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Kara Swisher legt eine witzige, bissige, aber faire Abrechnung mit der Tech-Industrie und ihren Gründern vor. Sie berichtete seit den frühen 1990er-Jahren über den Aufstieg von Google, Apple, Amazon und Co und blickt auf eine unglaubliche Erfolgsbilanz zurück. Ihre Artikel und ihr Netzwerk sind legendär. Ihre Streitlust und ihr Witz auch. Ein Tech-CEO vermutete einmal, sie würde "in den Heizungsschächten lauschen", und Sheryl Sandberg sagte: "Es ist ein Running Gag, das Leute Memos schreiben und sagen: 'Ich hoffe, Kara sieht das nie.'" Teils Memoiren, teils Geschichte und vor allem ein Bericht über die mächtigsten Akteure der Tech-Branche: Dies ist die Insider-Story, auf die alle gewartet haben, über das Silicon Valley und die größte Gelddruckmaschine der Menschheitsgeschichte.
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Seitenzahl: 447
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BURN BOOK – A TECH LOVE STORY
KARA SWISHER
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
Burn Book: A Tech Love Story
ISBN 978-1-9821-6389-1
Copyright der Originalausgabe 2024:
Copyright © 2024 by Kara Swisher
All Rights Reserved.
Published by arrangement with the original publisher, Simon & Schsuter, LLC
Copyright der deutschen Ausgabe 2024:
© Börsenmedien AG, Kulmbach
Übersetzung: Börsenmedien AG, Frank Sievers
Gestaltung Cover: Jackie Seow
Coverfoto: Piotr Sikora
Gestaltung, Satz und Herstellung: Karla Sachs
Lektorat: Claus Rosenkranz
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86470-998-2
eISBN 978-3-86470-999-9
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Für Walt Mossberg
Du hast in der ersten Zeile deiner ersten Kolumne über Technologien geschrieben: „Personal Computer sind zu schwer zu bedienen, aber das ist nicht Ihre Schuld.“ Das gilt auch gut 30 Jahre später noch, genau wie die Tatsache, dass du den Verlauf meines Lebens in einer Weise verändert hast, die ich dir niemals vergelten kann. Und das ist – Glück für mich – deine Schuld.
PROLOG Schäfchen, die Schäfchen brauchen
KAPITEL 1 Babylon war einmal
KAPITEL 2 Vor dem Goldrausch
KAPITEL 3 Kalifornien, ich komme
KAPITEL 4 Such mich
KAPITEL 5 Der Mungo
KAPITEL 6 Das Ende vom Anfang
KAPITEL 7 Der goldene Gott
KAPITEL 8 Sillywood
KAPITEL 9 Der gefährlichste Mann der Welt
KAPITEL 10 Der Ubermensch
KAPITEL 11 Aufrecht bleiben
KAPITEL 12 Gute Knochen
KAPITEL 13 Ich, Arschloch
KAPITEL 14 Menschliche Menschen
KAPITEL 15 Umschwenken
KAPITEL 16 Komm mit mir, wenn du leben willst
ANMERKUNGEN
DANKSAGUNG
REGISTER
ÜBER DIE AUTORIN
Rücksichtslose Leute waren sie, Tom und Daisy – sie schlugen Dinge und Geschöpfe kaputt und dann zogen sie sich zurück in ihr Geld und ihre Verantwortungslosigkeit, oder was immer sonst sie zusammenhielt, und ließen andere das Chaos aufräumen, das sie gemacht hatten.
–F. SCOTT FITZGERALD, DER GROSSE GATSBY
Tja, dann war wohl doch der Kapitalismus schuld.
Wenn ich den Moment benennen müsste, in dem für die Tech-Industrie alles aus den Fugen geriet, würde ich mich für den Samstagmorgen des 10. Dezember 2016 entscheiden, als ich mit meinem ältesten Sohn, der gern kocht, auf einem Bauernmarkt war, um ein paar dicke Meyer-Zitronen zu kaufen.
Während sich im Sonnenschein von San Francisco der Nebel auf dem Hügel im Noe Valley verzog, erhielt ich einen Tipp: Die gekrönten Häupter der mächtigsten Tech-Unternehmen des Silicon Valley waren in den Trump Tower in Manhattan eingeladen worden, um den Mann zu treffen, der gerade unerwartet zum Präsidenten gewählt worden war und der das Gegenteil von allem darstellte, was sie angeblich repräsentierten.
„Einschleicherei“ könnte man es nennen. Von dem Tech-Gipfel hatte ich nämlich nur erfahren, weil ein hochrangiger Vertreter der Tech-Branche wegen seiner „liberalen Einstellung“ und seiner „unverblümten Ablehnung“ des designierten US-Präsidenten Donald Trump nicht eingeladen worden war. Der Ausgestoßene rief mich wutentbrannt an.
„Sich bei diesem korpulenten Loser einzuschleimen, der noch nie ein Unternehmen gegründet hat, das er nicht direkt gegen die Wand gefahren hat, das ist einfach beschämend“, sagte er. „Ist das zu glauben? Ist das zu glauben?“
Nachdem ich jahrzehntelang über die aufkeimende Internetbranche berichtet hatte, konnte ich es tatsächlich glauben. Während mich mein Sohn mit Stolz erfüllte, kam ich mir bei einer zunehmenden Zahl dieser ehemaligen Wunderkinder, die ich angefeuert hatte, vor wie ein Elternteil, dessen Nachkommen sich in – ich sage nur, wie es ist – Arschlöcher verwandelt hatten.
Mein erster Anruf galt einem der Potentaten, der manchmal gereizt, oft lustig und immer ansprechbar war. Unter all denen, über die ich berichtet habe, war der CEO von Tesla und SpaceX, Elon Musk, einer, der sich noch auf halbwegs menschliche Weise mit mir unterhalten würde. Während sich Musk später auf Twitter, das er dann in X umbenannte, zu einem Troll-König im großen Stil entwickeln sollte, war er damals einer der wenigen Tech-Titanen, die nicht auf vorgefertigte Argumente zurückgriffen, auch wenn das für ihn wahrscheinlich besonders ratsam gewesen wäre.
Was hielt Musk also von Trumps Einladung? Es war für das Treffen keine genaue Tagesordnung genannt worden, das heißt, es ging nicht um Politik, sondern um einen Fototermin.
„Geh da bloß nicht hin“, warnte ich ihn. „Trump will dich doch nur verarschen.“
Musk widersprach. Er werde teilnehmen und er sei bereits einem Wirtschaftsrat für den neu gewählten Präsidenten beigetreten. Als ich Trumps permanent spaltende Angstmacherei und seine Wahlkampfversprechen ansprach, die die Fortschritte bei Themen wie Einwanderung und Homosexuellenrechten zunichtemachen würden, wischte Musk die Gefahr beiseite.
Ich kann ihn umstimmen, versicherte er mir. Ich kann Einfluss nehmen, sagte er.
Offenbar glaubte Musk, seine bloße Anwesenheit würde das faulige Wasser in guten Wein verwandeln, denn er sah sich schon lange nicht mehr nur als einen einfachen Mann an, sondern als Ikone, an manchen Tagen sogar als Gott. Viel Glück, dachte ich bei mir, als wir auflegten.
Ich rief andere Führungskräfte an und bat sie um einen Kommentar. Die Gästeliste hatte Peter Thiel zusammengestellt, ein Investor, der mit Wetten auf visionäre Technologien ein Vermögen gemacht hatte. Seine jüngste Zukunftsvision war jedoch besonders exaltiert: Er wollte Trump unterstützen. Eine kühne Wette von ihm, die sich prächtig bewährt hat.
Ich habe gar nicht erst versucht, Thiel zu kontaktieren. Der Unternehmer sprach schon seit Langem nicht mehr mit mir, im Prinzip seit einem langen Videointerview im Jahr 2007, in dem wir uns über rein gar nichts einigen konnten. Als die Kamera aus war, drängte ich Thiel, dafür zu sorgen, dass Lesben und Schwule dieselben Rechte bekamen wie Heterosexuelle, dass sie heiraten und Kinder bekommen durften. Sowohl Thiel als auch ich sind bekanntermaßen homosexuell, aber er meinte, Schwule und Lesben sollten keine „Sonderrechte“ bekommen, während ich ihm vorhielt, dass wir überhaupt keine Rechte besaßen. Wir hatten wirklich nichts gemeinsam. Und auch wenn wir beide später heirateten und Kinder bekamen (er eines, ich zwei), traf sein Instinkt, dass es besser war, mich zu meiden, wohl ins Schwarze.
