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Ausgewählte Leseproben aus dem Goldmann Verlag und Wunderraum Verlag

Hanne Hippe erzählt die bewegende Emanzipationsgeschichte einer jungen Frau im Deutschland der Fünfzigerjahre. Angelika Waldis wiederum blickt hinter die Fassade einer heutigen Vorzeigefamilie, während Ciara Geraghty zwei langjährige Freundinnen auf einer Reise begleitet, die Aufbruch und Abschied zugleich bedeutet. Anna Jessen entführt die Leser*innen im ersten Band einer dreiteiligen Saga nach Helgoland, wo ein Hamburger Blumenmädchen Ende des 19. Jahrhunderts das große Glück sucht. SPIEGEL-Bestseller-Autor Wladimir Kaminer blickt mit unerschütterlichem Humor auf den verlorenen Sommer des Jahres 2020, während Meike Werkmeister perfekte romantische Urlaubslektüre mit Nordsee-Ambiente zaubert. Johanna Laurin spannt mit einer tragischen Liebesgeschichte den Bogen vom Deutschland der Kriegsjahre bis ins Neufundland der Gegenwart. Und Jarka Kubsova schildert die Geschichte einer Südtiroler Bauernfamilie über drei Generationen hinweg. Bei Emilia Schilling schließlich prickelt der Sommer in diesem Auftakt einer New-Adult-Trilogie über verbotene Affären unter karibischem Sternenhimmel.

Dieses E-Book enthält Leseproben zu:

- Hanne Hippe: »Die Geschichte einer unerhörten Frau«

- Angelika Waldis: »Lauter nette Menschen«

- Ciara Geraghty: »Das Leben ist zu kurz für irgendwann«

- Anna Jessen: »Die Insel der Wünsche: Stürme des Lebens«

- Wladimir Kaminer: »Der verlorene Sommer: Deutschland raucht auf dem Balkon«

- Meike Werkmeister: »Der Wind singt unser Lied«

- Johanna Laurin: »Die Bucht der Lupinen«

- Jarka Kubsova: »Bergland«

- Emilia Schilling: »Lovett Island: Sommernächte«

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Goldmann Verlag (Hrsg.)

Bücher für helle Tage und lange Nächte

Ausgewählte Leseproben aus den Verlagen Goldmann

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2021 Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: © Uno Werbeagentur, München

ISBN 978-3-641-28140-3V001

Besuchen Sie uns auch aufwww.goldmann-verlag.de und aufwww.wunderraum-verlag.de

Dieses E-Book enthält Leseproben zu:

Hanne Hippe:

»Die Geschichte einer unerhörten Frau«

Angelika Waldis:

»Lauter nette Menschen«

Ciara Geraghty:

»Das Leben ist zu kurz für irgendwann«

Anna Jessen:

»Die Insel der Wünsche«

Wladimir Kaminer

»Der verlorene Sommer«

Meike Werkmeister

»Der Wind singt unser Lied«

Johanna Laurin:

»Die Bucht der Lupinen«

Jara Kubsova:

»Bergland«

Emilia Schilling:

»Lovett Island. Sommernächte«

Haben Sie Lust gleich weiterzulesen? Dann lassen Sie sich von unseren Lesetipps inspirieren.

Hanne HippeDie Geschichte einer unerhörten FrauKostenlos reinlesen

Verheiratet, zwei wohlgeratene Kinder, perfekte Ehefrau und Mutter: Gussy Fink führt ein Leben, wie man es in den Fünfzigerjahren von einer Frau erwartet. Doch das ändert sich, als sie feststellt, dass ihr Mann in dubiose Geschäfte verwickelt ist und sie hintergangen hat. Für Gussy liegt nicht nur ihre Ehe, sondern auch ihre Zukunft in Scherben. In ihrer Verzweiflung wagt die eigentlich schüchterne Frau einen kühnen Schritt – sie reicht die Scheidung ein. Aus der angepassten Mustergattin wird eine von der Gesellschaft argwöhnisch beobachtete Außenseiterin. Doch Gussy ist entschlossen, für ein neues und selbstbestimmtes Leben zu kämpfen – ohne jeden Kompromiss.

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Ciara GeraghtyDas Leben ist zu kurz für irgendwannRomanKostenlos reinlesen

Terry und Iris sind beste Freundinnen und würden durchs Feuer füreinander gehen. Aber Iris ist krank. So krank, dass sie sich heimlich entschließt, ihr Leben in der Schweiz zu beenden, solange sie es noch kann. Als Terry feststellt, dass Iris auf dem Weg dorthin ist, zögert sie keine Sekunde. Mit ihrem betagten Dad im Auto holt sie Iris gerade noch am Hafen von Dublin ein. Die drei begeben sich auf eine abenteuerliche Reise durch England und Frankreich, und was die schlimmsten Tage in Terrys Leben hätten werden können, werden ihre besten. Denn durch Iris entdeckt sie ungeahnte Seiten an sich – und dass es ein Geschenk ist, unser Leben zu leben, jeden Tag und bis zum letzten Tag. »Sehr lustig, sehr bewegend und ohne jegliche Sentimentalität.« Irish Times

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Anna JessenDie Insel der Wünsche - Stürme des Lebens - RomanKostenlos reinlesen

Hamburg 1887. Das junge Blumenmädchen Tine Tiedkens lebt in ärmlichsten Verhältnissen. Um ihrer Not zu entfliehen, will sie ihr Glück auf Helgoland suchen. Doch die Überfahrt auf die mondäne Insel wird zum Albtraum, und vor Ort scheint sich alles gegen sie zu verschwören. Als sie zufällig den jungen Hotelier Henry Heesters wiedertrifft, der in Hamburg Blumen bei ihr gekauft hat, erhält sie eine Stellung in seinem eleganten Hotel. Mit Fleiß und Leidenschaft arbeitet sich Tine vom Serviermädchen zur Hausdame hoch – und verliebt sich in Henry, der ihre Gefühle erwidert. Doch als ihr Glück zum Greifen nah scheint, wendet sich das Schicksal erneut ...

