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Kurz vor ihrem fünfzigsten Geburtstag erfüllt sich Hannah Jensen einen Lebenstraum: Im Münchner Stadtteil Neuhausen eröffnet sie ihr eigenes Café. Und hier kommen so einige Geschichten zusammen, denn auch andere Menschen stehen vor einem Neubeginn: Edeltraut, nach mehr als dreißig Jahren Ehe vom Mann verlassen, braucht nach einer Mieterhöhung dringend einen Job, April muss endlich den Tod ihres Mannes verarbeiten, Hannahs Nichte Svenja löst in Hamburg Knall auf Fall ihre Verlobung und fährt spontan mit dem charmanten, aber geheimnisvollen Ben nach München, während sich der knurrige Künstler Hubertus von Waldhausen und der in Dublin lebende Pole Andrzej in die quirlige Hannah verlieben … »Café Hannah« ist eine Serie über Menschen in München (und anderswo) mit dem Café und dessen Betreiberin Hannah als Mittelpunkt. Die einzelnen Teile bestehen aus je zehn Episoden. In jedem Kapitel wird die Geschichte einer Person erzählt; dabei tauchen auch Figuren aus anderen Episoden auf, manche mehr, manche weniger – oder gar nicht. Aber früher oder später kommen auch sie wieder zu Wort.
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Seitenzahl: 423
Alle Bände der Café Hannah Reihe:
1 - Alles auf Anfang
2 - Überraschungen
3 - Rettet das Café!
4 - Vertraut anders
5 - Wir müssen reden
6 - Familienbande
7 - Mann Mann Mann!
Marilyn - Kurzroman
Brigid - Kurzroman
Cover: Christine Spindler, Foto © missmimimina, Fotolia.de
Charakterskizzen: Karin Schliehe. Illustration Tasse: Karl-Heinz-Gutmann (charlygutmann/Pixabay). Foto Ann E. Hacker: Thomas Endl
Lektorat: Christine Spindler, Thomas Endl
Dritte Auflage, München 2024
ISBN 978-3-949181-05-4
© Feather & Owl
Ute Hacker, Adamstr. 1, 80636 München
Alle Rechte vorbehalten
Kurz vor ihrem fünfzigsten Geburtstag erfüllt sich Hannah Jensen einen Lebenstraum: Im Münchner Stadtteil Neuhausen eröffnet sie ihr eigenes Café. Und hier kommen so einige Geschichten zusammen, denn auch andere Menschen stehen vor einem Neubeginn:
Edeltraut, nach mehr als dreißig Jahren Ehe vom Mann verlassen, braucht nach einer Mieterhöhung dringend einen Job, April muss endlich den Tod ihres Mannes verarbeiten, Hannahs Nichte Svenja löst in Hamburg Knall auf Fall ihre Verlobung und fährt spontan mit dem charmanten, aber geheimnisvollen Ben nach München, während sich der knurrige Künstler Hubertus von Waldhausen und der in Dublin lebende Pole Andrzej in die quirlige Hannah verlieben …
»Café Hannah« ist eine Serie über Menschen in München (und anderswo) mit dem Café und dessen Betreiberin Hannah als Mittelpunkt. Die einzelnen Teile bestehen aus je zehn Episoden. In jedem Kapitel wird die Geschichte einer Person erzählt; dabei tauchen auch Figuren aus anderen Episoden auf, manche mehr, manche weniger – oder gar nicht. Aber früher oder später kommen auch sie wieder zu Wort.
1 – Café Hannah (Hannah Jensen)
2 – In Würde altern (Marlene Mannhart)
3 – Tag Eins (Edeltraut Mayerhofer)
4 – Das Leben ist vorbei (Svenja Wahls)
5 – Die CD (April McRae)
6 – Künstlerseele (Hubertus von Waldhausen)
7 – Entscheidungen (Magnus Petersen)
8 – Sei locker! (Gina Stein)
9 – Reich und doch arm (Ben Häusgen)
10 – Falsche Post (Andrzej Nowak)
Die Autorin
Reihenübersicht
Hannah hatte es sich im Bett gemütlich gemacht und wollte vor dem Schlafen noch ein paar Seiten in ihrem Krimi lesen, als sie ein durchdringendes Piepen vernahm. Sie versuchte, es gedanklich auszublenden, wollte sich auf das Buch konzentrieren. Doch es war nicht möglich. Der Ton drang nervtötend penetrant in ihr Bewusstsein ein.
Hannah legte das Buch zur Seite und beschloss, dem Ganzen auf den Grund zu gehen. Eine Autoalarmanlage? Dafür klang es zu schrill. Ein Wecker? Abends um zehn?
Ein schneller Rundgang durch die Wohnung bestätigte, dass das Geräusch nicht von hier kam. Hannah schlüpfte in Morgenmantel und Hausschuhe und öffnete die Wohnungstür. Das Piepen wurde lauter, die Quelle war jedoch nicht eindeutig lokalisierbar. Hannah steckte ihre Schlüssel ein und trat ins Treppenhaus hinaus. Niemand sonst schien etwas zu hören.
Sie lief ein paar Stufen nach oben und erkannte schnell, dass das Geräusch leiser wurde. Also zurück und ein paar Stufen nach unten. Das Piepen wurde deutlich lauter.
Als Hannah erkannte, was es war, blieb ihr vor Schreck fast das Herz stehen. Der Rauchmelder im Café! Zwei Stufen auf einmal nehmend rannte sie nach unten, schaffte es vor Aufregung kaum, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, bekam die Tür doch noch auf – und wurde von einer stinkenden Rauchwolke eingehüllt. Es roch intensiv nach verbranntem Gummi.
Mit einem kräftigen Tritt schloss Hannah die Tür von außen, dachte nach. Der Feuerlöscher stand irgendwo im Küchenbereich, wo genau, wusste sie nicht. Dennoch – sie musste es versuchen.
Sie holte ein paar Mal tief Luft, zog die Tür einen Spalt breit auf, quetschte sich hindurch und betrat den Laden. Sie versuchte, sich zu orientieren, ein Feuer zu entdecken, konnte jedoch wegen des dichten Rauchs kaum etwas sehen.
Ihre Augen begannen zu tränen, die Luft wurde knapp. Vorsichtig atmete Hannah durch die Nase ein, musste husten. Ihre Lunge brannte. Sie musste so schnell wie möglich raus. Fast blind bahnte sie sich ihren Weg zur Ladentür. Sie stieß mehrmals an Gegenstände, stolperte über etwas Schweres auf dem Boden, konnte sich nicht mehr fangen, fiel hin, fluchte. Ihre Augen tränten inzwischen nicht nur vom Rauch. Einen Moment lang war sie versucht, einfach liegenzubleiben, doch dann siegte ihre Kämpfernatur.
Der Klang von Martinshörnern drang an ihr Ohr.
Hannah hob den Kopf, versuchte erneut, sich zu orientieren. Es konnte nicht mehr weit zur Ladentür sein.
Fluchend rappelte sie sich auf, atmete so flach wie möglich, doch der Rauch drang unerbittlich in ihre Lungen, sie hustete. Der Knöchel schmerzte, aber sie humpelte weiter. Endlich fand sie die Tür. Zum Glück steckte der Schlüssel von innen. Sie drehte ihn um und stieß die Tür auf. Hustend und nach frischer Luft schnappend rannte Hannah hinaus. Rauchschwaden quollen hinter ihr aus dem Laden.
Im selben Moment bogen zwei Feuerwehrwagen in die Blumengasse ein und verbreiteten mit ihren rotierenden Blaulichtern eine gespenstische Atmosphäre. In den Häusern ringsum öffneten sich die ersten Fenster.
Männer in schwarz-gelben Uniformen sprangen aus den Wagen, trafen die nötigen Vorbereitungen. Einer kam auf sie zu. Die Silberstreifen auf seiner Jacke reflektierten das Blaulicht.
»Wagner, Einsatzleitung«, stellte er sich in barschem Ton vor.
»Hannah Jensen.« Sie reichte ihm die Hand, die er ignorierte.