Dafür sprach ich mit anderen Eingeladenen, von denen einige sagten, Thiel habe sie unter Druck gesetzt, an Bord zu kommen. Andere begrüßten Thiels Einladung und betonten, Trump meine die ganzen schrecklichen Dinge, die er auf seiner Wahlkampftour immer und immer wieder gesagt hatte, nicht ernst. Eine Person versuchte mich davon zu überzeugen, das Treffen mit Trump sei „ein öffentliches Friedensangebot“. Wie Musk beharrten viele darauf, dass sie Inhalte und Themen zur Sprache bringen würden, aber eben hinter verschlossenen Türen.
„Das ist doch alles nur Zirkus“, sagte ein Gesprächspartner zu mir. „In der Tech-Branche würden sich im Moment alle am liebsten unsichtbar machen, was diese Regierung betrifft, aber wir müssen mitmachen, weil wir früher auch schon mitgemacht haben.“
Das Schwierige daran war, dass sich viele der Tech-Führungskräfte – darunter Sheryl Sandberg von Facebook, die eine prominente Unterstützerin der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton war – während des Wahlkampfs offen gegen Trumps Positionen ausgesprochen hatten. Fast alle von ihnen wehrten sich dagegen, als Trump einen „kompletten Einreisestopp für Muslime in die Vereinigten Staaten“ forderte und einen Plan zur strengen Begrenzung der Einwanderung ankündigte. Zwei der Eingeladenen – Musk und der neue CEO von Microsoft, Satya Nadella – waren selbst Einwanderer. Und die meisten hatten Trump mir gegenüber privat als Witzfigur verspottet.
Diese Art der beiläufigen Heuchelei nahm in den Jahrzehnten, in denen ich über die Elite des Silicon Valley berichtete, immer mehr zu. In dieser Zeit beobachtete ich, wie sich Unternehmensgründer von jungen, idealistischen Strebern in einer aufstrebenden Branche weiterentwickelten, bis sie die Bosse der größten und einflussreichsten Unternehmen Amerikas waren. Und obwohl es Ausnahmen gab, wurden die Menschen, je reicher und mächtiger sie wurden, immer gestörter – sie umhüllten sich mit teurem Kaschmir, bis der echte Mensch tief in einem Kokon aus Komfort und Privilegien verschwand, in den keine Unannehmlichkeiten mehr drangen.
Wenn Menschen so richtig reich werden, scheinen sie immer Legionen von Erfüllungsgehilfen anzuziehen, die ihnen den ganzen Tag den Arsch pudern. Viele dieser Milliardäre meinen dann, diese Lobhudelei sei die Realität, und plötzlich ist alles, was aus ihrem Mund kommt, Gold wert. Die Geschichte wird als Hagiographie umgeschrieben. Wer sie noch von früher kennt und etwas über die Person weiß, die sie damals waren, der wird für sie entweder zu einem Gewinn (Wahrheitsverkünder) oder zu einer Bedrohung (Wahrheitsverkünder).
Trotzdem hoffte ich, dass auch sie gewisse Grenzen kennen würden und dass es einen Weg gäbe, das Treffen als eine Chance zu begreifen, als Möglichkeit, seine Meinung zu äußern. Denen, die mich zurückriefen, riet ich, vor dem Treffen eine öffentliche gemeinsame Erklärung zu den wichtigsten Werten und Themen abzugeben, die für die Tech-Branche und ihre Mitarbeiter wichtig waren.
„Ist das nicht der Sinn der Demokratie?“, ermahnte ich einen CEO. „Erklären Sie der Öffentlichkeit, dass Sie nicht in den Trump Tower gehen, um vor einem König auf die Knie zu fallen, sondern um sich gegen einen Tyrannen zu wehren. Sie können sich gegen Trumps Haltung zu Einwanderern wehren, denn es waren Einwanderer, die Amerika aufgebaut haben, ganz zu schweigen von der Technologiebranche. Sie können die Wissenschaft verteidigen, denn der Klimawandel ist eine große Bedrohung, und die Technik kann einen entscheidenden Beitrag zur Lösung dieses Problems leisten. Sie können darauf bestehen, dass wir in kritische Technologien investieren, die den Weg zu einer Revolution in Bereichen wie Gesundheit und Verkehr weisen, anstatt sich in Politik zu verzetteln.“
Zugegeben, ich habe einen Monolog gehalten. Neben meinem eigentlichen Beruf als Reporterin hatte ich mich zu einer Analytikerin und manchmal auch zu einer Fürsprecherin entwickelt. Zunehmend nutzte ich meine umfangreiche Kontaktliste, um meine ehrliche Meinung nicht nur den Leserinnen und Lesern, sondern auch den zunehmend clownesken Milliardären kundzutun.
Mein Rat wurde natürlich ignoriert. Die berühmten „Störenfriede“ nahmen Trumps Einladung ohne Bedingungen an. Sie gaben aus freien Stücken ihre Würde auf. Meg Whitman von Hewlett-Packard, mit der ich mich wegen ihrer Ablehnung der Homo-Ehe angelegt hatte, als sie als Gouverneurin kandidierte (eine Haltung, die sie später widerrief), war eine der raren Ausnahmen und nahm deshalb nicht an dem Treffen teil. Obwohl sie überzeugte Republikanerin ist, hatte sie Trump im August vor der Wahl treffend als „unehrlichen Demagogen“ bezeichnet und war ins Lager der Clinton-Unterstützer gewechselt.
Der Investor Chris Sacca, der ebenfalls nicht zu dem Treffen eingeladen war, begriff offenbar auch, was da vor sich ging, und brachte es auf den Punkt: „Schon komisch, bei allen Tech-Geschäften, die ich je gemacht habe, kommt der Fototermin erst, nachdem die Papiere unterschrieben sind“, sagte er zu mir. „Erst wenn sich Trump öffentlich dazu bekennen würde, dass er die Wissenschaft unterstützt, nicht mehr mit der Zensur des Internets droht, Fake News ablehnt und den Hass gegen unsere queeren Mitarbeiter anprangert, erst dann würde es für die Führungskräfte der Technologiebranche Sinn machen, ihn im Trump Tower zu besuchen. Ansonsten wird er sie dafür benutzen, dass sie einen Faschisten legitimieren.“
Hat Sacca einen Sinneswandel bewirkt, was mir nicht gelungen war? Nein. Am 14. Dezember schlüpften die Menschen, die die Zukunft mit erfunden hatten – oder besser gesagt „die Schäfchen“, wie ich sie in der Zeitung nannte –, durch den Hintereingang des Trump Tower, um einen Faschisten zu legitimieren. Obwohl der designierte Präsident Amazon und Apple öffentlich angegriffen hatte, traten Jeff Bezos und Tim Cook zusammen mit vielen anderen in dieser nicht im Fernsehen übertragenen Folge von The Apprentice: Nerd Edition auf.
Was keiner dieser CEOs zugeben wollte, waren die wahren Gründe, weshalb sie in die goldene Höhle des Wolfes strömten: Es stand ein Haufen Geld auf dem Spiel und sie wollten den massiven Schaden abwenden, den die neue Trump-Regierung dem Technologiesektor zufügen konnte. So sehr sich die Tech-Führungskräfte Visa wünschten, so sehr wünschten sie sich auch Verträge mit der neuen Regierung, nicht zuletzt mit dem Militär. Sie wollten, dass die Gewinne aus dem Ausland, wo sie ihr Geld gebunkert hatten, in die USA zurückflossen. Vor allem aber wollten sie vor der Regulierung sicher sein, der sie bisher geschickt entgangen waren.
Normalerweise ist es in der Unternehmenswelt nichts Neues, sich bei der Macht einzuschleimen. Im Silicon Valley sollte das aber anders sein. Im Jahr 2000 nahm Google das Motto „Don’t be evil“ in seinen Verhaltenskodex auf. Bei Tesla bestand Musk darauf, dass ihn seine Hingabe an die Menschheit dazu geführt hatte, coole Elektroautos für den Massenmarkt zu bauen und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Facebook sollte ein Werkzeug sein, um „stärkere Beziehungen zu den Menschen, die du liebst, zu schaffen, eine stärkere Wirtschaft mit mehr Möglichkeiten und eine stärkere Gesellschaft, die alle unsere Werte widerspiegelt“.
