerzeug. Sie scheint das alles hier nicht sehr ernst zu nehmen, wahrscheinlich, weil sie nie etwas sehr ernst nimmt. Außer wenn sie rauchen will und kein Feuerzeug finden kann, das nimmt sie sehr ernst. Rauchen ist für Oma eine ernste Angelegenheit.

»Das war ein minikleiner Zaun, wirklich kein Grund, sich darüber aufzuregen, mein Gott«, sagt sie ganz gelassen.

»Sag nicht ›mein Gott‹ zu mir! Du warst diejenige, die den Polizisten mit Kacke beworfen hat!«, stellt Elsa klar.

Oma verdreht die Augen.

»Hör auf, dich daran hochzuziehen. Du klingst wie deine Mama. Hast du ein Feuerzeug?«

»Ich bin sieben!«, antwortet Elsa.

»Wie lange willst du das noch als Entschuldigung vorbringen?«

»Bis ich nicht mehr sieben bin!«

Oma stöhnt auf und murmelt etwas wie »Ja, ja, ja, man wird doch wohl noch fragen dürfen« und kramt weiter in ihren Manteltaschen.

»Also, ich glaube nicht, dass du hier drin rauchen darfst«, meint Elsa nun ein bisschen ruhiger und fährt mit den Fingerspitzen über ihren Gryffindor-Schal.

Oma schnaubt.

»Natürlich darf man hier rauchen. Wir machen einfach ein Fenster auf.«

Elsa sieht skeptisch zum Fenster hinüber.

»Ich glaube, das sind Fenster, die man nicht aufmachen kann.«

»Unsinn, warum das denn?«

»Sie haben Gitterstäbe vor den Scheiben.«

Unzufrieden starrt Oma auf die Fenster. Dann auf Elsa.

»Dann darf man jetzt auch auf dem Polizeirevier nicht mehr rauchen, so eine verfluchte Bevormundungsgesellschaft, ist doch wahr!«

Elsa gähnt noch einmal.

»Darf ich mal dein Handy haben?«

»Was hast du vor?«, will Oma wissen.

»Surfen«, antwortet Elsa.

»Was genau surfen?«

»Verschiedenes.«

»Du gibst zu viel Zeit auf diese Internetspielereien.«

»Das heißt ›verbringst mit‹.«

»Ja, ja, ja.«

Elsa schüttelt den Kopf.

»Man kann Geld geben oder ausgeben, aber nicht Zeit. Du läufst ja auch nicht rum und sagst: ›Ich habe zweihundert Kronen für meine neue Hose verbracht.‹ Oder tust du das etwa?«

»Hast du schon mal von der Person gehört, die sich totgedacht hat?«, schnaubt Oma.

»Hast du schon mal von der gehört, die das NICHT getan hat?«, schnaubt Elsa.

Der Polizist, der nun den Raum betritt, sieht sehr, sehr, sehr müde aus. Er setzt sich ans andere Tischende und schaut Elsa und ihre Großmutter an, sein Blick voller Resignation.

»Ich will meinen Anwalt anrufen«, fordert Oma sofort.

»Ich will meine Mama anrufen!«, fordert Elsa direkt danach.

»Dann will ich meinen Anwalt vorher anrufen!«, insistiert Oma.

Der Polizist hat einen kleinen Stapel Unterlagen dabei. »Deine Mutter ist schon auf dem Weg«, seufzt er und sieht Elsa an.

Oma stöhnt so dramatisch auf, wie es wirklich nur Oma kann.

»Warum haben Sie d-i-e angerufen? Sind Sie nicht bei Sinnen? Die wird doch megasauer sein!«, protestiert sie etwa so, als hätte der Polizist ihr soeben mitgeteilt, dass er vorhabe, Elsa im Wald auszusetzen und von den Wölfen großziehen zu lassen.

»Wir müssen den Erziehungsberechtigten des Kindes verständigen«, erklärt der Polizist ruhig und sachlich.

»Ich bin auch erziehungsberechtigt! Ich bin die Großmutter des Kindes!«, bringt Oma lauthals hervor, springt halb von ihrem Stuhl auf und wedelt mit ihrer nicht angezündeten Zigarette.

»Es ist halb zwei in der Nacht. Jemand muss sich um das Kind kümmern«, sagt der Polizist unbeteiligt und zeigt auf seine Uhr, bevor er ärgerlich auf die Zigarette schaut.

»Ja! Ich! I-c-h kümmere mich um das Kind!«, schimpft Oma.

Der Polizist weist angestrengt freundlich auf den Vernehmungsraum.

»Und was würden Sie sagen, wie das bisher funktioniert hat?«

Oma schaut ein wenig beleidigt. Aber dann nimmt sie wieder Platz und räuspert sich.

»Wenn … also … nein. Okay. Wenn man sich über DETAILS aufregen will, dann geht es vielleicht nicht so supergut. Das vielleicht nicht. Aber alles war Friede, Freude, Eierkuchen, bevor Sie angefangen haben, mich zu verfolgen«, hält sie säuerlich dagegen.

»Sie sind in einen Tierpark eingebrochen«, erklärt der Polizist.

»Es war ein minikleiner Zaun«, betont Oma noch einmal.

»Es gibt keine minikleinen Einbrüche«, sagt der Polizist.

Oma zuckt mit den Schultern und bürstet mit der Hand über den Tisch, als sei sie der Meinung, dass sie diese Sache nun lange genug durchgekaut hätten.

»Äh. Hören Sie mal! Man darf hier drinnen doch wohl rauchen?«

Der Polizist schüttelt mit ernstem Gesicht den Kopf. Oma beugt sich vor, sieht ihm tief in die Augen und lächelt.

»Nicht mal so ein armes Ding wie ich?«

Elsa knufft Oma in die Seite und wechselt in ihre Geheimsprache. Denn Oma und Elsa haben eine Geheimsprache, die alle Großmütter und ihre Enkelkinder haben müssen, denn das steht im Gesetz, sagt Oma. Oder zumindest müsste es so sein.

»Mensch! Hör auf, Oma! Es ist total gegen das Gesetz, Polizisten anzumachen!«, sagt Elsa in ihrer Geheimsprache.

»Wer sagt das?«, fragt Oma in der Geheimsprache zurück.

»Die Polizei!«, antwortet Elsa.

»Die Polizei soll für die Bürger da sein! Schließlich bezahle ich Steuern!«, zischt Oma.

Der Polizist starrt die beiden an, wie man es tut, wenn sich eine Siebenjährige und eine Siebenundsiebzigjährige mitten in der Nacht auf einem Polizeirevier in einer Geheimsprache streiten. Dann zwinkert Oma ihn verführerisch an und zeigt erneut bittend auf ihre Zigarette, doch als er den Kopf schüttelt, lehnt sich Oma erbost in ihrem Stuhl zurück und brüllt in der ganz normalen Sprache:

»Diese politische Korrektheit! Das ist heutzutage ja schlimmer als die Apartheid gegen uns Raucher in diesem verfluchten Land!«

Der Gesichtsausdruck des Polizisten wird eine beträchtliche Spur düsterer.

»Ich an Ihrer Stelle wäre vorsichtig mit solchen Ausdrücken.«

Oma verdreht die Augen.

Elsa blinzelt ihr zu.

»Wie schreibt man das?«

»Was denn?«, seufzt Oma, so wie man seufzt, wenn wirklich die ganze Welt gegen einen ist, obwohl man seine Steuern bezahlt.

»Diese Sache mit der Apartei«, sagt Elsa.

»A.p.p.a.r.t.h.e.i.t«, buchstabiert Oma.

So schreibt man es natürlich gar nicht. Elsa merkt das recht bald, nachdem sie sich über den Tisch gereckt, Omas Handy geschnappt und das Wort gegoogelt hat. Oma hat eine Rechtschreibung wie der letzte Mensch. Der Polizist blättert in seinen Unterlagen.

»Wir werden Sie jetzt nach Hause entlassen, aber Sie werden wieder vorgeladen wegen Einbruchs und Verkehrsdelikten«, sagt er unterkühlt zu Oma.