»Was ist passiert?«
Hannah zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung«, erwiderte sie wahrheitsgemäß. »Ich habe den Rauchmelder in meiner Wohnung gehört –«, sie zeigte in den ersten Stock, »– allerdings ein paar Minuten gebraucht, bis ich ihn als solchen identifiziert hatte. Ich bin durch die Hintertür rein und habe versucht, das Feuer zu finden. Da ich aber nichts sehen konnte, bin ich durch die Ladentür wieder raus.«
»Es ist Ihr Geschäft?«
»Ja, ich eröffne hier in ein paar Wochen ein Café.«
»Sie warten hier«, bedeutete er ihr im Kommandoton, rief dann zwei seiner Kollegen mit Atemschutz zu sich und schickte sie in den Qualm. Er selbst ging zu einem der Wagen zurück und sprach in ein Funkgerät.
Hannah wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie hätte gerne Marlene angerufen, doch ihr Handy lag in der Wohnung. Um nicht im Weg zu stehen, überquerte sie die Straße und lehnte sich ans kühle Fensterglas des Blumenladens. Wie durch dichten Nebel vernahm sie das Krachen des Funkgeräts, sah die Blaulichter, die übrigen Feuerwehrleute, bereit für ihren Einsatz, es fehlte nur der Bericht der Kollegen.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern.
Hatte sie sich doch übernommen? Nur weil man davon träumte, ein Café zu eröffnen, hieß das noch lange nicht, dass man auch eines führen konnte. So viel war schiefgelaufen in den letzten Wochen, immer wieder hatten sie die Eröffnung verschieben müssen. Vielleicht war das ja ein Zeichen …
Blödsinn, dachte Hannah und wischte sich über das Gesicht. Sie glaubte nicht an Zeichen.
»Brauchen Sie Hilfe?«
Hannah schreckte aus ihren Gedanken hoch. Vor ihr stand eine junge Frau in Weiß, ein Abzeichen wies sie als Sanitäterin aus.
»Nein, danke«, antwortete Hannah und musste husten.
»Waren Sie da drin?«, fragte die Frau und zeigte auf das Café.
»Ja.« Hannah wurde erst jetzt bewusst, wie schwer ihr das Atmen fiel. Sie deutete auf ihren Brustkorb und sagte: »Hier tut's weh.«
Die Frau schaute sie ernst an. »Haben Sie Rauch eingeatmet?«
»Ja.«
»Wie lange waren Sie drin?«
Hannah dachte nach. Es konnten nur wenige Minuten gewesen sein. Sie sagte es der Sanitäterin.
»Warten Sie hier, ich hole Sauerstoff, dann fällt Ihnen das Atmen leichter.« Die Frau verschwand hinter einem der beiden Feuerwehrwagen, kam kurze Zeit später mit einer kleinen Sauerstoffflasche zurück. Sie reichte Hannah eine Maske, zeigte ihr, wie sie sie vor Mund und Nase halten musste, und drehte die Flasche auf.
»Ruhig ein- und ausatmen.«
Hannah holte folgsam Luft. Es stach und zwickte im Brustkorb.
»Besser?«, fragte die Frau nach einigen Atemzügen.
Hannah nickte, obwohl sie keine Verbesserung spürte.
»Gut. Sie sollten sich auf alle Fälle im Krankenhaus untersuchen lassen.«
»Mache ich.«
Die Sanitäterin klemmte die Sauerstoffflasche unter den Arm, stellte sich neben Hannah, holte ein Smartphone aus der Hosentasche und tippte drauf herum. Sie schien solche Szenen gewohnt zu sein.
Endlich kamen die beiden Feuerwehrleute aus dem Laden. Sie gingen sofort zum Einsatzleiter und erstatteten Bericht. Der kam daraufhin zu Hannah und sagte: »Da haben Sie noch mal Glück gehabt. Es war nur ein Schwelbrand, hinten in der Küche. Da hat wohl einer Ihrer Handwerker geschlampt. Schlimmer ist der Rauch. Ein Karton mit Kunststoff hat vor sich hin gekokelt. Ob Sie den Geruch jemals rausbekommen …«
Hannah nahm die Maske vom Gesicht. »Sie können ihn nicht absaugen oder so was Ähnliches?«
»Den Geruch?«
Sein Ton gefiel Hannah keineswegs, aber sie zwang sich dazu, freundlich zu bleiben.
»Den Rauch«, erwiderte sie.
»Lüften Sie ordentlich durch, dann ist er in Nullkommanichts weg«, sagte der Einsatzleiter.
»Danke für Ihre Hilfe«, antwortete Hannah und machte sich diesmal keine Mühe, den Sarkasmus in ihrer Stimme zu verbergen.
Der Mann wollte etwas erwidern, überlegte es sich dann jedoch anders, tippte mit zwei Fingern an eine imaginäre Mütze und ging zum Wagen zurück.
»Er meint es nicht so«, sagte die Sanitäterin neben ihr.
»Er ist trotzdem ein Idiot«, murmelte Hannah. »Es ist ja nicht so, als ob ich das Feuer gelegt hätte.« Sie fühlte sich unendlich müde.
»Was ist passiert, um Himmels willen?« Sandra stand plötzlich vor ihr, sie trug einen Pullover über ihrem Schlafanzug.
Hannah hob die Achseln. »Offen gestanden, ich weiß es nicht. Die Feuerwehr sagte was von Schwelbrand, einer der Handwerker, keine Ahnung.«
Sandra schaute in den Laden. »Viel wird man nicht sehen. Wir sollten durchlüften.«
»Ich weiß, aber wie soll das gehen?« Hannah schaute sie fragend an. »Der Rauch geht ins Haus, wenn ich beide Türen aufmache.«
»Wenn wir noch die Hoftür öffnen, zieht er nur durch das Haus hindurch. Es wird ein bisschen riechen, aber das macht ja nichts.«
Hannah begann, Hoffnung zu schöpfen. An die Tür zum Hinterhof hatte sie nicht gedacht. Wenn sie damit einen ordentlichen Durchzug schafften, war der Rauch wirklich in Nullkommanichts draußen.
»Einen Versuch ist es wert.«
»Gut«, sagte Sandra. »Ich zieh mir rasch was anderes an und komme dann wieder.« Sie drückte Hannahs Hand. »Du bist nicht allein.«
»Danke«, hauchte Hannah und hielt nur mit Mühe die Tränen zurück.
Die beiden Wagen der Feuerwehr fuhren an ihnen vorbei und gaben den Blick auf den Rettungswagen frei.
Sie reichte der Sanitäterin die Sauerstoffmaske.
»Vielen Dank, das Atmen geht jetzt wesentlich besser.«
»Sie sollten trotzdem ins Krankenhaus fahren. Mit einer Rauchvergiftung ist nicht zu spaßen.«
»Ja, ich weiß. Ich fahre, versprochen.« Hannah hielt die Hand hoch wie zum Schwur.
»Alles Gute«, sagte die Frau und ging zum Wagen zurück. Ihr Kollege saß am Steuer und sprach in ein Funkgerät. Kurz darauf fuhren sie los.
Hannah winkte der Frau zu und folgte Sandra ins Haus. Es roch verbrannt. Sie brauchte zwei Pausen auf der Treppe und war vollkommen erschöpft, als sie in ihrer Wohnung stand. Mit Mühe vertauschte sie Nachthemd und Morgenmantel mit einem alten Trainingsanzug, von dem sie sich bisher nie hatte trennen können. Nun würde er doch noch einmal nützlich sein.
Sie stand schwer atmend im Hausflur, als ihr einfiel, dass sie Marlene benachrichtigen sollte. Hannah betrat erneut die Wohnung, ergriff ihr Handy und wählte auf dem Weg nach unten die Kurzwahl. Als die Freundin sich verschlafen meldete, schaffte sie nur noch, Marlenes Namen zu sagen, dann ließen sich die Tränen nicht mehr aufhalten. Sie setzte sich auf die Treppe und weinte.
Sandra tauchte auf, strich ihr über die Schulter, ging nach unten. Hannah rappelte sich auf und folgte ihr, reichte ihr den Schlüssel zur Hintertür. Die Nachbarin öffnete die Tür zum Hof, dann die Hintertür zum Laden. Ätzender, stinkender Rauch quoll heraus. Hannah musste husten und hielt die Hand auf ihren Brustkorb, weil es so wehtat.
Ein heftiger Durchzug entstand – Sandra hatte die Ladentür geöffnet. Der Rauch zog Richtung Hof.