Alle diese Unternehmen sind mit dem schwammigen Credo angetreten, die Welt zu verändern. Und das haben sie in der Tat getan, nur auf eine Art und Weise, die sie sich zu Beginn nicht vorstellen konnten, mit zunehmend beunruhigenden Folgen, von einer Flut an Fehlinformationen bis hin zu einer Gesellschaft, die sich isoliert und die süchtig nach ihren Gadgets wird. Diese Sucht gab es auch bei mir und sie war so schlimm, dass ich meine Reden immer mit dem Witz schloss: „Ich überlasse Sie jetzt Ihren Geräten … Ja, denn Ihr Telefon ist die beste Beziehung, die Sie haben, das Erste, was Sie morgens in die Hand nehmen, und das Letzte, was Sie abends anfassen.“
Das war immer ein großer Lacher. Aber nach der Hälfte von Trumps Amtszeit war es nicht mehr ganz so lustig und es war völlig klar, dass ich unterschätzt hatte, wie sehr sich die Tech-Unternehmen kompromittieren lassen würden.
„Facebook, Twitter, Google, YouTube und Co sind zu den digitalen Waffenhändlern der Neuzeit geworden“, schrieb ich in einer meiner ersten Kolumnen, nachdem ich 2018 als Kolumnistin bei der New York Times angefangen hatte. „Sie haben die menschliche Kommunikation so sehr verändert, dass es bei der Verbindung zwischen den Menschen viel zu oft darum geht, sie gegeneinander auszuspielen, und diese Zwietracht haben sie in einem noch nie dagewesenen schädlichen Ausmaß verstärkt. Sie haben den ersten Verfassungszusatz zur Waffe gemacht. Sie haben den gesellschaftlichen Diskurs zur Waffe gemacht. Und vor allen Dingen haben sie die Politik zur Waffe gemacht.“
Die Tech-Titanen würden dagegen argumentieren, dass sie nicht schlimmer seien als Kabelsender wie Fox News (was zwar stimmt, aber eine sehr niedrige Messlatte ist) und dass man kaum würde nachweisen können, dass sie die Bevölkerung polarisierten (was tatsächlich fast unmöglich zu messen ist). Vor allem aber taten sie oft jede Bewaffnung als „unbeabsichtigte Folge“ ab.
Unbeabsichtigt vielleicht, aber nicht unvorstellbar. Von dem französischen Philosophen Paul Virilio stammt ein Zitat, über das ich oft nachdenke: „Mit dem Schiff hat man den Schiffbruch erfunden, mit dem Flugzeug den Flugzeugabsturz und wer die Elektrizität erfindet, erfindet damit auch den Stromschlag … Jede Technologie bringt ihre eigene Negation mit sich, die zur selben Zeit erfunden wird wie der technische Fortschritt.“
Um es klar zu sagen: Hitler brauchte kein Instagram. Mussolini kein Twitter. Mörderische Autokraten hatten es nicht nötig, per Snapchat Berühmtheit zu erlangen. Aber stellen Sie sich vor, sie hätten diese megastarken Werkzeuge besessen. Trump hatte sie und er hat die Wahl gewonnen, was er zum großen Teil den sozialen Medien verdankte. Das war vielleicht nicht der einzige Grund, aber es lässt sich leicht eine direkte Linie ziehen von FDR, der das Radio beherrschte, über JFK, der das Fernsehen beherrschte, bis hin zu DJT, der die sozialen Medien beherrschte. Und Trump war dabei nicht auf sich allein gestellt. Ausländische und einheimische Propagandisten sahen darin eine Gelegenheit, Lügen und Fehlinformationen zu verbreiten. Nach wie vor nutzen böswillige Akteure die Plattformen aus und es ist immer noch keine Lösung in Sicht, weil diese mächtigen Plattformen genau das tun, wofür sie geschaffen wurden.
Zurück in den 25. Stock des Trump Tower. Den Fototermin konnten die Tech-Führer zwar verhindern, nicht aber den Videotermin. In den vier Minuten, die veröffentlicht worden sind, sehen wir einen grinsenden Donald Trump, flankiert vom designierten Vizepräsidenten Mike Pence und von Thiel, dem Trump tollpatschig die Hand tätschelt und den er als „einen ganz besonderen Menschen“ lobt.
Die Reporter wurden zu Beginn des Treffens schnell hinausgescheucht. Danach bezeichnete Bezos das Treffen als „sehr produktiv“ und Safra Catz, die Geschäftsführerin von Oracle und Mitglied von Trumps Übergangsteam, zeigte ihren erhobenen Daumen in die Kameras. Die meisten anderen Teilnehmer verließen das Treffen auf demselben Weg, auf dem sie hineingeschlichen waren.
Mich überraschte nicht, dass die Teilnehmer des Technologiegipfels keine Erklärung abgaben, weder als Gruppe noch einzeln. Aber was glauben Sie, wer das tat? Trump. Sein Team ging mit einer Liste von 13 Diskussionsthemen an die Öffentlichkeit, in der von Einwanderung keine Rede war, wohingegen ich herumtelefoniert und erfahren hatte, dass Microsofts Nadella speziell nach H-1B-Visa gefragt hatte, die oft als „Genie-Visa“ bezeichnet werden. Berichten zufolge antwortete Trump: „Das gehen wir an. Was kann ich tun, um es besser zu machen?“ Seine Regierung machte die Situation aber nur noch schlimmer und verkündete schließlich, H-1B-Visumsinhabern die Einreise zu verweigern. Das Ganze konnte erst durch eine Klage gestoppt werden.
Es war eine große Blamage für eine Branche, die versprochen hatte, alles besser zu machen als zuvor.
Im November 2018 interviewte ich Musk für meinen Podcast Recode Decode. Ich erinnerte ihn daran, dass ich ihn vor diesem Tech-Gipfel angerufen und ihn vor Trump gewarnt hatte.
„Ich habe zu dir gesagt, geh da nicht hin, der haut dich nur übers Ohr. Erinnerst du dich?“, fragte ich ihn. „Wir hatten eine ganze …“
„Du hast recht“, unterbrach mich Musk.
„Danke, Elon, ich weiß, dass ich recht habe“, antwortete ich.
Ich mag es, recht zu haben, aber diesmal hatte ich keine Freude daran. Der Trump-Tech-Gipfel war für mich ein wichtiger Wendepunkt dafür, wie ich die Branche sehe, über die ich seit den frühen 1990er-Jahren berichtet habe. Der Mangel an Menschlichkeit war eklatant. Am College hatte ich als Nebenfach Holocaust-Studien belegt. Ich habe Propaganda studiert und ich konnte sehen, dass Trump ein Experte darin war. Ich wusste genau, wohin das Ganze führen würde. Deshalb endete meine ursprüngliche Kolumne, die die Geschichte publik machte, mit diesen Worten:
„Herzlich willkommen in der schönen neuen Welt, die weder schön noch neu ist. Aber es ist jetzt die Welt, in der wir leben, in der Trump der Spalter ist und die Technologien die Gespaltenen. Ja, das können Sie laut sagen: Fuckfuckfuck.“
Vielleicht war „Fuckfuckfuck“ nicht der professionellste Satz, den ich je geschrieben hatte, aber es war der Versuch, meine tiefe Enttäuschung auszudrücken. Ich liebe Technologie, ich atme Technologie. Und ich glaube an Technologie. Aber damit sie ihr Versprechen einlösen kann, müssen die Gründer und Führungskräfte, die sie kreieren, mehr Sicherheitsvorkehrungen treffen. Sie müssen die Konsequenzen besser vorhersehen. Oder sie überhaupt vorhersehen. Sie müssen anerkennen, dass die Wut im Netz auf immer beängstigendere Weise in die reale Welt übergreift.
Stattdessen waren viel zu viele von diesen Gründern und Innovatoren leichtsinnig, eine Haltung, die am besten durch das Ethos auf den ersten Postern in den Facebook-Büros zusammengefasst wird: „Schnell handeln und alles kaputt machen“. Ich weiß, dass es sich dabei um einen Software-Slogan handelt, der später geändert wurde (der CEO und Mitbegründer von Facebook Mark Zuckerberg änderte ihn im Jahr 2014 scherzhaft in „Schnell handeln mit stabiler Infra“, also Infrastruktur), aber ich denke, dass sich hier immer noch eine tief verwurzelte Kinderei widerspiegelt. Kinder lieben es, Dinge kaputt zu machen. Ursprünglich hätte ich „Schnell handeln und alles verändern“ vorgezogen. Oder, noch erwachsener: „Schnell handeln und alles reparieren“.