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Wladimir KaminerDer verlorene SommerDeutschland raucht auf dem BalkonKostenlos reinlesen

Mit unerschütterlichem Humor blickt Wladimir Kaminer auf die Monate, die unser Leben veränderten.Frühjahr 2020. Die Menschen erwachten aus dem Winterschlaf, blinzelten in die Sonne und ahnten nicht, was auf sie zukam. Im fernen China hatte angeblich ein erkältetes Gürteltier auf eine kranke Fledermaus geniest – ein Virus war geboren, das die Welt lahmlegte. Doch es konnte weder der Neugier noch dem Humor von Wladimir Kaminer etwas anhaben. Trotz Lockdown, Mundschutz und Fassbier-Verbot fand er überall Geschichten, die bewiesen: Das Leben ging weiter! Wenn auch jeden Tag ein bisschen anders als zuvor. Mit Witz und Herz beobachtete er den Alltag von uns Coronauten und die allmähliche Veränderung unserer Realität …Wladimir Kaminer und sein Blick auf die Corona-Welt.

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Meike WerkmeisterDer Wind singt unser LiedRomanKostenlos reinlesen

Die Weltenbummlerin Toni ist überall und nirgends zu Hause – bis ein Anruf ihres Vaters sie zurück an die Nordsee führt. St. Peter-Ording mit seinen hübschen Reetdachhäusern und dem kilometerlangen Sandstrand ist für viele das Paradies auf Erden. Doch Toni hat sich hier, wo der Wind das ganze Jahr um die Häuser pfeift, nie richtig wohlgefühlt. Auch jetzt macht ihre alte Heimat es ihr nicht leicht. Ihre Eltern werden immer schrulliger, und alles erinnert sie an ihre erste große Liebe. Während sie auf dem Ferienhof der Familie aushilft, begreift Toni, dass sie das Leben anpacken muss, um ihm eine neue Richtung zu geben. Und dabei ist sie nicht allein …

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Johanna LaurinDie Bucht der LupinenRomanKostenlos reinlesen

Als Annas Großmutter Lou stirbt, reist sie mit ihren beiden Schwestern nach Neufundland, wo Lou seit vielen Jahrzehnten gelebt hat. Während die drei das Haus am Meer ausräumen, wird ihnen bewusst, wie wenig sie über die Vergangenheit und das Leben ihrer Großmutter wissen. Doch dann stoßen die Schwestern auf ein verblichenes Foto, das ihre Großmutter mit einem unbekannten Mann zeigt. Es beginnt eine Reise in das Hamburg der 1930er Jahre, wo Lou als Tochter jüdischer Eltern heranwuchs und wo die Geschichte ihrer ganz großen Liebe begann – einer schicksalhaften Liebe, die Lou in Zeiten der größten Finsternis den Weg wies wie ein leuchtender Stern ...

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Jarka KubsovaBerglandRomanKostenlos reinlesen

Die bewegende Geschichte einer Bergbauernfamilie in den Alpen über drei Generationen»Wer in diesen Zeiten eine kleine Auszeit vom nervigen Alltag braucht und Urlaub vom hier und jetzt machen möchte, der sollte mit diesem Buch nach Südtirol reisen.« Mike Altwicker, Buchhandlung Hansen&KrögerSüdtirol in den vierziger Jahren: Im abgelegenen Tiefenthal staunen selbst gestandene Bauern, als ihnen eine junge Frau vormacht, wie man einen Hof ganz alleine durchbringt. Rosa heißt die Frau, die die Natur versteht und lenkt, als habe sie nie etwas anderes getan. Mit aller Macht stemmt sie sich gegen den Fortschritt, der ihr kleines Reich in den Bergen bedroht. Zwei Generationen später sind Rosas Enkel Hannes und seine Frau Franziska auf Feriengäste angewiesen, um den Hof zu halten. Als nach einem Unglück ihre Zukunft auf dem Spiel steht, erweist sich Rosas Vermächtnis als aktueller denn je.

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Emilia SchillingLovett Island. SommernächteRomanKostenlos reinlesen

Wer einen Job auf der paradiesischen Karibikinsel Lovett Island ergattert, den erwarten neben extravaganten Gästen weiße Sandstrände, so weit das Auge reicht, türkisblaues Meer und schillernde Partys mit den Reichen und Schönen. Maci Stiles will hier neu anfangen, ihr altes Leben endlich hinter sich lassen. Doch als sie ausgerechnet dem Sohn des Inselbesitzers ins Auge fällt, zerplatzt dieser Traum. Trevor Parker ist nicht nur märchenhaft reich, sondern auch ein gefährlich attraktiver Baseball-Star, dem die Frauenherzen nur so zufliegen. Und Society-Girl Blair hat nicht vor, ihn kampflos einem Niemand zu überlassen ...