Hannah wischte sich die Tränen ab. Es war nicht ihre Art, heulend dabeizustehen, während andere ihre Arbeit machten, aber in dieser Nacht fühlte sie sich ausgelaugt und matt.
Von den anderen Nachbarn ließ sich niemand blicken, und sie war froh darüber. Für Auseinandersetzungen hätte sie keine Zeit und keine Kraft.
Sandra hatte Recht behalten: Der Durchzug lüftete den Laden, und bereits nach einer halben Stunde konnten sie ihn gefahrlos betreten. Als Marlene eintraf, waren Sandra und Hannah gerade dabei, den Schaden zu begutachten.
Hannah stellte die beiden Frauen einander vor: »Marlene Mannhart, meine Innenarchitektin. Sandra Leupold, äußerst hilfsbereite Nachbarin aus dem zweiten Stock.« Wieder kämpfte sie mit den Tränen.
Marlene drückte Hannahs Hand, Sandra ihre Schulter.
»Wer hat denn die Feuerwehr alarmiert?«, fragte letztere.
»Ich weiß es nicht. Niemand hat etwas erwähnt.«
»Ruf morgen in der Leitstelle an, die können dir das sicher sagen«, schlug Marlene vor, holte einen Block und einen Stift aus ihrer Tasche und begann, den Schaden zu begutachten.
»Gute Idee. Ich sollte mich auf jeden Fall bedanken.« Hannah setzte sich und beobachtete Marlene, die sich immer wieder Notizen machte. »Und – wie schlimm ist es?«
»Nicht so schlimm wie befürchtet«, sagte Marlene. »Wir müssen neu streichen, aber ansonsten sieht es ganz gut aus.«
Sandra, die vor einigen Jahren einen Wohnungsbrand überstanden hatte, sagte, das Mobiliar müsse nur ordentlich gereinigt werden, dann könne man es ohne weiteres wiederverwenden.
»Zum Glück hast du keine Polstermöbel. Da bekommst du den Brandgeruch nicht mehr raus«, fügte sie hinzu.
»Was ist denn nun eigentlich passiert?«, fragte Marlene.
»Die Feuerwehr sagte, es sei ein Schwelbrand gewesen, hinten in der Küche. Angeblich einer der Handwerker. Sie haben den Brand mit einem Handfeuerlöscher gelöscht. Hätte ich auch machen können, wenn ich nicht so kopflos gewesen wäre.«
Marlene legte den Arm um Hannah. »Na hör mal, es ist doch völlig normal, dass man etwas konfus reagiert, wenn es brennt. Tut es zum Glück ja nicht alle Tage.«
»Ja, ich weiß. Dennoch: Ich Idiot habe die Ladentür aufgemacht, obwohl man doch immer wieder liest, dass man bei einem Feuer keinesfalls Türen und Fenster öffnen darf, wegen der Sauerstoffzufuhr. Wenn das ein richtiges Feuer gewesen wäre …« Hannah schüttelte sich.
»Denk nicht mehr dran.« Marlene schaute auf ihre Armbanduhr. »Heute Nacht können wir sowieso nichts mehr machen. Lass uns ins Bett gehen und morgen Früh weitermachen. Was meinst du?«
»Und du glaubst, ich kann schlafen nach all dem?«
Marlene grinste. »Ich mach dir meinen Spezialschlaftrunk, dann schläfst du wie ein Baby.«
Hannah schaute sie fragend an, aber Marlene hatte sich bereits Sandra zugewandt. »Vielen Dank für Ihre Hilfe! Sobald das Café eröffnet ist, revanchieren wir uns.«
Hannah nickte zur Bestätigung, aber Sandra wiegelte ab. »Das ist doch selbstverständlich. Schließlich sind wir Nachbarn.«
Marlene schickte Hannah nach oben in die Wohnung; sie würde alle Türen schließen und den Laden absperren.
Gehorsam stieg Hannah die Treppe hoch. Sie musste auf halbem Weg stehenbleiben, weil sie kaum Luft bekam. Endlich in der Wohnung angelangt, ging sie als Erstes ins Badezimmer, um ihre Augen auszuwaschen, die immer noch brannten. Ihr Gesicht war verschmiert vom Ruß, ihre Augen hatten dunkle Ringe.
»Endlich siehst du mal so alt aus, wie du bist«, spottete sie und wusch sich Hände und Gesicht. Zu mehr war sie zu müde.
Im Wohnzimmer genehmigte sie sich aus der Bar einen großen Cognac und setzte sich auf das Sofa. So viele Gedanken schwirrten in ihrem Kopf herum, vor allem aber der, dass sie die Eröffnung nun ein weiteres Mal verschieben müssten. Aber Marlene würde ihr sicher gleich mehr dazu sagen können.
Doch als die Freundin zehn Minuten später in der Wohnung auftauchte, schlief Hannah tief und fest.
* * *
Marlene bestand am nächsten Morgen darauf, dass Hannah in ein Krankenhaus fuhr und sich untersuchen ließ.
»Du hast viel zu viel Rauch eingeatmet. Willst du einen Lungenschaden als Andenken behalten?«
Da Hannah immer noch Schmerzen beim Atmen hatte, gab sie nach und fuhr ins nahegelegene Rotkreuzkrankenhaus. Als der Arzt ihr sagte, sie müsse ein paar Tage stationär bleiben, weigerte sie sich.
»Ich bin gerade dabei, ein Café zu eröffnen. Ich kann jetzt nicht herumliegen und nichts tun.«
Da kein Argument sie überzeugen konnte, gab der Arzt ihr ein cortisonhaltiges Spray mit, das sie mehrmals täglich anwenden sollte.
»Sollten sich Ihre Beschwerden verschlechtern, kommen Sie sofort zu uns«, sagte er zum Abschied.
»Ja«, erwiderte Hannah und dachte nicht daran.
Marlene war nicht begeistert, als sie im Laden auftauchte. »Das Café ist es nicht wert, dass du deine Gesundheit ruinierst«, schimpfte sie.
Auch JJ, mit dem Hannah spät am Abend telefonierte, redete ihr ins Gewissen: »Mom, listen to your friend. Was nützt ein tolles Café, wenn du dann dauerhaft krank bist? Du wirst all deine Kraft brauchen.«
Doch Hannah war stur. Sie hatte kaum Beschwerden und es gab noch so viel zu tun. Dass sie an den folgenden Abenden sehr viel erschöpfter war als vor dem Brand, schob sie auf den vielen Kaffee und die daraus resultierenden schlaflosen Nächte. Auch in ihrem Kopf war zu viel los.
Drei Tage nach dem Brand stand sie nachmittags auf dem Gehsteig und sinnierte darüber, ob sie die beiden Schaufenster wie geplant gestalten sollte. Es war ausreichend Platz für je einen Tisch und zwei Stühle vorhanden. Die Leute sollten auf den ersten Blick sehen, wie gemütlich das Café war. Aber würden sich die Leute ins Schaufenster setzen und beim Kaffeetrinken beobachten lassen?
»Sie belästigen uns nicht nur mit monatelangem Lärm und Dreck, sondern fackeln beinahe auch noch das Haus ab«, sagte eine näselnde Stimme hinter ihr.
Hannah ließ sich Zeit, bevor sie sich umdrehte. Von Waldhausen sollte nicht denken, sie würde beim ersten Wort von ihm reagieren.
»Es ist nichts Schlimmes passiert«, sagte sie betont ruhig.
»Nur, dass alles nach Rauch riecht.« Er schaute böse unter dem Hutrand hervor. »Sie hätten meine Bilder ruinieren können.«
Hannahs Puls raste, ihr Brustkorb schmerzte beim Atmen. Ein erneuter Krach mit dem Künstler aus der vierten Etage war das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. Aber es half nichts, er stand direkt vor ihr, die personifizierte Wut und Arroganz.
Sie drückte den Rücken durch und schaute Hubertus von Waldhausen direkt an. »Ihre Bilder waren sicher, in Ihrem Atelier da hinten im Hof. Nichts gegen Ihre Kunst, aber es gibt Wichtigeres im Leben. Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich habe zu tun.« Damit wandte sie sich ab und widmete sich wieder den Fenstern. Sie wartete auf eine Bemerkung, doch er grunzte nur kurz und betrat dann das Haus.