»Wie kann man nur Android haben«, stöhnt Elsa und tippt frustriert auf Omas Handy herum.

Es ist ein Android-Handy, weil es das alte Telefon von Elsas Mutter ist, und die hat nur Android, obwohl Elsa ihr unaufhörlich versucht klarzumachen, dass alle Menschen mit Hirn ein iPhone haben. Und Oma will natürlich eigentlich gar kein Smartphone haben, aber Elsa hat ihr das alte von Mama aufgezwungen, weil Oma Elsas Handys im Zusammenhang mit verschiedenen Vorfällen, an denen Toaster beteiligt sind, routinemäßig schrottet. Und dann muss Elsa Omas Handy leihen können. Selbst wenn es ein Android ist.

»Welche Verkehrsdelikte?«, ruft Oma erstaunt aus.

»Als Erstes mal unerlaubtes Fahren«, antwortet der Polizist.

»Wieso unerlaubt? Es ist doch mein Wagen! Ich brauche doch in Gottes Namen keine Erlaubnis, um mein eigenes Auto zu fahren!«

Der Polizist schüttelt geduldig den Kopf.

»Nein. Aber Sie brauchen einen Führerschein.«

Oma schlägt mit den Armen in die Luft.

»Diese Bevormundungsgesellschaft!«

Im nächsten Augenblick donnert der ganze Raum, als Elsa das Android-Handy auf den Tisch knallt.

»Was ist denn jetzt mit dir los?«, wundert sich Oma.

»Das ist GAR NICHT wie diese Apartheid!!! Du hast das damit verglichen, dass du nicht rauchen darfst, und das ist überhaupt nicht dieselbe Sache. Das hat nicht mal ENTFERNT damit zu tun!«

Oma winkt einlenkend mit der Hand.

»Ich habe gesagt, dass es … du weißt schon, ungefähr wie …«

»Es ist NICHT ungefähr so!«, schreit Elsa.

»Mein Gott, es war ein Vergleich …«

»Ja, ein völlig kraaanker Vergleich!«

»Woher weißt du das?«

»WIKIPEDIA!«, schreit Elsa und zeigt auf Omas Handy.

Oma wendet sich dem Polizisten zu und gibt sich geschlagen.

»Sind Ihre Kinder auch so?«

Der Polizist sieht ratlos aus.

»In unserer Familie … lassen wir die Kinder nicht allein im Netz surfen …«

Oma wedelt sofort mit den Händen in Richtung Elsa, um mit dieser Bewegung zu sagen, ›Da hast du’s!‹.

Elsa schüttelt nur den Kopf und verschränkt die Arme.

»Jetzt entschuldige dich doch einfach dafür, dass du den Polizisten mit Kacke beworfen hast, damit wir endlich nach Hause können, Oma!«, schimpft sie in ihrer Geheimsprache, noch immer völlig aufgebracht über die Sache mit der Apartheid.

»Entschuldigung«, antwortet Oma in der Geheimsprache.

»Beim Polizisten, nicht bei mir, du Dussel!«

»Hier werden keine Faschisten um Entschuldigung gebeten. Ich bezahle meine Steuern. Und der Dussel bist DU!«, jammert Oma.

»Nein, du!«, legt Elsa nach.

Dann sitzen sie beide abgewandt voneinander da, mit demonstrativ verschränkten Armen, bis Oma dem Polizisten zunickt und in der normalen Sprache sagt:

»Würden Sie meiner verwöhnten Enkelin freundlicherweise mitteilen, dass sie zu Fuß nach Hause laufen kann, wenn sie diese Einstellung vertritt?«

»Phh! Sagen Sie IHR, dass ich mit Mama heimfahre und dass SIE laufen kann!«, kontert Elsa sofort.

»Sagen Sie i-h-r, dass sie …«, fängt Oma an.

Und da steht der Polizist wortlos auf, verlässt den Raum und schließt die Tür hinter sich – ein wenig so, als hätte er vor, in ein anderes Zimmer zu gehen, das Gesicht in einem großen, weichen Kissen zu vergraben und so laut zu schreien, wie er kann.

»Jetzt schau, was du angerichtet hast!«, sagt Oma.

»Schau, was DU angerichtet hast!«, brüllt Elsa zurück.

Bald darauf betritt eine Polizistin mit muskulösen Armen und grünen Augen das Zimmer. Sie scheint Oma nicht zum ersten Mal hier zu sehen, denn sie lächelt so müde, wie Leute es tun, die Oma kennen. Sie seufzt tief und sagt:

»Sie müssen das sein lassen, wir haben hier richtige Kriminelle, um die wir uns kümmern müssen.«

Und da murmelt Oma: »Sie können das sein lassen.«

Und dann dürfen sie nach Hause.

Als sie auf dem Bürgersteig stehen und auf Elsas Mama warten, tastet Elsa gedankenverloren an dem Riss in ihrem Schal. Er geht quer durch das Gryffindor-Emblem. Elsa versucht, das Weinen zu unterdrücken. Das klappt nicht so supergut.

»Ach, deine Mama kann das nähen«, sagt Oma aufmunternd und boxt ihr gegen die Schulter.

Elsa schaut mit besorgtem Gesichtsausdruck auf. Oma nickt ein bisschen beschämt, wird ernster und senkt die Stimme.

»Ach, wir können … du weißt schon. Wir können deiner Mama sagen, er ist kaputtgegangen, als du versucht hast, mich davon abzuhalten, über den Zaun vom Affengehege zu klettern.«

Elsa nickt und fährt mit den Fingern erneut über ihren Schal. Er ist nicht kaputtgegangen, als Oma über den Zaun vom Affengehege geklettert ist. Es ist in der Schule passiert, als drei von den älteren Mädchen, die einen Hass auf Elsa haben, ohne dass Elsa eigentlich weiß, warum, sie vor der Mensa erwischt haben, sie geschlagen, ihren Schal zerrissen und ihn dann in eine Toilette geschmissen haben. Ihr fieses Lachen springt noch immer in Elsas Kopf hin und her wie Flipperkugeln.

Oma sieht Elsas Gesichtsausdruck, beugt sich vertrauensvoll zu ihr und flüstert ihr in der Geheimsprache zu:

»Eines schönen Tages werden wir diese verfluchten Blödmänner aus deiner Schule nach Miamas mitnehmen und sie den Löwen zum Fraß vorwerfen!«

Elsa wischt sich mit dem Handrücken die Augen trocken und lächelt zaghaft.

»Ich bin nicht blöd, Oma. Ich weiß, dass du all das heute Nacht nur gemacht hast, damit ich die Sache in der Schule vergesse«, flüstert sie.

Oma tritt ein bisschen in den Kies und räuspert sich.

»Na ja … du weißt doch. Du bist mein einziges Enkelkind. Ich wollte einfach nicht, dass du dich an diesen Tag erinnerst wegen der Sache mit dem Schal. Dann habe ich mir überlegt, besser erinnerst du dich an ihn als den Tag, an dem deine Oma in den Zoo eingebrochen ist …«

»Und aus dem Krankenhaus abgehauen«, grinst Elsa.

»Und aus dem Krankenhaus abgehauen«, grinst Oma.

»Und einen Polizisten mit Kacke beworfen hat«, ergänzt Elsa.

»Aber das war doch nur Erde! Oder zumindest größtenteils Erde!«, verteidigt sich Oma.

»Erinnerungen zu verändern ist eine prima Superkraft«, räumt Elsa ein.

Oma zuckt mit den Schultern.

»Wenn man dat Schlechte nich wechkricht, dann muss man viel Jutes drüberkippen.«

»Das ist Dialekt.«

»Ich weiß.«

»Danke, Oma«, sagt Elsa und lehnt den Kopf an ihren Arm.

Und da nickt Oma nur und flüstert: »Wir Ritter des Königreiches Miamas tun nur unsere Pflicht.«

Denn alle Siebenjährigen verdienen Superhelden.