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Buch

Verheiratet, zwei wohlgeratene Kinder, perfekte Ehefrau und Mutter: Gussy Fink führt ein Leben, wie man es in den Fünfzigerjahren von einer Frau erwartet. Doch das ändert sich, als sie feststellt, dass ihr Mann in dubiose Geschäfte verwickelt ist und sie hintergangen hat. Für Gussy liegt nicht nur ihre Ehe, sondern auch ihre Zukunft in Scherben. In ihrer Verzweiflung wagt die schüchterne Frau einen kühnen Schritt – sie reicht die Scheidung ein. Aus der angepassten Mustergattin wird eine von der Gesellschaft argwöhnisch beobachtete Außenseiterin. Doch Gussy ist entschlossen, für ein neues und selbstbestimmtes Leben zu kämpfen – ohne jeden Kompromiss.

Hanne Hippe

Die Geschichte einer unerhörten Frau

Roman

Originalausgabe

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Originalausgabe März 2021

Copyright © 2021 by Hanne Hippe

Copyright © dieser Ausgabe 2021

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Literarische Agentur Michael Gaeb

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: akg images / Paul Almasy

George Marks / Retrofiles RF / getty images

CN · Herstellung: Han

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-26060-6V003

www.goldmann-verlag.de

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Für meine Mutter Selma und meinen Bruder Walter

Köln, 10. April 1960

Gussy atmete tief aus und überprüfte mit einer geübten kleinen Verrenkung von Kopf und Oberkörper den Sitz der neuen Nylonstrümpfe an ihren Waden. Die Nähte saßen tadellos. Dann griff sie sich an den Hinterkopf. Keine Nadel ragte hervor. Der falsche Dutt, der die Form und Farbe einer dicken Blutwurst hatte, saß genau an der Stelle an ihrem Hinterkopf, wo sie ihn vor einer halben Stunde mithilfe der zwei Kippspiegel ihrer Frisierkommode angeheftet hatte. Sie hatte ihre feinen schwarzen Haare darübergezogen.

Gussy trug ihr gutes graumeliertes Schneiderkostüm, das noch aus der Zeit vor der Scheidung stammte, und merkte, dass sie beim Betreten des Schulgebäudes nun doch ein wenig nervös wurde.

Vor vier Tagen war sie mit ihren beiden Kindern von Frankfurt am Main hierher an den westlichen Rand von Köln gezogen, in eins der zahlreichen Neubaugebiete, die statt Zuckerrüben auf den Äckern wie Pilze aus dem Boden schossen.

Heute wollte sie ihre achtjährige Tochter Eva in der zweiten Volksschulklasse anmelden. Die dafür erforderlichen Papiere hatte sie in ihre schicke Handtasche gesteckt, die Evchen »das falsche Krokodil« nannte. Vorher hatte sie sich bei der Nachbarin mit dem Säugling erkundigt, ob sie wisse, wo die zuständige Schule für das Kind liege. Das sei die Friedensschule in der Ringstraße, hatte die erklärt und ihr die genaue Lage beschrieben.

»Es sind nur knapp zehn Minuten zu Fuß«, hatte sie ihr noch hinterhergerufen.

Das Kind würde es nicht sehr weit haben. Das fand Gussy beruhigend. Sie kannte Köln nicht, und der Gedanke, dass Evchen in der fremden Stadt einen weiten Schulweg allein zurücklegen müsse, war ihr unangenehm.

Die Frau, der sie am Morgen auf der Treppe begegnet war und die einen polnischen Nachnamen trug, war bis jetzt ihre einzige Nachbarin in dem unverputzten Zwölfparteienhaus. Die anderen Wohnungen standen leer. Aber noch waren ja auch nicht alle Handwerker verschwunden, und man musste über eine schmale Holzlatte balancieren, um trockenen und sauberen Fußes zur Eingangstür des dreistöckigen Gebäudes zu gelangen. Gussys Kinder fanden das lustig. Sie nicht.

Wenn sie abends zu Bett ging, machte sie der Gedanke nervös, dass sie und die Kinder mit der jungen Nachbarin in dem großen Haus ganz allein waren. Deren Ehemann war fast immer auf Montage, wie sie erfahren hatte, und jeden Monat nur wenige Tage zu Hause.

Gussy wurde immer schnell nervös und trug vorsichtshalber, wie sie Eva einmal erklärt hatte, als die das blau-weiße Metallröhrchen im Badezimmer gefunden hatte, einige von diesen Tabletten in der Handtasche mit sich. »Nur für alle Fälle, Evchen. Gegen meine Kopfschmerzen.«

Eva hatte zweifelnd geblinzelt.

Gussy wusste, dass sie zu viele von diesen Tabletten nahm.

Sie hatte in der Neubausiedlung eine Dachgeschosswohnung mit zwei Zimmern gefunden. Erstbezug für sechzig Mark im Monat, dritter Stock, schräge Wände, aber sehr gemütlich, wenn es einmal fertig eingerichtet sein würde. Das war eine ganze Menge Geld, wie sie fand. Die Möbel und Kartons würden Ende der Woche kommen. Nun schliefen sie alle drei auf geliehenen Campingliegen, was die Kinder spannend fanden. Sie nicht.

Es gab ein Bad mit weißem Kohleofen aus schimmernder Emaille und eine gemütliche Wohnküche, und man hatte seinen eigenen abschließbaren Keller, wo man Vorräte an Eingemachtem und die Kohlen aufbewahren konnte. Alle zwei Wochen war man für das Waschhaus eingeteilt, wo man die Wäsche in beheizbaren Zubern waschen und dann mangeln konnte. Direkt daneben lag der Trockenraum.