Aber Facebook entschied sich, mit „Zerstörung“ zu beginnen, und diese Leichtsinnigkeit hat zu Schäden auf der ganzen Welt geführt, die mir wiederum halfen zu verstehen, was mit unserem eigenen Land geschieht. Im August 2016 übermittelte die Enthüllungsjournalistin Maria Ressa Facebook alarmierende Daten über Menschen auf den Philippinen, die wegen ihrer Kritik am Drogenkrieg von Präsident Rodrigo Duterte im Internet von Trollarmeen beschimpft und eingeschüchtert wurden. Facebook löschte die Seiten erst zwei Jahre nach ihrem Bericht.
2017 kontaktierte mich Maria und fragte, ob ich ihr helfen könnte, Facebook von der aufkeimenden Bedrohung zu überzeugen. „Wir sind der Kanarienvogel in der Kohlemine und euch droht das auch“, warnte die Frau, die später für ihre Bemühungen um die Aufklärung der mörderischen Realität in ihrem Land den Friedensnobelpreis erhalten sollte. „Können Sie mir helfen, sie aufzuhalten?“
Wie sich herausstellte, konnte ich sie nicht aufhalten, so sehr ich mich auch bemühte, Alarm zu schlagen.
Seitdem haben uns die Tech-Unternehmen jedes Jahr größere und krassere Schweinereien beschert. Twitter, das idiotischerweise in X umbenannt wurde, ist zu einer Plattform mutiert, auf der der reichste Mann der Welt rassistische, sexistische und homophobe Verschwörungen mit seinen Retweets unterstützt. Die tiefgreifenden Fälschungen und Fehlinformationen der künstlichen Intelligenz öffnen eine virtuelle Büchse der Pandora, die das Potenzial hat, Probleme zu entfesseln, die die Menschheit schneller plagen als jede Seuche. Das in chinesischem Besitz befindliche TikTok gibt Eltern ein besseres Gefühl, indem es Sicherheitsfunktionen für Jugendliche anbietet, während die Website den Überwachungsstaat der Kommunistischen Partei auf den gesamten Globus ausdehnen kann, wie mir immer mehr Regierungsbeamte auf der ganzen Welt berichten.
Im Laufe der Zeit habe ich mich auf die Theorie festgelegt, dass sich Tech-Leute eine von zwei Popkultur-Visionen der Zukunft zu eigen machen. Die erste ist die „Star Wars“-Vision, in der die Kräfte des Guten gegen die dunkle Seite antreten. Und wie wir wissen, schlägt sich die dunkle Seite beunruhigend gut. Der Todesstern wird zwar zerstört, aber die Helden sterben, und dann wird er unweigerlich wieder aufgebaut. Das Böse neigt in der Tat dazu, sich durchzusetzen.
Dann gibt es noch die „Star Trek“-Vision, bei der eine Mannschaft zusammenarbeitet, um wie in einer interstellaren Benetton-Werbung zu fernen Welten zu reisen, für Toleranz zu werben und Schurken davon zu überzeugen, keine Schurken mehr zu sein. Das funktioniert oft. Es ist keine Überraschung, dass ich ein Trekkie bin, und ich bin damit nicht allein. Auf einer AllThingsD-Konferenz im Jahr 2007, die der bekannte Tech-Kolumnist Walt Mossberg und ich veranstalteten, erschien Apple-Legende Steve Jobs auf der Bühne und sagte: „Ich mag Star Trek. Ich will Star Trek.“
Jetzt ist Jobs schon lange tot und die „Star Wars“-Version scheint gewonnen zu haben. Auch wenn es nie ihre Absicht war, wurden die Technologieunternehmen zu Hauptakteuren bei der Zerstörung unserer Gemeinschaft und der Lähmung unserer Politik, unserer Regierung, unseres sozialen Gefüges und vor allem unseres Geistes, indem sie Isolation, Empörung und Suchtverhalten säten. Unschuldige junge Könige, die die Welt verbessern wollten und am Ende als Darth Vader verkleidet auftraten, wirken wie Science-Fiction. Doch alles, was ich Ihnen jetzt erzähle, ist wirklich passiert.
Ja, ich kann es nur wiederholen: Fuckfuckfuck.
Wenn Sie gestern hingefallen sind, stehen Sie heute wieder auf.
–H. G. WELLS
Ich weiß, dass Sie dieses Buch wegen der Geschichten über die Tech-Milliardäre gekauft haben, über Elon und Mark und Sheryl und Peter und Jeff und Steve und Tim.
Keine Sorge – Sie werden sie alle kennenlernen, so wie ich diese Mogule im Laufe meiner 30 Jahre währenden Karriere kennengelernt habe. Aber in diesem Buch geht es vor allem um mich und meine Beziehung zur Technologie, eine Beziehung, die als nette Liebesgeschichte begann und deren Liebe im Laufe der Zeit enttäuscht wurde. Seien Sie versichert, dieses Buch handelt hauptsächlich von diesen Männern – und um es klar zu sagen, es sind hauptsächlich Männer. Aber um meine Beziehung zur Technologie wirklich zu verstehen, müssen Sie auch etwas über mich wissen. Ich werde versuchen, mich kurzzufassen (wie ich auch im echten Leben nicht die Längste bin mit meinen 1,58 m).
Das Internet und ich wurden beide im Jahr 1962 geboren. In jenem Jahr schlug ein Wissenschaftler des MIT vor, Computer miteinander zu verbinden, um ein Advanced Research Projects Agency Network (ARPAnet) zu schaffen, das die technologische Grundlage des Internets wurde. Es gibt zwar widersprüchliche Erklärungen für die Wurzel der Idee – um ein gesichertes Kommunikationssystem für den Fall eines nuklearen Angriffs zu schaffen, um Forschern den Zugang zu einer begrenzten Anzahl leistungsfähiger Supercomputer auf der ganzen Welt zu ermöglichen oder weil es einfach eine lang erträumte technologische Herausforderung war –, aber der Anstoß zum Aufbau eines Kommunikationsnetzes entsprang dem fruchtbaren Gehirn von J.C.R. Licklider. Der berühmte Informatiker skizzierte die Idee in einem Memo von 1963, in dem er ein „Intergalaktisches Computernetzwerk“ beschrieb. Ich habe dieses Konzept immer geliebt, da es sowohl hochfliegend als auch ein klein wenig albern war. Licklider sprach auch von der Einheit der Menschheit, die durch die Wunder der Technik zustande komme. Viele andere folgten seinem Beispiel, alle mit der grundlegenden Absicht, die Menschheit für höhere Zwecke zusammenzubringen.
Meine Herkunft war deutlich unspektakulärer. Ich wuchs in Roslyn Harbor, New York, im nördlichen Teil von Long Island auf, als zweites von drei Kindern. Als ich fünf Jahre alt war, starb mein geliebter Vater. Zu sagen, dass sich mein Leben in dem Moment veränderte, als er ohne Vorwarnung eine Hirnblutung erlitt, wäre eine Untertreibung.
„Stellen Sie sich vor, die Hälfte Ihrer Freunde würde sterben“, sagte ich viele Jahre später zu einem Interviewer und bezog mich dabei auf ein Buch mit dem Titel The Loss That Is Forever (Ein ewiger Verlust), in dem es um Kinder geht, deren Eltern in jungen Jahren sterben. „Wenn du fünf Jahre alt bist, sind deine Eltern so ziemlich deine ganze Welt. Wenn die Hälfte deiner Freunde plötzlich sterben würde, wäre das schockierend und niederschmetternd und ich denke, es gibt dir auch ein Gefühl für die Launenhaftigkeit des Lebens: dass sich das Leben schlagartig ändern kann, dass schlimme Dinge passieren und dass man sie gut übersteht. Man macht einfach weiter.“
Meine Erinnerungen verblassten schnell und alles, was mir blieb, waren analoge Fotos. Auf jedem einzelnen Bild sieht mein Vater heiter und hoffnungsvoll aus, während er in die Kamera strahlt. Es ist klar, dass er das Leben liebte, das er sich, aus einem bescheidenen Elternhaus in West Virginia stammend, aufgebaut hatte. Durch seine Zeit bei der Navy hatte er sich das College und das Medizinstudium finanziert und nachdem er zum Kapitänleutnant aufgestiegen war, nahm er seine erste große Stelle als Leiter der Anästhesieabteilung im Brooklyn Jewish Hospital an. Er nutzte den Geldsegen, um für seine wachsende Familie ein Haus zu kaufen. Dann starb er, bevor er überhaupt eingezogen war. Kann ich einen solchen Verlust in Worte fassen? Kaum. Wie kann man erklären, was man nie hatte? Man kann es nicht. Ich habe 1989 darüber geschrieben, nachdem ich den Leichnam meines Vaters exhumieren und auf Geheiß meiner Großmutter in seinen Heimatstaat zurückbringen ließ. In dem Text denke ich darüber nach, was wir verlieren und was wir zurücklassen. Ironischerweise steht dies im Gegensatz zu dem digitalen Medium, über das ich bald sprechen würde: das Internet, in dem im Grunde alles unauslöschlich ist.