Und wer anderer Meinung ist, der ist ein bisschen blöd im Kopf.

Kapitel 2 Affe

Mama hat sie vom Polizeirevier abgeholt. Es war ihr anzusehen, dass sie richtig wütend war, doch sie behielt die Kontrolle und beherrschte sich und schrie nicht herum. Denn Mama behält immer die Kontrolle und beherrscht sich und schreit im Großen und Ganzen nie, denn sie ist das ganze Gegenteil von Oma. Kaum hatte Elsa sich angeschnallt, da schlief sie auch schon fast, und als sie auf die Autobahn fuhren, war sie schon in Miamas.

Miamas ist Elsas und Omas geheimes Königreich. Es ist eins der sechs Königreiche im Land-Fast-Noch-Wach. Oma hat es sich ausgedacht, als Elsa noch klein war und Mama und Papa sich gerade getrennt hatten und Elsa Angst vor dem Einschlafen hatte, weil sie im Internet gelesen hatte, dass es Kinder gab, die im Schlaf starben. Oma ist unheimlich gut darin, sich Dinge auszudenken. Als Papa aus der Wohnung auszog und alle immerzu traurig und mit den Kräften am Ende waren, schlich Elsa jede Nacht zur Wohnungstür hinaus und schlurfte im Schlafanzug ganz leise durchs Treppenhaus hinüber in Omas Wohnung, und dann krochen Oma und sie in den großen Kleiderschrank, der nie aufhörte zu wachsen, und dann schlossen sie ihre Augen bis auf einen winzigen Spalt und begaben sich fort.

Denn man muss gar nicht schlafen, um ins Land-Fast-Noch-Wach zu kommen. Das ist nämlich gerade der Witz. Es reicht, wenn man kurz vor dem Einnicken ist. Und genau in diesen letzten Sekunden, in denen du die Augen bis auf einen winzigen Spalt geschlossen hast, in dem Moment, wenn der Schleier die Grenze zwischen dem, was du weißt, und dem, was du glaubst, verwischt, genau dann begibst du dich auf den Weg. Du reitest auf dem Rücken der Wolkentiere in das Land-Fast-Noch-Wach, denn Oma hat sich ausgedacht, dass das die einzige Möglichkeit ist, dorthin zu kommen. Die Wolkentiere kommen durch die Balkontür in Omas Wohnung und nehmen sie und Elsa mit, und dann fliegen sie höher und höher und höher, bis Elsa all die zauberhaften, verrückten Wesen sieht, die dieses Land bevölkern: die Enfanten und die Bereuer, die Jetzter und Worse und Schneeengel und Prinzen und Prinzessinnen und Ritter. Die Wolkentiere schweben über den unendlichen, dunklen Wäldern, wo Wolfsherz und all die Monster wohnen, und gleiten hinab über die bunten Farben und sanften Winde, die die Stadttore des Königreichs Miamas umgeben.

Es ist schwer zu sagen, ob Oma eine etwas verrückte Person ist, weil sie zu viel in Miamas gewesen ist, oder ob Miamas ein etwas verrückter Ort ist, weil Oma sich zu oft dort aufgehalten hat. Doch von da stammen all ihre Märchen. Die erstaunlichsten und verrücktesten Märchen.

Oma sagt, dass das Königreich seit mindestens zehntausend Märchenewigkeiten Miamas heißt, aber Elsa weiß, dass Oma sich den Namen nur ausgedacht hat, weil Elsa, als sie klein war, das Wort »Pyjama« noch nicht aussprechen konnte und deswegen »Mjamas« sagte. Obwohl Oma natürlich darauf besteht, dass sie sich keinen Mist ausgedacht hat und dass Miamas und all die anderen fünf Königreiche im Land-Fast-Noch-Wach in allerhöchstem Grad wahrhaftig existieren, dass sie sogar viel echter sind als diese richtige Welt, »wo jeder Betriebswirt ist und laktosefreie Milch trinkt und sich aufspielt«. Oma ist nicht gerade gut darin, in der richtigen Welt zu leben. Hier gibt es viel zu viele Regeln, und das mit den Regeln kann Oma eben nicht besonders gut. Sie schummelt bei Monopoly, fährt mit Renault auf der Busspur, nimmt die gelben Tragetaschen von Ikea mit nach Hause und bleibt am Gepäckband auf dem Flughafen nie hinter der Linie stehen. Und wenn sie auf die Toilette geht, lässt sie die Tür offen. Das ist bei ihr schon so was wie eine Charakterschwäche.

Aber sie kann die allerallerbesten Geschichten erzählen, und dann kann man doch viele Charakterschwächen verzeihen, hat Elsa beschlossen.

Alle Märchen, die etwas taugen, kommen aus Miamas, sagt Oma. In den anderen fünf Königreichen im Land-Fast-Noch-Wach passieren andere Dinge: »Mirevas« ist das Reich, in dem man die Träume bewacht, »Miploris« das Reich, wo alle Trauer gehütet wird, aus »Mimovas« kommt alle Musik, aus »Miaudacas« der Mut, und aus dem Reich »Mibatalos« stammen die tapfersten Soldaten, die gegen die schrecklichen Schatten im Krieg-Ohne-Ende gekämpft haben.

Aber Miamas ist Omas und Elsas Lieblingskönigreich, denn dort ist der Beruf des Märchenerzählers der angesehenste, den es gibt. Dort kann jemand, der es vermag, einer Erzählung Leben einzuhauchen, mächtiger als ein König werden. In Miamas heißt die Währung Phantasie. Statt gegen Münzen etwas zu kaufen, kann man Dinge für eine gute Geschichte bekommen, und eine Bibliothek heißt dort nicht Bibliothek, sondern »Bank«. In Miamas ist jedes Buch ein Vermögen wert, jedes Märchen eine Million. Und jeden Abend hat Oma eine ganze Schatzkiste voller Geschichten aus Miamas dabei. Von Drachen und Trollen und Königen und Königinnen und Hexen. Und von Schatten. Denn in allen Märchenwelten muss es garstige Feinde geben, und die Feinde des Landes-Fast-Noch-Wach sind die Schatten, denn die Schatten wollen die Phantasie töten.

Und wenn man Märchen von den Schatten erzählt, dann muss man auch von Wolfsherz erzählen. Denn er ist derjenige, der die Schatten im Krieg-Ohne-Ende besiegt hat. Und er ist der erste und größte Superheld, von dem Elsa je gehört hat.

Oma nimmt Elsa jede Nacht mit nach Miamas. Dort ist Elsa zum Ritter geschlagen worden. Dort darf sie auf Wolkentieren reiten und ein eigenes Schwert tragen, und danach hatte sie nie mehr Angst vor dem Schlafengehen. Denn in Miamas sagt niemand, dass Mädchen keine Ritter sein dürfen, und dort reichen die Berge bis in den Himmel, und die Lagerfeuer gehen niemals aus, und kein verfluchter Blödmann versucht, deinen Gryffindor-Schal zu zerreißen.

Oma behauptet natürlich, dass auch in Miamas keiner die Tür schließt, wenn er auf die Toilette geht. Im Land-Fast-Noch-Wach sei eine Open-door-policy schließlich Gesetz, und zwar in jeder Hinsicht. Aber Elsa ist sich sicher, dass sie in diesem Fall eine andere Version der Wahrheit erzählt. So nennt Oma nämlich Lügen. »Andere Versionen der Wahrheit.«

Als Elsa also am nächsten Morgen auf einem Stuhl in Omas Krankenzimmer aufwacht, sitzt Oma auf der Toilette und hat die Tür offen, und draußen im Flur steht Elsas Mutter, und Oma ist gerade dabei, so eine andere Version der Wahrheit zu erzählen. Das klappt nicht so supergut. Denn die richtige Wahrheit ist schließlich, dass Oma in der Nacht aus dem Krankenhaus ausgebüxt ist und dass Elsa aus der Wohnung geschlichen ist, während Mama und George geschlafen haben, und dass sie zusammen in Renault zum Zoo gefahren sind, und dort ist Oma über den Zaun geklettert. Und so im Nachhinein erscheint das ja eventuell schon ein bisschen verantwortungslos, die ganze Aktion mit einer Siebenjährigen mitten in der Nacht. Diese Erkenntnis kann Elsa nachvollziehen.