»Aber bei Sonne kann man die Wäsche ja auch draußen auf der Wiese bleichen!« Gussy klang enthusiastisch.

Zu jedem Mietshaus gehörte eine stattliche Wiese mit einbetonierten Halterungen für die Wäscheleinen und eine Teppichstange.

Die junge Frau Kaminski stemmte ihre Hände in die Hüften. »Sie sind nicht von hier, hab ich recht, Frau Fink?«

Die Rothaarige lachte über das ganze sommersprossige Gesicht.

Gussy schüttelte zaghaft den Kopf.

»Sonst wüssten Sie, dass man hier auch im Sommer die Wäsche besser drinlässt.«

»Warum?«

»Na, wegen der speckigen Rußflocken, die hier überall herumschwirren. Die warten geradezu auf Ihre weiße Wäsche!« Frau Kaminski lachte wieder.

»Speckige Rußflocken?«

Gussy schluckte. Keine zwei Jahre würde sie hier mit den Kindern bleiben, schwor sie sich in diesem Moment. Sie hatte den Umzug an den Rhein längst bereut. Warum hatte sie sich Bange machen lassen? Sie musste endlich aufhören, sich Bange machen zu lassen. Ihre ganze Kindheit über hatte ihre Mutter Erna sie Bange gemacht.

»Was sollen denn die Nachbarn denken?«, war die größte aller Bangemachfragen gewesen, die ihre Kindheit mit den zwei Schwestern und ohne Vater durchzogen hatte. Der Vater August, nach dem sie, Augusta, als Jüngste benannt worden war, war schon gestorben, da war sie noch keine zehn Jahre alt gewesen. Woran er letzten Endes starb, hatte sie nie ganz herausbekommen. Mal sagte die strenge Mutter, er habe eine Lungenkrankheit gehabt, und sie solle nur aufpassen, dass sie nicht auch so ende. Das betete Gussy nach jedem Asthmaanfall, den sie als Kind ausgehustet hatte, herunter.

Dann hatte ihr die älteste Schwester Maria einmal heimlich zugeflüstert, dass der Vater auf der Straße erschossen worden sei. Ob von der Polizei oder von Hitlerleuten wusste Maria nicht. Aber als Roter war ja beides möglich. Dabei hatte Maria ihr zugezwinkert.

Maria hieß auch nur Maria, weil sie nicht getauft war. Keines der drei Mädchen, die von acht Geschwistern übrig geblieben waren, war getauft. Das hatte August, ein sanfter, leiser Mann mit buschigem Schnauzer, nicht zugelassen. Seiner Frau Erna, einer Erzkatholikin, konnte und wollte der Erzkommunist den regelmäßigen Kirchgang mit dem Brimborium, wie er es nannte, nicht verbieten. Das war ihre Angelegenheit, bitte schön. Aber die Kinder hielt er fern davon. Die sollten diesen Humbug erst gar nicht kennenlernen.

Erna war zornig, wusste aber, dass er darin hart bleiben würde, und so handelte sie als Trostpflaster, oder man konnte es auch als einen Vergleich bezeichnen, den Namen Maria für die erste Tochter aus.

Später, nach ein paar Buben, die alle schnell kamen und starben, kam Alma zur Welt und im Jahr darauf dann Augusta. Diesen Namen hatte nun ihr geschiedener Mann Hermann unpassend gefunden und sie in Gussy umgetauft. Mit einem Ypsilon hinten. Das klang mondäner und eine Spur ausländisch. Es gefiel Hermann und auch der nagelneuen Gussy. Erna, die Mutter, nannte sie selbstverständlich nie Gussy. Aber die mochte ja auch Hermann nicht.

Diese wichtigste aller Bangemachfragen – »Was denken wohl die Nachbarn?« – war, wie sie leider zugeben musste, immer noch ihr ständiger Begleiter.

»Rußflocken?« Gussy musste sofort husten.

»Ja, von der Braunkohle. Verbrennt jeder hier. Klütten.«

»Klütten?«

Das kleine Mädchen auf Frau Kaminskis Arm juchzte und warf seine Arme in die Luft. Die junge Frau nickte.

»So nennen wir hier die Briketts.«

»Briketts auch im Sommer?«

Wo um Gottes willen war sie gelandet? So weit entfernt von Frankfurt war Köln nun auch wieder nicht. Begann hier etwa schon das Ruhrgebiet?

»Nein.« Die sommersprossige Frau mit der durchscheinenden Haut musste wieder lachen. »Aber die Betriebe befeuern damit das ganze Jahr über, und wir haben nicht weit von hier den Tagebau. Da kann man sehen, wie sie die Braunkohle aus der Erde kratzen. Sieht nicht schön aus, das will ich Ihnen gleich sagen. Ihren Sonntagsspaziergang mit den Kindern machen Sie besser woanders.«

»Also Friedensschule. Das ist ein sehr guter Name für eine Schule, finde ich. Danke.«

Dann hatte Gussy vorsichtshalber das Weite gesucht.

Nun suchte sie das Büro des Direktors.

»Anmeldung« stand auf dem Schild neben der Tür, von Hand geschrieben. Eine spitze Hand, die als Kind noch Sütterlin geschrieben hatte. Das sah man gleich.