Allerdings nicht für mich, wie ich in der Washington Post schrieb:
Ich erinnere mich an kein lebendiges Gesicht, sondern nur noch an das Gesicht, das ich auf Schnappschüssen eingefroren sehe. Ich vermute, dass es einen Moment gab, in dem ich das letzte Mal mit ihm gesprochen habe und er mir wie immer in seinem trägen Tonfall geantwortet hat: „Gute Nacht, gute Nacht, gute Nacht“. Dann löschte er das Licht. Ich erinnere mich an viele Abende wie diesen, aber nicht an den letzten. Manchmal versuche ich es, versuche meine Erinnerungen auszuquetschen, aber damals hätte ich es beinahe für immer aufgegeben. Jetzt, als ich den Friedhof anrufe, um alles zu arrangieren, scheint es, als würde ich es noch einmal versuchen, trotz des Schmerzes, der, wie alle meine Freunde sagen, zweifellos vom „Ausgraben“ der Vergangenheit herrührt – ja, das ist das Wort, das einer von ihnen benutzt hat –, als würde ich versuchen, zu bewahren, was verloren ist.
Er wurde nur 34 Jahre alt. Dr. Louis Bush Swisher starb an den Komplikationen eines Hirnaneurysmas, das ohne Vorwarnung an einem sonnigen Sonntagmorgen vor inzwischen mehr als 20 Jahren geplatzt war. Mein Zimmer war so dunkel, dass mich, als ich auf den Flur ging, um ihn zum Frühstück zu wecken, die Helligkeit zurück in den schattigen Türrahmen trieb. Von dort aus beobachtete ich, wie mein Bruder zielstrebig an die Tür des Schlafzimmers meiner Eltern klopfte, um meinen Vater zu wecken. Die Tür war verschlossen, Jeffrey drehte den Knauf hin und her und drückte mit der Hüfte gegen die Tür. Er gab einfach nicht auf, obwohl sich die Tür niemals öffnen würde, so feste er auch drückte, so dachte ich damals. Typisch ich, die Pragmatikerin, die schon die kindliche Einsicht gewonnen hatte, dass sich manche Dinge einfach nicht bewegen lassen.
Wir dachten beide, mein Vater sei dort beim Schreiben einer Rede, die er am nächsten Tag halten sollte, eingeschlafen. Mein älterer Bruder Jeff trat also immer wieder gegen die Tür, klopfte dagegen und machte einen solchen Lärm, dass meine Mutter schließlich hochkam, ungeduldig klopfte und sagte: „Bush, Bush, mach sofort die Tür auf. Du machst Jeff wütend.“ Aber er wachte nicht auf.
Danach ging alles ganz schnell: die Feuerwehrleute, die mit der Axt die Tür zersplittern, der Krankenwagen und die Trage mit allen möglichen Anhängseln. Und die außergewöhnliche Stille, als es vorbei war. Lange bevor sie meinen Vater herausgetragen hatten, ging ich zurück in mein Zimmer, meinen Kokon, und stellte mir nur noch die Trage vor, auf der er lag, das weiße Laken, die hysterischen Schreie meiner Mutter, die hinter ihm herlief und schrie: „Was ist los?“ Ich blieb in meinem Zimmer, wo es ruhig war, und schlief wieder ein. Ich habe meinen Vater nie wieder gesehen. Er lag noch den ganzen Januar im Krankenhaus und starb schließlich nach zwei schlimmen Operationen. An einem sehr kalten Tag im Februar wurde er begraben. Ich bin nicht zu seiner Beerdigung gegangen.
Hart, oder? Und es wurde noch schlimmer. Nach Dads Tod heiratete meine Mutter wieder und wir zogen nach Princeton. Ihr zweiter Mann war das genaue Gegenteil meines freundlichen und fröhlichen Vaters, der, wie ich immer dachte, zu gut für diese Welt gewesen ist.
Zu den ersten Dingen, die mein Stiefvater machte, gehörte, das Haus zu verkaufen, auf das mein Vater so stolz gewesen war. Auch den Hund meines Vaters gab er weg, einen Basset Hound, der auf den Namen Prudence hörte. Meinen Vater derart auszulöschen kam mir vor wie ein ziemlich seltsames Muskelspiel und meine Mutter – deren eigenes Leben so abrupt aus den Fugen geraten war – leistete keinen Widerstand. Ihr neuer Mann bot ihr ein sehr komfortables Leben in der oberen Mittelschicht und ruinierte sie dann mit einer Flut beiläufiger Grausamkeiten. Wir hatten einen Tennisplatz, zu dem er den Zugang versperrte. Ich hatte in meinem Zimmer ein Telefon, das er abhörte (ohne mich bei irgendwas zu ertappen, weil ich der langweiligste Teenager unter der Sonne war und mich weder für Drogen noch für Alkohol interessierte). Die Abendessen, die von einer Köchin serviert wurden, waren für mich und meine Brüder eine permanente Aneinanderreihung von anstrengenden Denkspielen und Wissenstests.
Bitte bemitleiden Sie mich aber nicht. Und wer gern Fangen spielt, der weiß, welchen Vorteil es hat, von einem Menschen erzogen zu werden, den man wohl als einen Schurken bezeichnen muss, wie ich es später auch tat – ich lernte außerordentlich schnell zu laufen. Mein Stiefvater brachte mir auch Backgammon und Risiko bei, Spiele, bei denen es sowohl um Glück als auch um Kühnheit geht, was mir half, strategisch zu denken. Ich verlor zwar einen Hund, wurde dafür aber gut in Gewieftheit im Spiel sowie im Gehirnverrenken.
Dass ich klug war und weit über meinem Klassenniveau lesen und rechnen konnte, half mir, ein Hauch frühen Genies, der allerdings nicht über die siebte Klasse hinaus anhalten sollte, als mich alle anderen einholten. Trotzdem langweilte ich mich wie viele Tech-Begeisterte in der Schule schnell. In der zweiten Klasse verließ ich einmal einfach den Unterricht, worauf mich der Lehrer ins Büro des Rektors schickte. Meine Mutter wurde hereingerufen und fragte mich, warum ich gegangen sei, und ich antwortete: „Ich habe den Stoff schon gelesen.“ Offenbar legte ich schon den Grundstein für die unausstehliche Arroganz, die ich später als Erwachsene an den Tag legen sollte.
Meine Einstellung zur Schule änderte sich auch auf dem College kaum, das ich größtenteils für Zeitverschwendung hielt – eine Ansicht, die ich anscheinend mit Peter Thiel teile, Gott steh mir bei. Ich besuchte die School of Foreign Service der Georgetown University, die nicht meine erste Wahl war. Das wäre Stanford gewesen, wo mein Bruder Jeff studiert hatte und wo ich nicht angenommen wurde. Damals war Georgetown eine Schule zweiter Wahl und zog viele Schüler der Mittelstufe an, vor allem von katholischen Schulen. Ich war auch katholisch, wenn auch nicht mehr ganz so gläubig. Ich ließ mich meiner geliebten Großmutter wegen firmen, als ich 13 war, und das war das letzte Mal, dass ich aus religiösen Gründen eine Kirche betreten habe.
Trotz des Einflusses der Jesuiten besoffen sich meine Kommilitonen am College gern jedes Wochenende und trieben Unzucht. Ich trank immer noch nicht und war eine verkappte Lesbe, wofür Georgetown der denkbar schlechteste Ort war. Wütend verfolgte ich, wie sich das College mit der Studentengruppe Gay People of Georgetown University einen erbitterten Rechtsstreit lieferte. Es bekämpfte nicht nur die Finanzierung der Organisation, sondern wollte nicht einmal, dass sich Schwule auf dem Campus trafen. Das Ironische daran war natürlich, dass viele der Priester, die dort arbeiteten, selbst schwul waren, zwar verkappt, aber doch offensichtlich. Jahre nach meinem Abschluss wurde ich von der Georgetown University eingeladen, um eine Rede über meine dort gesammelten Erfahrungen zu halten. Darin habe ich ihre Heuchelei im Detail offengelegt, was sie ziemlich gut aufgenommen haben, wenn man überlegt, wie unverblümt ich ihre Niedertracht dargestellt habe.