Oma, deren Kleider jetzt auf einem Haufen auf dem Boden liegen und noch immer im wahrsten Sinne des Wortes affenartig stinken, verteidigt sich natürlich damit, dass sie, als sie über den Zaun zum Affengehege geklettert ist und dieser Wachmann ihr hinterhergebrüllt hat, gedacht habe, er könnte beispielsweise ein lebensgefährlicher Vergewaltiger sein, und deshalb habe sie ihn und den Polizisten mit Erde beworfen. Und dann schüttelt Mama kontrolliert, aber erschöpft den Kopf und sagt, dass Oma sich das alles wieder einmal nur ausdenkt.

Oma mag es gar nicht, wenn die Leute meinen, was sie sagt, sei frei erfunden, sie bevorzugt den weniger abwertenden Begriff »wirklichkeitserweitert«, so sagt sie es Mama. Mama wirkt nicht gerade so, als würde sie das auch so sehen. Aber sie beherrscht sich. Weil sie eben all das ist, was Oma nicht ist.

»Das gehört zu den schlimmsten Dingen, die du je angestellt hast«, sagt Mama verkniffen zur Toilette hinüber.

»Das kann ich mir nur ganz, ganz schwer vorstellen, meine liebe Tochter«, antwortet Oma heiter von drinnen.

Und dann zählt Mama ganz sachlich all die Dinge auf, die Oma angestellt hat, und da sagt Oma, dass Mama doch nur sauer sei, weil sie selbst keinen Humor habe. Und da sagt Mama, dass Oma aufhören solle, sich wie ein ungezogenes Kind zu benehmen. Und dann fragt Oma: »Weißt du, wo die Piraten ihre Autos parken?« Und als Mama keine Antwort gibt, ruft Oma »in einer GarARRRge!« aus der Toilette. Und als Mama daraufhin seufzt und anfängt, ihre Schläfen zu massieren, schnaubt Oma und stellt fest: »Habe ich doch gesagt, null Humor.« Und dann macht Mama die Tür zur Toilette einfach zu, und dann wird Oma superduper sauer. Weil sie es nicht mag, eingesperrt zu sein, wenn sie auf der Toilette hockt.

Seit zwei Wochen ist sie jetzt im Krankenhaus, doch fast jeden Tag stiehlt sie sich davon, holt Elsa ab und fährt mit ihr Eis essen oder nach Hause, wenn Mama nicht da ist, und macht mit ihr Seifenbahnrutschen im Treppenhaus. Oder bricht in Zoos ein. Was Oma eben gerade in den Sinn kommt.

Obwohl Oma natürlich nicht der Meinung ist, dass sie aus dem Krankenhaus »flüchtet«, weil sie findet, man müsse ein Hindernis überwinden, wenn etwas als Flucht gelten soll. Wie einen Drachen oder eine Menge Fallen oder wenigstens eine Mauer oder einen angsteinflößenden Wallgraben oder einfach irgendwas. Mama und das Krankenhauspersonal teilen diese Meinung nicht gerade, könnte man sagen.

Dann betritt eine Krankenschwester das Zimmer und bittet Mama diskret um ihre Aufmerksamkeit. Sie überreicht Mama ein Papier, Mama schreibt etwas darauf und gibt es der Krankenschwester zurück, die daraufhin wieder geht. Seit Oma eingewiesen worden ist, hat sie schon neun verschiedene Krankenschwestern und -pfleger gehabt. Mit sieben von ihnen wollte sie nicht zusammenarbeiten, und zwei haben sich geweigert, mit Oma zusammenzuarbeiten. Einer von ihnen, weil Oma gesagt hat, er habe einen »knackigen Hintern«. Oma bestand darauf, dass das nur ein Kompliment an seinen Hintern gewesen sei und nicht an ihn, und er solle nicht so zimperlich sein. Und dann hat Mama Elsa angewiesen, ihre Ohrstöpsel in die Ohren zu stecken, aber Elsa konnte trotzdem hören, dass sie eine ganze Weile über den Unterschied zwischen »sexueller Belästigung« und einem »ganz normalen Hinternkompliment, verdammt nochmal!« stritten.

Sie streiten ziemlich viel, Mama und Oma. Sie streiten, seit Elsa denken kann. Über alles. Denn wenn Oma ein dysfunktionaler Superheld ist, dann ist Mama im Gegensatz dazu ein funktionaler Superheld. Ihr Verhältnis ist ein bisschen wie das von Cyclops und Wolverine in »X-Men«, denkt Elsa manchmal, und dann vermisst sie immer jemanden, der versteht, was sie damit meint. Die Leute in Elsas Umgebung lesen wirklich viel zu wenig gute Literatur. »Gute Literatur« ist das, was ungebildete Blödmänner als »Comics« bezeichnen, und Elsa vermutet, dass sie das jemandem, der in guter Literatur nicht so bewandert ist, ziemlich vereinfacht so erklären müsste, dass X-Men Superhelden sind. Obwohl sie ja eigentlich Mutanten sind, und das macht akademisch betrachtet schon einen gewissen Unterschied, doch wenn man sich jetzt nicht damit aufhalten und das Ganze auf Oberstufenniveau verkomplizieren will, würde Elsa es so zusammenfassen, dass Mama und Oma über genau entgegengesetzte Superkräfte verfügen. Als ob Spider-Man, der einer von Elsas Lieblingshelden ist, einen Gegenspieler hätte, nennen wir ihn Stolper-Man, dessen Superkraft es ist, dass er nicht einmal auf eine Bank klettern kann. Aber dies unglaublich gut.

Nun haben Cyclops und Wolverine sicherlich nicht per definitionem genau entgegengesetzte Superkräfte, aber wenn Elsa das jemandem erklären müsste, der davon gar nichts versteht, dann sollte sie es wahrscheinlich nicht umständlicher als nötig machen.

Und wenn sie jetzt so nachdenkt, reicht es vielleicht, wenn man versteht, dass Mama die Ordnung und Oma das Chaos ist. Elsa hat mal gelesen, dass »das Chaos der Nachbar von Gott« sei, aber da hat Mama gesagt, wenn das Chaos zu Gott ins Haus gezogen sei, dann einzig aus dem Grund, dass es das Chaos nicht mehr länger neben Oma ausgehalten habe.

Mama hat für alles Ordner und Kalender, und ihr Telefon spielt fünfzehn Minuten vor dem nächsten Termin eine kleine Melodie ab. Elsas Oma schreibt die Dinge, die sie nicht vergessen darf, mit lila Filzstift direkt an die Küchenwand. Und das nicht nur bei sich zu Hause, sondern überall, egal, wo sie sich befindet. Natürlich ist das kein ganz fehlerfreies System, denn es setzt eigentlich voraus, dass sie sich dann auch bei der Person in der Wohnung befindet, wenn sie sich an das erinnern muss, was sie angeschrieben hat. Doch als Elsa Oma darauf hingewiesen hat, hat Oma nur geschnaubt: »In jedem Fall ist das Risiko, dass ich eine Küchenwand verliere, geringer, als dass deine Mama dieses dämliche kleine Telefon verliert!« Doch da wies Elsa darauf hin, dass Mama wirklich nie etwas verliert. Und daraufhin verdrehte Oma die Augen und seufzte: »Nein, nein, aber deine Mama ist natürlich eine Wahnsinnsausnahme. Das bezieht sich eher auf … na, du weißt schon … unperfekte Menschen.«

Perfektion ist Mamas Superkraft. Sie ist nicht so witzig wie Oma, aber dafür weiß sie immer, wo Elsas Gryffindor-Schal ist. »Nichts ist wirklich weg, bevor es deine Mama nicht mehr finden kann«, flüstert Mama Elsa immer ins Ohr, wenn sie ihn ihr um den Hals bindet.