»Herein!«, erscholl eine Frauenstimme, die die zweite Silbe des Wortes eigentümlich nach oben zog und sie dort mit einem Fragezeichen ausklingen ließ. In ihrer alten Heimat Breslau hätte jeder nach dem »Herein« einen harten Punkt gesetzt. An die rheinländische Aussprache musste Gussy sich noch gewöhnen.

Behutsam schloss sie die Tür hinter sich und trat lächelnd ein. »Guten Morgen.«

Die Frau mit der grauen Dauerwelle, die ihren Kopf wie ein Helm zu schützen schien, trug eine weiße Bluse und ein adrettes Strickjäckchen darüber. Sie hatte sich zu Gussy gedreht.

»Ich möchte meine Tochter anmelden. Wir sind neu zugezogen.«

Die Frau musterte sie für einen Moment, ohne zu reagieren.

»Gut, haben Sie die notwendigen Papiere dabei?«

Gussy nickte und zog aus der Handtasche das Stammbuch mit der Geburtsurkunde ihrer Tochter hervor, das sie auf den Tisch legte.

»Brauchen Sie auch das letzte Zeugnis aus der Volksschule in Frankfurt am Main?«

Sie wedelte mit einem hellblauen Hefter, doch die Sekretärin schüttelte den Kopf.

»Frankfurt, soso. Das ist ja ein anderes Bundesland. Mit Hessen hatten wir noch nie zu tun.«

Gussy fand, dass sie sich jetzt so anhörte, als wäre es besser gewesen, wenn sie erst einmal eine bestimmte Zeit in Quarantäne verbracht hätten.

»Wir sind im Grunde auch keine Hessen«, verriet Gussy und versuchte dabei, munter zu lächeln. »Ich bin aus Breslau«, fügte sie schnell hinzu.

Die Sekretärin hob kurz den Kopf und musterte sie nun doch genauer.

»Ach, Vertriebene?«

Gussy zuckte kaum merkbar zusammen. Die Sekretärin blätterte im Stammbuch.

»Ich hatte eigentlich das hessische Schulwesen gemeint. Dort sind die Regeln ganz anders als bei uns.« Sie dehnte das »ganz«.

Gussy war neugierig geworden. »Ach? Was denn zum Beispiel?«

Sie war einen Schritt näher getreten, denn sie hatte nach den ersten zwei Minuten der Befangenheit etwas Mut gefasst. Sie brauchte immer mindestens zwei Minuten dafür, meist noch etwas länger.

»Vieles, Frau …«

»Fink.«

»Gut.«

Die Sekretärin zog die Schreibmaschine zu sich und begann zu tippen.

»Name der Tochter: Eva Hildegard Gundi Fink. Rufname Eva. Geboren am 7. August 1951 in Frankfurt am Main, wenn ich das richtig lese.«

Gussy nickte.

»Vater: Hermann Gustav Fink …« Sie setzte seine Geburtsdaten ein. »Was ist Ihr Mann von Beruf?«

Gussy war verwirrt. »Mein Mann?«

Die Sekretärin schaute auf. »Wer sonst?«

Gussy schluckte tapfer. »Das ist nicht wichtig.«

Die Augen der Frau mit dem grauen Helm weiteten sich.

»Nicht wichtig? Vielleicht in Hessen! Aber hier ist es wichtig. Ich höre.«

Sie hatte sich nun weit zu den Tasten hinuntergebeugt.

»Betriebswirt, Steuerberater«, flüsterte Gussy, als verrate sie ein Geheimnis.

»Wie bitte?«

»Steuerberater.«

Gussy räusperte sich und wollte etwas erklären, doch die Frau hatte schon wieder das Wort ergriffen.

»Wohnhaft?«

Sie legte die Meldebescheinigung vor.

»Hier.«

Es wurde getippt.

»Interessiert es Sie gar nicht, was ich beruflich mache?«

Gussy fand ihren Auftritt mittlerweile kühn. Tollkühn. Aber sie hatte sich durch die Scheidung für ein tollkühnes Leben entschieden.

»Nein, warum sollte es? Für uns ist nur der Vater entscheidend.« Die Frau hielt beim Tippen inne und schaute Gussy fest in die Augen. »Und nur er.«

»Aber wenn er nicht mehr …« Sie musste überlegen, wie sie es ausdrücken sollte.

»Wenn er tot ist?«, unterbrach sie die andere.

Die Stimme der grauen Frau hörte sich auf der Stelle mitleidig an. Sie schlug sich die Hand vor den Mund.

»Oh, Frau Fink, Entschuldigung – wie dumm von mir!«

Ihre Stimme klang nun auch noch sauer belegt. Gussy versuchte, tapfer zu lächeln, und schüttelte den Kopf. Sie brachte kein weiteres Wort mehr heraus.

In dem Moment sprang die Tür auf, und ein älterer Herr in dunklem Anzug, mit Uhrkette und Schmiss auf der linken Wange betrat federnden Schrittes den Raum. Er hielt abrupt an und runzelte die Stirn.

»Wen haben wir denn hier?«

Dann lächelte er wie ein gütiger Großvater in schlechten Kinderbüchern und ließ seinen Blick gefällig auf Gussy ruhen.

»Einen Neuzugang, Herr Doktor. Frau Fink aus Frankfurt am Main. Ursprünglich aus Schlesien, wenn Sie verstehen. Sie kommt, um ihre Tochter Eva bei uns in der Schule anzumelden.«

Der Direktor, denn um ihn handelte es sich offenbar, trat immer noch freundlich lächelnd auf Gussy zu und nahm ihre Hand in seine.