Als sich ihr Puls gegen Abend immer noch nicht beruhigt hatte und ihre Atembeschwerden nicht besser wurden, sah Hannah widerwillig ein, dass sie sich erholen musste. Sie fuhr zurück ins Krankenhaus und ließ sich stationär einweisen.
Marlene kam am nächsten Nachmittag vorbei und brachte einen riesigen Blumenstrauß mit.
»Der ist von Christine. Fast die ganze Straße hat zusammengelegt und wünscht dir eine schnelle Genesung.«
»Wie nett, vielen Dank. Kümmerst du dich um eine Blumenvase?«
Marlene nickte. »Na klar. Vorausgesetzt, sie haben hier so große Vasen.«
Sie kam ein paar Minuten später mit einem Plastikeimer zurück, in den sie den Strauß stellte. »Der muss genügen.«
»Ich schaue einfach nur die Blumen an.« Hannah bemühte sich um ein Lächeln.
»Wie geht's dir?«
»Ging schon mal besser. Wie geht's dem Café?«
»Mach dir bitte keine Gedanken um das Café, es ist alles in bester Ordnung. Heute Morgen war noch mal jemand von der Feuerwehr da, ein Brandursachenermittler. Offensichtlich hat einer der Elektriker vergessen, eine Lampe auszuschalten. Sie hat einen wärmeempfindlichen Kunststoff so erhitzt, dass ein Schwelbrand entstand.«
»Kann man sich denn auf niemanden mehr verlassen?« Hannah ließ sich erschöpft ins Kissen zurückfallen.
»Ich rede natürlich mit dem Elektriker«, sagte Marlene. »Seine Versicherung muss dafür aufkommen.« Sie zögerte.
»Nun sag's schon«, forderte Hannah sie auf.
»Es wird sich vermutlich einige Monate, wenn nicht sogar länger hinziehen. Versicherungen sind heute auch nicht mehr das, was sie mal waren.«
»Geld ist nicht das Problem, ich habe genug auf der hohen Kante – zumindest für einige Monate. Die Frage ist: Werden wir die Eröffnung erneut verschieben müssen?«
Die Freundin zögerte, sagte dann: »Ich denke nicht. Wir haben ja noch fast drei Wochen. Es könnte eventuell eng werden, aber dann ist eben nicht alles so vollkommen, wie du es gerne haben möchtest.«
»Hmm«, machte Hannah.
Marlene nahm ihre Hand. »Ich weiß, du bist Perfektionistin, aber wichtig ist doch, dass die Leute etwas zu essen und zu trinken haben. Der Rest kommt von allein.«
»Ja, ich weiß. Ich stehe mir selbst im Weg.« Hannah drückte die Hand der Freundin. »Ich vertraue dir.«
Marlene lachte. »Dafür bezahlst du mich schließlich. Und deshalb muss ich jetzt auch zurück und den Handwerkern auf die Finger schauen.« Sie stand auf. »Und du ruhst dich aus, versprochen?«
»Versprochen.«
* * *
Doch zu viele Gedanken hinderten Hannah an der nötigen Ruhe. Wie schon in der Brandnacht ging ihr ein Gedanke nicht aus dem Kopf: Hatte sie sich mit der Eröffnung des Cafés übernommen?
Wohin sie auch schaute, gab es Probleme. Natürlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass alles glatt laufen würde. Aber nun stand ihr neben all den Kleinigkeiten, die mit einem Umbau auftraten, und dem Krach mit von Waldhausen auch noch eine vermutlich lang andauernde Auseinandersetzung mit einer Versicherung bevor.
Zum ersten Mal, seit sie nach München gezogen war, fühlte Hannah sich allein. Zwar verstand sie sich bestens mit Christine und den anderen Ladenbesitzern in der Blumengasse, und Marlene, die sie als Innenarchitektin engagiert hatte, bezeichnete sie inzwischen sogar als Freundin. Dennoch waren sie längst noch nicht so vertraut, dass sie mit ihr über diese Dinge reden könnte. Und Marlene würde einen Teufel tun und ihr von dem Café abraten, immerhin war es ein lukrativer Auftrag.
Sie dachte an Klaus. Würde er sie verstehen? Vielleicht. Aber es war müßig, darüber nachzudenken. Sie hatte alle Brücken nach Frankfurt hinter sich abgebrochen …
Sicher gab es im Krankenhaus jemanden, aber wollte sie mit einem Seelsorger oder gar einem Psychiater reden?
Hannah schüttelte energisch den Kopf. Nein, so weit war sie dann doch nicht!
Die Stationshilfe streckte den Kopf durch die Tür. »In ein paar Minuten gibt es Abendessen. Wollen Sie im Bett oder am Tisch essen?«
Hannah entschied sich für den Tisch und starrte unschlüssig auf das Tablett. Sie hatte keinen Hunger, zumindest nicht auf Brot, Wurst und Käse.
Ihr Handy vibrierte. Sie war versucht, es zu ignorieren, wurde dann doch neugierig. Es war JJ. Hannah atmete tief durch und meldete sich mit einem freudigen »Hallo, JJ!«
»You're in a hospital?« Wider Willen musste Hannah lächeln. Wie immer direkt und ohne Umweg: In dieser Beziehung war JJ ganz ihr Sohn.
»Du hast selbst gesagt, mit einer Rauchvergiftung sei nicht zu spaßen«, erinnerte sie ihn.
»Ja, natürlich. Ich finde es auch sehr vernünftig, dass du dich behandeln lässt.«
Hannahs Blick fiel auf ihren Wecker. Es war kurz vor achtzehn Uhr, also kurz vor Mittag in Queens. »Bist du nicht in der Schule?«, fragte sie alarmiert.
»Doch, natürlich, mach dir keine Sorgen, Mom.« Er zögerte, und einen Moment lang befürchtete Hannah, ihr Sohn würde ihrem Berg neuen Kummer hinzufügen. Doch dann sagte er: »Marlene hat mich angerufen – muss ich mir Sorgen machen?«
»Aber nein«, rief Hannah und hörte selbst, dass es bemüht klang. »Ich ruhe mich ein paar Tage lang aus, dann bin ich wieder ganz die Alte. Glaub mir, es ist alles gut.«
JJ schien sich überzeugen zu lassen, denn er wechselte das Thema und berichtete ihr vom Leben in Queens.
»Stell dir vor, Joclyn hat sich schon wieder verlobt. Und natürlich schwört sie wie immer, dieses Mal sei es aber der Richtige.«
»Das wievielte Mal ist das jetzt?«, fragte Hannah.
»Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen. Marilyn behauptet, es sei Nummer zwölf, deshalb müsse es diesmal klappen. Nicht auszudenken, wenn dann ausgerechnet Nummer dreizehn der Richtige wäre.«
Hannah lachte, und obwohl ihr Brustkorb schmerzte, fühlte sie sich gut dabei.
»Sag allen liebe Grüße, ja? Vielleicht schaffe ich es ja noch in diesem Jahr, mal vorbeizuschauen.«
»Ha ha«, machte JJ. »Schau lieber, dass du wieder gesund wirst und dein Café eröffnest!«
»Und wenn es nun ein Fehler war?« Hannah bereute den Satz sofort, aber er war nun gesagt.
»Was meinst du?« JJ klang sofort wieder besorgt.
»Ach nichts«, gab Hannah zurück und bemühte sich um einen neutralen Ton. »Was willst du von jemandem erwarten, der im Krankenhaus liegt? Ist nicht gerade ein Ort der überbordenden Fröhlichkeit. Frag mich in ein paar Tagen noch einmal, dann klinge ich ganz anders.«
»Sicher?«
»Sicher«, bestätigte Hannah. »Ich habe das Recht, ein bisschen zu jammern, oder nicht?«
»Ja, natürlich, Mom, jammere ein bisschen. Solange du nur bald wieder ganz die Alte wirst.«
»Natürlich werde ich das«, beruhigte sie JJ. »Und dann wirst du dich wieder darüber beschweren!«
JJ lachte. »Ist mir auf alle Fälle lieber als andersherum. Ich muss los, Mom. Pass auf dich auf, ja? Ich hab dich lieb.«
»Ich dich auch«, erwiderte Hannah und drückte sofort auf das Ende-Zeichen, da sie fürchtete, JJ könnte ihre tränenerstickte Stimme hören.