Sie ist Chef, Elsas Mama. »Nicht nur im Job, es ist ihr Lebensstil«, mosert Oma immer. Mama ist sozusagen niemand, neben dem man hergeht, sondern dem man hinterherläuft. Elsas Oma ist eher jemand, vor dem man sich duckt, als dass man ihm folgt, und sie hat in ihrem ganzen Leben noch keinen einzigen Schal finden können.

Außerdem mag Oma an sich keine Chefs, und das ist genau das Problem im Krankenhaus, denn hier ist Mama besonders chefmäßig, weil sie hier nämlich die Chefin ist.

»Du übertreibst, Ulrica, mein Gott!«, ruft Oma durch die Toilettentür, während eine andere Krankenschwester und ein Arzt hereinkommen und Mama ein neues Papier unterzeichnet und irgendwas von Zahlen redet.

Mama lächelt die Krankenschwester und den Arzt beherrscht an, und sie lächeln nervös zurück und gehen. Und dann ist es auf der Toilette mit einem Mal ganz ruhig, und Mama sieht plötzlich ganz besorgt aus, so wie man es tut, wenn es in Omas Nähe zu lange zu ruhig ist. Und dann schnuppert sie kurz in die Luft und reißt die Tür auf. Oma sitzt nackt auf der Toilette und hat die Beine übergeschlagen. Sehr lässig wedelt sie mit der qualmenden Zigarette in Mamas Richtung.

»Eeentschuldige mal! Kann man vielleicht in Ruhe gelassen werden, wenn man auf die Toilette geht?«

Mama fängt an, ihre Schläfen zu massieren, und hält sich die Hand vor den Bauch. Oma nickt ihr ernsthaft zu und wedelt mit der Zigarette zu ihrem Bauch hinüber.

»Immer mit der Ruhe, Ulrica, denk dran, dass du schwanger bist!«

»Daran könntest du auch mal denken!«, antwortet Mama.

Aber beherrscht.

»Touché«, murmelt Oma und nimmt einen tiefen Lungenzug.

Das ist so ein Wort, von dem Elsa weiß, was es bedeutet, ohne dass sie weiß, was es bedeutet. Mama schüttelt langsam den Kopf.

»Ist es dir völlig egal, wie schädlich das für Elsa und das Baby ist?«, fragt sie und zeigt auf die Zigarette.

Oma verdreht die Augen.

»Stell dich nicht so an! Die Menschen haben immer geraucht, und trotzdem sind sehr ordentliche Kinder dabei herausgekommen. Das ist einfach deine Generation, die nicht begreifen will, dass die Menschheit seit Millionen Jahren auch gut ohne Allergietests und sonstigen Kram überlebt hat, bis ihr kamt und dachtet, ihr wärt anders. Meinst du, als die Menschen damals in Höhlen gelebt haben, haben sie die Mammuthäute in der Maschine gewaschen, bevor sie die Neugeborenen darin eingewickelt haben?«

Elsa neigt den Kopf ein wenig zur Seite.

»Gab es denn damals schon Zigaretten?«

Oma stöhnt auf.

»Fängst du jetzt auch noch an?«

Mama legt die Hand auf den Bauch. Elsa weiß nicht recht, ob sie das tut, weil das Halbe da drinnen tritt oder ob sie ihm die Ohren zuhalten will. Mama ist die Mama vom Halben und George der Papa, also ist das Halbe Halbgeschwister von Elsa. Oder wird es zumindest. Es wird ein ganzer Mensch, aber ein halbes Geschwisterchen, haben sie Elsa versprochen. Das war in den ersten Tagen ziemlich verwirrend, bevor sie den Unterschied verstanden hatte. »Dafür, dass du so ein pfiffiges Köpfchen bist, kannst du manchmal ganz schön auf dem Schlauch stehen«, rief Oma, als Elsa sich bei ihr danach erkundigte. Und dann waren sie fast drei Stunden lang aufeinander sauer. Fast ein neuer Muffelrekord für die beiden.

»Ulrica, ich wollte ihr doch nur die Affen zeigen«, brummt Oma schließlich etwas kleinlaut und drückt die Zigarette aus.

»Mir reicht’s …«, sagt Mama resigniert, allerdings halbwegs kontrolliert, geht hinaus auf den Flur und schreibt etwas auf andere Unterlagen, auf denen Zahlen stehen.

Oma wollte Elsa einfach nur die Affen zeigen, der Teil der Geschichte ist wahr. Sie hatten in der Nacht miteinander telefoniert, Elsa war zu Hause und Oma im Krankenhaus, und dann hatten sie sich gestritten, ob es eine spezielle Affenart gibt, die im Stehen schlafen kann. Oma hatte natürlich unrecht, denn das stand in Wikipedia und so, aber dann hatte Elsa ihr von der Sache mit dem Schal in der Schule erzählt, und da hatte Oma beschlossen, dass sie jetzt zum Zoo fahren und sich die Affen anschauen würden, damit Elsa auf andere Gedanken käme. Und Elsa stahl sich hinaus, während Mama und George schliefen. Und als Oma über den Zaun vom Zoo klettern wollte, kam ein Wächter und dann ein Polizist, und dann bewarf Oma beide mit Erde. Sie dachten allerdings, es sei Kacke. Vor allem, weil Oma dabei schrie: »Das ist KACKE!!!«

Mama ist auf dem Flur und beginnt ein Gespräch mit irgendjemandem. Ihr Telefon klingelt unentwegt. Elsa setzt sich auf Omas Bett. Oma zieht sich ein Nachthemd an, setzt sich zu ihr und grinst. Und dann spielen sie Monopoly. Oma stibitzt Geld von der Bank, und als Elsa sie stellt, klaut Oma ein Auto, flüchtet zum Ostbahnhof und versucht, die Stadt zu verlassen.

Dann kommt Mama zurück ins Zimmer und sieht müde aus und sagt zu Elsa, dass sie jetzt nach Hause führen, damit Oma sich ausruhen könne. Und dann drückt Elsa Oma ganz, ganz, ganz lange.

»Wann darfst du nach Hause?«, fragt Elsa.

»Bestimmt morgen!«, antwortet Oma zuversichtlich.

Weil sie das immer tut. Und dann streicht sie Elsa die Strähnchen, die ihr in die Augen hängen, zur Seite, und als Mama wieder hinaus auf den Flur geht, macht Oma mit einem Mal ein ganz ernstes Gesicht und sagt zu Elsa in ihrer Geheimsprache:

»Ich habe einen wichtigen Auftrag für dich.«

Elsa nickt, denn wenn Oma ihr Aufträge gibt, benutzt sie immer die Geheimsprache, die nur diejenigen können, die im Land-Fast-Noch-Wach gewesen sind, und Elsa tut immer, was ihr aufgetragen wird. Denn das machen die Ritter aus Miamas. Sie erfüllen ihre Pflicht. Außer Zigaretten zu kaufen und Fleisch zu braten, da zieht Elsa wirklich die Grenze. Das ist einfach furchtbar eklig. Auch Ritter müssen Prinzipien haben.

Oma reckt sich, greift unters Bett und zieht eine große Plastiktüte hervor, die auf dem Boden steht. Keine Zigaretten und kein Fleisch. Darin hat sie Süßigkeiten.

»Du musst dem Freund ein bisschen Schokolade bringen.«

Es dauert ein paar Sekunden, bis Elsa richtig versteht, welchen Freund sie nun genau meint. Und als der Groschen fällt, sieht sie Oma verstört an.

»Du bist wohl nicht ganz RICHTIG im Kopf? Willst du, dass ich STERBE?«

Oma verdreht die Augen.

»Stell dich nicht so an. Meinst du, ein Ritter aus Miamas traut sich nicht, seinen Auftrag auszuführen?«

Elsa starrt sie gekränkt an.

»Sehr erwachsenes Argument.«

»Sehr erwachsen, dazu ›erwachsen‹ zu sagen!«, grinst Oma.