Damals allerdings bekam ich an der Uni kaum Luft. Deshalb bewarb ich mich gleich zum Studienbeginn an der Barnard. Ich wurde angenommen und schmiedete schon Pläne, im Januar nach New York zu ziehen. Aber irgendwann im Herbst traf ich Roberta Oster, eine Studentin, die bei der Studentenzeitung arbeitete. Sie hatte einige meiner Arbeiten gelesen und sagte prompt zu mir: „Du gehst nicht weg. Du schreibst für mich und wirst hier ein Star.“ Es gelang ihr, mich von meinem in mir schlummernden journalistischen Genie zu überzeugen, sodass ich Barnard aufgab und anfing, für die Studentenzeitung The Hoya zu schreiben. In meinen wortgewaltigen Kolumnen behandelte ich Themen wie das Zusammenleben mit andersartigen Mitbewohnern (meine Mitbewohner feierten natürlich extrem gern, aber ich liebte sie trotzdem), den Wunsch, sich tätowieren zu lassen, und die Zusammenstöße zwischen Studierenden und Anwohnern.
Am Ende meines ersten Studienjahres gewann ich den nach Pater Bunn benannten Edward B. Bunn Award für studentischen Journalismus, der eigentlich nur an ältere Semester verliehen wurde. „Die besten Bunns“, jauchzte ich meinen verärgerten älteren Kommilitonen zu. Ich war unausstehlich, aber ich liebte den Journalismus und war von Anfang an gut darin. Ich gebe auch zu, dass ich die Aufmerksamkeit und den Beifall liebte, den das mit sich brachte.
Da Georgetown in Washington D.C. lag, las ich jeden Tag die Washington Post. Ich verehrte die Zeitung, bis sie eines Tages über ein Ereignis auf dem Campus schrieb, das mir am Herzen lag – die Rede eines berüchtigten Mörders vom salvadorianischen Militär. Auch ich berichtete über die Rede und die Studentenproteste. Zu meiner Überraschung wimmelte es in der kurzen Story der Post von kleineren Fehlern.
Obwohl die Textspalte nur 20 Zentimeter lang war, machte es mich wütend, dass eine von mir bewunderte Nachrichtenorganisation so schlampig sein konnte. Ich beschloss, die Zeitung mit meinem Wählscheibentelefon anzurufen, und ging meinem Gesprächspartner mit meinen Korrekturen so lange auf den Geist, bis ich den damaligen Metro-Redakteur Larry Kramer in die Leitung bekam. Ich sagte ihm, ich sei arg enttäuscht von den vielen Ungenauigkeiten in ihrem Artikel.
Er forderte mich auf, vorbeizukommen und es ihm ins Gesicht zu sagen. Und fragte mich, ob ich glaubte, ich könne es besser. Ich erklärte, ich würde kommen, und ich könne es besser. Ich nahm den Bus vom Campus zum Hauptsitz der Washington Post in der 15th Street NW. Als ich dort ankam, diskutierten Larry und ich über die missratene Story. Mein Beharren, dass der Artikel einfach nur peinlich war, auch wenn er nur sehr kurz war, brachte Kramer so sehr zur Verzweiflung, dass er mich ohne weitere Umschweife als freie Mitarbeiterin einstellte. Ich sollte über Georgetown berichten, was ich mehrere Jahre lang tat, wobei ich einige Hiebe und unschätzbare Erfahrungen sammelte.
Die Arbeit bei der Washington Post machte mir sehr viel mehr Spaß als die Uni, von meinen Geschichtskursen einmal abgesehen. Mein Schwerpunkt war Propaganda und die Frage, auf welche Weise Gruppen – wie zum Beispiel die Nazis – Medien und Kommunikationsmittel einsetzten, um Fakten zu verdrehen, die Bevölkerung zu radikalisieren und andere Gruppen zu dämonisieren. Offensichtlich hatten Hitler und seine Schergen eine Meisterklasse des Bösen abgehalten. Aber mir fiel auf, wie leicht sich Menschen durch Angst und Wut manipulieren ließen und wie Fakten ohne Konsequenzen ausradiert werden konnten.
Ich denke oft daran, was ich damals auf dem College für ein Mensch war. Ich war viel Propaganda über mich ausgesetzt, weil die allgemeine Öffentlichkeit eine völlig falsche Vorstellung davon hatte, wie es ist, schwul zu sein, die vollkommen an der Wirklichkeit vorbeiging. Die Medien spielten bei dieser Verzerrung der Realität eine zentrale Rolle. Besonders angetan war ich von Vito Russos Buch Die schwule Traumfabrik aus dem Jahr 1981, in dem er die Darstellung von Schwulen und Lesben in Hollywood mit der Art und Weise verglich, wie sie im wahren Leben behandelt wurden. Die Filme strotzten vor traurigen, selbstmordgefährdeten Lesben, hinterhältigen Schwulen, törichten Dandys und aggressiven Machos. Diese Darstellungen spiegelten weder mich noch irgendwen, den ich kannte, angemessen wider. Aber genau dieses Bild musste eben geändert werden.
Die vorherrschende negative Einstellung gegenüber Schwulen war so stark, dass ich das Leben, das ich eigentlich schon lange leben wollte, lieber bleiben ließ. Mein Traum war es, wie Vater zum Militär zu gehen und dort oder bei der CIA als Strategieanalystin zu arbeiten. Ich habe lange Zeit fest an die gepriesenen Werte der USA geglaubt und wollte dazu beitragen, sie gegen die dunklen Mächte unserer DNA zu schützen. Aber es war damals fast unmöglich, sich gegen die schwulenfeindlichen Strömungen zu stemmen und beim Militär wurde Homosexuellen noch über zehn Jahre nachgestellt. Selbst die „Don’t Ask, Don’t Tell“-Regeln aus der Clinton-Ära aus dem Jahr 1993 waren grauenhaft. Ich wollte nicht, dass irgendwer dazu gezwungen wurde, seine Homosexualität geheim zu halten. Ich wollte gefragt werden und ich wollte mich outen.
Da mein erster Berufswunsch aufgrund von Diskriminierung nicht infrage kam, entschied ich mich, Journalistin zu werden. Ich bewarb mich an der damals besten Schule, der Columbia University Graduate School of Journalism, und wurde angenommen. Im Nachhinein wünschte ich mir, ich hätte mir für die Studiengebühren Apple-Aktien gekauft, die zu der Zeit im Keller waren. Das Columbia-Programm wurde größtenteils von seltsamen Professoren geleitet, die in einer völlig anderen Medienwelt gelebt hatten. Es gab kaum Computer und das Schreiben von Schlagzeilen mithilfe des Pica-Lineals zu erlernen schien mir doch eine ziemliche Zeitverschwendung zu sein. Zwar waren die Grundlagen des Journalismus nach wie vor wichtig, aber das Medium war im Begriff, zur Botschaft zu werden – ein berühmter Satz von Marshall McLuhan –, und zwar auf Steroiden, und wie man diese Kluft überwinden konnte, stand nicht auf dem Lehrplan.
Fairerweise muss man sagen, dass wir uns damals in den Anfängen der Digitaltechnik befanden und dass der Einsatz von Computern noch eine Seltenheit war. Nach meinem Abschluss bewarb ich mich bei verschiedenen Zeitungen und wurde überall abgelehnt – ironischerweise oftmals von Leuten, die mich später unbedingt haben wollten. Ich kehrte nach Washington zurück und begann freiberuflich zu arbeiten. Wie es der Zufall und eine Säuberungsaktion unter Redakteuren wollte, kreuzte ich bei der Washington City Paper auf, just als ihr streitbarer neuer Herausgeber, Jack Shafer, keine Mitarbeiter mehr hatte.
Shafer stellte mich als stellvertretende Chefredakteurin ein, ein Posten, auf dem mich sofort überfordert fühlte. Trotz seiner offensichtlichen redaktionellen Fähigkeiten war Shafer nicht gerade der Typ Mentor. Ich war für eine Aufgabe eingestellt worden, für die ich nicht qualifiziert war, und denke, ich habe keine gute Arbeit geleistet. Beziehungsweise weiß ich es, weil mich Shafer nach nicht einmal einem Jahr rausschmiss, und ich kann mich nicht erinnern, dass ich es irgendwie als ungerecht empfand.