Aus Angst, es könnte sie jemand ertappen, schloss sie sich ins Badezimmer ein und gestattete sich ein paar Minuten Weinen. Wie gerne hätte sie jetzt Marilyn an ihrer Seite! Wer sechs Kinder aufgezogen und ein siebtes mit durchgefüttert hatte, sah das Leben vor allem von der praktischen Seite aus. You wanna open a café? Just do it!
Hannah lächelte, als sie an ihre ehemalige Nachbarin und Freundin dachte.
»Heulsuse«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild und wusch sich das Gesicht. JJ hatte recht: Sie sollte sich auf das Gesundwerden konzentrieren und dann die Probleme angehen.
* * *
Als es am nächsten Tag kurz nach dem Mittagessen klopfte, rechnete Hannah mit Marlene, die ihr den täglichen Bericht abliefern würde. Mit dem Gesicht, das freudig strahlend um die Tür schaute, hätte sie niemals gerechnet.
»Brigid?«, fragte sie ungläubig, als sei das Gesicht eine Erscheinung.
Die Tür wurde aufgestoßen und die Besucherin erschien nun in voller Größe.
»What are you doing here?« Hannah starrte die Freundin verblüfft an.
»Someone needs to take care of you, right?«, erwiderte Brigid, stellte einen kleinen Rollkoffer ab und streckte ihr einen großen Blumenstrauß entgegen.
Verzückt lauschte Hannah dem irischen Singsang. »Langsam wird es eng hier«, bemerkte sie dann trocken und deutete auf den Eimer mit dem Strauß, den Marlene am Tag zuvor mitgebracht hatte.
»Das kriegen wir hin.« Brigid legte den Strauß auf den Tisch und umarmte sie.
Hannah roch das vertraute Parfüm der Freundin und fühlte sich sofort geborgen. »Wo kommst du denn so plötzlich her?«
»Aus Wien«, erwiderte Brigid. Sie zeigte auf die Blumen und sagte: »Ich kümmere mich schnell darum, dann gehöre ich ganz dir.«
Während sie draußen nach einer passenden Vase suchte, drehten sich in Hannahs Kopf die Gedanken. Es konnte kein Zufall sein, dass Brigid aufgetaucht war. Doch wer hatte sie informiert?
Als Brigid mit einer großen Vase im Arm zurückkehrte, fragte Hannah ohne Umschweife: »Hat JJ dich angerufen?«
»Er macht sich Sorgen um dich«, erwiderte die Freundin ebenso direkt. Sie stellte die Vase auf den Tisch und zog einen Stuhl neben Hannahs Bett. »Es ist untypisch für dich, den Kopf hängen zu lassen.«
»Hat er das gesagt? Dass ich den Kopf hängen lasse?«
Brigid lächelte. »So ähnlich.«
»Und du hast alles stehen und liegen gelassen, um hierher zu kommen?«
»Ich komme tatsächlich aus Wien, es war ein glücklicher Zufall«, sagte Brigid. »Aber natürlich wäre ich auch aus Dublin gekommen.«
»Danke«, sagte Hannah und ergriff die Hand der Freundin. Als die Tränen kamen, ließ sie es zu und schämte sich nicht dafür. Minutenlang saßen sie da, schwiegen und hielten sich an der Hand.
»Danke«, sagte sie noch einmal, nachdem sie die Tränen getrocknet und sich geschnäuzt hatte.
Brigid erwiderte nichts, drückte nur ein letztes Mal ihre Hand.
»Erzähl. Was hast du in Wien gemacht?«
»Ich hatte einen Termin mit einem Verleger. Sie planen eine neue Serie, bei der ich mitwirken soll. Heute war das zweite von mehreren Treffen. Es war gerade vorbei, als JJ anrief. Ich bin mit dem Zug hierhergefahren.«
»Du bleibst doch hoffentlich ein paar Tage?«
Brigid schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich fürchte, das wird nicht möglich sein, so gerne ich auch bleiben möchte. Da der Verlag die Reisekosten übernimmt, musste ich mir einen relativ günstigen Flug suchen. Er geht heute Abend.«
»Schade.« Hannah dachte ein paar Minuten nach, fragte dann: »Musst du unbedingt heute noch nach Dublin? Oder ist es nur wegen der Kosten?«
»Ich sage es nur ungern, aber es ist tatsächlich wegen der Kosten.« Sie zeigte auf eine schmale Tasche, in der ihr Laptop steckte. »Schreiben kann ich fast überall.«
»Gut. Du stornierst deinen Flug, bleibst ein paar Tage und ich zahle dir den Rückflug. Keine Widerrede«, sagte sie, als Brigid protestieren wollte. »Du weißt, ich kann es mir leisten. Und ich will es mir leisten. Basta!«
Brigid lächelte. »Da scheint ja die alte Hannah durch. Schön, dass es sie noch gibt.«
»Ich werde doch nicht meine beste Freundin sofort wieder abreisen lassen? Du kannst bei mir wohnen, ich habe jede Menge Platz.«
Sie plauderten ein wenig über Alltäglichkeiten. Brigid erzählte von dem aktuellen Buchprojekt mit dem österreichischen Verlag. »Es wäre eine tolle Sache und es würde wieder etwas Geld in die Kasse spülen.«
»Ich dachte, es läuft so gut.«
»Ja und nein. Es läuft gut, ich kann eigentlich nicht klagen, aber mit Kinderbüchern verdient man nicht wirklich viel Geld. Es reicht so grade zum Leben. Wenigstens muss ich keine Miete bezahlen und auch keine Hypothek.«
»Bedauerst du es jemals, den Job dafür aufgegeben zu haben?« Hannah hielt unwillkürlich die Luft an, als fürchte sie sich vor der Antwort.
Brigid schüttelte den Kopf. »Nein, noch nie. Ich wusste, es könnte knapp werden, dennoch habe ich es bisher nie bereut.« Sie schaute Hannah fragend an. »Und du?«
Diese zögerte mit der Antwort. »Ich bin mir nicht sicher.« Sie schwieg, dachte an die ersten Wochen in München. »Es war alles so klar. Als ich den Laden sah, wusste ich sofort, das ist er. Du wirst es später selbst sehen – die Straße ist ein Traum. Sie heißt Blumengasse, aber eigentlich müsste sie Baumgasse heißen. Auf beiden Seiten stehen große Bäume, die im Mai wunderbar blühen, fast das ganze Jahr über Schatten spenden und unter denen man sitzen kann. Es ist die pure Idylle –« Hannah lachte. »Na ja, die Autos stören etwas, aber das ist unsere Zeit, nicht wahr? Der Makler hat mir noch einen zweiten Laden angeboten, der größer und günstiger war, aber die Umgebung – nein, das war nichts. In der Blumengasse habe ich mich sofort wohlgefühlt. Und dann die Häuser!«, schwärmte Hannah. »Alles solide Altbauten aus dem späten 19. Jahrhundert, mit schönen Stuckverzierungen an den Fassaden. Zum Laden gehört eine Wohnung, die direkt darüber liegt. Sie ist sehr geräumig, drei große Zimmer, eine Wohnküche, ein Badezimmer.« Hannah seufzte. »Eigentlich ist es viel zu viel Platz für mich allein.«
Brigid lächelte. »Du hörst dich an wie ein Immobilienmakler.«
»Ich weiß. Aber es ist wirklich ein Traum. Der Besitzer hat das Haus vor einigen Jahren renovieren und unter anderem Balkone an der Hofseite anbringen lassen. Das Bad ist komplett neu, die Fenster schalldicht. Man liest immer wieder von der Wohnungsnot in München; ich habe wohl einfach Glück gehabt. Aber das Beste –« Hannah machte eine kurze Pause. »Das Beste ist die Straße. In fast jedem Haus ist ein Laden. Es ist eine typische Einkaufsstraße, in der eigentlich nur eines fehlt: ein Café«, schloss sie glücklich.
»Und dennoch hast du Zweifel?«, fragte Brigid leise.
»Ja, natürlich, das klang jetzt nicht nach Zweifel, aber das waren die positiven Seiten. Die negativen fehlen noch.«
»Und die wären?«
»So viele Dinge, die schieflaufen. Unzuverlässige Handwerker. Sogar solche, die einen in Gefahr bringen.« Hannah berichtete von dem Schwelbrand.