Elsa greift nach der Plastiktüte, in der unzählige einzeln verpackte Daim-Riegel rascheln. Oma zeigt darauf.

»Es ist wichtig, dass du immer erst das Papier abmachst. Sonst wird er schrecklich sauer.«

Elsa starrt bockig in die Tüte.

»Und was soll ich ihm sagen? Er weiß ja nicht mal, wer ich bin!«

Oma schnaubt so laut, dass es klingt, als würde sie sich schnäuzen.

»Aber natürlich weiß er das! Mein Gott. Sag einfach, deine Oma lässt grüßen und sagt, es tut ihr leid.«

Elsa zieht die Augenbrauen hoch.

»Was tut dir leid?«

»Dass ich ihm schon seit Tagen keine Süßigkeiten mehr gebracht habe«, antwortet Oma, als sei das die normalste Sache der Welt.

Elsa sieht in die Tüte.

»Das ist wirklich unverantwortlich, Oma, seinem einzigen Enkelkind so einen Auftrag zu geben. Er kann mich umbringen.«

»Stell dich nicht so an«, sagt Oma.

»Stell du dich nicht so an!«, zischt Elsa.

Oma grinst. Denn das tut sie immer. Und am Ende grinst Elsa auch. Denn das tut sie immer. Oma senkt die Stimme.

»Du musst dem Freund die Schokolade heimlich geben. Britt-Marie darf es nicht mitbekommen. Warte, bis sie diese Mieterversammlung morgen Abend haben, und dann schleich dich zu ihm!«

Elsa nickt. Obwohl sie eine Heidenangst vor dem Freund hat und noch immer findet, dass es wirklich schrecklich unverantwortlich ist, seinem einzigen Enkelkind lebensgefährliche Daim-Lieferaufträge zu geben. Aber Oma hält ihren Zeigefinger ganz fest in ihren beiden Händen, so wie sie es immer tut, und es ist ziemlich schwer, dann noch Angst zu haben, wenn das jemand macht. Sie nehmen sich noch einmal in die Arme.

»Bis bald, o du stolzer Ritter von Miamas«, flüstert Oma ihr ins Ohr.

Denn Oma sagt niemals tschüss. Sondern immer bis bald.

Als Elsa draußen im Flur ihre Jacke anzieht, hört sie Mama und Oma über die »Behandlung« reden. Und dann weist Mama Elsa an, ihre Ohrstöpsel ins Ohr zu stecken. Und Elsa gehorcht. Sie hat sich die Dinger letztes Jahr zu Weihnachten gewünscht und sehr genau darauf geachtet, dass Mama und Oma jede die Hälfte davon bezahlen. Sonst wäre es ungerecht gewesen.

Und wenn Mama und Oma Streit haben, dann steckt sich Elsa die Ohrstöpsel in die Ohren, dreht die Musik auf und tut so, als seien Mama und Oma Schauspieler in einem Stummfilm. Elsa ist ein Kind, das schon früh gelernt hat, dass manche Dinge leichter sind, wenn man sich den Soundtrack selbst aussuchen darf.

Als Letztes fragt sie Oma, wann sie Renault von der Polizei abholen dürfen. Renault ist Omas Auto. Sie sagt, sie habe es in einer Partie Poker gewonnen. Natürlich heißt es eigentlich »der Renault«, aber als Elsa gelernt hat, dass das Auto Renault heißt, war sie noch klein. Und da hat sie noch nicht gewusst, dass es nicht nur dieses Auto gab, das Renault hieß. Also tut sie noch immer so, als sei es ein Name. Denn der Name passt wirklich gut, er klingt wie ein alter Franzose mit Husten, und Omas Renault ist alt und rostig und französisch, und wenn man schaltet, klingt es, als würde man schwere Balkonmöbel über einen Betonboden schleifen. Elsa weiß das, denn Oma raucht manchmal oder isst Döner, wenn sie Renault fährt, und dann kann sie nur noch mit den Knien lenken, und dann tritt sie auf die Kupplung und brüllt »JETZT!«, und dann muss Elsa schalten.

Elsa vermisst das.

Mama sagt zu Oma, dass sie den Wagen nicht wird holen dürfen. Oma ruft aufgebracht, es sei schließlich ihr Auto, woraufhin Mama etwas in der Art antwortet, dass man eben nicht ohne Führerschein fahren dürfe. Und dann nennt Oma Mama »mein liebes Fräulein« und erzählt, dass sie den Führerschein für sechs Länder besitze. Woraufhin Mama beherrscht nachfragt, ob eines der Länder zufälligerweise das Land sei, in dem sie wohnen. Woraufhin Oma nur schweigt und schmollt. In der Zeit nimmt ihr eine Krankenschwester Blut ab.

Elsa geht vor zum Fahrstuhl und wartet, denn sie mag Spritzen nicht so besonders, egal, ob es ihr Arm ist oder der von Oma, in den sie hineingepiekt werden. Sie setzt sich auf einen Stuhl und liest »Harry Potter und der Orden des Phönix« auf ihrem iPad. Zum ungefähr zwölften Mal. Es ist das Harry-Potter-Buch, das ihr am wenigsten gefällt, deswegen hat sie es noch nicht öfter gelesen.

Erst als Mama kommt und sie mitnimmt und die beiden hinunter in die Tiefgarage fahren, merkt Elsa, dass sie den Gryffindor-Schal im Flur vor Omas Zimmer vergessen hat. Also rennt sie zurück.

Oma sitzt auf der Bettkante mit dem Rücken zur Tür, telefoniert und sieht Elsa nicht kommen. Elsa hört, dass Oma mit ihrem Anwalt spricht, denn sie gibt ihm Anweisungen, welches Bier er ihr beim nächsten Krankenbesuch mitbringen soll. Elsa weiß, dass der Anwalt das Bier in großen Lexika hineinschmuggelt, von denen Oma sagt, dass sie sie für ihre »Forschungen« brauche, doch innen drin sind sie hohl und haben ein Bierfach. Elsa nimmt den Schal vom Kleiderhaken und will Oma gerade ansprechen, als sie hört, wie ihre Stimme am Telefon eindringlicher wird:

»Marcel, sie ist mein Enkelkind. Der Himmel segne ihr kleines Köpfchen. Ich habe noch nie so ein kluges Mädchen gesehen. Sie muss die Verantwortung übernehmen. Sie ist die Einzige, die die richtigen Entscheidungen treffen kann.«

Eine Weile ist es still. Und dann fährt Oma entschlossen fort:

»Ich WEISS, dass sie noch ein Kind ist, Marcel! Aber sie ist verdammt nochmal mehr auf Zack als all die anderen Blödmänner da draußen! Und es ist nun mal mein Testament, und du bist mein Anwalt. Mach einfach, was ich sage!«

Elsa steht im Flur und hält die Luft an. Und als Oma entgegnet: »Aber ich WILL es ihr doch noch nicht sagen, Marcel! Weil alle Siebenjährigen Superhelden verdienen!«, da dreht sich Elsa um und schlüpft lautlos zur Tür hinaus, den Gryffindor-Schal tränendurchtränkt.

Und als Letztes hört sie Oma sagen:

»Ich will nicht, dass Elsa erfährt, dass ich sterben werde, weil alle Siebenjährigen Superhelden verdienen, Marcel. Alle Siebenjährigen verdienen Superhelden, und eine Superkraft ist, dass sie keinen Krebs bekommen.«

Kapitel 3 Kaffee

Omas Haus hat etwas Besonderes. Den Geruch darin vergisst man nie.

Und dabei ist es eigentlich ganz normal, das Haus. Im Großen und Ganzen. Es hat vier Stockwerke und neun Wohnungen, und es riecht nach Oma. Und nach Kaffee, natürlich, nach Kaffee riecht es eigentlich ununterbrochen. Und es gibt klare Regeln in der Hausordnung, die im Waschkeller hängt und die die Überschrift trägt: Für das Wohlbefinden eines jeden. »Wohlbefinden« ist doppelt unterstrichen. Es gibt außerdem einen Fahrstuhl, der immer kaputt ist, und Behälter für die Mülltrennung im Hof und eine Säuferin und einen Kampfhund und eine Oma.