Ich gehöre zwar ohnehin nicht zu den Menschen, die das Leben als ungerecht empfinden, aber ich erinnere mich noch, dass ich der Ansicht war, dass diese Jungs zwar erfahrener als ich waren, aber dass ich berühmter als sie werden würde. Bei einigen Entscheidungen, die meine Chefs damals trafen, dachte ich: Ja, genau so würde ich es auch machen. Ich bekam eine Ahnung von meinem eigenen Geschmack und von meinem Urteilsvermögen. Ich hatte nur noch nicht die Selbstgewissheit und die Reife, auch danach zu handeln. Einmal bewarb ich mich für ein Praktikum bei der Washington Post und der Redakteur erklärte mir, ich sei „zu selbstbewusst“. Inzwischen weiß ich, dass Männer so etwas zu Frauen sagen, um sie zum Schweigen zu bringen und kurzzuhalten. Das wollte ich nicht zulassen. Deshalb erwiderte ich: „Ich bin nicht zu selbstbewusst. Ich bin einfach gut. Oder zumindest werde ich es sein.“ So war ich schon immer. Mich kann man nicht so schnell unterkriegen. Und wer es versucht, stachelt mich damit nur noch mehr an.
Mein nächster Chef war John McLaughlin von der berühmten und bahnbrechenden TV-Krawall-Gruppe The McLaughlin Group. Meistens schrieb ich als Ghostwriterin seine Kolumne für die National Review, wobei er die rechtsgerichteten Schmähungen beisteuerte. Ich habe auch an seiner Sendung mitgearbeitet, einem Vorläufer jener Nachrichtensendung auf den Kabelsendern, die komplexe politische Zusammenhänge zu Unterhaltungszwecken stark vereinfachten. Ich war natürlich liberal eingestellt, aber die meisten Mitarbeiter waren schleimige McLaughlin-Anhänger, die ihn für eine große Nummer hielten, weil er Reden für Richard Nixon geschrieben hatte. Das war sein Trumpf.
McLaughlin war ein wirklich furchtbarer Mensch. Er beschimpfte seine Mitarbeiter in den unterschiedlichsten und seltsamsten Formen. Er verlangte, dass ihm jeder und jede Toast machte, der auf ganz bestimmte Weise mit Butter bestrichen werden musste. Sogar sein Assistent musste ihm Toast machen. Insofern überraschte es mich nicht, als er mich eines Tages in sein Büro rief und fragte: „Würden Sie mir bitte einen Toast machen?“
Ich erwiderte: „Nein, ich mache Ihnen keinen Toast. Ich habe einen Abschluss in Journalismus und das bedeutet, dass ich keinen Toast mache, auch keinen Roggentoast.“
Er begriff die Anspielung nicht.
„Alle Mitarbeiter machen mir Toast“, fuhr er fort. „Und wenn ich Sie danach frage und Sie es nicht tun, dann fliegen Sie raus.“
„Gut, also ich werde Ihnen keinen Toast machen, wenn Sie mich danach fragen“, antwortete ich. „Das heißt, Sie müssen mich wohl rausschmeißen.“
Er wiederholte seine Drohung. „Nur damit Sie es wissen, wenn ich Sie danach frage und Sie mir keinen machen, dann fliegen Sie raus.“
„Okay, ich hab’s verstanden“, sagte ich und nickte.
Insgeheim wünschte ich mir, dass er mich fragte, damit ich gehen konnte. Aber er fragte mich nie. Nicht ein einziges Mal.
Wenn er seine alljährliche Party plante, ließ McLaughlin – oder Dr. McLaughlin, wie er sich dank seines verstaubten Doktortitels in Philosophie gern nannte – die meisten Mitarbeiter im Unklaren, während er überlegte, wen er einladen und wen er wegen einer vermeintlichen Kränkung nicht einladen sollte. Er glaubte wirklich, dass es irgendwem wehtun würde, nicht zu seiner Party eingeladen zu werden. Ich verdrehte für alle sichtbar die Augen, als er den Anwesenden im Raum von seinen Plänen erzählte, irgendeinen Unterstaatssekretär der damaligen Reagan-Regierung fertigmachen zu wollen. Er bemerkte meine Geringschätzung sofort, denn ich war die Einzige, die nicht zustimmend nickte.
„Sagen Sie, junge Dame, sind Sie nicht beeindruckt von der kollektiven Macht der Menschen, die ich hier in diesem Raum versammelt habe?“, donnerte er mir mit seiner patentierten Dröhnstimme entgegen. „Sie kommen, um mich zu sehen und mir zu huldigen!“
Ich sah ihn an und hielt den Mund. Dann dachte ich: Was soll’s, Kublai Khan, und erwiderte: „Ich will Ihnen mal was erzählen, Dr. McLaughlin. Ich war diesen Sommer in Griechenland in einem Tempel und da stand eine Schrift an der Wand. Ich habe den Reiseführer gefragt, was da steht, und er sagte zu mir: ‚Babylon war einmal.‘ Ich denke, das soll heißen, dass jede Großmacht irgendwann untergeht, egal wie sehr sie sich anstrengt und wie sehr sie kämpft. Und das wiederum heißt, dass ich eines nicht allzu fernen Tages mächtig sein werde und dass Sie dann im Rollstuhl in irgendeinem Altersheim sitzen und mit gedünsteten Aprikosen gefüttert werden.“
McLaughlin sah mich an, als würde er gleich explodieren und mich auf der Stelle entlassen. Dann brach er in Gelächter aus. „Da haben Sie recht“, sagte er, um sich sodann an seine anderen, leichter einzuschüchternden Mitarbeiter zu wenden, die alle dachten, ich würde gleich rituell geopfert werden. „Sie weiß, was Macht ist!“
Aber er wusste es auch. Wie sich herausstellte, war er auch ein Drangsaleur und fing irgendwann an, eine Mitarbeiterin sexuell zu belästigen, mit der ich befreundet war. Ich ging mit ihr zu seinem Assistenten, um ihm die Sache zu melden. Der meinte nur, wir würden „lügen“. Ohne zu zögern kündigte ich. Später musste ich in einem anderen Rechtsstreit aussagen, weil eine Frau McLaughlin verklagt hatte, der verzweifelt versucht hatte, sie in die Enge zu treiben, um seinem unvermeidlichen Untergang zu entgehen. Als sie sich außergerichtlich einigten und er damit einen Prozess vermied, wollte ich ihn nicht mehr vom Haken lassen. Ich sprach mit Eric Alterman, einem Feuilletonisten von der Washington Post, der gerade an einem Artikel über McLaughlin arbeitete. Dieser Artikel aus dem Jahr 1990 trug die Überschrift „Die Macht des Experten“ und enthielt dieses Zitat einer 28-jährigen ehemaligen Mitarbeiterin:
„Für mich ist sexuelle Belästigung wie Pornografie“, sagt Swisher. „Du erkennst sie einfach sofort. Es gibt Menschen, die dir sagen, dass du gut aussiehst, ohne dass du dich davon bedroht fühlt. Bei John McLaughlin klang es wie eine Bedrohung.“
Dass ich die Washington Post meinen vollen Namen abdrucken ließ, sahen alle als mutig an, aber in professioneller Hinsicht war es einfach nur dumm. Ich fühlte mich gezwungen, mich „offiziell“ zu äußern, weil Journalisten keine anonymen Opfer zitierten, und ich konnte immerhin als Zeugin auftreten. Später erklärte ich einmal in einem Interview: „Auf den Punkt gebracht habe ich ihn ein Schwein genannt und meinen Namen druntergesetzt. Es ist wichtig, sich für Dinge einzusetzen und sich nicht zum Opfer zu machen lassen.“ Diese Werte würde ich immer vertreten und dieser Eigenschaft verdanke ich zu einem Gutteil meine Karriere.
Ich kehrte wieder zur Washington Post zurück, zunächst als Redaktionsassistentin, dann arbeitete ich mich hoch zur Nachrichtenassistentin und später zur Volontärin. Bei der Zeitung lernte ich mehr über Macht und darüber, wer sie ausübt mithilfe anstrengender Machenschaften, die für mich immer schon eine sinnlose und zeitraubende Übung waren. Ich beschloss schon sehr früh, niemals zu versuchen, ein großes Unternehmen zu leiten.