»Aber es ist doch offensichtlich gut gegangen?«, sagte Brigid. »Und das mit der Versicherung solltest du nicht so ernst nehmen. Natürlich wollen sie erst einmal nicht zahlen. Wenn der Bericht der Feuerwehr eindeutig ist, kommen sie nicht darum herum.«
»Natürlich zahlen sie. Aber der ganze Papierkrieg ...«, seufzte Hannah. »Da ist noch dieser verkappte Künstler. Hubertus von Waldhausen! Welch ein Name! Er droht mir schon von Anfang an mit Schwierigkeiten.« Hannah schüttelte sich in Erinnerung an ihre erste Begegnung mit dem Maler. »Er stand eines Tages im Hausflur vor mir, mit Hut und Stock, und starrte mich finster an. Gut erzogen, wie ich bin, habe ich mich sofort vorgestellt und ihm gesagt, dass ich demnächst das Café eröffne und im ersten Stock einziehe. Natürlich habe ich auch gleich gesagt, dass es etwas laut werden könnte, das lässt sich bei Umbauten nicht vermeiden.« Hannah lehnte sich vor. »Weißt du, was er gesagt hat?«
Brigid schaute sie erwartungsvoll an.
»›Café, pah! Wer braucht schon ein Café!‹ Es klang, als wolle ich ein Bordell eröffnen. Dann drängte er sich einfach an mir vorbei. An der Tür drehte er sich noch mal um und sagte: ›Ich werde mich beschweren, wenn es laut wird, darauf können Sie Gift nehmen.‹« Hannah schmunzelte. »Ich konnte natürlich nicht anders, ich musste ihm noch ›Ihnen auch einen schönen Tag!‹ hinterherrufen.«
»Du bist ein böses Mädchen. Hat er seine Androhung wahrgemacht?«
»Nein, bisher nicht. Du meinst, bellende Hunde beißen nicht?«
»So in etwa.«
»Allerdings war er bisher auch nicht direkt betroffen – außer natürlich vom Schmutz und Lärm. Aber dafür habe ich mich von vornherein mit Schildern im Treppenhaus entschuldigt.« Sie schaute Brigid an. »Aber jetzt wirft er mir vor, dass durch den Qualm seine Bilder beschädigt wurden.«
»Wie wertvoll sind sie?«
Hannah zuckte mit den Achseln. »Ich habe keine Ahnung. Ich wollte ihn immer googeln, habe es bisher aber aus Zeitgründen nicht geschafft. Und so wichtig war er mir auch nicht.« Sie grinste schief. »Eine Nachbarin, Sandra, die mir auch beim Brand sehr geholfen hat, hat ihn mal als Haus- und Hofkünstler bezeichnet. Aber ich schätze, sie ist keine Kunstkennerin.«
Brigid ergriff erneut ihre Hand. »Du wirst es klären müssen.«
»Ich weiß.«
Die Freundin schwieg eine Weile, fragte dann: »Warum ausgerechnet München? Wieso bist du von Frankfurt weg?«
Hannah zuckte mit den Schultern. »Ich wollte einen Schlussstrich ziehen. Nicht unbedingt unter die Beziehung mit Klaus, aber unter mein Leben, das ich in Frankfurt geführt habe. Ich denke, ich wollte einen echten Neuanfang. Und in München habe ich mich immer wohlgefühlt, auch wenn die Zeit damals nicht einfach war.«
»Ich kenne die Stadt überhaupt nicht«, erwiderte Brigid.
»Dann solltest du die Gelegenheit nutzen und sie dir anschauen«, forderte Hannah sie auf. »Es gibt so viele schöne Ecken hier: den Englischen Garten, Schloss Nymphenburg, das Museumsviertel, wenn es eher Kultur sein darf. Oder mach einfach einen Bummel durch die Innenstadt …«
Brigid lachte. »Okay, okay! Ich arbeite die Punkte nach und nach ab. Versprochen.«
»Braves Mädchen«, sagte Hannah und tätschelte Brigids Knie. »Ich bin sehr froh, dass du da bist.«
Hannahs Handy vibrierte. Es war ihr Sohn.
»Hallo JJ.«
»Ist die Überraschung gelungen?«
»Das kann man wohl sagen! Ich danke dir! Auch wenn ich dich natürlich gleichzeitig schimpfen muss, weil du dich einfach in mein Leben einmischst. Und ich mich in das von Brigid.«
JJ lachte. »Mom, manchmal muss man dich zu deinem Glück zwingen. Ich muss auch gleich wieder los. Gib Tante Brigid einen Kuss von mir.«
»Mach ich. Pass auf dich auf.«
Brigid hatte das kurze Telefonat zum Anlass genommen, ihre Sachen zusammenzusuchen.
»Willst du schon gehen?«
Brigid nickte. »Da du mich zwingst, länger zu bleiben, muss ich mir ein paar Sachen zum Anziehen kaufen.«
»Ich würde dir ja gerne etwas aus meinem Kleiderschrank anbieten, aber darin würdest du ertrinken«, seufzte Hannah. »Früher war es kein Problem, Klamotten zu tauschen. Aber heute? Wie machst du das nur, dass du immer noch so rank und schlank bist wie früher?«
Brigid lachte. »Vergiss nicht, ich bin eine hungernde Künstlerin.«
»Apropos Hunger.« Hannah zog die Schublade des Nachttisches auf und nahm ihren Geldbeutel heraus. »Mein Kühlschrank dürfte eher leer sein. Du musst auch Lebensmittel kaufen.« Sei reichte Brigid fünfzig Euro.
»Willst du mich beleidigen? So viel Geld habe ich doch noch selbst.«
»Hier nimm, du bist schließlich mein Gast.«
Da Brigid sich weigerte, steckte Hannah den Schein wieder zurück in die Börse. »Stur wie eh und je.«
»Iren sind nun mal so.«
»Ja, ja, schieb nur alles auf die Gene«, murrte Hannah, aber sie lächelte.
Brigid umarmte sie. »Ich rufe dich später noch mal an, ja?«
»Mach das. Ich sage Marlene und Sandra Bescheid, damit sie dich nicht für eine Einbrecherin halten.« Die Freundin stand bereits in der Tür, als Hannah noch etwas einfiel. »Brigid?«
»Ja?«
»Ich schätze, du brauchst die Schlüssel.« Sie zog sie aus der Schublade und hielt sie hoch.
Brigid lächelte. »Das würde die Sache ziemlich vereinfachen.« Sie nahm den Schlüsselbund, gab Hannah einen letzten Kuss auf die Wange und ging.
* * *
Am nächsten Tag kurz nach Mittag tauchte Marlene auf, um von der Baustelle zu berichten. »Natürlich sage ich dir nur die guten Nachrichten, du sollst dich ja schonen.«
»Es gibt also auch schlechte?«
Marlene lachte. »Nein, keine Bange, alles läuft sehr gut. Der Elektriker ist untröstlich und schwört, notfalls den Schaden selbst zu zahlen. Und auch sonst sieht es sehr gut aus. Ich habe gestern Abend noch ein wenig mit deiner Freundin aus Irland geplaudert. Sie ist sehr nett.«
»Ja, das ist sie«, stimmte Hannah zu. »Wenn sie nicht heute Morgen angerufen hätte, hätte ich geglaubt, es wäre ein Traum gewesen.«
»Woher kennst du sie?«
»Wir waren Kolleginnen in Dublin«, erwiderte Hannah. »Du weißt ja, ich habe in einem früheren Leben bei einer Bank gearbeitet. Ich war damals in New York; von dort schickten sie mich Ende der 90er nach Irland. Brigid hat sich meiner sofort angenommen. Wir stellten schnell fest, dass wir gemeinsame Interessen hatten, und wurden Freundinnen. Eineinhalb Jahre später wurde Brigids erstes Kinderbuch veröffentlicht, es wurde schnell ein Bestseller. Sie wagte den Schritt und kündigte. Dafür habe ich sie immer bewundert.«
»Du hast doch jetzt auch deinen Traum verwirklicht«, warf Marlene ein.
»Ja, mit genügend Kapital im Hintergrund. Brigid hatte nichts, sie hat einfach darauf vertraut, dass es gut läuft. Dieses Vertrauen habe ich nicht.«
»Mach es dir nicht so schwer.« Marlene ergriff Hannahs Hand. »Es hilft nichts, wenn du dir selbst im Weg stehst.