»Frau Fink ist Witwe.«

Er hielt ihre Hand fest. Gussy zog sie nach ein paar Sekunden aus seinem feuchten Griff heraus. Sie musste dabei fast ein wenig Kraft aufwenden.

»Ich bin nicht verwitwet, ich bin geschieden.«

Sie hatte es ausgesprochen. Es fiel ihr schwer, und selbst nach über einem Jahr schämte sie sich noch dafür. Die Strafe folgte umgehend.

»Oh! Sie hatten behauptet, Sie seien verwitwet!«

Die Sekretärin schüttelte empört den Kopf.

Gussy drehte sich zu ihr. Röte war ihr ins Gesicht geschossen.

»Oh nein, das habe ich nicht. Das haben Sie sich zusammengereimt, als ich fragte, ob es denn unwichtig sei, was ich selbst beruflich mache.«

Der Direktor warf seiner Untergebenen einen spöttischen Blick zu und wandte sich dann wieder an Gussy.

»Das ist doch kein Beinbruch, verehrte Frau. Das kommt immer wieder einmal vor. Heutzutage ist das gar nicht mehr selten. Bedauerlich, aber so ist es halt. Die Zeiten haben sich geändert. Und ich bin sicher, dass Frau Fink schuldlos geschieden wurde. Habe ich recht?«

Er tätschelte ihr die Wange, und Gussy wich instinktiv zurück. Sie merkte, wie Tränen in ihr hochstiegen, und schluckte mehrmals hintereinander.

»Selbstverständlich.«

Hermann hatte alle Schuld auf sich genommen, nachdem sie ihm gedroht hatte, den eigentlichen Grund für die Scheidung vor Gericht zur Sprache zu bringen.

Eine Klingel schepperte auf dem Flur, und der Direktor verabschiedete sich hastig und erleichtert.

Als er verschwunden war, überprüfte Gussy rasch ihren falschen Dutt, der immer noch tadellos saß. Sie versuchte, die Sekretärin weitgehend zu ignorieren, die nun in Höchstgeschwindigkeit tippte. Es vergingen ein paar Sekunden. Plötzlich hob die Sekretärin wieder den Kopf.

»Waren Sie schon in St. Maria Königin?«

Es klang nach einer ganz normalen Frage.

»Nein, warum?«

Die Frau stand nun langsam von ihrem hölzernen Drehstuhl auf und steuerte auf Gussy zu.

»Warum?« Sie klang belustigt. »Das liegt ja wohl auf der Hand. Wenn man an einen neuen Ort zieht, begibt man sich doch sofort zu der Gemeinde, der man in Zukunft angehören wird. Zu Gott am neuen Lebensmittelpunkt, oder etwa nicht?«

Gussy nickte verwirrt, erwiderte aber nichts.

»Und das ist in Ihrem Fall St. Maria Königin. Die für Sie zuständige Kirchengemeinde. Pater Koch ist ein überaus sympathischer Priester, sehr modern und tolerant eingestellt. Er wird mit der Scheidung sicher kaum ein Problem haben, da haben Sie wirklich Glück gehabt. Da gibt es ganz andere …«

Gussy reichte es. »Wir sind nicht katholisch.«

»Oh!«

Die Sekretärin zuckte zurück, als hätte ihr Gussy gerade eine bis dato geheim gehaltene Cholerainfektion offenbart.

»Was sagen Sie da? Warum sind Sie dann überhaupt hier und stehlen mir meine Zeit?«

Gussy schaute wieder verwirrt. »Ich stehle Ihre Zeit?« Sie begriff gar nichts.

»Jawohl!«

Die graue Frau riss den Bogen aus der Schreibmaschine, auf den sie getippt hatte, und zerriss ihn in kleine Teile, die sie theatralisch in den geflochtenen Papierkorb beförderte.

»Ich bin hier, um meine Tochter in der Schule anzumelden!«

Gussy versuchte, nicht verzweifelt zu klingen. Sie musste das Missverständnis in Ruhe aufklären. Ohne Anspannung, ohne Wut, ohne das Gefühl, gedemütigt zu werden.

»Frau Fink, dies ist eine rein katholische Volksschule. Haben Sie gehört? Katholisch. Römisch-katholisch, genau genommen. Und was sind Sie?«

»Evangelisch.«

Gussy war ruhig geblieben. Alles kam ihr wie ein Traum vor. Ein hässlicher Traum.

»Da müssen Sie zur Schule an der Buchenstraße. Die nimmt solche Kinder.«

Jetzt schaute Gussy sie fragend an. In Frankfurt waren evangelische mit katholischen Kindern in ein und dieselbe Schule, ja sogar in dieselbe Klasse gegangen. Es waren sogar ein paar Ungetaufte in Evas Klasse gewesen.

»Wir haben auch zwei Heidenkinder«, hatte sie stolz am ersten Tag berichtet. »Die sehen aber aus wie wir.«

»Und wo ist die Buchenstraße?«

Die Sekretärin legte den Kopf schief und erklärte ihr widerwillig den Weg dorthin.

