Bullshit-Resistenz - Philipp Hübl - E-Book

Bullshit-Resistenz E-Book

Philipp Hübl

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Beschreibung

Bullshit ist überall - aber er lässt sich erkennen und wir können uns dagegen wappnen

Im Zeitalter der digitalen Medien sind wir konfrontiert mit Lügen, Fake News und Verschwörungstheorien: Bullshit ist überall. Der Begriff steht für all das, was falsch, irreführend oder einfach so dahergesagt ist. Mit der viralen Verbreitung von Bullshit, vor allem in den sozialen Netzen, gerät die Demokratie in Gefahr. Philipp Hübl erklärt, inwiefern uns Stammesverhalten und unkritisches Denken für Bullshit anfällig machen und warum uns die Fakten nicht egal sein dürfen. Er zeigt uns aber auch, wie wir resistenter, also widerstandsfähiger werden können, um uns zu schützen. Bullshit-Resistenz in der Tradition der Aufklärung bedeutet: »Die Verantwortung für die Wahrheit liegt bei jedem Einzelnen selbst.«

Vom Autor aktualisierte und erweiterte Ausgabe

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Philipp Hübl ist Philosoph und hat Theoretische Philosophie an der RWTH Aachen, der Humboldt-Universität Berlin und als Juniorprofessor an der Universität Stuttgart gelehrt. Danach war er Gastprofessor für Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität der Künste Berlin. Er ist Autor des Bestsellers »Folge dem weißen Kaninchen« (2012), der Bücher »Der Untergrund des Denkens« (2015), »Die aufgeregte Gesellschaft« (2019) und »Moralspektakel« (2024) sowie von Beiträgen unter anderem in der Zeit, FAZ, taz, NZZ, Welt, FR, im Standard, Deutschlandradio und Philosophie Magazin. Hübl hat Philosophie und Sprachwissenschaft in Berlin, Berkeley, New York und Oxford studiert.

Bullshit-Resistenz in der Presse:

»Wie man in all dem Müll, den das Internet so hervorbringt, zur Wahrheit und Klarheit findet. Ein praktischer Almanach für die Jackentasche.« Christian Seidl, Berliner Zeitung

Außerdem von Philipp Hübl lieferbar:

Folge dem weißen Kaninchen

PHILIPP HÜBL

BULLSHITRESISTENZ

Wie wir uns vor Lügen, Fake News und Verschwörungstheorien schützen können

Der Titel ist erstmals 2018 bei Nicolai Publishing & Intelligence GmbH, Berlin, erschienen und wurde für die vorliegende Ausgabe überarbeitet und aktualisiert.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2024 by Penguin Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Covergestaltung: total italic/Thierry Wijnberg

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-31927-4V001

www.penguin-verlag.de

Inhalt

Schlechte Nachrichten   Bullshit ist überall

Kapitel 1   Täuschung und Lüge

Kapitel 2   Nichts als die Wahrheit

Kapitel 3   Digitaler Bullshit

Kapitel 4   Die Psychologie des Bullshits

Kapitel 5   Resistenz

Dank

Anmerkungen

Literatur

Schlechte Nachrichten   Bullshit ist überall

Früher war die Welt noch in Ordnung. Da hatten Lügen im kleinen Familienkreis keine Auswirkung auf die Weltpolitik. Jetzt, in Zeiten digitaler Netze wie Facebook, Instagram, TikTok und Twitter/X, können sie internationale Konflikte auslösen. Ein Beispiel: Sie sei von drei »Südländern« vergewaltigt worden, erzählt die 13-jährige Lisa F. aus Berlin-Marzahn, als sie am 12. Januar 2016 nach Hause kommt.[1] Am Tag zuvor haben die deutschrussischen Eltern sie als vermisst gemeldet, weil sie nach der Schule nicht zurückgekehrt ist. Die Nachricht gelangt an die Presse und verbreitet sich schnell in den russischsprachigen sozialen Medien. Wie sich bald darauf herausstellt, hat Lisa F. gelogen, weil sie Probleme in der Schule hatte. Sie hat bei einem Bekannten übernachtet. Trotz einer Stellungnahme der Polizei breitet sich die Geschichte der Vergewaltigung weiter aus. Ein russischer Staatssender bezichtigt die deutschen Behörden der Vertuschung.[2] Vor dem Kanzleramt in Berlin demonstrieren 700 Menschen für Lisa F.[3] In Berlin-Marzahn demolieren Russlanddeutsche den Eingangsbereich eines Flüchtlingsheims und verletzen den Wachmann. Noch zwei Wochen später wirft der russische Außenminister Sergei Lawrow den deutschen Behörden vor, »die Wirklichkeit … politisch korrekt zu übermalen«, wofür ihn der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier scharf kritisiert.[4]