Hannah lächelte sie an. »Als ob ich das nicht wüsste! Aber wissen und danach handeln sind zwei Paar Stiefel.«
Marlene stand auf. »Ich muss los, ich habe um eins einen Termin.« Sie umarmte Hannah. »Erhol dich, ja?« Sie warf ihr noch eine Kusshand zu und war weg.
Hannah absolvierte ihre Atemübungen und nahm sich dann den Krimi vor, in dem sie nun schon seit vielen Wochen las, aber nicht wirklich weiterkam. Tatsächlich schlief sie nach ein paar Seiten ein.
Als sie die Augen öffnete, saß Brigid an ihrem Bett und hielt ein paar weiße Seiten in ihrer Hand.
»Hey«, sagte Hannah schläfrig. »Wieso hast du mich nicht geweckt?«
»Hallo. Du brauchst deinen Schönheitsschlaf. Und ich habe genug zu tun.« Sie hielt die Blätter hoch.
»Für den Wiener Verlag?«
Brigid schüttelte den Kopf. »Nein, etwas ganz anderes.« Sie lachte leise. »Du wirst es nicht glauben, aber deine Straße hat mich heute Nacht zu einem neuen Buch inspiriert.«
»Hab ich dir doch gesagt. Diese Straße hat etwas Magisches ...« Hannah kuschelte sich zufrieden lächelnd in ihr Kissen. »Ich vermute, du verrätst nichts?« Sie zeigte auf die Seiten in Brigids Hand.
Diese verneinte. »Es hat sich nichts daran geändert. Ich gebe es erst aus der Hand, wenn ich damit zufrieden bin.« Sie klopfte die Seiten zusammen und steckte sie in ihre Tasche. »Wie geht es dir?«
»Sehr viel besser. Der Arzt meinte, ich könne womöglich morgen schon nach Hause.«
»Das ist eine gute Nachricht. Nur Marlene wird nicht begeistert sein. Ich habe den Eindruck, sie will das Café fertigstellen, bis du zurückkommst.«
»Das wird sie wohl kaum schaffen. Wie findest du sie?«
»Sie ist nett. Wir haben gestern Abend ein wenig miteinander geredet, aber sie hatte nicht viel Zeit. Es gab da offensichtlich ein paar Probleme mit ihrer Mutter.«
»Oh je, die Arme. Ihre Mutter ist etwas schwierig«, sagte Hannah. »Marlene redet nicht gerne darüber.«
»Wer tut das schon?«, brummte Brigid. »Wie geht es deiner Mutter?«
Hannah zuckte die Achseln. »Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung. Ich habe schon lange nicht mehr mit ihr telefoniert. Müsste ich wirklich dringend tun. Aber in den letzten Wochen kam ich nicht vor zehn, elf Uhr abends zur Ruhe, da schläft sie längst.«
»Und der Rest der Familie?«, wollte Brigid wissen.
»Nichts Neues. Die Einzige, die sich normal verhält, ist Svenja. Alle anderen ignorieren mich wie eh und je.« Hannah seufzte. »Ach, was soll's. Lass uns über etwas anderes reden.«
»Was ist mit deiner Wohnung in Frankfurt? Hast du sie schon aufgelöst?«
Hannah lachte. »Du hast aber auch ein Talent, die heikelsten Punkte anzusprechen.«
»Wieso?«, fragte Brigid harmlos, konnte aber ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
»Das Thema Klaus ist noch nicht ausgestanden.« Hannah zupfte an der Decke herum, schaute zum Fenster hinaus, wandte den Kopf dann der Freundin zu. »Ich habe mich einfach aus dem Staub gemacht.«
»Ich dachte, es lief so gut zwischen euch?«
»Ja und nein. Es lief gut, solange ich die war, die Klaus wollte.« Hannah zögerte. Brigid war ihre beste Freundin, keine Frage, dennoch hatte sie Hemmungen, ihr von Klaus zu berichten. Sie hatte dabei keine allzu gute Figur gemacht. »Ich habe ihm irgendwann gesagt, dass ich bei einer Bank arbeite. Er war erst schockiert, hat sich von mir getrennt, kam ein paar Wochen später an, wollte es noch einmal versuchen. Wir haben ein paar Regeln aufgestellt und es hat geklappt. Du weißt, er ist ein Träumer. Wir haben immer wieder darüber geredet, was wir tun würden, wenn wir Zeit und Geld hätten. Ich hab ihm von meinem Traum erzählt, und er hat das Café sogar mit eingerichtet. Im Kopf! Als ich ihm sagte, ich mache es wirklich, war er schockiert. Da ging mir auf, dass er immer nur ein Träumer bleiben würde. Das ist auf Dauer nichts für mich.«
Hannah fühlte die Tränen aufsteigen und war erstaunt darüber. Klaus war nie ein Traummann gewesen, er war immer nur als vorübergehende Episode eingeplant. Dennoch hatte sie Gefühle für ihn gehegt, auch wenn er das totale Gegenteil von ihr war. Sie die disziplinierte, auf gesunde Ernährung achtende, immer top angezogene Bankerin; er der langhaarige, kettenrauchende, dem Alkohol zugetane Gelegenheitsjobber. Vermutlich empfand sie immer noch etwas für ihn, sonst würde es ihr nicht so schwerfallen, darüber zu reden. Sie schluckte und fuhr fort: »Vor ein paar Wochen war ich in Frankfurt und habe die Wohnung aufgelöst. Ich hatte fest vorgehabt, ihn anzurufen, aber als ich dort war, konnte ich es nicht. Ich muss es natürlich noch tun.«
»Ja, du musst das abschließen – auch für ihn.«
Sie schwiegen eine Weile, dann sagte Hannah: »Und bei dir? Tut sich da was?«
Brigid schüttelte den Kopf. »Weit und breit kein Mann in Sicht, der sich auf mich einlassen würde.« Sie lächelte gequält. »Aber auch keiner, der mir gefallen würde.«
Hannah lachte. »Wer will schon was mit so alten Weibern wie uns anfangen?«
* * *
Tags darauf durfte Hannah nach Hause. Als das Taxi in die Blumengasse einbog, war sie aufgeregt wie ein kleines Mädchen vor der Geburtstagsfeier. Die Straße wirkte wie immer, nur das Café war anders.
Sie gab dem Fahrer ein fürstliches Trinkgeld, stieg aus und blieb staunend vor dem Haus stehen. Über dem Eingang hing das gemalte Schild, das sie vor einigen Wochen bestellt hatte. Zwar stand »Hanna's Café« darauf und statt der gewünschten Schmetterlinge umrankten Blumen den Namen, doch das war jetzt nebensächlich. Endlich konnte jeder sehen, was hier entstand. Links und rechts der Tür standen große Kübel mit farbenfrohen Blumen. In den beiden Schaufenstern hing jeweils ein rotes Schild: »In Kürze Neueröffnung«.
Die Ladentür öffnete sich und Marlene und Brigid traten heraus.
»Herzlich willkommen!«
»Welcome back!«
»Danke, danke!« Hannah war schon wieder zu Tränen gerührt und umarmte die beiden Frauen, um es zu verbergen. Sie deutete auf die Schaufenster und sagte: »Und? Wird es in Kürze sein?«
»Natürlich!«, rief Marlene und ging in den Laden vor.
Hannah schaute sich um. Die Wände waren neu gestrichen, die Theke schimmerte geheimnisvoll, Tische und Stühle standen schön angeordnet da und warteten auf die Gäste. Neben dem langen Spiegel hingen ein paar billige Bilder an den Wänden, damit sie nicht so nackt wirkten. Sogar die Polstermöbel hatte Marlene aus dem Lager bringen lassen und aufgestellt.
Hannah schnüffelte. Es roch leicht nach Farbe, aber definitiv nicht mehr nach Rauch.
»Ich kann es kaum glauben! Das Café ist fertig!« Sie umarmte Marlene erneut.