»Wie weit von hier ist das?«

»Ungefähr zwanzig Minuten zu Fuß. Für Kinder möglicherweise etwas mehr.«

Gussy erblasste. »Aber dann müsste meine Eva ja jeden Tag mehr als eine halbe Stunde zur Schule laufen! Und eine halbe Stunde zurück. Nur weil sie evangelisch ist!«

»Es gibt nur eine Schule für Evangelische, und an Ihrer Stelle würde ich mich dankbar zeigen, denn bis vor zwei Jahren gab es in diesem Stadtteil überhaupt keine Schule für die. Die mussten mit dem Bus in den nächsten Stadtteil fahren. Und der kostet, wie Sie wissen. Aber wegen der vielen Flüchtlinge aus dem Osten haben sie dann auch hier bei uns eine aufgemacht. Die Kleinen können ja schließlich nichts dafür. Aber so sind die Regeln. Viel Glück.«

Als Gussy wenig später auf die Straße trat, spürte sie, wie ihr übel wurde. Blitzschnell rannte sie zu ein paar Sträuchern, die sie an der Ecke erspäht hatte, und hinter dem knospenden Rhododendron gab sie ihr Frühstück von sich.

Köln, 19. November 1960

»Kann ich helfen?«

Gussy schloss vorsichtig die Tür der kleinen Küche und lächelte ihren Schwager Hubert fröhlich an. Der baumlange Mann mit dem akkurat gezogenen Scheitel schaute kurz auf, schüttelte den Kopf, bedeutete ihr aber zu bleiben. Er rührte mit einem Holzlöffel in einer Porzellanschüssel, in der bleiche Heringe in Milch schwammen. Vielleicht lagen sie auch auf der Lauer.

»Hat Alma die etwa eingelegt?«

Gussy beugte sich nun ebenfalls über die Fische und sog den leicht säuerlichen Geruch der Tunke genussvoll ein. Gussy liebte Süßsaures.

»Alma? Machst du Witze?«

Hubert schluckte das, was er auf der Zunge hatte, offenbar hinunter. Gussy nickte mit einem frechen Grinsen.

»Nein, das war Oma. Eure Mutter macht wunderbare Heringe nach schlesischer Hausfrauenart. Das weißt du doch.«

Ja, das wusste sie, und sie wusste natürlich auch, dass ihre Schwester Alma keine Heringe einlegte. Manchmal ritt sie, wie schon in ihrer Kindheit, der Teufel.

Alma buk nicht, briet nicht, kochte nicht und weckte nicht ein.

Die Versorgung der siebenköpfigen Familie, die in dem kleinen schmucken Reihenhaus mit dem handtuchgroßen Gemüsegarten im Norden Kölns lebte, hatte Gussys Schwester komplett in die Hände ihrer drei Töchter und ihrer Mutter Erna gelegt. Der Sohn musste im Haushalt nicht mit anpacken, das war nur für die älteren Mädchen Pflicht, selbst nach einem anstrengenden Arbeitstag bei ihrer Lehrstelle.

Am Wochenende, so wie heute, half auch Almas Mann Hubert mit. Er überprüfte die Würzung der Mahlzeiten und schmeckte gern noch einmal ab.

Gussy mochte ihren Schwager. Er schenkte ihr wenigstens manchmal ein aufmunterndes Wort und versicherte ihr, dass es für sie nach der Scheidung bald wieder aufwärtsgehen würde, was ihrer Schwester und der Mutter nie über die Lippen gekommen wäre.

Hubert tunkte den Löffel in die Heringsmilch und reichte ihn ihr. »Habt ihr euch schon eingelebt?«

Gussy schluckte, und ihre rehbraunen Augen strahlten. »Lecker! Wie zu Hause!«

Hubert nahm den Löffel zurück und leckte ihn ab. »Hier ist doch zu Hause.«

Hubert und Alma waren mit ihren zwei Kleinsten gleich nach dem Krieg aus Breslau vertrieben worden. Auf dem großen Treck mit hunderttausend anderen hatte der gelernte Schweißer gehört, dass die amerikanische Autofirma am Rhein dringend Fachleute suchte, und er hatte sich zielorientiert mit seiner Familie nach Köln durchgeschlagen.

Vom einfachen Schweißer hatte er sich in den Fünfzigerjahren zum Vorarbeiter hochgearbeitet und war schließlich von der Firma mit einem günstigen Kredit für ein Eigenheim für kinderreiche Angestellte belohnt worden.

Zu dieser Zeit lebte Gussys Mutter Erna schon bei ihnen, nachdem Hermann sie nach einem heftigen Krach in Frankfurt vor die Tür gesetzt hatte. Gussy war damals erleichtert gewesen, obwohl ihr die Art, wie Hermann ihre Mutter behandelte, nicht gefiel. Aber in dem Streit hatte sie auf seiner Seite gestanden. Sie schob den Gedanken weg.

»Ja, Gott sei Dank sind jetzt alle Wohnungen bei uns im Haus belegt, und es ist nicht mehr so leer und unheimlich wie am Anfang«, beantwortete sie Huberts Frage. »Und nach dem Fiasko bei Evas Einschulung hat mich Volkers Kindergarten total überrascht.«

»Wie meinst du das?«

Gussy erzählte empört von der strikten Glaubenstrennung zwischen Katholiken und Protestanten an den Kölner Volksschulen.

»So etwas gab es in Frankfurt nicht«, schloss sie.

Hubert grinste.

Seine ganze Familie ging jeden Sonntagmorgen vollzählig zur katholischen Messe. Selbst Gussys Schwester, die einst ungetaufte Alma, hatte in den Schoß der »wahren« Kirche, wie sie es gern nannte, gefunden und war in Gussys Augen fast obszön fromm geworden.