Der Fall »Lisa F.« ist eine von zahlreichen Falschmeldungen, die in jüngster Zeit politische Bedeutung erlangten. Anfang Dezember 2016 reist Edgar Maddison Welch von North Carolina nach Washington D.C. und stürmt mit einem Gewehr die Pizzeria Comet Ping Pong, weil er im Internet gelesen hat, dass von dort ein Kinderpornographie-Ring agiert, dem auch Hillary Clinton angehört. Er feuert drei Schüsse ab, verletzt zum Glück niemanden und wird verhaftet. Der Schütze Welch hing einer im Internet weitverzweigten Verschwörungstheorie an, die sich unter dem Hashtag #pizzagate verbreitet hat.[5]

Ende Dezember 2016 liest der pakistanische Verteidigungsminister Khawaja Asif auf einer Webseite den Text »Israels Verteidigungsminister: Falls Pakistan unter irgendeinem Vorwand Truppen nach Syrien schickt, werden wir dieses Land (Pakistan) mit einem Atomangriff zerstören«.[6] Asif schreibt daraufhin über den Nachrichtendienst Twitter/X: »Israel vergisst, dass Pakistan auch eine Atommacht ist.« Die Nachricht auf der Webseite war frei erfunden.

Im Jahr 2012 verkündet die iranische Nachrichtenagentur Fars, wenn weiße US-Amerikaner aus ländlichen Gebieten die Wahl hätten, würden sie laut einer Umfrage eher für den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad stimmen als für Barack Obama. Zudem würden 77 Prozent lieber zusammen mit Ahmadinedschad zu einem Baseballspiel gehen als mit Obama. Diese Nachricht stammt von der Satire-Webseite The Onion, von der die Nachrichtenagentur Fars wörtlich abgeschrieben hat, ohne zu bemerken, dass es sich um einen Scherz handelt.[7]

Im Zeitalter der digitalen Medien stehen Falschmeldungen, Satire und offensichtliche Verschwörungstheorien unterschiedslos neben gut recherchierten Nachrichten. Das Problem ist offenbar nicht auf die Rezipienten[8] der sozialen Medien beschränkt, sondern betrifft auch die Produzenten von Nachrichten. Manchen Mediennutzern scheint es schwerzufallen, Wahrheit und Unwahrheit zu unterscheiden. So kann Bullshit manchmal internationale Bedeutung erlangen.

In diesem Buch geht es um Bullshit im Zeitalter der digitalen Medien, und zwar in der weiten Alltagsbedeutung von »Unfug aller Art«, also um Lügen, Fake News, Verschwörungstheorien, Pseudowissenschaft und Geschwurbel. Im deutschen Sprachgebrauch bezeichnet »Bullshit« nämlich inzwischen wie im Englischen alles, was falsch, gelogen, irreführend, unverständlich oder einfach so daher gesagt ist.

»Bullshit« ist aber außerdem ein philosophisches Fachwort. Die philosophische Lesart ist enger gefasst und zielt nicht auf das Ergebnis, sondern auf den Vorgang, also die Bullshit-Produktion. Darum wird es ebenfalls in diesem Buch gehen. Der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt bezeichnet eine Person als »Bullshitter«, wenn sie einfach etwas behauptet, ihr die Wahrheit ihrer Aussage aber egal ist.[9] Im Gegensatz zum Lügner sagt der Bullshitter nicht absichtlich etwas Falsches, sondern nimmt die Unwahrheit billigend in Kauf, zum Beispiel, weil er gebildet wirken möchte oder weil er online Geld mit gefälschten Geschichten verdienen will, die Aufmerksamkeit und damit Werbeeinnahmen erzeugen.