Und es gab andere Möglichkeiten, sich für Veränderungen einzusetzen, etwa wenn ich Redakteuren zuhörte, die falsche und hasserfüllte Aussagen gegen Homosexuelle drucken wollten. Wenn ich sie darauf hinwies, dass die Aussagen sowohl unrichtig als auch unaufrichtig waren, wurde ich gewarnt, mich nicht als „Fürsprecherin“ zu gebärden und zu „emotional“ zu werden. Ein anderes Mal wollten die Redakteure der Post ein ungeheuerliches Foto veröffentlichen, das ein altes Vorurteil gegenüber Schwulen darstellte. Auch hier legte ich Einspruch ein und erinnerte daran, dass „wir Vielheiten enthalten“ – übrigens, ich liebe Walt Whitmans „Gesang meiner selbst“: „Widerspreche ich mir selber? / Dann widerspreche ich mir eben. / (Ich bin groß, ich enthalte Vielheiten.)“
Haben diese heterosexuellen, weißen, meist männlichen Personen die Bedeutung des Zitats verstanden? Kannten sie Whitman überhaupt? Natürlich nicht. Sie bestanden darauf, das Foto abzudrucken. Und wissen Sie, was ich als einfache Nachrichtenassistentin gemacht habe? Damals gab es noch keine Digitalfotografie, also nahm ich das echte Foto vom Designertisch und steckte es in meine Schreibtischschublade. Daraufhin mussten meine Kollegen ein anderes Foto auswählen, das zum Glück keine beleidigende Karikatur darstellte.
Bereue ich meine List? Nicht eine verdammte Sekunde lang. Damals wie heute halte ich das für den besten Weg, um durchs Leben zu gehen – mich nicht um die Konsequenzen zu kümmern, wenn ich sagte oder tat, was ich für richtig hielt.
Etwa zur selben Zeit schickte mich die Abteilung „Stil“ zu einer Party. Ich war kaum ein paar Minuten da, als ich auf der anderen Seite des Raumes McLaughlin sah. Der Post-Artikel „Die Macht des Experten“ war damals schon erschienen und ich dachte, McLaughlin würde vielleicht versuchen, mir aus dem Weg zu gehen. Aber nein. Er war ein großer, imposanter Mann und er schritt direkt auf mich zu, mit geschwellter Brust und vollem Gefieder.
„Kara Swisher“, sagte er laut, als wäre er im Fernsehen. „Kara Swisher, die meisten Menschen in dieser Stadt fallen einem in den Rücken, aber Sie haben mich frontal attackiert und das weiß ich zu schätzen.“ Dann stieß er ein lautes Lachen aus.
In gewisser Weise habe ich McLaughlin dafür bewundert. Er war ein fieser alter Bock, aber er kannte die Regeln des Kampfes. Ich sah ihm direkt in die Augen. Zurückhaltung und Subtilität waren definitiv nicht mein Stil, vor allem, wenn Genauigkeit und Ehrlichkeit ebenso effektiv waren. Und so schoss ich, ohne zu zögern, zurück: „Immer wieder gern, Scheißkerl.“
McLaughlin lachte auch darüber, weil klar war: Ich hatte viel von ihm gelernt. Das war ein fantastischer Moment für mich – dafür, dass ich ihn für einen schlechten Menschen hielt, kam ich ziemlich gut mit ihm aus. Er war einer von vielen Schurken, mit denen es funkte. Dann verabschiedete er sich und ich habe ihn nie wieder gesehen. Was ich nicht zu ihm sagte, bevor er ging, sondern mir nur nachher dachte: „Von mir aus können Sie gar nicht früh genug sterben, Dr. McLaughlin.“ Ich wünschte, ich hätte es getan. in späteren Jahren hätte ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Das Leben ist viel zu kurz, das hatte ich schon mit fünf gelernt. Ich hatte keine Zeit zu verlieren.
McLaughlin auch nicht. Dieses Jahr, 1990, war der Höhepunkt seiner Karriere. Von da an verlor er immer mehr an Bedeutung, bis er schließlich im Jahr 2016 auf Grund lief. Zu diesem Zeitpunkt war ich genau da, wo ich ihm prophezeit hatte, dass ich sein würde – und er war da, wo ich ihm prophezeit hatte, dass er sein würde.
Ja, Babylon war tatsächlich einmal.
Verbinden, nur verbinden! Das war der ganze Inhalt ihrer Predigt. Verbinde nur die Prosa und die Leidenschaft, so beide werden erhöht und du siehst die menschliche Liebe auf ihrer Höhe. Höre auf, in Bruchstücken zu leben.
–E. M. FORSTER, HOWARDS END
Al Gore hat das Internet erfunden. Zumindest in gewisser Weise.
Wie den meisten bekannt sein dürfte, wurde der ehemalige Vizepräsident 1999 in einem CNN-Interview für diese Behauptung an den Pranger gestellt. Der genaue Wortlaut war: „Während meiner Tätigkeit im Kongress der Vereinigten Staaten habe ich die Initiative ergriffen, das Internet zu erschaffen.“
Das ist wahr. Als Senator aus Tennessee hat Gore den „High Performance Computing and Communication Act of 1991“, auch „Gore Bill“ genannt, ausgearbeitet und durchgebracht. Infolge dieses Gesetzes wurden Initiativen wie der bahnbrechende Mosaic-Browser finanziert und es war entscheidend für die Kommerzialisierung dieses heute für uns unverzichtbaren Mediums.
Ich habe Al Gore 1989 kennengelernt, als ich über seine Bemühungen berichtete, die Verwendung von Fluorchlorkohlenwasserstoffen einzuschränken, die zum Abbau der Ozonschicht führten. Auch mit dem Klimawandel hatte er recht. Er hörte sich zwar wie ein Idiot an, als er sagte, er habe das Internet erfunden, aber wahrscheinlich sollten wir ihm dankbar sein für all das, was er geleistet hat. Dafür, dass er einer der wenigen in Washington war, die sich überhaupt für Technologien interessiert haben.
Die andere Person, der seltsamerweise ein gewisser Verdienst zukommt, ist der damalige Sprecher des Repräsentantenhauses Newt Gingrich, der eine schwachsinnige Änderung des „Communications Decency Act“ von 1996 durch den damaligen Senator von Nevada, James Exon, blockierte. Obwohl sich Gingrich seitdem zu einer der gruseligsten politischen Figuren in der Republikanischen Partei entwickelt hat, war er eine wichtige Figur bei der Zurückdrängung früher und aggressiver politischer Versuche, ein offenes und freies Internet zu unterdrücken. Mother Jones schreibt Gingrich sogar die Rettung der Pornografie zu, was in diesen Tagen sehr passend ist, da er den pornografischsten Präsidenten in der amerikanischen Geschichte verteidigt. Gut gebrüllt, Newt!
Mit staatlicher Unterstützung entstanden Anfang der 1990er-Jahre die ersten Internetunternehmen. Die Washington Post bot mir die Möglichkeit, über eine breite Palette digitaler Themen zu berichten, vor allem, weil es sonst niemand tat und ich mit gerade 30 die „Junge“ in der Redaktion war. Tatsächlich war ich auch schon süchtig danach. Während eines kurzen Stipendiums an der Duke University hatte ich eine Offenbarung. Ich saß vor einem Computer, loggte mich in das gerade entstehende World Wide Web ein und erlebte aus erster Hand, was für großartige Möglichkeiten es bot, Inhalte zu vermitteln. Und was habe ich als Erstes getan?
Ich habe mir einen Comic von Calvin und Hobbes heruntergeladen. Und hat es mich auch nur im Geringsten gestört, dass ich dabei das Computernetz lahmgelegt habe? Hat es nicht. Aber den Systemadministrator – ein junger Mann, der wie ein techbesessener Siebtklässler aussah.
„Du hast das Netz blockiert“, schalt er mich.
„Aber ich habe ein ganzes Buch heruntergeladen, im Prinzip nur auf einen Knopfdruck“, entgegnete ich. „Ein ganzes Buch, verdammt noch mal!“
„Ja, echt fett“, sagte er und warf mir diesen „Mädchen können nicht programmieren“-Blick zu, der mir nur allzu vertraut werden sollte. Nein, ich konnte in der Tat nicht programmieren, aber ich wusste etwas, was dieser Geek nicht zu begreifen schien: Ein Buch ist wie alle Bücher, ein Lied wie alle Lieder, ein Film wie alle Filme. In diesem Moment kam mir der Gedanke, der mich jahrzehntelang begleitete und an den ich bis heute glaube:
Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert werden.
Wenn „Gott sprach: Es werde Licht und es ward Licht“ das wichtigste Tech-Konzept aller Zeiten ist – und seien wir ehrlich, bis jetzt hat noch kein Geek, so gut er auch sein mag, dieses Prinzip getoppt –, dann ist die Idee, das Analoge in das Digitale zu verwandeln, der Kern des Versprechens und der Herausforderungen, vor denen wir heute noch stehen.