Oma Erna dagegen war in einem skandalösen Akt der Rebellion nach dem Tod ihres gottlosen Ehemanns zum evangelischen Glauben übergetreten. Als Begründung hatte sie damals angegeben, der Teufel sei hinter ihren Kindern her gewesen.

Der Teufel war nämlich in Gestalt des zuständigen katholischen Pfarrers in den Wochen der Weltwirtschaftskrise in Ernas ärmliche Behausung getreten und hatte der verzweifelten Witwe in Aussicht gestellt, dass ihr die Kirche für jedes katholisch getaufte Kind eine ordentliche Summe zukommen lassen würde. Das würde den Verlust der Einkünfte des nun bedauerlicherweise verstorbenen Familienvaters etwas abfedern.

»Ich verkaufe doch nicht die Seelen meiner Kinder!«, hatte Erna damals empört geschrien und den verstörten Priester an die frische Luft gesetzt.

Hubert nahm seine Schwägerin jetzt bei den Schultern.

»So sind die Kölner, Gussy. Etwas bigott, aber letztlich harmlos und fröhlich. Das ist ganz anders als in Breslau. Mir gefällt es hier. Und was ist mit Volkers Kindergarten?«

Der kleine Volker würde erst im kommenden Jahr eingeschult werden. Nachdem Gussy endlich drei Putzstellen gefunden hatte, die sie dringend zum Überleben brauchte, hatte sie zaghaft im nahe gelegenen Kindergarten bei St. Maria Königin angefragt, obwohl sie fest davon überzeugt war, dass die römisch-katholische Einrichtung ihren evangelischen Jungen ablehnen würde.

»Und?«

Gussy strahlte ihren Schwager an. »Sie haben ihn genommen!«

Hubert ließ sie los und lachte.

»Na siehste! Wir Katholen sind doch nicht so schrecklich, wie ihr Evangelen immer sagt. Aber hör mal, schickt Hermann dir denn immer noch nichts für die Kinder?«

Er war dicht bei ihr stehen geblieben.

In dem Moment wurde die Küchentür aufgerissen, und Alma schob ihre massige Gestalt in den Türrahmen. Um ihren gespitzten Mund spielte ein aufgesetztes Lächeln. Hubert trat an den Tisch zurück und rührte in der Schüssel.

»Ach, hier seid ihr?«

Alma warf ihrem Mann einen strafenden Blick zu und näherte sich dann ihrer jüngeren Schwester. Gussy errötete leicht, als hätte Alma sie bei etwas Verbotenem erwischt.

»Wir haben Mamas eingelegten Hering probiert. Und uns verquatscht.«

Almas Äuglein huschten vom einen zur anderen.

»Das sehe ich«, knurrte sie. »Wir warten auf euch. Mama ist extra aus ihrem Zimmer heruntergekommen, Augusta. Ihr geht es heute nicht so gut. Aber das braucht dich ja nicht zu kümmern. Das ist ja unsere Aufgabe …«

»Aber …«

Gussy wollte einwenden, dass sie sich auch für die Mutter verantwortlich fühle. Schließlich kam sie jeden zweiten Sonntag mit ihren beiden Kindern hierher, um sich um Erna zu kümmern. Dafür brauchten sie jedes Mal fast zwei Stunden hin und zwei Stunden zurück. Zuerst mussten sie eine halbe Stunde lang zu Fuß durch ein unwirtliches Gewerbegebiet im Westen der Stadt, weit hinter Lövenich. Dabei hinkte der kleine Volker meist schon nach der Hälfte des Wegs und klagte über Schmerzen im Bein. Dann fuhren sie fast eine halbe Stunde mit der Straßenbahn ins Stadtzentrum bis zum Rudolfplatz. Dort mussten sie umsteigen und vierzig Minuten bis zur Endstation fahren, wo sie noch einen Fußweg von zwanzig Minuten durch die neue Siedlung zurücklegen mussten. Und das Ganze kostete knapp vier Mark hin und zurück, da es über die Stadtgrenze ging. Dabei verdiente Gussy nur eine Mark fünfzig die Stunde bei ihren Putzstellen.

»Ich komme doch jedes zweite Wochenende wegen Mama. Deshalb bin ich ja nach Köln gezogen. Um in der Nähe zu sein.«

Gussys Stimme klang schwach. Alma grinste sie spöttisch an.

»So viel Rücksichtnahme wäre wirklich nicht nötig gewesen, Augusta. Und komm uns nicht mit deiner Sehnsucht nach Mama. Du hast sie ja schon vor Jahren vor die Tür gesetzt. Die eigene Mutter!«

»Alma, bitte …«

Huberts Stimme hatte einen drohenden Unterton angenommen. Alma ignorierte ihn. Stattdessen wandte sie sich der Schwester zu und grinste schief.

»Du hast dich ja schon immer für etwas Besseres gehalten. Nun siehst du, wie weit man damit kommt. Nachdem du deine Ehe mit diesem Windhund in den Sand gesetzt hast, kommst du jetzt angekrochen, um zu schauen, was du bei uns noch abstauben kannst. Sonst hättest du ja bequem in Frankfurt bleiben können. Wer zieht schon freiwillig um in diesen Zeiten, noch dazu mit zwei kleinen Kindern? Mir machst du nichts vor.«

Alma schnaubte wütend wie ein bockiges Pferd und tunkte ihren Zeigefinger in die Heringsschüssel. Dann zog sie ihn wieder heraus und leckte ihn ab.