Neben dem Lügner, der absichtlich die Unwahrheit sagt, und dem Bullshitter, dem die Wahrheit egal ist, gibt es nach meiner Analyse noch einen dritten Typus, und zwar den Trottel, der fahrlässig im Umgang mit der Wahrheit ist. Der Trottel macht sich nicht die Mühe, eine Information auf ihre Plausibilität oder ihre Quelle hin zu überprüfen, sondern denkt: »Wird schon stimmen.« Die Übergänge zwischen den drei Typen sind fließend. Entscheidend ist: Alle drei vermehren den Unfug in der Welt. Und wir alle waren schon Lügner, Bullshitter und vor allem Trottel. Wir haben einfach etwas geglaubt, weitererzählt und weitergeleitet, ohne es gründlich zu prüfen.

In den letzten zehn Jahren hat sich die mediale Öffentlichkeit radikal verändert. Dabei stechen drei wesentliche Faktoren hervor. Erstens sind alle Menschen inzwischen zu Autoren geworden, denn durch die sozialen Medien ist es jedem Einzelnen möglich, sich anderen mitzuteilen, potentiell Tausende Menschen zu erreichen und durch Informationen zu beeinflussen. Experten wie Journalisten oder Wissenschaftler sind also keine »Gatekeeper« mehr, Torhüter des Wissens, die entscheiden, welche Informationen an die breite Öffentlichkeit gelangen.

Zweitens haben sich in den letzten Jahren die technischen Möglichkeiten, Nachrichten, aber auch Fotos und Filme zu fälschen, exponentiell verbessert – vor allem durch Künstliche Intelligenz, also AI-Programme wie ChatGPT, DALL•E2 oder Midjourney, die täuschend echte Texte, Bilder und Videos generieren sowie durch Bots, also durch Computerprogramme, die online menschliches Verhalten imitieren.[10] Selbst Experten fällt es daher schwer, echte Videos und Nachrichten von gefälschten zu unterscheiden. Der Satiriker Snicklink hat beispielsweise ein Interview der Umweltaktivistin Greta Thunberg so bearbeitet, dass es schien, als würde sie sich für »klimafreundliche Kriege«, »vegane Handgranaten« und »biologisch abbaubare Raketen« einsetzen.[11] Obwohl am Rand des Videos der Warnhinweis »Satire« eingeblendet war, haben so viele Mediennutzer das Interview für authentisch gehalten, dass sich die Nachrichtenagentur Reuters veranlasst sah, einen Artikel zu veröffentlichen, der die humoristische Fälschung entlarvte.[12]

Schon ohne große Technik kann man Menschen mit einer geschickten Kombination aus Wort und Bild in die Irre führen, wie der Physiker Etienne Klein es getan hat, der auf Twitter/X voller Begeisterung ein hochauflösendes Bild von Proxima Centauri, einem etwa 4,2 Lichtjahre entfernten Stern, gepostet hatte, aufgenommen vom James Webb Space Telescope. Tatsächlich hat der Direktor des französischen Forschungszentrums für Kernenergie das Foto einer Salamischeibe verwendet, um scherzhaft vor unserer »Autoritätshörigkeit« zu warnen.[13]

Der dritte Faktor für eine radikal neue Öffentlichkeit ist eine gefühlte Dauerkrise. Zwar ist die Welt so friedlich und sicher wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte.[14] Doch durch einen nie abbrechenden Strom von drastischen Nachrichten haben wir den Eindruck, alles werde immer schlimmer.[15] Gerade wenn wir existenzielle Fragen öffentlich verhandeln, in denen es um Krieg und Gewalt, Leben und Tod, Sicherheit und Gesundheit geht, sind wir besonders anfällig für sogenannte identitätsschützende Denkfehler. Wie sich später im Buch zeigen wird, neigen wir dazu, Informationen gerade dann zu konsumieren und weiterzuverbreiten, wenn sie unseren Wertvorstellungen entsprechen und wenn sie starke moralische Emotionen wie Hoffnung, Angst, Abscheu oder Empörung in uns hervorrufen.