Ein völlig normales Haus. Im Großen und Ganzen.

Oma wohnt ganz oben. In der Wohnung gegenüber wohnen Mama und Elsa und George. George ist der Freund von Mama, und das ist nicht immer ganz einfach, denn das bedeutet, dass er auch neben Oma wohnt. George trägt einen Bart und eine klitzekleine Mütze und joggt gern mit seinen Shorts über der Laufhose, und er spricht gern Englisch beim Kochen. Er sagt »pork« für Schweinefleisch, wenn er ein Rezept liest, und Oma sagt, »Glück für ihn, dass er so süß ist, denn er ist ja dröge wie ein aufgequollenes Kuhstalltor«. Und sie sagt nie »George« zu ihm, sie sagt nur »Glatzkopf«. Mama wird ziemlich sauer, wenn sie es hört, aber Elsa weiß, dass Oma das nicht tut, um Mama zu ärgern. Sie will nur, dass Elsa spürt, dass sie auf Elsas Seite steht, was auch immer passiert. Denn das tut man, wenn man Oma ist und sich die Eltern des Enkelkindes trennen und sich neue Partner zulegen und plötzlich mitteilen, dass das Enkelkind ein Halbgeschwisterchen bekommt. Man steht auf der Seite seines Enkelkindes. Immer. Ohne Wenn und Aber. Dass sich Mama halbkrank ärgert, betrachtet Oma einfach als Bonus.

Mama und George haben nicht untersuchen lassen, ob das Halbe ein Mädchenhalbes oder ein Jungenhalbes ist. Obwohl man das machen kann. Besonders George ist es wichtig, dass er es noch nicht weiß. Er nennt das Halbe immer »es«, damit er »das Kind nicht in eine Geschlechterrolle drängt«. Als George das zum ersten Mal gesagt hat, dachte Elsa, er hätte »Geschlechter-Trolle« gesagt. Das war für alle Beteiligten ein sehr verwirrender Nachmittag.

Das Halbe soll entweder Elvir oder Elvira heißen, haben Mama und George beschlossen. Als Elsa Oma davon erzählte, rief sie aus: »Elv-IR?«

»Das ist die männliche Form von Elvira«, erläuterte Elsa, und da schüttelte Oma den Kopf und schnaubte: »Elvir? Glauben die, das Kleine wird Frodo helfen, den Ring nach Mordor zu bringen?« Denn kurz zuvor hatte Oma mit Elsa alle »Herr der Ringe«-Filme angesehen, weil Elsas Mama ihrer Tochter das ausdrücklich verboten hatte.

Elsa weiß natürlich, dass Oma eigentlich gar nichts gegen das Halbe hat. Oder gegen George. Sie sagt das einfach nur, weil sie Oma ist, und Oma steht immer auf Elsas Seite, ohne Wenn und Aber. Sogar da, als Elsa Oma erzählt hat, dass sie George hasst. Dass sie sogar das Halbe manchmal hasst.

Und es ist verflucht schwer, eine Oma, der man etwas so Schreckliches erzählt und die trotzdem immer noch zu einem steht, nicht zu lieben.

Omas Wohnung ist genau wie Mamas, nur viel unordentlicher. Denn Mamas Wohnung ist wie Mama, und Omas Wohnung ist wie Oma. Und Mama liebt ordentliches Nebeneinander, und Oma liebt ordentliches Durcheinander.

In der Wohnung unter Oma wohnen Britt-Marie und Kent. Sie lieben es, Dinge zu besitzen, und Kent erzählt immer gleich, was alles gekostet hat. Kent ist fast nie zu Hause, denn er ist Unternehmer. Oder »Kentreprenör«, wie er zu sagen pflegt und dabei laut lacht und das vor Leuten, die er gar nicht kennt. Wenn die Leute nicht gleich mitlachen, wiederholt er es, diesmal etwas lauter. Als ob es daran gelegen hätte.

Oma sagt, dass Kent ein ziemlicher Blödmann sei und dass das Wort »Unternehmer« eigentlich aus dem Land-Fast-Noch-Wach komme, weil jemand »Und-was-nimmt-er« falsch verstanden habe, ein Ausdruck, der in Miamas für Landstreicher benutzt wird. Elsa kann nicht aus dem Stegreif sagen, ob das wahr ist oder nicht, aber Britt-Marie ist jedenfalls fast immer zu Hause, daher nimmt Elsa an, dass sie keine Unternehmerin ist. Oma sagt, sie sei »Ganztagsmeckertante«. Britt-Marie und Oma verstehen sich nicht so besonders gut, könnte man sagen. Und das heißt, etwa wie Kaninchen und Feuer sich nicht so gut verstehen. »Diese Tante hat Schürfwunden an der Seele«, sagt Oma immer, denn Britt-Marie macht immerzu ein Gesicht, als hätte sie sich gerade aus Versehen die falsche Schokolade in den Mund gesteckt. Sie war diejenige, die den Zettel mit der Überschrift Für das Wohlbefinden eines jeden! im Waschkeller aufgehängt hat. Das Wohlbefinden eines jeden ist Britt-Marie äußerst wichtig, obwohl sie und Kent die Einzigen im Haus sind, die Waschmaschine und Trockner in der Wohnung stehen haben. Einmal, als George Waschzeit eingetragen hatte, kam Britt-Marie herauf, klingelte und wollte mit Elsas Mama sprechen. In der Hand hielt sie ein kleines Bällchen blaue Fusseln aus dem Flusensieb. Sie hielt es Mama unter die Nase, als sei es ein neugeborenes Vogeljunges, und sagte: »Ich glaube, das hast du im Trockner vergessen, Ulricka!« Und als George sie darüber aufklärte, dass er derjenige sei, der sich um die Wäsche kümmere, da sah Britt-Marie ihm ins Gesicht und lächelte, doch man sah ihr an, dass sie das gar nicht so meinte. Und dann sagte sie: »Sehr modern«, lächelte vielsagend zu Mama hinüber, hielt ihr den Fusselhaufen hin und fuhr fort: »Für das Wohlbefinden eines jeden säubern wir in dieser Eigentümergemeinschaft das Flusensieb, wenn wir fertig sind, Ulricka!«

Es gibt gar keine Eigentümergemeinschaft. Dass allerdings eine geplant ist, darauf weist Britt-Marie peinlich genau hin, dafür würden Kent und sie schon sorgen. Und in Britt-Maries Eigentümergemeinschaft sind Regeln ganz wichtig. Deshalb ist sie Omas Nemesis. Elsa weiß, was »Nemesis« bedeutet, denn das weiß man, wenn man gute Literatur liest.

In der Wohnung gegenüber von Britt-Marie und Kent wohnt die Frau im schwarzen Rock. Man sieht sie fast nie, außer wenn sie früh am Morgen ganz schnell ihre Wohnung verlässt und spät am Abend heimkehrt. Sie trägt immer hochhackige Schuhe und einen perfekt gebügelten schwarzen Rock, sie hat eine schmale Aktentasche dabei und spricht auffällig laut in das weiße Kabel, das in ihrem Ohr steckt. Sie grüßt nie und lächelt nie. Oma sagt, dieser Rock sei so perfekt gebügelt, »weil wenn man der Stoff an dieser Frau wäre, würde man es verdammt nochmal nicht wagen, Falten zu schlagen«.