Diese gab ihr jedoch gleich einen kleinen Dämpfer. »Es sieht nur fertig aus. Ich habe den Handwerkern richtig Feuer unter dem Hintern gemacht und das Gröbste ist auch tatsächlich erledigt.« Sie zeigte Richtung Küche: »Dort sind noch ein paar Kleinigkeiten zu erledigen und auch die Toilette ist noch nicht betriebsbereit. Aber sonst …« Sie sah sich um. »Ja, sonst sieht es ziemlich gut aus.«
»Das kann man wohl sagen! Ich bin völlig platt! Diese Überraschung ist dir gelungen.« Sie wandte sich an Brigid: »You like it?«
»I love it! It may make me move to Munich.«
»I would be delighted«, gab Hannah zurück.
Hannah hakte Brigid unter und ließ sich von Marlene alles im Detail zeigen. Ein paar Möbel würde sie anders stellen, das eine oder andere Bild umhängen, aber prinzipiell hatte die Freundin es sehr gut getroffen.
»Dann kann ich jetzt wirklich die Eröffnungsfeier planen.«
»Du hast noch drei Wochen«, erwiderte Marlene. »Die Handwerker haben hoch und heilig versprochen, dass sie den Rest bis dahin fertigstellen.«
»Das sollten wir feiern. Allerdings habe ich in den letzten Tagen beschlossen, etwas weniger Alkohol zu trinken.«
»Wir könnten deine neue Kaffeemaschine einweihen«, schlug Marlene vor. »Sie kam vorgestern. Natürlich mussten wir sie ausprobieren, aber das gilt nicht als Einweihung.«
»Gute Idee«, sagte Hannah. »Ich kann dann zwar die halbe Nacht nicht schlafen, aber das ist es wert.«
Sie gingen hinter die Theke, wo eine Original Barista-Maschine aus Italien stand. Marlene schaltete sie ein und erklärte Hannah die wichtigsten Funktionen.
»I have to tell you about the barista workshop«, sagte Hannah, während sie drei Espressotassen aus dem Schrank daneben holte. »Das war wirklich interessant. Ich dachte immer, Kaffee sei Kaffee. Natürlich wusste ich, dass es verschiedene Bohnensorten gibt und auch Mahlgrade, aber ich hatte keine Ahnung, dass das so einen gravierenden Unterschied macht.«
Sie mahlte die Bohnen, füllte das Kaffeepulver um, drückte es mit dem Tamper fest, wie sie es gelernt hatte, fixierte den Siebträger in der Maschine und drückte nach einem kurzen Seitenblick auf die beiden Frauen hinter ihr den Knopf für Espresso. Die Maschine gurgelte und zischte und Sekunden später erfüllte feinster Kaffeeduft das Café.
»Vermutlich werde ich nur Espresso anbieten. Das Verzieren habe ich einfach nicht gelernt, obwohl Alessandro sich redlich bemüht hat, es mir beizubringen.« Hannah schmunzelte, als sie an den Italiener dachte.
»Kein Problem, das lernst du noch«, hatte er gesagt und ihre Hand mit der Milchkanne so geführt, dass auf dem Kaffee ein Herz entstand.
Sie hatte seine Nähe nicht unangenehm gefunden, doch der Italiener war selbst für ihre Verhältnisse sehr jung.
»Hast du heute Abend schon etwas vor?«, hatte er sie gefragt, als er ihr die Teilnahmebescheinigung aushändigte.
Hannah war auf die Frage vorbereitet gewesen. »Ja. Ich gehe zu meinem Mann und massiere ihm die Füße.«
Alessandro hatte irritiert geschaut, sich aber schnell gefangen. »Der Glückliche«, hatte er geschnurrt und Hannah ein Küsschen auf die Wange gehaucht.
Sie reichte den Freundinnen je eine Tasse und nahm sich die dritte.
Marlene schnupperte am Espresso. »Riecht wunderbar.«
Brigid nickte. »Delicious.«
Sie stießen an.
»Auf dass es gelingen möge«, sagte Marlene so bedeutungsschwanger, dass sie schallend lachen musste.
Fachmännisch begutachtete Hannah die Crema, erschnupperte das Aroma, kostete den ersten Schluck. »Nicht perfekt«, sagte sie, »aber auch nicht schlecht.«
Marlene nickte anerkennend. »Mit dem kannst du schon mal angeben.«
Hannah wandte sich der Theke zu. »Ich wünschte, ich könnte das auch hiervon sagen«, meinte sie und deutete auf die leere Auslage. »Womit soll ich die jemals füllen?«
Sie hatten schon mehrmals über das Problem gesprochen. Marlene hatte vorgeschlagen, jemanden für das Kochen und Backen einzustellen.
»Wenn das so einfach wäre!«, hatte Hannah erwidert. »Wo finde ich jemanden, der meinen Ansprüchen genügt?«
»Wait and see«, sagte Brigid.
Marlene stimmte zu: »Für den Anfang reichen ein paar einfache Sandwiches und drei oder vier Kuchen. Niemand wird von Beginn an den perfekten Service erwarten.«
Sie tranken ihren Espresso aus und stellten die Tassen in die Spülmaschine.
»Es fühlt sich schon beinahe wie echt an«, sagte Hannah.
Noch drei Wochen! Sie konnte es kaum erwarten, bis das Café endlich eröffnet war.
* * *
Bis dahin gab es jedoch noch viel zu tun. Brigid brach am nächsten Morgen nach einem ausgedehnten Frühstück Richtung Flughafen auf.
»I hope to see you at the opening«, bat Hannah zum Abschied.
»I will try but I can't promise anything.«
Hannah räumte das restliche Essen in den Kühlschrank und das Geschirr in die Spülmaschine und wischte über den Tisch. Doch irgendwann war die Küche sauber und sie wusste, sie konnte die unangenehmen Aufgaben, die vor ihr lagen, nicht länger hinauszögern.
Sie hatte am Abend zuvor die Post nur flüchtig durchgesehen, die wichtig aussehenden Briefe auf einen Stapel gelegt, die weniger wichtigen auf einen anderen und die Werbung ungelesen in den Papierkorb geworfen.
Sie nahm sich den Wichtig-Stapel vor, der aus vier Briefen bestand. Der erste war die Rechnung des Schildermalers. Der Betrag war korrekt, doch Hannah dachte nicht im Traum daran, ein Schild zu bezahlen, das sie so nicht bestellt hatte. Sie rief den Mann an, um eine Korrektur zu verlangen. Als er wissen wollte, was falsch sei, sagte sie erbost: »Sie haben sich überhaupt nicht an meine Vorlage gehalten. Ich wollte Schmetterlinge, keine Blumengirlanden. Aber darüber könnte ich noch hinwegsehen. Doch dass Sie den Namen falsch geschrieben haben, kann ich keinesfalls akzeptieren.«
»Sie sagten Hanna's Café«.
»Nein, auf der Vorlage steht eindeutig ›Café Hannah‹, ich habe es hier vor mir am PC.«
»Aber das ist doch dasselbe.«
»Das sehe ich aber nicht so«, antwortete Hannah. »Es kann doch nicht so schwer sein, ein Schild nach einer Vorlage zu malen.«
Es stellte sich heraus, dass er die Vorlage verloren und aus dem Gedächtnis heraus gemalt hatte. Hannah bestand darauf, dass er das Schild komplett neu malte, und ließ sich auf keine Diskussion ein. Er murmelte etwas, das wie »Schreckschraube« klang, aber Hannah drohte ihm schließlich mit einem Anwalt und konnte ihn so überzeugen.
»Ich will keinen Apostroph«, bläute sie ihm ein. »Und Hannah schreibt man mit h am Ende.«
Der Maler schnaubte leise, sagte aber nichts mehr.
»Ich brauche das Schild in spätestens zweieinhalb Wochen«, sagte Hannah zum Abschied und schickte ihm die Vorlage noch einmal zu.
Als sie den zweiten Brief öffnete, blieb ihr für einen Moment der Atem weg. Es war ein Schreiben eines Rechtsanwalts, der im Namen von Hubertus von Waldhausen zehntausend Euro Schadenersatz forderte. Sollte sie nicht innerhalb von zwei Wochen zahlen, behalte er sich weitere Schritte vor. »Einfach nur lächerlich«, knurrte Hannah, als sie den Brief durchlas. Ihr fiel das Telefonat mit dem Schildermaler ein – hatte sie nicht selbst gerade mit dem Rechtsanwalt gedroht? Sie schluckte und dachte: Na ja, sie versuchen es halt.
Sie öffnete die Suchmaschine und gab »von Waldhausen« und »Bilder« ein und erhielt 845.679 Links.