So war die Coronapandemie in den Jahren 2020 bis 2022 ein Schallverstärker für Fake News, Verschwörungstheorien und Wissenschaftsfeindlichkeit. Zahlreiche Menschen haben nicht nur die Existenz des Virus geleugnet oder dunkle Mächte hinter der Impfkampagne ihrer Regierung vermutet, sondern auch den Virologen Christian Drosten und andere Fachleute in den sozialen Medien heftig angefeindet, wenn diese Nachrichten überbrachten, die die Leugner der Pandemie oder die Kritiker der Kontaktbeschränkung nicht wahrhaben wollten.[16] Wissenschaftler wurden sogar von Journalisten attackiert, wenn sie den Maßnahmen der Bundesregierung während der Pandemie kritisch gegenüberstanden – wie beispielsweise Drostens Kollege, der renommierte Virologe Hendrik Streeck, der eine mediale Hetzkampagne über sich ergehen lassen musste.[17]

Die jüngste Quelle für teils unsägliche Fake News und politische Propaganda sind Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Krieg zwischen Israel und der palästinensischen Terrororganisation Hamas im Gazastreifen, nachdem diese bei einem Anschlag in Israel im Oktober 2023 mehr als 1200 Zivilisten brutal ermordet hatte. Die jeweiligen Konfliktparteien fechten nicht nur einen militärischen Konflikt, sondern auch einen Propagandakrieg aus, in dem Bilder und Nachrichten zu medialen Waffen werden, auf die gelegentlich sogar seriöse Rundfunkanstalten hereinfallen wie die britische BBC, die 2023 berichtete, israelische Truppen hätten im Gazastreifen bei einem Einsatz in einem Krankenhaus die behandelnden Ärzte attackiert – eine Falschmeldung, die sie daraufhin korrigieren musste.[18] Zusätzlich ist die Diskussion über diese kriegerischen Konflikte zu einer Stellvertreterdebatte für die politische Positionierung in der Öffentlichkeit geworden, in der es oft nur um moralische Selbstdarstellung und nicht um die Lösung politischer Probleme geht.[19]

Wie ich in diesem Buch zeige, ist durch die Verbreitung von Fake News, Verschwörungstheorien und anderem Bullshit in den sozialen Medien die Demokratie in Gefahr.[20] Denn um das Leben der Menschen zu verbessern, sei es mit politischen Maßnahmen, Impfungen gegen Pandemien, Lieferungen von Hilfsgütern oder dem Bau von Kitas in der Nachbarschaft, muss man sich in einer Gesellschaft zuallererst auf eine faktische Grundlage einigen, also darauf, wie es sich tatsächlich verhält.[21] Der viel diskutierte Vorschlag jedoch, durch neue Gesetze oder bessere staatliche Kontrolle Bullshit einzudämmen, entspringt einer falschen Idee. Wir können die Bewertung von Informationen nur bis zu einem bestimmten Punkt delegieren und schon gar nicht allein den Staatsorganen überlassen. Am Ende sind wir immer auf uns selbst gestellt.

Meine These lautet: Die Verantwortung für die Wahrheit liegt bei jedem Einzelnen. Um die Demokratie und uns selbst vor Bullshit zu bewahren, müssen wir selbst resistenter, also widerstandsfähiger werden. Die dafür benötigte Bullshit-Resistenz bedeutet nicht nur, dass wir uns vor Fake News, Verschwörungstheorien und anderem Unfug schützen, sondern auch, dass wir uns selbst davor bewahren, zum Lügner, Bullshitter oder Trottel zu werden. Insofern steht Bullshit-Resistenz in der Tradition der Aufklärung.