Unter Britt-Marie und Kent wohnen Lennart und Maud. Lennart trinkt mindestens zwanzig Tassen Kaffee am Tag, aber macht jedes Mal ein Gesicht, als hätte er soeben in der Lotterie gewonnen, wenn die Kaffeemaschine wieder läuft. Er ist der zweitfreundlichste Mensch auf der Welt, und er ist mit Maud verheiratet. Maud ist der freundlichste Mensch auf der Welt, und sie hat immer gerade etwas gebacken. Bei ihnen wohnt Samantha, die fast immer schläft. Samantha ist ein Bichon Frisé, aber Lennart und Maud sprechen mit ihr, als wäre sie das nicht. Wenn Lennart und Maud Kaffee trinken und Samantha dabei ist, dann nennen sie den Kaffee nicht »Kaffee«, sondern »Erwachsenengetränk«. Oma sagt, dieses Gehabe sei völlig krank, aber Elsa findet das egal, wenn man so nett ist, wie die beiden es sind. Und bei ihnen gibt es immer Traumkekse und Umarmungen. Die Traumkekse sind ein besonderes Gebäck. Und Umarmungen die ganz normalen.

Gegenüber von Lennart und Maud wohnt Alf. Er fährt Taxi und trägt immer eine Lederjacke und schlechte Laune mit sich herum. Seine Schuhsohlen sind dünn wie Butterbrotpapier, denn er hebt beim Gehen nie die Füße. Oma sagt, das sei deshalb so, weil der Typ den tiefsten Schwerpunkt im ganzen Universum besitze.

In der Wohnung unter Lennart und Maud wohnen der Junge mit Syndrom und seine Mutter. Der Junge mit Syndrom ist ein Jahr und ein paar Wochen jünger als Elsa und spricht kein Wort. Seine Mutter verliert andauernd Dinge, als würden sie quasi aus ihren Taschen herausregnen, wie bei den Bösewichten in Zeichentrickfilmen, wenn sie durchsucht werden und dann der Berg mit dem Zeug aus ihren Taschen größer wird als sie selbst. Aber sowohl die Mutter als auch der Junge mit Syndrom haben freundliche Augen, und nicht einmal Oma scheint sie nicht zu mögen.

In der Wohnung neben den beiden, auf der anderen Seite vom Fahrstuhl, der nie funktioniert, wohnt das Monster. Elsa weiß nicht, wie er in Wirklichkeit heißt, aber sie nennt ihn Monster, weil alle Angst vor ihm haben. Und damit meint sie wirklich alle. Sogar Elsas Mama, die vor nichts auf der ganzen Welt Angst hat, stupst Elsa sanft in den Rücken, wenn sie an der Wohnung des Monsters vorbeigehen. Niemand bekommt das Monster zu Gesicht, denn es verlässt seine Wohnung bei Tageslicht nicht, aber Kent sagt auf den Mietertreffen immer: »Solche Typen sollte man gar nicht frei herumlaufen lassen! Aber das hat man eben davon, wenn man in diesem verdammten Land die Leute mit Psychotherapien verhätschelt, anstatt sie ins Gefängnis zu stecken!« Britt-Marie hat an den Hausbesitzer geschrieben und verlangt, dass das Monster hinausgeworfen wird, weil sie überzeugt sei, das Monster würde noch »weitere Süchtige« anziehen. Elsa weiß nicht genau, was das bedeuten soll. Sie ist sich auch nicht ganz sicher, ob Britt-Marie das weiß. Aber sie weiß, dass sogar Omas Blick ganz befremdlich wurde und sie nur leise sagte, »an manchen Dingen soll man nicht rühren«, als Elsa sie einmal nach dem Monster gefragt hatte. Elsas Oma hat im Krieg-Ohne-Ende, dem Krieg gegen die Schatten im Land-Fast-Noch-Wach gekämpft. Also hat Oma die allerschrecklichsten Wesen gesehen, die zehntausend Märchenewigkeiten erträumen können.

Ja, so misst man nämlich die Zeit im Land-Fast-Noch-Wach, in Ewigkeiten. Natürlich ist das eine schwammige Bezeichnung, aber im Land-Fast-Noch-Wach gibt es keine Uhren, also misst man die Zeit so, wie sie sich anfühlt. Wenn sie einem wie eine kleine Ewigkeit vorkommt, dann sagt man, es sei für immer. Und wenn es sich ungefähr wie zwei Dutzend für immer oder so anfühlt, dann ist es eine ganze Ewigkeit. Und das Einzige, was länger ist als eine ganze Ewigkeit, ist die Ewigkeit eines Märchens, denn eine Märchenewigkeit ist die Ewigkeit einer ganzen Ewigkeit. Und das Allerlängste, was es in einer Ewigkeit gibt, ist die Ewigkeit von zehntausend Märchen. Das ist die größte Zahl, die im Land-Fast-Noch-Wach existiert.

Aber wir sollten bei der Sache bleiben: Ganz unten im Haus, in dem all diese Menschen wohnen, gibt es einen Gemeinschaftsraum. Dort findet einmal im Monat eine Mieterversammlung statt. Das ist bestimmt viel häufiger, als es in anderen Häusern so üblich ist, aber die Wohnungen in diesem Haus sind Mietwohnungen, und Britt-Marie und Kent möchten unbedingt, dass alle Hausbewohner »in einem demokratischen Prozess« den Hausbesitzer dazu bringen, die Wohnungen an die Bewohner zu verkaufen. Und deshalb muss man Versammlungen abhalten. Weil kein anderer im Haus eine Eigentumswohnung haben will. Die Demokratie als solche ist der Aspekt an dem demokratischen Prozess, der Kent und Britt-Marie am wenigsten interessiert, könnte man sagen.

Und die Versammlungen selbst sind natürlich furchtbar langweilig. Zuerst streiten sich die Bewohner über Dinge, über die sie sich auf der letzten Sitzung auch schon zwei Stunden lang gestritten haben, und dann nehmen sie ihre Kalender in die Hand und streiten sich darüber, wann die nächste Sitzung stattfinden soll, und dann ist die Sitzung vorbei. Aber Elsa geht heute trotzdem mit, denn sie muss genau wissen, wann es mit der Streiterei losgeht, damit keiner mitkriegt, dass sie sich verdrückt.

Kent ist noch nicht da, denn Kent kommt meistens zu spät. Alf ist auch nicht da, denn er kommt immer ganz pünktlich. Aber Maud und Lennart sitzen am großen Tisch, und Britt-Marie und Mama stehen in der Kochnische und diskutieren über Kaffee. Samantha liegt auf dem Boden und schläft. Maud schiebt Elsa eine große Dose Traumkekse herüber. Lennart sitzt daneben und wartet auf den frischen Kaffee. Währenddessen trinkt er Kaffee aus seiner mitgebrachten Thermoskanne. Für Lennart ist es ganz wichtig, dass man Wartekaffee hat, während man auf den richtigen Kaffee wartet.

Britt-Marie steht in der Kochnische vor der Spüle. Sie hat ihre Hände frustriert auf Hüfthöhe gefaltet und schaut nervös zu, wie Mama Kaffee kocht. Das macht Britt-Marie nervös, weil sie es am besten fände, auf Kent zu warten. Britt-Marie findet immer, dass es am besten sei, auf Kent zu warten. Aber Mama ist nicht sehr fürs Warten, sie ist mehr dafür, alles unter Kontrolle zu haben, also macht sie nun Kaffee. Britt-Marie fängt an, mit der Handfläche unsichtbare Krümel von der Spüle zu wischen. Fast überall gibt es unsichtbare Krümel, von denen Britt-Marie meint, dass sie weggewischt werden müssten. Sie lächelt Mama wohlwollend zu.

»Klappt alles mit dem Kaffee, Ulricka?«

Britt-Marie nennt Mama immer »Ulricka«, seit sie weiß, dass Mamas Name mit »c« statt mit »k« geschrieben wird. Und da hat Britt-Marie beschlossen, dass er »Ulricka« ausgesprochen werden muss. Obwohl Ulrica ihr mehrmals erklärt hat, dass man einfach »Ulrica« sagt.

»Ja, danke«, antwortet Mama kurz angebunden.

»Wir warten aber auf jeden Fall auf Kent, nicht wahr?«, versucht Britt-Marie wohlwollend festzulegen.

»Wir schaffen das Kaffeekochen auch ohne ihn«, antwortet Mama beherrscht.

Britt-Marie faltet die Hände wieder auf Hüfthöhe. Lächelt.