In seinem Aufsatz »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?« hat Immanuel Kant seinen Lesern geraten, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, aber leider nicht ausgeführt, wie das im Detail auszusehen hat.[22] Kants Ratschlag, selbst zu denken, richtet sich vornehmlich gegen den Dogmatismus der Religionen. Heutzutage muss man ihn auf alle Arten ideologischer Beeinflussung ausweiten.[23] Selbst zu denken heißt auch, sich selbst gegen Bullshit zu schützen. Und dafür muss man auf fünf Fragen eine Antwort geben.

Erstens: Warum lügen und täuschen Menschen?Zweitens: Was ist Wahrheit?Drittens: Warum breitet sich Bullshit im Internet aus?Viertens: Warum sind wir überhaupt anfällig für Bullshit?Fünftens: Wie können wir uns davor schützen?

Um diese fünf Fragen geht es in den folgenden Kapiteln.

Kapitel 1   Täuschung und Lüge

Die Welt will getäuscht werden

Vor vielen Jahren wohnte ich bei meinem Freund Max[1] in London. Wir waren ständig pleite, konnten uns kaum die Fahrkarten für die London Underground leisten und kamen schon gar nicht an den Türstehern der Nachtclubs vorbei, die eigentlich nur Mitglieder reinließen. Das war Anfang 2004. Er studierte an der London School of Economics, ich arbeitete an meiner Doktorarbeit.

Max war bei einem Studentenjob für die Klatschpresse klargeworden: Wenn man eine gute Geschichte erzählt, muss man es mit der Wahrheit nicht ganz so genau nehmen. So landeten wir in einem winzigen Copyshop in Chinatown, ließen uns Visitenkarten drucken und waren plötzlich die Chefs der Pariser Modelagentur MGM.

Beim ersten Versuch an der Tür eines Clubs war ich noch nervös. Wir behaupteten, dass wir als Modelagentur für unsere Jahresfeier den »besonderen Ort« in London suchten. Diese Geschichte, unser Auftreten und die Visitenkarten erschienen mir so unglaubwürdig, dass ich mir sicher war, wir müssten unverzüglich auffliegen. Der Gedanke an die Entlarvung machte mich noch nervöser. Max riet mir, die Anspannung in eine Anspruchshaltung umzuwandeln. Je mehr ich mir vorstellte, dass ich als Chef von MGM vor einem Club warten musste, desto besser füllte ich meine neue Rolle aus und desto souveräner wurde ich.

Max war gerade sichtbar verwundert darüber, dass das Fax aus Paris nicht eingetroffen war, das unseren Besuch ankündigte. Als die Frau am Einlass seinen Namen nicht auf der Gästeliste finden konnte, legte er ihr die Visitenkarte hin und sagte: »Da steht der Name doch.« Das funktionierte, und wir kamen rein. Schon am nächsten Tag fassten wir den Entschluss, in Zukunft bei den Clubs im Voraus anzufragen. Das wirkte tatsächlich seriöser, und die Besitzer waren jedes Mal begeistert.

Vielleicht war ein Schlüssel zum Erfolg, dass auf meiner Karte »Philipp v. Hannover« stand. Für den Namen konnte ich nichts. Als auf einer Feier eines Juweliers eine Reihe älterer Damen und Herren mit Titeln vorgestellt wurde und ich als Letzter an die Reihe kam, führte mich Max im Scherz als »Prince Philipp of Hannover« in die Gesellschaft ein. Ganz falsch war das nicht. Schließlich stamme ich aus Hannover. Und weil der Juwelier mitspielte und mich seitdem nur noch »Prince Philipp« nannte, zog niemand den Namen in Zweifel. Bis heute wissen wir nicht, ob er selbst daran glaubte oder einfach nur einen deutschen Prinzen bei seiner Feier haben wollte. Der Name verbreitete sich schnell. Bei einem Gartenfest ein paar Wochen später kamen die Kinder der Gastgeberin zu mir und fragten mich ganz aufgeregt, ob ich ein echter Prinz sei. Da konnte ich natürlich nicht »nein« sagen, ich wollte sie ja nicht enttäuschen.

All das geschah, lange bevor ich Thomas Manns Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull und Harry Domelas Autobiographie Der falsche Prinz